Es dauerte nicht lange, dann hatte A’eron die Schaltung erspäht, deren Zerstören das Öffnen der Energiezellen zur Folge haben sollte. So zielte der Hochenergie-Ingenieur mit der von den ausgeschalteten Paramec-Soldaten erbeuteten Strahlenwaffe auf das Paneel, drückte ab … und jedes zweite Licht im Zellentrakt erlosch.

„Oh!“ meinte A’eron, die Augenbrauen verwundert zusammenziehend. „Da habe ich mich wohl geirrt! Das war nur der Verteiler für die Energiezufuhr der Beleuchtung!“

„Toll!“ erwiderte Elexi’ael mit ähnlicher Mimik von der anderen Seite des noch intakten Energiefeldes aus. „Wenn wir sinnlose Zerstörung und totale Fehlgriffe gewollt hätten, wäre ich viel geeigneter gewesen!“

„Ja, Du hättest durch die Wand den Reaktor der Zitadelle getroffen, und wir wären alle in die Luft geflogen!“ ergänzte Cya mit todernstem Gesichtsausdruck und amüsiertem Funkeln in den Augen. Das folgende Lachen, das sich in der Zelle erhob, wirke lösend, und als A’eron nach einem zweiten Schuss endlich das Energiefeld deaktiviert und die Gruppe, die sich selbst als Armee des Lichts bezeichnete, damit befreit hatte, fühlte sich diese stark genug, um gegen die Übermacht der Paramecs und gegebenenfalls der Hohen Mächte vorzugehen.

Es war zu erwarten, dass ihr Ausbruch nicht unbemerkt bleiben würde; vermutlich hatte bereits das von A’eron durchgeführte Versiegeln des Gefängnistraktes einen Alarm ausgelöst, doch hofften die Fliehenden, dass ihnen genügend Zeit bleiben würde, sich irgendwo zu verstecken – an ein Durchschlagen bis zur Schwert des Lichts war nicht zu denken, allein schon as dem Grund, dass sie vermutlich trotz MiniCom nicht einmal den Weg finden würden. Das Abriegeln des Areals kam ihnen dabei gelegen, da sie hofften, dass es einige Zeit dauern würde, bis die Paramecs Zugang durch die Schleuse erhalten würden. Dennoch gingen die ersten Handgriffe zu ihren Waffen und Schilden, die glücklicherweise ebenfalls im Gefängnis deponiert worden waren; Cya wies die übrigen nach Anlegen der Utensilien an, beides – Körperschild und Schutzhelm – dauerhaft zu aktiveren. 

„Was ist mit den Paramirs? Vielleicht können die uns helfen!“ meinte Sara.

„Das wissen wir, sobald wir sie erreichen!“ erwiderte Elexi’ael. Er stieß leise einen Fluch aus, und als ihn die übrigen verwundert anblickten, erklärte er: „Es frustriert mich, dass diese Zitadelle meine telepathischen Fähigkeiten so stark begrenzt!“

Noch war kein Feind zu sehen, was die Vermutung erhärtete, dass es nur einen einzigen Primärzugang zu dem Gefängnis gab – das war einerseits begrüßenswert, andererseits aber auch problematisch, da es die Flucht und das Verstecken der Armee des Lichts behinderte.

„Was uns helfen würde, wäre ein Plan der Zitadelle!“ meinte A’eron, der vor dem versiegelten Schott stehenblieb und versuchte, durch die dicke Tür etwas zu erlauschen. Seine Bemühungen blieben erfolglos, und so konnte er nicht sagen, ob einfach nur die Tür zu dick oder niemand dahinter war.

„Das MiniCom nützt uns wenig, denn unser Hinweg wird vermutlich spätestens nach unserer Flucht scharf überwacht werden!“ meinte Mercurion.

„Das gleiche gilt sicher für die Schwert des Lichts!“ ergänzte A’eron. „Man wird vermuten, dass wir uns dorthin begeben wollen!“

„Ich denke aber, dass das Schiff jedem Angriff der Paramecs standhalten wird – zumal sich Szeszechun an Bord befindet!“ sagte Cya. „Statt uns um den Raumer zu kümmern, sollten wir zusehen, dass wir sechs nicht aufgerieben werden!“

A’eron hatte sich inzwischen von der Tür abgewandt und sah sich in dem Flur um. Sara, die ihn beobachtete, meinte: „Was ist denn mit Versorgungsschächten und –tunneln? Damit konnten wir schon in dieser Forschungsstation auf Tarminia erfolgreich flüchten!“

„Genau nach so etwas halte ich Ausschau!“ nickte A’eron ihr zu. „Allerdings finde ich nichts dergleichen! Wenn es so etwas gibt, dann ist es gut verdeckt!“

„Dann bleibt uns eben doch nur der Weg durch die Schleuse!“ entschied Cya schnell. „Wir müssen das Risiko eingehen, und da dieses mit jeder verstrichenen Sekunde steigt, sollten wir uns beeilen!“

A’eron nickte und machte sich dann an dem von ihm präparierten Paneel zu schaffen; Mercurion trat neben ihn und warf ebenfalls einen Blick auf die teilweise zerschmorten Leitungen und Verteilerknoten.

„Was denkst Du?“ fragte ihn der Hochenergie-Ingenieur.

„Da müsste was zu machen sein! Glücklicherweise ist der zerstörte Teil hier auf dieser Seite des Schotts; dadurch nützt die Türsteuerung auf der anderen Seite der Schleuse nichts oder nur wenig!“

„Hoffen wir, dass unsere Wärter auch so denken und keine Mühe darauf geben, die Schleuse von der anderen Seite zu öffnen!“

Die beiden Technikversierten machten sich daran, Teile des zerstörten Kontrollsystems wieder zu reparieren; gleichzeitig berichtete A’eron mit einigen Worten, was ihm während seines Besuchs bei den Paramecs widerfahren war. 

„So, gleich müsste es geschafft sein!“ sagte Mercurion nach einigen Minuten, in deren Verlauf die übrigen Mitglieder der Armee des Lichts sichtlich nervös geworden waren.

„Okay!“ nickte die Kaiserin. „Dann machen sich jetzt alle kampfbereit, falls wir hinter dem Schott auf Feinde treffen. Ich möchte, dass alle Waffen auf Maximalenergie gestellt und auf die Schleuse gerichtet sind, wenn sie sich öffnet!“

Ihren Befehlen wurde – zum Teil mit großem Widerwillen – entsprochen, und als sich wenige Sekunden später auf ein Berühren eines Verteilerknotens mit einer Leitung hin die Schleuse öffnete, waren mehrere Läufe von Energiewaffen bereit, ihr tödliches Feuer auszusenden.

Ein einziger Blick in den sich vor ihnen öffnenden Gang genügte, und mehrere Strahlen fraßen sich durch den Raum, ließen Luft erglühen und schlugen in Brust und Kopf eines einzelnen Paramecs, der keine Zeit hatte, sich zu wundern. Er wurde zur Seite geschleudert und krachte mit einem Knall auf den Boden; die Schmerzen, die von den aus seiner überlasteten Schutzuniform zuckenden, energetischen Blitzen herrührten, spürte er bereits nicht mehr.

Insgesamt vier der sechs Schützen hatte getroffen, und es war Cya klar, wer genau gezielt und wer nicht ohne Erleichterung danebengeschossen hatte, doch war weder die Zeit noch die Situation im Ganzen angemessen, Sara von Terra und Zentaya von Dosk Vorhaltungen zu machen. Schon die unpersönliche, anonyme Besatzung eines Raumschiffs in einer Raumschlacht vergehen zu lassen, war keineswegs leicht – aber eine gegenwärtige Person, der man ins Gesicht sehen konnte, zu töten, war ungleich schwieriger. Und doch war es nicht das erste Mal – weder für sie noch für A’eron, und aus Mercurions Gesichtsausdruck konnte sie lesen, dass auch für ihn der tote Paramec nicht das erste Tötungsopfer war. Und von Elexi’ael wusste sie, dass…

Sie unterbrach ihre Gedanken, zwang ihr Bewusstsein in die Gegenwart zurück.

„Das war kein Soldat, sondern ein Techniker!“ stellte A’eron fest. „Er hat versucht, das Paneel zu öffnen!“

„Wieso ist er nicht beschützt worden?“ fragte Elexi’ael laut.

„Vermutlich hat man weder mit seinem Erfolg noch mit unserem Leichtsinn gerechnet, gerade diese Tür zu öffnen! Oder man hat das Versiegeln der Tür grundsätzlich für eine Fehlfunktion gehalten und…“

A’eron konnte seine Äußerung nicht beenden, denn direkt über ihm schlug eine neuerliche Energie-Entladung in die Wand ein. Instinktiv ließ er sich fallen und drehte gleichzeitig Gesicht und Strahlenpistole in die Richtung, aus welcher der Schuss gekommen war, doch Cya und Mercurion waren schneller: Mit zwei weiteren Schüssen rissen sie einen der beiden Paramec-Soldaten, die um eine Ecke des Flures gekommen waren, von den Beinen und aus dem Leben. Der zweite brachte sich hinter der Biegung in Deckung.

„Los, wir müssen uns beeilen! Da vorne zweigt ein Gang nach links ab!“ zischte Cya. Sie setzte sich selbst in Bewegung, wobei sie jene Ecke des Ganges, hinter welcher sich der gegnerische Soldat befand und die etwa dreißig Meter von ihrer Ausgangsposition und zwanzig Meter hinter der von ihr bezeichneten Abzweigung lag, im Auge behielt. Es gelang der Armee des Lichts, die Kreuzung ohne Zwischenfälle zu erreichen; vor den Fliehenden lag ein weiterer Gang, der glücklicherweise leer war. Mit hochkonzentrierten Mienen und schussbereiten Waffen folgten sie ihm.

Es dauerte etwa zehn Minuten, in deren Verlauf die Geflohenen durch sich ziemlich ähnlich sehende Gänge flüchteten, bis ein lauter, penetranter und schmerzender Alarmton durch die Zitadelle heulte, und wenig später waren vor ihnen laute, stampfende Geräusche zu hören.

„Das klingt nach Robotern!“ stellte A’erons geübtes Gehör fest. „Da kommt eine ganze Einheit auf uns zu!“

„Können wir uns irgendwo verbergen?“ fragte Cya zurück.

„Vermutlich ist hier alles ohnehin überwacht!“ meinte Mercurion.

„Ich bin da mir nicht sicher!“ erwiderte A’eron. „Die ganze Zitadelle ist zu groß für eine komplette Überwachung! Ich denke, dass nur die wichtigen Bereiche überwacht sind!“

„Da vorne links ist eine Schleuse, wie sie eher in einen Raum als in einen weiteren Gang führt! Das sehen wir uns an!“ beschloss Cya, und mit aller Hast stürzten sie vor das bezeichnete Schott, das sich öffnete und den Blick auf einen nicht sonderlich großen und nur schwach beleuchteten Raum voller Kisten mittlerer Größe freigab.

„Los, hinein!“ flüsterte sie energisch und stürzte als letzte, nachdem sie die übrigen hatte passieren lassen, hinein. Hinter ihr schloss sich das Schott wieder.

„Es sieht so aus, als hätte A’eron Recht!“ sagte Mercurion zu ihr. „Wir konnten mit unseren Geräten keine Überwachungssysteme in diesem Raum finden!“

„Dann hoffen wir, dass auch in dem Gang keine waren, die unser Eindringen in diese Kammer bezeugen könnten!“ erwiderte Cya.

„Leise! Die Roboter nähern sich!“ zischte Elexi’ael von der Tür aus, deren Öffnungsautomatik deaktiviert worden war.

Tatsächlich war das Stampfen und Poltern lauter geworden, und nach einigen Momenten erschien es Sara, als trampele ein Soldatenheer direkt an ihrem Ohr vorbei. Instinktiv hob sie ihre Hände, um sich die Ohren zuzuhalten, doch als sie das kalte Metall der Strahlenwaffe, die sie noch immer in ihren Fingern hielt, an ihrer Ohrmuschel spürte, ließ sie beide wieder hastig sinken. In diesem kurzem Moment hatte das Stampfen seine höchste Intensität erreicht, und schon einige Augenblicke später wurde es wieder leiser: Die Robotereinheit hatte die Schleuse passiert und war weiter in Richtung Gefängnis marschiert.

„Man nimmt uns Ernst!“ stellte A’eron fest. „Ich hatte weder auf dem Weg zum Gefängnis noch während meines Besuchs bei Königin Ta-Ai-Lar Kampf- oder Arbeitsroboter gesehen! Vermutlich hat man sie erst wegen unserer Flucht zusammen mit dem Alarm aktiviert!”

„Das erschwert unsere Flucht um einiges!“ folgerte Cya. „Roboter schießen schneller und präziser! Hat jemand eine Idee, was wir tun könnten?“

„Sara hat vorhin die Paramirs erwähnt!“ sagte Mercurion prompt. „Und A’eron hat berichtet, dass sie bei den Paramecs die Aufgaben von Technikern und Wartungsperson innehaben. Vielleicht haben sie auch Zugriff auf die Zentralsteuerung der Roboter!“

„Und wenn die Roboter autark agieren?“ wandte Zentaya zweifelnd ein.

