8. KAPITEL
Betrübt stand Carin auf und zog sich einen Morgenmantel über. Mit Sean zu schlafen war so schön gewesen. Sie wollte einfach nicht glauben, dass dies alles ihm nichts bedeutete.
Carin suchte im ganzen Haus nach ihm, doch er war nirgendwo zu finden. Eine lauwarme Kaffeekanne in der Küche deutete darauf hin, dass er hier gewesen war. Warum hatte er sie, Carin, nicht geweckt? Oder ihr wenigstens eine Nachricht hinterlassen? Es war acht Uhr morgens. Wohin war er so früh schon gegangen?
Grübelnd tappte Carin zurück ins Schlafzimmer. Sie fühlte sich leer und ausgebrannt. Nachdem sie geduscht und sich angezogen hatte, ging sie wieder nach unten in die Küche und brühte sich frischen Kaffee auf.
Sie setzte sich an die Frühstückstheke und nippte an ihrer Tasse. Würde es nun jeden Morgen so sein? Würde Sean mit ihr schlafen, wenn er Lust darauf hatte, und sie dann für den Rest des Tages links liegenlassen? Sie hatte sich geschworen, liebevoll und verständnisvoll zu sein und ihm zu beweisen, dass sie anders war als Josie. Wie aber sollte sie das fertigbringen, wenn er ihr keine Gelegenheit dazu gab?
Plötzlich hörte sie, wie die Haustür geöffnet wurde, und ihr Herz klopfte heftig vor Aufregung. Vielleicht hatte Sean ja einen plausiblen Grund dafür gehabt, so früh aus dem Haus zu gehen. Dann hätte sie sich völlig umsonst Gedanken gemacht.
In der Tür erschien eine rundliche Frau mittleren Alters, mit einem von Sorgen gezeichneten, aber gutmütigen Gesicht. “Mrs. Savage?”, rief sie fragend und lächelte Carin freundlich zu.
Carin fiel es schwer, ihre Enttäuschung zu verbergen. Sie zwang sich aber trotzdem zu einem Lächeln. “Und Sie sind bestimmt Mrs. Blake.”
“Ganz genau, die bin ich”, bestätigte sie vergnügt. “Sean rief mich an und sagte, Sie würden noch im Bett liegen. Ich sollte Sie auf keinen Fall wecken. Aber da Sie ja schon auf sind, mache ich Ihnen gleich ein gutes Frühstück. Bestimmt haben Sie noch nichts gegessen.”
Bittere Enttäuschung kam in Carin hoch. Sean hatte seiner Haushälterin gesagt, wohin er gegangen war, aber ihr, seiner eigenen Frau, nicht. “Nein, aber eigentlich habe ich noch gar keinen Hunger”, antwortete sie. “Wohin ist Sean denn gegangen?”
Mrs. Blake zog verwundert die Brauen hoch. “Ins Büro. Hat er Ihnen das nicht gesagt? Na ja, so kennt man ihn. Kaum zu Hause, stürzt er sich schon wieder in seine Arbeit. So haben Sie sich Ihre Flitterwochen ganz bestimmt nicht vorgestellt, nicht wahr? Sean wird Sie aber sicher später an ein schönes Fleckchen führen, wenn er das Gröbste hier erledigt hat.”
Das ist der Witz des Jahres, dachte Carin bitter. In unserer Ehe gibt es keine Flitterwochen oder ähnliche reizvolle Dinge, von denen man als jungvermählte Braut so träumt. Sean behandelt mich wie eine Hure. Das hättest du von Anfang an wissen müssen, schalt sie sich. Du hättest seinen Heiratsantrag niemals annehmen dürfen.
