Franklin Gothic Medium

von

Stefanie Maucher

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kapitelübersicht:

1.       Fleischzeit – Seite 5

2.       Ouvertüre – Seite 15

3.       Kapital – Seite 24

4.       Realität – Seite 31

5.       Eifersucht – Seite 34

6.       Traum – Seite 40

7.       Hausbesuch – Seite 51

8.       Tatsachen – Seite 54

9.       Experimente – Seite 62

10.   Dämmerung – Seite 68

11.   Fanatismus – Seite 72

12.   Allergie – Seite 77

13.   Rezepte – Seite 83

14.   Köstliche Suppe – Seite 94

15.   Schlafstörung – Seite 101

16.   Hygiene – Seite 105

17.   Versuchung – Seite 109

18.   Vogelkunde – Seite 112

19.   Verstand – Seite 117

20.   Vorahnung – Seite 121

21.   Haltung – Seite 123

22.   Ohnmacht – Seite 127

23.   Großzügigkeit – Seite 130

24.   Union – Seite 134

25.   Spekulation – Seite 137

26.   Blutwein . Seite 140

27.   Alltag – Seite 143

28.   Kommunikation – Seite 148

29.   Evolution – Seite 150

30.   Angst – Seite 155

31.   Frohe Hoffnung – Seite 157

32.   Komfort und Gelassenheit – Seite 160

33.   Zukunftspläne – Seite 163

34.   Schmerz – Seite 168

35.   Erfolg – Seite 173

36.   Empathie – Seite 176

37.   Entspannung – Seite 178

38.   Endspurt – Seite 181

39.   Sieger – Seite 187

40.   Summen – Seite 190

41.   Rache – Seite 192

42.   Seelen – Seite 199

43.   Epilog – Seite 201

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kapitel 1 - Fleischzeit

Im Rachen des Wolfes hat das Schaf keine Wahl.   (altes chinesisches Sprichwort)

Franklin genoss das flehende Kreischen des geschändeten Fleisches fast so sehr wie den zarten Geschmack der delikaten Leckerbissen selbst.  In den geheimen Katakomben seiner dunklen Passion fand sich alles, was sich der verwöhnte Schattengourmet nur erträumen konnte: schlüpfrige Innereien kaum Geborener, abgehangenes Hüftfleisch älteren Jahrgangs, in Rotwein eingelegtes Herz und südfranzösisches Dirnenhirn. Schon in jungen Jahren hatte sich seine spezielle Leidenschaft in einem wahren Schlachtfest der Sinne entladen und manifestiert; in einer Welt, in der es zu viele Menschen und zu wenig Möglichkeiten, sie zu sättigen gab, konnte er unerkannt jagen und seinen unersättlichen Hunger stillen. Der Tag gehörte dem Geschäftlichen und Unvermeidlichen, doch mit dem Verlöschen der Sonne und der nebligen Geburt des Mondes begann seine wahre Wachperiode: die Fleischzeit.

Auf der Suche nach immer neuen Delikatessen und exotischen  Gaumenfreuden durchstreifte er die Nacht. Gleich einem Kind im Spielzeugladen ließ er seinen Blick über die mehr oder manchmal auch weniger wohlgeformten Brüste leicht gekleideter Dirnen, die feisten Bierbäuche ihrer lüsternen Freier und die gestählten Muskeln der im Hintergrund lungernden Zuhälter wandern. Und während er spöttisch den unbeholfenen Annäherungsversuch eines Jünglings an eine alte Hure beobachtete, trachtete er danach, den Luststab, welchen der Knabe so gerne in der Liebesdame versenken würde, in einen delikaten "Cock au Vin" zu verwandeln. Mit einem wissenden Lächeln schnalzte er mit der Zunge und grub die Hände tief in die Taschen seines Mantels. Es tat gut, das einsatzbereite Werkzeug zu fühlen; das Besteck, den geschliffenen glänzenden Stahl, die tödlichen Klingen des Notwendigen. Nur zu gern würde er sich nun, mit der Geschmeidigkeit eines durch Türspalte gleitenden Windhauchs, auf den zur Zahlung bereiten Liebeskunden zubewegen und mit der Beiläufigkeit eines unbeachteten Herzschlags seine Klinge in das weiche Fleisch seines Rückenmarks gleiten lassen. Doch, wie jeder gute Jäger, tötete er nicht um des reinen Vergnügens willen, und jagte nur, was er auch zu verzehren gedachte. Und leider erforderte sein Handwerk ein wenig Privatsphäre, oder zumindest den Schutz des Nebels und der Schatten. Darum beschränkte er sich darauf, die Beute nur flüchtig zu streifen, während er unschuldig und unscheinbar an ihr vorbeischlenderte, lächelnd über die Tatsache, dass der liebestolle Junge keine Ahnung davon hatte, soeben vom personifizierten Tod angerempelt worden zu sein.

Er setzte seine nächtliche Wanderung fort, heraus aus den schmuddeligen Gassen, hin zu den noch belebteren Plätzen, den Bars und den exklusiven Restaurants der Metropole. Dahin, wo sich die wahren Leckerbissen herausgeputzt und mit Perlen behängt hatten, gerade so als legten sie großen Wert darauf auch dem Auge ein Festmahl zu bereiten. Wie in den blankgeputzten und dezent angestrahlten Auslagen der Metzgereien präsentierte sich die Ware als das, was sie war:  nichts weiter als Fleisch; in jeglicher Form und Couleur.

Es war ein ideales Jagdgebiet. Waren die Beutestücke nicht gerade in amouröser Stimmung und auf der Suche nach einem Partner für eine Nacht, so hatten sie meist kaum einen Blick für die Menschen oder gar den Jäger in ihrer direkten Umgebung übrig. Und jene, die es waren, würden ihren Blick ebenso beachtungslos über den unauffälligen Mann älteren Jahrgangs hinweg gleiten lassen; der harmlos wirkenden Fassade, hinter der sich der Franklin verbarg. Er verschwand in der Masse, als Paradebeispiel unscheinbarer Anonymität.

Gerne verglich er sich mit den lauernden Großkatzen der afrikanischen Steppe; immer hungrig, allzeit auf der Jagd, nahezu unsichtbar umherschleichend zwischen den Herden graziöser Gazellen und dicker Elefantenkühe, den scheuen Antilopen und den vorwitzigen Affenbanden, welche, als würden sie den Tod nicht  fürchten, in seiner Nähe herumtollten.

So schweiften seine Gedanken und hungrigen Blicke suchend umher, als er in der Auslage eines kleinen Restaurants einen Leckerbissen erspähte, der seinen Gaumen beim ersten Anblick freudig hüpfen und ihm das Wasser im Munde zusammenlaufen ließ. Beleuchtet von sanftem, indirekten Licht und einer auf dem Tisch flackernden Kerze präsentierte sich ein femininer, asiatischer Gourmethappen, offensichtlich einsam und ohne Begleitung, auf appetitliche Art; in einem lilienweißen Kleid, welches ihn an den zarten Beigeschmack von Bambusbohnensprossen erinnerte, gekrönt von einer delikaten Sauce, süß-sauer wie der Tod, den er ihr nach seinem Festmahl schenken würde. In seinen maßlosen Imaginationen versuchte er nicht, sie in sein erlesenes

Schlafzimmer zu locken, um sich an ihrem jungen Fleisch gütlich zu tun; all seine Vorstellungskraft zentrierte sich auf die Küche und ihren dem Bett um ein Vielfaches überlegenen Spielraum.

Er bevorzugte Beethoven zum Ausweiden; man sezierte nicht zu den Beatles, das war eine grundlegende Frage des musikalischen Geschmacks. Einzig die unsterbliche Schwere der Klassik verlieh diesem intimen Akt den angemessenen, feierlichen Rahmen. Im gedämpften Schein parfümierter Kerzen ließ er die Instrumente in seinen begnadeten Händen über die noch unbeschriebenen Landkarten der zuckenden Leiber gleiten; hier ein zurückhaltendes Adagio, dort ein in orgiastischer Hingabe gipfelndes Crescendo. Er war der Dirigent eines Orchesters des Schmerzes; ein wahres Genie im Erschaffen von Passion und Leidenschaft. Sein Beifall war das nasse Gurgeln; das ungläubige Keuchen im Erkennen der letzten Wahrheit; das verhallende Tropfen des roten Öles. Ganze Symphonien des Schmerzes hatte er schon komponiert! Er hatte ihnen in ihrer Einmaligkeit gelauscht und ihre ohrenbetäubende Schönheit gewürdigt, indem er das entnommene, adrenalingeschwängerte Fleisch in ebenso große, wenn auch kulinarische, Meisterwerke verwandelte und diese anschließend mit Genuss verzehrte. Seine Instrumente waren Tranchiermesser, Fleischerhaken und ein gut geschärftes Beil. In seinen Töpfen und Pfannen wurden die saftigen Filetstücke, manchmal auch die zarten Rippchen, würziger Bauchspeck oder eine weingetränkte Leber, in kleine Festmahle verwandelt. In Köstlichkeiten, die auf kleiner Flamme köchelten und ihren vollen Geschmack entfalteten, während er die Beilagen sorgfältig wusch und schälte und das Fleisch dazu sang.

Beschwingt betrat er das kleine Restaurant, schenkte der Bedienung ein freundliches Lächeln und setzte sich an einen Tisch in einer kleinen, schlecht beleuchteten Nische, der ihm einen guten Ausblick auf das Objekt  seiner Begierde bot. Er hatte nicht vor hier etwas zu essen, was schließlich seinen Hunger auf das bevorstehende Mahl schmälern oder verderben könnte. Doch um sich seine Daseinsberechtigung, sein Platzrecht für seinen Jägerhochstand, zu erkaufen, orderte er sich ein Glas Rotwein; ebenso schwermütig wie die Auserwählte an Tisch 3. Gerne hätte er ihr aufmunternd zugeprostet, doch noch wollte er sich nicht ins Zentrum ihrer Aufmerksamkeit rücken. Für einen freundschaftlichen Umtrunk war später noch genug Zeit! Dezent versuchte er einen Blick auf ihre Speisenwahl zu erhaschen; Filet Mignon, was ihn gleichermaßen beruhigte wie erregte, da es sich vorteilhaft auf ihren Geschmack auswirken würde. Er bewunderte ihre feingliedrigen Hände, die sie zum Zerlegen des Fleisches und Heben des Weinglases verwendete, und stellte sich vor, sie paniert mit einem Curry-Dip zu verzehren. Und während sich die wohlige Wärme der Vorfreude in seinem Gedärm eine Heimstatt schuf, begann sein unermüdliches Hirn mit der Ausarbeitung eines perfiden Planes.

Der Abend glitt dahin wie eine wurmstichige Barke unter den Brücken Venedigs; für das künftige Mahl angenehm und kurzweilig, doch für ihn selbst quälend langsam und zäh wie Fleisch zweifelhaften Ursprungs. Nachdem eine subjektive Ewigkeit verstrichen war hatte sie, endlich, das beendet, was wohl ihr letztes Abendmahl gewesen sein dürfte. Erleichtert bemerkte Franklin, wie sie die Rechnung beglich und nach ihrem Mantel griff. Er ließ ihr den Vorsprung von einer halben Minute, die er nutzte um der Kellnerin eine Dukate für den Wein auf den Tisch zu legen, bis er sich geschmeidig wie ein Panther erhob und ihr in die kalte Nachtluft folgte. Beutezeit!

Gerade noch konnte er sehen, wie ihr wehender Mantel um die nächste Straßenecke verschwand. Gemächlichen Schrittes folgte er ihrer Fährte, in diskretem Abstand. Er blieb in angemessener Entfernung stehen sobald sie irgendwo verharrte, sei es um die Auslage eines Schaufensters zu bewundern oder um sich an der Melodie eines Straßenmusikanten zu erfreuen. Bald verließen sie die belebten Straßen, näherten sich den Wohngebieten mit ihren Parks und Freizeitanlagen, welche um diese Tageszeit einsam und verlassen den Rufen der Eulen lauschten. Unauffällig rückte er etwas weiter auf, beschleunigte seine Schritte nur ein wenig, jedoch genug um den Abstand zwischen ihnen stetig zu verringern. Bald war sie nur noch ein paar Meter vor ihm, noch immer arglos, nichtsahnend, versunken in ihren eigenen Rhythmus, der sie vorantrieb. Die Melodie ihrer Absätze auf dem rissigen Asphalt versetzte ihn in die notwendige Trance, den finalen Schritt zur Erlegung des Futtertieres zu tun: der Panther setzte an zum Sprung und riss sie von hinten hinab ins Dunkel. Mit ein paar schnellen Schritten schloss er zu ihr auf, und packte sie, gerade als ihre Sinne erwachten und sie sich alarmiert zu ihm umdrehen wollte, an ihrem langen, schwarzen Haar, umschloss mit der anderen Hand ihren Mund, damit sie nicht schreien konnte und zerrte sie von dem ohnehin nur spärlich beleuchteten Weg ins Dickicht. Dann, dort in den Büschen jenseits des Lichts, umschloss er mit seinen lederbehandschuhten Händen ihren zarten Hals und nahm ihr das Bewusstsein, doch nicht, zumindest noch nicht, ihr Leben.

Franklin erlebte einen winzigen, nostalgischen Augenblick, als er anschließend in seine Tasche griff und eine kleine, technische Errungenschaft herauszog; dachte an die Beuten, die er in jungen Jahren erlegt, sorgfältig gefesselt, geknebelt und im Schatten dunkler Büsche versteckt hatte; um wenig später, noch immer im Schutz der Nacht, mit einem geeigneten Transportmittel zurückzukehren. Stets von der Angst begleitet, die Beute könnte entdeckt worden oder gar doch noch entwischt sein. Die Logistik war damals ein schwieriger Faktor bei der Nahrungsbeschaffung gewesen und seine Mittel begrenzt. Heute, in Zeiten in denen er ein wohlhabender Mann war, stellte der Transport der Beute keinerlei Problem mehr dar. Doch auch ein Teil der Aufregung und des Nervenkitzels war mit ihm verschwunden. Seine Stimme klang gedämpft, als er die Koordinaten seiner Position in das winzige Mobilfunkgerät flüsterte. Mit einem “Paket zur Abholung bereit” beendete er das kurze Gespräch und ließ das Telefon in der Innentasche seines Mantels verschwinden. Es dauerte nicht lange, bis eine schwarze Limousine an dem von ihm angegebenen Ort hielt und ein geschäftiger Fahrer hilfsbereit heraussprang, um ihm beim Einladen seiner grausigen Fracht zu helfen.

Grausig war auch die Erscheinung des Chauffeurs selbst; wirre, ungepflegte Dreadlocks ringelten sich unter einer Wollmütze hervor; eine Kette baumelte um seinen dürren Hals, an der Knochen, die Pfote eines Hasen, kleine bemalte Steine mit okkulten Symbolen und eine Hühnerkralle hingen. Sein Blick erschien nicht nur auf Grund der Dunkelheit finster und strafte das fröhliche Aussehen seines verwaschenen Bob Marley T-Shirts Lügen. Seine Füße waren ungewaschen und an ihren Sohlen klebten noch die Blutspuren einer nächtlichen Opferung. Meist steckten sie in billigen Sandalen, die er ebenfalls mit mysteriösen Zeichen beschmiert hatte, doch heute brauchte er den Schutz des okkulten Schuhwerks nicht; das Opferblut war mächtiger und bot seinen Füßen mehr Schutz, als es die billigen Sandalen vermochten. Gleichgültig, als würde er die Koffer eines Reisenden verladen, wuchtete der Fahrer das fest verschnürte, doch eindeutig menschliche Paket in den Kofferraum. Gleich darauf hielt er dem Jäger, respektvoll und höflich, die Türe des Wagens auf.

Zurückgelehnt in die schwarzen Ledersitze spürte Franklin, wie die Anspannung von ihm abfiel, welche die Jagd stets begleitete. Das sanfte Schaukeln der Räder, die sich Kilometer um Kilometer durch die Nacht fraßen, ließ eine hypnotische Ruhe über ihn kommen. Ebenso konstant ließen seine Erinnerungen die Räder der Zeit zurücklaufen; hin zum Anfang von Allem, zu der Frau, zu seinem eigenen inneren Tod und seiner Wiedergeburt als wahrer, wenn nicht gar einzig wahrer Gourmet. Zurück zu seiner Gefährtin, die entkräftet vom Hunger und zu vielen Entbehrungen die Geburt ihres Erstgeborenen nicht überlebt hatte. Zurück zu den leeren, toten Brüsten, die ihrem Kind keine Nahrung geben konnten, zum ohnmächtigen Gefühl des eigenen Hungers. Seine Erinnerungen führten ihn zu dem nicht verstummenden Geschrei dieses winzigen Bündels, dessen heranwachsender Leib mehr Kräfte verzehrt hatte, als die von Franklin geliebte Frau besaß. Er erinnerte sich an den unbändigen Hass, den dieses kleine Wesen, das ihm alles genommen hatte was ihm lieb war und doch weiter schrie und schrie und immer mehr wollte, in ihm auslöste. Und er erinnerte sich an den scharfkantigen Stein, den er benutzte, um zuerst dem Geschrei und anschließend seinem Hunger ein Ende zu bereiten. Doch an all das dachte er nur einen Sekundenbruchteil, bevor er sich in der Erinnerung an die darauf folgende, ekstatische Explosion seiner Geschmacksnerven und die lebensverändernde Erweiterung seines kulinarischen Horizontes verlor.

Aus diesen angenehmen Träumen erwachte er, als der Wagen endlich sein Ziel erreicht hatte und vor einem herrschaftlichen, von Zypressen und süß duftenden Fliederbüschen umgebenen Anwesen stehen blieb. ”Wir sind da Sir”, sagte der Fahrer, abermals höflich die Türe aufhaltend und anschließend das Mitbringsel seines Fahrgastes ausladend. “Soll ich es gleich in der Küche abstellen?“

 

 

 

 

 

 

 

Kapitel 2 - Ouvertüre

Bei einem Festmahl sollte man mit Verstand essen, aber nicht zu gut, und sich aber nicht mit zu viel Verstand unterhalten. (William Somerset Maugham)

Er gönnte sich eine Menthol-Zigarette und blies den erfrischenden Rauch über das reglose Gesicht seiner Beute. Man konnte ihm vieles nachsagen, nur Herzlosigkeit nicht; davon besaß er nämlich Unmengen in seinen mannshohen Gefrierschränken. Aus einer Flasche auf der Anrichte grinste ihn ein zwergenpenisgroßer Tequilawurm dümmlich an und einen Moment verzog er sein Gesicht zu einer Grimasse, die wohl ebenfalls ein Lächeln darstellen sollte, bevor er sich einen großen Schluck des hochprozentigen Inhalts in ein Glas schüttete.

Genüsslich nippte er an dem Getränk und goss dann den Rest in den leicht geöffneten Mund seines noch immer in gnädiger Bewusstlosigkeit dahindämmernden Opfers. Wie erwartet fing dieses daraufhin an zu husten als wäre es ein defekter Wasserspeier. Nachdem der Hustenanfall abgeklungen und es ihm gelungen war umsichtig zu verhindern, dass seine desorientierte Mahlzeit bei ihrem krampfartigen Erwachen schmerzhaft den Boden küsste, was womöglich besonders schmackhafte Partien mit Hämatomen verdorben hätte, zückte er ein großes Messer. Er wedelte ein paarmal damit vor den Augen der Auserwählten herum, was ihm schlagartig ihre volle Aufmerksamkeit sicherte. Er liebte dieses große Messer. Zwar konnte er auch mit einem kleinen Messer problemlos in Sekundenschnelle töten, doch hatte sich im Lauf seiner Jahre in diesem Geschäft immer wieder herausgestellt, dass größere Messer eindeutig eine größere psychologische Wirkung auf die Beute haben als kleine. Mit dem Versprechen, es würde ihr nichts geschehen solange sie sich ruhig verhielte, glatt gelogen aber dennoch wirkungsvoll, beruhigte er sie, so dass er ihre Fesseln lösen und sie sich aufsetzen konnte.