„Davon gehe ich nicht aus! Es muss zumindest eine zentrale Station geben, die Befehle initiativ verschickt, sondern würde es ewig dauern, eine ganze Einheit zu aktivieren!“ erwiderte der ehemalige Händler und Schmuggler.

„Es wäre auch hilfreich, wenn wir genau wüssten, ob diese Roboter zur Ursprungsausstattung der Zitadelle gehören, oder ob sie mit den übrigen Lebewesen nachträglich angesiedelt worden sind - sofern es sich bei Paramirs, Paramecs und den angehörigen der Hohen Mächte um solche Zugewanderte handelt!“ ergänzte Mercurion.

„Die Menschenähnlichkeit der Hohen Mächte spricht ja dafür, dass es sich bei ihnen um Nachfolger der Ursprungsbesatzung handelt, während Paramecs und Paramir eher die ‚Neuen’ sein dürften!“ überlegte Cya.

„Ich denke, das erfahren wir alles, wenn wir das Geheimnis um die Zitadelle der Unendlichkeit gelüftet haben!“ meinte Elexi’ael. „Wir sollten jetzt erst einmal versuchen, zu den Paramirs zu gelangen! Dort kann man uns vielleicht wenigstens verstecken!“

„Also schön! Wie gehen wir vor?“

„Ich denke, ich kann mit unseren MiniCom erkennen, wo sich Visor-Felder und Kameras befinden! Was wir darüber hinaus noch brauchen, ist vor allem Glück, dann könnten wir es schaffen, uns in die Randbezirke von Citadel zu schleichen!“ schlug Mercurion vor.

„Was ist mit Deinen Psy-Sinnen?“ wandte sich A’eron an Lex’.

„Gar nichts ist damit los!“ lautete dessen Antwort. „Es fühlt sich immer noch so an, als hätte sich Nebel darüber gesenkt! Die Zitadelle scheint intakte und effektive Psy-Blockaden zu besitzen!“

„Dann muss es auch ohne gehen!“ beharrte Cya von Aternia. „Wir machen es so, wie Mercurion vorgeschlagen hat. Die Waffen bleiben im Anschlag, A’eron und Mercurion gehen mit ihren MiniComs voran, um Kameras zu erspähen. Sara und Zentaya, ihr geht direkt dahinter, und Lex’ und ich bilden den Schluss! Redet nur, wenn es unbedingt sein muss!“

A’eron öffnete die Tür und sah sich vorsichtig mit MiniCom-Unterstützung in dem Gang um, dann gab er den Wartenden ein Zeichen, dass der Flur sicher war. In der geplanten Formation verließen sie den Raum und gingen mit schnellen, aber leisen Schritten nach rechts, wobei sie mehrere Türen passierten, jedoch keinen Feindkontakt hatten. Nach etwa zehn Minuten und einigen Kurven und Winkeln im Verlauf des Ganges erreichten sie eine erste Kreuzung.

„Ich registriere auf der linken Seite ein Visorfeld!“ bemerkte A’eron und deutete in die bezeichnete Richtung. „Da drüben dürfte irgendwo eine Kamera sein!“

„Offensichtlich befindet sich dort eine größere Lager- oder Warenhalle!“ ergänzte Mercurion. „Mein MiniCom zeigt mobile Gravitationsfelder an, wie man sie im Frachttransportwesen einsetzt!“

„Vielleicht arbeiten dort Paramirs!“ mutmaßte Sara.

„Ja, das ist möglich!“ nickte Elexi’ael. „Allerdings spricht die Kamera dagegen, dort hinzugehen, denn wenn man uns erwischt, wimmelt es in dem Warenraum bald von Paramecs – falls diese nicht ohnehin dort positioniert sind!“

„Das interessiert uns ohnehin nicht!“ meinte Cya. „Dort könnten wir im Höchstfall einen Streik des Arbeitspersonals anzetteln, aber mehr auch nicht! Die eventuell anwesenden Paramirs würden sicherlich nicht für uns ihre Arbeit unterbrechen, da sie nach allem, was A’eron über die Sozialverhältnisse innerhalb der Zitadelle erzählt hat, ziemlich gehorsam und den Paramecs hörig sind!“

„Also gehen wir weiter geradeaus oder nach rechts!“ fasste Elexi’ael die Ergebnisse des kurzen Dialogs zusammen.

Ohne weitere Diskussion überquerten sie die kleine Kreuzung und folgten dem kleinen Gang in gerader Richtung. In ihrer Umgebung änderte sich derweil nicht viel. Dafür begegneten ihnen dreimal eine Roboter- und einmal eine Paramec-Soldaten-Kolonne, vor der sie sich allerdings in Seitenräumen verbergen konnten.

„Das hat hier keinen Zweck!“ sagte A’eron plötzlich, nachdem sie zum gefühlt tausendsten Mal eine Abzweigung passiert hatten. „Wir brauchen dringend einen Lageplan der Zitadelle!“

„Vielleicht gehen wir falsch vor!“ meinte Mercurion. „Wir haben bisher alle Energiezentren gemieden aus Angst, dass sich dort Kameras und Paramecs aufhalten!“

„Vermutlich trifft das auch zu!“ nickte Elexi’ael.

„Ja, aber ich bin der Meinung, wir sollten das Risiko eingehen, einen solchen Ort mit höherem Energiefluss zu sichten. Die Chance, dort über einen Terminal einen Lageplan zu erhalten, rechtfertigt den riskanten Einsatz!“

Cya entschied mit der gewohnten Geschwindigkeit und Selbständigkeit.

„Okay, wir werden den nächsten höherenergetischen Ort nicht automatisch meiden, sondern versuchen, uns zu nähern!“

Sie setzen ihre Schleichtour fort, verbargen sich vor einem neuerlichen Robotertrupp und stießen recht zügig auf eine entsprechende Anzeige auf dem MiniCom, die besagte, dass sich zu ihrer Rechten ein Ort befand, in dem mehr Energie floss und verbraucht wurde als sonst wo innerhalb des Messbereiches ihrer Geräte.

„Sind Kameras oder Visoren auszumachen?“ fragte Cya nach.

„Ich werde unsere Sensoren so einstellen, dass wir ausreichend präzise Signale bekommen, um uns auf Sichtweite zu nähern!“ antwortete A’eron prompt.

Etwa fünfzig Meter führte der Gang auf eine doppelflügelige Tür zu, vor der sich der Flur t-förmig ausbreitete, wobei allerdings die beiden so entstehenden Enden keine weitere Fortbewegungsmöglichkeiten boten. Nach ungefähr dreißig Metern endeten sie vor einer weißen Wand.

„Wir müssen vorsichtig sein!“ flüsterte A’eron. „Direkt hinter dieser Tür ist eine Kamera!“

„Außerdem scheinen dahinter zahlreiche Lebensformen zu sein!“ ergänzte Mercurion.

„Mit anderen Worten: Hinter diesem Schott liegt des Teufels Küche!“ meinte Cya stirnrunzelnd. „Damit dürfte unser Versuch gescheitert sein!“

„Nicht unbedingt!“ widersprach Elexi’ael, der während des vergangenen Dialogs starr in eine bestimmte Richtung geblickt hatte. „Wenn mich meine Augen nicht täuschen, ist da hinten eine Seitentür in der Wand!“

Er wies in einen der Seitengänge, wo tatsächlich – nur äußerst schwer erkennbar – eine schmale Tür zu sehen war, die in den gleichen Raum führen musste wie auch jene, hinter der sich nach A’erons Aussagen eine Kamera befand. Nun näherte sich der Hochenergie-Ingenieur vorsichtig diesem zweiten Eingang und vermaß ihn mit seinen Geräten.

„Wir haben Glück!“ sagte er. „Dahinter kann ich keine Visor-Geräte ausfindig machen!“

„Dennoch bergen die Lebenszeichen ein nicht zu unterschätzendes Risiko!“ meinte Cya, und Lex’ ergänzte: „Wir sollten uns darauf einstellen, schnell fortzulaufen, sobald die Tür geöffnet worden ist!“

Die Kaiserin des galaktischen Imperiums nickte knapp und trat dann zu der Tür, neben der sie den Öffnungssensor ausfindig machte.

„Geht ein paar Schritte zurück!“ wies sie die übrigen an. „Ich werde nun die Tür öffnen!“

Mit einer schnellen Handbewegung aktivierte sie das Sensorfeld, worauf sich die Tür öffnete; sofort drehte sich Cya zur Seite und wartete einige Sekunden. Nichts geschah. Sie wagte einen längeren Blick durch die Tür.

Dahinter lag ein nicht sehr großer, schwach erleuchteter Raum, an dessen anderen Ende – von Cya höchstens drei Meter entfernt – eine weitere Tür zu sehen war. Durch schmutziges Glas oder Plastik fiel von der rechten Seite her trübes Licht hinein. Einige Kisten und Kästen waren an den Wänden gestapelt, ein einsamer Computer stand auf einem flachen Tisch.

„Es scheint sich um eine Art Seitenraum zu handeln!“ mutmaßte die Kaiserin und winkte die übrigen Mitglieder der Armee des Lichts herein, damit sie sich selbst ein Bild von der Lokalität machen konnten. Derweil trat die Kaiserin vorsichtig an das Glas heran und blickte hindurch.

„In der Tat handelt es sich hier um einen Seitenraum! Seht Euch das mal an!“ sagte sie.

Jenseits der Glasfassade eröffnete sich ihren Blicken eine Halle von gewaltigen Ausmaßen. Zu ihrer Rechten konnten sie die Tür erkennen, die den Raum und den Flur verband und durch die sie nicht hatten gehen können aufgrund des Anzeichens einer Kamera. Diese lag in etwa auf ihrer Höhe und war mit jenem Ausgang, der aus dem kleinen Zwischenraum führte, verbunden mittels eines Balkons, der um die ganze riesige Halle führte. Mehrere Treppen und gravitatorische Rampen reichten von der Balustrade hinab zum gut zwanzig Meter tiefer gelegenen Boden der Halle, auf welcher sich die eigentliche Arbeit vollzog, unterstützt von zahlreichen Kränen und anderen schweren Maschinen, die von der Decke herabhingen.

„Das scheint eine Art Fabrik zu sein!“ stellte A’eron mit Kennerblick fest, nachdem er neben Cya getreten war.

„Und die Paramirs sind die Arbeiter!“ ergänzte Lex’, der ebenfalls dazukam.

Tatsächlich bewegten sich unzählige Paramirs in unterschiedlichen Anzügen und Overalls zwischen unbekannten und hochkomplex wirkenden Maschinenblöcken hin und her, bedienten mehrere Kontrollpulte oder trugen Gerätschaften herum. Wenngleich die stattfindende Arbeit von oben her gesehen keineswegs systematisch oder geordnet wirkte, reichte die daraus resultierende Effizienz offensichtlich aus, die im Raum verteilten Paramec-Soldaten zu befriedigen, denn diese verzogen keine Miene.

„Was wird hier produziert?“ fragte der Psyont.

„Ich kann es nicht erkennen!“ antwortete A’eron mit zusammengekniffenen Augen. „Da vorne auf der Hängeplattform könnt Ihr diese bläulich leuchtenden Zylinder erkennen, oder? Ich denke, das sind Rohenergie-Speicher, deren Inhalt hier in andere Energien oder Massen umfusioniert wird!“

„Aber wir können mit den Paramirs sicherlich nicht sprechen, solange die Soldaten hier sind, oder?“ fragte Sara.

„Erstens das, und zweitens könnten uns die Arbeiter hier auch nicht sonderlich helfen! Die Paramirs als Verbündete sind nur dann sinnvoll, wenn wir sie gezielt und vor allem durchdacht einsetzen können! Aber dazu fehlt uns hier die Möglichkeit und hauptsächlich natürlich der Überblick!“

„Aber immerhin haben wir nun einen Überblick über die Zitadelle!“ sagte Mercurion plötzlich, und alle Köpfe fuhren zu ihm herum. Der ehemalige Schmuggler und Frachtschiffpilot kniete vor dem Computer, an dem er sich zu schaffen machte. Während die übrigen sich in der Halle umgesehen hatten, hatte sich Mercurion, von Zentaya über die Schulter geschaut, mit dem Terminal beschäftigt und war fündig geworden: Er hatte einen groben Lageplan der Zitadelle der Unendlichkeit ausfindig machen können.

„Unser momentaner Standort ist mit der Bezeichnung ‚Wandlerhalle CSt-418’ angegeben!“ las Mercurion vor.

„Und wo liegt der Hangar mit der Schwert des Lichts?“ wollte Cya wissen.