“Ich kann gut verstehen, dass er sich zurückgezogen hat und niemanden mehr sehen wollte”, fuhr Mrs. Blake fort. “Der Tod seiner Schwester hat ihn schwer getroffen, und die Scheidung gab ihm dann den Rest. Ich fürchtete schon, er würde nie darüber hinwegkommen. Aber nun wird alles anders, davon bin ich überzeugt. Und Sie müssen natürlich etwas essen. Wie wär’s denn mit Rührei auf geröstetem Toast und einem Kännchen Tee? Ich bringe es Ihnen rüber ins Wohnzimmer. Dort können sie gemütlich frühstücken und dabei den Vögeln im Garten zuschauen.”
“Danke, das wäre sehr nett”, antwortete Carin höflich. “Sie müssen mich aber nicht bedienen, ich kann mir das Frühstück auch selbst machen.”
“Ach was, das ist schon in Ordnung. Deswegen bin ich ja schließlich hier. Sean ist wirklich ein sehr großzügiger Arbeitgeber. Sie haben wahrhaftig einen wundervollen Mann geheiratet, wissen Sie das? Ich kann ihn gar nicht genug loben.”
Obwohl Carin eigentlich nicht hungrig war, leerte sie den ganzen Teller. Dabei grübelte sie unentwegt über Sean nach. Dass ihm seine Arbeit offensichtlich wichtiger war als seine Frau, nahm sie ihm übel. Er hätte wenigstens das Wochenende mit mir verbringen können, dachte sie ärgerlich. Sie hatte Verständnis dafür, dass er in seiner Firma nach dem Rechten sehen wollte, nachdem er so lange nicht dort gewesen war. Aber musste das denn gleich am ersten Tag nach ihrer Hochzeit sein?
Carin hatte keine Ahnung, wann Sean nach Hause kommen würde. Je länger sie über ihre Lage nachdachte, desto wütender wurde sie. Wie konnte er nur so mit ihr umspringen? Hatte ihm die Liebesnacht mit ihr denn nicht gefallen?
Würde es in Zukunft auch so sein, nämlich dass jeder seiner eigenen Wege ging? Sean bot ihr, wie versprochen, ein Dach über dem Kopf, sonst jedoch nichts. Keine Liebe, keine Zuneigung. “Richte das Haus neu ein, wenn du Langeweile hast”, hatte er gesagt. Was wäre das für eine Verschwendung. Die Wohnung war doch schon perfekt eingerichtet. Eine Umgestaltung würde ein Vermögen kosten, und Carin hatte gelernt, vernünftig und sparsam mit Geld umzugehen.
Mrs. Blake verabschiedete sich nach dem Lunch. Vorher hatte sie das Abendessen vorbereitet, sodass Carin es später nur noch in den Ofen zu schieben brauchte. “Wir sehen uns erst am Montag wieder, meine Liebe, denn morgen verbringe ich den ganzen Tag mit meiner Tochter”, hatte sie noch gesagt. “Wenn es irgendetwas gibt, das Sie besonders gern essen, so lassen Sie es mich ruhig wissen. Sean ist ja pflegeleicht in der Beziehung. Er isst alles, was ich ihm vor die Nase stelle. Aber wenn Sie etwas absolut nicht mögen, sagen Sie es ruhig, ich richte mich dann danach.”
Einerseits war Carin erleichtert, wieder allein zu sein, andererseits aber war es nun beklemmend still im Haus. Sie schlenderte in den Garten, setzte sich auf eine Bank und sah gedankenverloren auf den kleinen Teich. Dicke Goldfische schwammen behäbig zwischen den grünen tellergroßen Seerosenblättern umher. Ihr habt es gut, dachte Carin betrübt. Ihr kennt keine Sorgen und Probleme.
Carin hatte das Essen für sechs Uhr vorbereitet und bereits den Tisch gedeckt. Um sieben war Sean immer noch nicht da. Wenn sie seine Telefonnummer gehabt hätte, hätte sie ihn im Geschäft anrufen können. Doch er hatte den Namen seiner Firma nie erwähnt, und so hatte Carin keine Möglichkeit, die Nummer herauszufinden. Ihr war lediglich bekannt, dass das Unternehmen sich irgendwo mitten in der Stadt befand. Einmal mehr wurde ihr klar, wie wenig sie von Sean wusste.