Bald war ihre Freiheit weitestgehend wiederhergestellt; lediglich eines ihrer Handgelenke umschloss er mit einem Paar Handschellen und fixierte sie damit an einer Metallstange, die in praktischer Höhe in die Wand hinter ihr eingelassen war.

Wie ein im Scheinwerferlicht eines heranrasenden Wagens vor Angst erstarrtes Reh saß sie regungslos auf seiner Arbeitsfläche, mit weit aufgerissenen Augen und ängstlich bebenden Nüstern. Ungerührt, ohne ihr auch nur vage ihre Lage oder gar den Grund ihrer Gefangennahme zu erklären, drehte er ihr den Rücken zu, nahm einen Salatkopf zur Hand und fing an, die zarten Blätter auseinanderzupflücken und sorgfältig zu waschen. Alsbald schon, nach nur einem kurzen Moment der fassungslosen Ruhe, versuchte sich sein Opfer in der hohen Kunst der Kommunikation. Verlangte zu wissen, was er mit ihr vorhatte, weshalb sie hier war, gefesselt auf der Arbeitsplatte in einer ihr fremden Küche. Würde er sie töten? Oh, dieser flehende Blick; welch köstliche Pein in ihren vom Weinen geröteten Augen…

Noch immer wortlos setzte er ein strahlendes, gütiges Lächeln auf, schüttelte nachsichtig und verneinend seinen Kopf. Nein, um ihren Tod ging es ihm nicht. Wenngleich sein Eintreten wohl eine nur sekundär wichtige Begleiterscheinung dessen sein würde, was er mit ihr vorhatte; ein Umstand den er vorerst unerwähnt ließ. Erleichterung brachte ihr Gesicht zum Strahlen; Ähnliches hatte er bisher nur bei Sonnenaufgängen in den Schweizer Alpen gesehen. Hoffnung keimte auf; eine “Alles-wird-gut-Mentalität" bemächtigte sich Ihrer, und fast schien es so, als wollte sie ihrem Peiniger vor Dankbarkeit die Füße küssen.

“Ich möchte, dass du mein Abendessen mit deiner lieblichen Anwesenheit bereicherst!”, erklärte er ihr mit einem verschmitzten Lächeln, während er ihr mit einer leicht angedeuteten Verbeugung eine Rose überreichte, die er nebenbei aus dem Stück einer Karotte geschnitzt hatte. 

“Sie wollen mit mir essen?” hinterfragte sie, verwirrt von der absurden Banalität seines Anliegens. "Sie entführen mich und bringen mich fast um, weil sie mit mir essen wollen?"

“Aber nein, mein Dummerchen“, korrigierte er rasch. “Ich werde Dich essen!”

Zuerst lachte sie ungläubig, doch nach einem langen Blick auf sein gleichmütig-freundliches Gesicht, welches in starkem Kontrast stand zu der Gier in seinen Augen und dem Tranchiermesser in seiner Hand, schrie sie. Hoch und schrill, als wolle sie die unausweichliche Arie mit dem Zersingen seiner Weingläser beginnen. Nach dem Schreien kam das Kreischen, dann das Betteln und schließlich, nach dem fast schon mitleiderregenden Flehen, kam das Schweigen. Das Erkennen der Wahrheit, das Begreifen der Ausweglosigkeit und des bevorstehenden Endes, morphte ihr ansonsten hübsches Gesicht in eine furiengleiche Karikatur, gezeichnet von Entsetzen apokalyptischen Ausmaßes. Dies war der sagenumwobene Anblick, der sich einst Odysseus geboten haben musste, als er Auge in Auge mit Scylla und Charybdis um sein Leben rang. Es war das bleiche Pestgesicht des Mittelalters; der frühe Kindstod, das schwarze Herz der Finsternis: der Wahnsinn. Wahnsinn in ihrem Blick, in ihren Zügen, in jeder ihrer noch ungewürzten Hirnwindungen. Die Frau, die sie bis vor wenigen Momenten noch gewesen war, hatte das Feld geräumt und Platz geschaffen für Mutter Agonie.

In diesem fast schon katatonischen Zustand verharrte sie, während er sich wieder von ihr abwandte, gemächlich ein paar Zwiebeln schälte, ein delikates Salatdressing anrührte und ein wenig Butter in einer kleinen Pfanne zerließ. Doch kaum näherte er sich ihr, mit gezückter und geschärfter Klinge, fing sie an sich zu regen. Dann begann die Symphonie des Schmerzes, leise erst, mit einem Wimmern, zart wie der erste Streich mit dem Bogen, den ein hochbegabter Violinist führt. “Schhhh”, flüsterte er während er mit festem Griff ihr Haar packte, um auf diese Art die Kontrolle über die Bewegungen ihres Kopfes zu erlangen.

Sie wand sich wie eine tödlich verwundete Schlange, nur dass es in seiner mit sämtlichen Finessen ausgestatteten Schlachthalle keinen Wüstenfelsen gab, unter dem sie sich verkriechen konnte. Ihr sich selbst verzehrender Geist beschwor ihr tausend Dinge und Kleinigkeiten herauf; Termine, Dates und Afterwork-Partys, auf denen sie einfach erscheinen musste. Sie konnte nicht sterben; nicht jetzt und nicht so. Da wartete noch so viel Leben auf sie; so viel Zukunft, Hoffnung und ungelebte Perspektive. Gerade als sie beschloss, durchzuhalten und diese finstere Stunde zu überstehen, zu kämpfen, zu fliehen, kam der erste Schnitt. Rasender Schmerz durchflutete ihre Nervenbahnen und gipfelte im Sehnerv, was ihre Augen unkontrolliert rotieren ließ. In ihrem rechten Gesichtsfeld sprudelte es rot; etwas war anders, fehlte, doch sie war sich noch im Unklaren darüber, was es sein könnte. Dann erkannte sie es: es war ihr rechtes Ohr. Achtlos warf er ihr ein Geschirrtuch zu.

“Hier, drück das fest auf die Wunde, der Druck wird die Blutung stoppen.”, wies er sie an. Und während sie eilig das Tuch auf den Krater, der einmal ihr Ohr war presste, ließ er die frisch gesammelte Gehörschnecke in die zischende Butter in der kleinen Pfanne gleiten und gab ein paar gehackte Kräuter hinzu.

Ohren gehörten seit jeher zu den beliebtesten Vorspeisen der Naturvölker. Auf Höhlenmalereien, Papyrusaufzeichnungen und verblichenen Gemälden vergessener Meister fanden sich nur allzu oft die expliziten Darstellungen des Aktes der Kopfverstümmelung zum Wohle derer, die sich in der Hierarchie der Esser oben befanden. Im alten China, zu Zeiten Kaiser Hiroshima des Fünftens, galt die freiwillige Opfergabe des rechten Ohres als Zeichen der Treue zur Monarchie. Bei den Mayas sorgte der Verlust eines Hörorgans aus hehren Gründen für Reichtum und Ansehen in der Gemeinschaft. Die Zeiten mögen sich ändern, doch die alten Rituale bleiben unvergessen. Er hatte viel gelesen und noch mehr recherchiert; war durch Nepal gewandert und hatte in den Slums von Kalkutta manch wissenswertes Kleinod erfahren. Die Welt war voll von begnadeten Köchen und unvergleichlichen Köstlichkeiten und Ohren, auf die richtige Art zubereitet, gehörten sicherlich zu den kulinarischen Erfahrungen, die keinem wahren Gourmet vorenthalten werden sollte! All dies teilte er ihr mit, ließ sie von seiner Weisheit kosten während er von ihr kostete und genüsslich an dem inzwischen knusprig frittierten Schneckchen knabberte, doch es schien ihm, als würde sie ihm nur mit halbem Ohr zuhören.

Um wieder ihre volle Aufmerksamkeit zu erlangen und ein kleines bisschen zum Vergnügen, auch wenn ihm seine Mutter durchaus beigebracht hatte, dass man mit dem Essen nicht spielen soll, griff er erneut zur Klinge. Ängstlich, in Erwartung erneuter Marter, zuckte sie zurück, doch statt ihr einen weiteren Mundvoll ihres Körpers zu entfernen, zerschnitt er nur ihre Kleidung, bis sie in unbrauchbaren Fetzen an ihr herabhing. Als er dann sein Messer zur Seite legte, deutlich außer Reichweite ihres ungefesselten Armes, und anfing scheinbar lüstern ihren Körper zu betrachten und zu berühren, keimte erneut ein Funke Hoffnung in ihr auf. Sie wusste um ihre weiblichen Reize, hatte sie in ihrem jungen Leben schon oft genug eingesetzt um ihre Ziele zu erreichen. Ihr neues Ziel war eindeutig das Überleben dieses Wahnsinns! Und wenn sie die Wahl hatte zwischen Schändung und Tod, so war der unfreiwillige Geschlechtsverkehr dem Ableben kategorisch vorzuziehen!

Darum versuchte sie, nicht zurückzuschrecken, als seine Hand unsanft begann ihre Brüste zu kneten. Sie strebte danach, die schmerzhaften Seufzer, welche sich nicht unterdrücken ließen, möglichst erotisch klingen zu lassen und spreizte sogar vorgetäuscht willig die Beine, als seine Hand wie die ekelhaften Gebeine einer Spinne ihren Schenkel hochkroch, hin zu ihrer intimsten Stelle. Überzeugt davon, dass er ihren Reizen erliegen würde raunte sie in sein Ohr, sie würde alles tun, ihm unsägliche Freuden bereiten, wenn er nur die Handschellen lösen würde. Sie würde sich vor ihn knien, sich ihm unterwerfen, seinen Schwanz auf ungekannte Art mit ihrer Zunge verwöhnen, ihm nie zuvor erreichte Lust bereiten.

Für einen Moment ließ er sich auf ihr Spiel ein. Er ließ zu, dass sich ihre ungefesselte Hand ihren Weg in seinen Schritt suchte, reibend und obszön, spürte ihren warmen Atem an seinem Ohr, während sie ihm schmutzige Worte hineinflüsterte und verlangte die Zunge zu sehen, von der sie behauptete, sie könne ihm ungeahnte Genüsse bieten. Als sie sie, ungewöhnlich naiv für ein Mädchen mit solch einem Wortschatz, lasziv herausstreckte, packte er rasch zu, zog sie noch ein Stück weiter aus dem überraschten Mund und schnitt er sie mit geübter Hand heraus. Dann warf er sie in das noch immer siedende Fett auf dem Herd. Und während sie gurgelnd, als spräche sie  in fremden Zungen, und unartikuliert den Verlust ihres Sprachvermögens betrauerte, beraubte er sie flink auch noch des linken Ohres, was einen Schmerz zur Folge hatte, der ihr fast die Sinne schwinden ließ. Die Zunge in der Pfanne bekam Gesellschaft.

Zunge ist nicht jedermanns Sache. In den Kreisen von Mafia und Cosa Nostra galt das Herausschneiden des Gaumenmuskels als Zeichen des Verrats; ruchloses Organ, geschwätziger Lappen. Ließ man aber diese traditionellen Vorurteile außer Acht, wurde man dafür im Gegenzug mit einer wahren Delikatesse belohnt. Franklin aß Zungen seit Jahren mit stets gleicher Begeisterung, doch auch in dieser Fleischkategorie galt es weise und vorausschauend zu planen. Raucherzungen fielen ebenso durch sein kulinarisches Raster wie Zungen über Vierzig:  Geschmack, vor allem aber Konsistenz ließen dabei auffallend zu wünschen übrig. Frauenzungen hingegen waren meist zart und mit einem angenehm herben Aroma behaftet; für ihn gab es kaum etwas Erstrebenswerteres. Die Vorfreude auf den baldigen Genuss betörte ihn, ließ ihn schon vor dem Essen euphorisch werden und er begann ihr einen weiteren, ekstatischen Vortrag über die Kunst der feinen Küche zu halten. Doch bestürzender weise, gerade als sein lehrreicher Vortrag sich dem Ende näherte, verlor das Fleisch erneut das Bewusstsein. Noch viel bestürzender jedoch war, dass er vor lauter Tratschen ganz die in der Pfanne schmorende Köstlichkeit vergessen hatte und die gute Mahlzeit bis zur Ungenießbarkeit verbrannte.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kapitel 3 - Kapital

Ein Mann mit einem hohen Bankkonto kann gar nicht hässlich sein.                                                                     (Zsa Zsa Gabor)

Ihre Bewusstlosigkeit ging ihm allmählich auf die Nerven. Die eigene Schlachtung zu verschlafen war etwas, das Franklin absolut nicht nachvollziehen konnte; obwohl er sich ansonsten für einen toleranten Menschen hielt. Bislang waren sie kaum weiter als bis zum Vorspiel gekommen, hatte sein Gaumen nur unerheblich mehr als die Andeutung ihres einmalig-individuellen Geschmacks goutieren dürfen. Und die kleine Zwischenmahlzeit, welche ihm so unglücklich verbrannte, war ein einziges Ärgernis gewesen! Der einzige Vorteil, den er in ihrer Besinnungslosigkeit erkennen konnte war, dass er in aller Ruhe der Fleischbeschau frönen und sich ergötzen konnte an dem wehrlosen Fleisch; gegenwärtig noch so lebendig, doch binnen Kurzem schon verdaut.

Essen ist Erotik für die Eingeweide; in seinen Augen ein intimes Zusammensein, mit dem ein wesentlich höheres Maß an Intimität erreicht werden konnte, als es durch schnöde sexuelle Handlungen und Akte möglich war. Das Fleisch des Anderen zu verzehren, ihn zu kosten, schlucken und zu verdauen, war die ultimative Vereinigung. Ein Orgasmus der Sinne, eine Fusion auf der hohen Ebene der absoluten Hingabe. Zugegebenermaßen war diese Hingabe etwas einseitig und sicherlich auch nicht ganz freiwillig, was jedoch, zumal diese Realitäten die Vollkommenheit der Vereinigung weder beeinträchtigten noch schmälerten, für ihn gänzlich unerheblich war. Zu Tafeln und den Anderen zu genießen war nicht nur Lust und Leidenschaft, sondern ein Akt der reinen, unverfälschten Liebe. Denn die Liebe, so sagt man, geht nun einmal durch den Magen.

Die Navajo - Indianer glaubten, dass mit dem Verzehr des Herzens die Seele des Opfers in einen selbst überging; je mehr man davon aß, umso mächtiger und unbesiegbarer wurde man. Franklin glaubte nicht an derlei Legenden, doch ein Körnchen Wahrheit fand sich dennoch in den alten Mythen: man fühlte sich ÜBERLEGEN. In einer Welt voller Futtertiere war er der Löwe; die Savannen der Großstadt waren seine Spielwiese, seine Futterkrippe, seine nur ihm vorbehaltene Pralinenschachtel. Und unter dem Gesichtspunkt  “Du bist, was du isst”, fühlte er sich zutiefst menschlich; übermenschlich.

Es war erneut an der Zeit, das dämmernde Fleisch ins Leben zurückzuholen. Feuer galt es mit Feuer zu bekämpfen, die Ohnmacht durch Schmerz mit dem Schmerz selbst. Demzufolge beugte er sich kurzentschlossen über sie, bleckte die Zähne und biss eine ihrer keck und verleitend emporragenden Brustwarzen ab. Mit einem gellenden, gutturalen Aufschrei erwachte das Fleisch aus dem lästig ignoranten Dämmerzustand in das es sich geflüchtet hatte. Endlich begann der zweite Akt der Qual. Wieder ertönte der reine Ton der Pein, der Auftakt seines Dinners. Das Tranchiermesser in seiner Hand ersetzte den Taktstock des Dirigenten; ein sanfter Einschnitt hier, begleitet von zartem Wimmern, ein schnelles Stechen um die Klangfülle zu intensivieren, dann ein tiefer Schnitt in den saftigen Oberschenkel um das volle Klangspektrum erschallen zu lassen. Am Ende des erbarmungslosen Aktes der aus tiefster Kehle kommende Schrei, pur und rein, wie das Hohe C, langsam in der hernach stillen Küche verhallend.

Das Heraustrennen eines etwa 200 Gramm wiegenden Hüftsteaks, in welchem die Arie gegipfelt hatte, nahm dem Fleisch, wieder einmal, sein Bewusstsein. Er verdrehte die Augen gen Zimmerdecke, ein Ausdruck, der besagen sollte: “Na, das war ja klar!” Fast schon hätte er erneut nach der weckenden Wurm-Brühe gegriffen, besann sich dann aber eines Besseren und beschloss, dem Fleisch eine kleine Auszeit zu gönnen. Und so widmete er sich leise summend der Zubereitung seines nächsten Ganges.

Mit Kennerblick beurteilte er das Steak, das zart durchwachsen zu sein und in der Qualität dem eines Kobe-Rindes in nichts nachzustehen schien. Etwas frisch gemahlener Pfeffer würde vollauf genügen, das Salz erst ganz zum Schluss, dazu nur einen Hauch selbstgemachter Kräuterbutter und den frischen Kopfsalat. Ein schlichtes, aber exquisites Mal, scheinbar einfach in der Zubereitung, aber dennoch ein Anspruch an die Feinfühligkeit des Koches; eine Frage des perfekten Timings um die vergängliche Zeitspanne in der das Fleisch nicht  mehr ganz blutig, doch auch nicht zu gar ist, nicht zu versäumen.

Die Flanken einer Frau, einerlei ob barock und üppig oder knabenhaft und schmal, beseelten seit Jahrtausenden, aufreizend wackelnd oder sich im Tanze wiegend, die Schwärmereien der erotomanisch Obsessiven. Diese Obsession und Obszönität, miteinander Hand in Hand gehend, fand man in jeder Epoche, jeder Stilrichtung der Kunst, abgesehen vielleicht vom Kubismus, der mit solch weiblichen Formen nicht viel anfangen kann. Die Darstellung ausladender Hüften und gebärfreudiger Becken fand sich bereits, in kahlen Fels gemeißelt, in den Höhlen australischer Ureinwohner. Franklin dachte auch an Rubens, der, seiner Meinung nach, seine rothaarigen Frauen mit den üppigen Hüften mit Sicherheit auch lieber verspeist als gemalt hätte, hätte er auch nur entfernt erwogen und erkannt, wie viel delikater, stimulierender, ja, befriedigender als der optische, doch der geschmackliche Genuss des Hüftfleischs ist! Wie trotz allem beschränkt und kleingeistig selbst dieser große Schöpfer doch war! Und mit der Gewissheit selbst die exzellentesten Meisterwerke zu erschaffen hob er das Fleisch in die Pfanne.

Nachdem er sein Abendmahl beendet hatte und der Morgen langsam zu grauen begann löste Franklin die Fesseln des noch immer besinnungslosen Futtertieres. Er hob es auf, schulterte es frisch gestärkt und brachte es in den artgerecht eingerichteten und schalldichten Vorratsraum im Keller seines Hauses. Frisches Stroh hatte er schon ausgestreut bevor er sich auf die Jagd begeben hatte. Früher hatte er versucht den Komfort der Stallung  luxuriöser zu gestalten Doch leider erwies sich das Entsorgen blutgetränkter Matratzen als ungleich prekärer als das Verbrennen eines Haufen Strohs im eigenen Garten. Einmal hatte ihn eine neugierige Nachbarin dabei beobachtet, wie er eine blutige Matratze aus dem Haus schleppte. Sie beäugte ihn ohnehin argwöhnisch, seit einem kleinen Vorfall bei dem Bienen eine Rolle gespielt hatten. Um ihre skeptischen Gedanken zu verwirren, ihr eine plausible Erklärung zu liefern und vielleicht auch ein klein wenig um sie zu schockieren, stellte er sich zu ihr an den Gartenzaun und erzählte er ihr eine abstruse Geschichte von einer Freundin mit sehr starker Monatsblutung. Er musste sich ein schallendes Lachen verkneifen, als sie sich daraufhin angewidert umdrehte und schnell die Treppen ihrer Veranda hinauf hastete. Seitdem war er auf einfaches Stroh umgestiegen und jeglicher Luxus in der Speisekammer wurde ersatzlos gestrichen. Natürlich abgesehen vom wohlschmeckenden Inhalt selbst.