„Das ist auf dem Lageplan nicht zu erkennen!“ lautete Mercurions Antwort. „Insgesamt gibt es von der Art Hangar, in dem die Schwert des Lichts steht, 518 Stück!“

„Und es ist möglich, dass wir uns auf unserer Flucht zielgenau in die entgegen gesetzte Richtung bewegt haben!“ stellte Lex’ fest.

„So ist es!“ nickte Mercurion.

Inzwischen war auch Sara herangetreten und meinte: „Aber wollten wir nicht ohnehin zu den Randbezirken und den Paramirs? Dann ist es doch egal, an welcher Seite wir den Rand erreichen, oder?“

„In jedem Fall scheidet spätestens jetzt die Option, zur Schwert des Lichts zu fliehen, aus!“ stellte Cya von Aternia mit ernster Miene fest. „Wir sollten…“

In diesem Moment stieß Lex’, der sich wieder dem Blick durch die Scheibe auf die Fabrikhalle zugewandt hatte, einen lauten Ruf aus: „Achtung, man hat uns entdeckt!“

Die übrigen Mitglieder der Armee des Lichts fuhren herum und blickten gleichsam durch die Scheibe. Dort sahen sie, was Lex’ Aufschrei verursacht hatte: Ein Trupp von bewaffneten Paramecs hatte die Halle betreten, und der Anführer dieses Gruppe unterhielt sich mit dem offensichtlichen Sprecher oder Vertreter der in der Halle stationierten Wächter, wobei letzterer mehrfach auf den kleinen Seitenraum , in welchem sich die Fliehenden verbargen, deutete.

„Woher wissen sie, dass wir hier sind?“ fragte A’eron laut, während er beobachtete, wie sich der eingedrungene Trupp in Bewegung setzte, und zwar auf jene Rampe zu, über der sich der kleine Nebenraum befand. Einiges an Gebrüll seitens der Paramecs drang an das Ohr der Flüchtigen, allerdings verstanden sie keine Worte. Doch offensichtlich wussten die Paramir-Arbeiter, was gemeint war, denn diese stoben deutlich panisch auseinander und verschwanden aus der Halle.

„Wenn die hier oben sind, gibt’s eine Gemetzel!“ entfuhr es Lex’.

„Vermutlich konnte man feststellen, von wo, also von welchem Terminal aus, ein Lageplan der Zitadelle abgefragt worden ist!“ gab Mercurion die Antwort auf A’erons bereits vor einer Weile gestellte Frage. Seine Stimme klang schuldbewusst.

„Keine Zeit für Vorwürfe!“ wies ihn Cya zurecht. „Wir sollten zusehen, dass wir hier verschwinden!“

„Wohin?“

„Einen Augenblick!“ Mercurion zog sein MiniCom-Gerät heraus, verband es über ein selbst zusammengelötetes Kabel mit einer Vielzahl unterschiedlicher Adapter-Enden in hastiger Eile mit dem Terminal und gab einige Befehle ein; keine fünf Sekunden später zog er es wieder an sich.

„Ich habe die Karte in das MiniCom geladen und den Computer angewiesen, mittels der Daten, die er beim Weg vom Hangar in die Zelle gesammelt hat, einen exakteren Plan mit Positionsangaben und Fluchtmöglichkeiten zu erstellen!“

Flucht war das Stichwort, doch bevor die Armee des Lichts tatsächlich die Flucht antreten konnte, war der Paramec-Trupp schon so nahe, dass ein Kampf unvermeidbar war.

„Schilde an!“ rief Cya – unnötigerweise, denn alle hatten bereits vor einiger Zeit ihre Passivschutzsysteme aktiviert. Ein erster Energiestrahl aus einer Waffe der Paramecs löste sich und schlug in die Scheibe ein, die sich augenblicklich in Staub verwandelte. Nun waren das Dröhnen von Maschinen sowie das Brüllen der Angreifer mit beinahe schmerzhafter Intensität zu hören.

Weitere Blitze und Schüsse rasten auf die Armee des Lichts zu, die sich schon beim Bersten der Scheibe auf den Boden geworfen hatte, um hinter einigen Kisten und Geräten in Deckung zu gehen; der Terminal, von welchem aus Mercurion den Lageplan der Zitadelle geladen hatte, wurde getroffen und barst in einer schillernden Explosion. Kleine, heiße Trümmerteile regneten auf Mercurion und Zentaya herab, brachten ihre Schilde zum Flackern.

„Angriff!“ sagte Cya mit fester Stimme. Lex’, A’eron, Mercurion und die Kaiserin selbst richteten sich kurz auf und gaben ihrerseits einige Schüsse aus ihren Waffen ab. Schon bei den ersten Treffern zeigte sich, dass sowohl Waffen wie auch Schilde der Armee des Lichts denen der Paramecs überlegen waren – während die Strahlen, welche in die Schilde der Fliehenden einschlugen, diese nur zum Aufblitzen brachten, durchschlugen die eigenen Energien alle Panzerungen der Soldatenrüstungen und ließen die Körper der Getroffenen blitzend und glühend verschmoren. Schon nach den ersten Salven hatten zehn Paramecs ihr Leben verloren und stürzten als dampfender Fleischklumpen rückwärts die steile Rampe hinab. Es begann nach heißem Metall und glühendem Plastik zu stinken.

Diese Überlegenheit der Waffen war der große Vorteil der Armee des Lichts, die ihn auch komplett ausnutzte, und so gelang es ihr, den ersten wirklichen Angriff zurückzuschlagen: Keine fünf Minuten später war der Paramec-Trupp besiegt. Dennoch bestand kein Grund zur Freude.

„Hier wird es in Kürze von weiteren Soldaten und Robotern nur so wimmeln! Wir sollten zusehen, dass wir hier verschwinden! Mercurion?“

„Wir haben tatsächlich Glück! Etwa 20 Meter jenseits der Tür, die aus diesem Seitenraum in die Halle führt, gibt es ein weiteres Schott, durch das wir fliehen können!“ antwortete dieser nach einem kurzen Blick auf sein MiniCom, welches die von ihm verlangte Rechnung zu seiner Zufriedenheit durchgeführt hatte und nun einen potentiellen Fluchtplan darstellen konnte.

„Dann los!“

In geduckter Haltung verließ die Armee des Lichts den Raum, sah sich aber sofort unter Beschuss: Die stationierten Paramecs in der Halle, die für einige Zeit vom Untergang des Soldatentrupps demoralisiert waren, wagten es aus der Distanz, Feuerstöße auf den Feind abzugeben. Wieder und wieder blitzten die Schilde der Flüchtigen auf, und Sara, die gleiches nicht gewohnt war, musste sich konzentrieren, um von dem Flackern und den mechanischen Krafteinwirkungen der Energieschüsse nicht abgelenkt oder umgeworfen zu werden. Dann schlug ein Strahl genau an ihren Beinen in das Schild, und sie strauchelte ernsthaft, konnte sich im letzten Moment auffangen; sie sah, dass auch Mercurion und Cya vor ihr darum kämpften, das Gleichgewicht nicht zu verlieren.

„Das sind Roboter!“ schrie A’eron. „Sie zielen präzise auf die Beine, um unsere Flucht zu unterbrechen!“

Sara wagte es, den Kopf zu drehen. Auf der Galerie gegenüber standen drei monströs wirkende Kampfmaschinen mit zwei drohend auf sie gerichteten Waffen, aus denen sich immer wieder Schüsse lösten. Ihre Schilde wurden nun fast dauerhaft beansprucht, und das junge Mädchen von Terra vermochte es im Nachhinein nicht zu sagen, wie lange es gedauert hätte, bis sie zusammengebrochen wären, wenn die Armee des Lichts nicht in diesem Moment das ersehnte Schott erreicht hätte. Ohne größere Verletzungen gelang ihnen so die Flucht aus der Fabrikhalle.

Doch der Angriff auf sie war noch nicht vorbei: Jenseits der Tür, wo einer der bereits vertrauten Gänge auf sie wartete, hatte sich ein zweiter Trupp der Paramecs aufgestellt, und auch hier stand ein Roboter, der augenblicklich auf sie feuerte.

„Zielt auf den Kopf mit den Photorezeptoren!“ rief A’eron laut und gab selbst die ersten Schüsse auf. Sara hatte noch immer Hemmungen, die Waffe zu benutzen, allerdings sah sie aus dem Augenwinkel, dass Zentaya offensichtlich keine Probleme damit hatte, auf leblose Roboter zu feuern, denn sie beteiligte sich an der ersten Salve. Die gebündelten Energien reichten aus, um den Feind außer Gefecht zu setzen: Es gab einen berstenden Knall, in welchem sich der Kopf des künstlichen Wesens in einer grellen Lichtexplosion auflöste. Unkontrolliert zuckend bewegte sich der Synthetische, der ohne die Module in seinem Kopf nicht mehr funktionierte, noch einige Sekunden, dann klappten die Beine weg, und Flammen stoben aus seiner Brust, ehe er nach hinten kippte und liegenblieb. Die um ihn stehenden Paramecs waren, als sich die Explosion ankündigte, hektisch zur Seite gewichen, erkannten nun ihre Unterlegenheit und suchten ihr Heil in der Flucht. Die Armee des Lichts folgte ihnen, feuerte jedoch nicht mehr.

„Jetzt rechts!“ meldete Mercurion, der wiederholt Blicke auf sein MiniCom warf. Sie bogen in die angegebene Richtung ab; der fliehende Trupp Paramecs war geradeaus gerannt.

Es folgte ein schnelles Passieren zahlreicher Kurven des Ganges; noch waren keine weiteren Paramecs aufgetaucht. Mercurion lotste sie weiter durch immer gleich bleibende Flure. In Sara kämpften zwei Prinzipien gegeneinander: Einerseits hatte sie Angst davor, die Waffe zu benutzen aufgrund der Furcht, ein Lebewesen mit eigenen Händen zu töten, andererseits fühlte sie sich verpflichtet, im Interesse der Armee des Lichts zu kämpfen. Zögerlich glitt ihre Hand zu ihrer Hüfte herunter, wo das kleine Strahlengewehr hing, und ebenso vorsichtig zog sie es aus der Halterung.

Es dauerte nicht lange, bis sich ihre Entscheidung in der Realität auswirken würde: Das bereits bekannte Geräusch zischender Energiestrahlen war hinter ihr zu hören, und als sie herumfuhr, sah sie zahlreiche Soldaten auf sich zustürmen.

Auch die übrigen hatten die Situation erkannt.

„Los, hinter die nächste Biegung!“ rief Cya; glücklicherweise war die folgende Ecke des Ganges nahegelegen. Sie rannten um sie herum und fanden sich in einem weiteren Flur, in dessen Mitte in einiger Entfernung einige Kisten gestapelt waren.

„Das nutzen wir als Deckung!“ schlug A’eron vor und sprang schon hinter den Stapel, gefolgt von den anderen. Der Schutzwall reichte ihnen bis zur Brust, so dass sie stehen konnten, während sie auf ihre Verfolger zielten und schossen – Sara beteiligte sich diesmal mit ihrer Waffe an der Verteidigung.

Nachdem sie ihren dritten Schuss abgegeben hatte, der wie ihre bisherigen auch wirkungslos in eine Wand des Flures einschlug, ohne größeren Schaden zu verursachen, kam sich Sara ziemlich überflüssig vor – zweifelsohne war das Kämpfen nicht ihre Stärke, und wenn sie ehrlich zu sich selbst war, so bedauerte sie dies keineswegs. Zwar war ihr bewusst, dass diese Situation durch ein rein pazifistisches Verhalten unmöglich zu ihrem Gunsten gelöst werden konnte, doch sah sie ein, dass – zumindest im Augenblick – ihr eigenes Zutun im besten Falle keine Konsequenz, im schlechtesten Falle jedoch kontraproduktiv war. So ließ sie folglich ihre Waffe sinken und trat einige Schritte zurück, wo schon Zentaya stand, deren Schüsse gleichfalls keine Wirkung erzielten, die jedoch weiterschoss.

Im ersten Moment dachte das junge Mädchen von Terra, dass es rücklings gegen eine Wand gestoßen war, doch als sich plötzlich Arme um sie schlangen, wurde ihr schlagartig klar, dass jemand oder etwas sie gepackt hatte. Das spontan einsetzende Flirren und Surren ihres Körperschildes schränkte ihre Sicht ein.

