Marion Zimmer Bradley

Die Zeit der hundert Königreiche

Scanned by: Balthasar Corrected by: Therro

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Vorbemerkung der Autorin
Wie alle Darkover-Romane ist auch dieser eine abgeschlossene Geschichte und nicht ein unvollständiger Teil einer Serie. Doch für jene, die Wert auf die Darkover-Chronologie legen, sei gesagt: Die Zeit der Hundert Königreiche spielt gegen Ende des Zeitalters des Chaos, in der Periode, die später - wie der Titel schon sagt - als Zeit der Hundert Königreiche bekannt wurde, rund zweihundert Jahre später, als Allart Elhalyn, wie in Herrin der Stürme berichtet, zu Hali und Thendara regierte. Kriege, in denen die Matrix-Wissenschaft zu zerstörerischen Zwecken eingesetzt wurde, hatten die alten Reiche in viele kleine unabhängige Königtümer, Stadtstaaten, Baronien, Grafschaften und Republiken aufgeteilt, die alle nicht sehr groß waren. Von einigen der Königreiche hieß es, der König könne sich auf einen Hügel stellen und von da aus über sein ganzes Land in das der Nachbarkönige hineinsehen.
Viele Männer jener Zeit träumten davon, die Hundert Königreiche zu vereinigen und die Anarchie zu Gesetz und Ordnung zurückzuführen. Einer dieser Männer war Varzil, dem die Geschichte den Beinamen Der Gute verlieh, Laranzu von Neskaya, ein zweiter Bard di Asturien, den man den Wolf der Kilghardberge nannte. Und dies ist ihre Geschichte.

Marion Zimmer Bradley Prolog: Der Fremde
Paul Harrell erwachte, verwirrt, nur halb bei Bewußtsein und mit dem Gefühl, langdauernde Alpträume hinter sich zu haben. Die Muskeln seines Körpers schmerzten, als sei jeder für sich ein hohler Zahn, und sein Kopf fühlte sich an, als habe er einen wahrhaft monumentalen Kater. Verwischte Erinnerungen, ein Mann mit seinem Gesicht, seine eigene Stimme, die fragte: Verdammt noch mal, wer bist du? Doch nicht etwa zufällig der Teufel? Nicht etwa, daß er an den Teufel oder die Hölle oder eines jener Dinge glaubte, die erfunden waren, um die Menschen zu zwingen, das zu tun, was andere Leute für richtig hielten, statt das, was sie selbst wollten.
Er bewegte seinen Kopf, und der Schmerz darin ließ ihn zusammenzucken. Donnerwetter! Muß ich gestern abend einen draufgemacht haben!
Er streckte sich, versuchte sich umzudrehen und stellte fest, daß er bequem lag und genügend Platz für seine Beine hatte. Der Schock machte ihn hellwach.
Er konnte sich bewegen, sich strecken er war nicht in der StasisZelle!
War also alles nur ein Alptraum gewesen? Die Flucht vor der Alpha-Polizei, die Rebellion, die er in der Kolonie angeführt hatte, der letzte Kampf, bei dem seine Männer rings um ihn niedergeschossen worden waren, die Gefangennahme und der Prozeß - und schließlich das Grauen, als sich die Stasis-Zelle für immer um ihn schloß. Für immer. Das war sein letzter Gedanke gewesen. Für immer. Schmerzlos natürlich. Sogar angenehm, wie das Einschlafen, wenn man vollständig erschöpft ist. Aber er hatte um diesen letzten bewußten Augenblick mit aller Kraft gekämpft, weil er wußte, daß es wirklich der letzte war. Er würde nie mehr aufwachen.
Humane Regierungen hatten die Todesstrafe vor langer Zeit abgeschafft. Zu oft hatte sich ein paar Jahre nach der Hinrichtung des Gefangenen durch neues Beweismaterial seine Unschuld erwiesen. Der Tod machte den Fehler unwiderruflich und setzte das ganze Justizsystem in Verlegenheit. Die Stasis-Zelle hielt den Gefangenen sicher von der Gesellschaft fern … aber er konnte immer noch rehabilitiert und ins Leben zurückgerufen werden. Und es gab keine Gefängnisse, keine traumatischen Erinnerungen an die Gemeinschaft mit abgebrühten Kriminellen,’ keine Gefangenenaufstände. Überflüssig geworden waren Beratung, Erholung, Neuanpassung. Steckt sie einfach in eine Stasis-Zelle und laßt sie dort auf natürliche Weise altern und schließlich sterben, bewußtlos, leblos … falls sie sich nicht doch noch als unschuldig erweisen. Darm konnte man sie herausholen.
Nur hatte Paul Harrell gewußt, daß das in seinem Fall unmöglich war. Er war schuldig, und dessen hatte er sich auch noch gerühmt, und er hatte es darauf angelegt, vor der Gefangennahme niedergeschossen zu werden. Was noch schwerer wog, er hatte sich Mühe gegeben, so etwa zehn der verdammten Bullen mitzunehmen. Deshalb hatte er das gesetzliche Recht auf die Wahl zwischen Stasis-Zelle und Rehab verwirkt.
Der Rest seiner Männer, die nicht niedergeschossen worden waren, ließ sich demütig wie Schafe zur Rehabilitation treiben, wo man aus ihnen konformistische Nullen machte. Das war alles, was man in dieser idiotischen Welt wünschte. Marionetten. Tröpfe ohne Mumm. Und bis zum letzten Ende konnte er sehen, daß der Richter und alle seine juristischen Ratgeber hofften, er werde zusammenbrechen und um Gnade betteln - um eine Chance zur Rehab, damit sie ihn mit Drogen und Umerziehung und Gehirnwäsche in einen Niemand verwandeln konnten, der mit allen anderen im Gleichschritt durch das marschierte, was sie Leben nannten. Danke, das ist nichts für mich. Ich tue bei ihrem verdammten Spiel nicht mit. Als ich meinen Lauf beendet hatte, war ich bereit zu gehen, und ich ging.
Und so lange es dauerte, war es ein gutes Leben gewesen, dachte er. Er hatte Haschee aus ihren blöden Gesetzen gemacht, weil sich jahrelang niemand auch nur vorzustellen vermochte, jemand könne ein Gesetz anders als durch einen Zufall oder Unwissenheit brechen. Er hatte alte Frauen gehabt, die er wollte, und alle sonstigen Genüsse. Frauen vor allem. Er ging nicht auf die blödsinnigen Spiele ein, zu denen die Frauen die Männer zwingen wollten. Er war ein Mann, und wenn sie einen Mann statt eines Schafes wollten, entdeckten sie auf der Stelle, daß sich Paul Harrell nicht nach ihren konformistischen Schwächlingsregeln richtete.
Dies verdammte Weib, das mir die Polizei auf den Hals gehetzt hat! Wahrscheinlich hatte sie von ihrer Mutter gelernt, daß es eine Vergewaltigung sei und ein Mädchen Zeter und Mordio schreien müsse, wenn der Mann nicht vor ihr auf die Knie fiel und sich wie ein Kapaun benahm, wie ein Jammerlappen, der sich von einer Frau an der Nase herumführen ließ und sie niemals berührte, bis sie den Wunsch dazu äußerte! Teufel, er wußte es besser. In Wirklichkeit liebten die Frauen es, wenn einer ranging und ein Nein nicht als Antwort gelten ließ. Nun, sie hatte herausgefunden, daß er sich keine Vorschriften machen ließ, selbst wenn die Stasi-Zelle ihm drohte. Sie hatte wohl gedacht, er werde um eine Chance zur Rehab winseln, und dann würde man aus ihm ein Lämmchen machen, das sie spazierenführen konnte.
Zum Teufel mit ihr! Bis an ihr Lebensende würde sie jetzt nachts aufwachen und daran denken, daß sie ein einziges Mal einen wirklichen Mann gehabt hatte .
Als er in seinen Erinnerungen so weit gekommen war, setzte Paul Harrell sich hoch und riß die Augen auf. Er war nicht in der StasisZelle, und er war auch an keinem anderen Ort, den er kannte. War dann alles nur ein Alptraum gewesen, das Mädchen, die Rebellion, die Schießerei mit den Polizisten, der Richter, der Prozeß, die Stasis-Zelle … ?
War er jemals dort gewesen, war irgend etwas davon wirklich geschehen?
Und wenn ja, wie war er hinausgelangt?
Er lag auf einer weichen Matratze, bezogen mit einem sauberen, groben Leintuch. Zugedeckt war er mit Woll- und Steppdecken und einem Fell. Rings um ihn war ein sehr schwaches, trübes, rötliches Licht. Er streckte die Hand aus und stellte fest, daß das Licht durch schwere Bettvorhänge fiel. Er lag in einem Himmelbett, wie er es einmal irgendwo in einem Museum gesehen hatte, und die Vorhänge um das Bett schlossen das Licht aus. Es waren rote Vorhänge. Er zog sie beiseite. Das Zimmer hatte er noch nie gesehen. Und er hatte nicht nur dies Zimmer noch nie gesehen, ihm war auch noch nie in seinem Leben etwas Ähnliches untergekommen.
Etwas war verdammt sicher. Er war nicht in der Stasis-Zelle, es sei denn, eine Serie bizarrer Träume gehörte mit zu der Bestrafung. Auch war er nirgends im Rehab-Zentrum. Er war nicht einmal auf Alpha, dachte er, als er durch das hohe Bogenfenster eine riesige rote Sonne erspähte, und auch nicht auf Terra oder einem anderen Planeten der Konföderierten Welten, die er schon einmal besucht hatte.
Vielleicht war das hier Walhalla oder so etwas Ähnliches. Es gab alte Sagen über einen idealen Ort für Krieger, die den Heldentod gestorben waren. Und er war gewiß kämpfend untergegangen. Beim Prozeß hatte es geheißen, er habe acht Polizisten getötet und einen weiteren fürs Leben verkrüppelt. Er war gefallen wie ein Mann, nicht wie ein Konformist, an dem eine Gehirnwäsche vollzogen worden war. Er hatte nicht um eine Chance gebettelt und gefleht, noch eine Weile länger auf den Knien in einer Welt herumrutschen zu dürfen, die keine Achtung vor einem Mann hatte, der lieber auf seinen Füßen starb! Jedenfalls war er aus der Zelle heraus, das war schon mal ein guter Anfang. Aber er war nackt, wie man ihn in die Zelle hineingesteckt hatte. Sein Haar war immer noch geschoren wie zu dem Zeitpunkt, als … Nein. Man hatte ihm den Kopf rasiert, und deshalb mußte er einen oder zwei Monate in der Zelle gewesen sein, weil er die dicke, weiche Wolle fühlen konnte. Er sah sich im Zimmer um. Es hatte einen Steinfußboden, auf dem ein paar dicke Fellteppiche lagen. An Möbeln gab es nichts außer dem Bett und einer mit reichen Schnitzereien versehenen schweren Truhe aus dunklem Holz.
Und jetzt fiel ihm trotz des Hämmerns in seinem Kopf noch etwas ein: ein stechender Schmerz, blaue Blitze um ihn, ein Kreis aus Gesichtern, das Gefühl, aus großer Höhe zu fallen - Schmerz und dann ein Mann. Ein Mann mit seinem eigenen Gesicht und seiner eigenen Stimme, der ihn fragte: Wer bist du? Doch nicht etwa zufällig der Teufel? Alte Sagen. Wenn man einen Mann mit dem eigenen Gesicht sah, seinen Doppelgänger, dann war das entweder der Teufel oder eine Warnung vor dem Tod. Aber praktisch war er ja gestorben, als man ihn in die Stasis-Zelle steckte. Was konnte ihm also noch irgendwer tun? Sicher war das ein Traum gewesen. Oder doch nicht? Oder hatten sie, nachdem er in der Zelle verschwunden war, einen Klon von ihm hergestellt und den Klon einer Gehirnwäsche unterzogen und aus ihm den guten, respektablen, konformistischen Bürger gemacht, den sie immer aus ihm hatten machen wollen?
Irgend etwas hatte ihn irgendwie hierhergebracht. Aber wer und wann und wie? Und vor allem: warum?
Und dann öffnete sich die Tür, und der Mann mit seinem Gesicht trat ein.
Nicht ein Mann, der ihm sehr ähnlich war wie ein Zwillingsbruder. Er selbst.

Wie er hatte der Mann blondes Haar, nur war es bei dem Fremden dick und lang und zu einem festen Zopf zusammengedreht, um den sich eine rote Schnur wickelte. Paul hatte noch nie einen Mann gesehen, der sein Haar auf diese Weise trug.
Auch hatte er noch nie einen Mann so angezogen gesehen wie den mit seinem Gesicht, mit Sachen aus schwerer Wolle und Leder: eine geschnürte Lederweste, darunter eine Jacke aus ungebleichter Wolle, lederne Breeches, hohe Stiefel. Jetzt, wo Paul sich zum Teil unter seinen Decken hervorgearbeitet hatte, stellte er fest, daß es im Zimmer kalt genug war, um diese Art Kleidung ratsam erscheinen zu lassen. Und durch das Fenster sah er, daß der Schnee dick auf dem Boden lag. Nun, daß er nicht auf Alpha war, wußte er bereits, und wenn er daran noch Zweifel gehabt hätte, wären sie durch die schwach purpurnen Schatten auf dem Schnee und die große rote Sonne beseitigt worden. Aber seltsamer als das alles war der Mann mit seinem Gesicht. Das war keine Ähnlichkeit, die sich auf kurze Entfernung verlor. Es war nicht einmal sein seitenverkehrtes Spiegelbild, sondern das Gesicht, das er auf Videoaufnahmen von seinem Prozeß gesehen hatte. Ein Klon - wenn sich außer reichen Exzentrikern jemand so ein Ding leisten könnte. Eine absolute, identische Replik seiner selbst, bis zu dem gespaltenen Kinn und dem kleinen braunen Muttermal auf seinem linken Daumen. Was zum Teufel ging hier vor?
Er fragte: »Wer zum Teufel bist du?«
Der Mann in der Lederweste antwortete: »Ich komme, um dir die gleiche Frage zu stellen.«
Paul erkannte die Fremdheit der Silben. Sie hörten sich ein bißchen wie Alt-Spanisch an, eine Sprache, von der er ein paar Wörter kannte. Aber er konnte die Rede des Mannes deutlich verstehen, und das jagte ihm mehr Furcht ein als alles, was sonst geschehen war. Jeder las die Gedanken des anderen.
»Hölle und Verdammnis«, platzte er heraus, »du bist ich!« »Nicht ganz«, meinte der andere Mann, »aber es kommt dem nahe genug. Und das ist der Grund, warum wir dich nach hier gebracht haben. «
»Nach hier.« Paul klammerte sich an das eine Wort. »Wo ist hier? Welche Welt ist das? Welche Sonne ist das? Und wie bin ich hergekommen? Und wer bist du?«
Der Mann schüttelte den Kopf, und wieder hatte Paul das unheimliche Gefühl, er beobachte sich selbst.
»Die Sonne ist die Sonne«, sagte er, »und wir sind in dem Land, das man die Hundert Königreiche nennt; das hier ist das Königreich von Asturias. Und was die Welt betrifft, so wird sie Darkover genannt, und das ist das einzige Wort, das ich für sie kenne. Als ich ein Junge war, erzählte man mir eine Fabel darüber, daß die Sterne Sonnen wie unsere eigene seien, umkreist von einer Million Millionen Welten wie unserer, und vielleicht mit Menschen wie wir darauf. Aber ich habe immer gedacht, das sei eine Geschichte, um Babys und kleine Mädchen zu ängstigen! Doch in der letzten Nacht habe ich Seltsameres gesehen und gehört. Die Zauberei meines Vaters hat dich nach hier gebracht , und wenn du wissen willst, warum, mußt du ihn fragen. Aber wir führen nichts Böses gegen dich im Schilde.« Paul hörte die Erklärung kaum. Er starrte den Mann mit seinem Gesicht, seinem Körper, seinen eigenen Händen an und versuchte zu ergründen, was er für den Mann empfand.
Sein Bruder. Er selbst. Er kann mich verstehen. Diese Gedanken schossen ihm durch den Kopf. Und gleichzeitig machte sich plötzlicher Zorn breit: Wie kann er es wagen, mit meinem Gesicht herumzulaufen? Und dann, in völliger Verwirrung: Wenn er ich ist, wer zum Teufel bin dann ich?
Und der andere Mann sprach die Frage aus. »Wenn du ich bist … «
-seine Fäuste ballten sich - »… wer bin dann ich?«
Paul lachte hart auf. »Vielleicht bist du doch der Teufel. Wie ist dein Name?«
»Bard«, erwiderte der Mann. »Aber man nennt mich Wolf. Bard di Asturien, der Kilghard-Wolf. Und du?«
»Mein Name ist Paul Harrell«, sagte er und schwankte. War das alles ein bizarrer Traum in der Stasis-Zelle? War er gestorben und nach Walhalla gekommen?
Er verstand nichts von alldem. Absolut gar nichts.

Sieben Jahre früher

1. BUCH

Die Pflegebrüder

1

Licht fiel aus jedem Fenster und jeder Schießscharte von Burg Asturias. In dieser Nacht feierte König Ardrin von Asturias ein großes Fest, denn er verlobte seine Tochter Carlina mit seinem Pflegesohn und Neffen Bard di Asturien, dem Sohn seines Bruders Dom Rafael von High Fens. Die meisten Edlen von Asturias und ein paar aus den benachbarten Königreichen waren gekommen, der Verlobung und der Tochter des Königs die Ehre zu erweisen. Der Hof war ein Meer leuchtender Farben. Fremde Pferde und andere Reittiere, die in die Ställe gebracht wurden, reichgekleidete Adlige, gewöhnliches Volk, das sich vor den Toren drängte, um sich das Schauspiel anzusehen und die Gabe von Essen, Wein und Süßigkeiten in Empfang zu nehmen, die von der Küche aus an alle verteilt wurde. Diener rannten in wirklichen oder erfundenen Geschäften umher.
Hoch oben in den abgetrennten Räumen der Frauen blickte Carlina di Asturien mit Widerwillen auf den gestickten Schleier und das Überkleid aus blauem Samt, besetzt mit Perlen von Temora, das sie bei der Verlobungszeremonie tragen sollte. Sie war vierzehn Jahre alt, ein schlankes, blasses junges Mädchen mit langen dunklen Zöpfen, die unter ihren Ohren in Schaukeln hingen, und großen grauen Augen, die das einzige schöne Merkmal in einem zu schmalen und zu nachdenklichen Gesicht waren. Ihr Gesicht war um die Augenlider rot; sie hatte lange Zeit geweint.
»Nun, komm, komm«, drängte Ysabet, ihre alte Amme. »Du darfst nicht so weinen, Chiya. Und Bard ist so hübsch und tapfer. Denk doch nur daran, daß dein Vater ihn wegen seinerTapferkeit in der Schlacht von Snow Glen zum Bannerträger gemacht hat. Und schließlich, liebes Kind, ist es ja nicht, als solltest du einen Fremden heiraten. Bard ist dein Pflegebruder und hier im Haus des Königs erzogen worden, seit er zehn Jahre alt war. Ihr habt doch als Kinder immer zusammen gespielt - ich dachte, du liebtest ihn.«
»Das tue ich auch - als Bruder«, flüsterte Carlina. »Aber Bard heiraten
-nein, Amme, das will ich nicht. Ich will überhaupt nicht heiraten … « »Also, das ist Torheit«, gluckste die ältere Frau und hielt das perlenbestickte Überkleid in die Höhe, um ihrem Pflegling hineinzuhelfen. Carlina ließ es zu, daß sie wie eine Puppe angekleidet wurde. Sie wußte, Widerstand hatte keinen Zweck.
»Warum willst du Bard denn nicht heiraten? Er ist hübsch und tapfer
-wie viele junge Männer haben sich schon ausgezeichnet, bevor sie ihr sechzehntes Jahr erreichten?<, verlangte Ysabet, zu wissen. »Ich zweifle gar nicht daran, daß er eines Tages General über alle Truppen deines Vaters sein wird. Du hältst ihm doch nicht vor, daß er Nedestro ist? Der arme Junge kann ja nichts dafür, daß ihn eine der Mätressen seines Vaters geboren hat und nicht seine gesetzliche Ehefrau! « Carlina lächelte schwach darüber, daß jemand Bard einen »armen Jungen« nennen konnte.
Ihre Amme kniff sie in die Wange. »Das ist die richtige Art, zu deiner Verlobung zu gehen, mit einem Lächeln! Laß mich noch die Verschnürung zurechtziehen.« Sie zupfte an den Schnüren und steckte die Enden nach innen. »Setz dich her, meine Süße, damit ich dir die Sandalen anziehen kann. Sieh doch, wie niedlich, deine Mutter hat sie passend zu dem Gewand gemacht, blaues Leder mit Perlen! Wie hübsch du bist, Carlie, wie eine blaue Blume! Ich muß noch die Bänder in deinem Haar befestigen. Ich glaube nicht, daß es heute nacht irgendwo in neun Königreichen eine schönere Braut gibt! Und Bard sieht wirklich gut genug aus, um deiner würdig zu sein, so hell, wo du so dunkel bist … «
»Welch ein Jammer«, stellte Carlina trocken fest, »daß er dich nicht heiraten kann, Amme, da er dir so gut gefällt.«
»Komm, komm, mich würde er nicht wollen, alt und verschrumpelt, wie ich bin«, wies Ysabet sie zurecht. » Ein schöner junger Krieger wie Bard muß eine schöne junge Braut bekommen, und so hat dein Vater es befohlen… Ich weiß überhaupt nicht, warum ihr nicht heute nacht auch gleich verheiratet und zu Bett gebracht werdet! « »Weil«, antwortete Carlina, »ich meine Mutter inständig darum bat, und sie sprach für mich bei meinem Vater und Herrn. Da stimmte er zu, daß ich nicht verheiratet werden soll, bis ich mein fünfzehntes Jahr vollendet habe. Die Hochzeit wird zum Mittsommer-Fest in einem Jahr ab heute stattfinden.«
»Wie hältst du es aus, so lange zu warten? Evanda segne dich, Kind, wenn ich einen so hübschen Liebhaber hätte wie Bard, könnte ich nicht so lange warten … « Sie sah Carlina zusammenzucken und sprach sanfter weiter. »Fürchtest du dich vor dem Ehebett, Kind? Es ist noch keine Frau daran gestorben, und ich habe keinen Zweifel, daß du es angenehm finden wirst. Aber für den Anfang macht es doch schon etwas aus, daß dein Mann kein Fremder, sondern ein Spielgefährte und außerdem dein Pflegebruder ist.«
Carlina schüttelte den Kopf. »Nein, das ist es nicht, obwohl ich, wie ich schon sagte, keine Lust zum Heiraten habe. Ich würde mein Leben lieber in Keuschheit und mit guten Werken unter den Priesterinnen Avarras zubringen.«
»Der Himmel schütze uns!« Die Frau machte eine schockierte Geste. »Das würde dein Vater nie erlauben!«
»Das weiß ich, Amme. Die Göttin weiß, ich habe ihn angefleht, mir diese Heirat zu ersparen und mich gehen zu lassen. Aber er erinnerte mich daran, ich sei eine Prinzessin, und es sei meine Pflicht zu heiraten und seinem Thron starke, mächtige Verbündete zuzubringen. So wie meine Schwester Amalie bereits König Lorill von Scathfell als Braut gesandt wurde. Jenseits des Kadarin, das arme Mädchen, allein in diesen nördlichen Bergen, und meine Schwester Marilla ist im Süden in Dalereuth verheiratet …«
»Ärgert es dich, daß sie mit Prinzen und Königen verheiratet wurden und du nur den Bastard des Bruders deines Vaters bekommst?« Carlina schüttelte den Kopf. »Nein, nein«, sagte sie ungeduldig. »Ich weiß, was mein Vater im Sinn hat. Er möchte Bard mit einem starken Band an sich fesseln, damit er eines Tages sein stärkster Kämpfer und Beschützer ist. An mich oder Bard hat er keinen Gedanken verschwendet. Das ist nur eins der Manöver meines Vaters, Thron und Königreich zu schützen!«
»Nun, die meisten Ehen werden aus weniger guten Gründen geschlossen«, meinte die Amme.
»Aber es wäre nicht notwendig!« brach es aus Carlina hervor. »Bard würde sich mit jeder Frau zufriedengeben, und mein Vater hätte irgendeine von hohem Rang finden können, die Bards Ehrgeiz Genüge tun würde! Warum muß ich gezwungen werden, mein Leben mit einem Mann zu verbringen, dem es ganz gleichgültig ist, ob ich es bin oder eine andere, solange sie nur seinem Ehrgeiz dienlich ist und ein hübsches Gesicht und einen willigen Körper hat? Avarra erbarme sich, glaubst du, ich weiß nicht, daß schon jedes dienende Mädchen in der Burg sein Bett geteilt hat? Sie prahlen hinterher damit!«
»Was das betrifft«, sagte Ysabet, »so ist er nicht besser und nicht schlechter als jeder deiner Brüder und Pflegebrüder. Du kannst es einem jungen Mann nicht verübeln, wenn er hinter den Mädchen her ist. Und wenigstens beweist ihre Prahlerei, daß er weder impotent noch ein Liebhaber von Männern ist! Wenn ihr verheiratet seid, mußt du ihm einfach in deinem Bett genug zu tun geben, um ihn aus anderen herauszuhalten.
Carlina ließ sich anmerken, daß die vulgäre Bemerkung ihr mißfiel. »Ich gönne ihnen Bard und sein Bett<” erklärte sie, »und ich werde ihnen den Platz darin nicht streitig machen. Aber ich habe Schlimmeres gehört. Er erkennt keine Weigerung an. Wenn ein Mädchen ihm nein sagt oder wenn er Grund zu der Annahme hat, sie werde ihm nein sagen, setzt er seinen Stolz darein, einen Zwang über sie zu werfen, einen Glanz, so daß sie nicht widerstehen kann, sondern willenlos in sein Bett kommt, ohne die Kraft, sich selbst zu helfen … « »Ich habe von Männern gehört, die dies Laran haben«, grinste Ysabet. »Es ist eine nützliche Sache, selbst wenn ein junger Mann hübsch und kräftig ist. Aber ich gebe nicht viel auf solche Geschichten über Zauberei. Welche junge Frau muß erst verhext werden, um zu einem jungen Mann ins Bett zu gehen? Sicher benützen sie das alte Märchen nur als Entschuldigung, wenn sie außer der Zeit einen dicken Bauch bekommen … «
Nein Amme«, widersprach Carlina. »In wenigstens einem Fall weiß ich, daß es wahr ist. Denn meine eigene Zofe Lisarda ist ein braves Mädchen, und sie hat mir erzählt, daß sie nichts dagegen tun konnte… «
Ysabet lachte häßlich auf. »Das sagt jede Schlampe hinterher.« »Aber nein«, unterbrach Carlina wütend, »Lisarda ist knapp zwölf Jahre alt! Sie ist mutterlos und wußte kaum, was er von ihr wollte, nur daß ihr keine andere Wahl blieb, als ihm zu Willen zu sein. Armes Kind, sie war gerade erst zur Frau gereift, und sie weinte danach in meinen Armen, und ich kann mir einfach nicht vorstellen, warum ein Mann eine Frau auf diese Weise haben will … «
Ysabet runzelte die Stirn. »Ich fragte mich schon, was mit Lisarda geschehen sei …«
»Mir fällt es schwer, Bard zu verzeihen, daß er ein junges Mädchen mißbraucht hat, das ihm nie etwas zuleide getan hat«, sagte Carlina, immer noch zornig.
»Nun, nun«, seufzte die Amme, »Männer tun so etwas hin und wieder, und von den Frauen erwartet man, daß sie sich damit abfinden.« »Ich sehe nicht ein, warum!«
»Es ist der Lauf der Welt«, sagte Ysabet, und dann fuhr sie zusammen und sah auf die Uhr an der Wand. »Carlina, mein Schätzchen, du darfst zu deiner Verlobung nicht zu spät kommen.«

Carlina erhob sich und seufzte resigniert, als Königin Ariel, ihre Mutter, das Zimmer betrat.
Bist du fertig, meine Tochter?« Die Königin musterte das junge Mädchen von Kopf bis Fuß, von den unter den Ohren schaukelnden Zöpfen bis zu den mit Perlen bestickten zierlichen Schuhen. »In den Hundert Königreichen kann es keine hübschere Braut geben. Das hast du gut gemacht, Ysabet.«
Die alte Frau versank als Dank für das Kompliment in einem Knicks. »Du brauchst nur noch einen Hauch Puder auf dem Gesicht, Carlie, deine Augen sind rot«, sagte die Lady. »Bring die Quaste, Ysabet. Carlina, hast du geweint?«
Carlina senkte den Kopf und antwortete nicht.
Ihre Mutter erklärte fest: »Es ist unschicklich, daß eine Braut Tränen vergießt, und das ist nur deine Verlobung.« Mit eigenen Händen betupfte sie Carlinas Augenlider mit der Puderquaste. »So. Jetzt noch ein wenig Augenbrauenstift hier -« sie wies Ysabet die Stelle, an der das Make-up repariert werden mußte. »Sehr hübsch. Komm, Liebes, meine Frauen warten … «
Ein kleiner Chor bewundernder Ausrufe wurde laut, als Carlina in ihrem Brautstaat zu den Frauen trat. Ariel, Königin von Asturias, umgeben von ihren Damen, streckte Carlina die Hand entgegen. »Heute abend wirst du unter meinen Damen sitzen, und wenn dein Vater dich ruft, trittst du vor und stellst dich neben Bard vor den Thron«, begann sie.
Carlina betrachtete das heitere Gesicht ihrer Mutter und überlegte, ob sie eine letzte Bitte wagen solle. Sie wußte, ihre Mutter mochte Bard nicht -wenn auch aus den falschen Gründen. Sie hatte einfach etwas gegen seinen Status als Bastard. Von Anfang an hatte es ihr nicht gepaßt, daß er als Pflegebruder von Carlina und Beltran aufwuchs. Es war jedoch nicht die Mutter, die diese Heirat arrangiert hatte, sondern der Vater. Und Carlina wußte, König Ardrin hatte nicht die Gewohnheit, sehr aufmerksam auf das zu hören, was sein Weibervolk wünschte. Ihre Mutter hatte ihm dies eine Zugeständnis abgerungen, daß Carlina nicht verheiratet werden sollte, bis sie volle fünfzehn Jahre alt war.
Wenn man mich zur Verlobung aufruft, werde ich schreien und mich weigern zu sprechen. Ich werde laut nein rufen, wenn man meine Zustimmung verlangt, ich werde hinauslaufen … Aber im innersten Herzen wußte Carlina, sie würde nichts derart Peinliches tun, sondern die Zeremonie mit dem Anstand über sich ergehen lassen, wie es sich für eine Prinzessin von Asturias schickte.