Um das schmutzige Geschirr und das Blut in der Küche musste er sich keine weiteren Gedanken machen, denn glücklicherweise war er mittlerweile ein wohlhabender Mann. In nicht einmal 2 Stunden würde die Putzfrau kommen. Diese hatte sich längst daran gewöhnt, dass ihr Arbeitgeber, worauf er sie auch zu Beginn ihrer Anstellung vorbereitet hatte, ein offenkundig sehr spiritueller Mensch war, der aus Glaubensgründen sein Fleisch im eigenen Haus schächtete um sicherzustellen, dass es koscher und rein war. Und solange er die Überreste der Kadaver selbst beseitigte und ihr Gehalt das einer durchschnittlichen Putzfrau weiterhin deutlich überstieg, würde sie auch ferner kein Problem damit haben. Ihre Reinigungskraft erleichterte Franklin das Leben doch sehr. Ebenso wie die hilfreichen Dienste seines privaten Chauffeurs; einem alten Haitianer, der nach dem Großen Beben 2010 als Flüchtling ins Land gekommen und seitdem mehrfach mit den Behörden in Konflikt geraten war. Der Haitianer stand ihm als Fahrer auf Abruf bereit und auf seine Verschwiegenheit konnte er sich voll verlassen. Zumindest solange er dessen Passion für seine Religion hin und wieder mit der Spende etwas menschlichen Blutes oder einem übriggebliebenen Herz förderte. Zudem hatte der alte Voodoo-Schamane die Putzfrau mit dem Fluch der versiegelten Lippen belegt; indem er eines ihrer Kopftücher, an dem noch ein paar ihrer Haare klebten, einem prächtigen Hahn um den Hals band, diesem den Schnabel zunähte und ihn dann bei Vollmond opferte, dabei lauthals aber völlig unverständlich sang und sich mit Hahnenblut bespritzte. Nicht das Franklin an derlei Hokuspokus glauben würde, aber schaden konnte es zweifelsohne auch nicht.

Es hatte Zeiten in Franklins Leben gegeben, in denen sein Vermögen kaum das eines Bettlers überstiegen hatte. Doch viele Opfer hinterließen viel Vermögen. Und da sie es in dem alten Brunnenschacht hinterm Haus, in den er ihre abgenagten Knochen warf, wohl kaum noch brauchen würden, eignete er sich, wann immer sich die Gelegenheit dazu ergab, diskret so viel wie möglich davon an. Die Wirtschaftskrise, der endgültige Zusammenbruch der Banken und Börsen und die Einführung des Gold-Dukaten als Weltwährung simplifizierte den Vermögenstransfer in ebenso großem Maße, wie er dafür sorgte, dass das Kapital einfach zu finden war. Man sollte nicht für möglich halten, wie viele Menschen ihr Erspartes unter ihrer Matratze verstecken! Außerdem, wenn man dem Fleisch nicht bereits bei der Vorspeise die Zunge entnahm, verriet es ohnehin meist ganz von selbst, wo die güldenen Talerchen zu finden waren.

Er war weit gekommen, seit er diese Einnahmequelle für sich entdeckt hatte. Vom mittellosen Hungerleider hatte er es zum wohlhabenden Mann mit einem schönen Haus und einer vollen Speisekammer gebracht. Und so legte er sich, zufrieden und sorglos, in sein Himmelbett und schlief den Schlaf der Gesättigten.

 

 

 

 

 

 

 

Kapitel 4 - Realität

Im Herzen eines Menschen ruht der Anfang und das Ende aller Dinge.                                                            (Leo Nikolajewitsch Graf Tolstoi)

 

Fou-Mai erwachte. Orientierungslos; frierend; gepeinigt.

Zitternd versuchte sie sich aufzurichten, doch ein stechender Schmerz in ihrem Oberschenkel zwang sie dazu, sich umgehend wieder zu horizontalisieren. Außerdem hatte sie  das Gefühl, ein glühendes Geschoss würde pfeilgleich ihren Lendenbereich durchbohren. Sie fühlte sich wie eine Schiffbrüchige; als hätte sie Äonen treibend in einem feindlichen Eismeer verbracht. Hilflos und allein in einem Ozean, in dem urzeitliche Monstrositäten mit verteufelt großen Zähnen ihr unheiliges Dasein fristeten. Langsam ließ der Schmerz nach. Nun endlich schienen die Wellen sie an den Strand gespült zu haben und einen Moment lang lag sie nur da und lauschte dem Tosen der Brandung. In einem beruhigenden Rhythmus rollten die Wellen heran, das gleißende Licht der Sonne zauberte rote Wirbel auf die Innenseite ihrer fest zusammengekniffenen Augenlider und sie konnte die würzige, mineralhaltige Luft des Meeres riechen.

Langsam öffnete sie ihre Augen. Dies stellte sich als geradezu fataler Fehler heraus, denn die Realität sprengte binnen eines Lidschlags die Vision und das warme Licht der Sonne verwandelte sich in das kalte Strahlen einer nackten Neonröhre. Die sanfte Meeresbrise, wesensgleich einer Stinkbombe, wurde zum eisenhaltigen Dunst des  Blutes, dem Pesthauch des bevorstehenden Todes. Entsetzt erkannte sie das Lied des Meeres; es war ihr Eigenes. Das Rauschen in ihren Gehörgängen stammte vom Schlag ihres Herzens. Und nun, da ihre Gehörmuscheln abhandengekommen waren, schien die Welt um sie herum in Watte gepackt zu sein, gedämmt bis zum Unhörbaren, einzig das unerträgliche Dröhnen ihres eigenen Lebenssaftes blieb. Mit dem Erkennen der grausigen Melodie kam schlagartig auch die Erinnerung und traf sie mit der Wucht eines Vorschlaghammers, der dem bröckelnden Mauerwerk ihrer geistigen Gesundheit einen irreparablen Schaden zufügte.

Ein gellender Schrei entfuhr ihrem zungenlosen Mund und ihre Hände glitten suchend zu den fehlenden Ohren. Entsetzen ungeahnten Ausmaßes machte sich in ihr breit. Sie war gefangen in einem skurrilen Alptraum, in dem klassische Musik und sanfter Kerzenschein den Schmerz der Amputationen und ihre Schreie begleitet hatten. Wieder sah sie das scharf geschliffene, im Kerzenlicht schimmernde Messer, geschwungen wie einen Taktstock, vor ihren Augen tanzen, bevor es in ihr Fleisch drang. Sie erfasste wie ihr Schlächter an ihrem Ohrläppchen geknabbert hatte und glaubte erneut den Gestank ihrer in der Pfanne schmorenden Zunge riechen zu können. Während seines grausigen Tuns betrieb er leichte und höfliche Konversation; als wäre es völlig normal und absolut nebensächlich, dass er sie am Rande ihrer einseitigen Unterhaltung auffraß.

Irgendwann musste sie das Bewusstsein verloren haben, denn inzwischen befand sie sich nicht mehr in dieser Küche des Grauens. Wo sie nun war, konnte sie nur vermuten. Der Raum war nicht besonders groß, komplett mit weißen Fliesen ausgekleidet und der Boden notdürftig mit ein wenig Stroh ausgelegt. In der Ecke stand ein Eimer; wahrscheinlich sollte sie darin ihre Notdurft verrichten. Ihr schwante, dass sie für diesen Eimer wahrscheinlich noch dankbar sein würde; war doch die Dauer ihres ungeplanten Aufenthalts äußerst ungewiss. Sie fröstelte; es war kalt in diesem Loch! Die Bewegung folterte sie erneut, doch um sich zu wärmen und selbst ein wenig Trost zu spenden, zog sie die Beine an den Körper. Fest schlang sie die Arme darum, senkte ihren rauschenden Kopf dazwischen und ließ ihren warmen Atem in die so entstandene Körperhöhle strömen. Und während ihr strudelnder Geist der Abwärtsspirale des Wahnsinns folgte taten es ihre verzweifelten Tränen dem Odem gleich.

Dann öffnete sich die Tür.

 

 

 

Kapitel 5 - Eifersucht

Wenn ein Mann will, dass seine Frau zuhört, braucht er nur mit einer anderen zu reden.                                             (Liza Minnelli)

Unzufrieden betrachtete Naomi ihre vor ihr auf der Staffelei stehenden Klecksereien. Sie war eine nur mäßig begabte Künstlerin und die Malerei nicht mehr als ein Hobby von ihr, doch an guten Tagen gelangen ihr Bilder, auf denen sich zumindest das Motiv, welches sie abbilden wollte erkennen ließ. Heute war offensichtlich keiner dieser Tage. Das Stillleben, welches eine Vase mit weißen Rosen und Lilien darstellen sollte, erinnerte in seiner Formlosigkeit viel eher an die Seele eines Pudels, die zum Himmel aufsteigt. Frustriert nahm sie einen großen Pinsel, wischte damit einmal kreuz und einmal quer über die ohnehin bereits ruinierte Leinwand und warf danach zornig ihr malerisches Werkzeug gegen die bis dahin weiße Wand ihres kleinen Hobbyraumes. Noch wütender starrte sie danach auf den Fleck, der nun die Wand zierte und der mehr Ausdruck zu haben schien, als das misslungene Bild.

Doch eigentlich galt Naomis Wut viel weniger dem Fleck an der Wand und viel mehr dem Umstand, dass ihre Liebste die ganze Nacht nicht nach Hause gekommen war.

Am Abend zuvor hatten sie sich heftig gestritten. Es war nicht die erste Debatte die sie und Fou-Mai geführt hatten, seit ihre anfangs kameradschaftliche Freund- und Wohngemeinschaft sich in eine Liebesbeziehung gewandelt hatte. Ebenso wenig, wie es das erste Mal war, dass aus der anfänglichen Diskussion ein handfester Streit wurde, der darin gipfelte, dass Fou-Mai davon stürmte. Mit wehenden Haaren, aufgebracht wie ein sich in der Karibik zusammenbrauender Wirbelsturm; gleichermaßen eine Spur der Verwüstung hinter sich zurücklassend. Doch dass sie sich danach, offensichtlich, nicht wieder beruhigt hatte, war bisher noch nie vorgekommen. Normalerweise klang der “Orkan Fou-Mai” so zügig ab wie er aufzog und selten dauerte es länger als ein paar Stunden, bis die temperamentvolle Asiatin reumütig nach Versöhnung verlangte. Doch diesmal war sie weder nach Hause zurückgekommen, noch hatte sie wenigstens angerufen. Ja, im Streit hatte sie nicht einmal ihr Mobiltelefon eingepackt; unnütz lag es da und wartete, ebenso wie sie selbst, auf seine Besitzerin.

Naomi konnte mit längeren Wartezeiten, die stets geprägt waren von emotionaler Unsicherheit, nur sehr schwer umgehen. Sie fand keine innere Ruhe und hätte einen Kurs bei einem lehrreichen Zen-Meister benötigt, um auch nur den Anschein von Gelassenheit und Geduld erwecken zu können. Ihre Ängste dominierten ihre Gedanken: bestimmt hatte ihre Liebste die Nacht bei ihrem Exfreund verbracht; dem Objekt ihres eigenen Hasses und der Eifersucht. Früher einmal waren die Beiden einmal ein Paar gewesen; bis der verhasste Kerl Fou-Mai wegen einer anderen verlassen hatte.

Die hübsche Chinesin schien den Verlust nie ganz verwunden zu haben. Die menschliche Neigung, genau das zu wollen, was man nicht oder nur sehr schwer haben kann, machte ihr das emotionale Loslassen, das "Nicht-mehr-wollen", wohl nahezu unmöglich. Schon ganz am Anfang ihrer Beziehung hatte Fou-Mai Naomi mit ihm betrogen, ihr danach aber immer wieder geschworen, dass dies ein einmaliger Ausrutscher war und sie ihn nie wieder auch nur sehen würde. Wenn Naomi glauben sollte, was man ihr erzählte, herrschte seit damals kein Kontakt mehr zwischen den Beiden. Doch auch wenn Fou-Mai es ebenso hartnäckig bestritt, wie sie selbst es anzweifelte: mittlerweile war der Kerl wieder aus der Versenkung aufgetaucht und Fou-Mai mutierte zu einer folgsamen, treudummen und läufigen Hündin, die sprang wenn ihr Herr pfiff.

Sie führte die Telefonate mit ihm stets im Nebenzimmer, heimlich und mit gesenkter Stimme, legte auf, sobald Naomi den Raum betrat. Kurz darauf erfand sie meistens Begründungen, weshalb sie nicht zu Hause sein konnte; harmlos erscheinend und bestimmt gelogen!

Erst vor ein paar Tagen war Fou-Mai so dumm gewesen, vielleicht weil sie die Quittung als Erinnerung an einen schönen Abend behalten wollte, die Rechnung für eine Pizza Amore für zwei Personen aufzuheben. Naomi hatte die zerknitterte Rechnung rein zufällig gefunden, als sie argwöhnisch und akribisch die Taschen ihrer Liebsten durchsuchte. Am Abend zuvor hatte diese, wieder einmal, angeblich Überstunden machen müssen. So viel Lug und Trug, nur um wieder einmal in sein verwanztes Bett kriechen zu können! Eine Liebesspielwiese, von der er Fou-Mai glücklicherweise immer wieder verbannte, sobald er ihrer überdrüssig wurde. Zumindest, das hatte sie ihr erzählt, war er früher so gewesen. Er behandelte sie wie Dreck und sie lief ihm anscheinend auch noch hinterher.

Unschwer erkannte sie, dass sie ihrer Freundin in dieser Beziehung nicht ganz unähnlich war. Auch sie ließ sich zu viel gefallen, verzieh das Unverzeihbare, auch wenn sie sich jedes Mal aufs Neue fragte, wie oft sie das noch konnte ohne innerlich daran zu zerbrechen. Der anfangs nur haarfeine Riss, der sich durch ihr Herz zog, drohte sich allmählich zu einer Gletscherspalte zu erweitern.

Das hatte sie nun davon, dass sie sich in eine “Normale” verliebt hatte. Fou-Mai war, im Gegensatz zu Naomi, eigentlich nicht lesbisch. Früher waren die Beiden nur Freundinnen gewesen, bis zu jenem magischen Abend vor zwei Jahren, an dem mehr daraus wurde. Soviel mehr, dass es Naomis Herz schier gar in tausend Stücke zerriss, als sie sich nun vorstellte, wie Fou-Mai sich lustvoll in seinen Armen räkelte. Wie sie genau jetzt, in diesem Moment, ihre weißen Schenkel  für ihn spreizte oder sein ach so toller Penis das zarte Fleisch penetrierte, welches sie so gern mit ihrer Zunge verwöhnte. Zwischen ihnen war ein tiefes Band der Liebe entstanden, unsicht- aber fühlbar, unzerreißbar wie der silberne Faden, der aus dem Leib einer genetisch mutierten Superspinne geboren wird. Umso mehr quälte sie, dass dieser ihr fremde Kerl noch immer einen Teil des von ihr begehrten Herzens besaß. Und es schamlos zu benutzte, um sich die Leidenschaft und Hingabe zu stehlen, die nunmehr ihr allein gehören sollte.

Schließlich fing sie an um Abstellung zu ersuchen, flehte Fou-Mai, die wie immer alles leugnete, an, sich nie wieder mit ihm zu treffen; ihn endlich aus ihrem Leben zu streichen. Dann hätten sie endlich die Chance, einander ganz zu gehören. So wie ihre Lippen, Körper und Augen es einander in ihren Liebesnächten versprachen. Sie könnten so glücklich sein!

Doch statt Verständnis und Behutsamkeit erhielt sie Verschlossenheit und Blendwerk. Und nun saß sie hier, wartete seit Stunden auf das Rasseln des Schlüssels im Türschloss oder zumindest das Klingeln des Telefons, welches sadistischer weise in ein Schweigen verfallen war, das an einen buddhistischen Schweigemönch erinnerte.

 

Den ganzen Abend hatte sie darauf gewartet, dass endlich die Tür aufging und Fou-Mai nach Hause käme. Selbst die Teelichter im Schlafzimmer hatte sie in der Nacht noch angezündet, in der Hoffnung auf eine romantische Versöhnungszeremonie. Es tat ihr leid, und wenn ihre Eifersucht auch noch so begründet war, dass sie wieder einmal mit dem leidigen “Gib-doch-zu-du-willst-seinen-Schwanz-noch-immer!-Thema" angefangen hatte! Diese Diskussionen änderten nie etwas. Im Gegenteil, sie machten die Lage nur noch schlimmer. Die Stimmung war ruiniert, die Fronten verhärtet, all das Schöne das sie verband wurde in den Hintergrund gedrängt; darüber aufragend, überlebensgroß, dieser Moloch der Eifersucht, der drohte ihre Liebe aufzufressen.

Zwar lag sie in vielen Punkten falsch, doch wie nahe sie mit diesem Vergleich der Wahrheit trotzdem kam, konnte sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal im Ansatz erahnen.

Doch war es so nicht schon immer? Eifersucht war und ist seit Urzeiten einer der Stolpersteine, über den selbst die größten Lieben fallen. Man denke nur an Othello. Die Vorstellung, seine Liebste könne einen anderen begehren, hatte am Ende das Leben der Geliebten gefordert. Oder Ödipus, der sich des Vatermordes schuldig machte, weil ihn die Eifersucht zu arg plagte; die Seelenqual, die Liebe seiner Mutter teilen zu müssen. Man betrachte die Liebe von Paris zur schönen Helena, die eine so große Eifersucht in ihrem Gatten schürte, dass er hernach ganz Troja in Schutt und Asche legte. Die Beispiele in der Geschichte waren mannigfaltig und Naomi folgte ihnen blind.

 

 

 

 

Kapitel 6 - Traum

Wer heutzutage Karriere machen will, muss schon ein bisschen Menschenfresser sein.                               (Salvador Dali)

Die Mittagszeit war bereits vorüber, als Franklin aus seinem Schlaf erwachte. Gähnend streckte er sich, warf einen kurzen Blick auf seinen Wecker, den er seltenst zu anderen Zwecken als dem Ablesen der Zeit benutzte, und ging dann pfeifend in sein Badezimmer, wo er seine morgendliche Notdurft verrichtete und sich anschließend drei Minuten lang akribisch die Zähne putzte. Im Gegensatz zu den armen Schweinen, die aufgrund schlechter Ernährung bereits mit 30 kaum noch einen Zahn im Mund hatten, war er in dem halben Jahrhundert, welches er schon auf Erden wandelte, stets besonnen gewesen. Er hatte immer gut auf seine Esswerkzeuge aufgepasst.

Über seine Kauwerkzeuge nachzudenken regte seinen Appetit an. Es gelüstete ihn nun nach einem reichhaltigen Brunch nach Art der Engländer; Eggs Sunny Side Up, dazu weiße Bohnen in Tomatensauce und etwas gebratenen Speck. Bereits die Vorstellung ließ ihm das Wasser im Munde zusammen laufen. Schnell holte er die nötigen Zutaten, das meiste aus dem Kühlschrank, den Rest aus dem Keller.

Während er frühstückte warf Franklin einen rein informativen Blick in die Handtasche seiner jüngsten Beute. Nicht aus persönlichen Gründen, nicht einmal aus habgierigen; hingegen mitfühlend, wie ein Retter an einer Unfallstelle, der herausfinden möchte, ob es Angehörige gibt, die besorgt zu Hause warten oder ein Haustier. Vielleicht eine Katze oder sogar ein kleiner Hund, der treu und geduldig die Rückkehr seiner Herrin ersehnte. Nichts wies auf einen Partner hin, ihre Identifikationskarte verriet ihm, dass sie weder verheiratet noch geschieden war; vermutlich lebte sie allein. Sie war wohl eine dieser einsamen Seelen, die ihre Tage mit dem unnützen Abheften von Aktenordnern in einem staubigen Keller oder dem Servieren fettiger Hamburger aus minderwertigem Analog-Fleisch verbrachte. Im Übrigen ein kulinarisches Verbrechen, eine überteuerte Karikatur einer Mahlzeit, die in der Realität niemals auch nur halb so gut aussah, geschweige denn schmeckte, wie das Bild über der Verkaufstheke suggerierte. Sie war nur eine kleine Ameise in dem wimmelnden Haufen der sich menschliche Zivilisation nannte und bestimmt würde niemand sie vermissen.