Sie fuhr herum, soweit ihr das trotz des Klammergriffes, in welchem man sie hielt, möglich war; dank des explosionsartig durch ihren Körper flutenden Adrenalins gelang ihr die Drehung, und sie erkannte, dass ein breitschultriger, einzelner Paramec sie gepackt hatte. Woher dieser plötzlich kam, war unmöglich zu sagen – vermutlich war es ihm gelungen, sich aus dem Kampfgeschehen herauszuhalten und sich dadurch anzuschleichen. Die zutiefst erschrockene Sara stieß einen kurzen, schrillen Schrei aus, der einen instinktiven Schlag mit der Hand gegen das Gesicht ihres Angreifers begleitete. A’eron, der den Ruf vernommen hatte, fuhr herum und sah das junge Mädchen in der Zwangslage. Sofort zielte er mit der Waffe auf den Paramec und versuchte dabei, eine Stelle anzuvisieren, bei deren Beschuss das Risiko für Sara möglichst gering war; er fand sie in der Mitte der Stirn des Paramecs, der Sara um gute zwei Köpfe überragte. Gleichzeitig mit dem Schuss, den der Hochenergie-Ingenieur abgab, schlug Sara ein zweites Mal mit der Faust zu und traf den Angreifer an dessen Hals – Schuss und Schlag erreichten den Paramec nahezu gleichzeitig und verdoppelten somit ihre Wirkung. Von unkontrollierbaren Kräften getroffen, wurde Saras Gegner nach hinten und gleichzeitig zur Seite gerissen, hielt aber noch immer seine mächtigen Arme um den Körper seiner Gefangenen geschlungen. Diese spürte einen dumpfen Schlag, den sie im Nachhinein als Prall gegen die Seitenwand identifizierte und der ihr für den Bruchteil eines Augenblicks das Bewusstsein raubte – glücklicherweise, denn so war sie nicht gezwungen, im Gesicht ihres Gegners dessen Tod zu sehen. Noch bevor sie wieder klare Gedanken fassen konnte, ging ein zweiter Ruck durch ihren Körper. A’eron konnte nur noch sehen, wie der von ihm getroffene Paramir mit einem gewaltigen Schlag gegen die Wand krachte, die jedoch keineswegs so massiv war, wie es den Anschein hatte – ein dahinterliegender Wartungsschacht war an dieser Stelle nur von einem dünnen Gitter versiegelt gewesen, welches durch die Wucht des Paramecs zerbarst. Der massive Körper selbst blieb an der Wand hängen, doch lösten sich in diesem Augenblick die Arme des Sterbenden von seinem Opfer, und ohne dass A’eron etwas dagegen tun konnte, stürzte Sara in die Öffnung in der Wand und in den Schacht hinein.

„Sara!“ schrie A’eron erschrocken auf und wollte zu der Öffnung hetzen, wurde jedoch von zwei plötzlich eintreffenden Kampfrobotern daran gehindert, die seine Beteiligung am Schusswechsel verlangten.

„Wir werden später mit Hilfe der Paramirs sehen, was wir für sie tun können!“ rief Cya, der das Geplänkel und der folgeschwere Schuss A’erons nicht entgangen war. „Jetzt müssen wir sehen, dass wir hier wegkommen! Die Stellung ist unhaltbar!“

„Und wohin?“ fragte Lex’.

„Erst einmal zurück!“

„Wartet, ich habe eine Idee!“ sagte in diesem Moment Mercurion. Er hob seinen Blaster, zielte auf eine Stelle an der Decke und schoss. Ein Strahl schlug genau über den Robotern in die Decke ein, wo er, wie A’eron nun erkannte, einen Energieverteilerkasten traf. Dieser zerbarst in einer regenbogenartig schillernden Explosion, und die daraus entstehenden Entladungen schlugen in die Köpfe der beiden Roboter ein.

„Feuer!“ befahl Cya sofort, welche die Chance erkannte, die Mercurion geschaffen hatte: Von den Überladungen wenigstens kurzfristig außer Gefecht gesetzt, boten die Roboter nun ein angreifbares Ziel. Einige gezielte Schüsse in ihre bereits qualmenden und Blitze speienden Köpfe reichten, um sie in einer lauten Detonation vergehen zu lassen. Die wenigen Paramecs, die sich noch in ihrer Nähe aufgehalten hatten, wurden von der destruktiven Gewalt gleichsam erfasst und in den Tod geschleudert.

Eine gefährliche Stille trat ein.

„Wir haben nicht viel Zeit!“ sagte Cya sofort. „Es wird hier bald wieder von Angreifern wimmeln! Wir sollten zusehen, dass wir zu den Paramirs kommen!“

A’eron war sofort nach Ende der Kampfhandlungen zu dem Schacht gerannt, in den Sara stürzt war; mit einem kräftigen Ruck seiner Arme schob er den Leichnam des Paramecs zur Seite und warf dann einen Blick in die Öffnung in der Wand.

„Siehst Du etwas?“ wollte Lex’ wissen.

„Nur Dunkelheit!“ antwortete A’eron und richtete sich wieder auf. „Aber der Schacht führt schräg nach unten! Vielleicht hat sie Glück, und es gab keinen tiefen Sturz!“

„In jedem Fall haben wir keine Zeit, nach ihr zu suchen!“

„Vielleicht sind wir in dem Schacht sicher!“ schlug Zentaya vor, in deren Augen Tränen glitzerten, die teils der Aufregung der Schlacht, teils den Opfern unter den Paramecs und teils der Sorge um Sara geschuldet waren.

„Nein, das Risiko ist wohl zu groß!“ entgegnete A’eron seufzend und warf dennoch einen fragenden Blick zu Cya, die stumm nickte. Schließlich schüttelte er heftig den Kopf und sagte mit fester Stimme: „Ihr wird schon nichts passiert sein!“

„Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass es so enden soll!“ nickte Lex’.

„Dann sollten wir uns nun wieder darauf konzentrieren, zu den Paramirs zu gelangen! Kommt mit, aber haltet Eure Waffen bereit! Ich schätze, wir werden noch einige Gefechte austragen müssen!“


*


Als Sara die Augen wieder aufschlug, blickte sie in etwas, das sie zunächst an einen tiefgrünen, wogenden Ozean erinnerte, auf dessen Wellenoberfläche sich die Lichtstrahlen einer gleißenden Sonne milliardenfach spiegelten, und erst nach einigen Sekunden der Irritation wurde ihr klar, dass es sich dabei um die Pupillen eines außerirdischen Lebewesens handelte. Wie in Zeitlupe senkte sich das Augenlid, verdeckte kurz den Schein, dann öffnete es sich, und die grüne Pupille wurde wieder sichtbar.

„Ah!“ sagte eine Stimme, die knapp unterhalb den betrachteten Objekten zu entstehen schien. „Du bist endlich wach!“

Sara fühlte sich keineswegs besonders wach; der Sturz, von dem sie nicht wusste, wie tief er war, hatte sie spürbar mitgenommen, und außerdem lag ein süßlich-fauliger Geruch in der Luft, der zu Saras Benommenheit nicht wenig beitrug.

„Was … wo … ich … wer bist Du?“ fragte sie und bewegte gleichzeitig den Kopf ein wenig nach hinten, um ihr Sichtfeld zu vergrößern.

„Mein Name ist Bartôg!” antwortete das Wesen. „Und Du gehörst sicher zu den Fremden, die mit dem silbernen Schiff gekommen sind, habe ich Recht?“

Einen Moment lang fragte sich Sara, woher ihr Gegenüber diese Information hatte, dann beantwortete sich diese Frage zumindest teilweise, denn dank der geschaffenen Sichtdistanz erkannte das junge Mädchen von der Erde, dass es sich bei ihrem Gegenüber um einen Paramirs handelte. Dieser hatte die bereits bekannte bläuliche Hautfarbe sowie die drei von Sara irrtümlich für ein grünes Meer gehaltenen Augen, darüber trug er eine bräunliche Mütze auf seinem ansonsten kahlen Schädel. Von dieser Farbe war auch der Anzug, den er trug, und den Sara auf den ersten Blick für eine Art Arbeitsmontur hielt.

„Ja, genau! Ich gehöre zur Armee des Lichts!“

Einen Moment lang glaubte Sara, ein merkwürdiges Flackern in den Augen des Paramirs zu sehen, doch wusste sie nicht, was dieses ausgelöst haben sollte, und gleich darauf war sie sich schon nicht mehr sicher, ob sie sich diese Reaktion nicht nur eingebildet hatte. Sollte Batôg tatsächlich derartig reagiert haben, so lag es sicherlich an der ihrer positiven Antwort – vielleicht hofften die seit Ewigkeiten unterdrückten Paramirs auf eine Art Hilfe von außen, die sie nun in der Besatzung der Schwert des Lichts gefunden zu haben glaubte.

Um den bevorstehenden Moment der Stille zu verhindern, sah sich Sara an dem Ort, an dem sie sich befand, um; es handelte sich um einen recht dunklen Raum mit schmutzigen Wänden, der vielleicht drei auf drei Meter maß, allerdings recht hoch war: In etwa dreißig Meter Höhe erkannte sie eine kleine, weiße Öffnung, durch die sie vermutlich gefallen war. Dass sie diesen Sturz überlebt hatte, mochte an der knapp unterhalb dieser Luke aus der Wand ragenden Schräge gelegen haben, auf der sie nach unten geglitten sein könnte. Sie wollte Batôg fragen, doch dieser hatte sie aufmerksam beobachtet und schien nun selbst zu vermuten, dass Sara an ihrer jetzigen Umgebung Interesse hatte.

„Das hier ist ein Wartungs-Schacht! Ich gehöre zu dem Technischen Betriebs-Aufrechterhaltungs-Personal von Citadel! Du hast Glück, dass ich gerade hier zu tun hatte, denn normalerweise arbeiten wir diese Räumlichkeiten hintereinander ab, und es kann mehrere Zyklen dauern, bis wir denselben Raum noch einmal betreten!“

„Ja … äh… Danke! Ich bin froh, dass Du mich gefunden hast!“

„Ich musste hier einige Datennetzknoten überprüfen und neu konfigurieren!“

Sara schaltete blitzschnell; offensichtlich fiel die Betäubung rasch von ihr ab.

„Das heißt, Du hast Zugriff auf die Computersysteme der Zitadelle … von Citadel?“

„Nun ja, im Grunde schon, aber mein Zugriff ist natürlich begrenzt! Die Paramecs und die Hohen Mächte gestatten einem einzelnen Techniker keinen vollen Zugang zum System!“

„Nein, natürlich nicht!“ nickte Sara nachdenklich. „Das wäre wohl leichtsinnig!“

„Allerdings…“ meinte Batôg, unterbrach sich dann aber und blickte schnell nach rechts. Auch Sara wandte den Kopf dorthin, sah jedoch nichts. Während sie noch die Wand absuchte nach dem Blickfang Bartôgs, kam von der anderen Seite des Raumes ein zischendes, leise brummendes Geräusch, und als das junge Mädchen von der Erde zusammenzuckte und den Kopf drehte, sah sie aus einem rohrähnlichen Gebilde eine grünliche Wolke aufsteigen, die sich rasch verflüchtigte.

„Keine Angst!“ sagte der Paramir. „Das ist nur das Wartungs-Gas! In alle Räume dieser Art wird es geleitet, damit die Leitungen nicht korrodieren! Riechst Du es nicht?“

„Doch, in der Tat!“ antwortete Sara, der klar wurde, dass sie hier die Quelle jenes betäubend süßlichen Geruchs entdeckt hatte. „Es riecht … penetrant!“

„Für mich riecht es vor allem nach Arbeit!“ meinte Batôg und stieß ein Geräusch aus, das wohl eine Art Paramir-Lachen darstellte.

Eine Sekunde lang verging schweigend, dann fragte Sara: „Was wolltest Du denn eben sagen?“

„Wann?“

„Kurz bevor dieses Gas hier eingesprüht worden ist!“

Sara blickte Batôg an und hatte mit einem Mal das Gefühl, dass der Techniker kann genau wusste, worauf das fremde Mädchen anspielte.

„Ich habe gefragt, ob Du oder Deine Kollegen Zugriff auf die Computernetze von Citadel habt!“ half Sara weiter und hoffte, dass sie Batôg auf diese direkte Art nicht abschreckte.

„Nun, keiner von uns hat Zugriff auf das komplette Computersystem!“ antwortete Bartôg nach einer Weile langsam.

Dann stand er plötzlich und mit einem heftigen Ruck auf.

„Folge mir, Sara von Terra! Ich möchte, dass Du erfährst, wie die Paramirs hier in Citadel zu leben gezwungen sind!“

Das Wesen wandte sich einer Wand zu, auf die er ein Gerät richtete, worauf sich eine Öffnung präsentierte. Sara war einen Moment lang verdutzt, dann erhob sie sich und verließ hinter dem Techniker den Wartungsraum.

 

*


Cyas Prophezeiung war sehr schnell Realität geworden: Die nächsten Kämpfe gegen Paramecs und Roboter ließen nicht lange auf sich warten, und so rückte die Armee des Lichts nur stückweise von Gefecht zu Gefecht vor. Niemand konnte sagen, wie viel Zeit verging. In einem Gang, der aussah wie alle übrigen auch, trafen sie das nächste Kommando ihrer Gegner, und glücklicherweise gelang es ihnen, hinter einer Biegung des Ganges in Deckung zu gehen, ehe man sie selbst unter Beschuss nehmen konnte. Nach wie vor bestand ihr großer Vorteil darin, dass sowohl Schusswaffen wie auch Schilde denen der Paramecs und ihrer Roboter weit überlegen waren, und es gelang den verbliebenen Mitgliedern der Armee des Lichts, diesen Vorteil in Siege umzuwandeln: Die Roboter vergingen in zuckenden Entladungen, die Paramec-Soldaten verloren ihr Leben durch direkte Treffer aus den Strahlenwaffen. Der Weg konnte fortgesetzt werden.