Bard ist Soldat, dachte sie verzweifelt, vielleicht fällt er vor der Hochzeit in der Schlacht. Und dann fühlte sie sich schuldig, weil es einmal eine Zeit gegeben hatte, als sie ihren Spielgefährten und Pflegebruder liebte. Schnell verbesserte sie sich in Gedanken: Vielleicht findet er eine andere Frau, die er heiraten möchte, vielleicht ändert mein Vater seine Meinung …
Avarra, erbarmende Göttin, Große Mutter, hab Mitleid mit mir, erspare mir diese Heirat irgendwie…
Zornig, verzweifelt blinzelte sie die Tränen weg, die ihr wieder aus den Augen zu stürzen drohten. Ihre Mutter würde ärgerlich werden, wenn sie ihnen allen solche Schande machte.

In einem Raum weiter unten in der Burg wurde Bard di Asturien, Pflegesohn des Königs und sein Bannerträger, von zwei Kameraden und Pflegebrüdern für seine Verlobung angekleidet. Es waren Beltran, des Königs Sohn, und Geremy Hastur, der, ebenso wie Bard, im Haus des Königs erzogen worden war. Geremy war ein jüngerer Sohn des Lords von Carcosa.
Die drei Jünglinge unterschieden sich sehr voneinander.
Bard war groß und schwer gebaut und hatte schon die Höhe eines Mannes. Sein dickes blondes Haar war im Nacken zum Kriegerzopf zusammengedreht. Die kräftigen Arme und schweren Muskeln waren die eines Schwertkämpfers und Reiters. Wie ein Riese ragte er über die anderen beiden empor. Prinz Beltran war ebenfalls groß, wenn auch nicht ganz so groß wie Bard. Aber er war immer noch schmal und fohlenhaft, und auf seinen runden Kinderwangen zeigte sich gerade der erste Bartflaum. Sein Haar war kurz geschnitten und dicht gelockt, und es war ebenso blond wie das Bards.
Geremy Hastur war kleiner als die beiden. Er hatte rotes Haar, ein schmales Gesicht, scharfe graue Augen und die Schnelligkeit eines Falken oder Frettchens. Er trug dunkle, einfache Kleidung, die eher die eines Gelehrten als die eines Kriegers war, und sein Benehmen war ruhig und bescheiden.
Jetzt sah er zu Bard hoch und sagte lachend: »Du wirst dich schon hinsetzen müssen, Pflegebruder. Weder Beltran noch ich können deinen Kopf erreichen, um dir die rote Schnur um den Zopf zu binden. Und ohne sie kannst du nicht zu einer feierlichen Handlung gehen.« »Ausgeschlossen«, stimmte Beltran zu und zog Bard auf einen Stuhl hinunter. »Jetzt binde du die Schnur, Geremy, deine Hände sind geschickter als meine oder Bards. Ich denke an den letzten Herbst, als du die Wunde dieses Leibwächters genäht hast
Bard lachte vor sich hin. Er beugte den Kopf, damit seine jungen Freunde ihn mit der roten Schnur schmücken konnten, die nur einem Krieger, der sich in der Schlacht erprobt und durch Tapferkeit ausgezeichnet hatte, zustand. Er sagte: Ich hatte dich immer für feige gehalten, Geremy, weil du nicht im Feld kämpfst und deine Hände so weich wie die Carlinas sind. Aber als ich das sah, entschied ich, du habest mehr Mut als ich, denn ich hätte es nicht getan. Ein Jammer, daß es keine rote Schnur für dich gegeben hat! «
Geremy antwortete mit seiner gedämpften Stimme: »Dann müßten wir auch jeder Frau im Kindbett und jedem Meldegänger, der ungesehen durch die feindlichen Linien schlüpft, eine rote Schnur geben. Der Mut nimmt viele Formen an. Ich glaube, ich komme ohne den Zopf oder die rote Schnur eines Kriegers aus.«
»Vielleicht werden wir eines Tages«, meinte Beltran, »wenn ich einmal über dies Land regiere - möge die Herrschaft meines Vaters lang währen! -, Mut auch in einer anderen Form belohnen als der, die wir auf dem Schlachtfeld sehen. Was meinst du dazu, Bard? Du wirst dann mein Kämpfer sein, wenn wir alle so lange leben.« Plötzlich sah er stirnrunzelnd zu Geremy hin. »Was ist los mit dir, Mann’?« Geremy Hastur schüttelte seinen roten Kopf. »Ich weiß nicht eine plötzliche Kälte; vielleicht hat ein wildes Tier, wie man in den Bergen sagt, auf den Boden gepißt, wo mein Grab sein wird.« Er wickelte den letzten Rest der roten Schnur um Bards Kriegerzopf, reichte ihm Schwert und Dolch und half ihm, sich zu gürten.
Bard erklärte: »Ich bin Soldat, ich weiß sehr wenig über andere Formen des Mutes.« Mit einem Rucken der Schultern brachte er den bestickten Zeremonienumhang in die richtige Lage. Die leuchtendrote Farbe des Stoffes paßte zu der roten Schnur, die seinen Zopf der ganzen Länge nach umwickelte. » Ich sage euch, es verlangt mehr Mut, sich heute abend diesem ganzen Unsinn zu stellen. Ich ziehe es vor, meinen Feinden mit dem Schwert in der Hand gegenüberzutreten! «
»Was redest du da von Feinden, Pflegebruder?« Beltran sah seinen Freund forschend an. »Du hast doch bestimmt keine Feinde in meines Vaters Halle! Wie viele junge Männer deines Alters haben wohl schon die Kriegerschnur erhalten und sind zum Bannerträger des Königs ernannt worden, noch bevor sie sechzehn Jahre alt wurden? Und als du Dom Ruyven von Serrais und seinen Friedensmann tötetest und bei Snow Glen zweimal das Leben des Königs rettetest … «
Bard schüttelte den Kopf. »Lady Ariel liebt mich nicht. Sie würde diese Heirat mit Carlina unterbinden, wenn sie könnte. Und sie ist zornig, daß ich es war und nicht du, Beltran, der Ruhm auf’ dem Schlachtfeld errang.«
Das wollte Beltran nicht wahrhaben. »Vielleicht liegt das in der Art einer Mutter. Es ist ihr nicht genug, daß ich Prinz und Erbe des Throns meines Vaters hin. Ich soll auch noch Kriegerruhm erringen. Oder vielleicht … « - er versuchte, einen Scherz daraus zu machen, aber Bard spürte, daß auch Bitterkeit dabei war - >~… vielleicht fürchtet sie, dein Mut und dein Ruhm werden meinen Vater veranlassen, von dir besser zu denken als von seinem Sohn.«
Bard entgegnete: »Ja, Beltran, du hast den gleichen Unterricht gehabt wie ich, auch du hättest dir die Ehrenzeichen eines Kriegers gewinnen können. Das sind eben die Wechselfälle des Krieges, nehme ich an, beziehungsweise die des Schlachtfeldes.«
»Nein«, widersprach Beltran, »ich bin kein geborener Krieger, ich habe nicht deine Begabung dafür. Alles, was ich fertigbringe, um mit Ehren aus der Sache hervorzugehen und meine Haut in einem Stück zu halten, ist, daß ich jeden töte, der sie mir ritzen will.«
Bard lachte. »Glaub mir, Beltran, mehr tue ich auch nicht.« Aber Beltran schüttelte düster den Kopf. »Manche Männer sind zum Krieger geboren, andere werden zum Krieger gemacht. Ich bin keins von beiden.«
Geremy versuchte, einen leichteren Ton ins Gespräch zu bringen. »Aber du brauchst kein großer Krieger zu sein, Beltran. Du mußt dich darauf vorbereiten, eines Tages Asturias zu regieren. Dann kannst du so viele Krieger haben, wie du möchtest, und wenn sie dir gut dienen, spielt es gar keine Rolle, ob du weißt, an welchem Ende man ein Schwert halten muß. Du wirst der eine sein, der alle Krieger befehligt, und auch alle Zauberer … Willst du mich, wenn dieser Tag kommt, als deinen Laranzu haben?« Er benutzte das alte Wort für Zauberer, und Beltran grinste und schlug ihm auf die Schulter.
»Ich werde einen Zauberer und einen Krieger als Pflegebrüder haben, und wir drei zusammen werden Asturias mit dem Schwert und mit Zauberei gegen alle seine Feinde schützen. Aber die Götter mögen uns gnädig sein und diese Tage noch weit in der Zukunft liegen. Geremy, schick deinen Pagen noch einmal in den Hof, ob Bards Vater zur Verlobung seines Sohnes gekommen ist.«
Geremy wollte dem Jungen schon winken, der für Botengänge bereitstand, aber Bard schüttelte den Kopf.
»Erspare dem Kind die Mühe.« Sein Kinn schob sich vor. »Er wird nicht kommen, und es ist nicht notwendig, so zu tun, als käme er, Geremy.«