Es war bereits halb neun, als Sean endlich erschien. Kein Wort der Entschuldigung kam über seine Lippen. Stattdessen holte er ein Glas aus dem Schrank, schenkte sich Whiskey ein und setzte sich in einen Sessel. Carin lagen schon bittere Vorwürfe auf der Zunge, da das Abendessen nun nicht mehr genießbar war. Als sie jedoch sah, wie müde und abgespannt Sean wirkte, hielt sie sich zurück.
“Du hattest einen schweren Tag, nicht wahr?”, fragte sie sanft. “Ist es nicht so gut gelaufen im Geschäft, während du fort warst? Vielleicht könnte ich dir im Büro ein bisschen helfen? Ich bin eine erfahrene Sekretärin, und es gibt bestimmt genug zu tun.”
“Nicht nötig, alles ist in bester Ordnung”, wehrte Sean ab. “Ich brauche keine Hilfe. Aber natürlich wird es eine Weile dauern, bis ich mit der Arbeit wieder auf dem Laufenden bin.”
“Konntest du denn nicht wenigstens bis Montag warten?”, begehrte Carin auf. Die Kälte in Seans Stimme tat ihr weh. “War es denn wirklich nötig, schon heute damit anzufangen?”
“Ja.”
“Du hättest mich wenigstens wecken und mir sagen können, wo du hingehst. Bis Mrs. Blake kam, hatte ich keine Ahnung, wo du stecktest.”
“Und dann hast du dir Sorgen gemacht, wie?”
Carin ärgerte sich über seinen unverhohlenen Spott. Was um Himmels willen hatte sie getan, dass er so gemein zu ihr war? “Natürlich nicht, warum hätte ich das tun sollen?”, gab sie bissig zurück.
Sean kniff die Augen zusammen. “Du klingst aber nicht gerade wie eine frischgebackene Ehefrau.”
“Eine frischgebackene Ehefrau? Dass ich nicht lache!” Carin funkelte Sean zornig an. “Dass wir keine gewöhnliche Ehe führen, hast du mir ja deutlich zu verstehen gegeben. Du gehst deinen Weg, und ich meinen. So ist es doch, oder nicht? Wir sehen uns nur im Bett. Anfangs dachte ich, du wolltest, dass ich mich um das Haus kümmere. Ich glaubte, du wünschtest dir eine Partnerin. Aber jetzt muss ich mich fragen, warum du mich überhaupt geheiratet hast.”
“Ich dachte, wir hätten beide etwas davon, aber anscheinend habe ich mich getäuscht.”
Es hat keinen Sinn, dachte Carin resigniert und zog es vor, den Streit zu beenden, bevor er ausartete und sie einander hässliche Dinge an den Kopf warfen. “Warum gehst du nicht nach oben und nimmst eine heiße Dusche?”, schlug sie vor. “Ich habe das Essen warm gehalten. Sicher hast du Hunger.”
“Nein, danke. Ich habe im Büro ein Sandwich gegessen.”
“Aber Mrs. Blake hat sich so viel Mühe gegeben. Sie wird bestimmt nicht begeistert sein, wenn sie erfährt, dass ihr gutes Essen im Müll gelandet ist.”
“Vielleicht esse ich später etwas.” Sean stand auf, füllte das Whiskeyglas nach und setzte sich wieder.
Eigenartig, dachte Carin. Er hat noch nie viel getrunken, warum ausgerechnet jetzt? Vielleicht bereut er es, dass er mich geheiratet hat.
“Bist du wegen gestern Abend so wütend auf mich?”, fragte sie vorsichtig. “Ich weiß, ich habe nicht so viel Erfahrung …”
“Das hat nichts damit zu tun”, unterbrach Sean sie schroff. “Ich …, ach, vergiss es. Ich gehe jetzt duschen.” Er kippte seinen Drink hinunter und ging die Treppe hinauf.