Doch der nächste Angriff ließ nicht lange auf sich warten: Keine zehn Minuten später sah sich die Armee des Lichts erneut schießenden Gegnern gegenüber, diesmal der dreifachen Anzahl als bisher. Ihnen blieb nichts anderes übrig, als sich zurückzuziehen und erneut hinter einer Biegung des Ganges wenigstens einigermaßen sicheren Schutz zu suchen und den Feind auf Distanz zu halten, allerdings war klar, dass sie in dem Moment verloren sein mussten, in welchem auch aus der anderen Richtung Roboter oder Paramecs kämen.

„Gibt es keine Ausweichmöglichkeit?“ fragte Cya zwischen einigen Schüssen. Mercurion ließ seinerseits die Waffe sinken und warf einige Blicke auf sein MiniCom.

„Es gibt gleich jenseits der Biegung auf der linken Seite einen Durchgang zu einer Lagerhalle, von wo aus ein Frachttunnel weiter in Richtung Randbereiche führt!“ antwortete er wenige Sekunden später. „Allerdings gibt es auf diesem Weg so gut wie keine Ecken, Nischen oder Biegungen, in denen wir uns verstecken könnten. Das heißt, wir würden uns dem Feind immer frontal präsentieren!“

„Eine kleine Chance ist immer noch mehr wert als gar keine!“ entschied Cya sekundenschnell. „Und hier sind wir meines Erachtens ebenfalls über kurz oder lang dem Untergang geweiht! Wir versuchen, diese Lagerhalle zu erreichen!“

„Wir müssen dazu in den Gang, in dem sich die Stellung der Paramecs befindet, und dann keine drei Meter auf der linken Seite durch einen Schott!“

„Ich sehe ihn!“ sagte A’eron, der gemeinsam mit Lex’ an der Ecke stand beziehungsweise hockte und Schüsse auf die Gegner abgab. „Ich zähle bis 3, dann zerschieße ich ihn!“

„Und wir rennen auf drei sofort los, schicken dem Feind ungezielte Strahlenstöße entgegen und lassen uns möglichst nicht treffen!“ beendete Cya die Planung.

A’eron begann zu zählen, und als er laut „3“ rief, rannten die fünf Menschen los; noch im Sprung hatte der Hochenergie-Ingenieur den Schott in einer grellen Explosion vergehen lassen. Heiße Energieentladungen zuckten ihnen um die Köpfe, schlugen sporadisch ein und brachten ihre Schilde teilweise bis an die Überlastungsgrenze hin zum Flackern. Doch ihr Manöver gelang, und keinen Atemzug später hatten sie alle den Seitengang erreicht.

„Keine Pause!“ keuchte Cya. „Die werden uns folgen!“

Vor ihnen eröffnete sich eine breite, leicht nach unten führende Rampe, die nach etwa fünfzig Metern an einer weiteren massiven Tür endete.

„Los, hinein!“ rief Cya aus dem Laufschritt heraus. Hinter ihnen war das Trampeln von Robotern und Soldaten zu hören. „Die werden gleich die Rampe betreten!“

Die Tür ließ sich zum Glück per Berührung öffnen, und die Fliehenden betraten hastig einen Raum von gewaltigen Ausmaßen, der voller Kisten und Containern war: Riesige Metalltürme stapelten sich bis ganz nach oben, stapelweise Quaderbehälter mit unbekanntem Inhalt waren aufgereiht, zylindrische Fässer von mehreren Metern Durchmesser wirkten wie mächtige Säulen. Von der gut 50 Meter hohen Decke reichten mehrere Kräne herab, an manchen Harken hingen weitere Container. Einer von ihnen schwebte genau über dem Eingang.

„Das ist es!“ rief A’eron sofort. „Geht in Deckung, ich werde das Ding herunter krachen lassen!“

Die übrigen vier verschwanden hinter einem Stapel von metallenen Kisten, über die sie den Eingang des Raumes hinweg sehen konnten; A’eron kniete sich direkt neben ihre Deckung und zielte mit seiner Waffe auf das dicke Seil, welches den Container hielt. Auch Mercurion legte seine Waffe auf das gleiche Ziel an.

„Erst schießen, wenn ich es sage!“ wies A’eron ihn an; Mercurions Antwort bestand aus einem Nicken.

Die Zeit, die bisher so schnell verflogen war und die immer dann förmlich gerannt zu sein schien, wenn sie den nächsten Angriff der Gegner erwarteten, verging in quälender Langsamkeit. Dann endlich verschwand der Anblick der Tür zu dem Lagerraum, und die Paramecs mit ihren Robotern traten ein. Es dauerte sechs Sekunden, bis sie alle in dem Raum waren und sich umsahen – glücklicherweise bemerkten sie die Fliehenden nicht sofort.

„Jetzt!“ zischte A’eron, und gemeinsam mit Mercurion schoss er auf das Seil. Dieses glühte einen Herzschlag lang rot, wurde dann weiß und riss schließlich. Gemeinsam mit einem Funkenregen krachte der riesige Container auf ihrer Verfolger, und der gewaltige Lärm erstickte den Todesschrei der Paramec-Soldaten völlig.

„Verdammte Scheiße!“ entfuhr es Mercurion, der aufgesprungen war, doch was genau er damit meinte, blieb sein Geheimnis.

„Durch diesen Eingang kommt vorläufig keiner mehr!“ stellte Elexi’ael sachlich fest. „Wie geht es nun weiter?“

Mercurion beruhige sich und zog erneut sein MiniCom zu Rate.

„Der Transporttunnel ist auf der anderen Seite der Halle! Wir müssen hier lang!“ Er wies auf eine Schlucht zwischen sich türmenden Containern. Die fünf verbliebenen Mitglieder der Armee des Lichts machten sich mit schnellen Schritten auf den Weg.

„Was für ein riesenhaftes Gebilde!“ murmelte Lex’ unterwegs, während er die Bauten mit ihren monumentalen Ausmaßen bestaunte. „Was sich wohl darin befindet?“

„Vermutlich Roh- und Verschleißmaterialien für die hiesige Industrie!“ vermutete A’eron. Er deutete auf eine Reihe von kleinen Kisten, die sich rechts von ihnen stapelte. „Lass uns doch nachsehen!“

Ehe jemand etwas erwidern konnte, war er zu einem der Behälter getreten und hatte seine Hand auf den vermutlichen Öffnungssensor gelegt; klackend klappten die Seiten der Kiste auseinander und gaben den Blick auf das Innere frei, das sich als eine Art Regal entpuppte. Kleinere Geräte lagen hier auf metallenen Streben.

„Ich fasse es nicht!“ sagte A’eron lachend, griff zu und holte eines der Geräte heraus. „Seht Euch das mal an! Das ist ein Chronometer!“

Er hielt ein silbrig glänzendes Armband mit Anzeige nach oben, auf dem das Symbol der Zitadelle der Unendlichkeit zu sehen war.

„Irgendwie kommt mir das Teil bekannt vor, A’eron!“ murmelte Lex’ stirnrunzelnd und mit ernster Stimme. Doch er kam nicht mehr dazu, seine Überlegungen kundzutun, denn direkt über ihm schlug ein Energiestrahl in einen Container ein. Es gab eine laute Explosion, und die dadurch weggesprengten Metallstücke prasselten weißglühend auf die Fliehenden herab, wo sie deren Schilde erneut zum Flackern brachten.

„Deckung!“ schrie Cya noch, doch es war zu spät: Als sie sich umsahen, erkannten sie, dass auf nahezu allen Containern und hinter allen Kisten Roboter und Paramec-Soldaten lauerten. Sie waren umzingelt, und sofort war ihnen klar, dass das kein Zufall sein konnte: Sie waren in die Falle gegangen. Der letzte Zweifel wurde spätestens dann beiseite gewischt, als auf einer langen, schmalen Kiste die Königin der Paramecs – Ta-Ai-Lar – erschien, begleitet von einem stark uniformierten Paramec-Soldaten, den die Gefangenen als Katango zu identifizieren glaubten. Dieser war es auch, welcher die ersten Worte an die fünf in die Falle Gegangenen richtete.

„An dieser Stelle endet Eure Flucht! Ihr habt uns einiges an Robot- und Soldatenmaterial gekostet, aber am Ende seid Ihr in unsere Falle geraten! Euer Weg war von uns genau beobachtet worden, und so haben wir Euch zielsicher hierher getrieben! Lasst also die Waffen fallen und deaktiviert Eure Schilde, sonst werden wir Euch hier und jetzt auslöschen!“

Wie immer reagierte Cya schnell und handlungsweisend: Während die übrigen noch fieberhaft überlegten, ob es nicht eine Möglichkeit der Rettung gäbe, hatte sie bereits die Aussichtslosigkeit ihrer Lage erkannt und ließ die Waffe sinken; flirrend löste sich das Energiefeld um ihren Körper. Als A’eron, Elexi’ael, Zentaya und Mercurion dies sahen, gaben auch sie jeden Gedanken an Widerstand auf und deaktivierten ihre Schutzschilde.

Es schien, als habe ihre Flucht ein Ende gefunden.

 

*

 

„Es gibt eigentlich zwei Welten in Citadel, und beide berühren sich manchmal, existieren aber im Grunde genommen nebeneinander!“ erzählte Bartôg, der einen Schritt vor Sara herlief und sie durch einige Gänge und Flure führte, in denen sie keiner anderen Menschenseele begegneten, so dass dem Mädchen von der Erde zum wiederholten Male die schier unfassbare Größe der Zitadelle der Unendlichkeit begreiflich wurde. „An sich wäre das ja kein Problem! Aber hier ist es so, dass eine Welt die andere kontrolliert!“

„Du sprichst von den Welten der Paramirs und der Paramecs!“ mutmaßte Sara.

„So ist es! Wir Paramirs haben unsere Gesellschaft, und auch die Paramecs haben eine eigene Zivilisation, die im Wesentlichen von den Hohen Mächten gestaltet worden ist. Auch unsere Kultur soll von den Beherrschern von Citadel geprägt werden, aber es ist uns gelungen, uns und unser Leben zu verteidigen gegen den Einfluss von außen, doch der Preis ist hoch: Wir werden unterdrückt, und wir werden dazu gezwungen, die niedersten Arbeiten zu verrichten! Wir führen in Citadel ein Sklavendasein!“

„Aber in Eurem Innern habt Ihr Eure Freiheit behalten, richtig?“

„Soweit es uns möglich ist, versuchen wir, standhaft zu bleiben, aber es ist sehr schwierig! Wir müssen vieles geheim halten!“

„Zum Beispiel?“

„Zum Beispiel, dass es eine von allen Paramirs anerkannte Paramir-Regierung gibt, nämlich den Ältestenrat! Und dass dieser Rat den Traum der Paramirs aufrecht erhält, dass irgendwann einmal der Moment kommen wird, in welchem sich die bisherigen Sklaven gegen ihre Herren auflehnen und die Situation in Citadel eine Änderung erfährt!“

„Wie denn?“

„Das muss Dir der Ältestenrat erzählen! Ich bin nur Techniksammler!“

„Ich dachte, Du wärst Versorgungstechniker?“

„Das ist der Name, den mir die Paramecs gegeben haben, aber eigentlich bin ich Techniksammler! Der Rat hat mir den Auftrag gegeben, Informationen zu sammeln, die gegen die Hohen Mächte und die Paramecs genutzt werden könnten – vor allem Informationen, die mit Technik zu tun haben! Daher nennt man mich ‚Techniksammler’!“   

Sara nickte, um zu zeigen, dass sie verstanden hatte, wurde sich dann aber darüber bewusst, dass Bartôg sie ja gar nicht sehen konnte, da er vor ihr ging; außerdem war sie sich auch nicht sicher, ob er die Geste richtig verstanden hätte.

„Und Du bringst mich nun zum Ältestenrat?“ fragte sie.

„Genau das tue ich! Unterwegs werden wir einen Ort durchqueren, an dem ich Dich bitte, zu beobachten! Mehr möchte ich dazu nicht sagen!“

Und so folgte Sara dem Techniksammler schweigend.

 

*


Die Lage an Bord des imperialen Raumschiffes Schwert des Lichts hatte sich gewandelt: Die zuvor zwar wachsamen, aber im Grunde genommen recht friedlichen Paramecs, welche den Raumer im Belagerungszustand hielten, hatten ihre Strategie geändert, und Szeszechun war sich sicher, dass dies mit der Kaiserin und ihrer Armee des Lichts zu tun hatte. Vor rund vierzig Minuten war zunächst Unruhe in den Belagerern entstanden, einige Soldaten waren abgezogen worden, anderer waren dafür gekommen, und schließlich erschienen bewaffnete Roboter und einige mobile Geschützstände. Zwar vertraute Szeszechun den Schilden der Schwert des Lichts, da erfahrungsgemäß keine Infanterie oder Artillerie gegen die Energiepanzerung von interstellaren Raumschiffen Chancen auf Erfolg hatte, doch wollte er auf Nummer sicher gehen, und so erhöhte er den Energieausstoß des Kraftwerks und leitete die Energie komplett in die Schilde.