Zufrieden griff er nach der letzten verbliebenen Scheibe ihres köstlichen Specks und dachte versonnen daran, wie sie lerchengleich ihr morgendliches Lied der Pein angestimmt hatte. Wie süß sie doch sang, aber wie herzhaft sie doch schmeckte! Er würde sparsam mit dem Speck umgehen müssen; besonders viel davon war bei der Kleinen nicht zu holen. Nichtsdestoweniger, der Geschmack war einfach phantastisch.

Urplötzlich übermannte ihn die Melancholie. Eine Schwermut, wie sie die Witwen teilen, die unter mit schwarzer Spitze verschleierten Hüten an den Gräbern ihrer gefallenen Männer trauern. Er litt unter einem plötzlich akut werdenden Seelenkatarrh. Er bedauerte, und zwar von ganzem Herzen, ihr die Zunge herausgeschnitten zu haben. Sein Bedauern war das eines Liebhabers, der nie wieder die Lippen seiner Angebeteten küssen würde. Sein Verlust der des kleinen Kindes, dem die Mutter die Brust verweigert. Es tat ihm leid! Er würde es rückgängig machen, läge es in seiner Macht, denn er war zu voreilig gewesen. Die Amputation nahm ihm die Option der Mast.

Die Mast war eine etablierte, weit verbreitete Maßnahme, zu der man griff, wenn man den Fleischertrag maximieren wollte. Vorzugsweise in Frankreich mästete man delikate Gänse, denen man mit Hilfe eines Trichters den förderlichen Nahrungsbrei in ihre gierigen Hälse stopfte. Das Schwein, welch kluges Tier, ersparte sich diese Prozedur und päppelte sich ganz von selbst auf, mit übergroßem Appetit. Dem Schwein gleich taten es die wohlschmeckenden Sumo-Ringer, deren genudeltes Fleisch am Ende genug war, um damit eine mittelgroße Hochzeitsgesellschaft zu verköstigen. Zu schade, dass er diese Vorzüge nicht im Vorfeld erwogen hatte, bevor er seinen unbedachten Schnitt tat und sich an ihrem Gaumenmuskel labte.

Doch nun war der Schaden bereits angerichtet, das Kind schon in den Brunnen gefallen, da half alles Jammern und Bedauern nichts. Darum sagte er sich: “Aus dem Magen, aus dem Sinn!”, räumte seinen leeren Teller in die Spülmaschine und überlegte sich, wie er den Rest des Tages verbringen würde.

Später würde er einen Abstecher in die Wohnung seines Wildfangs machen, ihr etwas neues zum Anziehen mitnehmen; vielleicht einen ihrer Koffer packen, damit es den Anschein hatte, als wäre sie verreist. Nur für den Fall, das Nachbarn oder Arbeitskollegen sich irgendwann doch über ihren Verbleib wundern würden. War sie, wider Erwarten, im Besitz alten Schmucks oder Goldmünzen, so würde er auch diese mitnehmen und ihr in Bälde einen Taler davon in den Brunnenschacht hinterherwerfen, damit sie dem Fährmann die Überfahrt bezahlen konnte. Der arge Schnitter, sein alter Freund der Sensenmann, dem er jahrzehntelang Seele um Seele geliefert hatte, wartete sicher schon begierig. Franklin bekam das Fleisch, der Tod den Rest.

Der Tod, die Urangst allen Lebens, erschreckte Franklin weder, noch stieß er ihn ab. Vielmehr, so schien es ihm, arbeiteten sie im selben Metier, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen.

Der Ausflug würde gleichwohl noch etwas warten müssen. Zuerst galt es sich in die Arbeit zu stürzen und den in jedem seriösen Geschäft anfallenden Papierkram zu erledigen. Sorgfältig notierte er die grundlegenden Informationen, Art, Herkunft und Habitus des Fleisches, die nennenswerten Einzelheiten seiner Metzgerarbeit, welches Messer, welcher Körperteil, et cetera pp. Im Gegensatz zu den Memorabilien-Sammlungen herkömmlicher Serienmörder diente seine archivarische Arbeit weder der Selbstbeweihräucherung, noch der Befriedigung der perversen Lust, die in diesen Mördern aus niederen Beweggründen bei der Rekapitulation der Tat oft entkeimte. Seine Aufzeichnungen unterstützten ihn lediglich bei der Schaffung seines Lebenswerkes, einem Kochbuch oder besser gesagt lukullischen Führers des menschlichen guten Geschmacks. Noch mochte die Zeit nicht reif sein für sein Werk, doch, davon war er  überzeugt, eine der wichtigsten Schriften der Menschheitsgeschichte floss aus seiner Feder. Man würde ihn, eines fernen Tages, augenblicklich unnahbar wie der Gipfel eines Berges an dessen Fuß man erst steht, um seine Kochkunst beneiden; so wie ein Kiffer Jesus von Nazareth um seine Fähigkeit Gras aus seiner Tasche wachsen zu lassen beneidet hätte.  Die Menschen würden seine Gerichte lieben, der Planet würde es ihm danken. Die Kinder, von denen wir die Erde nur geliehen haben, würden ihn ehren, ihm ein Denkmal setzen, denn seine Geschenke an sie wären das Ende des Hungers auf der Welt. Und zugleich die Notbremse im Bevölkerungswachstum, denn die natürliche Rangordnung, das Überleben des Stärkeren, würde zuguterletzt wieder in Kraft gesetzt.

Hatte er ein Rezept, von der Fleischwahl über die bestmögliche Beschaffung, bis hin zur Zubereitung und zum Verzehr, fertig gestellt, übertrug er es in kalligraphischen Lettern in sein Original. Dieses Buch würde einmal ebenso wertvoll sein wie die erste Gutenbergsche  Bibel und nicht weniger gehütet werden; wie die unveröffentlichten Kapitel der Heiligen Schrift, die in den Katakomben des Vatikans lagern. Allerdings würde es keinen Luther brauchen, um seine Rezepte der breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Er hatte vor, zu gegebener Zeit sein eigener Reformator zu sein. Selbst würde er für die Kosten des Druckes aufkommen und Exemplare seines Werkes in die Briefkästen etlicher Erdenbürger werfen lassen; eine angenehme Abwechslung zur üblichen Werbepost. Für die weniger Beschenkten und die Althergebrachten würde er das klassische E-Book gratis zum Download anbieten. Die technisch gut Ausgestatteten würden das Buch bequem mit einem Klick aufrufen und mit einem Datenhandschuh sogar darin herumblättern können. Den dafür nötigen Space hatte er bereits gemietet, ebenso etwas Werbefläche im Teletext. Momentan verwendete er diesen Speicherplatz noch anderweitig; er bot Event- Reisen in seiner privaten Flugameise an. Reiseziel: eine berühmte Absturzstelle in den Anden, für ihn persönlich ein Wallfahrtsort.

Zuerst würde es kontroverse Debatten über seine Kochmethoden und die grundlegende Ethik des Kannibalismus geben. Natürlich! Aber wie immer gäbe es die besonders Vorwitzigen und Neugierigen. Diese würden seiner Kochanleitung folgen. Der grandiose Geschmack würde  daraufhin seine meinungskehrende Wirkung keinesfalls verfehlen und die Mundpropaganda weitere Testesser animieren. Damit hätte er die Schlacht schon halb gewonnen; die Kritiker könnten vernünftigerweise bereits jetzt das Feld räumen. Denn die dem Menschen innewohnende Gier, immer das Beste für sich selbst zu erhalten, gepaart mit der neugewonnenen Erkenntnis was genau das Beste ist, würde siegen und einen unaufhaltsamen neuen Trend setzen.

“Kannibalismus - der Trend bei dem man einfach mit muss!” Das Verlangen nach einer modegerechten, bewussten Ernährung und der daraus resultierende Wunsch, das Fleisch eines anderen Menschen zu verspeisen würde übermächtig um sich greifen. Es würde nicht lange dauern, bis die ersten Stars und Sternchen auf den rasenden Servierwagen aufspringen würden. Bald schon könnte man in jeder Zeitung lesen, wie gut die neue Ernährung für die Haut des gefeierten Hauptdarstellers und Oscar-Trägers aus SawXXXV war.

Die Aktrice aus dem legendären Horrorstreifen “Tschernobyl - Monstren aus dem Kernreaktor” fände ihr verloren geglaubtes, strahlendes Lächeln wieder. Auslöser hierfür schiene, auf den ersten Blick, die heimliche Affäre mit ihrem Gärtner zu sein. Grübe man aber nach den tieferen Ursachen, so würde man herausfinden, dass ihre Libido erst wieder erwacht war, seit sie jeden Morgen ein leckeres Frühstücksei vertilgte; genau viereinhalb Minuten gekocht und dann frisch aus dem Hoden gepellt.

Der Genuss von östrogenhaltigem Menschenfleisch, derartiges würde die Nächste behaupten, helfe bei ihr so gut wie nichts anderes gegen die starken Menstruationsbeschwerden; wegen denen sie vormals immer um ein paar Tage Drehpause bitten musste.

Die Bravo würde begeistert über ein noch minderjähriges, aber trotzdem halbnackt herumhüpfendes Starlet schreiben, dem es nach mehreren vergeblichen Aufenthalten in jeder namenhaften Entzugsklinik noch immer nicht geglückt war die Magersucht zu besiegen. Doch dank der kannibalen Küche, der Herr sei ihrem Schöpfer gnädig, gab es nun endlich so viele köstliche Leckereien. Gaumenfreuden, die derart vorzüglich waren, dass selbst die leichtbekleidete Hüpfdohle sich nach genossener Mahlzeit nicht mehr erbrechen wollte. Andere Jugendliche würden ihrem Beispiel folgen, wie Lemminge, die sich ohne zu Zögern der Gruppe anschließen, welche sich gerade vom Felsen in den sicheren Tod stürzt, nur umgekehrt. Bulimie und Anorexie, die zweithäufigste Todesursache pubertierender Mädchen, wären nun einfachst therapierbar.

Überforderte Mütter würden feststellen, dass ihre unter ADS leidenden Gören bessere Schulnoten erstreben, wenn sie ihnen morgens eine Stulle mit leckerem Hypothala-Mus schmieren; hochbezahlte Manager eine Steigerung ihrer Leistungsfähigkeit in aggressiven Verhandlungen diagnostizieren, nachdem sie einmal vom adrenalingeschwängerten Fleisch eines straffälligen Gewaltverbrechers gekostet hätten.

Selbst Wirtschaftsmagazine würden seine Offenbarung propagieren und es würde maximal ein Jahr dauern, bis es mindestens vier Filme über sein Leben gäbe. Voraussichtlich drei davon wären großartige, heldenverehrende Hollywood-Produktionen; nur eine von einem autonomen Regisseur mit zu wenig Gehirnschmalz um sich kulinarisch weiterzuentwickeln. Man könnte an dieser Stelle Vermutungen über seinen weiteren Werdegang anstellen. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wird sein Weg im Magen eines Fans, der ebenso geschmacksverirrt wie sein filmisches Machwerk sein würde, enden.

Der neue und offene Umgang mit der zu lange tabuisierten Menschenfresserei würde den Umgang der Menschen mit dem Tod insgesamt positiv und stark beeinflussen; er erschiene selbst den Ungläubigen auf  einmal nicht mehr völlig sinnlos. Infolgedessen würde sich auch der Umgang mit dem kranken oder missgebildeten Fleisch verändern. Es ist wie es ist, ein Hinken, ein Schielen, ein Wasserkopf - so etwas konnte einem die Freude am ganzen Kind verderben. Doch mit in Kraft treten der neuen Weltordnung müsste man sich nicht mehr ständig Sorgen machen, wer denn auf das behinderte Kind aufpassen soll, während man selbst zirka drei verschiedenen Berufen nachgehen musste; um sich die regelmäßigen Besuche des invaliden Fleisches bei Quacksalbern in weißen Kitteln leisten zu können. Immerhin waren die Zeiten, in denen man als nicht gesunder Mensch eine Mitgliedschaft bei den wenigen verbliebenen Krankenkassen bekommen konnte, längst Geschichte. Humanerweise könnte man deformiertes Fleisch, die ungeliebte, beschädigte Ware, kostenfrei entsorgen und es hernach sehr günstig an die großen Fast-Food-Ketten vertreiben. Dauerhaft wäre so der Schritt weg vom unappetitlichen Analog-Fleisch zu schaffen. 

Die Sterbenskranken könnten endlich zum Zeitpunkt ihrer Wahl einen letzten tiefen Atemzug tun. Denn die bislang so verpönte aktive Sterbehilfe würde endlich gesellschaftliche Akzeptanz finden. Das Leiden der Alten, die ihr Leben gelebt hatten und das der lebensmüden Kranken würde nicht mehr unnötig und unerwünscht verlängert werden. Und der Altenpflegermafia würde der Wind endlich einmal ins Gesicht und nicht immer nur in den rheuma- und gichtgeplagten Rücken blasen.

Wahrhaftig, die Verbesserungen, die durch eine gute Ernährung zu erzielen wären, könnte man in vielen Bereichen spüren. Sein Erfolg war praktisch gewiss, denn einzig wahrhaft vollendete Rezepte, die seinen anspruchsvollen und kritischen Gaumen beispiellos befriedigten, fanden ihren Weg in das Original. Weniger als Perfektion ließ er in dieser Angelegenheit nicht gelten. Doch nicht nur bei der Auswahl der Gerichte, auch bei der Gestaltung, dem Layout der Urschrift, hatte er sich große Mühe gegeben. Ihr Leben ließen dafür eine alte Frau, die sich auf das Schöpfen edlen Büttenpapiers von Hand verstand, ein Buchbinder und ein sich selbst maßlos überschätzender TV-Koch. Der seit ein paar Jahren vermisste Platzhirsch in der Kocharena, Henry Conan, würde sich durch die großzügige Bereitstellung des Leders für den Einband nun doch noch einen verdienten Namen in der Gastronomie machen. Obendrein, um sich für die fast freiwillige Spende erkenntlich zu zeigen, hatte Franklin ein Rezept nach ihm benannt - Conan das Tatar.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kapitel 7 - Hausbesuch

Was die Welt in diesem Augenblick sucht, ist viel weniger ein Gleichgewicht als eine Sprache.                               (Jean Giraudoux)

Nachdem er seine Formalitäten erfolgreich erledigt hatte, machte Franklin sich auf den Weg in die Wohnung, die das Fleisch niemals wieder betreten würde. Eine Zeitlang observierte er die Fenster, spähte ob irgendwo Licht brannte und als er sich einigermaßen sicher war, dass wirklich niemand zu Hause war benutzte er den in der Handtasche gefundenen Schlüssel um sich Einlass zu verschaffen. Wie erwartet war die Behausung unspektakulär, armselig geradezu, aber zumindest besaß sie einen rustikalen Charme. Dem ungeachtet, dies war kein standesgemäßes Umfeld für seine Person. Er würde seine Anwesenheit auf das Nötigste beschränken. In eine Tasche, die er im Schrank fand, packte er die Hose und den Pulli, der noch auf dem Bett lag. Erstens hasste er Unordnung und zweitens war es ihm klar, dass niemand glauben würde, die Beute wäre verreist, wenn es im Haus so aussah, als hätte sie sich vor fünf Minuten erst umgezogen. Anschließend nahm er sich einen Moment Zeit, um die Küche zu inspizieren. Zu seiner Zufriedenheit war sie sauber, der Inhalt des Kühlschranks hingegen enttäuschend. Es herrschte gähnende Leere. Nur eine Tube Wasabi lag darin, noch ungeöffnet, also nahm er sie mit.

Schmuck oder Anderes von praktischem oder materiellem Wert konnte er auf die Schnelle nicht aufspüren. Allerdings fand er nicht nur einen, sondern gleich zwei Vibratoren im Nachtkästchen neben ihrem Bett. In ihren Schränken hatte er ausschließlich feminine Bekleidung entdecken können. Nun der delikate Fund ihrer phallischen Freunde; das alles waren in seinen Augen sichere Indizien dafür, dass hier der Mann im Haus fehlte. Um dem Fleisch eine kleine, vielleicht sogar die letzte, Freude im Leben zu bereiten, packte er eine dieser Apparaturen mit zu den Kleidern in die Tasche. Er hoffte, es würde sich wenigstens dankbar darüber zeigen und das Spielzeug auch benutzen. Denn es ist eine Tatsache, dass die Ausschüttung von Endorphinen, je mehr desto besser, den Geschmack ebenso positiv beeinflusst wie Adrenalin, welches das Fleisch schön zart werden lässt. In China weiß man längst um dieses Geheimnis, weshalb man dort die für den Verzehr bestimmten Hunde aufhängt und lebendig häutet, damit sie ein Höchstmaß dieses Hormons ausschütten. Genaugenommen ist der Mensch ebenso ein Säugetier wie der Hund. Dementsprechend kann man die fernöstlichen Küchenweisheiten getrost auch auf ihn umlegen.

Einen Moment lang sah er sinnierend aus dem Fenster, dann fiel sein Blick, gelenkt vom Schicksal, der Vorsehung oder dem puren Zufall, in die Wohnung schräg gegenüber. Eines musste man dieser Bruchbude lassen: zumindest bot sie einen bemerkenswerten Ausblick. Eine sehr korpulente Lady, schwerfällig und überladen, schickte sich gerade an sich zu bücken. Wonach konnte er von seiner Position aus nicht erkennen, doch wie es schien, konnte ihr Oberkörper das Gewicht ihres dicken Hinterns nicht egalisieren. Ihr Körperschwerpunkt hatte sich zu weit nach hinten verlagert und so kippte sie, wild mit den Armen rudernd, als wären sie die tollpatschigen Schwingen eines Albatros auf Drogen, nach hinten um und fing an sich zu drehen und um die eigene Achse zu rotieren. Die geballte Masse, die vor ca. 150kg noch eine Frau darstellen sollte, war, einmal in Bewegung geraten, nicht mehr zu stoppen. Fasziniert sah Franklin zu, wie die menschliche Lawine aus seinem Gesichtsfeld rollte.

Aufgewühlt, ja fast schon exaltiert vom soeben Erlebten, verließ er die Behausung des Fleisches.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kapitel 8 - Tatsachen

Nichts ist trügerischer als eine offenkundige Tatsache.    (Sir Arthur Conan Doyle)

Naomi war nicht lange weg. Geschwind war sie zum Supermarkt gegangen, da wirklich kaum noch etwas zu Essen im Haus war. Dass Fou-Mai sich immer noch nicht wieder gemeldet hatte ließ ihr emotionales Gleichgewicht empfindlich schwanken. Letztendlich hatte sie sich dann aber doch aufgerafft, ihrem knurrenden Magen zuliebe, und den notwendigen Einkauf erledigt. Zuvor  verbrachte sie jedoch einen ungesund langen Zeitraum damit, den obsessiven Gedanken wie einen Pfannkuchen hin und her zu wenden, Fou-Mai könne in genau dem Zeitraum doch noch anrufen, den sie beim Bäcker oder Metzger verbrachte.

Die starke innere Unruhe befiel sie, wenn ein geliebter Mensch spurlos verschwand, drohte verloren zu gehen oder sie auch nur im Streit mit ihm lag. Diese mentale Rastlosigkeit war wie ein bösartiger Virus, der sich in den Windungen ihres Gehirns unkontrolliert vermehrte. Stundenlangen fuhr sie mit ihrem Gedankenkarussell, während ihre Vorstellungen von schlimm zu schlimmer bis hin zu katastrophal mutierten. Sie fühlte sich, als würde sie, wenn es ihr nicht gelänge ihre Gedanken zu stoppen oder irgendetwas zu TUN das die Lage veränderte, langsam aber sicher den Verstand verlieren. Wüsste sie nicht, wie wütend die Andere das Haus verlassen hatte, wie schlimm der Streit gewesen war, hätte sie sich bestimmt schon an die Bürgerwehr ihres Stadtviertels gewandt. Sie hätte die Suche nach der Vermissten eingeleitet und in den Krankenhäusern nachgefragt, ob eventuell eine junge Frau eingeliefert worden war, auf die die Beschreibung ihrer Freundin passte. Doch gestern war eben kein normaler Abend gewesen. Die Chance, dass “nur” ein Unfall der Grund für ihr Fernbleiben war, erschien ihr verschwindend gering. Stunde um Stunde war vergangen und ihr Hirn hatte sich, gleich einem Pitbull mit Maulsperre, an der ängstlichen Imagination festgebissen, dies könnte der eine Zwist zu viel gewesen sein; der finale Streit, nachdem man sich eben nicht  wieder versöhnte.