Carin war verwirrt. Was hatte er nur sagen wollen? Nachdenklich stellte sie das Essen auf den Tisch.
Sean aß nur wenige Bissen, und obwohl Carin hungrig gewesen war, verspürte sie nun auch keinen Appetit mehr. Mehrmals versuchte sie, Sean in ein Gespräch zu verwickeln, doch er ging nicht darauf ein.
“Es ist ein Jammer, die Wohnung auseinanderzunehmen, wo sie doch schon so perfekt eingerichtet ist”, sagte sie schließlich.
Sean machte keinen Hehl daraus, dass er keinerlei Interesse an dem Haus hatte, und Carin fragte sich, ob es nicht ein Fehler gewesen war, hierher zu kommen. Alles in diesem Haus erinnerte an Josie. Vielleicht war Sean deshalb so bedrückt? Anstatt mit ihm zu streiten, hätte ich lieber mehr Verständnis zeigen sollen, ging es ihr durch den Kopf. Ich habe mir doch vorgenommen, ihm zu beweisen, dass eine Frau auch anders sein kann. Und jetzt habe ich genau das Gegenteil davon getan.
“Und was machen wir morgen?”, begann sie erneut und bemühte sich, die Atmosphäre ein wenig zu entspannen.
“Du kannst tun, was du willst”, erwiderte Sean missmutig. “Ich gehe wieder ins Büro.”
Carin spürte einen dicken Kloß im Hals. “Aber Sean, morgen ist Sonntag. Du kannst doch nicht am Sonntag arbeiten.”
“Ich arbeite, verdammt noch mal, wann es mir passt!”
Carin kämpfte gegen die aufsteigenden Tränen an. “Wenn du meinst, dass das mir gegenüber fair sei, dann …”
“Ich habe dir gesagt, such dir eine Beschäftigung. Im Haus gibt es genug zu tun.”
“Und ich habe dir gesagt, hier gibt es nichts zu tun. Es wäre reine Geldverschwendung, Dinge hinauszuwerfen, die noch jahrelang halten.”
“Ich kann es mir leisten.”
“Jetzt will ich dir mal was sagen, Mr. Sean Savage. Ich habe noch nie in meinem Leben auch nur einen Penny zum Fenster hinausgeworfen, und ich habe nicht die Absicht, jetzt auf einmal damit anzufangen.” Erschrocken stellte Carin fest, dass sie erneut laut geworden war, und biss sich auf die Lippe.
Sean blickte sie so eindringlich an, als würde er sie zum ersten Mal sehen, so, wie sie wirklich war. “Du bist die erste Frau, die nicht wegen meines Geldes hinter mir her war”, sagte er unvermittelt.
“Ach, das wundert dich? Hast du das denn nicht gewusst, bevor du mich geheiratet hast? Ich bin nicht scharf auf dein Geld, Sean. Ich würde mich auch mit einem einfachen Leben zufrieden geben.”
“Warum bin ich dir nicht schon früher begegnet?” Seans Stimme klang mit einemmal seltsam heiser. Dann stand er auf und verließ den Raum.
Carin blickte ihm nachdenklich nach. Offensichtlich quälte er sich immer noch mit schmerzlichen Erinnerungen an Josie, und sie, Carin, würde viel Geduld und Verständnis aufbringen müssen, um diese Gedanken zu vertreiben. Aber wenn sie es schaffte, würde alles gut werden.
Vorsichtig betrat Carin das Schlafzimmer. Sean schien schon eingeschlafen zu sein. Leise streifte sie ihre Kleidung ab und kroch nackt zu ihm ins Bett. Einerseits war sie erleichtert, sich nicht erneut mit ihm auseinandersetzen zu müssen, aber andererseits war es eine Qual, neben Sean zu liegen, ohne in seinen Armen gehalten zu werden. Er empfindet nichts für mich, dachte Carin schmerzerfüllt. Sonst würde er mich nicht so quälen.