»Er will nicht einmal sehen, wie du mit des Königs eigener Tochter verheiratet wirst?«
»Vielleicht kommt er zur Hochzeit, wenn der König es klarmacht, daß er sein Fernbleiben als Beleidigung auffaßt«, sagte Bard. »Für eine bloße Verlobung kommt er nicht.«
»Aber die Verlobung ist die eigentliche Bindung«, wandte Beltran ein. »Vom Augenblick der Verlobung an bist du Carlinas gesetzmäßiger Gatte, und sie kann keinen anderen nehmen, solange du lebst. Es ist nur, daß meine Mutter meint, sie sei noch zu jung für das Ehebett, so daß dieser Teil der Zeremonie um ein Jahr verschoben wird. Aber Carlina ist deine Frau, und du, Bard, bist mein Bruder.«
Das sagte er mit einem scheuen Lächeln, und Bard war ungeachtet seiner gleichmütigen Fassade gerührt. Er sagte: »Das ist wahrscheinlich das Beste daran.«
Geremy bemerkte: »Wundern tut es mich doch, daß Dom Rafael nicht zu deiner Verlobung kommt. Bestimmt ist ihm die Nachricht zugesandt worden, daß du für Tapferkeit auf dem Schlachtfeld ausgezeichnet wurdest, daß du Bannerträger des Königs bist, daß du Dom Ruyven und seinen Friedensmann mit einem Streich getötet hast
- wenn mein Vater so etwas von mir hörte, wäre er außer sich vor Stolz und Freude! «
»Oh, ich zweifle nicht daran, daß Vater stolz auf mich ist.« Bards Gesicht zeigte eine Bitterkeit, die bei einem so jungen Menschen merkwürdig berührte. »Aber er hört in allen Dingen auf Lady Jerana, seine gesetzmäßige Frau. Und sie hat nie vergessen, daß er es anderswo versuchte, als sie zwölf Jahre nach ihrer Heirat immer noch kinderlos war, und ebenso hat sie meiner Mutter nie verziehen, daß sie ihm einen Sohn gebar. Und sie war zornig darüber, daß mein Vater mich in seinem eigenen Haus großzog und mich im Waffenhandwerk und in höfischen Sitten unterrichten ließ, statt mich irgendwo in Pflege zu geben, wo ich hätte lernen können, wie man hinter dem Pflug geht oder den Boden aufkratzt, um Pilze anzubauen! «
Beltran sagte: »Sie hätte froh sein sollen, daß eine andere ihrem Mann einen Sohn schenkte, wo doch sie es nicht konnte.«
Bard zuckte die Schultern. »Das ist nicht Lady Jeranas Art. Statt dessen umgab sie sich mit Leroni und Zauberinnen - die Hälfte ihrer Hofdamen hat rotes Haar und ist zur Hexe ausgebildet -, damit früher oder später irgendein Zaubermittel ihre Unfruchtbarkeit heilte. Dann gebar sie meinen kleinen Bruder Alaric. Und dann, als mein Vater ihr nichts verweigern konnte, weil sie ihm einen legitimen Sohn und Erben geschenkt hatte, machte sie sich daran, mich loszuwerden. Oh, Jerana konnte mir nicht genug Freundlichkeit erweisen, bevor sie ihren eigenen Sohn bekam. Sie tat, als sei sie mir eine echte Mutter, aber ich konnte hinter jedem falschen Kuß, den sie mir gab, den zurückgehaltenen Schlag sehen. Ich denke, sie fürchtete, ich würde ihrem eigenen Sohn im Licht stehen, denn Alaric war klein und kränklich, und ich war gesund und stark, und sie haßte mich um so mehr, weil Alaric mich liebte. «
»Ich hätte mir vorgestellt«, wandte Beltran wiederum ein, »daß sie glücklich gewesen wäre, einen starken Bruder und Schützer für ihren Sohn zu haben, einen, der sich um ihn kümmern konnte … « »Ich liebe meinen Bruder«, sagte Bard. »Manchmal denke ich, es ist sonst keiner auf der Welt, den es kümmert, ob ich lebe oder sterbe. Seit Alaric alt genug war, mein Gesicht von anderen zu unterscheiden, lächelte er mich an und streckte seine Ärmchen nach mir aus, damit ich ihn Huckepack trug, und bettelte, daß ich ihn auf meinem Pferd reiten ließ. Aber in Lady Jeranas Augen war es nicht schicklich, daß ein Bastard-Halbbruder der erwählte Friedensmann und Spielgefährte für ihr Prinzchen war. Sie wollte Prinzen und die Söhne von Adligen als Gefährten ihres Kindes haben. Und so kam eine Zeit, wo ich ihn nur noch heimlich sehen konnte, und einmal ärgerte ich sie, als Alaric krank war, weil ich mich ohne Erlaubnis in sein kostbares Kinderzimmer schlich. Ein Kind von vier, und sie wurde böse, weil sein Bruder ihn in den Schlaf singen konnte, und wenn sie ihm schmeichelte, schlief er nicht.« Sein Gesicht wurde hart und bitter in Erinnerung daran.
»Und danach ließ sie meinem Vater keinen Frieden, bis er mich wegschickte. Und statt ihr zu befehlen, sie solle still sein, und in seinem eigenen Haus zu herrschen, wie es ein Mann sollte, zog er es vor, Frieden in seinem Bett und an seiner Feuerstelle zu haben, indem er mich aus meinem Heim und von meinem Bruder entfernte! « Beltran und Geremy verstummten angesichts seiner Verbitterung. Schließlich klopfte Geremy ihm auf den Arm und sagte mit halb verlegener Zärtlichkeit: »Nun, du hast zwei Brüder, die heute abend an deiner Seite stehen, Bard, und bald wirst du hier Familie haben.« Bard lächelte freudlos. »Königin Ariel liebt mich nicht mehr, als es meine Stiefmutter tut. Sicher wird sie einen Weg finden, Carlina gegen mich aufzuhetzen, und vielleicht euch beide auch. Ich mache meinem Vater keinen Vorwurf, ausgenommen den, daß er auf das Wort einer Frau hört. Zandru verrenke meinen Fuß, wenn ich je darauf höre, was eine Frau sagt! «
Beltran lachte. »Man sollte nicht glauben, daß du ein Weiberfeind bist, Bard. Das, was die Mägde sagen, klingt ganz nach dem Gegenteil. An dem Tag, wo du mit Carlina zu Bett gebracht wirst, wird es im ganzen Königreich Asturias ein großes Weinen geben.« »Ach, das … !« Bard bemühte sich, auf den lustigen Ton einzugehen. »Ich höre nur an einem bestimmten Ort auf Frauen, und ihr werdet erraten, was das für ein Ort ist … «
»Und doch«, meinte Beltran, »erinnere ich mich, daß du immer auf Carlina hörtest, als wir alle noch Kinder waren. Du bist auf einen Baum geklettert, auf den sich sonst keiner wagte, um ihr Kätzchen herabzuholen, und wenn sie und ich miteinander stritten, lernte ich bald, daß ich nachgeben mußte, oder du würdest ihre Partei ergreifen und mich verhauen.«
»Oh - Carlina.« Bards bitteres Gesicht entspannte sich zum Lächeln. »Carlina ist nicht wie andere Frauen. Ich möchte von ihr nicht im gleichen Atemzug wie von den Huren und Schlampen hier sprechen. Glaubt mir, wenn ich einmal mit ihr verheiratet bin, werde ich keine Muße mehr für den Rest haben. Ich versichere euch, sie wird es nicht nötig haben, sich mit Zaubermitteln zu umgeben, wie es Lady Jerana tat, um sich meine Treue zu erhalten. Von Anfang an, als ich hierherkam, ist sie freundlich zu mir gewesen …
»Wir alle wären freundlich zu dir gewesen«, protestierte Beltran, »aber du wolltest mit niemandem sprechen und drohtest, dich mit uns zu schlagen … «
»Trotzdem, Carlina gab mir das Gefühl, daß es vielleicht doch noch jemanden gebe, den es kümmert, ob ich lebe oder sterbe«, sagte Bard, »und sie habe ich nicht bedroht. Jetzt hat dein Vater beschlossen, sie mir zu geben - sie, die zu gewinnen ich nicht zu hoffen wagte, weil ich als Bastard geboren bin. Lady Jerana mag mich aus meiner Heimat und von meinem Vater und meinem Bruder vertrieben haben, aber jetzt finde ich vielleicht hier eine Heimat.«
»Selbst wenn du Carlina mit in Kauf nehmen mußt?« zog ihn Beltran auf. »Sie ist nicht der Typ, den ich mir aussuchen würde, mager, dunkel, unscheinbar - da könnte ich gleich mit der Vogelscheuche ins Bett gehen, die auf den Feldern die Krähen verscheucht!«
Bard gab heiter zurück: »Von ihrem Bruder kann ich nicht erwarten, daß er ihre Schönheit wahrnimmt, und es ist nicht ihre Schönheit, wegen der ich sie will.«
Geremy Hastur, der das rote Haar und die Laran-Gabe der HasturSippe von Carcosa hatte, das Talent, Gedanken auch ohne die Sternensteine zu lesen, die die Leroni oder Zauberer benutzten, folgte Bards Gedanken, als sie sich für die Verlobungszeremonie nach oben in die Große Halle begaben.
Fürs Bett gibt es viele Frauen auf der Welt. Aber Carlina ist anders. Sie ist die Tochter des Königs; wenn ich sie heirate, bin ich nicht länger ein Bastard und ein Niemand, sondern des Königs Bannerträger und Kämpfer. Ich werde ein Heim, eine Familie und Brüder und eines Tages auch Kinder haben … Der Frau, die mir das verschaffen kann, werde ich mein ganzes Leben lang dankbar sein. Ich schwöre, sie soll nie Grund haben, ihrem Vater vorzuwerfen, daß er sie dem Bastard seines Bruders gegeben hat …
Natürlich, dachte Geremy, das ist ein ausreichender Grund für eine Heirat. Vielleicht begehrt er Carlina nicht um ihrer selbst willen, aber er begehrt sie als Symbol alles dessen, was sie ihm mitbringt. Jeden Tag werden in den Königreichen Ehen aus weniger guten Gründen geschlossen. Und wenn er gut zu Carlina ist, wird sie bestimmt zufrieden sein.
Aber er war unruhig, weil er wußte, daß Carlina sich vor Bard fürchtete. Er war anwesend gewesen, als König Ardrin zu seiner Tochter von der Heirat sprach, und er hatte Carlinas entsetzten Aufschrei gehört und sie weinen gesehen.
Ja, da ließ sich nichts machen. Der König würde tun, was er wollte, und es war auch richtig, daß er seinen Bannerträger, der gleichzeitig sein Neffe - wenn auch ein Bastard - war, mit Ehren und einer Einheirat in seinen Haushalt belohnte. Das würde Bard als Kämpfer an König Ardrins Thron binden. Es mochte für Carlina schlimm sein, aber früher oder später wurde jedes Mädchen verheiratet. Sie hätte einem ältlichen Wüstling oder einem ergrauten alten Krieger oder sogar irgendeinem barbarischen Räuberhauptmann aus einem der kleinen Königtümer jenseits des Kadarin überantwortet werden können, wenn ihr Vater es zweckmäßig gefunden hätte, ein Bündnis mit einem anderen Staat zu besiegeln. Statt dessen gab er sie einem nahen Verwandten, der ihr Spielgefährte und Pflegebruder gewesen war und sie in ihrer Kinderzeit beschützt hatte. Carlina würde sich bald darein fügen.
Aber Geremys scharfe Augen entdeckten die geröteten Augenlider auch unter Puder und Schminke. Er hob den Blick und sah Carlina voller Mitleid an, und er wünschte, sie kenne Bard ebenso gut, wie er es tat. Wenn sie ihren zukünftigen Mann richtig verstände, könnte sie seine Verbitterung verringern, ihm das Gefühl geben, nicht ganz so isoliert, nicht ganz der Ausgestoßene unter den anderen zu sein. Geremy seufzte. Er dachte an sein eigenes Exil.
Denn auch Geremy Hastur war nicht freiwillig an König Ardrins Hof gekommen. Er war der jüngste Sohn König Istvans von Carcosa und als Zeichen freundschaftlicher Beziehungen zwischen dem königlichen Haus von Asturias und dem Haus der Hasturs von Carcosa halb als Geisel, halb als Diplomat zu König Ardrin geschickt worden. Er hätte sich gewünscht, seines Vaters Ratgeber, ein Zauberer, ein Laranzu zu sein. Sein ganzes Leben lang war ihm klar gewesen, daß er nicht das Zeug zum Soldaten hatte. Aber sein Vater hatte in ihm einen Sohn zuviel gesehen und ihn als Geisel weggeschickt, wie er eine Tochter zum Heiraten weggeschickt hätte. Wenigstens, dachte Geremy, brauchte Carlina dieser Ehe wegen ihr Zuhause nicht zu verlassen!
Der Hof erhob sich, da König Ardrin eintrat. Bard, der neben Beltran stand, lauschte auf die Ankündigungen der Herolde und ertappte sich dabei, daß er immer noch in der Menge Umschau hielt, ob sein Vater nicht doch im letzten Moment gekommen sei und ihn habe überraschen wollen. Zornig richtete er den Blick geradeaus. Was kümmerte es ihn? König Ardrin hielt mehr von ihm, als es sein eigener Vater tat. Er hatte ihn in der Schlacht ausgezeichnet, hatte ihm reiche Ländereien und die rote Schnur des Kriegers gegeben und die Hand seiner jüngsten Tochter. Warum sollte er sich da noch Gedanken um seinen Vater machen, der zu Hause hockte und auf die giftigen Einflüsterungen hörte, die diese schmutzige Hexe Jerana ihm ins Ohr goß!
Aber ich wünschte, mein Bruder wäre hier. Ich wünschte, Alaric erführe, daß ich des Königs Kämpfer und sein Schwiegersohn bin … jetzt ist er sieben …
Als der Augenblick gekommen war, sorgten Beltran und Geremy dafür, daß er vortrat. Carlina stand zur rechten Hand von ihres Vaters Hochsitz. Bards Ohren klangen, und er hörte des Königs Worte kaum. »Bard mac Fianna, genannt di Asturien, den ich zu meinem Bannerträger gemacht habe«, sprach Ardrin von Asturias, »wir haben dich heute abend vor uns gerufen, um dich mit Lady Carlina, meiner jüngsten Tochter, zu verloben. Sprich, Bard, ist es dein Wille, in meinen Haushalt einzutreten?«
Bards Stimme klang vollkommen sicher. Darüber wunderte er sich, denn innerlich bebte er. Wahrscheinlich war das, als reite man in die Schlacht. Dann war auch etwas da, das einen fest machte, wenn man fest sein mußte. »Mein König und Herr, es ist mein Wille.« Ardrin ergriff mit seiner einen Hand die Bards und mit der anderen die Carlinas. »Dann fordere ich euch auf, vor allen hier Anwesenden euch die Hände zu reichen und euer Gelübde auszutauschen.«
Bard fühlte Carlinas Hand in seiner, sehr weich, die Finger so fein, daß sie knochenlos schienen. Die Hand war eiskalt, und Carlina sah ihn nicht an.
»Carlina«, fragte Ardrin, »stimmst du zu, diesen Mann zu deinem Gatten zu nehmen?«
Sie flüsterte etwas, das Bard nicht verstehen konnte. Er nahm an, es war die vorgeschriebene Formel der Zustimmung. Wenigstens hatte sie sich nicht geweigert.
Er beugte sich vor, wie das Ritual es verlangte, und küßte ihre zitternden Lippen. Sie bebte. Höllenfeuer! Hatte das Mädchen Angst vor ihm? Er roch den Blumenduft ihres Haares und den irgendeines kosmetischen Mittels auf ihrem Gesicht. Als er sich zurückzog, kratzte eine Ecke ihres steifen gestickten Kragens seine Wange. Nun, dachte er, er hatte genug Frauen gehabt. Bald würde sie ihre Angst in seinen Armen verlieren, auch wenn sie im Augenblick nur eine aufgeputzte Puppe war. Bei dem Gedanken an Carlina in seinem Bett wurde ihm schwindelig. Er verlor beinahe das Bewußtsein. Carlina. Für immer sein, seine Prinzessin, seine Frau. Und dann konnte ihn nie wieder jemand einen Bastard oder einen Ausgestoßenen nennen. Carlina, sein Heim, seine Geliebte … sein Eigentum. Die Kehle war ihm eng, als er die rituellen Worte flüsterte.
»Vor unserer versammelten Sippe gelobe ich, dich zu ehelichen, Carlina, und dich für immer in Ehren zu halten.«
Ihre Stimme war kaum hörbar.
»Vor … versammelter Sippe … gelobe zu ehelichen … « Aber so sehr er seine Ohren anstrengte, er hörte nicht, daß sie seinen Namen aussprach.
Diese verdammte Königin Ariel und ihre idiotischen Pläne, ihn loszuwerden! Sie hätten noch heute abend verheiratet und zu Bett gebracht werden sollen, damit Carlina ihre Furcht vor ihm schnell verlor! Bard zitterte, als er daran dachte. Nie hatte er eine Frau so begehrt. Er drückte ihre Hand, um ihr Mut einzuflößen, doch sie zuckte nur unwillkürlich zusammen vor Schmerz.
König Ardrin erklärte: »Möget ihr für immer eins sein«, und Bard ließ widerstrebend Carlinas Hand los. Zusammen tranken sie aus einem Becher Wein, der ihnen an die Lippen gehalten wurde. Es war vollbracht; Carlina war seine Frau. Jetzt war es für König Ardrin zu spät, seine Meinung zu ändern. Bard wurde sich bewußt, daß er bis zu diesem Augenblick, selbst als sie schon Seite an Seite vor dem Thron standen, gefürchtet hatte, daß irgend etwas dazwischenkommen könnte, daß die Bosheit seiner Stiefmutter oder Königin Ariels ihn von Carlina trennen würde, die für ihn ein Heim, einen Platz im Leben, Ehre bedeutete … Verdammt seien alle Frauen! Das heißt, alle außer Carlina!
Beltran umarmte ihn als Verwandten und sagte: »Jetzt bist du in Wahrheit mein Bruder!«, und Bard spürte, daß Beltran immer ein wenig eifersüchtig auf seine Freundschaft mit Geremy gewesen war. Jetzt war das Band zwischen ihm und Beltran so stark, daß Geremy nichts Gleichwertiges dagegensetzen konnte. Beltran und Geremy hatten Brüderschaft geschworen und ihre Dolche ausgetauscht, bevor sie den Kinderschuhen entwachsen waren. Kein einziger, dachte Bard mit einem kurzen Aufwallen von Bitterkeit, hatte ihn je gebeten, den Eid der Bredin zu schwören, ihn, den Bastard und Ausgestoßenen … Nun, das war vorbei, ein für allemal. Jetzt war er des Königs Schwiegersohn, Carlinas versprochener Gatte und Prinz Beltrans Schwager, wenn auch nicht sein geschworener Bruder. Ihm kam es vor, als sei er gewachsen, und als er einen Blick auf sich in einem der langen Spiegel erhaschte, die die Große Halle schmückten, hatte er den Eindruck, daß er in diesem Augenblick gut aussah und daß sein Spiegelbild ihm einen größeren und irgendwie besseren Mann als früher zeigte.
Später, als die Musikanten zum Tanz aufspielten, führte er Carlina. Der Tanz trennte die Paare und brachte sie in verwickelten Figuren wieder zusammen. Während sie sich fanden und verloren, ihre Hände sich faßten und lösten, gewann Bard den Eindruck, daß Carlina seine Hand mit weniger Widerstreben berührte. Geremy tanzte mit einer der jüngsten Damen der Königin, einem rothaarigen Mädchen namens Ginevra - ihren Zunamen kannte Bard nicht. Sie hatte mit Carlina gespielt, als sie kleine Mädchen gewesen waren, und war dann Hofdame geworden. Einen Augenblick lang überlegte Bard, ob Ginevra Geremys Bett teilte. Wahrscheinlich, denn welcher Mann würde andernfalls einer Frau soviel Zeit und Mühe widmen? Oder vielleicht versuchte Geremy immer noch, sie zu überreden. Wenn dem so war, dann war Geremy ein Einfaltspinsel. Bard selbst gab nichts um hochgeborene Jungfräulein. Sie neigten dazu, zuviel an Schmeicheleien und Beteuerungen zu verlangen. Ebensowenig verlangte es ihn nach den Hübschesten. Er hatte festgestellt, daß sie mehr versprachen und weniger hielten. Ginevra war fast unscheinbar genug, um männlicher Aufmerksamkeit mit der gebührenden Dankbarkeit zu begegnen. Aber was sollte das, daß er über solche Dinge nachdachte, wenn er Carlina hatte?
Doch im Grunde, sagte er sich verdrossen, als er sie nach dem lebhaften Tanz zu einem Glas Wein an das Buffet führte, hatte er Carlina noch nicht. Ein Jahr mußte er noch warten. Verdammt, warum hatte ihre Mutter das getan?
Carlina schüttelte den Kopf, als er ihr Glas nachfüllen lassen wollte. »Nein, danke, ich möchte wirklich nicht, Bard - und ich glaube, du hast genug gehabt«, sagte sie vernünftig.
Er platzte heraus: »Ich hätte lieber einen Kuß von dir als den süßesten Wein!«
Carlina blickte erstaunt zu ihm auf. Dann verzog sich ihr Mund zu einem kleinen Lächeln. »Ich habe noch nie gehört, daß du schöne Worte machst, Bard! Kann es sein, daß du bei unserm Cousin Geremy Unterricht in der Galanterie genommen hast?«
Bard antwortete verlegen: »Ich weiß überhaupt keine schönen Worte, es tut mir leid, Carlina. Möchtest du, daß ich die Kunst lerne, dir zu schmeicheln? Für so etwas habe ich nie Zeit gehabt. « Und der unausgesprochene bittere Zusatz war für Carlina deutlich wahrnehmbar: Geremy hat nichts anderes zu tun, als zu Hause zu sitzen und zu lernen, wie man den Frauen Angenehmes sagt. Plötzlich fiel ihr ein, wie Bard gewesen war, als er vor drei Jahren an den Hof kam. Er war ihr als ein großer, verdrossener Bauernlümmel vorgekommen. Er weigerte sich, von den Manieren, die er durchaus hatte, Gebrauch zu machen, er weigerte sich, an ihren Spielen und ihrem Zeitvertreib teilzunehmen. Schon damals war er größer als die anderen Jungen, größer als die meisten Männer gewesen und kräftiger gebaut. Beim Unterricht hatte er kaum für etwas anderes Interesse als das Waffenwerk, und seine Freizeit hatte er damit verbracht, den Geschichten der Leibwächter über Feldzüge und Kriege zuzuhören. Keiner hatte ihn gern gemocht, aber Geremy hatte gesagt, er sei einsam, und hatte sich viel Mühe gegeben, ihn dazu zu bringen, sich ihnen anzuschließen.
Jetzt tat ihr der Junge, dem sie versprochen worden war, beinahe leid. Es war nicht ihr Wunsch, ihn zu heiraten, aber auch er war nicht nach seinen Wünschen gefragt worden, und von keinem Mann war zu erwarten, daß er eine Heirat mit der Tochter des Königs ausschlug. Er hatte soviel Zeit seines Lebens im Krieg und mit den Vorbereitungen von Kriegen verbracht. Es war nicht seine Schuld, wenn er kein galanter Höfling war wie Geremy. Sie hätte Geremy lieber geheiratet obwohl sie, wie sie ihrer Amme gesagt hatte, am liebsten überhaupt nicht heiraten wollte. Nicht daß sie große Zuneigung zu Geremy empfunden hätte. Es war einfach so, daß er sanfter war und sie das Gefühl hatte, ihn besser zu verstehen. Aber Bard sah so unglücklich aus.
Carlina leerte die letzten Tropfen des ihr aufgedrängten Glases. »Sollen wir uns eine Weile hinsetzen und uns unterhalten? Oder möchtest du wieder tanzen’?«
Ach möchte mich lieber unterhalten«, antwortete er. Ach bin nicht sehr gut im Tanzen oder einer anderen dieser höfischen Künste.« Wieder lächelte sie ihn an und zeigte ihre Grübchen. »Wenn du leicht genug auf den Füßen bist, um ein Schwertkämpfer zu sein und Beltran erzählt mir, daß du nicht deinesgleichen hast -, dann solltest du auch ein guter Tänzer sein. Und weißt du nicht mehr, daß wir als Kinder zusammen Tanzunterricht hatten? Du willst mir doch nicht erzählen, daß du das Tanzen seit damals, als du zwölf Jahre alt warst, vergessen hast! «
»Um dir die Wahrheit zu sagen, Carlina«, meint Bard zögernd, »ich war schon so jung voll ausgewachsen, als ihr anderen alle noch klein wart. Und so groß mein Körper war, ich hatte immer das Gefühl, meine Füße seien noch größer, und ich kam mir vor wie ein ungeschlachter Tölpel. Als ich dann in den Krieg und in den Kampf zog, waren nur meine Größe und mein Gewicht von Vorteil … aber ich finde es schwierig, mich als Höfling zu sehen.«
Etwas in diesem Geständnis rührte sie so, daß sie es kaum ertragen konnte. Sie vermutete, er hatte so etwas noch nie zu irgendwem gesagt oder auch nur gedacht. Sie versicherte ihm: »Du bist nicht unbeholfen, Bard; ich finde, du bist ein guter Tänzer. Aber wenn es dir Unbehagen schafft, brauchst du nicht wieder zu tanzen, wenigstens nicht mit mir. Wir werden uns setzen und eine Weile plaudern.« Sie drehte sich lächelnd um. »Du wirst lernen müssen, mir deinen Arm zu reichen, wenn wir zusammen einen Raum durchqueren. Mit Hilfe der Göttin mag es mir eines Tages gelingen, dich zu zivilisieren!«
»Ihr habt eine beträchtliche Aufgabe vor Euch, Damisela«, sagte Bard und ließ es zu, daß sie ihre Fingerspitzen leicht auf seinen Arm legte. Sie fanden Plätze an der Wand in der Nähe der älteren Leute, die beim Karten- und Würfelspiel saßen. Dort waren sie den Tänzern aus dem Weg. Einer der zum Haushalt des Königs gehörenden Männer kam zu ihnen. Offensichtlich hatte er vor, um einen Tanz mit Carlina zu bitten, aber Bard musterte ihn finster, und der Mann entdeckte, daß er anderswo etwas Dringendes zu erledigen habe.
Bard hob die Hand, die er für so unbeholfen hielt, und berührte Carlinas Schläfe. »Als wir vor deinem Vater standen, meinte ich, du hättest geweint. Carlie, hat dir jemand etwas getan?«
Sie schüttelte den Kopf und sagte: »Nein.« Aber Bard war ein wenig Telepath. Als die Haushalts-Leronis ihn mit zwölf getestet hatten, war ihm zwar gesagt worden, viel Laran habe er nicht, aber er fühlte doch, daß Carlina den wahren Grund für ihre Tränen nicht aussprechen würde. Er erriet ihn.
»Du bist nicht glücklich über diese Heirat.« Wie er es so gut konnte, blickte er finster, und Carlina zuckte zusammen wie in dem Augenblick, als er ihre Hand gedrückt hatte.
Sie senkte den Kopf. Endlich sagte sie: »Ich möchte überhaupt nicht heiraten, und ich habe geweint, weil niemand ein Mädchen fragt, ob sie verheiratet werden möchte.«
Bard runzelte die Stirn. Er konnte kaum glauben, was er da hörte. »Was sollte eine Frau tun, im Namen Avarras, wenn sie nicht verheiratet würde? Du möchtest doch bestimmt nicht dein ganzes Leben lang zu Hause sitzen, bis du alt bist?«
»Ich hätte gern die Wahl, das zu tun, wenn ich es vorzöge«, antwortete Carlina. »Oder vielleicht den, der mein Mann werden soll, selbst zu bestimmen. Aber lieber möchte ich gar nicht heiraten. Ich möchte als Leronis in einen Turm gehen und meine Jungfräulichkeit für das Gesicht bewahren, wie es einige der Mädchen meiner Mutter getan haben, oder auch unter den Priesterinnen Avarras auf der heiligen Insel leben und nur der Göttin gehören. Kommt dir das seltsam vor?« »Ja«, erklärte Bard. »Ich habe immer gehört, daß der größte Wunsch jeder Frau sei, so bald wie möglich zu heiraten.«
»So ist es auch bei vielen Frauen. Aber warum soll die eine Frau von der anderen nicht ebenso unterschiedlich sein wie du von Geremy? Du hast dich entschieden, Soldat zu werden, und er sich, Laranzu zu werden. Würdest du von jedem Mann verlangen, daß er Soldat werden solle?«
»Bei Männern ist das anders«, behauptete Bard. »Frauen verstehen diese Dinge nicht, Carlie. Du brauchst ein Heim und Kinder und einen, der dich liebt.« Er nahm ihre Hand und führte sie an seine Lippen.
In Carlina stieg plötzlich Zorn auf, in den sich etwas wie Mitleid mischte.
Ihr war danach zumute, ihm eine heftige Antwort zu geben, aber er sah sie so sanft und so hoffnungsvoll an, daß sie sich untersagte, das auszusprechen, was sie dachte.
Ihm war kein Vorwurf zu machen. Wenn sie jemandem einen Vorwurf machen konnte, dann war es ihr Vater, der sie Bard gegeben hatte, als sei sie die rote Schnur, die er als Belohnung für seine Tapferkeit in der Schlacht um seinen Kriegerzopf trug. Warum sollte sie ihn für die Sitten des Landes verantwortlich machen, nach denen eine Frau nur ein Stück Vieh und sie selbst nur eine Schachfigur für den politischen Ehrgeiz ihres Vaters war?
Diesen Gedanken konnte er teilweise folgen. Mit gefurchter Stirn saß er da und hielt ihre Hand. »Möchtest du mich überhaupt nicht heiraten, Carlie?«
»0 Bard … « - und er hörte den Schmerz aus ihrer Stimme heraus »… ich habe nichts gegen dich. Wirklich, mein Pflegebruder und versprochener Gatte, wenn ich nun einmal heiraten muß, ist da kein anderer Mann, den ich lieber hätte. Vielleicht kommen wir eines Tages dahin - wenn ich älter bin, wenn wir beide älter sind und wenn die Götter sich uns freundlich erweisen -, daß wir uns lieben, wie es sich für ein verheiratetes Paar schickt.« Sie faßte seine große Hand mit ihren beiden kleinen. »Mögen die Göttergeben, daß es wahr wird.« Und dann kam wieder einer, um Carlina zum Tanz zu holen, und wieder blickte Bard finster. Aber sie sagte: »Bard, ich muß. Zu den Pflichten einer Braut gehört es, mit allen zu tanzen, die sie auffordern, das weißt du selbst. Und jedes Mädchen hier, das noch in diesem Jahr heiraten möchte, hält es für glückbringend, mit dem Bräutigam zu tanzen. Später können wir miteinander reden, mein Lieber.« Bard gab widerstrebend nach, und an seine Pflichten erinnert, ging er in der Halle umher und tanzte mit dreien oder vieren von Königin Ariels Frauen, wie man es von einem Mann erwartete, der zum Haushalt des Königs gehörte und sein Bannerträger war. Aber wieder und wieder suchten seine Augen Carlina mit ihrem perlenbestickten blauen Kleid und ihrem dunklen Haar.
Carlina. Carlina gehörte ihm, und er wurde sich bewußt, daß es ihm heftig zuwider war, wenn ein anderer Mann sie berührte. Wie konnten sie es wagen? Was hatte sie vor, daß sie flirtete und den Blick zu jedem Mann hob, der kam, um mit ihr zu tanzen, als sei sie eine schamlose Troßdirne? Warum ermutigte sie sie? Warum konnte sie nicht schüchtern und bescheiden sein und es abschlagen, mit einem anderen als ihrem versprochenen Gatten zu tanzen? Er wußte, das war unvernünftig, aber es kam ihm so vor, als lege sie es darauf an, die Anerkennung und das Lächeln eines jeden Mannes zu gewinnen, der sie berührte. Er hielt seinen Zorn zurück, als sie mit Beltran und mit ihrem Vater tanzte und mit dem ergrauten Veteran, dessen Enkelin ihre Pflegeschwester gewesen war. Aber jedes Mal, wenn ein junger Soldat oder ein Leibwächter aus dem Haushalt des Königs sie aufforderte, bildete er sich ein, Königin Ariel blicke triumphierend zu ihm hinüber.
Was sie da erzählt hatte, sie wolle überhaupt nicht heiraten- das war natürlich mädchenhafter Unsinn, und er glaubte kein Wort davon! Zweifellos schwärmte sie für irgendeinen Mann, einen, der ihrer nicht wirklich würdig war, dem ihre Eltern sie niemals geben würden. Und jetzt, wo sie verlobt war und alt genug, um mit Männern zu tanzen, mit denen sie nicht verwandt war, konnte sie seine Gesellschaft suchen. Wenn er Carlina mit einem anderen Mann antraf, würde er ihn Glied für Glied zerreißen! Und Carlina? Würde er ihr etwas tun können? Nein, er würde einfach von ihr verlangen, daß sie ihm das gab, was sie dem anderen gegeben hatte, und sie so ganz und gar zu der Seinen machen, daß sie nie mehr an einen anderen Mann auch nur dachte. Eifersüchtig durchforschte er die Reihen der Leibwächter, aber Carlina schien keinem von ihnen mehr Aufmerksamkeit zu zollen als den übrigen. Höflich folgte sie jedem, der sie aufforderte, gewährte aber niemandem einen zweiten Tanz.
Doch nein! Sie tanzte wieder mit Geremy Hastur, etwas näher an ihm, als sie allen anderen gekommen war. Sie lachte mit ihm, und sein Kopf beugte sich über ihr dunkles Haar. Vertrauten sie sich Geheimnisse an? Erzählte sie Geremy, daß sie Bard nicht heiraten wolle? War es vielleicht Geremy, den sie sich zum Manne wünschte? Schließlich gehörte Geremy zur Hastur-Sippe, die von den legendären Söhnen und Töchtern Cassildas, Robardins Tochter, abstammte … von den Göttern selbst, das behaupteten sie jedenfalls. Verdammt seien alle Hasturs! Die di Asturiens waren ebenfalls eine alte und edle Familie. Warum sollte sie Geremy vorziehen? Wut und Eifersucht tobten in ihm. Er ging über die Tanzfläche auf sie zu. Soweit vergaß er seine guten Manieren nicht, daß er ihren Tanz unterbrach. Aber als die Musik aussetzte und sie lachend einen Schritt auseinandertraten, näherte er sich ihnen so entschlossen, daß er ein anderes Paar zur Seite schob, ohne sich zu entschuldigen.
»Es ist an der Zeit, daß Ihr wieder mit Eurem versprochenen Gatten tanzt, meine Dame«, sagte er.
Geremy lachte leise. »Wie ungeduldig du bist, Bard, wo ihr doch euer ganzes Leben zusammen verbringen werdet.« Freundschaftlich legte er eine Hand auf Bards Ellenbogen. »Wenigstens beweist dir das, Carlie, daß dein versprochener Gatte nach dir brennt!«
Bard spürte den Anflug von Bosheit in dem Scherz und sagte zornig: »Meine versprochene Gattin … « - er betonte die Worte mit Nachdruck -»… ist für dich Lady Carlina und nicht Carlie!« Geremy sah ihn an, unsicher, ob das nicht doch nur ein Spaß sein sollte. »Es ist Sache meiner Pflegeschwester, mir zu sagen, daß ich den Namen nicht mehr benutzen darf, mit dem ich sie schon anredete, als ihr Haar noch zu kurz war, um eingeflochten zu werden, erklärte er heiter. »Was ist über dich gekommen, Bard’?«
»Lady Carlina hat sich mir angelobt«, erwiderte Bard steif. »Du wirst dich ihr gegenüber betragen, wie es sich bei einer verheirateten Frau schickt.«
Carlina in ihrer Bestürzung öffnete den Mund und schloß ihn wieder. Dann sagte sie mit bemühter Geduld: »Bard, wenn wir wirklich Mann und Frau und nicht nur Verlobte sind, werde ich dir vielleicht erlauben, mir vorzuschreiben, wie ich mich gegen meine Pflegebrüder zu benehmen habe, vielleicht aber auch nicht. Im Augenblick werde ich in dieser Beziehung tun, was mir paßt. Entschuldige dich bei Geremy oder laß dich heute abend nicht mehr vor mir blicken!« Bard starrte sie zornig und sprachlos an. Verlangte sie von ihm, daß er vor diesem Sandalenträger, diesem Laranzu-Zauberer kroch? Wollte sie ihren versprochenen Gatten Geremy Hasturs wegen öffentlich beleidigen? War es also doch Geremy, für den sie sich interessierte? Auch Geremy konnte kaum glauben, was er hörte. Aber König Ardrin sah in ihre Richtung, und - das spürte er - es gab heute abend in diesem Haushalt schon genug Schwierigkeiten, so daß ein Streit nicht ratsam war. Außerdem wollte er nicht mit seinem Freund und Pflegebruder streiten. Bard war hier allein, kein Vater stand an seiner Seite, und zweifellos war er gereizt, weil seine nächste Verwandschaft sich nicht die Mühe gemacht hatte, einen Halbtagesritt zu unternehmen, um ihn als Kämpfer des Königs und als Verlobten der Tochter des Königs zu sehen. So entschloß Geremy sich, leicht darüber hinwegzugehen.
»Ich brauche keine Entschuldigung von Bard, Pflegeschwester«, sagte er. »Statt dessen will ich ihn gern um Verzeihung bitten, wenn ich ihn beleidigt habe. Und da wartet Ginevra schon auf mich. Bard, mein guter Freund, sei der erste, der uns Glück wünscht. Ich habe sie um die Erlaubnis gebeten, meinem Vater zu schreiben, damit er unsere Verlobung in die Wege leitet, und sie hat es mir nicht abgeschlagen. Nur meinte sie, ich müsse ihren Vater um Erlaubnis bitten. Wenn nun alle älteren Herrschaften zustimmen, stehe ich vielleicht in einem Jahr da, wo du heute abend standest. Oder vielleicht sogar, wenn die Götter freundlich sind, in den Bergen meines eigenen Landes … « Carlina berührte Geremys Arm. »Hast du Heimweh, Geremy?« fragte sie freundlich.
»Heimweh? Ich glaube nicht. Ich wurde aus Carcosa weggeschickt, bevor es wirklich meine Heimat werden konnte«, antwortete er. »Aber manchmal bei Sonnenuntergang sehnt sich mein Herz krank nach dem See und nach den Türmen von Carcosa, die sich vor dem Abendhimmel erheben, und nach den Fröschen, die dort quaken, nachdem die Sonne versunken ist. Dies Geräusch war mein erstes Wiegenlied.«
Carlina sagte leise: »Ich bin noch nie weit von zu Hause fort gewesen, aber es muß eine Traurigkeit über allen Traurigkeiten sein. Ich bin eine Frau und wuchs mit dem Wissen auf, daß ich meine Heimat, was auch geschehen möge, eines Tages würde verlassen müssen … « »Und jetzt « - Geremy berührte ihre Hand - »… sind die Götter gnädig gewesen, denn dein Vater hat dich einem Mitglied seines Haushaltes gegeben, und du brauchst deine Heimat niemals zu verlassen.«
Sie blickte, Bard vergessend, lächelnd zu ihm auf. »Wenn eins mich mit dieser Heirat versöhnen kann, dann ist es das.«
Für Bard waren diese Worte wie Salz in einer offenen Wunde. Er fuhr scharf dazwischen: »Nun geh schon zu Ginevra«, faßte Carlina unsanft bei der Hand und zog sie schnell weg. Als sie außer Hörweite waren, riß er sie grob zu sich herum.
»Dann hast du also Geremy erzählt, daß du mich nicht heiraten möchtest? Hast du das jedem Mann vorgeplappert, mit dem du getanzt hast, und mich hinter meinem Rücken lächerlich gemacht?« »Nein - warum sollte ich?« Sie sah ihn erstaunt an. »Ich habe Geremy mein Herz ausgeschüttet, weil er mein Pflegebruder und Beltrans geschworener Bruder ist - und ich stehe zu ihm wie zu einem Blutsverwandten, geboren von meinem Vater und meiner Mutter!« »Und bist du sicher, daß die Sache für ihn ebenso unschuldig ist? Er kommt aus dem Bergland«, höhnte Bard, »wo ein Bruder bei seiner Schwester liegen darf. Und die Art, wie er dich berührte … « »Bard, das ist zu lächerlich für Worte«, unterbrach Carlina ihn ungeduldig. »Selbst wenn wir schon verheiratet und zu Bett gebracht wären, schickte sich solche Eifersucht nicht! Willst du, wenn wir verheiratet sind, jeden Mann fordern, mit dem ich ein höfliches Wort wechsele? Muß ich mich fürchten, freundlich zu meinen eigenen Pflegebrüdern zu sein? Wirst du als nächstes eifersüchtig auf Beltran oder auf Dom Cormel sein?« Dieser war der Veteran, der ihrem Vater und ihrem Großvater fünfzig Jahre lang gedient hatte.
Vor ihrem zornigen Blick senkte Bard die Augen. »Ich kann mir nicht helfen, Carlina. Ich bin verrückt vor Angst, dich zu verlieren. Es ist grausam von deinem Vater, dich mir nicht gleich zu geben, wenn die Hochzeit doch einmal beschlossene Sache ist. Immerzu muß ich daran denken, ob er mich nicht vielleicht zum Narren hält und dich später, noch ehe wir zu Bett gebracht worden sind, einem gibt, der ihm besser gefällt oder der einen höheren Brautpreis zahlen kann oder dessen Stellung ihm einen mächtigen Verbündeten schafft. Warum sollte er dich dem Bastardsohn seines Bruders geben?«
Der Kummer in seinen Augen erweckte Carlinas Mitleid. War er hinter der Arroganz seiner Worte so unsicher? Sie ergriff seine Hand. »Nein, Bard, das darfst du nicht denken. Mein Vater liebt dich, mein versprochener Gatte. Er hat dich über meinen eigenen Bruder Beltran hinweg befördert, er hat dich zu seinem Bannerträger gemacht und dir die rote Schnur verliehen. Wie kannst du glauben, er werde falsches Spiel mit dir treiben? Aber er hätte Grund, zornig auf dich zu werden, wenn du auf unserm Fest einen dummen Streit mit Geremy Hastur anfingst! Jetzt versprich mir, daß du nicht wieder so töricht und so eifersüchtig sein wirst, Bard, oder ich werde auch mit dir streiten! « »Wenn wir richtig verheiratet wären«, sagte er, »hätte ich keinen Grund zur Eifersucht, weil ich wüßte, daß du unwiderruflich mein wärst. Carlina«, flehte er plötzlich, nahm ihre beiden Hände und bedeckte sie mit Küssen, »dem Gesetz nach sind wir Mann und Frau, das Gesetz erlaubt uns, unsere Ehe zu vollziehen, wann wir es wünschen. Laß mich dich heute nacht haben, dann werde ich wissen, daß du mein bist, und mir deiner sicher sein! «
Sie konnte sich nicht beherrschen - sie wich in tödlichem Schreck vor ihm zurück. Jetzt hatte sie sich einen Aufschub erkämpft, und da stellte er ihr diese Forderung als Preis dafür, daß er mit seinen Eifersuchtsszenen aufhörte! Ihr war klar, daß sie ihn mit ihrem Zurückweichen verletzte, aber sie senkte die Augen und sagte: »Nein, Bard. Ich will keine Früchte vom blühenden Baum pflücken, und das solltest du auch nicht versuchen. Alles kommt zu seiner richtigen Zeit.« Sie kam sich albern und prüde vor, als sie das alte Sprichwort zitierte. »Es schickt sich nicht, daß du das bei unserer Verlobung von mir verlangst!«
»Du hast gesagt, du hofftest, dahin zu kommen, daß du mich liebst … «
»Zur richtigen Zeit«, antwortete sie und merkte, daß ihre Stimme schrill klang.
Er gab zurück: »Jetzt ist die richtige Zeit dafür, das weißt du selbst! Es sei denn, du weißt etwas, das ich nicht weiß, daß dein Vater plant, falsches Spiel mit mir zu treiben und dich einem anderen zugeben, während er mich in der Zwischenzeit an sich bindet!«
Carlina schluckte. Sie spürte, daß er das wirklich glaubte, und er tat ihr aufrichtig leid.
Er sah ihr Zögern, spürte ihr Mitleid und legte seinen Arm um sie. Aber sie zog sich so verzweifelt zurück, daß er sie losließ. Voll Bitterkeit sagte er:
»Es ist also wahr. Du liebst mich nicht.«
»Bard«, flehte sie, »laß mir Zeit. Ich verspreche dir, wenn die Zeit gekommen ist, werde ich nicht vor dir zurückweichen. Aber man hat mir davon nichts gesagt. Es hieß, ich solle noch ein Jahr haben … vielleicht, wenn ich älter geworden bin … «
»Brauchst du ein Jahr, um dich mit dem schrecklichen Schicksal abzufinden, daß du mein Bett teilen sollst?« fragte er mit solcher Bitterkeit, daß Carlina wünschte, sie wäre weniger unwillig. »Vielleicht werde ich«, stotterte sie, »nicht mehr so empfinden, wenn ich älter bin … meine Mutter sagt, ich sei zu jung für die Heirat … aber später … «
»Das ist Unsinn«, erklärte er verächtlich. »Jüngere Mädchen als du werden jeden Tag verheiratet und auch zu Bett gebracht. Das ist eine Kriegslist, um mich mit der Wartezeit zu versöhnen. Und dann werde ich dich ganz verlieren! Aber wenn wir zusammengelegen haben, mein Herz, dann kann kein lebender Mensch uns mehr trennen, dein Vater nicht und auch deine Mutter nicht … Ich gebe dir mein Wort, daß du nicht zu jung bist, Carlina! Laß es mich dir beweisen! « Er zog sie in seine Arme und küßte sie heftig auf den Mund. Sie wehrte sich so verzweifelt, daß er sie freiließ.
Bitter sagte sie: »Und wenn ich mich weigere, wirst du dann einen Zwang auf mich legen, wie du es mit Lisarda getan hast, die auch zu jung für diese Dinge war? Willst du mich behexen, damit ich dir nicht verweigern kann, was du von mir willst, daß ich dir zu Willen sein muß, auch wenn es nicht mein eigener Wunsch ist?«
Bard senkte den Kopf, die Lippen zu einer dünnen, zornigen Linie fest zusammengepreßt. »Also das ist es. Also hat dir die kleine Hure etwas vorgeheult und dir häßliche Lügen gegen mich in den Kopf gesetzt?« »Sie hat nicht gelogen, Bard. Ich habe ihre Gedanken gelesen.« »Was sie dir auch sagen mag, sie war nicht unwillig«, behauptete Bard, und Carlina brauste, nun wirklich böse, auf: »Das ist ja das Schlimmste daran! Du hast ihren Willen beeinflußt, so daß sie dir nicht widerstehen wollte!«
»Du würdest ebenso Vergnügen daran finden wie sie«, fuhr Bard sie heftig an, und sie gab gleicherweise wütend zurück: »Und damit wärst du zufrieden - daß ich nicht als Carlina zu dir komme, sondern durch einen auf mein wirkliches Selbst ausgeübten Zwang’? Zweifellos würde ich dir widerstandslos zu Willen sein, wenn du mich mit diesem Zauber belegtest - ebenso wie Lisarda! Und ebenso, wie sie es tut, würde ich dich von da an bis ans Ende meines Lebens mit jedem Atemzug hassen!«
»Das glaube ich nicht«, sagte Bard. »Ich bin der Meinung, daß du, sobald du deine törichten Ängste erst einmal losgeworden bist, mich lieben und zu der Einsicht gelangen wirst, daß ich das getan habe, was das beste für uns beide war! «
»Nein.« Carlina zitterte. »Nein, Bard … ich bitte dich … Bard, ich bin deine Frau.« Sie spürte einen Anflug von Schuldbewußtsein, weil sie versuchte, ihn auf diese Weise zu manipulieren, aber sie war verzweifelt und außer sich vor Angst. »Würdest du mich benutzen, als sei ich nichts Besseres als eins meiner Mädchen?«
Vor Schreck ließ er sie los. »Alle Götter mögen verhüten, daß ich jemals vergesse, dir die dir gebührende Ehre zu erweisen, Carlie! « Sie nahm schnell ihren Vorteil wahr. »Dann wirst du bis zur festgesetzten Zeit warten.« Sie entzog sich seiner Reichweite. »Ich verspreche dir, ich werde dir treu sein. Du brauchst dich nicht davor zu fürchten, daß du mich verlieren wirst; aber alles kommt zu seiner richtigen Zeit.« Sie berührte leicht seine Hand und ging davon. Bard sah ihr nach. Sie hatte ihn zum Narren gemacht! Nein, sie hatte recht. Es war eine Sache der Ehre, daß sie, seine Frau, aus eigenem freien Willen und ohne Zwang zu ihm kam. Doch er war erregt, und der Zorn steigerte noch den Aufruhr in seinem Geist und Körper. Noch keine Frau hatte sich darüber beschwert, daß er ein Draufgänger war! Wie kam diese verdammte Schlampe Lisarda dazu, ihn zu verklagen? Sie hatte gar nichts dagegen gehabt, er hatte ihr nur eine Gelegenheit geboten, das zu tun, was sie sowieso tun wollte! Er durchforschte sein Gedächtnis. Ja, zuerst war sie ängstlich gewesen, aber bevor er mit ihr fertig war, hatte sie gestöhnt vor Lust. Welches Recht hatte sie, hinterher ihre Meinung zu ändern und vor Carlina ihre kostbare Jungfräulichkeit zu bejammern, als hätte diese irgendeinen besonderen Wert? Sie war doch keine Erbin, die sie der Ehre und der Mitgift wegen bewahren mußte!
Und jetzt hatte Carlina ihn erregt und in einem Zustand heißen Begehrens zurückgelassen! Er war wütend auf sie. Bildete sie sich ein, er werde geduldig wie ein Mädchen auf ihre Zustimmung warten? Plötzlich fiel ihm ein, was er tun konnte, um sich an beiden zu rächen, an den beiden verdammten Weibern, die ihn zum Narren hielten! Die Frauen waren alle gleich, angefangen mit seiner unbekannten Mutter, die ihn hergegeben hatte, damit er bei seinem reichen, hochgestellten Vater aufwuchs. Und Lady Jerana, die seines Vaters Gedanken vergiftet und ihn aus seiner Heimat wegschicken lassen hatte. Und diese elende kleine Schlampe Lisarda mit ihrem Gewimmer und Gerede vor Carlina. Und auch Carlina selbst war nicht frei von der allgemeinen Schlechtigkeit der Frauen!
In seiner Wut ging er auf die Galerien zu, wo die oberen Dienstboten den Festlichkeiten zusahen. Er entdeckte Lisarda unter ihnen, ein schlankes, kindlich aussehendes Mädchen mit weichem braunem Haar, deren schmaler Körper gerade erst weibliche Rundungen anzunehmen begann. In der Erinnerung spannte sich Bards eigener Körper vor Erregung an.
Sie war unberührt, ja, unwissend und verängstigt gewesen, aber ihr Widerstreben hatte sich sehr schnell gegeben. Und doch hatte sie die Frechheit besessen, sich bei Carlina zu beklagen, als sei es ihr unangenehm gewesen! Verdammtes Mädchen, diesmal würde er ihr das Gegenteil beweisen!
Er wartete, bis sie in seine Richtung sah. Dann hielt er ihren Blick fest. Sie erschauerte und versuchte, das Gesicht abzuwenden, aber er griff nach ihrem Geist, wie er es gelernt hatte zu tun, berührte etwas tief in ihrem Inneren, unter dem bewußten Willen, die Reaktion des Körpers auf den Körper. Kam es darauf an, was sie zu wollen meinte? Diese Reaktion war da, und sie war ebenfalls wirklich, und alle ihre eingebildeten Ideen über ihre stolz bewahrte Unschuld bedeuteten nichts angesichts dieser Realität. Er hielt sie fest, bis er spürte, daß ihre Sinne erwachten, beobachtete mit distanzierter, bösartiger Belustigung, wie sie den Weg zu ihm fand. Außer Sicht der anderen zog er sie hinter einen Pfeiler, küßte sie kundig und spürte ihr Begehren sie beide überfluten.
In einer ganz versteckten Ecke ihres Geistes erkannte er die Panik des jetzt unterworfenen bewußten Willens, ihre Angst und ihr Entsetzen darüber, daß ihr dies nun doch wieder geschah, daß ihr Körper ihm entgegenkam, obwohl sie es nicht wollte. Das Grauen sprach ihr aus den Augen. Bard lachte lautlos und flüsterte ihr etwas zu. Er beobachtete sie, als sie wie eine Schlafwandlerin die Treppe zu seinem Zimmer emporstieg, wo sie nackt und sehnsüchtig auf ihn warten würde, bis es ihm gefiel, zu ihr zu kommen.
Er würde sie eine Weile warten lassen. Das bewies ihr, was sie wirklich wollte. Ihr Weinen und Schluchzen würde ihr vor Augen führen, daß sie es die ganze Zeit schon gewollt hatte. Das sollte sie lehren, sich bei Carlina über ihn zu beklagen, als habe er sie mißhandelt oder gegen ihren Willen genommen!