„Werden die Schilde halten?“ stieß General Lutan von Zenit, der neben Szeszechun stand, hervor.

„Hochwahrscheinlich!“ erwiderte Szeszechun augenblicklich; der General war ranghöher als der Leibgardist und auch erfahrungsbedingt kompetenter – Szeszechun war weniger Truppenstratege als vielmehr Einzel- und Nahkämpfer. So empfand das Echsenwesen es als selbstverständlich, dass der General das Kommando in dieser Krisensituation übernahm, wobei ihm die Bereitschaft Lutans zur Verantwortungsübernahme eigentlich viel zu lange gedauert hatte. Doch offensichtlich hatte der ältere Mann die Strapazen der Flucht vom Obelisken nur schwerlich überwunden. Er wirkte teilweise verwirrt, bisweilen ängstlich und vor allem demoralisiert. Vermutlich würde es einiger Worte der Kaiserin bedürfen, um aus ihm wieder einen effektiven Streiter des galaktischen Imperiums zu machen, aber Cya von Aternia war eben nicht da, und Szeszechun wusste, dass seine eigenen Fähigkeiten zum Motivieren nicht ausreichen würden, denn – dies entsprach dem Kodex seines Volkes – für ihn zählten Disziplin und Moral mehr als Motivation und Volition.

Szeszechun wandte sich an den Computer. „Ich verlange eine genaue Analyse der Energieentwicklung der feindlichen Geschütze sowie eine Inbezugsetzung zu der Leistungsfähigkeit unserer Schilde!“ befahl er mit größtmöglicher Präzision.

Die Auswertung dauerte keine Minute. „Bei gleichbleibendem Energiegehalt sind die Schilde der Schwert des Lichts endlos attackierbar, ohne dass es zu Kapazitätsüberschreitungen kommt!“

Fast als hätten die Angreifer darauf gewartet, dass Szeszechun diese Information erhielt, sah das Echsenwesen in diesem Moment, wie sich mehrere Schleusen zu dem Hangar öffneten und einige weitere Geschütze hereintransportiert wurden. Szeszechun reagierte sofort und fragte erneut den Computer: „Ausgehend von unserer Maximalkapazität, verlange ich eine Berechnung, bei wie vielen Geschützen des bekannten Typus unsere Lage kritisch wird!“

Erneut verging nur kurze Zeit, ehe der Bordrechner antwortete: „Eine Verdreifachung der Geschützquanität oder – qualität führt zu einer Überlastung unserer Schilde nach einem Dauerbeschuss von 3, 42 Sekunden!“

Der kaiserliche Leibgardist stieß ein tiefes, grollendes Geräusch aus.

„Dann hoffen wir, dass die Zahl der Geschütze diesen Punkt nicht übersteigt, bis die Kaiserin eine Möglichkeit gefunden hat, die Situation zu unseren Gunsten zu klären!“ brummte er.

Und zum wiederholten Male verfluchte er die Lage, die ihn zu absoluter Untätigkeit verdammte.


*


Jenseits des schmalen Flures lag eine riesige Halle, etwa so groß wie der Hangar, in dem sich augenblicklich die Schwert des Lichts befand. Es gab mehrere Etagen und Ebenen, die mit Leitern und Brücken untereinander verbunden waren, wobei zahlreiche der Verbindungen nicht so aussahen, als wären sie zum gleichen Zeitpunkt konstruiert worden wie die restliche Zitadelle der Unendlichkeit, sondern eher nachträglich und dilettantisch eingefügt worden; Sara glaubte sogar, am anderen Ende der Halle eine wackelige Hängebrücke zu sehen.

So, wie sich das Innenleben des gewaltigen Raumes darstellte, fühlte sich das junge Mädchen von der Erde an die beinahe peinlich klischeehafte Vorstellung eines orientalischen Basars erinnert: Um vereinzelte Lichtquellen, die Sara noch nicht genauer identifizieren konnte, gruppierten sich zahlreiche Händlerstände unterschiedlichster Form und Größe: Es gab so etwas wie kleine Häuser aus robustem Kunststoffmaterial, es gab Container mit Öffnungen, einige Baracken, die aussahen, als wären sie aus Gerümpel und Abfall zusammengeschweißt worden, und es gab einfache Teppiche und Decken, die auf dem Boden ausgebreitet waren. Sara wagte sich gar nicht vorzustellen, welche exotischen Waren hier angepriesen und verkauft wurden, und in einer plötzlich auftauchenden olfaktorischen Halluzination glaubte sie, den Geruch von Zimt und anderen Gewürzen in der Nase zu haben.

„Hier geht’s runter!“ sagte Bartôg mit seiner hohen, kratzigen Stimme. „Und sei vorsichtig, dass man nicht versucht, Dir Deine Stiefel beim Laufen abzukaufen!“

Der Weg, den der Techniksammler gemeint hatte, war ein sicherlich breiter Steg, der jedoch ungleich schmaler wirkte aufgrund der Tatsache, dass er weder nach rechts noch nach links gesichert und unter ihm gute 30 Meter Luft bis zum Boden waren. Anscheinend machte das ihrem Retter recht wenig aus, denn dieser ging mit einer beiläufigen Leichtigkeit über die etwa zehn Meter lange Brücke und kümmerte sich gar nicht um Sara, als würde er davon ausgehen, dass sie ihm ebenso unerschrocken folgte.

Glücklicherweise gehörte Höhenangst nicht zu Saras Schwächen; nichtsdestotrotz floss ein leicht panisches Gefühl durch ihre Adern, als sie sich auf den Steg begab, bemüht, nicht nach unten zu sehen und auch möglichst wenig darüber nachzudenken. Ihre Strategie ging auf, und ehe sie sich versah, stand sie auf der anderen Seite der Verbindungsbrücke, die sich allerdings als monolithartige Erhöhung der nächst-unteren Ebene präsentierte. Erfreulicher Weise führte von hier eine langgezogene Rampe, diesmal mit Geländer, nach unten in die Menge der Verkäufer. Wieder ging Bartôg schnellen Schrittes voran, gefolgt von Sara.

„Wenn Dich jemand anspricht, geh’ einfach weiter! Die werden denken, Du bist eine von den Hohen Mächten! Die wollen Dich dann an Ihre Stände ziehen! Einfach weitergehen!“ belehrte Bartôg sie.

„Ist das denn normal, dass diese Hohen Mächte hierher kommen?“ fragte Sara und befürchtete im selben Augenblick, dass sie den Techniksammler und das, was er als seine Welt betrachtete, damit diskriminiert hatte. Allerdings fasste der kleine Abenteurer ihre Frage offenbar nicht derartig auf, sondern gab bereitwillig Antwort.

„Ja, das kommt schon hin und wieder vor!“ erklärte er. „Die wollen dann exotische Waren kaufen! Vermutlich, um damit anzugeben!“

Bartôg bestätigte erneut, dass er von den Hohen Mächten von Citadel nicht wirklich viel hielt. Und Sara verstand auch, woher diese Ablehnung kam, als plötzlich zwischen den einzelnen Ständen zahlreiche Paramirs, darunter einige, die sie für Kinder hielt, hervorkamen und mit teils flehenden, teils unterwürfigen Augen die verschiedensten Waren feilboten, von denen Sara nicht einmal einen Bruchteil identifizieren konnte. Ihr wurde bewusst, welchen Wert das System innerhalb der Zitadelle der Unendlichkeit den Paramecs, den Paramirs und den sogenannten Hohen Mächten zugewiesen hatte, und sie erkannte, dass gerade diejenigen, die sie und die übrigen Mitglieder der Armee des Lichts am freundlichsten empfangen hatten, auch diejenigen waren, die am untersten Ende der Hierarchie standen.

Wie war es zu dieser Aufteilung der Macht gekommen? Sara hoffte, dass ein Gespräch mit dem Ältestenrat hier Klärung schaffen konnte.

Die junge Frau von Terra wehrte alle Verkäufer und Anbieter ab, wobei sie bemüht war, nicht abweisend oder herablassend zu klingen, und obwohl ihr keineswegs danach war, zwang sie ihr Gesicht zu einem freundlichen Lächeln. Zwar erreichte sie durch ihre Aussage, nichts erwerben zu wollen, dass sich die Feilbieter sofort und demütig zurückzogen, allerdings folgten sofort andere nach, um deren Stellung einzunehmen. Bartôg seinerseits schien die Situation vorausgeahnt zu haben, denn er bahnte sich kommentarlos seinen Weg durch die Menge und blieb lediglich in einigen Intervallen stehen, um sicherzugehen, dass Sara noch hinter ihm war. Die Allgegenwart der Verkäufer führte dazu, dass Sara dem Markt, der sie eigentlich interessierte, nicht halb so viel Aufmerksamkeit schenken konnte, wie sie gewollt hätte; nur gelegentlich war es ihr vergönnt, einen längeren Blick auf einen Stand, eine Bude oder hin und wieder sogar ein regelrechtes Geschäft zu werfen, was dann aber als Kaufbereitschaft interpretiert und vom jeweiligen Besitzer des Ladens mit Heraneilen und Anpreisen des eigenen Sortiments geahndet wurde. Auch die Musik, die aus allen Ecken des Basars an ihre Ohren wehte und sich in ihrer breiten Vielfalt von simplen, ätherischen Flächenklängen bis hin zu reiner, extatischer Perkussion erstreckte, konnte Sara nicht richtig wahrnehmen unter dem Geschnatter des Andrangs.

Insofern war sie froh, als sie nach einem gut zwanzigminütigen Marsch zunächst eine scharfe Linkskurve schlugen und anschließend eine breite Rampe hinauf gingen. Die letzten Verkäufer sahen ihre Erfolglosigkeit ein und begaben sich wieder an ihre Stände, und Sara atmete tief durch. Die Paramirs, die sie nun passierten, schienen kein Interesse am Abwickeln von Geschäfte zu haben, denn sie saßen nur um gelblich leuchtende, kopfgroße Kristalle, in denen Sara jene Lichtquellen erkannte, die sie bereits bei ihrem Betreten der Halle wahrgenommen hatte. Offensichtlich dienten diese sowohl der Beleuchtung wie auch der Wärmespendung, und Sara sah sich nicht nur ihretwegen, sondern auch aufgrund der skeptischen Blicke, die man ihr zuwarf, an ein typisches Wild-West-Lagerfeuer erinnert.

„Hier geht’s lang!“ verkündete Bartôg und wies auf eine weitere Rampe, die nach gut zehn Metern in einer Öffnung in der Wand verschwand. Zwei Paramirs mit speerähnlichen Geräten standen davor. Der Techniksammler trat auf sie zu.

„Hallo, ihr beiden! Na, was macht der Dienst?“

Einer der beiden Wachen zeigte seine Knochenleisten, und Sara fragte sich, ob es ein Zufall war, dass die Mimik des Grinsens bei den Menschen und den Paramirs identisch war.

„Gut, Du alte Techniknase! Willst Du zum Rat und einige Deiner Geschichten erzählen?“

Sara wusste nicht, was der Wachposten damit meinte, doch zu ihrem Erstaunen nickte Bartôg eifrig. „Diesmal habe ich einen Teil der Geschichte sogar mitgebracht!“ sagte er und deutete auf Sara.

„Ja, wir haben da etwas von merkwürdigen Besuchern gehört, die aussehen sollen wie die Hohen Mächte! Ist das so ein Besucher?“

Wieder zeigte Bartôg sein schnelles Nicken. Nun meldete sich auch die andere Wache, die bisher geschwiegen hatte, zu Wort.

„Ulman hat so etwas erzählt!“ sagte der zweite Soldat. „Also, dann geht mal rauf zum Ältestenrat!“

Bartôg wandte sich zu Sara um und sagte: „Los, komm, der Ältestenrat sitzt gleich da oben!“

Bartôg zeigte eine Rampe hinauf, die ärgerlicherweise wieder geländerfrei war, aber auch glücklicherweise nicht jene schwindelerregenden Höhen erreichte wie jene, über die Sara zuvor gegangen war. Nach etwa zwanzig Metern endete sie schließlich an einem silbrig-braun schimmernden Vorgang, der einen Zugang verdeckte, welcher in einem kubusförmigen Gebäude verschwand. Es gab weder Insignien noch andere  Zeichen, die auf die Würde dieses Orten hinwiesen.

„Tritt einfach ein!“ sagte Bartôg zu Sara, als sie an dem Vorhang angekommen waren.

Sara nahm tief Luft und folgte dann der Anweisung des Techniksammlers.