Nach langer Zeit schlief Carin endlich ein. Im Traum begegnete ihr Karl Britt und verfolgte sie auf einer unendlich langen Straße. Sie lief verzweifelt vor ihm davon, und er rief immer wieder ihren Namen, schrie ihr nach, dass er sie liebe, und wollte wissen, warum sie die Beziehung zu ihm beendet habe. Gleichzeitig liefen ihm sechs oder sieben Mädchen hinterher, und alle riefen ihm zu, dass sie ihn liebten. Jedes Mal, wenn Carin sich umdrehte, war Karl ein Stück näher herangekommen. Sein Gesicht war verzerrt wie auch seine Stimme. Dann hatten die Mädchen ihn eingeholt und zerrten an seiner Kleidung. Carin versuchte verzweifelt, noch schneller zu laufen, doch sie kam einfach nicht vom Fleck. Unsichtbare Arme hielten sie fest. Sie kämpfte gegen sie an und schrie laut auf.
“Ruhig, Carin, ruhig. Es ist alles in Ordnung.” Erst jetzt kam sie zu sich. Sean hatte den Arm um sie gelegt und strich ihr zärtlich das zerzauste Haar aus dem Gesicht.
“Beruhige dich, Carin, du hast nur geträumt. So, wie du um dich geschlagen hast, muss es wohl ein Albtraum gewesen sein. Was hast du denn geträumt?”
“Karl war hinter mir her, und ich versuchte davonzulaufen”, antwortete sie verwirrt. “Aber warum ich ausgerechnet jetzt von ihm geträumt habe, weiß ich nicht”, fügte sie schnell hinzu, als sie sah, wie Sean sich plötzlich versteifte. “Karl war ein Schuft. Heute kann ich mir gar nicht mehr vorstellen, was mich einmal an ihm gereizt hat.”
“Na, das, was jede Frau an einem Mann reizt – sexuelle Anziehung. Und trotzdem hat er dich so sehr verletzt, dass du dich danach mit keinem anderen Mann mehr eingelassen hast. Aber eine gewisse Wirkung scheint er doch auf dich gehabt zu haben, sonst würdest du nach so langer Zeit nicht noch von ihm träumen”, fügte er bitter hinzu.
“Er war gemein und hat mich schwer enttäuscht, und das vergisst man nicht so leicht.”
“Du solltest nicht zulassen, dass ein Kerl wie Britt dein Leben zerstört.”
“Ich wusste ja nicht, wie er wirklich war, und als ich es merkte, war es zu spät.” Carin fragte sich, warum sie überhaupt von Karl geträumt hatte. Seit sie Sean kannte, hatte sie kaum mehr an ihn gedacht. Sean hatte ihr gezeigt, dass man nicht alle Männer über einen Kamm scheren konnte.
Er selbst hatte allerdings seine Meinung über Frauen nicht geändert. Solange er nicht die gleiche tiefe Liebe für Carin empfand wie sie für ihn, solange würde sie es nicht wagen, ihm ihre Liebe zu gestehen.
Sean ließ die Hand über ihre Schulter gleiten, umfasste ihre Brust und strich mit dem Daumen sanft über die Spitze. Sofort durchströmte Carin heiße Erregung. Verlangend bog sie sich ihm entgegen, und sie liebten sich erneut.
Sean in sich zu spüren war wundervoll, und doch quälte Carin die Gewissheit, dass er nur seine Begierde stillen wollte. Warum nur liebte er sie nicht so wie sie ihn? Tränen der Verzweiflung liefen ihr über die Wangen. Sean hielt sofort inne, als er es bemerkte. “Carin, was ist denn?”
“Nichts”, flüsterte sie und schüttelte gequält den Kopf.