Und wenn Carlina es zu hören bekam, nun, dann war sie selbst daran schuld. Gesetz und Tatsachen machten sie zu seiner Frau, und wenn das sie nicht bewog, ihre Pflicht zu erfüllen, hatte sie kein Recht, sich zu beklagen, daß er zu einer anderen ging.

2

Das Jahr war schon ziemlich weit fortgeschritten, und ein früher Herbst hatte begonnen, als Bard di Asturien König Ardrin in seinem Audienzsaal aufsuchte.
»Onkel«, sagte er - er hatte dieses Privileg, weil der König sein Pflegevater war -, »werden wir noch vor der Apfelernte in den Krieg reiten?«
König Ardrin hob die Augenbrauen. Er war ein großer, imposanter Mann, hellhaarig wie die meisten di Asturiens, und war einmal kräftig gewesen. Aber vor einigen Jahren hatte er eine Wunde am Arm erhalten, die ihn lähmte. Er trug auch noch andere Narben, die Male eines Mannes, der fast sein ganzes Leben lang sein Reich mit Waffengewalt hatte verteidigen müssen. »Ich hatte gehofft, es sei nicht nötig, Pflegesohn. Aber du weißt mehr als ich darüber, was sich an den Grenzen tut, weil du in den letzten vierzig Tagen mit der Leibwache dort gewesen bist. Was gibt es für Neuigkeiten?« »Keine Neuigkeiten von der Grenze«, antwortete Bard. »Dort ist alles ruhig. Nach Snow Glen brauchen wir mit einer Rebellion in diesem Gebiet nicht mehr zu rechnen. Aber auf dem Ritt zurück habe ich Gerüchte gehört. Wußtest du, daß Dom Eiric Ridenow der Jüngere seine Schwester mit dem Herzog von Hammerfell verheiratet hat?« König Ardrin blickte nachdenklich drein, doch er sagte nur: »Fahre fort.«
»Einer meiner Leibwächter hat einen Schwager, der als Söldner im Dienst des Herzogs steht«, berichtete Bard. »Er hatte das Unglück, einen Mann zu erschlagen, und ging für drei Jahre ins Exil. Deshalb trat er in Hammerfell in Dienst, und er ist von seinem Diensteid entbunden worden. Mein Mann sagte, als sein Schwager sich in Hammerfell verpflichtete, machte er es zur Bedingung, daß er nicht in den Kampf gegen Asturias geschickt werden dürfe. Ich finde es interessant, daß er jetzt von seinem Eid entbunden wird, statt zu Mittwinter, wie es Brauch ist.«
»Dann meinst du <
» Ich meine, der Herzog von Hammerfell festigt seine neue Verbindung zu der Sippe der Ridenow von Serrais<” führte Bard aus, »indem er seine Armee gegen Asturias führt. Das hätten wir uns schon im Frühling sagen können. Er wird hoffen, uns unvorbereitet zu treffen, wenn er vor dem Winterschnee zuschlägt. Außerdem hat Beltran einen Laranzu unter seinen Männern, dessen Gabe der Rapport mit Kundschaftervögeln ist. Er sagt, zwar seien noch keine Armeen auf der Straße, aber es versammelten sich Männer in der Marktstadt Tarquil, die gar nicht weit von Hammerfell liegt. Sicher, dort findet zur Zeit der Gesindemarkt statt, aber der Laranzu sagt, es seien zu wenige Männer mit Mistgabeln und Milcheimern und zu viele auf Pferderücken da. Anscheinend finden sich dort die Söldner zusammen. Und ein Zug Packtiere entfernte sich vom DalereuthTurm, und du weißt ebenso gut wie ich, was in Dalereuth hergestellt wird. Was braucht der Herzog von Hammerfell Haftfeuer, wenn er nicht mit den Ridenows von Serrais gegen uns ziehen will?« König Ardrin nickte bedächtig. »Ich bin überzeugt, du hast recht. Nun, Bard, was würdest du, der du diesen Feldzug hast kommen sehen, tun, wenn du den Befehl hättest?«
Es war nicht das erste Mal, daß Bard diese Frage gestellt wurde. Nie hatte sie etwas anderes zu bedeuten gehabt, als daß sein Pflegevater prüfen wollte, ob er das richtige Gespür für militärische Taktik hatte. Er hätte Beltran und Geremy, wären sie anwesend gewesen, ebenso gefragt, und dann hätte er sich an seine eigentlichen Ratgeber gewendet. Trotzdem dachte Bard gründlich über das Problem nach. » Ich würde jetzt gegen sie reiten, bevor sie ihre Söldnertruppen zusammengestellt haben, noch bevor sie Hammerfell verlassen. Ich würde Hammerfell belagern, lange bevor sie damit rechnen, daß wir wissen, was vorgeht. Der Herzog rechnet nicht damit, daß der Krieg sein Land heimsuchen wird. Er versammelt die Söldner nur, um sie Dom Eiric zur Unterstützung zu bringen. Wenn die Ridenows diesen Sommer gegen uns ziehen, was sie bestimmt tun werden, sollen wir ihre Armee unerfreulich angeschwollen finden. Aber wenn wir jetzt in Hammerfell zuschlagen und den Herzog belagern, bis er bereit ist, den Schwur zu leisten, nichts gegen dich zu unternehmen, und ihn mit Geiseln zu bekräftigen, wirst du Dom Eiric und seine Ratgeber verwirren. Wenn ich den Befehl hätte, würde ich auch einen Teil der Truppen nach Süden schicken, um das Haftfeuer zu nehmen und zu zerstören, bevor es gegen uns eingesetzt werden kann. Vielleicht können wir es auch selbst in Vorrat nehmen. Und da es bestimmt von Zauberern bewacht wird, würde ich diesem Truppenteil einen Laranzu oder zwei mitgeben. «

»Wann könnten wir bereit sein, gegen Hammerfell zu ziehen?« fragte König Ardrin.
»Innerhalb von zehn Tagen, Sir. Bis dahin ist das Zusammentreiben der Pferde beendet, und die Männer sind frei, dem Schlachtruf zu folgen«, antwortete Bard. »Aber ich würde die Männer nicht mit Signalfeuern zusammenrufen, sondern sie heimlich benachrichtigen lassen. Die Ridenows mögen spionierende Zauberer haben, die die Feuer aus weiter Ferne erspähen. Wir wären dann zehn Tage, nachdem es bekannt wird, daß wir die Grenze überschritten haben, vor Hammerfell. Und wenn wir mit ein paar ausgewählten Männern schnell reiten, können wir alle Brücken über den Valeron besetzen und jeden aufhalten, der gegen uns zieht. Eine Abteilung kann dann ins Innere vorrücken und die Burg belagern.«
König Ardrins strenges Gesicht verzog sich zum Lächeln. »Ich selbst hätte keinen besseren Plan ersinnen können. Tatsächlich, Bard, bezweifle ich, daß mir ein ebenso guter eingefallen wäre. Jetzt habe ich noch eine Frage an dich: Wenn ich die Truppen nördlich nach Hammerfell führe, kannst du dann nach Süden gehen, um das Haftfeuer zu nehmen? Ich werde dir einige Leroni und Reiter mitgeben. Du kannst dir die Männer selbst auswählen, aber nicht mehr als drei Dutzend. Wird das genug sein?«
Bard überlegte einen Augenblick. Dann fragte er: »Kannst du nicht vier Dutzend entbehren, Onkel?«
»Nein; dies zusätzliche Dutzend Reiter brauche ich für den Ritt nach Hammerfell.«
»Dann muß ich mit den drei Dutzend auskommen, Sir. Wenigstens können sie sich schnell bewegen, wenn es nötig ist.« Bards Herz klopfte. Er hatte noch nie ein selbständiges Kommando gehabt. »Prinz Beltran wird euch anführen - offiziell«, sagte der König, »aber die Männer werden dir folgen. Du verstehst mich, Bard? Ich muß Beltran den Befehl überlassen. Aber ich werde ihm klarmachen, daß du der militärische Ratgeber bist.«
Bard nickte. Das ließ sich nicht umgehen; ein Mitglied des königlichen Hauses mußte dem Namen nach den Befehl führen. König Ardrin war ein erfahrener Anführer, aber ihm, Bard, wurde eine knifflige, schnelle Mission mit einer ausgesuchten kleinen Truppe anvertraut. »Ich will gehen und meine Männer auswählen, Sir.« »Einen Augenblick.« König Ardrin winkte ihn zurück. »Es wird eine Zeit kommen, wo du als mein Schwiegersohn die Befehlsgewalt erhältst. Ich freue mich über deine Tapferkeit, Bard, aber ich verbiete dir, dich unnötig in Gefahr zu begeben. Deine strategischen Fähigkeiten brauche ich notwendiger als deinen starken Arm oder deinen Mut. Sich zu, daß du am Leben bleibst, Bard. Mein Auge ruht auf dir. Ich bin zu alt, um noch länger als ein paar Jahre meinen eigenen General zu machen. Du weißt, was ich zu sagen versuche.« Bard verbeugte sich tief. »Ich stehe Euch zu Befehl, mein König und Herr.«
»Und es wird ein Tag kommen, an dem ich dir zu Befehl stehe, Verwandter. Geh jetzt und suche deine Männer aus.«
»Darf ich Lady Carlina Lebewohl sagen, mein Lord?«
Ardrin lächelte. »Das darfst du, selbstverständlich.«
Bard war außer sich vor Freude über soviel Glück. Jetzt war seine Laufbahn gesichert, und wenn er seine Mission erfolgreich zu Ende führte, mochte es sein, daß König Ardrin ihm noch mehr Gnade erwies und ihn Carlina zum Mittwinterfest heiraten ließ. Oder zumindest mochte er sie überzeugen, sie drängen, ihre Ehe in jener Nacht traditioneller Freiheiten zu vollziehen. Bestimmt würde sie sich ihm nicht mehr widersetzen, wenn er der Kämpfer und Befehlshaber des Königs war!
Er gestand sich selbst ein: Er hatte es satt, mit diesem und jenem Mädchen ins Bett zu gehen. Carlina war es, die er wollte. Anfangs hatte sie ihm nicht mehr bedeutet als ein Zeichen dafür, daß der König ihn hochschätzte, als ein Tor zu Stellung und Macht im Reich, eine Macht, die ein Nedestro in Asturias auf andere Weise nicht erlangen konnte. Aber als sie zu Mittsommer so freundlich mit ihm gesprochen hatte, wurde ihm klar, daß sie die einzige Frau war, nach der es ihn verlangte.
Er war der Mädchen überdrüssig. Er war Lisardas überdrüssig und des Spiels, das er mit ihr trieb, indem er ihren unwilligen Körper zwang, auf ihn zu reagieren, während sie weinte und darauf bestand, sie hasse ihn. Elende kleine Spaßverderberin, wo er doch sein Bestes getan hatte, ihr Vergnügen zu bereiten! Aber jetzt interessierte ihn das nicht mehr. Er wollte keine andere als Carlina.
Er fand sie in den Nähräumen, wo sie die Frauen beaufsichtigte, die Leinenkissen herstellten, und winkte sie von ihnen weg. Wieder wunderte er sich darüber, warum er so verrückt nach diesem unscheinbaren Mädchen war, wenn rings um sie so viele hübsche waren. Lag es nur daran, daß sie die Tochter des Königs war, daß sie als Kinder zusammen gespielt hatten? Ihr Haar war streng aus dem Gesicht gestrichen und fest eingeflochten, doch trotzdem hingen Flusen darin, und ihr blaukariertes Kleid hatte er, so kam es ihm vor, jeden Tag gesehen, seit sie zehn Jahre alt war. Oder ließ sie sich einfach ein neues machen, wenn sie das alte abgetragen hatte oder aus ihm herausgewachsen war’?
Er sagte: »Du hast Federn im Haar, Carlina.«
Geistesabwesend zupfte sie daran und lachte. »Natürlich, einige der Frauen stopfen Federbetten für den Winter und machen Kissen. ich herrsche über die Federn, während die Frauen meiner Mutter das Fleisch der Vögel für den Winter einsalzen und pökeln.« Sie blickte auf das bißchen Flaum nieder, das an ihren Fingern klebte. »Weißt du noch, Pflegebruder, wie du und ich und Beltran uns in einem Jahr an die Fässer mit Federn machten und die Federn in sämtlichen Nähzimmern herumflogen? Ich fühlte mich so schuldig, weil du und Beltran geschlagen wurdet, und ich wurde nur ohne Abendessen auf mein Zimmer geschickt! «
Bard lachte. »Dann sind wir besser weggekommen, denn ich möchte lieber geschlagen werden als einen Tag hungern, und ich bezweifle nicht, daß Beltran der gleichen Meinung ist! Und in all diesen Jahren habe ich gedacht, daß du am schlechtesten dabei weggekommen bist! «
»Aber ich hatte mir den Streich ausgedacht. Du und Beltran und auch Geremy, ihr wurdet immer für Ungezogenheiten geschlagen, die ich ausgeheckt hatte«, sagte sie. »Wir hatten viel Spaß in jener Zeit, nicht wahr, Pflegebruder?«
»Ja, das hatten wir.« Bard ergriff ihre Hände. »Aber ich möchte dich jetzt nicht mehr Pflegeschwester nennen, Carlina mea. Und ich bin gekommen, dir große Neuigkeiten mitzuteilen.«
Sie lächelte zu ihm hoch. »Was für Neuigkeiten, mein versprochener Gatte?« Sie sprach das Wort schüchtern aus.
»Der König, dein Vater, hat mir den Befehl über Truppen gegeben«, platzte er freudestrahlend heraus. »Ich soll mit drei Dutzend ausgewählten Männern eine Karawane mit Haftfeuer ergreifen … Dem Namen nach ist Beltran der Befehlshaber, aber du weißt, und ich weiß es auch, daß das Amt in Wirklichkeit meins ist … und ich soll die Männer selbst aussuchen und Leroni mitbekommen … «
»0 Bard, wie wundervoll!« Gegen ihren Willen freute sie sich über sein Glück. » Ich bin so froh für dich! Sicher bedeutet das - wie du, ich weiß es, hoffst -, daß du vom Bannerträger zu einem seiner Hauptleute aufsteigen und vielleicht eines Tages alle seine Truppen führen wirst! «
Bard versuchte, nicht allzuviel Stolz zu zeigen. »Der Tag liegt bestimmt noch viele Jahre in der Zukunft. Aber es zeigt, daß dein Vater fortfährt, gut von mir zu denken. Ich habe mir gedacht, Carlina mea, wenn ich bei dieser Mission Erfolg habe, dann wird er vielleicht unsere Hochzeit ein halbes Jahr vorverlegen, und wir können zu Mittsommer heiraten … «
Carlina versuchte, ein unwillkürliches Zusammenzucken zu unterdrücken. Sie und Bard mußten heiraten. Es war ihres Vaters Wille, der Gesetz im Land Asturias war. Sie wünschte Bard aufrichtig alles Gute; es gab keinen Grund, warum sie keine Freunde sein sollten. Und schließlich machte es nicht viel aus, ob zu Mittwinter oder Mittsommer. Doch auch wenn sie sich das sagte, sie konnte nicht zustimmen.
Bards Begeisterung war jedoch so groß, daß sie es nicht fertigbrachte, sie zu ersticken. Sie wich aus: »Das wird geschehen, wie mein Vater und Herr es will, Bard.«
Bard sah in ihren Worten nur angemessene j jungfräuliche Schüchternheit. Er drückte ihre Hände fester. »Wirst du mich zum Lebewohl küssen, meine versprochene Frau?«
Wie konnte sie ihm das abschlagen’? Sie ließ es zu, daß er sie an sich zog, und seine Lippen, hart und fordernd, raubten ihr den Atem. Er hatte sie noch nie geküßt, abgesehen von dem brüderlichen und ehrerbietigen Kuß, den sie vor Zeugen bei ihrer Verlobung gewechselt hatten. Das hier war anders, und es ängstigte sie, als er versuchte, ihre Lippen mit seinem Mund zu öffnen. Sie wehrte sich nicht. Verängstigt und passiv ließ sie es sich gefallen, und für Bard war das erregender, als es die heftigste Leidenschaft hätte sein können.
Als sie sich trennten, sagte er mit leiser Stimme, fast in Angst vor seinen eigenen Gefühlen: »Ich liebe dich, Carlina.«
Das Beben seiner Stimme erfüllte sie von neuem gegen ihren Willen mit Zärtlichkeit. Sie berührte seine Wange mit den Fingerspitzen und antwortete sanft: »Ich weiß, mein versprochener Gatte.«
Als er gegangen war, starrte sie, bis ins Innerste aufgewühlt, auf die geschlossene Tür. Ihr ganzes Herz sehnte sich nach der Stille und dem Frieden der Insel des Schweigens. Doch es sah so aus, als solle das niemals sein, als müsse sie mit oder ohne ihre Zustimmung die Frau ihres Cousins, ihres Pflegebruders, ihres versprochenen Gatten Bard di Asturien werden. Vielleicht, redete sie sich zu, vielleicht wird es nicht so schlimm. Als wir Kinder waren, liebten wir uns.
»Carlina, was soll ich mit diesem Stoffballen tun?« rief eine der Frauen. »Am Rand sind die Fäden ganz verzogen, und hier ist ein großes Stück verdorben … «
Carlina ging zu ihr und beugte sich über das Leinen. Sie sagte: »Du wirst es geradeschneiden müssen, so gut du kannst, und wenn es danach für ein Laken nicht mehr breit genug ist, dann hebst du dies Ende für Kissenbezüge auf. Sie werden in farbigen Mustern mit Wolle bestickt, die den Webfehler hier verdecken … «
»Wie könnt Ihr an solche Dinge denken, Lady«, stichelte eins der Mädchen, »wenn Ihr hier den Besuch Eures Liebhabers gehabt habt … «
Sie benutzte die Form des Wortes, die seine Bedeutung von versprochener Gatte zu Geliebtem änderte, und Carlina spürte, wie ihr das Blut heiß in die Wangen stieg. Aber sie sagte nur mit sorgfältig ruhig und gleichmütig gehaltener Stimme: »Ja, Catriona, ich dachte, du seist hergeschickt worden, um unter den Frauen der Königin das Weben und Sticken und alle weiblichen Künste zu lernen. Aber nun sehe ich, daß du auch Unterricht in Casta brauchst, um versprochener Gatte mit der angemessenen Höflichkeit auszusprechen. Wenn du das Wort wie eben verwendest, werden dich die anderen Frauen der Königin als Landpomeranze auslachen.«