Jenseits des Vorhanges lag ein kleiner Raum mit einer hohen Decke, in dessen Mitte ein Leuchtkristall von beachtlicher Größe stand. Um diesen herum zogen sich insgesamt fünf Steinbankreihen nach oben zur Decke hin, so dass an jeder Wand eine Art Sitzkaskade entstand. Auf diesen Plätzen saßen etwa zwanzig Paramirs, denen Sara auch ohne spezifisches anatomisches und physiologisches Wissen das hohe Alter ansah: Aus den Augen der Ratsmitglieder strahlte jene Art von Weisheit, die nur durch die Erfahrung eines gelebten Lebens erworben werden konnte. Außerdem stützte sich jeder zweite des Rates auf einen Stock.

„Seid gegrüßt!“ ergriff Bartôg das Wort und nickte in den Raum hinein. „Ihr kennt mich als Bartôg, den Techniksammler! Ich habe Euch einen Gast mitgebracht!“

Sara trat, als sie alle Blicke der Ältesten auf sich spürte, einen Schritt nach vorne.

„Ich grüße Euch ebenfalls! Mein Name ist Sara von Terra, und ich gehöre zu der Armee des Lichts, die hier mit ihrem Raumschiff gelandet ist!“

Wenn das, was Sara sagte, die Ältesten der Paramirs überraschte, so zeigten sie es nicht. Lediglich einer der Ratsmitglieder erhob sich langsam, stieg zwei Stufen herab und kam dann von dem jungen Mädchen von Terra zum Stehen.

„Wir haben erfahren, dass Wesen von Außerhalb Citadel besucht haben!“ sagte er mit einer sonoren Stimme. „Wo sind Deine Freunde?“

„Wir sind auf der Flucht vor den Robotern und Soldaten der Paramecs!“ erklärte Sara sofort. „Und wir möchten Euch um Hilfe bitten!“

Diesmal ging ein leises Raunen durch den Ältestenrat. Der Alte, der vor Sara stand, hob die Hand, und sofort verstummten die Laute. Er wandte sich wieder Sara zu.

„Du hast Dich uns vorgestellt, und ich möchte das gleiche tun!“ sagte er. „Ich bin Erkatir, der Sprecher des Ältestenrates der Paramirs! Ich stelle Dir eine Frage, Sara von Terra: Glaubst Du, wir – die Paramirs – würden hier auf diese Art und Weise leben, wenn wir in der Lage wären, gegen die Paramecs und die Hohen Mächte von Citadel vorzugehen?“

Sara hatte mit einer solchen Erwiderung gerechnet, dennoch wusste sie im Augenblick nicht, was sie sagen sollte, und sie wünschte sich, Cya wäre hier an ihrer Stelle; sie war überzeugt, dass die Kaiserin die richtigen Worte finden würde.

„Ich bin kein Stratege!“ sagte Sara. „Daher weiß ich nicht, was wir tun könnten, um die Paramecs und die Hohen Mächte zu überwinden!“

„Warum bist Du dann hier?“

„Weil ich mir sicher bin, dass meine Freunde sehr wohl wissen, wie man die Beherrscher von Citadel besiegen kann! Dass ich hier stehe, ist einem Unfall zu verdanken! Aber wenn wir meinen Freunden helfen würden…“

„Du hast gesagt, Deine Freunde sind auf der Flucht vor den Paramecs und ihren Robotern! Wir wissen von unseren Techniksammlern und Arbeitern, dass diese Flucht inzwischen zu einem Gefecht geworden ist! Deine Freunde kämpfen um ihr Leben!“

„Ja, das weiß ich!“ antwortete Sara, während ihr ein eiskalter Schauder den Rücken hinabrieselte, als sie daran dachte, dass die übrigen durchaus bereits getötet sein könnten. „Umso mehr brauchen sie Eure Hilfe!“

„Wir können nicht gegen die Paramecs kämpfen, denn wir sind zu schwach!“ erwiderte Erkatir.

Sara ahnte, dass sie auf diesem Wege nicht weiterkommen würde.

„Dann erlaubt mir, Einblicke in Eure alten Aufzeichnungen zu erhalten! Vielleicht hilft es, wenn wir mehr über Citadel und seine Vergangenheit erfahren!“

Ein neuerliches Raunen breitete sich aus. Einige Momente lang fixierte der Ältestenratsprecher Sara mit seinen Augen, dann nickte er.

„Ich spüre, dass ich Dir vertrauen kann! So folge mir!“

Hinter Erkatir rückten einige der Alten zur Seite, und der Sprecher des Rates aktivierte mit einem Druck auf einen rotglühenden Schalter neben der Kristallkugel einen Mechanismus, der einen Teil der Steinkaskade zur Seite fahren ließ. Dahinter kam ein schmaler Durchgang zum Vorschein, den Sara nach Erkatir betrat. Es folge ein etwa zehn Meter langer, von Dunkelheit beherrschter Flur, dann eröffnete sich dieser zu einem kleinen, kreisrunden Raum, in dessen Mitte ein einsames Terminal stand.

Erkatir deutete auf die Konsole und sagte: „Dies hier ist eines der wenigen Terminals, von dem man aus Zugriff auf nahezu alle Dateien von Citadel hat! Leider ist der Zugang nur passiver Natur, wir können nicht aktiv eingreifen! Die zentralen, alles kontrollierenden Terminals befinden sich in der Hand der Hohen Mächte von Citadel! Du möchtest etwas über unsere Geschichte erfahren?“

„So ist es!“ nickte Sara und trat einen weiteren Schritt auf den Terminal zu.

„Dann höre und lerne!“

Erkatir bewegte seine Hände über eine Oberfläche des Terminals, und kurz darauf hörte Sara eine tiefe Stimme, die ihr die Geschichte von Citadel erzählte…


*


…dies ist die Geschichte der Zitadelle der Unendlichkeit, aufgeschrieben und erzählt von Tsatos, dem Kosmischen Pilger, nach dem Kampf gegen und dem Sieg über die Schwarz-Generäle des Sternenmonsters Tethapol!

Der Kosmische Prinz und Hüter des Schattensternes hatte ein Imperium des Glücks und der Zufriedenheit in der Galaxis errichtet, vor einer ewig langen Zeit. Doch er wusste, dass seine Brüder, die jetzt seine Feinde waren wegen seines Verrates, ihn suchen und bekämpfen würden. Sie errichtete er drei Zentren der Macht in der Galaxis: Vom Obelisken der Macht aus regierte er das Imperium, aus der Kathedrale der Ewigkeit zog er die Kraft, zu regieren, und von der Zitadelle der Unendlichkeit her schützte er sein Regieren. Doch als den Sternenprinzen der Verrat des einstigen Bruders offenbar wurde, versteckte sich dieser und verbarg den Schattenstern. Ein Krieg überrollte die Galaxis, doch der Schattenstern blieb unentdeckt.

Nach einer friedlichen Zeit wurde erneut ein großer Krieg in die Galaxis getragen, denn die Schwarz-Generäle Tethapols verbreiteten Angst, Schrecken und Tod. Wir Pilger sahen uns berufen, zugunsten des Lebens einzugreifen, und so vertrieben wir die Schwarz-Generäle oder sperrten sie ein, und wir stießen auf jenen Plan, den der Hüter des Schattensterns gefasst hatte. Wir befanden ihn für richtig, und wir wollten zu seiner Erfüllung beitragen. Und so schenkten wir dem Herzen der Zitadelle die Kaskade der Unendlichkeit, und wir verbargen sie zusammen mit den beiden Völkern, die hier in Frieden miteinander lebten, in einer Enklave, auf dass sie erst wieder erscheinen möge, wenn sich der Plan des Prinzen seiner Erfüllung näherte.

Dann verließen wir Pilger die Zitadelle, doch unser Geist lebte in der Kaskade weiter, und in meinem Namen – im Namen Tsatos, des Kosmischen Pilgers – schrieb die Kaskade die Geschichte fort. Denn die Zitadelle blieb in der Enklave nicht verborgen: Ein riesiges Raumschiff namens Ephaxalontabir, das bedeutet Arche Eins, erreichte sie vor rund 150 000 Jahren, und die Wesen, die auf ihm waren, um eine neue Heimat zu finden, eroberten Citadel. Die Kaskade wurde ausgetrocknet, die zuvor friedlich miteinander lebenden Völker wurden gegeneinander aufgehetzt. Die Herrschaft über die Zitadelle lag nun in den Händen jener, die sich selbst die Hohen Mächte nannten. Dunkelheit hat Einzug in die Zitadelle erhalten.

Doch noch brennt ein letztes Licht der Hoffnung: Wenngleich es den Hohen Mächten gelungen ist, der Kaskade die Kontrolle über die Zitadelle zu entreißen, scheiterten sie doch daran, die endgültigen Herren zu werden, denn die zentrale Aufgabe der Kaskade besteht noch immer – wenn sich der Plan des Kosmischen Prinzen seiner Erfüllung nähert und die wahren Herren des Imperiums erscheinen, so wird die Kaskade alle Fesseln abschütteln und den Kämpfern des Lichts die bedingungslose Kontrolle über die Zitadelle der Unendlichkeit gewähren…“


*


…mit diesen Worten verstummte die Stimme, welche die Geschichte der Zitadelle der Unendlichkeit erzählt hatte, und Sara musste tief durchatmen, ehe sie ihren Gedanken gestattete, das Gehörte zu verarbeiten: Die Zitadelle – das wusste sie bereits – gehörte zu den Hinterlassenschaften jenes mystischen Ersten Schattenimperiums. Dann war von Kosmischen Prinzen und Pilgern die Rede, doch das Mädchen von Terra wusste nicht, was es davon halten sollte. Viel wichtiger erschien ihr die letzte Information: Eine geheimnisvolle Kaskade, die von den Hohen Mächten von Citadel ausgeschaltet worden war, sei noch immer in der Lage, die Herrschaft über die Zitadelle den jetzigen Beherrschern zu entreißen, wenn die „Kämpfer des Lichts“, die „wahren Herren des Imperiums“ erschienen.

Sie sog die Luft tief in ihre Lungen und sagte dann: „Erkatir, höre mir gut zu! Jene Kämpfer des Lichts, die als die „wahren Herren des Imperiums“ gelten, sind wir – die Armee des Lichts! Das Imperium, von dem die Stimme erzählte, existiert außerhalb der Enklave noch immer, und in meiner Begleitung befinden sich neben anderen die Kaiserin dieses Imperiums und ihre Hohepriesterin!“

Sekunden des Schweigens vergingen, und in Saras Gedanken wirbelten die verschiedensten Reaktionen des Ältesten antizipiert durcheinander, getragen von der Hoffnung auf Hilfe.

Und ihre Hoffnung täuschte sie nicht: Nach einer schier endlosen Zeit nickte Erkatir langsam.

„Ich glaube Dir! Die Entscheidung ist soeben gefallen – wir helfen Euch! Wir helfen Euch, die Kaskade der Unendlichkeit zu erreichen!“

Sara gönnte sich keine Sekunde, den Triumph der Situation auszukosten, sondern fragte: „Wo liegt diese Kaskade?“

„Im Herzen von Citadel, im ureigensten Bereich der Hohen Mächte!“

„Dann müssen wir zunächst meinen Freunden helfen!“

„Das werden wir! Es gibt seit Jahrhunderten einen Plan der Rebellion gegen die Hohen Mächte, doch wir wussten, dass wir mit seiner Initiierung warten müssten, bis uns das richtige Zeichen gegeben wird! Ich bin jetzt davon überzeugt, dass Du dieses Zeichen bist! Folge mir! In wenigen Augenblicken wird der Befreiungskampf der Paramirs gegen die Hohen Mächte von Citadel beginnen!“


*


Die Niederlage schmeckte bitter, zumal sie in einem Moment zu ihnen gekommen war, in dem sie nicht damit gerechnet hatten. A’eron, Elexi’ael, Cya, Zentaya und Mercurion standen, ihrer aktiven und passiven Verteidigung beraubt, noch immer inmitten des Containergebirges in der riesigen Lagerhalle, und noch immer waren unzählige Strahlengewehre auf sie gerichtet, bereit, aus ihren Körpern Energie und leblose Materie zu machen.

Die Paramec-Königin Ta-Ai-Lar sagte leise etwas zu Katango, der daraufhin einigen seiner Soldaten einen Wink gab, gleichzeitig setzte er sich selbst in Richtung der Gefangenen in Bewegung. Die gestisch angewiesenen Paramecs eilten schnellen Schrittes dem gleichen Ziel entgegen, und als sie bei der Armee des Lichts angelangt waren, rissen sie ihnen mit brutaler Gewalt die Waffen aus den Händen.

Von diesem Augenblick an ging es rasend schnell.