Sean wurde plötzlich ärgerlich und ließ sie unvermittelt los. “Du brauchst nicht mit mir zu schlafen, wenn du nicht willst. So ein mieser Kerl bin ich nun auch wieder nicht, dass ich dich dazu zwingen würde, nur weil du meine Frau bist.”
Carin vermied es, ihn anzusehen. “Ach, das ist es nicht.”
“Warum dann die Tränen? Habe ich dir wehgetan?”
Carin setzte sich auf und zog die Knie an. Sie biss sich auf die Lippe. Was sollte sie antworten? Sollte sie zugeben, dass sie geweint hatte, weil sie ihn liebte? Weil es so wundervoll war, mit ihm zu schlafen, er ihre Liebe aber nicht erwiderte? Was sie auch sagen würde, sie würde sich verraten.
“Carin, antworte mir.” Sean drehte sie zu sich herum und zwang sie, ihn anzusehen.
“Du hast … mir nicht weh getan”, stammelte sie. “Ich habe geweint, weil …, weil … Verdammt noch mal, ich muss mich nicht rechtfertigen!”
Sean fluchte unterdrückt. “Euch Frauen werde ich nie verstehen. Komm, leg dich wieder schlafen. Aber glaub ja nicht, du hättest gewonnen. Das nächste Mal bin ich vielleicht nicht so großzügig.”
Nach diesem Vorfall fand Carin stundenlang keinen Schlaf. Es war furchtbar, von Sean ignoriert zu werden. Nichts wünschte sie sich sehnlicher, als in seinen Armen zu liegen und zu wissen, dass sie ihm etwas bedeutete, dass sie etwas Besonderes für ihn war.
Sean lag still und regungslos neben ihr, doch sie wusste, dass er nicht schlief. Ob sie noch einmal mit ihm reden sollte? Dann müsste sie ihm gestehen, wie sehr sie ihn liebte. Wenn er aber von ihrer Liebe nichts wissen wollte und sie zurückwies – sie könnte es nicht ertragen.
Am nächsten Morgen, als Carin erwachte, war Sean bereits fort. Sie hatte nichts anderes erwartet, aber den ganzen Tag allein in der Wohnung zu bleiben, dazu hatte sie auch keine Lust. So beschloss sie, gleich nach dem Frühstück aufzubrechen und Dublin zu erkunden. Wie in allen großen Städten gab es dort sicher viele interessante Sehenswürdigkeiten.
Nachdem sie gefrühstückt hatte, griff Carin nach Mantel und Tasche und ging hinaus. Der Himmel war im Westen noch hell und blau, direkt über ihr jedoch hatte sich bereits eine grauschwarze Wolkendecke gebildet. Es würde sicher bald regnen. Bis jetzt hatte sie mit dem Wetter Glück gehabt. Seit sie in Irland war, hatte es nur sehr selten geregnet. John hatte ihr erzählt, dass es hier oft regnen würde und dass die Landschaft deshalb so schön grün sei.
Dublin erinnerte Carin sehr an London. Der Fluss Liffey, der sich durch das Stadtzentrum schlängelt, könnte die Themse sein, dachte sie. Die georgianische Architektur im nobleren Stadtteil Dublins erinnerte sie an Londons West End. Das Hafenviertel sah aus wie die Themse unter der Tower Bridge. Und Doppeldeckerbusse gab es auch, nur waren sie nicht rot, sondern grün.
Dann war da noch die Guinness Brauerei, und Carin staunte über die unzähligen Pubs, die ihren Weg säumten. Also stimmt es doch, dass die Iren den größten Teil ihrer Zeit in solchen Pubs verbringen, dachte sie schmunzelnd.
Sie schlenderte gemächlich durch die Grafton Street und machte dabei einen ausgiebigen Schaufensterbummel. Dann ging es weiter zur Nationalgalerie, in deren Restaurant sie sich mit einem kleinen Imbiss stärkte. Mit schmerzenden Füßen, aber zufrieden, machte sie sich schließlich wieder auf den Heimweg.