3

Bard ritt am nächsten Tag vor Sonnenaufgang fort. Es war so früh, daß der Himmel im Osten noch nicht begonnen hatte, die erste Morgenröte zu zeigen. Drei kleine Mondsicheln und die blasse Scheibe Mormallors schwebten über den fernen Bergen. Bards Gedanken beschäftigten sich mit der Erinnerung an Carlinas scheuen Kuß. Vielleicht würde ein Tag kommen, wenn sie ihn aus eigenem freien Willen küßte, wenn sie froh und stolz war, mit des Königs Bannerträger, des Königs Kämpfer, vielleicht dem General seiner gesamten Armee verheiratet zu werden … Es waren recht angenehme Gedanken, mit denen er an der Spitze seines ersten Kommandos, mochte es auch klein sein, dahinritt.
Im Gegensatz zu ihm war Beltran, der dunkel gekleidet und in einen großen Umhang gewickelt war, in verdrießlicher Stimmung. Bard merkte, daß er sich ärgerte, und fragte sich, warum.
Beltran brummte: »Du siehst so zufrieden aus, und vielleicht freust du dich ja auch über dies Kommando. Aber ich würde lieber an Meines Vaters Seite nach Hammerfell reiten, wo er sehen könnte, ob ich mich gut oder schlecht halte. Aber nein, da werde ich losgeschickt, wie der Anführer einer Räuberbande, eine Karawane zu überfallen!« Bard versuchte, seinem Pflegebruder klarzumachen, wie wichtig es war, dafür zu sorgen, daß das Haftfeuer aus Dalereuth niemals nach Serrais kam und die Felder und Dörfer und Wälder von Asturias nicht verwüstete. Beltran sah nur, daß ihm nicht das Privileg zuteil geworden war, vor den Augen seiner Armee zur rechten Hand seines Vaters zu reiten. »Mein einziger Trost ist, daß du dort nicht den mir rechtmäßig zustehenden Platz einnimmst«, murrte er. »Er hat ihn Geremy gegeben … Verdammnis über ihn, über alle Hasturs!« In diesem Punkt teilte Bard das Mißvergnügen Beltrans und hielt es für politisch richtig, ihn das wissen zu lassen.
»Richtig! Er versprach mir, Geremy an die Spitze der mit uns reitenden Zauberer zu setzen, und im letzten Augenblick teilte er mir mit, er könne Geremy nicht entbehren. Dafür hat er mir drei Fremde gegeben«, fiel Bard in Beltrans Murren ein. Er sah zu ihnen hinüber, die ein wenig abseits von den ausgewählten Kämpfern ritten: ein hochgewachsener Laranzu, dessen ergrauender roter Schnurrbart die Hälfte seines Untergesichts verdeckte, und zwei Frauen. Eine davon, zu dick zum Reiten, schaukelte auf einem Esel dahin. Die andere war ein dünnes, kindhaftes Mädchen, so dicht in ihren grauen Zauberermantel eingewickelt, daß Bard nicht erkennen konnte, ob sie hübsch oder häßlich war. Er wußte nichts von den dreien, nichts über ihre Fähigkeiten, und er fragte sich nervös, ob sie ihn als Anführer der Expedition anerkennen würden. Besonders der Laranzu. Obwohl er, wie alle seiner Art, bis auf ein kleines Messer an seiner Seite, das auch eine Frau hätte tragen können, unbewaffnet war, sah er doch aus, als sei er schon lange vor Bards Geburt auf Feldzügen wie diesem mitgeritten.
Ob Beltran in diesem Punkt auch von düsteren Vorahnungen geplagt war? Aber er fand bald heraus, daß das Mißvergnügen des Prinzen einen anderen Grund hatte.
»Geremy und ich hatten einander gelobt, dies Jahr zusammen in die Schlacht zu reiten, und jetzt hat er sich dafür entschieden, an der Seite des Königs zu bleiben … «
»Pflegebruder«, erklärte Bard ernst, »ein Soldat hört nur die Stimme seines Vorgesetzten, muß ihr seine eigenen Wünsche unterordnen.« Eigensinnig erwiderte Prinz Beltran: »Er hätte es meinem Vater sagen sollen. Ich bin sicher, Vater hätte unser Gelübde geehrt und Geremy mit auf diese Expedition gehen lassen. Schließlich ist es nur eine stumpfsinnige Sache, das Aufhalten dieser Karawane, nicht viel anders als das Ausheben von Räuberbanden an der Grenze.« Bard erkannte plötzlich. warum der König ihm gegenüber betont hatte, den tatsächlichen Befehl über diese Expedition habe er und nicht Prinz Beltran. Ganz offensichtlich, dachte er stirnrunzelnd, hatte der Prinz überhaupt keine Vorstellung von der strategischen Bedeutung der Haftfeuer-Karawane!
Wenn Prinz Beltran keine militärische Begabung hat, ist es kein Wunder, daß der König Wert darauf legt, mich für einen höheren Posten auszubilden. Kann er seine Armee nicht seinem Sohn Übergeben, dann doch seinem SchwiegersohnHat er keinen zum General geeigneten Sohn, verheiratet er seine Tochter mit seinem eigenen General statt mit einem Rivalen außerhalb seiner Grenzen … Er versuchte, Prinz Beltran die Wichtigkeit ihrer Mission klarzumachen, aber Beltran blieb übellaunig, und schließlich sagte er: »Ich kann verstehen, daß du gern möchtest, die Sache sei wichtig, weil du dich selbst dann wichtiger fühlst.« Und Bard zuckte die Schultern und ließ es dabei.
Am Nachmittag waren sie in der Nähe der südlichen Grenze von Asturias angelangt und machten halt, um die Pferde ausruhen zu lassen. Bard ritt zu den Zauberern hinüber, die sich ein wenig abseits von den übrigen hielten. So war es der Brauch-, die meisten Krieger (und Bard war da keine Ausnahme) hüteten sich vor Lerom König Ardrin mußte diese Mission für wichtig gehalten haben, sonst hätte er ihm keinen im Feld grau gewordenen Mann mitgegeben, sondern den jungen, unerfahrenen Geremy, und sei es nur, um seinem Sohn und seinem Pflegesohn einen Gefallen zu tun. Trotzdem teilte Bard den Wunsch des Prinzen, Geremy, den er so gut kannte, sei anstelle dieses Fremden bei ihnen. Er wußte nicht, wie er mit einem Laranzu reden sollte. Geremy hatte von der Zeit an, als sie zwölf Jahre alt waren, besonderen Unterricht erhalten, nicht im Waffenspiel und unbewaffneten Kampf und im Gebrauch des Dolches wie die anderen Pflegesöhne des Königs, sondern in der okkulten Beherrschung der Sternensteine, der blauen Kristalle, die den Leroni ihre Macht gaben. Geremy hatte ihre Stunden in militärischer Taktik und Strategie, im Reiten und Jagen weiter geteilt und war mit ihnen auf Feuerwache gegangen und gegen Räuber geritten, aber selbst damals schon war klar, daß aus ihm kein Soldat gemacht werden sollte. Und als er es aufgab, ein Schwert zu tragen, und es gegen den Dolch eines Zauberers eintauschte und sagte, er brauche keine Waffe außer dem Sternenstein um seinen Hals, hatte sich eine große Kluft zwischen ihnen geöffnet.
Und jetzt, als Bard den Laranzu ansah, den der König mit ihnen geschickt hatte, spürte er etwas von der gleichen Kluft. Aber der Mann sah aus, als sei er an Feldzüge gewöhnt, ritt wie ein Soldat und hatte sogar eine soldatische Art in der Behandlung seines Pferdes. Er hatte magere, falkenähnliche Gesichtszüge und kühne, farblose Augen von der grauen Härte getemperten Stahls.
Ach bin Bard di Asturien«, sagte Bard. »Ich kenne Euren Namen nicht, Sir.«
»Gareth MacAran, a ves ordras, vai dom … « Der Mann salutierte kurz.
»Was ist Euch über diese Expedition mitgeteilt worden, Meister Gareth?«
»Nur, daß ich unter Eurem Befehl stehe, Sir.« Bard hatte gerade genug Laran, um den sehr schwachen, beinahe unmerklichen Nachdruck wahrzunehmen, den er auf das Wort Euer legte. Innerlich empfand er große Befriedigung. So war er nicht der einzige, der Beltran für hoffnungslos in militärischen Angelegenheiten hielt.
Er fragte: »Habt Ihr einen Kundschaftervogel?«
Meister Gareth wies mit der Hand. Er antwortete ruhig, aber eindeutig vorwurfsvoll: »Ich habe schon Feldzüge mitgemacht, als Ihr noch nicht gezeugt wart, Sir. Wenn Ihr mir sagt, welche Information benötigt wird … «
Der Vorwurf hatte getroffen. Bard erklärte steif: »Ich bin jung, Sir, aber im Feldzug nicht unerprobt. Meine Zeit habe ich zum größten Teil mit dem Schwert verbracht, und ich weiß nicht viel über die höflichen Umgangsformen mit Zauberern. Wissen muß ich, wo die Haftfeuer-Karawane nach Süden reitet, damit wir einen Überraschungsangriff machen können und es ihnen nicht gelingt, ihre Ware zu vernichten.«
Meister Gareth verzog den Mund. »So, Haftfeuer ist es? Ich wäre froh, wenn all das Zeug im Meer versenkt würde. Dann wird es dies Jahr wenigstens nicht benutzt werden, Asturias zu belagern. - Melora!« rief er, und die ältere Leronis kam zu ihm. Bard hatte sie nach ihrem dicken Körper für eine ältere Frau gehalten. Jetzt sah er, daß sie dessenungeachtet jung war. Ihr Gesicht war rund und mondförmig mit hellen, verträumten Augen. Ihr Haar, von einem leuchtenden Feuerrot, war zu einem unordentlichen Knoten geschlungen.
»Bring mir den Vogel … «
Fasziniert sah Bard zu - der Anblick war ihm nicht neu, aber es faszinierte ihn jedesmal in gleicher Stärke -, wie die Frau dem großen Vogel, der auf ihrem Sattelknopf saß, die Kappe abnahm. Gelegentlich war auch Bard schon mit einem Kundschaftervogel umgegangen. Im Vergleich damit waren auch die wildesten Jagdfalken zahm wie die Käfigvögel eines Kindes. Der lange, schlangenähnliche Hals drehte sich, und der Vogel kreischte Bard mit einem hohen, krächzenden Schrei an. Aber als Melora ihm das Gefieder streichelte, beruhigte er sich und gab ein Zirpen von sich, das beinahe wie eine Bitte um weitere Liebkosungen klang. Gareth nahm den Vogel, und Bard ließ sich äußerlich nichts von dem Schrecken anmerken, den die Nähe dieser grimmigen, unbeschnittenen Klauen vor seinen Augen ihm verursachte. Meister Gareth jedoch ging mit dem Vogel um, wie Carlina eins ihrer Singvögelchen gehalten hätte. »So, so, mein Schöner … «, sagte er und streichelte den Vogel liebevoll. »Geh und sieh, was sie tun … «
Er warf den Vogel in die Luft. Der Vogel flog mit seinen langen, starken Schwingen davon, kreiste über ihnen und verschwand in den Wolken. Melora sank in ihrem Sattel zusammen, ihre verträumten Augen schlossen sich, und Gareth bemerkte leise: »Es ist nicht notwendig, daß Ihr hierbleibt, Sir. Ich werde den Rapport mit ihr aufrechterhalten und alles sehen, was sie durch die Augen des Vogels sieht. Ich werde Euch melden, wann wir weiterreiten können.« »Wie lange wird es dauern?«
»Wie soll ich das wissen, Sir?«
Wieder hörte Bard einen Vorwurf aus den Worten des Alten heraus. Hatte König Ardrin ihm diesen Befehl gegeben, damit er all die kleinen Dinge lernte, die er außer dem Kämpfen wissen mußte … einschließlich der Höflichkeit, die man einem erfahrenen Laranzu schuldig ist? Nun, er würde es lernen.
Meister Gareth erläuterte: »Wenn der Vogel alles gesehen hat, was zu sehen nötig ist, und sich auf dem Rückweg zu uns befindet, dann können wir weiterreiten. Er wird uns finden, wo wir auch sind, aber Melora kann nicht reiten und dabei in Rapport mit ihrem Vogel bleiben. Sie würde von ihrem Esel fallen, und auch unter günstigsten Umständen ist sie keine gute Reiterin.«
Bard runzelte die Stirn. Warum hatte man den Soldaten eine Frau beigesellt, die kaum auf einem Esel, ganz zu schweigen auf einem Pferd, sitzen konnte!
Meister Gareth sagte: »Weil, Sir, sie von allen Leroni in Asturias die beste im Rapport mit einem Kundschaftervogel ist. Das ist eine weibliche Kunst, und ich selbst bin darin nicht so geschickt. Ich kann den Rapport mit diesen Tieren so weit herstellen, daß ich mit ihnen umzugehen vermag, ohne zu Tode gehackt zu werden. Aber Melora kann mit ihnen fliegen und alles sehen, was sie sehen, und es mir ausdeuten. Und jetzt, Sir, wenn Ihr entschuldigen wollt, darf ich nicht mehr sprechen, ich muß Melora folgen.« Sein Gesicht verschloß sich, seine Augen rollten nach oben, und Bard, der nur noch das Weiße sah, erschauerte. Der Mann war nicht hier. Irgendein wesentlicher Teil seiner selbst war mit Melora und dem Kundschaftervogel fort … Plötzlich war er froh, daß Geremy nicht mit ihnen gekommen war. Es war schlimm genug, diesen Fremden in ein unheimliches Reich verschwinden zu sehen, in das er ihm nicht folgen konnte. Das bei seinem Freund und Pflegebruder zu erleben, wäre unerträglich gewesen.
Die dritte der Leroni hatte ihren grauen Reitmantel geöffnet und die Kapuze zurückgeworfen. Bard entdeckte, daß sie ein schlankes junges Mädchen mit einem hübschen, verschlossenen Gesicht war. Ihr flammendes Haar lockte sich um ihre Wangen. Sie war schön und ernst. Als sie Bards Blick auf sich fühlte, errötete sie und wandte sich ab, und etwas an dieser Scheu verratenden Geste erinnerte ihn an Carlina, wie ein Hauch, beinahe geisterhaft.
Sie führte ihr Pferd an den Bach und sah nur ganz kurz zu ihren beiden Kollegen hin, die in Trance versunken auf ihren Reittieren saßen. Bard stieg ab und ging zu ihr, um ihr die Zügel abzunehmen. »Damisela, darf ich Euch helfen?«
»Danke.« Sie überließ ihm die Zügel. Sie vermied es, ihm ins Gesicht zu sehen, und als er versuchte, ihren Blick festzuhalten, sah er nur, wie ihr das Blut in die Wangen stieg. Wie hübsch sie war! Er führte das Pferd an das Wasserloch und stand da mit einer Hand an den Zügeln.
Er sagte: »Wenn Meister Gareth und Dame Melora wieder zu sich kommen, werde ich zwei Männer schicken, die sich um ihre Tiere kümmern sollen.«
»Danke, Sir. Sie werden Euch dankbar sein, denn sie sind nach einem langen Rapport mit dem Vogel immer müde. Ich kann das überhaupt nicht«, gestand das Mädchen. Sie hatte eine leise, flüsternde Stimme. »Aber Ihr seid eine erfahrene Leronis?«
»Nein, vai dom, nur eine Anfängerin, ein Lehrling. Vielleicht werde ich es eines Tages sein. Im Augenblick besteht mein Talent darin, dahin zu sehen, wohin sie keinen Vogel schicken können.« Wieder senkte sie die Augen und errötete.
»Und wie ist Euer Name, Damisela?«
»Mirella Lindir, Sir.«
Das Pferd war fertig mit dem Trinken. Bard fragte: »Habt Ihr einen Futterbeutel für Euer Pferd?«
»Mit Eurer Erlaubnis, Sir, ich möchte es jetzt nicht füttern. Das Pferd einer Leronis ist darauf trainiert, lange Zeit stillzustehen, ohne sich zu bewegen …« Sie wies auf die beiden unbeweglichen
Gestalten von Meister Gareth und Melora. »Aber wenn ich meins füttere, wird das die anderen stören.«
»Ich verstehe. Nun, ganz, wie Ihr wollt.« Bard sagte sich, er müsse zu seinen Männern zurückkehren und nachsehen, was sie machten. Darum hätte sich natürlich Prinz Beltran kümmern sollen, aber Bard hatte begonnen, nicht nur Beltrans Fähigkeiten, sondern auch seinem Interesse an diesem Feldzug zu mißtrauen. Nun, um so besser. Wenn alles gut ausging, dann war es Bard allein zuzuschreiben.
Mirella meinte schüchtern: »Laßt mich Euch nicht von Euren Pflichten abhalten, Sir.«
Er verbeugte sich vor ihr und ging. Ihre Augen, dachte er, waren schön, und sie hatte eine Schüchternheit an sich, die der Carlinas nicht unähnlich war. Er hätte gern gewußt, ob sie noch Jungfrau war. Bestimmt hatte sie ihn mit Interesse angesehen. Er hatte sich gelobt, er wolle sein Herumhuren aufgeben und Carlina treu bleiben, aber auf einem Feldzug sollte ein Soldat nehmen, was ihm angeboten wird. Er pfiff vor sich hin, als er wieder zu seinen Männern kam.
Es freute ihn, daß die hübsche Mirella, wieder von ihrem grauen Mantel verhüllt, einige Zeit später vor den Augen seiner Soldaten an ihn heranritt und bescheiden meldete: »Mit Eurer Erlaubnis, Sir, Meister Gareth sagt, der Vogel sei jetzt auf dem Rückweg und wir könnten weiterreiten.«
»Ich danke Euch, Damisela.« Beflissen wandte er sich eines Befehls wegen an Prinz Beltran.
»Laß die Leute weiterreiten«, sagte Beltran gleichgültig und stieg selbst in den Sattel. Bard ließ die Männer an sich vorbeireiten und hielt die Augen offen nach irgendwelchen Mängeln an Mensch und Tier, nach einem rostigen Stück der Ausrüstung, einem Pferd, dem anzumerken war, daß es sich einen Stein eingetreten oder ein Hufeisen verloren hatte. Dann schloß er sich den drei Leroni an.
»Welche Nachricht habt Ihr von Eurem Kundschaftervogel, Meister Gareth?«
Das gefurchte Gesicht des alten Laranzu sah abgespannt und müde aus. Er kaute beim Reiten an einem Streifen Trockenfleisch. Melora neben ihm sah beinahe ebenso erschöpft aus, die Augen wie VOM Weinen gerötet, und auch sie aß. Sie stopfte sich Händevoll Trockenobst mit Honig zwischen die verschmierten Lippen. »Die Karawane befindet sich in einer Entfernung von zwei Tagesritten, dort … « - Meister Gareth wies die Richtung - »… in der Vogelfluglinie. Es sind vier Wagen. Ich zählte außer den Wagenlenkern zwei Dutzend Männer, und an ihrer Kleidung und ihren Pferden und auch der Art ihrer Schwerter erkannte ich, daß es Söldner aus den Trockenstädten sind.«
Bard schürzte die Lippen, denn die Söldner aus den Trockenstädten waren die besten Krieger, und er fragte sich, wie viele seiner Männer schon jemals gegen ihre seltsamen gekrümmten Schwerter die Dolche, die sie anstelle eines Schildes auf der anderen Seite
n trugen, gekämpft haben mochten.
»Ich will meine Männer warnen«, sagte er. Unter den von ihm ausgesuchten Leuten waren verschiedene Veteranen der Kriege gegen Ardcarran. Ein richtiger Instinkt mußte ihn geleitet haben, Männer mitzunehmen, die gegen die Trockenstädte gekämpft hatten. Vielleicht konnten sie den anderen gute Ratschläge geben, wie sie mit diesem Stil des Angriffs und der Verteidigung fertig werden konnten. Und noch etwas. Er warf einen Blick zu Meister Gareth hinüber und sagte mit leichtem Stirnrunzeln: »Ihr seid in Feldzügen erfahren, Sir. Ich nehme an, die Frauen wissen es nicht, aber ich habe gelernt, es gehöre sich nicht für einen Soldaten, im Sattel zu essen, es sei denn, es gehe beim besten Willen nicht anders.«
Er spürte das Lächeln hinter dem kupferfarbenen Schnurrbart des alten Mannes. »Offenbar versteht Ihr nur wenig von Laran, mein Lord, und wie es dem Körper Kraft entzieht. Fragt Eure Proviantmeister. Sie werden Euch berichten, daß sie angewiesen sind, uns dreifache Rationen zu geben, und das mit gutem Grund. Ich esse im Sattel, damit ich die Kraft habe, nicht hinunterzufallen, und das, Sir, wäre weitaus störender als das Essen beim Reiten.«
So sehr Bard es haßte, gute Lehren zu bekommen, verstaute er dies Wissen doch für den Fall, daß er es brauchte, in seinem Gehirn, wie er es mit allen militärischen Dingen tat. Aber er bedachte Meister Gareth mit einem finsteren Blick und verabschiedete ihn mit knapper Höflichkeit.
Nun ritt er zwischen seinen Männern dahin und teilte jedem einzelnen von ihnen mit, daß sie beim Überfall auf die Karawane gegen Söldner aus den Trockenstädten kämpfen mußten. Er hörte eine Weile den Reminiszenzen eines älteren Veteranen zu, der Jahre vor Bards Geburt mit dessen Vater Dom Rafael in den Krieg geritten war.
»Es ist ein Trick dabei, wenn ihr gegen Trockenstädter kämpft. Ihr müßt auf beide Hände Obacht geben, weil sie mit diesen verdammten kleinen Dolchen, die sie tragen, ebenso gut sind wie unsereins mit einem ehrlichen Schwert, und wenn sie euer Schwert gebunden haben, kommen sie mit der anderen Hand an euch und bohren euch den Dolch in die Rippen. Sie sind darin geübt, mit bei
den Händen zu kämpfen.«
»Gib das an alle Männer weiter, Larion«, sagte Bard und ritt tief in Gedanken versunken weiter. Welche Ehre für ihn, wenn er das Haftfeuer erbeutete und König Ardrin heimbrachte! Wie die meisten Soldaten haßte er Haftfeuer und hielt es für die Waffe von Feiglingen, obwohl ihm klar war, welche strategische Bedeutung es hatte, indem es feindliches Land verbrannte. Wenigstens konnte er dafür sorgen, daß es nicht gegen die Türme von Asturias geschleudert wurde! Oder die Wälder verbrannte!
An diesem Abend schlugen sie ihr Lager jenseits der Grenzen von Asturias in einem Dörfchen auf, das am Rand der Ebenen von Valeron lag, ein Niemandsland, keinem König untertan. Die Dorfbewohner versammelten sich mit verdrossenen Gesichtern um Bards Männer, als wollten sie ihnen die Erlaubnis verweigern, hier zu übernachten. Als sie jedoch die drei Leroni in ihren grauen Roben erblickten, bekamen sie es mit der Angst zu tun und zogen sich zurück.
»Die Leute hier«, sagte Bard zu Beltran, als sie abstiegen, »sollten von einem Lord in Pflicht genommen werden. Es ist gefährlich, daß auf diesem Land Gesetzlose und Räuber Unterschlupf finden können. Auch mag sich eines Tages ein Unzufriedener hier festsetzen und sich zum König oder Baron erklären.«
Beltran blickte verächtlich über die mageren Felder mit dem dürftig wachsenden Korn und die wenigen Nußbäume, an denen Nüsse geringer Qualität hingen. Einige davon hatten so wenig Blätter, daß die Bauern sie zur Pilzzucht verwendeten. »Wen kann dies Land interessieren? Die Leute können keinen Tribut zahlen. Das müßte ein armseliger Lord sein, der sich herabließe, solches Volk zu erobern! Welche Ehre brächte es einem Adler ein, eine Armee von Rabbithorns zu schlagen?«
»Darum geht es nicht«, erläuterte Bard. »Der springende Punkt ist, daß ein Feind von Asturias hierherkommen und die Leute gegen uns aufhetzen könnte, so daß wir dann dicht an unserer Grenze Feinde hätten. Ich werde meinem Herrn, dem König, darüber berichten, und vielleicht schickt er mich im nächsten Frühling her. Ich werde dann dafür sorgen, daß sie, wenn sie schon Asturias keinen Tribut zahlen, wenigstens auch Ridenow und Serrais keinen geben. Willst du mit den Männern sprechen und dich vergewissern, daß alles in Ordnung ist, oder soll ich es tun?«
»Oh. das mache ich schon«, antwortete Beltran gähnend. »Ich nehme an, sie brauchen die Versicherung, daß ihr Prinz sich um ihr Wohlergehen kümmert. Ich weiß nicht viel vom Soldatenleben, aber es sind genug Veteranen da, die es mir sagen können, wenn irgend etwas nicht in Ordnung ist.«
Beltran ging, und Bard grinste. Beltran wußte vielleicht wenig über militärische Taktik, aber er wußte genug von der Staatskunst, um den Wunsch zu haben, die Liebe und Treue der Männer zu gewinnen. Ein König regierte durch die Loyalität seiner Soldaten. Beltran war klug genug, um zu akzeptieren, daß Bard das militärische Kommando bei diesem Feldzug hatte; etwas anderes war kaum möglich. Aber er ließ sich nicht auf das Risiko ein, die Männer könnten denken, ihrem Prinzen sei ihr persönliches Wohlergehen gleichgültig. Bard beobachtete, wie Prinz Beltran von einem Mann zum anderen ging und Fragen nach den Pferden, den Decken und Ausrüstungsgegenständen, den Rationen stellte. Die Köche zündeten Feuer an, und Essen brodelte in einem Kochtopf. Es roch außerordentlich gut nach dem langen Tagesritt, bei dem es zu Mittag nicht mehr als ein Stück harten Reisebrotes und eine Handvoll Nüsse gegeben hatte.
Bard, der für den Augenblick nichts zu tun hatte, schlenderte in die Richtung der etwas abgelegenen Stelle, wo die Leroni ihr Lager hatten. Die Erinnerung an die Augen der hübschen Mirella war wie ein Magnet. Sie konnte nicht älter als fünfzehn sein.
Er traf sie dabei an, Feuer zu machen. Ein Zelt war aufgestellt worden, und durch das Tuch erkannte er die umfangreiche Gestalt der Leronis Melora, die sich drinnen bewegte. Er kniete neben Mirella nieder und fragte: »Darf ich Euch Feuer geben, Damisela?« Er hielt ihr den mit Öl gefüllten Feuersteinzünder hin, mit dem es einfacher zu arbeiten war als mit Feuerschwamm.
Sie wandte ihm nicht ihre Augen zu. Er sah das Erröten, das er so anbetungswürdig fand, ihren hellen Nacken überfluten.
Sie sagte: »Ich danke Euch, mein Lord. Aber ich brauche kein Feuerzeug.« Und tatsächlich, als sie auf das aufgeschichtete Brennholz blickte, die Hand auf den seidenen Beutel an ihrem Hals gelegt, wo sie, wie er vermutete, den Sternenstein verwahrte, schoß plötzlich eine Flamme hoch.
Bard legte die Hand leicht auf ihr Handgelenk und flüsterte: »Wenn Ihr mir nur in die Augen blicken wolltet, Damisela, würde auch ich in Flammen auflodern.«
Sie wandte sich ihm ein wenig zu, und obwohl sie die Augen nicht hob, sah er, daß ihre Mundwinkel sich zu einem schwachen Lächeln verzogen.
Plötzlich fiel ein Schatten über sie.
»Mirella«, befahl Meister Gareth streng, ~>geh ins Zeit und hilf Melora, eure Betten herzurichten.«
Sie errötete, erhob sich schnell und hastete in das Zelt. Auch Bard stand auf und sah den alten Zauberer zornig an.
»Mit allem Respekt, ich warne Euch, vai dom«, sagte Meister Gareth. »Sucht Euch Eure Mädchen anderswo. Diese eine ist nicht für Euch.«
»Was geht das Euch an, Alter? Ist sie Eure Tochter? Oder vielleicht Eure Liebste, Eure Verlobte?« wollte Bard wütend wissen. »Oder habt Ihr ihre Treue mit Euren Zaubersprüchen gewonnen?«
Meister Gareth schüttelte lächelnd den Kopf. »Nichts von alledem. Aber auf einem Feldzug bin ich verantwortlich für die Frauen, die mit mir reiten, und sie dürfen nicht berührt werden.«
»Mit Ausnahme von Euch vielleicht?«
Wieder das stumme Kopfschütteln und das Lächeln. »Ihr wißt nichts über die Welt, in denen die Leroni leben, Sir. Melora ist meine Tochter. Ich werde es nicht zulassen, daß sie für ein flüchtiges Abenteuer mißbraucht wird. Sie soll nicht berührt werden, falls es nicht ihr eigener Wunsch ist. Was nun Mirella betrifft, so muß sie ihre Jungfräulichkeit für das Gesicht bewahren, und jeden, der sie nimmt, trifft ein Fluch, solange sie nicht aus eigenem Entschluß auf ihre Zukunft verzichtet. Ich warne Euch, haltet Euch von ihr fern.« Betroffen, mit rotem Gesicht und dem Gefühl, wie ein gescholtener Schuljunge vor den ruhigen Augen des alten Zauberers zu stehen, senkte Bard den Kopf und murmelte: »Das wußte ich nicht.« »Nein, und darum sage ich es Euch«, entgegnete der alte Mann freundlich. »Denn Mirella war zu schüchtern, es selbst zu tun. Sie ist nicht an Menschen gewöhnt, die ihre Gedanken nicht lesen können.« Bard warf einen verdrießlichen Blick zu dem Zelt hinüber. Er dachte, sie hätten besser die fette und häßliche Melora für das Gesicht bestimmen sollen, denn welcher Mann hätte Lust, ihr die Jungfräulichkeit zu rauben? Da mußte er ihr Gesicht zuerst mit einem Futterbeutel zudecken! Warum war es die hübsche Mirella? Meister Gareth lächelte immer noch liebenswürdig, aber Bard überkam Plötzlich das unheimliche Gefühl, daß der alte Mann seine Gedanken las.
»Kommt, kommt, Sir«, meinte Meister Gareth gutmütig, » Ihr seid mit Prinzessin Carlina verlobt. Es ist Euer nicht würdig, nach einer einfachen Leronis zu sehen. Liegt heute nacht allein, und vielleicht werdet Ihr von der hochgeborenen Frau träumen, die zu Hause auf Euch wartet. Schließlich könnt Ihr nicht jede Frau haben, auf die Euer lüsterner Blick fällt. Zeigt nicht solch häßliche Laune! «
Bard stieß einen Fluch aus und ging. Er war nicht so dumm, daß er einen Laranzu verärgert hätte, von dem der Ausgang des Feldzugs abhängen mochte, aber die Art des alten Mannes, als spreche er zu dem grünsten aller Jungen, brachte ihn in Wut. Was ging das Meister Gareth an?
Der Mann, der zur Bedienung der Offiziere mitgeritten war, hatte für sie, abgetrennt von den anderen, ein kleines drittes Lager aufgeschlagen. Bard ging, um das für die Männer gekochte Essen zu probieren - er hatte gelernt, nie seine eigene Mahlzeit zu sich zu nehmen, bis Pferde und Männer für die Nacht versorgt waren - und um den Pferch für die Pferde zu inspizieren. Als er zurückkam, wartete Beltran schon auf ihn. »Du siehst aus, als hättest du schlechte Laune, Bard. Was ist los mit dir?«
»Verdammter alter Raubvogel«, knurrte Bard. »Hatte Angst, ich könnte seine kostbare jungfräuliche Leronis berühren, obwohl ich nichts weiter tat, als der Kleinen mein Feuerzeug anzubieten! « Beltran lachte vor sich hin. »Das ist doch ein Kompliment, Bard! Er weiß, daß du mit Frauen umzugehen verstehst. Dein Ruf ist dir vorausgeeilt, das ist alles. Er fürchtet, kein Mädchen könne dir widerstehen und ihre Jungfräulichkeit in deiner Anwesenheit bewahren!«
Diese Auslegung gab Bard ein bißchen von seiner Selbstachtung zurück. Er kam sich jetzt nicht mehr ganz so wie ein gescholtener Schuljunge vor.
»Meiner Meinung nach«, sprach Beltran weiter, »ist es verkehrt, Frauen mit auf einen Feldzug zu nehmen - das heißt, anständige Frauen. Vermutlich muß jede Armee Troßdirnen haben, obwohl ich selbst keinen Geschmack an ihnen finde. Wenn ich schon Frauen um mich haben muß, ziehe ich die Art vor, die nicht so aussieht, als würden sie nur gewaschen, wenn der Herbstregen sie im Freien überrascht. Aber anständige Frauen auf einem Feldzug sind eine Versuchung für den Unkeuschen und ein Ärgernis für den Keuschen, der seine Gedanken auf den Kampf konzentriert.«
Bard nickte. Was Beltran sagte, war richtig. Er antwortete: »Und was mehr ist, wenn sie erreichbar sind, werden die Männer sich um sie schlagen, und wenn sie nicht erreichbar sind, werden sie ihretwegen wie Schlafwandler herumstolpern.«
Beltran erklärte: »Sollte der Tag kommen, an dem ich meines Vaters Armee befehlige, werde ich es verbieten, daß eine Leronis mitreitet. Es gibt genug Laranzu’in, und ich persönlich finde, Männer sind für diese Kunst sowieso besser geeignet. Frauen sind zu zimperlich und haben bei der Truppe ebenso wenig etwas verloren wie Carlina oder einer unserer kleinen Brüder! Wie alt ist dein kleiner Bruder jetzt?« »Er muß acht sein«, antwortet Bard. »Neun zu Mittwinter. Ob er mich wohl vergessen hat? Ich bin nicht wieder zu Hause gewesen, seit mein Vater mich an den Hof schickte.«
Beltran klopfte ihm verständnisvoll auf die Schulter. »Du kannst aber doch sicher Urlaub bekommen, um vor Mittwinter nach Hause zu reisen.«
»Wenn der Kampf in Hammerfell vorbei ist, ehe der Schnee die Straßen unpassierbar macht«, sagte Bard, »dann will ich es tun. Meine Pflegemutter liebt mich nicht, aber sie kann mich nicht von meinem Vaterhaus fernhalten. Ich möchte zu gern sehen, ob Alaric mich immer noch gern hat.« Bei sich dachte er, daß er vielleicht seinen Vater bitten könnte, zu seiner Hochzeit zu kommen. Nicht jeder König von Ardrins Pflegesöhnen wurde von dem König selbst di catenas verheiratet!
Sie blieben noch lange im Gespräch wach, und als sie endlich einschliefen, war Bard recht zufrieden. Er dachte kurz und voller Bedauern an die hübsche Mirella, aber schließlich stimmte es, was Meister Gareth gesagt hatte. Er hatte Carlina, und schon bald würden sie verheiratet sein. Beltran hatte recht: Tugendhafte Frauen hatten bei der Armee des Königs nichts zu suchen.