Sie beeilte sich mit ihren Besorgungen, legte eine unnatürliche Hektik an den Tag. Doch als würde das Universum mit dem sprichwörtlichen Zaunpfahl winken und sagen: “Hey Baby, take it easy, take it slow!”, waren die Straßen überfüllt. Alte Omas kreuzten mit Gehhilfen ihren Weg; schlurften mit enervierender Langsamkeit vor ihr her und trafen sich dort, wo man ohnehin wenig Platz zum  Gehen hatte. Sie rotteten sich zusammen zu regelrechten Rudeln, hechelnd, sabbernd und die Ohren spitzend, um den neuesten Klatsch und Tratsch zu erfahren. Die Schlange an der Kasse war endlos lang, was jedoch keine der schlecht bezahlten und dementsprechend unmotivierten Verkäuferinnen dazu veranlasste noch eine zweite Zahlstelle zu öffnen; anstatt sich dem neu sortieren von Klopapier in alphabethischer Reihenfolge, abgeleitet vom Herstellernamen, zu widmen. An der Kasse selbst folgten die vom Management geforderten Fragen, hatte man auch den Werbeprospekt der Kette erhalten, war man deswegen in den Laden gekommen, war denn alles in Ordnung bei Ihnen?

Das Maß war fast voll, der nächste Tropfen würde ihr Fass zum Überlaufen bringen, sie würde die Contenance verlieren, der Verkäuferin Tiernamen geben oder schlicht zur rasenden Irren werden. Allein das Wissen, dass sie jeglicher Gefühlsausbruch nur noch mehr Zeit kosten würde, hielt sie zurück.

Beladen mit ihren Einkäufen hastete sie gen Heimat. Sie war gerade dabei die Straße zu überqueren, als sie sah, wie ein Mann mit einer, nein, nicht irgendeiner, mit Fou-Mais Tasche in der Hand, ihr Haus verließ.  Behutsam zog er die Türe hinter sich zu. Und was tat er jetzt? Er schloss sie ab! Er hatte also auch Fou-Mais Schlüssel! Für Naomi bestand kein Zweifel, das musste ER sein. Offensichtlich hatte Fou-Mai ihn geschickt um ihr ein paar Sachen zu holen. Anscheinend war ihre Angebetete so böse auf sie, dass sie so schnell nicht vorhatte nach Hause zurück zu kommen. Wer weiß, wann sie überhaupt von sich hören lassen würde! Als Naomi sah, wie der fremde und doch so vertraute Feind auf eine schwarze Limousine  zusteuerte, überlegte sie nicht lange. Sie musste wissen, wo ihre Liebste war, musste einfach mit ihr sprechen und ihr Herz erweichen; kampflos konnte sie doch nicht aufgeben! Also ließ sie ihre Einkäufe einfach fallen, wen interessiert schon der Hunger des Magens, wenn das Herz vor Liebeshunger pocht, und winkte sich eilig ein Taxi.

“Schnell, folgen sie der schwarzen Limousine!” wies sie den Fahrer an, so fokussiert auf ihr Ziel, dass sie nicht einmal bemerkte, dass sie in diesem Moment auch die Hauptfigur in mindestens 5000 Filmen hätte sein können. Wäre es ihr aufgefallen, hätte ihr vielleicht gedämmert, dass am Ende solcher Verfolgungsjagden meist der Tod wartet, selten etwas Angenehmeres.

Nach einigen Kilometern, und einer Taxi- Rechnung, die fast den gesamten Rest von Naomis Barvermögen auffraß, hielt der verfolgte Wagen in der Einfahrt eines luxuriösen Hauses in einem ruhigen, idyllischen Vorstadtviertel. Es handelte sich um eine eindeutig bessere Wohngegend, in der die Häuser und Villen von weitläufigen Rasenflächen und hohen Hecken umsäumt waren. Der Rasen war immer ordentlich gestutzt und in den eichenbepflanzten Gärten tollten die Eichhörnchen ebenso ausgelassen herum wie die Bewohner in ihren Swimmingpools. Offenbar war Fou-Mais Galan einer von den Fünf aus Hundert, die nicht am Hungertuch nagen oder zumindest am Rande des Existenzminimums herumkrauchen mussten.

Dieser Umstand versetzte ihr einen deutlichen Stich; so viel hatte sie natürlich nicht zu bieten. Auf jeden Fall nicht in materieller Hinsicht; das sie emotional viel reicher und definitiv auch großzügiger war als er stand auf einem anderen Blatt. War es vielleicht das, was Fou-Mai so stark an diesen Mann band? Das Geld? Die finanzielle Sicherheit, der Kokon der Reichen und Satten?

Naomi hatte sich von früher Jugend an selbst durchs Leben schlagen müssen und sich so manches blaue Auge dabei holen müssen. Hektisch paddelnd wie ein Nichtschwimmer, den man ohne Schwimmflügel in einen See geworfen hatte, der es aber irgendwie schaffte, den Kopf oben zu halten und nicht zu viel Wasser zu schlucken. Die wenigen Menschen, die sie in ihrem Leben aufnahm, hatten sie zumeist enttäuscht. Oder sie waren wie unnützer Ballast an ihr gehangen. Wie ein zu schwerer Rucksack, den man auf der Wanderung des Lebens den Berg hinaufschleppt, nur um oben festzustellen, dass sich nichts darin befand, was diese Mühe belohnt hätte. Aus ihren Erfahrungen hatte sie gelernt und war zunehmend verschlossener, geradezu eigenbrötlerisch geworden. Ja, sie war eine Einzelkämpferin, eine Amazone die auf ihrem Stolz ritt, als wäre er ein nobles Biest. Und sie brauchte niemanden! Diese Einstellung hatte sie aufrecht und am Leben gehalten, dafür gesorgt, dass sie niemals aufgab, alles überlebte.

So war ihr Leben, bis sie ihre Freundin und Seelenverwandte kennenlernte. Die Eine, die es schaffte die Posaunen von Jericho geräuschlos erschallen zu lassen und ihre Fassade, gar ihr ganzes Mauerwerk, jeder emotionale Schutzwall den sie um sich herum errichtet hatte, begann zu bröckeln. Diese Frau hatte sich so tief in ihr Herz gebohrt, wie eine Made in einen wurmstichigen Apfel; sich hineingewühlt wie ein Goldsucher in den metallisch glänzenden Berg und sich einen so großen Claim darin abgesteckt, dass ihr Verlust nichts als eine gähnende Leere, das künftige Heim der niemals endenden Finsternis, hinterlassen würde.

Naomi setzte sich an den Straßenrand, noch unschlüssig wie sie sich im Weiteren verhalten sollte und vergoss ein paar bittere, verzweifelte Tränen. Vielleicht hatte sie sich verschätzt und es war gar nicht der Schwanz dieses Mannes auf den Fou-Mai abfuhr und von dem sie nicht lassen konnte. Sondern der fahrbare Penisersatz und alles was der Typ sich sonst noch leisten konnte. Zwar hatte sie ihn nicht lang und nur aus einiger Entfernung gesehen, doch so viel war klar: weder war er so jung, noch so attraktiv oder auch nur halb so anziehend wie sie ihn sich ausgemalt hatte. Ein älterer Mann, seine besten Jahre deutlich hinter sich lassend, gut gekleidet und mit einem gepflegten Äußeren. Aber auch sein maßgeschneiderter Anzug konnte nicht zur Gänze verbergen, dass er etwas zu gut im Futter stand. Noch dazu verhielt er sich immer wieder wie ein Arschloch; oder zumindest wie ein Mensch ohne Leidenschaft, der den Anderen nicht wirklich liebt, sondern nur benutzt. Was für andere ausschlaggebende Gründe, als sein Geschick mit Geld umzugehen und es zu mehren, konnte es denn geben, ihn ihr vorzuziehen? Setzte Fou-Mai ein Leben mit Liebe, Leidenschaft, emotionaler Geborgenheit und noch dazu phantastischem Sex all die Zeit schon aufs Spiel für schnöden Mammon? Nur für finanzielle Sicherheit und einen Pool im Garten? Würde sie ein Leben im sicheren goldenen Käfig, aber ohne die grenzenlose Liebe die sie doch füreinander empfanden, tatsächlich bevorzugen und sie am Ende noch dafür verlassen? Daran konnte und wollte sie nicht glauben!

Sie würde noch warten, bis die Dämmerung hereinbrach, lange konnte es nicht mehr dauern, und sich dann auf das Grundstück schleichen. Vielleicht konnte sie ja herausfinden, was da drinnen wirklich vor sich ging, einen unentdeckten Blick durch die erleuchteten Fenster werfen und dann, ja, dann? Sie hatte keine Ahnung, aber wenn es soweit war, dann würde sie es schon wissen.

So wartete sie. Als es dunkel wurde pirschte sie sich an und lugte vorsichtig durch die Zweige des Flieders in der Nähe des Fensters, in dem vor kurzem das Licht angegangen war.

Der Anblick, den sie dann ertragen musste brach ihr das Herz. Der Raum in dem die beiden sich befanden war wunderschön. Eine großzügig geschnittene Küche, fast größer als ihr eigenes Wohnzimmer, sehr geschmackvoll eingerichtet. Es brannten ein paar Kerzen, auf dem Herd stand ein Topf und da über ihr der Abzug der Dunstabzugshaube in die Nacht mündete, wehte ihr der würzige Geruch des köchelnden Essens in die Nase. Sie konnte nicht identifizieren, was da gekocht wurde; es war ihr aber auch gänzlich egal. Ihr Blick wurde gefangengenommen, geradezu gefesselt, von Fou-Mai, die nackt und mit dem Rücken zu ihr auf einer großen Arbeitsfläche im Zentrum der Küche saß. Anscheinend waren die Beiden gerade erst beim Vorspiel, denn er war noch vollständig bekleidet. Soeben legte er eine silbern glänzende Handschelle um ihr Handgelenk, führte ihre Arme nach oben und macht sie dort an einem von der Decke hängenden Haken fest. Seine Hände wanderten wieder nach unten, schienen in Höhe der Brüste, diesen formvollendeten Halbkugeln mit ihren steif und ständig erigierten Liebesknospen, zu verharren. Dann tauchte er ab wie ein Apnoe- Taucher in die Tiefe des  Meeres, teilte ihre Schenkel mit den Händen wie ein Schwimmer die Wasseroberfläche und Fou-Mai, diese untreue, ruch- und herzlose  Schlampe, diese billige Hure, begann sich vor Lust zu winden.

Naomi hatte genug gesehen!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kapitel 9 - Experimente

Forschen, experimentieren und erfinden, statt glauben allen Darmes Winden.                                                             (Alfred Selacher)

Während der gesamten Fahrt nach Hause malte unser Großstadtjäger sich aus, wie herrlich die rollende Frau sich für eines seiner Projekte, für das er sich vorausschauenderweise schon eine Räucherhütte im hinteren Teil des Gartens gebaut hatte, eignen würde. Er plante Speck und Schinken zu räuchern, nach Art der Schwarzwälder; über Spänen von Buchenholz oder durch langsames Verbrennen erlesener, erntefrischer Kräuter. Doch da die Feisten und Dicken heutzutage meist auch die Betuchten und Wohlbehüteten waren, fehlte ihm bis dato das passende Fleischstück. Doch allzu behütet wirkte die Wohngegend, in der er sein neuestes Objekt der Begierde erspäht hatte, nicht und er vermutete, er würde leichtes Spiel haben, ähnlich einem Angler, der seine Rute in einem überfüllten Zuchtbecken auswirft. Der Transport würde sich freilich etwas schwieriger gestalten als normalerweise. Vermutlich würde er dem Haitianer beim Verladen der Beute zur Hand gehen müssen. Doch der Aufwand wäre gerechtfertigt; um an so viel Speck zu kommen müsste er ansonsten mindestens drei oder vier Mal auf die Jagd gehen. “Projekt Rauchfleisch” konnte aber gut und gerne noch ein paar Tage warten, denn er bezweifelte, dass ihm dieser dicke Fisch durchs Netz gehen würde. Er erschien ihm zu groß, um einfach durch die Maschen schlüpfen zu können! Vor dieser Schwerstarbeit, überlegte er, sollte er sich gründlich stärken. Es gab noch diverse schmackhafte Stellen der frisch gefangenen kleinen Sushi-Muschi, die er unbedingt noch kosten wollte. Wenn das nicht gar DIE Idee für ein neues Rezept war! Eine Idee fing an in ihm zu reifen, die Gedanken griffen ineinander, wie spielende Kinder die sich zum Ringelpietz die Hände reichen, und  Wasser sammelte sich in seinen Mundwinkeln.

Wieder im trauten Heim ging Franklin zuerst in den Keller. Er wollte sehen in welcher Verfassung das Fleisch war und es freundlicherweise sogar ein wenig aufmuntern. Vorsichtig näherte er sich an, ging neben ihr in die Hocke und stupste sie etwas, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Er wollte ihr zeigen, was er Schönes für sie mitgebracht hatte. Doch sie lag nur apathisch, in fötaler Haltung, in der Ecke, reagierte auf nichts was er sagte oder tat und wimmerte leise vor sich hin. Nicht einmal dem anreizenden Surren des Vibrators erlag sie, obwohl er lockend damit vor ihrer Nase herumwedelte; als wäre sie ein störrischer Esel und das Gerät eine saftige Mohrrübe. Einen kurzen Moment lang überlegte er, ob er es ihr nicht einfach in den dafür vorgesehenen Hohlraum einführen sollte, verwarf den Gedanken aber schnell wieder. Schließlich war er ein Gourmet, kein Sexualstraftäter.

 

Letztendlich warf er ihre Sachen wütend in die Ecke und gab frustriert auf. Wenn sie so wenig Interesse an den Freuden des Lebens hatte und sich benahm wie eine frigide Ziege, dann konnte er auch ganz anders. Auch er konnte kalt wie ein Fisch sein! Dann gab er ihr eben nicht noch ein wenig Zeit zur Entspannung! Schluss mit lustig! Sie würden augenblicklich mit der Arbeit beginnen!

Wieder einmal schulterte er die Beute, schleppte sie vom Keller zurück in die Küche und setzte sie dort auf der Arbeitsplatte ab. Teilnahmslos und gleichgültig ließ sie sich von ihm tragen; gleichfalls unbeteiligt blieb sie sitzen wo er sie ablud. Doch Vorsicht war die Mutter der Porzellankiste. Man konnte nie wissen, ob das Fleisch einem nicht etwas vorgaukelte. Geschweige denn, ob es nicht sehr schnell ein Ende mit der Apathie hätte, sobald der Schmerz der Fleischernte erneut ins Spiel kam. Um kein Risiko einzugehen legte er seinem delikaten Happen Handschellen an und befestigte diese an einem Haken der von der Decke hing.

Einen Moment lang verharrte er an ihrem Bruststück. Er vergewisserte sich, dass die klaffende Wunde, die von der vernaschten Brustwarze hinterlassen worden war, sich geschlossen und nicht entzündet hatte. Verständlicherweise mochte er es nämlich nicht besonders, wenn ihm schmackhafte Stücke durch lästigen Wundbrand verloren gingen. Und das Bruststück einer Frau war ebenso das Zarteste an ihr, wie es beim Geflügel der Fall ist. Wer einmal eine Weihnachtsgans zubereitet hat, der weiß um das Geheimnis des aromatisch dahinschmelzenden Fettes und die krosse, knusprige Haut, die das weiche, weiße Brustfleisch köstlich ummantelt.

Nun wurde es aber wirklich Zeit mit den Vorbereitungen für das heutige Dinner zu beginnen. Also spreizte er die Beine des Fleisches um besseren Zugang zu der gewünschten Region zu erhalten und kniete sich dazwischen. Vorsichtig öffnete er erst ihre Schamlippen, dann die Tube Wasabi die er in ihrer Küche gefunden hatte. Er drückte einen dicken Strang der scharfen, grünen Paste aus der Tube. Dann verteilte er die appetitliche Masse großzügig auf und in ihrer Vagina. So konnte die würzende Substanz noch ein bisschen in die zarte Haut einziehen; sie marinieren solange sie noch am Aufnahmefähigsten war; bevor man die Verbindung zum restlichen Organismus löste.

Schnell stellte sich heraus, dass die Fesselung der Hände in weiser Voraussicht erfolgt war. Kaum kam das Wasabi mit der empfindsamen Schleimhaut in Kontakt, fing das zukünftige Sushi an sich zu winden und zu zappeln. Vergeblich versuchte es der Vermengung zu entfleuchen. Vermutlich brannte die Paste ein wenig, aber er war zuversichtlich, dass das Brennen sicher schnell nachlassen würde. Und wenn nicht, nun ja, es gab Schlimmeres! Interessiert beobachtete er, wie das Geschlecht anfing eine wässrige Flüssigkeit abzusondern. Ähnliches hatte er damals, als junger Mann, bei seiner geliebten Frau beobachten können, insbesondere wenn sie durch den Akt der Liebe sehr erregt war. Doch im vorliegenden Fall dürfte es sich wohl eher um eine Abwehrreaktion aufgrund der Schärfe des Gewürzes handeln. Eine weitere Merkwürdigkeit war, das der Venushügel anschwoll. Vielleicht regte der Würzstoff die Durchblutung an, was sehr günstig für seine Zwecke wäre. Unter Umständen konnte dies aber auch ein Anzeichen für eine allergische Reaktion sein. Heutzutage gab es Menschen, die wegen allem Möglichen überempfindlich konterten. Leicht beunruhigt beschloss er, die Sache im Auge zu behalten. Wenn der unerwünschte Ausfluss zunehmen sollte, würde er eventuell noch einmal nachwürzen müssen.

Gewürze, so sinnierte er, gaben den gereichten Speisen erst den letzten Pfiff. Heutzutage wurde ihr Wert oft unterschätzt. Die individuelle Geschmacksfärbung, die sich durch den geschickten Einsatz edler Würzmischungen erreichen ließ, war verkommen zu einer abscheulichen Geschmacksgleichheit. In den meisten Küchen stammte der Geschmack nur noch aus der Dose oder aus Packungen mit Trockenpulver. In alten Zeiten mussten Händler mit schwer beladenen Eselskarren Monate auf Reisen verbringen und dabei Gefahren und Räubern ins Auge schauen, um die erlesenen Substanzen zu finden. Und weitere, noch gefahrvollere Monate, um die gekauften Schätze, mit viel Glück, nach Hause zu bringen. Ihr Wert war unermesslich und ihr Gewicht wurde in reinem Gold aufgewogen. Heute verwendeten die kochenden Hausfrauen überwiegend Salz und Pfeffer; den Namen exotischerer Gewürze konnten sie kaum noch nennen. Nur noch wenige Meister und Magier der Küche wussten noch um die Kunst des richtigen Würzens.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kapitel 10 - Dämmerung

Ich bin mir nicht sicher, ob ich die Kerzen mag. Kann ich meine eigenen mitbringen?                                           (Queen Elizabeth)

Während einer undefinierbar langen Zeitspanne versank ihr Geist in einer gnädigen Umnachtung. Sie fühlte sich geborgen wie ein Thunfisch in der sicheren Dose und empfand weder Schmerz, noch Angst, noch Leid. Die Welt und auch ihre eigene Person erschien ihr gleichsam entrückt. Gerade so, als wäre sie mental expandiert und als hätte ihr waches, inneres Selbst sich an einen uneinnehmbaren Ort zurückgezogen. In ein geistiges Ödland, zu dem kein anderer vordringen konnte. Genauer lokalisieren konnte man diesen Ort nicht, denn er lag irgendwo im Niemandsland zwischen dieser Realität und einer Entgegengesetzten. Keine Karte führte den Weg zu ihm und kein Sternbild hing am schwarzen Firmament, anhand dessen man die Koordinaten hätte bestimmen können.