Es nieselte leicht, während Carin zurückmarschierte. Da sie viel weiter gegangen war, als sie eigentlich vorgehabt hatte, würde es eine ganze Weile dauern, bis sie zu Hause ankäme. Trotzdem würde sie noch genügend Zeit haben, um vor dem Abendessen ein schönes, heißes Bad zu nehmen.
Carin war überrascht, als sie feststellte, dass Sean bereits zu Hause war. Die Verärgerung, die sich in seinem Gesicht ausdrückte, war nicht zu übersehen.
Wütend riss er die Tür auf und herrschte Carin an: “Wo zum Teufel bist du gewesen?”
Sie zog die Stirn kraus. “Draußen.”
“Was heißt draußen?” Sean trat zurück, um Carin einzulassen. Dann schlug er die Tür mit einem lauten Knall zu und baute sich drohend vor ihr auf.
Carin ärgerte sich über sein unmögliches Verhalten. “Ich war spazieren. Ist das vielleicht verboten?”, gab sie schnippisch zurück. Doch da kam ihr plötzlich ein Gedanke: Vielleicht verglich Sean sie ja nur mit Josie und glaubte, sie wäre ausgegangen, um sich an einen anderen Mann heranzumachen. “Ich war in der Stadt und habe mir die Sehenswürdigkeiten angeschaut”, fügte sie rasch hinzu. “Schade, dass du nicht dabei warst.”
“Du willst mir doch nicht weismachen, dass du dich jetzt schon langweilst. Wir sind erst zwei Tage hier.”
“Ich will eben nicht ständig an Josie erinnert werden. Egal, wo ich hinsehe, alles ist Josies Werk.”
“Ich habe dir doch gesagt, du kannst das Haus neu einrichten.”
“Und ich habe dir erklärt, warum ich das nicht tun werde.”
“Wie auch immer, ich bin extra früher gekommen, um mit dir zusammen zu sein.”
Carin zog tief den Atem ein. “Es tut mir leid, Sean, aber das konnte ich ja nicht wissen.”
“Natürlich nicht”, sagte er verächtlich. “Du bist ja viel zu sehr mit dir selbst beschäftigt, wie alle Frauen. Verdammt noch mal, Carin, du hättest mir wenigstens eine Nachricht hinterlassen können.”
“Du bist gestern auch weggegangen, ohne mir Bescheid zu geben.”
“Und das musstest du mir gleich heimzahlen, wie?” Seans Augen funkelten vor Zorn.
“Natürlich nicht”, protestierte Carin. “Aber ich dachte, du würdest ohnehin den ganzen Tag fortbleiben, und weil ich frische Luft brauchte, bin ich eben rausgegangen. Du bist nicht fair, Sean. Wenn du schon darauf bestehst, dass ich tue, was ich will, dann brauchst du dich auch nicht zu beschweren, wenn ich einmal nicht zu Hause bin.”
Plötzlich war sein Ärger wie verflogen, und er lächelte. “Du bist sehr schön, wenn du wütend bist, wie immer, mein Schatz. Ich will mit dir schlafen, Carin”, sagte er plötzlich, und seine Stimme klang heiser. “Ich halte es nicht länger aus.”
Ja, das ist alles, was du von mir willst, dachte Carin bitter, und Tränen schossen ihr in die Augen. Schnell drehte sie sich um, damit Sean sie nicht sah. “Ich brauche jetzt ein Bad. Ich bin den ganzen Tag herumgelaufen und bin müde und verschwitzt.”
“Du bist müde!” Der kalte Spott in Seans Stimme ließ Carin erschaudern. “Was du nicht sagst! Wir sind erst zwei Tage verheiratet, und schon kommst du mir mit Ausreden. Das ist nicht gut, Carin. Du bist meine Frau, und ich will dich – und zwar jetzt.”