Am nächsten Morgen wandten sie sich nach einer kurzen Besprechung mit Meister Gareth und Beltran in die Richtung der Furt bei Morays Mühle. Heute wußte kein lebender Mensch mehr, wer Moray gewesen war, obwohl man sich auf dem Land Geschichten über ihn erzählte, die ihn zu allem möglichen vom Riesen bis zum Drachenhüter machten. Aber nahe der Furt standen immer noch die Ruinen einer Mühle, und ein Stück weiter stromaufwärts war eine zweite Mühle noch in Betrieb. Eine Zollschranke sperrte die Straße ab, und als Bards Männer sich ihr näherten, kam der Zolleinnehmer, ein fetter, ergrauender Mann, heraus und sagte: »Auf Befehl des Lords von Dalereuth ist diese Straße geschlossen, meine Lords. Ich habe geschworen, die Schranke keinem zu öffnen, der ihm nicht Tribut zahlt oder von ihm sicheres Geleit innerhalb seiner Grenzen bewilligt bekommen hat.«
»Bei sämtlichen Höllen Zandrus - «, begann Bard, aber Prinz Beltran ritt nach vorn. Hoch ragte er über dem kleinen Mann mit seiner Müllerschürze auf.
»Ich bin gern bereit, dem Lord von Dalereuth eine Kopfsteuer zu zahlen«, sagte Beltran. »Ich bin sicher, er würde den Kopf eines unverschämten Burschen, wie du es bist, zu würdigen wissen. Rannvil … « Er winkte, und einer der Reiter zog sein Schwert. »Öffne die Tore, Mann, sei kein Dummkopf.«
Der Zolleinnehmer ging mit klappernden Zähnen zu dem Mechanismus, mit dem das große Zolltor beiseite gerollt werden konnte. Beltran warf ihm verächtlich ein paar Münzen hin. »Hier ist dein Tribut. Aber wenn auf unserm Rückweg das Tor wieder für uns geschlossen ist, hast du mein Wort darauf, daß ich es von meinen Männern aus dem Boden reißen und deinen Kopf darauf setzen lasse, um die Krähen zu verscheuchen!«
Als sie hindurchritten, hörte Bard den Mann etwas brummen. Er beugte sich aus dem Sattel nieder und packte ihn bei der Schulter. »Was das auch war, sag es uns laut ins Gesicht, du!«
Der Mann blickte auf, sein Kinn war zornig vorgeschoben. Er sagte: »Die Streitigkeiten unter Höhergestellten gehen mich nichts an, vai dom. Warum sollte ich leiden, weil Ihr Edelleute nicht innerhalb Eurer Landesgrenzen bleiben könnt? Mich kümmert nur meine Mühle. Aber Ihr werdet weder auf diesem noch auf einem anderen Weg zurückkommen. Ich habe nichts damit zu tun, was Euch an der Furt da hinten erwartet. Und jetzt, gewinnt Euch Ehre, wenn Ihr wollt, indem Ihr einen unbewaffneten Mann tötet! «
Bard ließ ihn los und richtete sich wieder auf. Er sagte: »Dich töten? Warum? Danke für deine Warnung; du bist gut bezahlt worden.« Er sah dem Mann nach, der zu seiner Mühle ging, und obwohl er seit seinem vierzehnten Jahr Soldat war, dachte er jetzt stirnrunzelnd darüber nach, warum all diese Kriege sein mußten. Warum konnte jeder Adlige, wenn ihn die Lust dazu anwandelte, sich zum Souverän über sein Land erklären? Das schuf nur mehr Arbeit für die Söldner. Vielleicht, dachte er, sollte dies ganze Land unter einer Herrschaft vereinigt werden, damit von den Hellers bis zum Meer Frieden an den Grenzen istund kleine Leute wie dieser Müller könnten in Frieden ihre Felder bestellen und ihr Mehl mahlenund ich könnte auf den Gütern, die der König mir verliehen hat, mit Carlina leben … Aber er hatte jetzt wenig Muße, darüber nachzudenken. Er rief in dringendem Ton nach Meister Gareth und hob die Hand, um den Männern Halt zu gebieten.
»Ich bin gewarnt worden«, sagte Bard, »daß etwas an der Furt auf uns wartet, aber ich sehe nichts. Hat Euer Vogel Euch Kunde gebracht, oder hat eine Eurer Frauen durch ihre Zauberkraft etwas gesehen?« Meister Gareth winkte die von ihrem Mantel verhüllte Mirella herbei und sprach leise mit ihr. Sie zog ihren Sternenstein aus dem Beutel an ihrem Hals und blickte hinein.
Nach einem Augenblick erklärte sie mit leiser, entrückter Stimme: »Es wartet weder Mensch noch Tier an der Furt auf uns, aber es ist Dunkelheit dort und eine Barriere, die wir vielleicht nicht passieren können. Wir müssen mit großer Vorsicht weiterreiten, Verwandter.« Meister Gareth hob den Blick und begegnete dem Bards. Er sagte: »Sie hat das Gesicht; wenn dort eine Dunkelheit ist, die sie nicht durchdringen kann, müssen wir in der Tat die größte Vorsicht walten lassen, Sir.«
Aber die Furt lag ruhig und friedlich im Sonnenlicht. Seichte Wellen kräuselten sich unter karminroten Glanzlichtern. Bard runzelte die Stirn und versuchte zu erkennen, was vor ihnen lag. Er konnte nichts sehen, keinen Hinweis auf einen Hinterhalt, keine sich bewegenden Zweige oder Äste auf der anderen Seite der Furt, wo ein Pfad zwischen überwachsenen Bäumen nach oben führte. Das wäre wirklich ein guter Platz für einen Hinterhalt.
»Wenn Ihr mit Hilfe der Zauberei oder des Gesichts nicht über die Furt hinaussehen könnt«, sagte er, »kann dann nicht der Kundschaftervogel vorausfliegen und nachsehen, ob sich dort drüben ein Hinterhalt befindet?«
Meister Gareth nickte. »Selbstverständlich. Der Vogel ist nur ein Tier und hat nichts mit Zauberei beziehungsweise der Magie eines ausgebildeten Geistes zu schaffen. Das einzige Magische an dem Vogel ist Meloras und meine Fähigkeit, mit ihm in Rapport zu treten. Melora«, rief er, »Kind, laß den Kundschaftervogel fliegen.« Bard sah zu, wie der grimmige Vogel in die Luft stieg und über der Furt kreiste. Nach einer Weile schüttelte Meister Gareth sich, erwachte und winkte Melora, die die Hand ausstreckte und den zurückkehrenden Vogel darauf landen ließ. Sie streichelte sein Gefieder und fütterte ihm ein paar Leckerbissen, bevor sie ihm die Kappe wieder über den Kopf streifte. Meister Gareth sagte: »Niemand, weder Mensch noch Tier, ist jenseits der Furt versteckt. Auf viele Meilen gibt es kein lebendes Geschöpf außer einem Mädchen, das eine Herde Rabbithorns hütet. Was auch hier an der Furt wartet, vai dom, es ist kein Hinterhalt bewaffneter Männer.« Bard und Beltran wechselten einen Blick. Dann sagte Beltran: »Wir können hier nicht den ganzen Tag auf einen Schrecken warten, den kein Mensch sehen kann. Ich denke, wir reiten zu der Furt weiter. Aber Ihr, Meister Gareth, bleibt zurück, denn wir müssen Euch in Reserve haben, falls Ihr gebraucht werdet. Ich habe von Zauberern gehört, die den Vormarsch einer Armee aufhielten, indem sie einen Wald oder ein Feld in Brand steckten, und ich denke, etwas in der Art könnte sich jenseits der Furt befinden. Davor müssen wir uns in acht nehmen. Bard, willst du den Befehl zum Weiterreiten geben? « Bards Haut prickelte. Das war Ihm schon ein- oder zweimal in der Anwesenheit Von Laran so gegangen. Er selbst hatte nur wenig von dieser Gabe, aber irgendwie spürte er sie bei anderen. Er wusste das es das talent gab, die Anwendung von Laran zu riechen. Wenn er in seiner Anwendung geschult worden wäre, könnte er es vielleicht auch. Das hätte ganz nützlich sein können. Er hatte immer gedacht, Geremy, der sich zum Laranzu heranbildete, sei irgendwie nicht ganz so Mann und Soldat wie Beltran und er selbst. Während er jetzt Meister Gareth zusah, sagte er sich, daß diese Arbeit ihre eigenen Gefahren und Schrecken haben mochte, auch wenn ein Laranzu unbewaffnet in die Schlacht ritt. Das allein muß angsterregend genug sein, dachte Bard und legte seine Hand an sein Schwert, um sich seiner zu vergewissern. Er wandte sich seinen Männern zu und befahl: »Zu vieren abzählen! « Keinem Mann konnte er befehlen, als erster in irgendein unbekanntes Grauen hineinzureiten. Als abgezählt worden war, sagte er: »Gruppe zwei, vorwärts! « und setzte sich an ihre Spitze.
Wieder prickelte seine Haut, und seine Stute warf protestierend den Kopf hoch, als sie vorsichtig einen Fuß ins Wasser gesetzt hatte. Aber die Furt lag ruhig da, und Bard gab den Befehl:
»Langsam hindurchreiten! Zusammenbleiben!«
Über ihnen, ganz am Rand seines Sichtbereichs, sah er eine flüchtige Bewegung. Hatte Meister Gareth den Kundschaftervogel nicht zurückgerufen? Ein schneller Blick zeigte ihm, daß Meloras Falke ruhig mit seiner Kappe auf dem Kopf vor der Frau auf dem Sattelknopf saß. Dann wurden sie also aus der Ferne beobachtet. Gab es irgendeine Verteidigung dagegen?
Sie waren jetzt inmitten des Flusses, wo das Wasser am tiefsten war und die Sprunggelenke der Pferde umspülte. Einem großen Mann wäre es bis an die Schenkel gegangen. Einer der Soldaten meinte: »Hier ist nichts, Sir. Wir können die anderen rufen, daß sie uns nachkommen.«
Bard schüttelte den Kopf. Innerlich fühlte er dies Prickeln, das ihn vor einer Gefahr warnte, stärker werden. Er biß die Zähne zusammen und fragte sich, ob er sein Frühstück ausspucken werde wie eine schwangere Frau …
Er hörte Meister Gareth rufen und wendete sein Pferd mitten im Fluß. »Zurück!« brüllte er. »Reitet zurück … «
Das Wasser brodelte und stieg bis zum Widerrist seines Pferdes. Plötzlich war die friedliche Furt ein wütender, gischtender Strom, eine rasende Unterströmung saugte und riß. Bards Pferd stolperte unter ihm, als sei er in einen vom Frühlingstauwetter zu gefährlichen Stromschnellen angeschwollenen Gebirgsbach hineingeritten. Hexenwasser! Er zog an den Zügeln, er versuchte, sein wieherndes, untertauchendes Pferd zu beruhigen, es trotz der Gefahr, vom Wasser mitgerissen zu werden, ruhig zu halten. Um ihn kämpfte jeder Mann der Gruppe mit den vor Angst wahnsinnigen Pferden. Bard fluchte. Es gelang ihm, seine Stute unter Kontrolle zu bekommen und zurück zum Ufer zu lenken. Er sah, daß einer seiner Männer aus dem Sattel glitt und in den Wogen verschwand. Ein anderes Pferd stolperte. Bard faßte hinüber und ergriff den Zügel, sein eigenes Pferd mit einer Hand regierend.
»Haltet sie fest! Im Namen aller Götter, haltet sie fest! Zurück zum Ufer! « brüllte er. »Bleibt zusammen! «
Die Überraschung war das Schlimmste; sein Pferd war eigentlich an Bergbäche und Furten gewöhnt. Hätte er es vorher gewußt, wäre es ihm vielleicht gelungen, die Stute hinüberzubringen. Mit fest geschlossenen Knien, stets entgegen der Richtung des Wassers, das ihr jetzt bis zum Hals ging, brachte er sie wieder auf trockenes Land. Er stellte sich ans Ufer und griff nach den Zügeln der anderen, wie sie eintrafen. Ein Pferd lag mit gebrochenem Bein. Es trat um sich und schrie wie eine Frau, bis es ertrank. Bard schnürte es die Kehle zusammen. Das arme Geschöpf hatte nie einem lebenden Wesen etwas getan, und es hatte einen entsetzlichen Tod gefunden. Von dem Reiter gab es keine Spur. Ein zweites Pferd rutschte aus, aber der Reiter sprang im Wasser ab und riß es wieder hoch. Dann zerrte er das hinkende Tier zum Ufer hin. Kurz davor sank er selbst zu Boden und zappelte halb ertrunken, bis einer der Männer die Böschung hinuntersprang, ihn faßte und herausholte.
Bard sah, daß der letzte Mann das Wasser verlassen hatte, und dann schrie er auf vor Schreck und Grauen. Denn wieder lag das Wasser ruhig und seicht vor ihnen als die friedliche, normale Furt von Morays Mühle.
Das also hatte der kleine Mann gemeint
In düsterer Stimmung überprüften sie die Pferde. Das Pferd, das ein Bein gebrochen hatte, lag jetzt still und tot da, und von seinem Reiter war weit und breit nichts zu sehen. Entweder lag er unter den Wassern der Furt, oder er war von dem Strom mitgerissen worden, und seine Leiche würde weiter flußabwärts an die Oberfläche kommen. Ein anderer Mann hatte es ans Ufer geschafft, aber sein Pferd lahmte und war unbrauchbar geworden. Ein drittes Pferd hatte seinen Reiter abgeworfen und war allein ans Ufer gekommen. Der Mann lag bewußtlos im seichten Wasser, von den Wellen geschaukelt. Bard winkte einem seiner Kameraden, ihn aufs Trockene zu ziehen, und dann ließ er seine Finger kurz über die klaffende Kopfwunde gleiten. Wahrscheinlich würde der Mann nie wieder aufwachen.
Bard segnete die Vorausschau - wie sie auch zustande gekommen sein mochte -, die ihn gedrängt hatte, nur ein Viertel seiner Männer in den Fluß zu schicken. Andernfalls hätten sie ein halbes Dutzend Männer statt nur zwei Männer und zwei Pferde verloren, und vielleicht wären noch mehr Pferde gelähmt oder verletzt worden. Er winkte Meister Gareth zu sich. Grimmig erklärte er:
»Also das lag in der Dunkelheit, die Euer Mädchen nicht lesen konnte!«
Der Mann schüttelte seufzend den Kopf. »Es tut mir leid, vai dom … Wir sind mit Psi-Kräften begabte Menschen, keine Zauberer, und unsere Kräfte sind nicht unbegrenzt. Darf ich es wagen, zu unserer Verteidigung vorzubringen, daß Eure Männer ohne uns vollständig ungewarnt in die Furt geritten wären?«
»Das ist wahr«, gab Bard zu, »aber was tun wir jetzt? Wenn die Furt gegen uns verhext ist - haben wir die Falle jetzt ausgelöst, oder wird sie von neuem zuschnappen, sobald wir einen Fuß ins Wasser setzen?«
»Das kann ich nicht sagen, mein Lord. Aber vielleicht verrät es uns Mirellas Gesicht«, und er winkte sie zu sich. Er sprach zu ihr mit leiser Stimme, und wieder blickte das Mädchen in seinen Sternenstein. Schließlich erklärte sie mit ihrer schwebenden, schlaftrunkenen Zauberstimme: »Ich kann nichts sehen … es liegt Dunkelheit auf dem Wasser…«
Bard fluchte lästerlich. Dann war der Zauber also immer noch vorhanden. Er erkundigte sich bei Beltran: »Glaubst du, wir können jetzt, wo wir gewarnt sind, die Furt überqueren?«
Beltran antwortete: »Vielleicht, wenn die Männer wissen, was auf sie zukommt. Es sind ausgesuchte Kämpfer und gute Reiter, jeder einzelne von ihnen. Aber Meister Gareth und die Leroni können wahrscheinlich nicht hinüber, ganz bestimmt die eine nicht, die den Esel reitet … «
Meister Gareth erklärte: »Wir sind geübte Leroni, Sir. Wir teilen die Gefahren der Armee, und meine Tochter und meine Pflegetochter gehen dahin, wohin ich gehe. Sie haben keine Angst.«
»Es ist nicht ihr Mut, an dem ich zweifle«, sagte Bard ungeduldig. »Es ist ihre Geschicklichkeit als Reiterinnen. Außerdem würde dieser kleine Esel in der ersten Welle ertrinken. Ich will nicht, daß eine Frau dabei umkommt, und außerdem brauchen wir Euch, wenn es zum Kampf kommt. Könnt Ihr, bevor wir irgend etwas unternehmen, dafür sorgen. daß wir nicht ausspioniert werden?« Er wies gereizt auf den über ihnen kreisenden fremden Kundschaftervogel.
»Ich werde tun, was ich kann, Sir, aber ich glaube, wir konzentrieren unsere Kräfte besser auf das Hexenwasser der Furt«, gab Meister Gareth zurück.
Bard nickte. Er dachte darüber nach. Wie ein Befehlshaber seine Männer zum besten Nutzen einsetzte, so mußte er auch, das begriff er allmählich, die Stärke der Leroni seiner Armee zusammenhalten und sinnvoll benutzen.
Hat König Ardrin mir dies Kommando gegeben, damit ich Gelegenheit finde, nicht mir Kämpfer, sondern auch Zauberer zu befehligen? Selbst jetzt unter dem Druck notwendiger Entscheidungen dachte er erregt daran, daß dies Gutes für seine Zukunft bedeutete. Wenn…, dachte er, schnell ernüchtert, er diese scheinbar einfache Mission zu Ende führen konnte, ohne alle seine Männer an der verhexten Furt zu verlieren!
»Meister Gareth, dies ist ein Gebiet, auf dem Ihr Spezialwissen habt. Was empfehlt Ihr mir?«
»Wir können versuchen, das Wasser mit einem Gegenzauber zu belegen, Sir. Ich kann es nicht garantieren - denn ich weiß ja nicht, wer uns gegenübersteht und welche Kräfte sie haben -, aber wir werden unser Bestes tun, das Wasser zu beruhigen. Einen Vorteil haben wir: Es bedarf ungeheurer Energien, auf diese Weise in die Natur einzugreifen, und lange kann man so etwas nicht aufrechterhalten. Die Natur strebt stets danach, zum Normalen zurückzukehren; das Wasser sucht seinen angemessenen Lauf. So arbeitet die Gewalt des natürlichen Wassers für uns, während die anderen gegen diese Naturkraft kämpfen müssen. Deshalb sollte unser Gegenzauber nicht zu schwierig sein.«
»Alle Götter mögen geben, daß Ihr recht habt«, sagte Bard. »Trotzdem werde ich den Männern sagen, sie sollen sich auf Stromschnellen gefaßt machen.« Er ritt zwischen ihnen umher, sprach mit diesem und jenem und sagte dem Mann, dessen Pferd lahmte, er solle das nehmen, dessen Reiter umgekommen war. Dann lenkte er sein Pferd nahe an Beltran heran und sagte: »Reite neben mir, Pflegebruder. Ich möchte nicht vor das Angesicht meines Herrn und Königs treten müssen, wenn ich es zugelassen habe, daß du in den Stromschnellen getötet wurdest. Fielest du in der Schlacht, glaube ich, daß er es verwinden könnte. Aber für etwas anderes will ich nicht verantwortlich sein.« Beltran lachte. »Meinst du, du reitest soviel besser als ich, Bard? Da irrst du dich! Ich glaube, du überschreitest deine Vollmacht ich, nicht du, habe den Befehl über diese Expedition! « Doch er sagte es lachend, und Bard zuckte die Schultern.
»Wie du willst, Beltran, aber im Namen der Götter, sei vorsichtig. Mein Pferd ist größer und schwerer als deins, weil es mein Gewicht zu tragen hat, und ich mußte alle Kräfte anstrengen, um im Sattel zu bleiben!«
Er wendete sein Pferd und ritt wieder zu Meister Gareth. »Es ist unmöglich, daß Mistress Melora die Furt auf diesem kleinen Esel überquert, wenn Euer Zauber versagt. Kann sie auf einem Pferd sitzen?«
Meister Gareth antwortete: »Ich bin ihr Vater, nicht ihr Mentor oder der Herr ihres Geschicks. Warum fragt Ihr die Dame nicht selbst?« Bard schob das Kinn vor. »Ich habe nicht die Gewohnheit, Frauen Fragen zu stellen, wenn ein Mann anwesend ist, der ihnen Befehle erteilen kann. Aber wenn Ihr darauf besteht - nun, Damisela, könnt Ihr reiten? Wenn ja, wird Euer Vater Mistress Mirella zu sich auf sein Pferd setzen, da sie leichter ist als Ihr, und Ihr sollt ihr Pferd nehmen, das recht ruhig aussieht.«
»Ich möchte mich lieber auf meines Vaters Psi-Kräfte und meine eigenen verlassen«, erwiderte Melora fest. »Glaubt Ihr, ich will mein armes Eselchen dem Ertrinken überlassen?«
»Oh, Hölle und Verdammnis, Frau! « entfuhr es Bard. »Wenn Ihr es fertigbringt, auf einem Pferd zu sitzen, wird einer meiner Männer Euren Esel führen. Ich nehme an, das Vieh kann schwimmen! « »Du mußt dein Bestes tun, um zu reiten, Melora«, fiel Meister Gareth ein. »Und Weißfell bleibt nichts anderes übrig, als zu schwimmen. Ich bin sicher, er kann im Wasser besser für sich selbst sorgen als du. Mirella, mein Kind, gib Melora dein Pferd und steige hinter mir in den Sattel.«
Hurtig kletterte sie auf den Pferderücken, aber die zusehenden Männer erhaschten doch einen Blick auf lange, wohlgeformte Beine in rot und blau geringelten Strümpfen. Sie setzte sich zurecht, strich ihre Röcke glatt und faßte den alten Laranzu um die Mitte. Bard persönlich half, die dicke, ungewandte Melora auf das Pferd des anderen Mädchens zu heben. Dort oben hockte sie, dachte er unbarmherzig bei sich, wie ein auf den Sattel geworfener Sack Mehl.
»Sitzt ein wenig gerader, vai leronis, ich bitte Euch inständig, und haltet die Zügel fester.« Bard seufzte. »Ich sollte wohl lieber neben Euch reiten und Euer Pferd führen.«
»Das wäre freundlich von Euch«, sagte Meister Gareth, »denn wir müssen uns völlig auf den Gegenzauber konzentrieren. Und ich wäre auch sehr dankbar dafür, wenn einer Eurer Männer Meloras Esel führen wollte, weil sie Angst um ihn haben wird.«
Einer der Veteranen platzte lachend heraus: »Mistress Melora, wenn Ihr dies Wasser durch einen Zauber beruhigen könnt, will ich Euren kleinen Esel wie ein Baby quer über meinen Sattel nehmen! « Sie kicherte. Fett und unbeholfen, wie sie war, hatte sie doch eine süße Stimme und ein entzückendes Lachen. »Ich fürchte, das würde ihm mehr Angst einjagen als die Stromschnellen, Sir. Wenn Ihr ihn führt, wird er es schon irgendwie fertigbringen, hinter dem Schwanz Eures Pferdes herzuschwimmen.«
Der Veteran brachte ein Seil und band den Zügel des Esels an den Zügel seines eigenen Pferdes. Bard ergriff die Zügel von Meloras Pferd. Wie schade war es, dachte er, daß es nicht die hübsche Mirella war, und wieder hörte er Meloras süßes Lachen. Voll Unbehagen fragte er sich, ob sie seine Gedanken lesen könne, und riß sich von dieser Überlegung los. Dies war kein Zeitpunkt, über Frauen nachzudenken, nicht wenn sie eine verhexte Furt durchqueren mußten und ihnen ein Kampf bevorstand!
»Um der Liebe aller Götter willen, Meister Gareth, fangt mit Eurem Gegenzauber an.«
Meloras schwerer Körper hing bewegungslos auf dem Pferd. Ein fremder, konzentrierter Ausdruck senkte sich auf Meister Gareths Miene. Mirellas Kapuze rutschte ihr übers Gesicht, so daß nichts mehr von ihr zu sehen war als ihr kleines Kinn. Bard beobachtete die drei Leroni und spürte an dem Prickeln in seinem Rückgrat, daß irgendwo in der Nähe kraftvolles Laran am Werk war
her wußte er das, was war das?
Mit einem merkwürdigen Widerstreben, die bedeutungsvolle Stille durch ein Wort oder einen Ruf zu unterbrechen, winkte Bard die Männer schweigend vorwärts. Er spürte das Prickeln immer noch. Jetzt zog er am Zügel seines Pferdes und trieb es an. Die Stute warf ihren Kopf und wieherte nervös. Sie erinnerte sich, was geschehen war, als sie das erste Mal die Furt beschritten hatte.
»Ruhig, ruhig, Mädchen«, redete er ihr mit leiser Stimme zu, und er dachte: Ich nehme es ihr ganz und gar nicht übel, mir geht es genauso … Aber er war ein denkender Mensch, kein vernunftloses Tier, und er würde sich nicht blinder, sinnloser Furcht überlassen.
Von Stimme und Händen gedrängt, setzte die Stute einen Fuß in das Wasser, und Bard winkte den Männern hinter ihm.
Nichts geschah … aber es war auch beim ersten Mal nichts geschehen, bis sie in der Mitte des Flusses gewesen waren. Bard trieb das Pferd weiter an und hielt dabei, sich im Sattel zur Seite drehend, Meloras Zügel. Nach ihm kam Meister Gareth mit Mirella hinter sich, dann folgten die Männer, Prinz Beltran als Nachhut.
Nun waren sie alle im Wasser. Wenn der feindliche Zauber noch wirksam war, würde die Flut jetzt über sie hereinbrechen. Er machte sich darauf gefaßt, er fühlte das unablässige Prickeln, das ihm zeigte, es war Laran am Werk, und es nahm zu, bis er das Gegeneinanderwirken der Kräfte von Zauber und Gegenzauber über der Furt beinahe sehen konnte. Sein Pferd schien durch verfilzte Schlinggewächse zu schreiten, obwohl davon nichts zu sehen war … Dann, ganz plötzlich, war es vorbei, verschwunden. Der Fluß strömte still und unschuldig dahin und war wieder gewöhnliches Wasser. Bard stieß den zurückgehaltenen Atem aus und bohrte seiner Stute die Fersen in die Weichen. Die ersten Reiter hatten das gegenüberliegende Ufer schon zur Hälfte erklommen, und er hielt mitten im Fluß an und ließ die übrigen an sich vorüber.
Für den Augenblick wenigstens hatten ihre Leroni die feindlichen Zauberer besiegt.