Nur hin und wieder drangen gedämpfte Geräusche zu ihr durch; leise; abstrus. Wie der zu laut eingestellte Fernseher im Nebenraum eines schäbigen Hotelzimmers, dessen Klang an der Schwelle des Unhörbaren halt macht; letzte Kraft schöpfend, um sich dann doch noch durch die reispapierdünnen Wände zu drängen.

Innerhalb einer Nacht und eines halben Tages war es ihr gelungen, eine waschechte dissoziative Persönlichkeitsstörung nicht nur im Ansatz zu entwickeln, sondern in Rekordzeit voll auszubilden. Sämtliche Stadien waren durchlaufen: Auflösung; Trennung; Zerfall; die gnadenlose Zerstörung ihrer bislang als absolute Sicherheiten erachteten Vorstellungen; das sich Abspalten von sämtlichen bewussten Denk- und Handlungsabläufen; die krankhafte Auflösung ihrer Bewusstseinsvorgänge.

Schade nur, dass dieses Ziel zu erreichen nie überdurchschnittlich weit oben auf der Rangliste der Dinge stand, die sie in ihrem Leben unter allen Umständen zuwege bringen wollte. Der Wunsch nach einer Geisteskrankheit oder handfesten Psychose hatte auf der Liste eindeutig tiefer rangiert als andere. In etwa zwischen der Absicht Michael Jacksons Nase auf E- Bay zu ersteigern, um sie sich ins eigene Gesicht tackern zu lassen, und der, eine nicht enden wollende Zahnwurzelbehandlung ohne Narkose zu durchleben; dafür aber mit dem Geist der verstorbenen Celine Dion, der im Hintergrund so lange “My heart will go on” trällern sollte, bis selbst der Zahnarzt sich wünschen würde, lieber mit der Titanic untergehen zu dürfen, statt diesen Song noch ein einziges Mal hören zu müssen.

Plötzlich jedoch veränderte sich ihre Wahrnehmung und damit die Welt. Sie war nicht mehr allein! Irgendetwas oder irgendjemand war bei ihr; berührte sie wie der erste Strahl  goldenen Lichts, der die Schwärze der zu Ende gehenden, arktischen Winternacht durchbricht und die Eiswüste wärmend liebkost. Dann stieg eine unglaublich süße Wärme in ihr empor, entsprang ihrer eigenen Mitte. Es musste die Liebe selbst sein, die sie berührte, erregte, orgiastische Wellen der Lust durch ihr wieder erwachendes Bewusstsein schickte und sie zurückführte ins Leben. Das vertraut anmutende Antlitz einer exotischen, dunkelhäutigen Schönheit loderte wie ein Strohfeuer in ihrem Geist auf. Hilfreich wie eine flackernde Kerze, die jemand in ein Fenster gestellt hatte, um dem Liebsten in einer nebligen Nacht den Weg nach Hause zu leuchten. Das musste sie sein, die Liebe, genau so sah sie aus! Welcher Narr würde sie denn nicht auf den ersten Blick erkennen? Sie kannte auch den Eigennamen der Liebe. Und während sein Klang aus den tiefen Schluchten der Erinnerung zu ihr empor hallte, ein immer stärker werdendes Echo, brandete obendrein ein Orgasmus in ihr heran; eine Sturmflut der Sinne; ein Beben der Stärke 9 auf der sexuellen Richterskala. Als sie den höchsten Gipfel der Lust erreichte wusste sie, mit einem Mal, was sie zu tun hatte. Sie musste ihn schreien, diesen Namen. So wie der kleine Bastian Balthasar Bux den Namen seines Mondenkindes gebrüllt und damit ganz Phantasien vor dem alles verzehrenden Nichts gerettet hatte, so würde der Name der Liebe auch sie retten. Also öffnete sie den Mund, holte tief Luft und schrie aus voller Kehle: “Uaaaooooooooooooooooiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii”

Vielleicht, wenn sie den Namen richtig ausgesprochen hätte, hätte der Zauber gewirkt. Abermals schade, doch so brachte ihr Schrei ohne artikulierende Zunge sie nur in eine Realität zurück, die sie mit übergroßem Entsetzen wiedererkannte. Leider war es aber schon zu spät um noch umzukehren. Ebenso wie es zu spät war ihren urgewaltigen Orgasmus noch aufzuhalten. Und so kam und kam sie; angefüllt mit einem nun namenlosen Grauen, das feucht an ihren Schenkeln entlanglief, erbrochen von einem Geysir der Lust, und dort eine brennende Spur auf ihrer Haut hinterließ.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kapitel 11 - Fanatismus

Ein Fanatiker ist - in psychologischen Begriffen definiert - ein Mensch, der bewusst einen geheimen Zweifel überkompensiert.                                                        (Aldous Huxley)

Im Fliederbusch unter dem Küchenfenster war Naomi weinend in sich zusammengesunken. Es war die eine Sache im Zweifel zu leben, sich die schlimmsten Dinge auszumalen und doch am Ende, die Hoffnung zu den letzten Überlebenden zählend, immer noch an das Gute glauben zu wollen. Die marternden Phantasien dann mit eigenen Augen, noch tausend Mal schlimmer als in ihrer Vorstellungskraft ersonnen, mit ansehen zu müssen war eine ganz andere Sache und sprengte die Grenzen dessen, was sie augenblicklich ertragen konnte.

Bisher hatte ein sehr naiver und dummer Teil von ihr noch immer verzweifelt gehofft, dass sie falsch läge mit ihren Verdächtigungen, dass die Schuld an ihren Beziehungsproblemen eigentlich bei ihr läge, weil sie der Liebsten ständig unrecht tat, sie falschen Verdächtigungen aussetzte. Zu gern würde sie diese unerträgliche Schuld zur Gänze auf sich nehmen, zugeben, dass der Auslöser allen Unheils nur ihre Angst und Eifersucht war, im Austausch gegen das gesicherte Wissen, das Fou-Mais Liebe nur ihr allein gehörte, jetzt und für alle Zeit und nichts Böses je geschehen war. Nichts weiter, als die nörgelnde und nerv tötende Stimme des dämonischen Kobolds, der im Innenohr lebt und seine schändlichen Lügen, gemischt mit den Geheimnissen, die keiner je erfahren sollte untertags leise hineinwisperte und des Nachts im tiefen Schlummer noch Gift und Galle hinterher träufelte.

Doch nicht genug, dass Fou-Mai tatsächlich heimlich fremdging und damit all ihre Ängste und Zweifel berechtigt waren, sie spielte auch noch das willige Liebesluder für diesen geilen alten Bock, hingebungsvoll und auf eine Weise devot, von der sie ihr immer erzählt hatte, das so etwas für sie überhaupt nicht in Frage käme. Ihr gegenüber war die Asiatin immer eher zurückhaltend gewesen, der Sex sollte nicht hart, von animalischer Wildheit geprägt und schmutzig sein. Herrje, sie war sogar zu verklemmt um das Kind beim Namen zu nennen! Für sie musste der “Liebesakt” immer romantisch sein, kuschelig, zärtlich, am liebsten bei Kerzenschein und mit zart duftenden Rosenblättern, die sie vorher auf dem Bett verstreute. Derart hemmungslose und unkeusche Experimentierfreude hatte sie niemals erkennen lassen wenn sie mit ihr schlief. Und nun ließ sie sich von diesem schmerbäuchigen Widerling wie eine diensteifrige Marionette in Ketten an die Decke hängen und es sich von ihm besorgen. Das war einfach zu viel! Soeben entdeckte sie eine neue, sehr anregende und erotische Seite an ihrer Partnerin, die sie befürwortet und gerne mit ihr gemeinsam erkundet hätte, doch WIE sie diese Entdeckung machte gefiel ihr ganz und gar nicht. Es tat weh. Außerdem stellten diese heimlichen Neigungen, die in einem so krassen Kontrast zu dem standen, wie sie sich ihr gegenüber in ihrer gemeinsamen Zeit gegeben hatte, das grundlegende Vertrauen in ihrer Beziehung noch viel mehr in Frage als es simpler, aber gleichbleibend fremdgeherischer Blümchensex getan hätte. Als dann auch noch Fou-Mais kehliges Stöhnen laut durch die geschlossenen Fenster zu ihr nach draußen drang hielt sie es hier nicht länger aus und fing an zu rennen. Sie rannte und rannte und war froh um jeden Meter, den sie zwischen sich und dieses abartige Treiben brachte und wollte nur noch nach Hause.

Dort angekommen fiel sie auf ihr Bett, todmüde, erschöpft, aber unfähig die schlafbedürftigen Augenlider zu schließen und zu schlafen. Kaum machte sie die Augen zu, tauchten sofort wieder die Bilder vor ihrem inneren Auge auf, die sich jüngst in ihr Gedächtnis eingebrannt hatten, als wären sie ein glühendes Eisen und ihr Gehirn das Gesäß einer dümmlich wiederkäuenden Kuh. Also schleppte sie sich zum Kühlschrank, stieß aber schon auf halbem Weg dorthin einen derben Fluch aus, den wir ob seiner Obszönität an dieser Stelle nicht wiederholen wollen, denn ihr war wieder eingefallen, wie sie früher am Tage ihre Einkäufe hatte fallen lassen um den sadistischen Herren zu verfolgen, der ihr das Liebste geraubt hatte. Sie hatte trotz leeren Magens das Gefühl sich übergeben zu müssen, wenn sie auch nur eine Sekunde länger daran dachte wie seine fleischigen Finger Fou-Mais schlanke Schenkel gespreizt hatten!

 

Früher, in der guten alten Zeit, anno dazumal, als wir noch mit Holzkugeln flipperten und einfach ALLES besser war, hackte man Schurken die ihre Mitmenschen bestahlen und dabei erwischt wurden einfach die diebische Hand ab. Auch im Orient wurde diese Diebstahlsicherung gerne auf jene verwandt, denen man nicht über den Weg trauen konnte, solange sie noch ein paar Finger zum Greifen und ein paar Beine zum Laufen hatten. Und diejenigen, die in fremden Betten erwischt wurden, prügelte man entweder so lange, bis sie keinen heilen Knochen mehr im Leib hatten. Oder, war das Bett in dem man sich erwischen ließ die Schlafstätte eines adligen Edelmannes, man wurde erst verprügelt, dann geächtet und womöglich sogar ins Exil geschickt. In des Königs Bett hingegen sollte man sich zu damaliger Zeit am besten überhaupt nicht erwischen lassen, denn das kostete in den meisten Fällen den Kopf. Nur von einem König der Briten war überliefert, dass er seine schöne Gemahlin gern mit seinem ersten Ritter teilte, dessen Lanze ihn a lot more, sehr viel mehr, anzog als die Brüste seiner Frau. Selbst war er aber auch dafür bekannt ein tolles Schwert zu haben. Außerdem war er sehr liberal eingestellt, für ihn waren alle gleich, solange sie wenigstens alle gutaussehende Ritter in schmucken Rüstungen waren, und durften deshalb auch samt und sonders mit ihm an einem schönen runden Tisch sitzen, damit beim abendlichen Umtrunk jeder Jedem wahlweise tief in die Augen oder eben ganz tief ins Glas schauen konnte. Allerdings hatte auch dieser noble Mann seine dunklen Seiten. Er konnte von den guten Dingen einfach nicht genug bekommen, darum erfand er ein Instrument, einen langen, spitz zulaufenden Stab aus Gusseisen, denn er “die Harpyie” nannte und mit dem er seinen favorisierten Knappen einen zweiten Anus bohren konnte. Die wenigsten Knappen hatten diese Bezeugungen der königlichen Zuwendung und Gunst wirklich gern, denn noch wochenlang tat ihnen nach einem derartigen Eingriff der Hintern beim Reiten weh, doch damals gab es noch keine Widerworte und dem König hatte man eben zu gehorchen!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kapitel 12 - Allergie

Geschmack ist sozusagen das Mikroskop der Urteilskraft. (Jean-Jacques Rousseau)

Gerade hatte er sich ein Glas Sake eingeschenkt und wollte auf einen angenehmen Abend trinken, als das Fleisch, eben noch so letharg und wenig agil, unvermittelt anfing sich zu regen. Die Schwellung der Schamlippen und der Klitoris war bislang nicht wieder zurückgegangen, im Gegenteil. Langsam wuchs sich seine Beunruhigung aus zu Besorgnis, Auf eine solch starke körperliche Abwehrreaktion war er nicht gefasst, nicht vorbereitet gewesen. Er war sich unsicher, was die nun angebrachte und richtige Vorgehensweise wäre. Diese Situation war auch für ihn neu.

Noch einmal ging er vor dem Fleisch in die Hocke und betastete vorsichtig die suspekte Materie. Der geschwollene Bereich fühlte sich warm und viel zu nass an, ein Auseinanderziehen der Schamlippen ließ noch mehr von dem leicht milchig-trüben Wundwasser auf den Küchenblock tropfen. Würde er nicht bald eingreifen, so würde sich in den nächsten Stunden bestimmt ein großflächiger Eiterherd bilden. Obwohl er nur sanft an den wunden Lippen herumfingerte, mit einem, aber das sei nur am Rande erwähnt, aufkeimenden Ekelgefühl, schien die Berührung dem Fleisch starkes Unbehagen zu bereiten, es stöhnte und wand sich. Doch hier ging es nicht um persönliche Vorlieben, sondern um die Rettung seiner nächsten Mahlzeiten.

Auf einmal, Franklin war zu Tode erschrocken, stieß das Futtertier einen urtümlichen, animalischen, regelrecht markerschütternden Schrei aus, der ihm fast das Blut in den Adern gefrieren ließ:

“Uaaaooooooooooooooooiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii”

Franklin hatte, besonders in den Jahren 2012 bis 2017, als die Sache mit der Giftsprüherei und den afrikanischen Killerbienen so aus dem Ruder gelaufen war, vieles über allergische Reaktionen gehört. Damals wollte er lediglich seine Blumen, vor allem die Fliederbüsche, die schließlich sehr nahe am Haus wachsen, sauber und ungezieferfrei halten. Wie jeder vernünftige Mensch, der kein Ungeziefer im Garten oder im Haus haben wollte, sprühte er seine Pflanzen darum nach jedem sommerlichen Gewitter wieder sorgfältig mit Insektenvernichtungs-Spray ein. Doch manche dieser fliegenden Räuber entkamen, mutierten oder schienen völlig resistent gegen jegliches Gift zu sein. Ein Säugling nur ein paar Häuser weiter wurde noch im selben Sommer von einer dieser morbiphoren, noch immer uneingeladen seine Fliederbüsche bestäubenden Flugbestien in den Hals gestochen, seine Luftröhre war zugeschwollen, noch bevor ein Quacksalber gerufen werden konnte. Das Kind war erstickt, aber fairerweise  ließ auch die garstige Biene sowohl ihren Gift tropfenden Stachel, als auch ihr Leben. Er wusste noch gut, wie empört er war als er hörte, dass die verantwortungslose Mutter ihr Kind einfach auf der Terrasse hatte schlafen lassen, ohne auch nur in Erwägung zu ziehen, dem Kind vor solch einer waghalsigen Unternehmung die passende Schutzkleidung anzulegen und ihm ein Moskito- Netz wenigstens zu offerieren. Darum war es doch ihre eigene Sorglosigkeit und das Vernachlässigen ihrer mütterlichen Pflicht den Nachwuchs wohl zu behüten, was dem Kind am Ende das Leben kostete. Hinterher natürlich, da war das Geschrei dann groß und versuchte man, den Bienen die volle Schuld in die Tasche zu schieben oder sogar den armen Gärtnern, die schon frühzeitig versucht hatten, solche Dramen im Vorfeld zu verhindern, indem sie der fliegenden Gefahr den Kampf erklärten. Für solche Menschen hatte Franklin kein Verständnis. Gleich am selben Abend, als die Sonne verschwand und mit ihr der todbringende Bienenschwarm, imprägnierte Franklin seine Büsche noch einmal, diesmal mit einem noch etwas aggressiveren Pestizid, denn irgendwann einmal musste ja Schluss sein mit dem Schmarotzen an fremden Stauden und der maßlosen Schwelgerei in seinem Blütenstaub. Eine wohl verständliche Reaktion! Unverständiger reagierte er hindessen, als die trauernde Mutter sich, praktisch als Kindesersatz, einen Hund zulegte und, als ob das seinen Rasen bekotende Flohtaxi nicht Zumutung genug wäre, zur Traumabewältigung noch einen Imkerkurs belegte.

 

Was er über Allergien wusste, beziehungsweise er sich wie jeder vernunftbegabte Mensch selbst zusammenreimen konnte war, dass es galt schnell zu handeln. Das Fleisch hatte bereits begonnen, unkontrolliert herumzuzucken, offensichtlich war auch die Körpertemperatur gestiegen, denn seine Wangen, die zuvor noch einen fahlen aber aparten Kontrast zum Rot der Ohrwunden geboten hatten, röteten sich deutlich und ein feiner Schweißfilm bedeckte seine Haut. Die Symptomatik war eindeutig.

Er hastete ins Bad, ließ kaltes Wasser in die Badewanne einlaufen, holte mehrere Beutel mit Eiswürfeln aus der Gefriertruhe und warf sie mit in das Wasser. Schön eisig musste es sein, damit das Fieber so effektiv und schnell wie möglich wieder sinken konnte.

Im Laufschritt trabte er zurück in die Küche, nahm das noch immer zuckende Fleisch, welches mittlerweile nur noch ganz schwer Atem schöpfen konnte, vom Haken. Nun war Eile geboten, sonst würden die Atembeschwerden noch schlimmer, die Luftröhre würde zuschwellen und dann - aus die Maus! Er rannte mit ihr ins Bad und ließ sie, selbst ganz aus der Puste von der Plackerei, ins rettende Wasser gleiten.

Anfangs zappelte und wand sich das Fleisch im Wasser und stieß neue, noch schrecklichere Laute aus als zuvor, doch mit eisernem Griff hielt er es unten; es musste sein, auch wenn es sich wehrte! Im Fieberwahn mochte das Fleisch zwar nicht verstehen, dass das Eisbad nötig und nur zum Besten war, doch er hoffte, es würde seine positiven Absichten zumindest spüren und nach etwa fünf bis zehn Minuten wurden seine Mühen endlich belohnt, das arme kranke Lämmchen wurde ruhiger, die unnatürliche Rötung des Gesichts wechselte langsam wieder zu vornehmer Blässe und die vormals angsterregenden Zuckungen waren einem sanfteren Zittern gewichen. Er wartete noch ein paar Minuten, bis er sich relativ sicher war, dass das bedrohliche Feuer, welches in dem zarten Körper so rasant entflammt war und so stark gelodert hatte, gelöscht war. Mittlerweile lag es, still zitternd und leicht mit den Zähnen klappernd, ganz zahm und brav im Wasser und schien die anfängliche Scheu davor völlig verloren zu haben. Dann hob er es aus der Wanne und setzte es in die benachbarte Duschkabine, wo es erst einmal in Ruhe abtropfen und trocknen konnte. Er selbst konnte diese Zeit nutzen, um sich endlich abzutrocknen und in einen weichen, warmen Bademantel zu hüllen. Für ihn, der unter keinem Fieber litt, war das Ganze nämlich eine ziemlich kalte, nasse und nicht sonderlich angenehme Angelegenheit gewesen! Unerquicklich geradezu!