“Ich habe nicht gesagt, dass ich nicht mit dir schlafen will”, erwiderte Carin erregt, und ihr Herz begann bei dem Gedanken wild zu klopfen. “Ich brauche nur eine kleine Erfrischung.”
Ein leidenschaftliches Funkeln trat plötzlich in Seans Augen. “Dann baden wir zusammen. Hast du das schon mal gemacht, Carin? Mit einem Mann gebadet? Ist dieser Karl in seiner anfänglichen Begeisterung jemals auf einen solchen Gedanken gekommen?”
Carins Wangen glühten, doch sie versuchte, kühl zu bleiben. “Nein, ganz bestimmt nicht.”
Sean lachte über ihre scheinbare Entrüstung. Dann ging er auf sie zu und hob sie auf die Arme. Carin schmiegte sich an seine Brust, während er sie mühelos die Stufen zum Schlafzimmer hinauftrug.
Dort setzte er sie behutsam ab und sah ihr sekundenlang tief in die Augen. “Ich bin gleich wieder da”, sagte er leise und verschwand im Badezimmer. Sekunden später hörte Carin Wasser laufen, und der Duft eines exotischen Badeöls drang zu ihr ins Zimmer.
Carin rieb nervös die Hände aneinander. Nein, Sean würde ihr nicht wehtun. Was er gesagt hatte, war keine Drohung, sondern ein Versprechen. Als er aus dem Badezimmer kam, durchströmte sie heißes Verlangen.
“Du bist eine sehr begehrenswerte Frau, Carin”, flüsterte Sean ihr zu. Sanft strich er mit dem Finger über ihre Wange, dann über ihren Hals bis zum Ausschnitt ihres roten Wollkleides. Langsam, ganz langsam begann er, Carin zu entkleiden, wobei er jeden Zentimeter ihrer nackten Haut mit zärtlichen Küssen bedeckte. Nur mit Mühe konnte Carin sich beherrschen. Sie wollte Sean helfen, wollte sich das Kleid herunterreißen, um endlich seinen harten, nackten Körper auf ihrer Haut zu spüren.
“Jetzt bist du dran”, raunte Sean ihr ins Ohr.
Carin sah ihn erstaunt an, doch dann begriff sie, was er meinte. Sie zögerte einen Moment, wollte der Versuchung widerstehen, Sean auszuziehen, doch sie schaffte es nicht. Sie wollte es tun, ja, sie sehnte sich sogar danach, und trotzdem hatte sie Angst. Angst vor sich selbst und vor dem Vulkan, der in ihr tobte.
“Was ist los?”, spöttelte Sean, als hätte er ihre Gedanken erraten. “Hast du etwa Angst? Hast du noch nie einen Mann ausgezogen?” Er ergriff ihre Hände und legte sie auf die Knöpfe seines Hemdes.
Jetzt konnte Carin sich nicht mehr halten. Ungeduldig streifte sie Sean das Hemd ab, fuhr mit den Händen über seine Brust und seinen muskulösen Rücken, küsste ihn, rieb ihre Brüste an seinem Körper und berührte die Brustspitzen sanft mit den Zähnen. Sie hörte, wie Sean tief den Atem einzog, und fühlte, wie seine Muskeln sich anspannten. Noch nie hatte sie so etwas bei einem Mann getan, und doch schien sie instinktiv zu wissen, womit sie Sean erregen konnte. Es war ein berauschendes Gefühl.
Als Nächstes öffnete Carin den Knopf seiner Hose und zog den Reißverschluss auf. Als Sean die graue Hose auszog, durchströmte Carin ein schier unstillbares Verlangen, ihn zu berühren. Sie wollte ihn, sie musste einfach mit ihm schlafen. Eine Leidenschaft war in ihr erwacht, derer sie sich nie für fähig gehalten hätte.
Zitternd vor Begierde sank Carin Sean in die Arme.