Bisher war das Wetter auf diesem Feldzug gut gewesen. Aber als der Tag zu Ende ging, verdunkelte sich der Himmel mit immer dicker werdenden Wolken, und gegen Abend begann Schnee zu fallen, leicht, aber ergiebig. Zuerst fielen hin und wieder ein paar dicke, verklumpte, nasse Flocken, dann wurden sie schärfer und härter, und sie fielen und fielen und fielen mit idiotischer Unablässigkeit. Melora, die wieder ihren Esel ritt, wickelte sich fest in ihren grauen Mantel und zog sich eine Decke über den Kopf. Die Soldaten holten einer nach dem anderen Schals und Handschuhe und dicke Kapuzen hervor und ritten mit mißmutigen Gesichtern dahin. Bard wußte, was sie dachten. Krieg wurde traditionellerweise im Sommer geführt, und im Winter blieben alle bis auf die Wahnsinnigen oder Verzweifelten bei ihren eigenen Feuerstellen. Ein Winterfeldzug brachte ein bestimmtes Maß an Gefahr mit sich. Die Männer mochten mit einiger Berechtigung sagen, daß sie König Ardrin wohl dienstpflichtig seien, dies jedoch über Brauch und Recht hinausging. Es war eben nicht üblich, Soldaten in einen Schneesturm wie diesen, der sich leicht zu einem Blizzard verstärken konnte, hineinreiten zu lassen, und deshalb hatte der König kein Recht, es von ihnen zu verlangen. Wie konnte Bard sie bei der Stange halten? Zum ersten Mal wünschte er, er hätte nicht hier den Befehl, sondern reite zu König Ardrins rechter Hand nach Norden auf Hammerfell zu als Bannerträger seines Souveräns. Für den König war es leicht, mit Hilfe seines persönlichen Einflusses und seiner Macht treue Dienste zu erlangen, die über das Übliche hinausgingen. Der König konnte den Männern Versprechungen machen, und zwar sehr verlockende. Bard war sich peinlich bewußt, daß er erst siebzehn Jahre zählte, daß er nichts war als der Bastardneffe des Königs und sein Pflegesohn, daß er über die Köpfe vieler erfahrenerer Offiziere hinweg befördert worden war. Wahrscheinlich gab es sogar in den Reihen dieser Männer, die er selbst für den Feldzug ausgesucht hatte, solche, die nur darauf warteten, daß er zu Schaden kam, daß er irgendeinen schrecklichen, nie wiedergutzumachenden Fehler beging. Hatte der König ihm dies Kommando nur gegeben, damit er sich übernahm, damit er sich als der grüne, unerfahrene Krieger sah, der er war?
Trotz seines Triumphs und der Auszeichnung auf dem Schlachtfeld von Snow Glen war er noch ein Junge. Konnte er diese Mission überhaupt durchführen? Hoffte der König, daß er versagte, so daß er ihm Carlina verweigern konnte? Was mochte vor ihm liegen, wenn er versagte? Würde er degradiert, in Schande nach Hause geschickt werden?
Er ritt nach vorn, um sich Meister Gareth anzuschließen, der den unteren Teil seines Gesichts in einen dicken, roten Strickschal gehüllt hatte, während ihm die Kapuze des grauen Zauberermantels über die Augen fiel. Bard fragte schroff: »Könnt Ihr gar nichts gegen dies Wetter unternehmen? Ist das ein beginnender Blizzard oder nur ein Schneegestöber?«
»Ihr verlangt zuviel von meinen Kräften, Sir«, antwortete der ältere Mann. »Ich bin ein Laranzu, kein Gott; das Wetter kann ich nicht befehligen.« Ein Mundwinkel verzog sich in einem Anflug von Humor zu einem schiefen Lächeln. »Glaubt mir, Meister Bard, wenn ich das Wetter befehligen könnte, würde ich es schon meinetwegen tun. Ebenso wie Ihr friere ich und bin vom Schnee geblendet, und meine Knochen sind älter und fühlen die Kälte stärker.«
Bard war wütend, daß er seine eigene Unzulänglichkeit eingestehen mußte. »Die Männer murren, und ich habe ein wenig Angst vor einer Meuterei. Ein Winterfeldzug - solange das Wetter gut war, machte es ihnen nichts aus. Aber jetzt - «
Meister Gareth nickte. »Das ist mir klar. Nun, ich will festzustellen versuchen, wie weit sich dieser Sturm erstreckt und ob wir bald aus ihm hinauskommen. Doch gehört die Wetter-Magie nicht zu meinen besonderen Fähigkeiten. Darin ist nur einer der Laranzu´in seiner Majestät gut, und das ist Meister Robyl, der mit dem König nach Hammerfell geritten ist. Er meinte, im Norden am Rand der Hellers, wo die Schneefälle heftiger sind, werde er nötiger gebraucht. Aber ich werde mein Bestes tun.«
Und als Bard sich abwandte, setzte er hinzu: »Seid guten Mutes, Sir. Der Schnee erschwert uns das Vorankommen, aber uns längst nicht so sehr wie der Karawane mit dem Haftfeuer. Dort müssen sie all diese Karren und Wagen durch den Schnee schieben, und wenn er zu tief wird, können sie überhaupt nicht mehr weiter.«
Bard sagte sich, daß er daran hätte selbst denken sollen. Schnee machte die Karren und Wagen der Karawane unbeweglich, während leichte Reiterei immer noch durchkommen und kämpfen konnte. Außerdem, wenn es stimmte, daß zum Schutz der Karawane Trockenstädter-Söldner angeheuert waren, die aus einem wärmeren Klima stammten, mochten sie durch den Schnee in Verwirrung geraten. Bard ritt zu den Männern, hörte sich ihr Murren und ihre Proteste an und hielt ihnen das vor Augen. Obwohl der Schnee nicht aufhörte zu fallen und sogar noch dichter wurde, schien der Gedanke sie ein bißchen aufzumuntern.
Die Wolken und der fallende Schnee wurden jedoch immer dicker, und nach einem Wort mit Beltran ließ Bard früh haltmachen. Nichts war dabei zu gewinnen, wenn er murrende Männer zwang, sich durch den gleichen Schnee vorwärtszumühen, der ihre Beute an Ort und Stelle festhielt. Nach dem anstrengenden Tag waren die Männer müde und entmutigt, und einige würden nur ein paar kalte Bissen zu sich genommen und sich sofort in ihre Decken eingerollt haben. Aber Bard bestand darauf, daß Feuer angezündet und warmes Essen gekocht wurde. Er wußte, das tat mehr für die Moral der Männer als alles andere. Das Lager wirkte auch richtig fröhlich, als einmal die Flammen von flachen Steinen hochloderten und mit den abgefallenen Zweigen eines verlassenen Obstgartens - vor ein paar Jahrzehnten von der Nußfäule verwüstet - genährt wurden. Einer der Männer brachte eine kleine Sackpfeife zum Vorschein und begann zu spielen, trauervolle Weisen, die älter waren als die Welt. Die jungen Frauen schliefen in ihrem gemeinsamen Zelt, aber Meister Gareth gesellte sich zu den Männern um das Feuer, und nach einer Weile - zwar protestierte er und sagte, er sei weder Musikant noch Barde - ließ er sich überreden, ihnen die Geschichte von dem letzten Drachen zu erzählen. Bard saß neben Beltran im Schatten des Feuers, kaute auf Trockenobst und hörte mit zu, wie der letzte Drache von einem der Hastur-Sippe erschlagen worden war und wie alle Vierbeiner und Vögel in den Hundert Königreichen, als sie mit dem Laran der Tiere spürten, daß der letzte seines Volkes tot war, ein Klagegeschrei angestimmt hatten, in das sogar die Banshees einfielen aus Trauer um den letzten des weisen Schlangengeschlechts … und der Sohn Hasturs selbst, der neben der Leiche des letzten Drachen auf Darkover stand, hatte gelobt, nie wieder zum Sport auf irgendein lebendes Wesen Jagd zu machen. Als Meister Gareth die Geschichte zu Ende erzählt hatte, applaudierten die Männer und baten um mehr, aber er schüttelte den Kopf und sagte, er sei ein alter Mann und den ganzen Tag geritten und werde sich jetzt in seine Decken hüllen.
Bald darauf lag das Lager dunkel und still da. Nur das mit grünen Zweigen bedeckte kleine rote Auge des Feuers, das man zur Zubereitung des warmen Breis am Morgen brauchte, knisterte und beobachtete unter seiner Decke hervor. Ringsumher zeigten dunkle Dreiecke, wo die Männer in ihren Decken unter wasserfesten Planen lagen, die sie als niedrige Dächer vor dem immer noch fallenden Schnee schützten. Es waren mit gegabelten Stöcken gestützte offene Halbzelte, von denen jedes zwei, drei oder vier Männer beherbergte, die sich aneinanderdrängten und Decken und Körperwärme teilten. Beltran lag an Bards Seite und sah merkwürdig klein und jungenhaft aus. Bard war noch wach. Er blickte in das Feuer und die weiß-silbernen Streifen, die der Schnee wie blasse Pfeile gegen das Licht aufblitzen ließ. Irgendwo, nicht weit von ihnen, saß der Feind mit seinen schweren Karren und Packtieren im Schnee fest. Neben ihm sagte Beltran leise: »Ich wünschte, Geremy wäre bei uns, Pflegebruder.«
Bard lachte beinahe lautlos. »Das wünschte ich mir anfangs auch. Jetzt bin ich nicht mehr so sicher. Vielleicht sind zwei grüne Jungen mit Befehlsgewalt genug, und Meister Gareths Erfahrung und Weisheit kommen uns sehr zustatten. Dafür reitet Geremy, der ein unerfahrener Laranzu ist, mit deinem Vater, der ein fähiger Kommandant ist … Möglicherweise dachte er, wenn wir drei zusammen wären, sähe das Ganze zu sehr nach einem der Jagdausflüge aus, die wir als Jungen unternahmen … «
»Ich denke oft an die Zeit«, sagte Beltran, »als wir drei noch jünger waren und wie jetzt hinausritten. Wir lagen zusammen und blickten ins Feuer und redeten von der Zukunft, wenn wir Männer sein und zusammen ins Feld ziehen würden, in einen richtigen Krieg und nicht in die Scheinschlachten mit Chervine-Herden … Weißt du das noch, Bard?«
Bard lächelte in der Dunkelheit. »Das weiß ich noch. Was planten wir für großartige Feldzüge, wie wollten wir das ganze Land von den Hellers bis zu den Ufern des Carthon und noch das jenseits des Meers unterwerfen … Nun, soviel ist wahr geworden von unseren Träumen, wir reiten alle in den Krieg, genauso, wie wir es vorhatten, als wir noch kaum wußten, an welchem Ende man ein Schwert anfassen muß…«
»Und jetzt ist Geremy ein Laranzu, der mit dem König reitet, und er denkt nur noch an Ginevra, und du bist des Königs Bannerträger, wegen Tapferkeit ausgezeichnet und verlobt mit Carlina, und ich … « Prinz Beltran seufzte in der Dunkelheit. »Nun ja, zweifellos werde ich eines Tages wissen, was ich vom Leben verlange, und wenn ich es nicht tue, wird mein Vater und König es mir sagen.«
»Ach, du«, lachte Bard, »eines Tages wird dir der Thron von Asturias gehören.«
»Das ist keine Sache, über die man lacht«, verwies ihn Beltran, und seine Stimme klang ernst. »Zu wissen, daß ich nur über meines Vaters Grab und durch seinen Tod an die Macht kommen werde … Ich liebe meinen Vater, Bard, und doch glaube ich manchmal, ich werde wahnsinnig, wenn ich an seinem Schemel stehen und darauf warten muß, daß ich etwas Richtiges zu tun bekomme … Ich kann nicht einmal das Königreich verlassen und auf Abenteuer ausziehen, was jedem anderen Untertan freisteht.« Bard spürte, daß der Jüngere erschauerte. »Mir ist so kalt, Pflegebruder.«
Einen Augenblick lang hatte Bard das Gefühl, Beltran sei nicht älter als sein kleiner Bruder, der sich an ihn geklammert und geweint hatte, als er an den Hof des Königs geschickt wurde. Unbeholfen klopfte er Beltrans Schulter. »Hier, da hast du noch ein Stück Decke, ich empfinde die Kälte nicht so stark wie du, das war schon früher so. Versuch zu schlafen. Morgen kommt es vielleicht zum Kampf, zu einem richtigen Kampf, nicht zu einer der Scheinschlachten, an denen wir soviel Spaß hatten, und wir müssen dafür bereit sein.« »Ich habe Angst, Bard. Ich habe immer Angst. Warum fürchtet du und Geremy euch nie?«
Bard stieß ein kurzes, schnaubendes Lachen aus. »Wie kommst du auf den Gedanken, wir fürchteten uns nicht? Wie es bei Geremy ist, weiß ich nicht, aber ich hatte Angst genug, um meine Hosen wie ein Baby naß zu machen, und zweifellos wird es wieder so kommen. Nur habe ich, wenn es geschieht, nicht die Zeit und hinterher nicht den Wunsch, darüber zu reden. Mach dir keine Sorgen, Pflegebruder. Ich weiß doch, daß du dich bei Snow Glen gut gehalten hast.«
»Warum hat dann mein Vater dich und nicht mich befördert?«

Bard setzte sich in der Dunkelheit halb auf und starrte ihn all. »Beißt dieser Floh dich immer noch’? Beltran, mein Freund, dein Vater weiß, daß du alles hast, was du brauchst. Du bist sein Sohn und sein legitimer Erbe, du reitest an seiner Seite, deine Stellung, nur einen Atemzug vom Thron entfernt, ist bereits anerkannt. Er hat mich ausgezeichnet, weil ich sein Pflegesohn und ein Bastard bin. Bevor er mir den Befehl über seine Männer geben konnte, mußte er mich zu jemandem machen, den er von Rechts wegen befördern durfte. Und indem er mich beförderte, schärfte er ein Werkzeug, das er zu benützen wünschte, mehr nicht. Es war kein Zeichen seiner Liebe oder seiner Rücksichtnahme! Bei dem kalten Wirbelwind in Zandrus dritter Hölle, ich weiß es, wenn du es nicht weißt! Bist du ein solcher Narr, daß du auf mich eifersüchtig bist, Beltran? «
»Nein«, antwortete Beltran nachdenklich. »Nein, ich glaube nicht, Pflegebruder.« Und nach einer Zeit, als er Beltrans ruhiges Atmen hörte, schlief Bard ein.

4

Am Morgen schneite es immer noch, und der Himmel war dunkel. Bard schwand der Mut, als er die Männer verdrossen ihrer Arbeit nachgehen sah, dem Versorgen der Pferde, dem Kochen eines großen Topfes Brei, dem Aufpacken und Satteln für den Weiterritt. Er hörte Gemurmel des Inhalts, König Ardrin habe kein Recht, sie im Winter hinauszusenden. Dieser Feldzug sei das Werk seines Pflegesohns, der keine Ahnung von Brauch und Sitte habe. Wer habe je von einer Unternehmung wie dieser gehört, wenn der Winter vor der Tür stand? »Macht schon, Leute«, drängte Bard. »Wenn die Trockenstädter in diesem Wetter reiten können, sollen wir dann verzagen und es zulassen, daß sie das Haftfeuer ins Land bringen, das gegen unsere Dörfer und unsere Familien geschleudert werden soll?«
»Trockenstädtern ist alles zuzutrauen«, brummte einer der Männer. »Als nächstes werden sie im Frühling die Ernte einfahren! Krieg ist ein Geschäft für den Sommer! «
»Und weil sie glauben, wir werden gemütlich zu Hause bleiben, halten sie es für ungefährlich, zuzuschlagen«, wandte Bard ein. »Wollt ihr zu Hause bleiben und sie angreifen lassen?«
»Ja, Warum sollen wir es nicht tun und sie zu uns kommen lassen? Die Verteidigung unserer Heime gegen einen Angriff ist etwas ganz anderes, als hinauszuziehen und nach Mühsal geradezu zu suchen!« begehrte ein stämmiger Veteran auf.
Aber obwohl viel gemurrt und gebrummt wurde, gab es doch keine Widersetzlichkeit oder offene Meuterei. Beltran war blaß und still. Bard dachte an ihr Gespräch in der vergangenen Nacht und sagte sich, daß der Junge Angst hatte. Es war leicht, in Beltran den .Jüngeren zu sehen, obwohl in Wahrheit nur ein halbes Jahr zwischen ihnen lag. Bard war immer soviel größer als seine Pflegebrüder gewesen, immer der Stärkste, der Beste beim Schwertkampf und Ringen und Jagen, ihr unbezweifelter Anführer.
Deshalb suchte er eine Gelegenheit, mit Beltran über seine Besorgnis zu sprechen, die Männer könnten meutern, und ihn zu bitten, zwischen ihnen zu reiten und festzustellen, in welcher Stimmung sie sich befanden.
»Du bist ihr Prinz, und du repräsentierst den Willen ihres Königs. Es mag ein Zeitpunkt kommen, zu dem sie mir nicht mehr gehorchen werden, aber sie werden nicht bereit sein, sich dem eigenen Sohn ihres Königs zu widersetzen«, redete er ihm schuldbewußt ein. Beltran blickte mit brummigem Gesicht zu Bard auf. Sollte er seinerseits Befehle von Bard annehmen? Aber schließlich nickte er und ließ sich von der Spitze zurückfallen, um neben dem einen und anderen der Männer herzureiten, ihnen Fragen zu stellen und mit ihnen zu sprechen. Bard beobachtete ihn und dachte, über dieser Aufgabe habe Beltran vielleicht seine Ängste vergessen - und die aufrührerische Stimmung unter den Männern werde sich angesichts der mitfühlenden Teilnahme ihres Prinzen vielleicht legen.
Und immer noch fiel Schnee. Er reichte jetzt bis zu den Sprunggelenken der Pferde, und allmählich machte Bard sich ernste Sorgen, ob die Tiere durchkommen würden. Er bat Meister Gareth, den Kundschaftervogel auszusenden, erhielt jedoch die schon halbwegs erwartete Antwort, in solchem Wetter werde er nicht aufsteigen.
»Vernünftiges Tier«, brummte Bard. »Ich wünschte, ich könnte es ihm gleichtun! Doch gibt es eine andere Möglichkeit herauszufinden, wie weit die Karawane von uns entfernt ist und ob wir sie heute noch treffen werden?«
Meister Gareth antwortete: »Ich werde Mirella fragen. Aus diesem Grund ist sie ja bei uns, daß sie das Gesicht benutzt. «
Bard blickte zu Mirella hin. Im rieselnden Schnee saß sie auf ihrem Pferd. Durch die dick beschneiten Zöpfe leuchtete die Kupferfarbe ihres Haares. Sie starrte in ihren Kristall. Bläuliches Licht spiegelte sich auf ihrem Gesicht wider. Das einzige Licht an diesem scheußlich trüben Tag schienen der blaue Stein und die Flamme

ihres kupfrigen Haars zu sein. Sie war mit Mantel und Schals verhüllt, aber diese konnten die schlanke Anmut ihres Körpers nicht verstecken. Wieder einmal ertappte Bard sich dabei, daß seine Gedanken bei ihrer Schönheit verweilten. Zweifellos war sie das schönste junge Mädchen, das er je gesehen hatte. Verglichen mit ihr war Carlina ein blasser Stock. Doch Mirella war völlig außerhalb seiner Reichweite, sakrosankt, eine Leronis, die des Gesichts wegen Jungfräulichkeit gelobt hatte. Er sagte sich, mit seiner Gabe könnte er sich vergewissern, daß es nicht gegen ihren Willen sei. Er könnte sie zwingen, freiwillig in sein Bett zu kommen …
Aber damit würde er sich Meister Gareth zum Feind machen. Verdammt, es gab genug willige Weiber in dieser Welt, und er war mit einer Prinzessin verlobt, und auf jeden Fall war jetzt nicht die richtige Zeit, überhaupt an Frauen zu denken!
Mirella seufzte und öffnete die Augen. Auf ihrem Gesicht verblaßte der blaue Schein, und ihr Blick ruhte auf Bard, scheu, ernst, so direkt, daß Bard sich ein wenig verlegen fragte, ob sie lesen könne, was er gerade gedacht hatte.
Sie sagte jedoch nur mit ihrer schwebenden Stimme: »Sie sind nicht weit von uns entfernt, vai dom. Ein Ritt von drei Stunden über jenen Grat dort … « Sie wies die Richtung, aber der Grat, von dem sie sprach, war im fallenden Schnee unsichtbar. »Sie haben Lager gemacht, weil der Schnee dort noch tiefer ist und ihre Karren nicht weiterkönnen. Sie stecken bis zu den Naben der Räder fest, und die Zugtiere können sich nicht mehr bewegen. Eins hat im Geschirr ein Bein gebrochen, und die anderen versuchten durchzugehen und traten sich beinahe gegenseitig zu, Tode. Wenn wir so weiterreiten wie jetzt, werden wir sie bald nach Mittag erreichen.«
Bard ritt davon, um diese Nachricht an seine Männer weiterzugeben. Sie waren darüber gar nicht erfreut.
»Das heißt, wir müssen in tiefem Schnee kämpfen! Und was tun wir mit der Karawane, nachdem wir sie erbeutet haben, wenn die Zugtiere unbrauchbar sind?« erkundigte ein alter Veteran sich mißmutig. »Ich schlage vor, wir lagern hier und warten auf Tauwetter, bei dem wir die Wagen leichter nehmen können. Wenn sie unfähig sind weiterzuziehen, warten sie dort auf uns! «
»Uns werden das Essen und das Futter für die Pferde ausgehen«, gab Bard zu bedenken, »und es ist zu unserem Vorteil, wenn wir den Zeitpunkt der Schlacht bestimmen. Los, wir wollen so früh wie möglich dort sein! «
Sie ritten weiter, und immer noch fiel Schnee. Bard betrachtete stirnrunzelnd die grau verhüllten Leroni. Schließlich ritt er nach vorn und fragte Meister Gareth: »Wie sollen wir die Frauen während der Schlacht schützen, Sir? Wir haben keinen Mann übrig, der sie bewachen kann.«
Ach habe es Euch bereits gesagt«, antwortete Meister Gareth. »Diese Frauen sind fähige Leroni, sie können für sich selbst sorgen. Melora ist schon in einer Schlacht gewesen, und obwohl das auf Mirella nicht zutrifft, habe ich doch keine Angst um sie.«
»Aber diese Männer, gegen die wir kämpfen müssen, sind von Söldnern aus den Trockenstädten begleitet«, erklärte Bard. »Und wenn Eure Tochter und Eure Pflegetochter gefangengenommen werden - ob sie nun Leroni sind oder nicht -, wird man sie in Ketten fortführen und an ein Bordell in Daillon verkaufen.«
Melora schaukelte auf ihrem Esel näher. »Ängstigt Euch nicht um uns, vai dom « Sie legte die Hand auf den kleinen Dolch, der ihr unter dem Mantel am Gürtel hing. »Meine Schwester und ich werden nicht lebend in die Hände der Trockenstädter fallen.«
Die ruhige, sachliche Art, in der sie sprach, schickte einen kalten Schauer über Bards Rückgrat. Merkwürdigerweise spürte er eine Art Verwandtschaft zwischen sich und dieser Frau. Auch er hatte schon früh gelernt, daß ihn in einer Schlacht der Tod oder Schlimmeres ereilen konnte, und der Unterton in Meloras Stimme ließ ihn an seine eigenen ersten Kämpfe denken. Unwillkürlich lächelte er sie an, mit einem schmallippigen, spontanen Grinsen. Er sagte: »Die Göttin möge verhüten, daß es dazu kommt, Damisela. Aber ich habe nicht gewußt, daß es Frauen gibt, die die Fähigkeit zu solchen Entschlüssen und soviel Mut im Krieg haben.«
»Das ist kein Mut«, erwiderte Melora mit ihrer süßen Stimme. »Es ist nur so, daß ich die Ketten und Bordelle der Trockenstädte mehr fürchte als den Tod. Der Tod, so habe ich gelernt, ist ein Tor in ein anderes und besseres Leben, und das Leben hätte keine Freude mehr für mich, wenn ich in Daillon eine Hure in Ketten wäre. Und mein Dolch ist sehr scharf, so daß ich mein Leben schnell und ohne viel Schmerz beenden könnte - ich habe wohl ein bißchen Angst vor Schmerzen, aber nicht vor dem Tod.«
»Ich sollte Euch dazu einsetzen, meine Männer zu ermutigen, Mistress Melora.« Bard lenkte sein Pferd neben ihren Esel. »Ich habe noch nie eine Frau mit soviel Mut kennengelernt.« Er dachte darüber nach, ob Carlina imstande wäre, auf diese Weise zu sprechen, wenn sie in die Schlacht ritte. Er wußte es nicht. Er hatte nie daran gedacht, sie zu fragen.
Seit seinem fünfzehnten Jahr hatte Bard viele Frauen intim gekannt. Und doch wurde ihm jetzt plötzlich klar, daß er in Wirklichkeit sehr wenig darüber wußte, wie Frauen sind. Er hatte ihre Körper gekannt, ja, aber nichts über alles andere an ihnen erfahren. Er war nie auf die Idee gekommen. daß es für ihn an einer Frau irgend etwas Interessantes außer dem Geschlechtlichen geben könne.
Und doch, er erinnerte sich, daß er, als sie alle Kinder gewesen waren, mit Carlina ebenso frei gesprochen hatte wie mit seinen Pflegebrüdern. Er hatte eine Menge Zeit mit ihr zusammen verbracht, hatte ihre Lieblingsspeisen und die Lieblingsfarben ihrer Kleider und Bänder gekannt, ihre Angst vor Eulen und Nachtfliegern-, ihren Abscheu vor Nußbrei und Samenkuchen, vor rosa Kleidern und Schuhen mit überhohen Absätzen. Er hatte gewußt, wie sehr es sie langweilte, stundenlang bei einer Näharbeit zu sitzen. Er hatte sie wegen der Schwielen an ihren Fingern getröstet, als sie die Rryl und die große Harfe zu spielen lernte, und ihr bei ihren Aufgaben geholfen.
Als er jedoch ein Mann geworden war und begonnen hatte, an Frauen in Begriffen der Lust zu denken, hatte er sich Carlina entfremdet. Er wußte nicht, welch eine Art von Frau aus dem Kind geworden war. Was ihm jetzt noch schlimmer schien, es hatte ihn auch gar nicht interessiert. Er hatte in ihr kaum etwas anderes als seine versprochene Frau gesehen. In letzter Zeit hatte er sich oft vorgestellt, daß sie zusammen im Bett waren. Aber irgendwie war es ihm nie eingefallen, mit ihr zu reden, gerade so, wie er es jetzt mit dieser seltsamen, unschönen Leronis tat, die eine so süße Stimme hatte.
Es war beunruhigend; er hatte kein besonderes Interesse daran, mit dieser Frau zu schlafen. Tatsächlich stieß ihn der Gedanke ziemlich ab. Sie war so fett und unbeholfen und häßlich-, sie war eine der wenigen Frauen, die seine Mannheit kein bißchen erregten. Und trotzdem hatte er den Wunsch, sich weiter mit ihr zu unterhalten. Er fühlte sich ihr auf merkwürdige Weise enger verbunden als irgendwem in vielen Jahren, seine Pflegebrüder ausgenommen. Er blickte nach vorn, wo Mirella ritt, schweigend und distanziert und bezaubernd hübsch, und wie zuvor quoll das Begehren in ihm auf. Dann sah er wieder zu der schwergebauten, plumpen Melora hin, die auf ihrem Esel - wieder der unbarmherzige Vergleich - wie ein Sack Mehl hockte. Warum, fragte er sich, konnte die schöne Mirella nicht eine weiche Stimme haben und warm und freundlich wie die hier sein, warum ritt sie nicht an seiner Seite und sah ihm mit soviel teilnehmendem Interesse in die Augen? Meloras Haar hatte fast die gleiche Flammenfarbe wie das Mirellas, und hinter dem Mondgesicht mit den drallen Wangen ließ sich die gleiche zarte Knochenstruktur ihnen. Er fragte: »Ihr und Mistress Mirella seht Euch sehr ähnlich. Ist sie Eure Schwester oder Halbschwester?«
»Nein«, antwortete Melora, »aber verwandt sind wir; ihre Mutter ist meine älteste Schwester. Ich habe noch eine Schwester, die ebenfalls eine Leronis ist - wir alle sind mit Laran begabt. Seid Ihr nicht der Sohn von Dom Rafael di Asturien? Nun, meine jüngste Schwester Melisandra ist eine der Frauen Eurer Pflegemutter; sie trat vor drei Jahreszeiten in den Dienst Domna Jeranas. Habt Ihr sie dort nie gesehen?«
»Ich bin seit vielen Jahren nicht mehr zu Hause gewesen«, erklärte Bard kurz.
»Ach, das ist traurig«, meinte sie voller Mitgefühl, aber Bard wünschte das Thema nicht weiter zu verfolgen.
Er fragte: »Seid Ihr schon einmal in einer Schlacht gewesen, daß Ihr so ruhig und furchtlos seid?«
»0 ja, ich war bei der Schlacht von Snow Glen mit den Kundschaftervögeln an der Seite meines Vaters. Ich habe gesehen, wie Ihr das Banner des Königs erhieltet.«
»Ich wußte nicht, daß Frauen dabei waren - nicht einmal unter den Leroni. «
»Aber ich habe Euch gesehen«, berichtete Melora, »und ich war auch nicht die einzige Frau dort. Eine Abteilung der Entsagenden, der geschworenen Schwesternschaft vom Schwert, nahm am Kampf teil und schlug sich tapfer. Wären es Männer gewesen, hätten sie ebenso wie Ihr Ehre und das Lob des Königs gewonnen. Als die Feinde auf der südlichen Flanke mit Äxten durchbrachen, hielten sie ihre Schildreihe gegen sie, bis ihnen Reiter unter Hauptmann Syrtis zu Hilfe kommen konnten. Zwei von ihnen fielen, und eine hat eine Hand verloren. Aber sie hielten die Flanke.«
Bard verzog das Gesicht. »Ich habe von den Entsagenden gehört; ich wußte nicht, daß König Ardrin sich herablassen würde, sie in der Schlacht einzusetzen! Es ist schlimm genug, daß sie zusammen mit Männern Feuerwache halten. Ich bin nicht der Ansicht, daß der Platz einer Frau auf dem Schlachtfeld ist!«
»Ich auch nicht«, erklärte Melora. »Aber ich bin auch nicht der Meinung, daß der Platz eines Mannes auf dem Schlachtfeld ist, und mein Vater denkt ebenso. Er würde lieber zu Hause bleiben, die Laute und die Rryl spielen und unsere Sternensteine benutzen, um Krankheiten zu heilen und Metalle aus der Erde zu fördern. Aber solange es Kriege gibt, müssen wir kämpfen, wie unser Herr und König es befiehlt, Meister Bard.«