Nun würde er das mitleiderregende Häufchen Fleisch erst einmal zurück in den Keller bringen. Sein erster Versuch, das perfekte Muschi- Sushi zu kredenzen war unabwendbar gescheitert. Und bevor er sich nicht vollkommen sicher sein konnte, dass die Krise überstanden und das Fleisch wieder bedenkenlos als zum Verzehr geeignet zu deklarieren war, hatte es auch keinen Sinn seine Arbeit an und mit diesem Exemplar heute noch fortzusetzen. Später würde er dem armen Ding eine gesunde, stärkende Fleischbrühe kochen, doch sein Magen knurrte arg und so würde es wohl darauf hinauslaufen, dass er heute zu Tiefkühlkost greifen musste. Glücklicherweise kochte er oft mehr als er auf einmal essen konnte und fror den Rest dann ein; ansonsten säße er jetzt ganz schön in der Tinte.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kapitel 13 - Rezepte

Wenn ein Mann für dich kocht und der Salat enthält mehr als drei Zutaten, meint er es ernst.                           (Penelope Cruz)

Nachdem er sich missmutig ein paar Blutwürste im Naturdarm in etwas kochendem Wasser verzehrfertig erwärmt hatte, dazu gab es einen schwäbischen Kartoffelsalat, und auch die Trinkbrühe wie geplant ausgeliefert hatte, setzte er sich noch ein Stündchen an seinen Schreibtisch, blätterte in seinen Unterlagen und dachte nach. Am besten würde er sich noch ein weiteres Beutestück fangen und das kulinarische Experiment des heutigen Tages an diesem dann noch einmal wiederholen. Es galt herauszufinden ob Wasabi ganz allgemein eine solch drastische Wirkung entfaltete, oder ob nur dieses eine Exemplar so negativ auf die Paste reagierte. Würde das zweite Exemplar ebenfalls eine deutlich negative Symptomatik aufweisen, so wäre vom Marinieren mit dieser Substanz eindringlich abzuraten und auch solches Wissen wäre am Ende vielleicht lehr- und hilfreich für manchen Hobbykoch. Vielleicht sollte er ein paar Seiten seines Werkes nicht nur seinen gelungenen Gaumenkitzlern widmen, sondern, anzahlmäßig zwar deutlich weniger, doch sicher nicht weniger wichtig, auch jenen Fehlern, die es zu vermeiden galt, wollte man das gekochte Gericht tatsächlich auch verzehren und nicht aus der Pfanne in den Müll kippen! Schließlich konnte und wollte er nicht verantworten, dass gravierende Fehler wie der heutige unnötig wiederholt wurden, womöglich zahllosen Menschen den Appetit verdarb und Tonnen vormals delikaten Fleisches somit unbrauchbar würden und unnütz der Vernichtung zugeführt werden müssten. Vor allem in Japan und anderen asiatischen Ländern sah er hierfür die Gefahr, da sich Sushi dort traditionellerweise großer Beliebtheit erfreut.

Er hatte bereits eine brillante Einleitung für sein Buch geschrieben, in der er einiges an fundierten, selbst recherchierten Weisheiten in Bezug auf die Auswahl des richtigen Fleisches für das richtige Mahl und die anschließende Beschaffungsproblematik preisgab. Auch handelte er den leidigen Umstand ab, dass man hierzulande mit der freien Nahrungswahl, noch, den Tatbestand der Beschaffungskriminalität erfüllte, weshalb man in Frage stellen müsste, ob die Jagd nach Wild im weitesten Sinne nicht weniger reglementiert sein sollte. Wie in jeder Grauzone, abseits des Visus der Legalität, geriet man sonst nämlich leicht in die Gefahr, sich die falschen Leute zu suchen, mit denen man die Essenszeit verbrachte. Schnell erlag man der Versuchung, statt einem wohlschmeckenden Kräuterweibchen, einen der bereits sedierten Drogensüchtigen mit nach Hause zu nehmen, die sinnlos und unnütz in den Straßen und Gassen herumlagen. Und wie ein Haschischabhängiger, dessen korrekter Dealer der Justiz zum Opfer fällt und der nunmehr gezwungen ist, sein herbales Labsal bei einer weit zwielichtigeren Gestalt zu erwerben, kommt man auch beim Fleisch sehr einfach vom Haschisch zum Heroin, metaphorisch gesprochen. Im Fleischfall kommt man eben von gesunder, biologischer Kost zu einem chemisch belasteten, ungesunden und nicht besonders wohlschmeckenden Fraß; Junkfood eben. Darum war die Legalisierung wichtig und richtig und sein Buch würde einen Meilenstein im Kampf um das Recht auf eine gesunde Ernährung setzen. Die Bedürfnisse der Massen, den Hunger des Volkes, konnte man schließlich nicht ewig ignorieren! Und versuchte man es doch, so würde es Aufstände geben, brennende Mülltonnen ihren schwarzen Rauch einer mahnenden Säule gleich in den Himmel schicken und erst wenn der letzte Führer der Opposition das Handtuch geworfen hatte oder verschlungen war, wäre die Schlacht geschlagen.

Sinnvoller wäre doch gleich ein System zu ersinnen, das die Auswahl und Schlachtung, für jene die übrig blieben fair und gerecht, verwaltete. Dann könnte man auch Steuern auf das Endprodukt erheben, was wieder etwas Geld in die Staatskassen spülen würde und würde gleichzeitig die Überlebenden und somit Überlegenen endlich entkriminalisieren. 

Ein weiteres Kapitel, welches sich dann dem grundlegenden Wissen über die verschiedenen Fleischsorten mit ihren geschmacklichen Eigenheiten und Finessen widmete, schloss sich an. Er war kein Rassist, im Gegenteil, selbst hielt er sich für einen sehr liberalen Menschen, aber dennoch war nicht zu leugnen, dass es geschmackliche Unterschiede gab und immer geben würde. Von der eigenen Verwandtschaft zum Beispiel sollte man die Finger lassen, ihr Geschmack erinnerte zu sehr an das eigene Ableben und verdarb den Spaß am Essen. Diese traurige Tatsache wurde ihm gewahr, als er Onkel Ben mit Reis genoss. Auch der gute Braten von seiner Tante wurde von diesem ungenießbaren Beigeschmack überlagert. Und das obwohl die Braten die sie zu Lebzeiten fabriziert hatte immer von allerbestem Gusto waren. Man musste schon sehr hungrig sein, um sich an einem solchen Mahl trotzdem erfreuen zu können!

Zum Backen, so hatte er herausgefunden, eignete sich die negroide Gattung Mensch am besten, was womöglich mit der Veranlagung zu einem fleischigen, besonders ausladenden Hinterteil zusammenhing, welches er hierfür sehr gern verwendete. Aus ihnen ließen sich sehr delikate Speisen bereiten, erst neulich hatte er pikante Hackfleisch-Brownies gebacken, von denen er dann, wie er mit einem verschämten Blick auf seine Hüften bemerkte, auch viel zu viele, zu viel zu später Stunde, in seinem Bett während eines spannenden Films vernascht hatte. Doch er sah es sich mit einem Augenzwinkern nach. Wenn man so viele Verlockungen im eigenen Haus lagerte, wer würde da denn nicht hin und wieder schwach werden?

Fleisch asiatischer Herkunft und Brustfleisch im Allgemeinen harmonierte besonders gut mit Reis und Gemüse. Daran konnte man gut erkennen, dass auch ein kultureller und damit kulinarischer Hintergrund durchaus Einfluss auf den Geschmack hat. Andere Länder, andere Sitten! Jede Region dieser noch überbevölkerten Welt hatte ihre eigenen Gebräuche und Spezialitäten und selbstverständlich hatte die Ernährung beträchtlichen Anteil daran, wie das Produkt am Ende schmeckte. Freilich war meist nur schwer nachvollziehbar, wie das Fleisch aufgezogen wurde und unter was für Bedingungen es sein Leben verbracht hatte. Doch wer, wie er, viel auf der Welt herumgekommen war, bereist und gebildet, der konnte auch Rückschlüsse ziehen, die dann Aufgrund seiner weltmännischen Gewandtheit und seines fachgerechten Urteilsvermögens in Bezug auf das Erscheinungsbild, das Auftreten, den Sprachschatz, des Körperbaus und der ethnischen Herkunft der Ware, durchaus als fundiertes Wissen gelten zu lassen waren! Wie in jeder Sterneküche, so besonders in der kannibalen, galt es sich zuerst ausführlich mit der Herkunft und Verarbeitung der einzelnen Lebensmittel zu beschäftigen, um nachher sicherzustellen, dass nur gute Qualität und ein vorzügliches Essen auf dem eigenen Tisch landet.

Mochte man es deftig und ein wenig erdig, so war meist ein bodenständiges Exemplar aus dem Rheinland am Brauchbarsten. Speziell der sogenannte Ruhrpott war ein gutes Jagdgebiet, wollte man am Abend einen guten Sauerbraten zu Hause im eigenen Pott schmoren. Dazu ein wenig Rotkohl und ein paar schlichte Salzkartoffeln, schon hatte man ein Festessen! Es war ein in vielen Bergbauregionen auftretendes Phänomen, dass das Fleisch derer, deren Vorfahren Jahrhunderte lang die Erde nach Kohle oder Erzen durchwühlt hatten, auch erdgebundener und bodenständiger schmeckten, als andere. Überall auf dem Globus konnte man dieses Wunder der Natur beobachten und wollte man ein besonders zartes und delikates Beispiel für die gute Hausmannskost erschmecken, seinem Gaumen einmal etwas richtiges Gutes tun, so besorgte man sich am besten eines der noch nicht ganz ausgewachsenen Exemplare aus den sibirischen Kohlegruben. Durch die zehrende Kälte und Kargheit dieser Region war das Fleisch meist etwas sehnig und blieb, wollte man es kurzgebraten genießen, scheußlich zäh, doch nahm man sich mit der Zubereitung Zeit und köchelte es langsam, ausdauernd auf kleiner Flamme, konnte man  die schmackhaftesten und zartesten Rouladen fertigen, die man sich nur vorstellen kann.

Für einfache Gerichte, wie zum Beispiel den russischen Borschtsch, war es relativ unerheblich aus welcher Region des Landes man die Innereien bezog, doch wäre dies eine gute Option die Reste des Rouladenfleisches zu verarbeiten. Generell war nur noch anzumerken, dass man russisches Fleisch aus dem Gebiet um Tschernobyl möglichst meiden sollte, außer man wollte etwas besonders Ausgefallenes auf den Tisch bringen, dann ließ sich dort das Passende für jeden Geschmack finden. Kein anderer Zwischenfall in einem Kernreaktor, außer vielleicht Fukushima, hatte solch interessante Mutationen hervorgerufen; vergleichbare Ware ließ sich ansonsten nur in der Karibik finden. Seine Jagderfolge in dieser Gegend waren nicht immer delikat, aber zumindest immer interessant gewesen. Einmal hatte er in dieser verseuchten Region eine rothaarige Zwergmutantin gefangen, deren Äußeres so deformiert und abstoßend war, dass es ihm schwergefallen war, diese Abnormität einigermaßen ansehnlich und für das Auge erträglich anzurichten. Geschmeckt hatte sie noch schlimmer, toxisch und bitter, und die Bekanntschaft mit ihr war ihm schmerzlich auf den Magen geschlagen. Seitdem mied er Tschernobyl, Japan und auch die untergehenden karibischen Inseln. Er jagte ohnehin lieber auf festem Land. Wurde man auf einer Insel bei der nächtlichen Besorgung entdeckt und das Fluchtboot versenkt, konnte die Situation nämlich schnell ganz schön brenzlig werden.

Maultaschen, eine besondere Empfehlung an die katholische Anhängerschaft seiner Küche, sollte man nur aus echten Schwaben fertigen, denn selbst die benachbarten Badener erzielten schon nicht mehr denselben Geschmack. Dieses Gericht wurde von den Schwaben erfunden um ihren Gott am Freitag, der dem Fisch gewidmet war, schamlos zu hintergehen. Um das gute Fleisch vor seinen allsehenden Augen zu verbergen. Wäre man gläubig, so könnte man es als Strafe eben dieses Gottes empfinden, dass sich nun eben die besten Maultaschen aus ihnen selbst machen ließen. Franklin war so gläubig nicht, er sah darin darwinistischere Gründe; wer jeden Freitag dasselbe aß, der musste sich nicht wundern, wenn er später auch danach schmeckte.

Für jene, die ein weniger betrügerisches, dafür gottesfürchtigeres Mahl bevorzugten empfahl er ein Abt- Ei in Senfsauce, dazu einen Becher Messwein und als Nachtisch eine leckere Crema Torium.

Ein weiteres, leckeres Essen, noch dazu gut für die schlanke Linie, hatte er für die gläubigen Juden kreiert und empfahl es als genau das Richtige für den heiligen Sabbat: Der Kohl-Rabbi. Christen konnten dieses Gericht einfachst abwandeln, indem sie statt des Rabbis einfach das Fleisch eines Rabbiner- Mönches verwendeten, auch wenn er dauerhaft einen gewissen Versorgungsengpass voraussah. Der altehrwürdige kirchliche Orden hatte dieser Tage leider keinen besonders großen Zulauf mehr. Vielleicht könnte man die Schar neuer Mitgliedschaften künftig deutlich erhöhen indem man die Lebensmüden und Selbstmordgefährdeten anwarb, zum Beispiel mit dem Versprechen sie würden verzehrt werden, sobald sie vom irdischen Dasein genug hatten, und damit sicherstellen das der Orden nicht bald zu den bedrohten Fleischarten zählte.

Den herzhaften Geschmack von Fried Chicken erzielte man, indem man das Brustfleisch der jungen Maiden aus Kentucky nahm, welches das des Hühnchens am treffendsten imitierte. Zwar war die Beschaffung dieser Exemplare oft diffizil und gefahrenreich, doch war man wohlgenährt und bei guter Gesundheit und  entweder schnell  oder ein Meister im unentdeckten Anschleichen, so würde man es sicher an den umher fliegenden Schrotkugeln aus den Gewehren der ortsansässigen, meist gut bewaffneten Farmer vorbeischaffen, die ihre Töchter meist für sich selbst wollten und darum mit Argusaugen darüber wachten, auf das sich kein fremder Mann an ihnen vergehen konnte. War man nicht schnell genug, dann würde man sich hernach jedoch wohl auch nicht mehr daran stören.

Einfacher war die Nahrungsbeschaffung im überbevölkerten Indien. Meist genügte der Einsatz eines scharfen Messers um einen Hindu zum Kuschen zu bringen; um hernach seine bestimmt bald in einer besseren Kaste reinkarnierende Tochter, meist eine von vielen, mit ein wenig Curry und Reis genießen zu können. In diesen verhungernden Gefilden bestand vielmehr die Gefahr, dass sich der Vater am Ende, samt der von gefräßiger Trauer erfüllten Großfamilie, zum Leichenschmaus einlud. Inspiriert von der Simplizität der Jagd in Indien hatte er sich mit selber Taktik auch am Hindukusch versucht, war dort jedoch weit weniger erfolgreich damit gewesen. Die Afghanen im Allgemeinen, besonders aber die Schwarzen, waren weit besser genährt und wehrhafter als die erlegten Inder. Bessere Resultate hatte er dort damit erzielt, das Fleisch vor der Schlachtung mit großen, sedierenden Mengen Alk, am besten “Aida”, diesem wohlschmeckenden Gesöff, außer Gefecht zu setzen.

Für ein richtiges Barbecue würde er einen ausgewachsenen Texaner empfehlen, vorzugsweise die vom vielen Reiten muskulösen Beine oder die saftigen Rippchen. Meist musste man nur kurz durch die Prärie schleichen, Spuren suchen und etwas die Augen offen halten nach der verräterischen Staubwolke einer Rinderherde. Die gesuchten Exemplare trieben sich meist in der Nähe davon herum, darauf wartend, dass sich ein schwaches Kalb von der Herde entfernt. Dann musste man eigentlich nur noch ein wenig Holz sammeln, genug um später eine schöne Glut zu bekommen, ein einladendes Lagerfeuer entzünden, eine Dose Bohnen öffnen und konnte sich dann zurücklehnen, eine Zigarette rauchen und warten. Meist dauerte es auch gar nicht lange, bis die Beute die Witterung aufnahm und, angelockt von der Wärme und dem Geruch der Nahrung, von ganz alleine angeritten kam. Vom Futter abgelenkt und in Sicherheit gewiegt reagierte sie dann auch selten argwöhnisch wenn man, während sie gierig die Bohnen verschlang, hinter sie trat, einen großen Stein nahm und ihr den Schädel einschlug. Danach musste man das Fleisch nur noch grillen, die Glut war dann im Regelfall auch genau richtig. Später, nach dem Essen, ein wenig an der mitgebrachten Gitarre gezupft, das behagliche Feuer noch einmal angeschürt und schon verbrachte man einen romantischen, idyllischen Abend im Marlboro Country. Wenn im Hintergrund auch noch die Grillen zu zirpen und die Kojoten zu heulen begannen, war das Glück perfekt. Die Anwesenheit der Kojoten verriet nämlich, dass man sich nicht einmal Mühe machen und die abgenagten Knochen verscharren musste. Die Natur hatte den Tisch gedeckt, sie würde ihn auch wieder abräumen!

Doch ehe er sich in diesen Gedanken und der Schwelgerei in der Erinnerung noch vollkommen verlor, sollte er nun endlich zu dem kommen, weshalb er sich überhaupt an seinen Arbeitsplatz gesetzt hatte. Nun, da fraglich war ob das Fleisch im Keller sich erholen würde, war es vonnöten, für den Fall, dass all seine Bemühungen dem Fleisch zu helfen am Ende doch vergeblich waren, sich ein Ersatznahrungsmittel zu besorgen. Also griff er zum Telefon und sagte dem Haitianer, er solle für den nächsten Tag einen Lastwagen mieten, sie hätten Großes vor. Dann machte er sich bereit für die Nachtruhe.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kapitel 14  - Köstliche Suppe

Revolution: das Feuer, an dem die einen verbrennen und die anderen ihre Suppe kochen.                                      (John Carrick)

 

Das Monstrum in dessen Gewalt sie sich befand hatte sie wieder zurück in die zweimal drei Meter große Hölle verschleppt, in der er einen Platz für sie reserviert hatte. Ein kleiner Ort der Verdammnis, der, wie sie nun inzwischen wusste, sich im Keller seines Hauses befand. Zwar schien der Raum zu klein um sich darin zu verlaufen und doch, das war ihr klar, hatte sie sich bei ihrem letzten Aufenthalt darin fast selbst verloren. Diesmal würde ihr das nicht passieren, soviel nahm sie sich fest vor. Sie musste wach und bei Verstand bleiben, sich bereithalten. Wenn er sie das nächste Mal holen kam, dann musste ihr irgendwie die Flucht gelingen, denn viele seiner Besuche würde sie nicht mehr überleben. Auch das war ihr klar.

Sie wusste nicht WER dieser Mann war, aber sie wusste nur zu genau WAS er war. Ein Monster, ein Unmensch, ein total wahnsinniger Menschenfresser! Er besaß ein Wesen, das historische Gestalten wie Jack the Ripper,  den Heckenschützen von Washington und sogar die Familie Manson wie freundliche, normale Zeitgenossen erscheinen ließ.

In der Nacht in der er sie gefangengenommen hatte verstümmelte er sie, aß ihr Ohr und ihre Zunge und auch an ihrer Hüfte klaffte eine schmerzhafte Wunde. Dann sperrte er sie in dieses Zimmer, kam nach ein paar Stunden wieder, schnitt wortlos ein Stück ihrer Bauchdecke heraus und ließ sie anschließend hier so lange verrotten bis sie den Verstand verlor. Wie lang mochte das alles her sein? Wie lang war sie schon in seiner Gewalt? Der einzige Zeitmesser, der ihr hier zur Verfügung stand, war ihre Bein- und Schambehaarung und der zufolge müsste heute in etwa der dritte Tag sein.

War sonst noch etwas passiert? Sie wusste es nicht, Teile der letzten, vermutlich, Tage waren wie im Nebel verschwunden, schwammig, nicht greifbar, dunkle Flecken in ihrer Erinnerung. Dann, an diesem Punkt setzte die Erinnerung wieder klar und deutlich ein,  hatte er irgendetwas mit ihrem Körper angestellt. Sie wusste nicht was, war aber froh, dass es zu Ende war. Das Brennen zwischen ihren Beinen war unerträglich gewesen, schmerzhaft und der unerwünschte, unkontrollierbare multiple Orgasmus den sie hatte, war weniger eine Explosion der Lust als ein Dauerkontrahieren aus purer Pein heraus gewesen! Zumindest redete sie sich das ein, weil es ihr schwer gefallen wäre zuzugeben, dass ihr dieser Teufel in Menschengestalt den phantastischsten, intensivsten Orgasmus ihres Lebens geschenkt hatte. Dass er sie, wie um noch zu unterstreichen was für ein kranker, perverser Bastard er war, danach in dieses Eisbad gezwungen hatte, war einerseits total krank und gestört und sie fragte sich, weshalb er ihr das antat, andererseits war sie fast schon froh darüber, denn das Wasser, auch wenn es viel zu kalt war, hatte zumindest ihr gemartertes Geschlecht beruhigt, die konvulsiven Zuckungen beendet und weggewaschen was auch immer er benutzt hatte um ihr diese Qualen zuzufügen.