Bard lächelte nachsichtig. »Frauen verstehen diese Dinge nicht. Der Krieg ist Sache des Mannes, und Männer sind nie glücklicher als beim Kampf, glaube ich. Doch den Frauen sollte es ermöglicht werden, zu Hause zu bleiben und Lieder zu machen und unsere Wunden zu heilen.«
»Glaubt Ihr wirklich, die Aufgabe eines Mannes sei der Kampf?« fragte Melora. »Nun, ich glaube es nicht, und ich hoffe, es wird ein Tag kommen, an dem die Männer vom Krieg ebenso frei sind, wie Ihr es den Frauen wünscht.«
»Ich bin Soldat, Damisela«, sagte Bard. »In einer Frauen-Welt des Friedens hätte ich keinen Platz und keine Beschäftigung. Aber wenn Ihr den Frieden so liebt, warum überlaßt Ihr den Krieg dann nicht den Männern, die ihn genießen?«
»Weil«, entgegnete sie temperamentvoll, »ich nicht viele Männer kenne, die den Krieg wirklich genießen! «
»Ich schon, Damisela. «
»Wirklich? Oder liegt es nur daran, daß Ihr kaum Gelegenheit zu etwas anderem gehabt habt?« fragte Melora. »Es hat eine Zeit gegeben, unter den Hastur-Königen, als alle diese Länder in Frieden lebten. Aber jetzt haben wir hundert kleine Königreiche, die jahrein, jahraus miteinander kämpfen, weil sie sich nicht einigen können! Glaubt Ihr wirklich, das sei der natürliche Lauf der Welt?« Bard lächelte. »Die Welt wird gehen, wie sie will, Mistress Melora, und nicht, wie Ihr oder ich es gern hätten.«
»Aber«, wandte Melora ein, »die Welt geht, wie die Menschen sie gehen machen, und es steht den Menschen frei, sie anders gehen zu machen, wenn sie den Mut dazu haben! «
Er lächelte sie an. Jetzt wirkte sie richtig hübsch mit ihren funkelnden Augen, und die Haut ihres runden Mondgesichts war wie frische Schlagsahne. Auf ihre eigene Art, das fiel ihm jetzt auf, hatte .sie eine warmherzige und sinnliche Persönlichkeit. Ihr schwerer Körper mochte warm und entgegenkommend sein. Bestimmt würde sie nicht wimmern wie diese dumme Puppe Lisarda, sondern mutig ihre Meinung vertreten. Er sagte: »Vielleicht wäre es eine bessere Welt, wenn Ihr ihren Lauf bestimmen könntet, Mistress Melora. Schade, daß Frauen keinen Teil an den Entscheidungen haben, die unsere Welt gestalten.«
Beltran ritt zu ihnen heran. Bard entschuldigte sich bei Melora und ritt mit dem Prinzen nach vorn.
»Meister Gareth sagt, sie lagern gleich jenseits dieses Waldes«, berichtete Beltran. »Wir sollten hier haltmachen, damit die Pferde sich ausruhen und die Männer gut essen können. Eins der Mädchen hat doch das Gesicht. Dann können wir uns vergewissern, wie wir am besten angreifen.«
»Richtig.« Bard gab den Befehl, daß die Männer einen enggeschlossenen Kreis bilden und sich auf einen eventuellen Angriff gefaßt machen sollten. Es war nicht unmöglich, daß die Trockenstädter, wenn die Karawane festsaß, losritten und die Initiative ergriffen.
»Möglich«, meinte Beltran, »aber nicht wahrscheinlich. Der Schnee wird ihnen noch weniger gefallen als uns. Und sie müssen die Karawane verteidigen.« Er stieg ab und suchte in seinen Satteltaschen nach dem Futterbeutel für sein Pferd. »Ich habe gesehen, daß du mit einer von unseren Leroni schöngetan hast. Du mußt wirklich ein unverbesserlicher Weiberheld sein, wenn du Lust darauf hast, ein Wort zu dieser fetten Kuh zu sagen! Wie dumm sie dreinblickt!« Bard schüttelte den Kopf. »Oh, sie ist in ihrer eigenen Art durchaus attraktiv, und sie hat eine süße Stimme. Und was einer auch von ihr sagen mag, dumm ist sie ganz bestimmt nicht.«
Beltran lachte ironisch auf. »Wenn ich dir zusehe, glaube ich allmählich an die Wahrheit des alten Sprichworts, daß alle Frauen gleich sind, wenn die Lampe gelöscht ist, denn du spielst den Galanten wirklich bei allem, was Röcke trägt! Lechzt du so nach weiblicher Gesellschaft, daß du dich nach einer fetten, häßlichen Leronis verzehrst?«
Bard entgegnete aufgebracht: »Ich gebe dir mein Wort, daß ich mich nicht nach ihr verzehre. Meine Gedanken beschäftigen sich im Augenblick ausschließlich mit der Schlacht, die jenseits dieses Hügels auf uns wartet, und der Frage, ob wir gegen Haftfeuer oder Zauberei werden zu kämpfen haben! Ich erweise ihr Höflichkeit, weil sie Meister Gareths Tochter ist, mehr nicht! Um Himmels willen, Pflegebruder, richte deine Aufmerksamkeit auf unsere Mission, nicht auf meine Mängel! «
Bards Helm hing an seinem Sattelhorn. Er hakte ihn los, setzte ihn auf und befestigte den Lederriemen, wobei er sorgfältig den Kriegerzopf zurechtstrich. Beltran folgte seinem Beispiel. Sein Gesicht war heiß, und Bard erinnerte sich an ihr Gespräch in der Nacht und empfand für einen Augenblick Mitgefühl. Aber dafür hatte er jetzt keine Zeit. Er ritt an der Reihe seiner Männer zurück, überprüfte die Ausrüstung jedes einzelnen und sprach mit jedem ein Wort. Sein Magen verkrampfte sich, und er fühlte sich wie immer vor einer Gefahr angespannt.
»Wir werden uns dem Gipfel jenes Hügels so weit nähern, wie wir können, ohne gesehen zu werden«, ordnete er an, »und dort warten, bis Meister Gareth uns das Zeichen gibt. Dann stürzen wir uns den Hang hinunter und auf sie und versuchen, sie zu überrumpeln.« Einer der Männer brummte: »Wenn ihre Laranzu’in alle schlafen!« Bard sagte: »Wenn sie uns durch Kundschaftervögel oder Zauberei beobachten, gelingt uns der Überraschungsangriff vielleicht nicht ganz. Aber sie können nicht im voraus wissen, wie viele wir sind oder wie entschlossen wir kämpfen werden! Denkt daran, Männer, es sind Söldner aus den Trockenstädten, dieser Krieg bedeutet ihnen nichts, und der Schnee ist unser bester Verbündeter, weil sie nicht daran gewöhnt sind.«
»Wir auch nicht«, murmelte ein Mann weiter hinten. »Verständige Männer kämpfen nicht im Schnee! «
»Möchtest du lieber das Haftfeuer durchkommen lassen? Wenn sie im Winter Haftfeuer transportieren können, dann können wir es erbeuten«, sagte Bard scharf. »Und jetzt wird nicht mehr geredet, Männer, sie könnten uns hören, und ich möchte sie überrumpeln, so gut es uns eben gelingt.«
Er ritt vor zu Meister Gareth. »Versucht festzustellen, wie viele Männer die Wagen bewachen.«
Meister Gareth wies auf Mirella. »Das habe ich bereits, Sir. Ich kann nicht mehr als fünfzig zählen. Dabei sind die Wagenlenker nicht mitgerechnet, die auch bewaffnet sein können, aber alle Hände voll mit den Tieren zu tun haben werden.«
Bard nickte. Er winkte zwei erfahrene Männer, die besten Reiter in der Gruppe, heran. »Ihr beiden reitet los, kurz bevor wir angreifen. Deckt euch mit euren Schilden und reitet an die Spitze des Zuges. Schneidet die Tiere los und jagt sie nach hinten. Das wird weitere Verwirrung schaffen. Gebt acht, daß ihr nicht von Pfeilen getroffen werdet.« Sie nickten. Es waren tüchtige Männer, die schon an vielen Feldzügen teilgenommen hatten, und beide trugen die rote Schnur um den Kriegerzopf gewickelt. Einer rückte sich den Helm auf dem Kopf zurück, grinste und lockerte den Dolch, der ihm am Gürtel hing. »Der da ist für solche Arbeit besser als ein Schwert.«
»Meister Gareth«, sagte Bard, »Ihr habt Euer Teil getan, und gut getan. Ihr mögt mit den Frauen hierbleiben. Keinesfalls braucht Ihr mit uns den Berg hinunter zum Angriff zu reiten. Wenn sie Zauberei gegen uns einsetzen, benötigen wir Euch für den Gegenzauber. Aber in der Schlacht seid Ihr mehr als nutzlos.«
»Sir«, antwortete der Laranzu, »ich weiß, welche Rolle mir in einer Schlacht zufällt. Und meine Tochter und meine Pflegetochter wissen ebenfalls Bescheid. Mit allem Respekt, Sir, kümmert Euch um Eure Soldaten und überlaßt meine Angelegenheiten mir.«
Bard zuckte die Schultern. »Auf Eure Verantwortung, Sir. Hat der Kampf einmal begonnen, haben wir keine Zeit mehr für Euch.« Er begegnete Meloras Blick, und plötzlich beunruhigte ihn der Gedanke, daß sie auf ihrem Eselchen, bis auf einen Dolch unbewaffnet, mitten hinein ins Kampfgetümmel reiten würde. Aber was konnte er tun? Sie hatte es hinreichend klargemacht, daß sie seinen Schutz nicht brauchte.
Trotzdem sah er sie besorgt an, und die Furcht wuchs in ihm. Sie durchpulste ihn wie ein lebendes Wesen, wurde zu nacktem, unvernünftigem Entsetzen. Er sah, wie ihr bei lebendigem Leib das Fleisch von den Knochen geschnitten wurde, sah sie in Ketten weggezerrt, sah Trockenstädter-Räuber um ihren verstümmelten Körper streiten, sah seinen Pflegebruder Beltran fallen … Er hörte sich vor Entsetzen stöhnen. Einer der Männer im Glied schrie mit hoher, panikerfüllter Stimme:
»0 nein - seht, da fliegt er, der Dämon … «
Bard warf den Kopf zurück und sah Dunkelheit über ihnen schweben, eine Dunkelheit mit gräßlichen Klauen, und sie fuhr auf sie nieder, nieder. Er hörte Mirella aufschreien … Flammen ergossen sich über sie, und er wich zurück, spürte den versengenden Atem des Feuers. Plötzlich wurde er sich der Realität bewußt. Nichts roch verbrannt oder verkohlt.
»Bleibt im Glied, Männer!« rief er. »Es ist eine Illusion, ein Schauspiel, um Kinder zu ängstigen … nicht schlimmer als ein Feuerwerk beim Mittsommerfest! Haha, ist das das Beste, was sie fertigbringen? Wenn sie könnten, würden sie einen ganzen Wald in Brand stecken, aber das da kann niemanden verletzen, niemand wird im Schnee verbrennen -vorwärts! « Er wußte, Aktion war das beste Mittel, die Illusion abzuschütteln. »Angriff! Den Berg hinunter, Männer! « Er bohrte seiner Stute die Fersen in die Weichen. Sie fiel in Galopp. Oben auf dem Hügel angelangt, konnte er die Wagen endlich sehen. Es waren vier, und seine Männer stürmten den Abhang hinunter, schnitten die Packtiere los und schlugen mit ihren langen Peitschen auf sie ein. Die Tiere brüllten und setzten sich in schwerfälligen Galopp, und einer der Karren schwankte und fiel krachend um. Bard stieß einen Kriegsruf aus und ritt weiter. Ein Trockenstädter, ein großer, blasser Mann mit lose fliegendem blondem Haar, zielte mit einem langen Speer nach Bards Pferd. Bard bückte sich und erstach ihn. Aus dem Augenwinkel sah er, daß Beltran einen der Trockenstädter niederritt. Der Mann fiel, wälzte sich auf dem Boden und schrie unter den Pferdehufen. Dann verlor Bard seinen Pflegebruder aus den Augen, da ihn drei der Söldner auf einmal angriffen.
Später konnte er sich an keine Einzelheit der Schlacht mehr erinnern, nur an Lärm, an Blutlachen auf dem Schnee, erstickende Kälte und an den immerfort weiter fallenden Schnee. Irgendwann stolperte sein Pferd, und er sprang aus dem Sattel und kämpfte zu Fuß weiter. Er hatte keine Vorstellung davon, mit wie vielen er kämpfte oder ob er sie tötete oder nur zurückschlug. Einmal sah er Beltran im Gefecht mit zwei riesigen Söldnern. Bard rannte durch den Schnee, fühlte die Nässe in seine Stiefel eindringen, zog seinen Dolch und erstach den einen der Männer. Dann riß das Kampfgetümmel ihn und Beltran wieder auseinander. Er stand auf dem ersten der Wagen und rief seinen Männern zu, sich bei den Wagen zu sammeln und sie zu halten. Rings um ihn tobte der Schlachtenlärm. Schwerter und Dolche klirrten, verwundete Männer und sterbende Pferde schrien. Und dann war alles still, und Bard sah seine Männer sich durch den Schnee auf die Wagen zuarbeiten und sich rings um sie versammeln. Mit Erleichterung stellte er fest, daß Beltran, wenn sein Gesicht unter dem Helm auch blutete, noch auf den Füßen war. Er sandte einen Mann ab, ihre Toten und Verwundeten zu zählen, und ging mit Meister Gareth, die Wagen zu inspizieren. Wenn jetzt die Fässer Trockenobst für die Proviantmeister der Armee statt des erwarteten Haftfeuers enthielten, würde er sich wie ein verdammter Idiot vorkommen!
Er kletterte auf einen der Wagen, öffnete vorsichtig ein Faß und schnüffelte. Ein beißend scharfer Geruch stieg ihm in die Nase. Er nickte grimmig. Ja, das war Haftfeuer, das bösartige Zeug, das, einmal angezündet, alles verbrannte, was es berührte, sich durch Kleider und Fleisch und Knochen fraß … In der Natur kam es normalerweise nicht vor; es wurde durch Zauberei hergestellt. Wahrscheinlich hatten die Trockenstädter geglaubt, im Schnee werde es sich nicht entzünden. Da hatten er und seine Männer Glück gehabt. Oder vielleicht war ihnen gar nicht gesagt worden, was sie bewachten. Manchmal wurden in Haftfeuer getauchte Pfeile dazu benutzt, Pferde unter den Reitern zu treffen. Das war eine grausame und unsoldatische Methode, denn die Pferde wurden von dem Schmerz wahnsinnig und gingen durch, und dadurch entstand mehr Schaden als durch das Feuer
Bard teilte ein halbes Dutzend nicht oder nur leicht verwundeter Männer dazu ein, die Wagen zu bewachen, und stellte sie unter Meister Gareths Befehl. Mit Erleichterung sah er, daß Mclora unverletzt war, doch ihr Gesicht war mit Blut verschmiert. Sie sagte ruhig: »Ein Mann griff mich an, und ich erstach ihn. Es ist sein Blut, nicht meins.«
Drei weiteren Männern befahl Bard, die durchgegangenen Pferde zusammenzutreiben. Den Trockenstädtern, die am schwersten verwundet waren, wurde ein schneller Tod gegeben. Wer von ihnen noch hatte reiten oder laufen können, war verschwunden.
Bard wollte gerade darangehen, die wieder eingefangenen Packtiere zu zählen - denn ohne sie konnten sie die Wagen nicht wegschaffen -, als hinter ihm ein Kriegsruf gellte und er sich einem großen Trockenstädter gegenübersah, der ihn mit Schwert und Dolch angriff. Offenbar war der Mann hinter den Wagen versteckt gewesen. Er blutete aus einer großen Wunde am Bein, aber er parierte Bards Schwertstreich und unterlief seine Deckung mit dem Dolch. Bard gelang es, ihn abzuwehren, das Schwert niedersausen zu lassen und seinen eigenen Dolch aus dem Gürtel zu reißen. Dann hielten sie sich in tödlicher Umklammerung, taumelnd, schwankend, die Dolche erhoben. Der Dolch des Söldners bedrohte Bards Kehle. Mit seiner freien Schwerthand stieß Bard die beiden Dolche in die Luft, fing seinen eigenen beim Niederfallen auf und trieb ihn seinem Gegner tief in die Rippen. Der Trockenstädter schrie auf und starb, während er noch weiterkämpfte.
Bard zitterte, und ihm war übel von dem Schock des plötzlichen Angriffs. Er nahm sein Schwert auf und steckte es in die Scheide. Dann bückte er sich, um seinen Dolch aus der Wunde zu ziehen. Aber er steckte fest in einem der Rückenwirbel und widerstand allen Bemühungen, ihn loszureißen. Schließlich lachte Bard hart auf und sagte: »Begrabt ihn mit ihm. Soll er ihn mit sich in Zandrus Höllen nehmen. Zum Ausgleich nehme ich mir seinen.« Er hob den Dolch des Trockenstädters auf, eine wunderschön verzierte Waffe mit einer Klinge aus dunklem Metall und einem mit ziseliertem Kupfer und grünen Edelsteinen besetztem Heft. Anerkennend betrachtete er den Dolch. »Er war ein tapferer Mann«, sagte er und ließ den Dolch in seine eigene Scheide gleiten.
Sie brauchten den Rest des Tages, um die Zug- und Packtiere zusammenzutreiben und die drei Männer, die sie verloren hatten, zu begraben. Sieben weitere waren mehr oder weniger schwer verwundet. Einer von ihnen, erkannte Bard voller Kummer, würde den langen Rückweg nach Asturias durch den Schnee nicht überleben. Meister Gareth hatte eine Schenkelwunde davongetragen, behauptete jedoch, wahrscheinlich werde er am nächsten Tag reiten können. Und währenddessen fiel der Schnee still und mit gnadenloser Gerechtigkeit immer weiter. Der kurze Herbsttag wurde schnell zur Nacht. Bards Männer durchstöberten die Wagen nach den besten vorhandenen Vorräten und kochten ein Festmahl. Eins der Packtiere hatte ein Bein gebrochen, und ein Mann, der Erfahrung als Metzger hatte, schlachtete es fachgerecht, worauf das Fleisch über einer Feuergrube geröstet wurde. Die Trockenstädter hatten auch eine Menge Wein mit sich geführt, das süße, schwere, heimtückische Zeug aus Ardcarran. Bard erlaubte seinen Männern, zu trinken, soviel sie wollten, denn der Kundschaftervogel und Mirellas Gesicht bestätigten, daß kein Feind in ihrer Nähe war. Sie saßen ums Feuer und sangen rauhe Lieder und prahlten damit, was sie in der Schlacht vollbracht hatten, und Bard sah ihnen zu.
Auf einmal stand Melora in ihrem grauen Mantel hinter ihm und sagte: »Wie können sie nach einem Tag voller Blut und Metzelei da sitzen und lachen und singen, wenn so viele ihrer Freunde und auch Feinde tot liegen! «
Bard antwortete: »Ihr fürchtet Euch doch wohl nicht vor den Geistern der Toten, Damisela? Glaubt Ihr, die Toten kommen wieder, eifersüchtig, weil die Lebenden lustig sind?«
Sie schüttelte schweigend den Kopf. Dann sagte sie: »Nein. Aber für mich wäre dies eine Zeit des Trauerns.«
»Ihr seid kein Soldat, Lady. Für einen Soldaten ist jede Schlacht, die er überlebt, eine Gelegenheit, sich zu freuen. Und deshalb schmausen sie und singen und trinken, und wären wir mit einer regulären Armee auf dem Marsch und nicht nur ein einzelner Trupp, würden sie sich auch mit den Troßdirnen vergnügen oder Frauen in der nächsten Stadt finden.«
Melora erschauerte. »Wenigstens sind keine Städte in der Nähe, wo sie plündern und vergewaltigen können … «
»Hört, Damisela, wenn Männer in die Schlacht ziehen, überantworten sie ihr Leben dem Kriegsglück. Warum sollten Frauen nicht davon berührt werden? Und die meisten nehmen es recht friedlich hin.« Er lachte und stellte fest, daß sie nicht wegsah oder sich zierte oder kicherte. Die meisten Frauen, die er kannte, wären schockiert gewesen oder hätten doch so getan.
Melora erklärte nur ruhig: »Ja, so wird es sein. Die Aufregung, die Erleichterung noch am Leben und nicht tot zu sein, die allgemeine Erschütterung durch die Schlacht … Darüber hatte ich nicht nachgedacht. Doch ich hätte es nicht friedlich hingenommen, wenn die Trockenstädter gesiegt hatten. Ich bin sehr froh, daß sie unterlagen, und froh, daß Ich noch lebe.~< Sie stand so nahe bei ihm, daß er irgendein schwaches Parfüm riechen konnte, das aus ihrem Haar und ihrem Mantel aufstieg. Ach hatte Angst, wenn sich das Glück gegen uns wenden sollte, brachte ich nicht den Mut auf, mich zu töten, sondern würde lieber Gefangennahme, Vergewaltigung, Sklaverei auf mich nehmen als den Tod. Der Tod schien mir etwas sehr Schreckliches zu sein, als ich die Männer sterben sah … « Er drehte sich um und nahm ihre Hand in seine; sie entzog sie ihm nicht. Mit leiser Stimme sagte er: Ach bin froh, daß Ihr noch am Leben seid, Mclora.«
Ebenso leise antwortete sie: »Und ich, daß Ihr am Leben seid.« Er zog sie an sich und küßte sie und stellte verwundert fest, wie weich sich ihr schwerer Körper und ihre vollen Brüste anfühlten, wie warm ihre Lippen unter seinen waren. Er spürte, daß sie sich dem Kuß völlig hingab. Doch danach zog sie sich ein wenig zurück und flüsterte: »Nein, ich bitte dich, Bard. Nicht hier, nicht so, nicht mit all deinen Männern rings um uns … Ich würde dich nicht zurückweisen, darauf hast du mein Wort. Aber nicht jetzt. Mir ist gesagt worden … es sei nicht richtig … «
Widerstrebend ließ Bard sie los. Ich könnte sie so leicht lieben, dachte er. Sie ist nicht schön, aber sie ist so warm, so süß… und all die aufgestaute Erregung des Tages quoll in ihm auf. Trotzdem wußte er, daß sie recht hatte. Wo es keine Frauen für die anderen Männer gab, verstieß es gegen Anstand und Sitte, wenn der Kommandant eine für sich allein hatte. Bard war Soldat und zu vernünftig, um sich ein Vorrecht herauszunehmen, das seine Männer nicht teilen konnten. Ihre Willigkeit machte die Sache noch schlimmer. Er hatte sich einer Frau noch nie so nahe gefühlt.
Aber - er holte tief und resigniert Atem. »Die Wechselfälle des Krieges, Mclora. Vielleicht … eines Tages …«
»Vielleicht«, sagte sie sanft, gab ihm die Hand und sah ihm in die Augen. Er glaubte, niemals eine Frau so sehr begehrt zu haben. Neben ihr waren alle anderen Frauen, die er kannte, wie Kinder, Lisarda nicht mehr als ein kleines Mädchen, das mit Puppen spielte, selbst Carlina kindisch und unreif. Trotzdem hatte er zu seinem Erstaunen nicht den Wunsch, die Sache zu überstürzen. Er wußte genau, daß er diesen Zwang auf sie ausüben konnte, so daß sie, sobald das ganze Lager schlief, ungesehen von seinen Männern zu ihm kommen würde. Doch schon der Gedanke daran erfüllte ihn mit Abscheu. Er wollte sie so, wie sie war, ihr ganzes Selbst; aus ihrem freien Willen sollte sie ihn begehren. Besäße er nur ihren Körper, entginge ihm alles, was sie zu Melora machte. Ihr Körper war schließlich nur der einer fetten, schwerfälligen Frau, jung, aber bereits aus der Form geratend. Es war etwas anderes, das sie ihm so unendlich begehrenswert machte. Ein Gedanke schoß ihm durch den Kopf. Er hob die Augen und platzte mit der Frage heraus.
»Hast du mich mit einem Zauber belegt, Mclora?«
Sie legte ihm die dicken Hände mit großer Zärtlichkeit um die Wangen und sah ihm gerade in die Augen. Auf der anderen Seite des Feuers sangen die Männer ein Rüpellied:

Es zogen einmal vierundzwanzig Leroni nach Ardcarran;
Jetzt macht von ihnen keine mehr Gebrauch von ihrem Laran

»O nein, Bard«, sagte Melora sehr leise. »Es ist nur, daß wir uns berührt haben, du und ich. Wir sind ehrlich miteinander gewesen, und das ist etwas Seltenes zwischen einem Mann und einer Frau. Ich liebe dich sehr, und ich wünschte, die Umstände wären anders und wir wären heute abend an einem anderen Ort als hier.« Sie beugte sich vor und berührte seine Lippen ganz leicht mit den ihren, nicht mit Verlangen, sondern mit Zärtlichkeit, die ihm wärmer machte als die wildeste Leidenschaft. »Gute Nacht, mein lieber Freund.«
Er drückte ihr die Hand und ließ sie gehen, und er sah ihr mit einem Bedauern und einer Traurigkeit nach, die neu für ihn waren.

Die Karawanenleute kamen, besetzten jede Ecke, Da konnt man’s nicht mehr anders treiben als hängend von der Decke.

Es brachten einmal vierundzwanzig Bauern Säcke mit Nüssen, Die waren oben zugebunden, doch unten aufgerissen …

Beltran sagte hinter ihm: »Sie scheinen sich zu amüsieren. Sie singen da ein paar neue Strophen, die ich noch nicht gehört hatte.« Er lachte vor sich hin. »Dabei fällt mir ein, wie wir Schläge dafür bekamen, daß wir die schmutzigeren Verse dieses Liedes in Carlinas Schulheft schrieben.«
Bard war froh, an etwas anderes denken zu können. »Und du sagtest unserm Lehrer, das sei ein Beweis dafür, daß Mädchen nicht lesen lernen sollten.«
»Ich persönlich würde das Lesen gern den Frauen überlassen, die nichts Wichtigeres zu tun haben«, meinte Beltran. »Doch vermutlich werde ich Staatspapiere und solche Dinge unterschreiben müssen.« Er beugte sich über Bard. Sein Atem roch nach süßem Wein, und Bard merkte, daß der Junge vielleicht ein bißchen mehr getrunken hatte, als er vertragen konnte. »Das ist der richtige Abend, um sich zu betrinken«, sagte Beltran.
»Was macht deine Wunde?«
Beltran lachte. »Ach was, Wunde! Mein Pferd rannte mit mir den Berg hinunter, und ich wurde im Sattel nach vorn geschleudert und schlug mit dem Gesicht auf das Sattelhorn. Davon bekam ich Nasenbluten, und deshalb kämpfte ich während der ganzen Schlacht mit blutüberströmtem Gesicht! Ich glaube, ich habe schreckenerregend ausgesehen.« Er zwängte sich unter Bards Zelt, dessen offenes Ende zum Feuer zeigte, und setzte sich dort nieder. Die Plane über ihnen hielt den Schnee ab. »Endlich scheint es sich aufzuklären.«
»Wir müssen feststellen, ob es unter den Männern welche gibt, die einiges Geschick im Wagenlenken und im Umgang mit Packtieren haben.«
Beltran antwortete mit einem gewaltigen Gähnen. »Jetzt ist das vorbei. Ich glaube, ich könnte zehn Tage lang schlafen. Horch, es wird früh still, aber die meisten Männer sind betrunken wie Mönche zu Mittwinter.«
»Was hättest du sonst von ihnen erwartet, wo keine Frauen da sind?« Beltran zuckte die Schultern. »Ich mißgönne ihnen ihren Rausch nicht. Unter uns, Bard, mir ist es so lieber … Nach der Schlacht von Snow Glen zerrte mich eine Gruppe der jüngeren Männer mit sich in ein Hurenhaus in der Stadt… « Er verzog angeekelt das Gesicht. »Ich finde keinen Geschmack an solchen Spielen.«
»Auch ich ziehe willige Gefährtinnen den bezahlten Damen vor«, stimmte Bard ihm zu. »Doch ich bezweifele, ob ich nach einer Schlacht wie dieser einen Unterschied merken würde.« In seinem Inneren wußte er, daß er nicht die Wahrheit sagte. Heute nacht wollte er Melora, und wenn er die Auswahl unter allen Kurtisanen Thendaras oder Carcosas gehabt hätte, wäre seine Wahl immer noch auf sie gefallen. Auch wenn er Carlina hätte haben können? Er hatte keine Lust, darüber nachzudenken. Carlina war seine ihm anverlobte Frau, und das war etwas anderes.
»Du hast nicht genug zu trinken gehabt, Pflegebruder.« Beltran reichte ihm eine Flasche. Bard setzte sie an die Lippen und nahm einen tiefen Zug. Der starke Wein tat ihm wohl. Er betäubte den Schmerz darüber, daß Mclora nach ihm ebenso verlangt hatte wie er nach ihr und daß er sie zu seinem eigenen Erstaunen hatte gehen lassen. Verachtete sie ihn jetzt, hielt sie ihn für einen grünen Jungen,
der sich fürchtete, einer Frau seinen Willen aufzuzwingen? Spielte sie mit ihm? Nein, er hätte seine Mannheit auf ihre Ehrlichkeit gewettet … Einer der Männer spielte die RryL Man brüllte nach Meister Gareth, er solle kommen und für sie singen. An seiner Stelle tauchte Melora aus dem Zelt auf.
»Mein Vater bittet euch, ihn zu entschuldigen«, sagte sie ruhig. »Seine Wunde bereitet ihm große Schmerzen, und er kann nicht singen.« »Wollt dann ihr kommen und Wein mit uns trinken, Lady?« Das fragten sie sehr respektvoll, aber Melora schüttelte den Kopf. »Ich werde meinem Vater ein Glas bringen, wenn ihr erlaubt. Vielleicht verhilft ihm das zum Einschlafen. Aber meine Verwandte und ich müssen für ihn sorgen, und deshalb werden wir nicht trinken. Ich danke euch.« Ihre Augen richteten sich auf Bard, der in der Dunkelheit auf der anderen Seite des Feuers saß, und er entdeckte in ihnen eine neue Traurigkeit.
»Ich dachte, er sei nicht schwer verwundet«, meinte Bard.
»Das habe ich auch gedacht«, antwortete Beltran, »aber ich habe gehört, daß die Trockenstädter manchmal Gift der einen oder anderen Art auf ihre Klingen tun. Doch ich habe noch nie von einem gehört, der daran gestorben wäre.« Wieder riß er den Mund weit auf und gähnte.
Die Männer um das Feuer sangen Lied auf Lied. Schließlich brannte das Feuer herunter und wurde zugedeckt, und die Männer wickelten sich in Gruppen von zweien, dreien oder vieren, um sich gegenseitig vor der Kälte zu schützen, in ihre Decken. Bard ging leise zu dem Zelt, das die Frauen sich teilten und in dem jetzt auch der verwundete Laranzu lag.