Ihr war noch immer lausig kalt, sie bibberte und musste fest die Zähne zusammenbeißen um nicht zu laut damit zu klappern, denn in ihrem gehörlosen Kopf hallte dieses Geräusch unrhythmisch und hässlich nach. Das Schwein hatte ihr nach der Tortur in der Wanne nicht  einmal ein Handtuch gegeben, während er selbst sich abfrottierte und in einen warm und gemütlich aussehenden Bademantel schlüpfte, als wäre er es gewesen, der in dieser kalten Brühe liegen musste. Immerhin schien er ihr hier, in ihrem privaten Hades, etwas hingelegt zu haben, womit sie sich wärmen konnte, dachte sie bei sich, als sie den unordentlichen, achtlos hingeworfenen Stapel Wäsche bemerkte, der in der anderen Zimmerecke lag. Zwar bereitete ihr jede Bewegung exorbitantes Unbehagen, doch die Belohnung die am Ende wartete, die Aussicht auf etwas Wärme und Behaglichkeit, rechtfertigte die Anstrengung in die andere Ecke zu kriechen. Auf den Knien rutschend, den Lakaien machend, völlig fertig mit der Welt, meisterte sie den kurzen Weg. Leider war der Topf am Ende des Regenbogens aber nicht nur mit Gold gefüllt, das Gold lag nur obenauf, der Topf war nur Maskerade. In Wirklichkeit war er ein Fass ohne Boden, ein dunkler Rachen dessen Schlund die Anziehungskraft eines schwarzen Loches besaß, die heimtückische Pforte in eine noch unheilgeschwängertere Welt. Die Kleidung gehörte Naomi!

Diesen Pullover und die Hose hatte Naomi an ihrem letzten gemeinsamen Abend getragen. Ein Abend an dem sie sich, wieder  einmal, sehr gestritten hatten. Sie erkannte sogar den Ketchup- Spritzer auf dem Pulli wieder, der entstanden war als sie in ihrem Zorn einen noch vollen Teller an die Wand geworfen hatte. Sie saßen gerade beim Abendessen, als  Naomi wieder einmal mit ihrer grauenhaften, unbegründeten Eifersucht angefangen hatte.

Zugegeben, ganz am Anfang ihrer Beziehung war sie fremdgegangen, mit ihrem Exfreund, der sich zufällig einmal wieder gemeldet hatte. Aber im Grunde war das nur passiert, weil sie selbst zu diesem Zeitpunkt so verunsichert war. Sie war keine Lesbe, noch nie gewesen, doch auf einmal waren da diese Gefühle die sie für ihre eigentlich beste Freundin empfand und die ihr Angst machten. Ihr war, als wäre ihr Herz eine Trommel, die ihren Takt verloren hatte und eine Ewigkeit nach einem Rhythmus wie dem Naomis gesucht hatte. Was sie mit ihr empfand sprengte die Grenzen alles vorher dagewesenen, eröffnete eine völlig neue Gefühlswelt. Mit ihm zu schlafen war eigentlich nur ein letzter Versuch gewesen, ans gewohnte, sichere Ufer zurück zu paddeln, hatte aber nicht funktioniert. Die ersehnte Wirkung blieb aus, das Erlebte war nicht rückgängig zu machen, nicht zu negieren und ihre Emotionen Naomi betreffend wuchsen von Tag zu Tag mehr zu dem Gefühl wahrer und tiefer Liebe heran. Sie wusste nicht, wie die exotische Schöne aus dem Nichts die Liebe zaubern konnte, doch der Zauber wirkte und es war, als könne sie die Schwärze der Nacht nehmen und in den wundervollsten, flammendsten Sonnenaufgang verwandeln. Doch es hatte nichts mit Magie zu tun, dass Naomi dann, ungeplanter weise, von ihrem One-Night-Stand erfuhr. Eine Bekannte hatte sie mit dem Ex gesehen, als sie gerade gemeinsam ein schäbiges Hotel betraten, das Richtige vermutet und es brühwarm weitererzählt. Und als das Gerücht dann auch Naomi erreichte, war Fou-Mai auch noch so dumm gewesen ehrlich zu sein und alles zuzugeben. Und nun verfolgte diese alte Geschichte sie noch immer. Seit damals musste sie sich Vorhaltungen machen lassen, alles was sie sagte oder tat wurde in Frage gestellt, die Saat des Zweifels war gesät. Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, auch wenn er dann die Wahrheit spricht. Fürs Fremdgehen schien diese Bauernweisheit ebenfalls zu gelten!

In letzter Zeit waren die Streitereien wieder häufiger geworden, was daran lag, dass sie in der Tat wieder etwas vor ihrer Liebsten verheimlichte. Sie hatte sich einen zweiten Job gesucht, fuhr nun mehrmals in der Woche nach der eigentlichen Arbeit Pizzas aus und sparte jeden einzelnen Dukaten den sie so verdiente. Wenn sie genug zusammengekratzt hatte, dann würde sie davon einen Ring kaufen, mit einem echten Diamanten, vor ihrer Liebsten auf die Knie fallen und sie dann bitten, für immer die ihre zu werden. Der  Rest des Geldes war für die Hochzeitsreise bestimmt. Es sollte eine Riesenüberraschung werden! Mit ihrem Chef, der ab und an anrief, wenn er sie dringend brauchte, weil mal wieder jemand krank geworden war oder gekündigt hatte, telefonierte sie darum auch nur heimlich, mit gesenkter Stimme und ersann immer neue Ausreden, um an den Abenden an denen sie Pizza auslieferte von zu Hause weg zu können. Sie mochte diese Heimlichkeiten auch nicht, aber in diesem Fall, so fand sie, heiligte der Zweck die Mittel.

Wie kam dieser Pulli also hierher, in das Haus dieses Irren? War sie gar kein zufälliges Opfer gewesen? Hatte er sie und ihre Freundin etwa wochenlang beschattet, diesen Wahnsinn hier akribisch und von langer Hand geplant? War auch Naomi in seiner Gewalt? Da er ihre Kleidung hatte, musste es wohl so sein. Hatte er ihr die Ohren abgeschnitten, damit sie die gellenden  Schreie ihrer Geliebten nicht hören konnte? Und die Kleidung musste er in ihren Raum gelegt haben, um sie wissen zu lassen, dass die Liebe ihres Lebens bald ebenso verloren war wie sie selbst, gefressen von diesem Lindwurm, dieser Ausgeburt der Hölle! Unter der Kleidung lag ein Vibrator; ein weiterer, höhnischer Scherz auf ihre Kosten! Schluchzend drückte sie den Pulli an ihre Brust, wiegte ihn, als wäre er ein geliebtes Kind, vergrub ihre Nase darin, sog den himmlischen Duft ihrer Geliebten, das Aroma eines fernen Himmels, ein und ließ ihren Tränen freien Lauf. Wie gemein ein Mensch doch sein konnte! Dieser Mann war ein Sadist der übelsten Sorte und es war nahezu unmöglich, dass auch nur eine Faser seines Wesens nicht abgrundtief böse sein könnte.

Und gerade als sie dieses dachte öffnete sich die Tür und er brachte ihr die beste Suppe, die sie je gegessen hatte. Soviel konnte sie selbst mit dem Stumpf ihrer Zunge noch erschmecken. Gierig, denn sie hatte seit sie das Restaurant verlassen hatte keinen Bissen mehr zu sich genommen, trank Fou-Mai die kräftigende Brühe. Es war ihr egal, dass das Schlucken eine Qual war; sie brauchte diese Nahrung, musste bei Kräften bleiben. Wenn sie abgeschlafft und entkräftet war, dann würde sie vielleicht nicht Handeln können, falls sich die Gelegenheit zur Flucht oder einem Befreiungsschlag bot.

Sofort spürte sie, wie ihr Körper sich über die lang entbehrte Beköstigung entzückte, ihr Magen die wohlige Wärme willkommen hieß und eilig anfing zu verdauen. Da kam ihr ein grausiger Gedanke, so furchtbar, dass es ihr den frischgefüllten Magen umdrehte und ihr nicht nur dieser entsetzliche Gedanke, sondern auch das soeben zu sich Genommene durch den Kopf ging: Bestimmt war diese Fleischbrühe aus Naomi gekocht!

 

 

 

Kapitel 15 - Schlafstörung

Wer einen anderen betrügt, soll wieder betrogen werden. (Altes Rechtsprinzip)

In etwa zur selben Zeit hatte Naomi genug davon nicht schlafen zu können, weil die zermürbende Szenerie vor ihrem inneren Auge sich wiederholte wie der nerv tötende Trailer eines schlechten Films den sie nicht sehen wollte, den der Sender aber in jeder Werbepause enervierend ausstrahlte. Sie warf einen Blick auf die Uhr. Früh war es nicht mehr, aber die Bar Mizwa an der Ecke der Straße müsste noch offen haben. Es handelte sich um eine üble Spelunke, in der zwielichtige Gestalten herumlungerten und die sie normalerweise nicht frequentierte, doch im Augenblick war ihr das vollends gleichgültig. Sie könnte jetzt wirklich einen Drink oder auch zwei gebrauchen und gelaufen war sie heute schon genug.

In dem ungepflegten Wirtshaus zwängte sie sich an die Bar, den Kopf gesenkt und niemandem in die Augen schauend, doch sie spürte die Blicke der Anwesenden trotzdem, die sich neugierig in ihren Rücken bohrten. Frauen verirrten sich wohl nicht so allzu oft in diesen Schuppen. Nun, im Moment war ihr wohl auch eher wie einem Mann zumute. Sie hatte die Schnauze voll von Frauen, wollte sich sinnlos besaufen um die Letzte zu vergessen und würde ihr jemand die passende Gelegenheit bieten, so hätte sie kein Problem damit, mit ihm nach draußen zu gehen und die Fäuste sprechen zu lassen. Sie bestellte sich einen Schnaps, bitter und vermutlich selbstgepanscht, gleich noch einen, weil man auf einem Bein angeblich nicht gut stehen konnte und dann noch einen Dritten.

Wie konnte diese Schlampe ihr nur so etwas antun? Noch nie, in ihrem ganzen Leben nicht, war sie so verletzt, so sehr von einem anderen Menschen enttäuscht worden. Das hatte sie nun davon, dass sie Vertrauen geschenkt und sich auf sie eingelassen hatte, so vorbehaltlos und so verdammt dumm! Fou-Mai war alles für sie gewesen, ihre ultimative 12 auf einer Liebessskala von eins bis zehn. Sie hatte nicht verstehen können wie andere Menschen zu den Göttern im Himmeln beten konnten. Fou-Mai war ihre Eris, ihre Gaia, ihre Rati und ihre Hator in einem, die ultimative Göttin! Sie konnte mit einem einzigen Augenaufschlag ihr Herz wild zum pochen bringen und ihre Welt auf den Kopf stellen. Und umgekehrt? War ihre Liebe diesem Miststück denn rein gar nichts wert? Hatte sie ihr die ganze Zeit nur etwas vorgemacht? Zur Närrin gemacht hatte sie sich selbst, weil sie die ganzen Versprechungen und Lügen brav schluckte. Und zwar nicht weil sie so überzeugend waren, sondern weil sie daran glauben wollte. Hätte sie nur auf ihre innere Stimme gehört! Sie saß daheim und wartete, angstvoll und besorgt wie eine Katze im Sack die darauf wartet ins kalte Wasser geworfen zu werden um elend zu ersaufen, und Fou-Mai hüpfte durch fremde Sado-Maso-Küchen! Der Gedanke an Rache machte sich breit, fing an in ihr zu gären, wie faulige Früchte die im Spätsommer unter einem Baum liegen. Die Idee Gleiches mit Gleichem zu vergelten wurde zunehmend verlockend, doch leider war hier außer ihr und der Matrone hinter der Theke keine einzige Frau in Sicht. Vielleicht sollte sie, auch wenn sie bisher noch nie mit einem Mann zusammen gewesen war und der Gedanke ihr in jedem anderen Zustand, an jedem anderen Tag, völlig abwegig, ja geradezu absurd erschienen wäre, einfach irgendeinen dieser Typen hier abschleppen und sich von ihm vögeln lassen, statt allein mit ihrem übermächtigen Kumpanen, genannt Kummer und Zorn, in dieser Bar zu versumpfen!

Bislang hatte sie einen großen Teil ihrer Energie darauf verwandt, zu verdrängen, was sie längst vermutet hatte. Sie hatte sich selbst beschwichtigt, ihren Ärger und die verletzten Gefühle in den Zimmern ihres Geistes eingeschlossen, immer mehr der belastenden Fakten ignoriert und aufs geistige Abstellgleis gestellt. Doch nach den heutigen Erlebnissen konnte sie das einfach nicht mehr. Und als wäre sie ein Vulkan, unter dessen Oberfläche es schon lange gebrodelt und der nur auf die erlösende Eruption und den geeigneten Zeitpunkt zum Ausbrechen  gewartet hatte, schoss nun die Wut und Enttäuschung in ihr empor. Sie hatte genug davon, dass man ihren Wert nicht genug zu schätzen wusste, auf ihren Gefühlen herumtrampelte als wären sie ein billiger Fußabtreter und ihre Liebe und Hingabe nicht in selben Maß erwidert wurde. Es wurde Zeit, sich nicht mehr alles gefallen zu lassen! Oder, wenn sie schon das Verhalten der Anderen nicht ändern konnte, wenigstens zurückzuschlagen und aufzuhören, das Opferlamm zu spielen, das sich willig zur emotionalen Schlachtbank führen ließ! Mit jeder Lüge und jeder Stunde, die Fou-Mai mit diesem widerwärtigen Gnom verbracht hatte, füllte sich das Fass, welches nun bereit war überzulaufen.

Ja, der Schnaps auf nüchternen Magen begann definitiv zu wirken und die verletzten Gefühle besorgten den Rest. Und nun war sie zu jeder Schandtat bereit!

“Hey Süßer!”, gurrte sie, sich dem nächstbesten Kerl in ihrer Nähe zuwendend. “Bist du heute Nacht noch frei?”

Gnädiger weise ließ der Alkohol nicht nur ihre Sicht verschwimmen, sondern, wie sie am nächsten Morgen bemerken würde, auch  ihre Erinnerung an die nun folgenden Ereignisse. Naomi verlor ihre Unschuld im schmuddeligen Hinterzimmer der Bar. Doch an welchen der anwesenden Männer zuerst konnte sie schon währenddessen nicht mehr rekonstruieren.

 

 

 

 

 

 

Kapitel 16 - Hygiene

Ohne Schnurrbart ist ein Mann nicht richtig angezogen. (Salvador Dali)

Munter und erfrischt erwachte Franklin am nächsten Morgen, was gut war, denn heute würde eine Menge Arbeit auf ihn warten. Wie jeden Morgen ging er auch heute zuerst ins Badezimmer. Weil er später keine Zeit mehr für ein wenig Ruhe und Entspannung finden würde, ließ er sich gleich, statt wie üblich erst zu frühstücken, ein Bad ein. Seit der katholischen Kirche, die den Großteil ihrer Anhängerschaft mittlerweile in Afrika hatte, heute noch mehr Dritte Welt Kontinent als früher, langsam die zahlungskräftigen Gläubigen ausging, drängte sie sich massiv in den Markt für Beautyprodukte. Irgendwoher mussten die Dukaten ja kommen. Und da sich in Europa kaum noch jemand um die Religion scherte, in Amerika niemand bereit war dafür zu bezahlen und der asiatische und indische Markt nach wie vor von den Buddhisten und den Hindus dominiert und ausgenommen wurde, was blieb da noch übrig? In Afrika starb mittlerweile jede Sekunde ein Kind, die Erwachsenen zählte man schon gar nicht mehr, und wer übrig blieb fing entweder an, massiv an der Existenz Gottes zu zweifeln, oder entschloss sich lieber für ein Leben in Sünde, in dem es ihm aber erlaubt war Kondome zu benutzen, um sich vor der zunehmenden Zahl tödlicher Geschlechtskrankheiten zu schützen. Die erste Finanzkrise seit Gründung dieser Religion bahnte sich drohend an. Doch zum Glück kam ein findiger Pfarrer, heimlich homosexuell und bedauernd, dass er nicht Friseur geworden war, auf die Idee, die Kirche könne sich sanieren, indem man den sündigen Weibern und auch jenen Männern, die die Sünde der Eitelkeit begingen, ihr schmutziges Gold abnahm. Franklin kaufte ihre Produkte gerne, sie waren gut, und er hoffte, dass etwas von dem Geld auch den Rabbiner- Mönchen zu Gute kam. Aus einem eleganten Flakon, der ihn stolze 12 Dukaten gekostet hatte, schüttete er etwas Zöli- Bad in sein Wasser, freute sich über die hübschen Blubberbläschen die danach darin aufstiegen und ließ sich entspannt ins wohltemperierte Nass gleiten.

Nach etwa 20 Minuten, länger war nicht gut für die Haut, stieg er wieder aus der Wanne, trocknete sich gründlich ab und griff zur Bodylotion. Schon seit Jahren benutzte er nur noch “Ejaculada”, nichts sonst spendete so lang anhaltende Feuchtigkeit. Langsam cremte er seinen ganzen Körper mit der milchigen Flüssigkeit ein, manche Stellen länger als andere, und zwischen seinen Beinen, wo die Haut besonders trocken zu sein schien, verbrachte er sogar mehrere Minuten damit, die bewährte Lotion gut einzumassieren. Als er sich gepflegt und gesalbt genug fühlte, dachte er darüber nach, wie er sich heute am besten verkleiden sollte. Eine gute Tarnung war wichtig wenn man bei helllichtem Tag arbeitete, schließlich wollte man nicht auffallen oder später gar als Vorlage für eine brauchbare Phantomzeichnung dienen. Er entschloss sich für die Darstellung eines Krebspatienten im Endstadium, von denen liefen immer mehr draußen rum, denn so würde ihn garantiert niemand beachten. Also griff er zu einer Tube Kleri-Kahl, dem schnellen und einfachen Haarentfernungsmittel aus dem Hause Gottes, und entfernte sich das Haupthaar.

Um sich in dem Maße optisch zu verändern, wie es für den heutigen Plan vonnöten war reichte ein kahler Schädel natürlich nicht aus. Also nahm er sein kleines Schminkköfferchen, das er sich eigens für solche Gelegenheiten bei einer Vorherigen mitgenommen hatte, puderte sich die Wangen und, ein kleiner aber wirkungsvoller Effekt, mischte ein wenig grünen Lidschatten unter das kalkweiße Puder. Diese Puderung verlieh ihm ein herrlich fahles, kränkliches Aussehen, gleich einer Moorleiche, die nach Jahren in der sich die Entengrütze auf ihr abgelagert hatte beschloss, die Schlammpackung hätte nun lange genug in die Haut eingezogen und aufstand um zu den Lebenden zurückzukehren. Dann noch in etwas ärmliche, zerschlissene Kleidung geschlüpft, die er unter normalen Umständen als stillose Untragbarkeit angeprangert und im heimischen Kamin entsorgt hätte. Schon war die Maskierung komplett. Er war ein Großmeister der Verwandlungskunst, ein Mann vieler Talente. Darüber würde nichts in seinem Buch stehen, denn diese perfekte Verkleidung könnte eines Tages sein Leben retten. Krankes Fleisch wollte schließlich niemand essen. Er warf einen letzten, prüfenden Blick in den Spiegel, nickte zufrieden und begab sich zu seinem Treffen mit dem Haitianer und der rollenden Frau.