Im ersten Moment glaubte Elexi’ael, der auf sie zukommende Katango hätte innerlich angefangen zu brennen – Flammen schlugen aus seiner martialischen Uniform, brachen sich Bahn aus seinen Augen, seinen Ohren, seiner Nase. Dann gab es einen dumpfen Knall, und der Kopf des Soldaten verging in einer grellen Explosion. Leblos fiel der glühende Körper auf den Boden. Im Nachhinein erst war Lex’ klar, dass all die Eindrücke, die er wahrgenommen hatte, eigentlich im Bruchteil einer Sekunde auf ihn eingestürmt waren, doch er hatte keine Erklärung dafür, weswegen er den Tod des Soldaten in dieser quälenden Langsamkeit und Detailliertheit hatte wahrnehmen müssen.

Als die Leiche Katangos den Boden berührte, war es, als sei dieser Kontakt katalytisch, denn im gleichen Moment brach sich eine wahre Hölle um die Armee des Lichts und ihre Gegner Bahn. Begleitet von Geschrei, Gebrülle, Befehlen und dem Klang der Todesfurcht, schlugen aus allen Ecken Energiestrahlen in Container und in die Körper Todgeweihter. Panisch und chaotisch rissen die Paramecs, denen der Angriff offenbar galt, ihre Waffen nach oben, doch noch ehe sie auch nur ein Ziel erkennen konnten, hatten die meisten bereits ihr Leben verloren.

Die Armee des Lichts hatte schneller reagiert und sich hinter dem Kistenstapel, in welchem A’eron das Chronometer gefunden hatte, in Deckung gebracht; ihre Waffen allerdings lagen noch bei den toten Paramecs, welche sie ihnen aufgenommen hatten kurz vor ihrem Ende. So kam es, dass die fünf Flüchtigen das Gemetzel zwar miterleben mussten,  jedoch keinen aktiven Anteil daran hatten.

Es ging alles rasend schnell: Die geheimnisvollen Angreifer schalteten innerhalb weniger Minuten nicht nur alle Paramec-Soldaten, sondern auch die Roboter mit gezielten Schüssen aus, ohne selbst in Erscheinung zu treten. Einer der Strahlen, die aus dem Nichts zu kommen schienen, traf schließlich auch Königin Ta-Ai-Lar, die mit einem lautlosen Seufzer aus ihrem schreckensverzerrten Mund zu Boden glitt und leblos liegenblieb.

Dann kehrte Stille ein.

„Das war nicht nötig!“ sagte Cya mit eiskalter Stimme und einem langen Blick auf die Leiche der Königin. „Sie allein hätte keine Gefahr dargestellt! Sie war nicht einmal ernstzunehmend bewaffnet!“

Alle Mitglieder der Armee des Lichts, die bislang in Deckung gegangen waren, erhoben sich und sahen sich in dem Raum um. Und sie sahen ihre Retter auf sie zueilen – es waren Paramirs.

„Seid gegrüßt!“ sagte einer der kleinen Wesen zu Cya, die sich vor die übrigen gestellt hatte. „Ich bin Ihôg!“

„Ihr habt uns gerettet! Ich danke Euch dafür!“ erwiderte Cya. „Wie habt Ihr das gemacht?“

Tatsächlich war es höchst verwunderlich, dass die Paramirs gegen die zahlreichen Paramecs und Roboter gesiegt hatten – denn wenn Lex’, A’eron, Mercurion, Zentaya und Cya eine Armee erwartet hatten, so waren sie enttäuscht worden: Gerade einmal sieben Paramirs – allesamt unbewaffnet – standen vor ihnen.

„Nun, wir sind Technik-Sammler, und daher kennen wir uns ein wenig mit den Geräten dieser Halle aus! Es ist uns gelungen, die Schwerkraftprojektoren so zu modifizieren, dass sie die Energie, die sonst zum Befördern von Containern eingesetzt wird, in Form von Semi-Materie auf die Feinde schleuderten!“

Cya wandte den Kopf kurz zu A’eron, der nickend bestätigte, dass ihm das Prinzip bekannt war.

„Und wie kommt es, dass Ihr Euch gegen die Paramecs auflehnt?“ fragte die Kaiserin anschließend.

Ihôg machte eine Geste des Stolzes.

„Unser Rat hat die Rebellion ausgerufen! Wir werden gemeinsam mit Euch gegen die Hohen Mächte kämpfen! Citadel muss endlich wieder frei sein!“

„Zwei Rebellionen in kurzer Zeit!“ flüsterte Elexi’ael stirnrunzelnd. „An einer sind wir selbst zu Grunde gegangen, die andere soll uns noch auf dem Weg zurück ins Licht helfen!“

„Womit bewiesen wäre, dass mal wieder alles auf den Standpunkt ankommt!“ ergänzte Cya.

 

*


Die Hierarchie der Hohen Mächte, die den Ort Citadel kontrollierten, war primär davon geprägt, dass nahezu die gesamte Macht in den Händen zweier Personen lag, die ihre Herrschaft am Ende ihres Lebens an zwei von ihnen ausgewählten Mitglieder ihres Volkes weitergaben, und da es noch nie vorgekommen war, dass beide Gemini-Monarchen gleichzeitig gestorben waren, hatte dieses System niemals das Bedürfnis entwickelt, reformiert zu werden.

Von den drei Volksgruppen, welche die Zitadelle der Unendlichkeit bevölkerten, waren die Hohen Mächte zwar einerseits zahlenmäßig die geringste, andererseits aber technisch die fortgeschrittenste, was bedeutete, dass sie Zugang zu den Geräten im Zentrumsbereich der Zitadelle hatte, die den übrigen Völkern verborgen war. Durch ihre Manipulation wurde auch der schier ewige Konflikt der beiden anderen Bewohner von Citadel aufrechterhalten, und nicht zuletzt anhand des Vorbildes der Gemini-Monarchen konstituierte sich das scheinbar absolute Herrschaftsprinzip der Königin der Paramecs.

Neben den Gemini-Monarchen regierte darüber hinaus ein Beamten- und Administratorenapparat, der die Verwaltung dieses beinahe monströsen Systems organisierte und ausführte, und auch dieser stand im Grunde genommen unter der Kontrolle der beiden Monarchen; andererseits hatte ein Großteil dieses Apparates sich im Laufe der Jahrtausende institutionalisiert und hielt sich nun selbst am Leben. Nur dieser Tatsache war es zu verdanken, dass die Gemini-Monarchen trotz ihres Gesandten bei den Paramecs erst nach einer relativen Ewigkeit von dem Eindringen der Armee des Lichts erfuhren, und zwar ungefähr zu dem Zeitpunkt, zu welchem Cya, A’eron, Lex’, Mercurion, Zentaya und Sara die Flucht aus ihrer Zelle gelang. Augenblicklich forderten die beiden Herrscher, dass man die Paramecs benachrichtigen und ihnen den Befehl erteilen sollte, diese geheimnisvollen Fremden ins Zentrum von Citadel und eben zu den Gemini-Monarchen zu bringen, doch als Ziamath, mit dieser Anweisung betraut, die Königin Ta-Ai-Lar erreichte, konnten diese ihm nur von dem Entkommen der Gefangenen berichten. Dies freilich missfiel den Gemini-Monarchen, deren Neugier sich schlagartig in Furcht vor Entmachtung wandelte, denn es schien klar, dass von diesen Personen, die selbst den militanten Paramecs entkommen konnten, eine Gefahr ausging, welche die latente Bedrohung eines Aufstandes der Paramirs bei weitem überschritt. So war es keineswegs erstaunlich, dass die Gemini-Monarchen beschlossen, eine Notstandsverordnung in Kraft zu setzen, die ihnen den direkten Zugriff auf die militärischen Einrichtungen von Citadel erlaubte, um den Eindringlingen habhaft zu werden. Ein Bestandteil dieser Einrichtungen waren jene Roboter, welche die Armee des Lichts angegriffen hatten und zurückgeschlagen wurden – ein Vorgang, der von den beiden Gemini-Monarchen permanent überwacht worden war.

Die beiden Regierenden waren in ihrem Thronsaal, dessen silbrige Wände über und über mit allen technischen Geräten bedeckt waren, die sich im Laufe der Jahrtausende dahingehend bewährt hatten, die Herrschaft des Systems aufrecht zu erhalten; in erster Linie handelte es sich dabei um allerlei Überwachungsgerät, aber auch um technische und (eingeschränkt) psyonische Angriffs- und Verteidigungsinstrumentarien.

Die Gemini-Monarchen selbst saßen auf ihren (mehrfach von Schutzschirmen umhüllten) Kommandosesseln und überwachten das Geschehen: Die rechts sitzende Ramiquai hatte schwarze, glatte Haare, welche um ihr ebenmäßiges Gesicht fielen, aus dem zwei dunkle Augen im Moment voller Wut auf die Projektionsflächen blickten. Zu ihrer Linken saß Tematokler, dessen weiches, ausdrucksloses Gesicht augenblicklich von einem Induktionshelm teilweise verdeckt wurde, unter dem einige Büschel rotbraunen Haares hervorstachen.

Abgesehen von den obligatorischen Roboterwachen war der Thronsaal darüber hinaus leer.

“Unsere Roboter versagen!” stellte Ramiquai zum wiederholten Male fest. “Sie kommen gegen diese Eindringlinge nicht an!”

„Und die Paramecs versagen auch!“ bestätigte Tematokler nickend. „Man lässt uns wissen, dass das militärische Oberkommando ein weiteres Vorgehen dieser Art für nicht sinnvoll hält!“

„Das ist es ja auch nicht! Wie sieht es in den Randbezirken aus?“

Einige Sekunden vergingen, ehe der Gemini-Monarch die entsprechenden Informationen abgerufen hatte. „Unverändert! Die Energiefelder und –entladungen der Paramirs halten unsere Truppen weiterhin auf!“

In einem plötzlichen Anfall von Wut schlug Ramiquai in das Projektionsfeld, das sich blitzend und zuckend auflöste; doch die Gemini-Monarchin gab sich nur einige wenige Sekunden den über sie hereinbrechenden Schmerzen hin, dann zog sie die Hand zurück. Sofort baute sich das Feld von Neuem auf, zeigte jedoch weiterhin nur den Verlust an Einheiten der Hohen Mächte von Citadel.

„Verdammt!“ fluchte Ramiquai. „Wir werden verlieren! Die Zeit der Hohen Mächte ist vorbei!“

„Unsinn!“ widersprach Tematokler. „Die Zeit der Hohen Mächte endet niemals! So war es, und so wird es immer sein!“

„Leere Formeln!“ schrie die schlanke, unbeherrschte Frau und sprang aus ihrem Sessel. „Floskeln und Redewendungen, auswendig gelernt und aufgesagt! Sieh es Dir doch an! Unsere Einheiten versagen! Sie versagen und gehen zu Grunde, und wir mit ihnen!“

„Die Hohen Mächte gehen niemals unter!“ wiederholte Tematokler stupide; diesen Satz hatte er von Geburt an gelernt, und im Gegensatz zu Ramiquai kam er nicht auf den Gedanken, dass er unwahr sein könnte. In seinem Kopf hatten sich zwei völlig voneinander getrennte Wahrheiten konstruiert – einerseits die Wahrheit, dass die Hohen Mächte herrschten und nicht untergingen, andererseits die Wahrheit, dass der Angriff der fremden Eindringlinge nach und nach zur Vernichtung der eigenen Kampfeinheiten führte. Dass sich beide Wahrheiten gegenseitig ausschlossen, erkannte sein degenerierter Verstand nicht.

Ramiquai wusste es besser; ihr war klar, dass inzwischen nur noch ein völliges Umkippen des Kampfgeschehens, das einem Wunder gleichkäme, zu einem Sieg der Hohen Mächte führen könne. Die Situation schien unausweichlich: Selbst wenn die Eindringlinge besiegt werden könnten, würden die rebellierenden Paramirs doch schlussendlich so sehr aus dieser Situation profitieren, dass die Macht der Paramecs und mit ihnen die der Hohen Mächte zu Grunde gehen würde. Und selbst wenn die Gemini-Monarchin diese Zusammenhänge nicht bewusst nachvollziehen konnte, so ahnte sie doch die tatsächliche Wahrheit – dass die Herrschaft der Hohen Mächte in Citadel, die seit Jahrtausenden weder auf Vernunft noch auf Autorität, sondern nur aus der Undurchsichtigkeit des Gesamtsystems beruhte, dadurch zu Fall gebracht werden würde, dass es eben das Gesamtsystem war, das diese Erschütterung seiner Grundgefüge nicht zu kompensieren vermögen würde.

„Was könnten sie wollen? Warum sind sie hier?“ fragte Ramiquai laut in den Raum hinein. „Sind es die Herren von Arche Eins, die zurückgekommen sind?“

„Wenn es die Herren von Arche Eins sind, dann gibt es nur eines, was sie wollen!“ folgerte Tematokler, die Frage der Monarchin als Tatsache wahrnehmend. „Sie wollen zur Kaskade!“

Ramiquai fuhr erschrocken herum; Panik blitzte aus ihren Augen, und mit den scharfen Fingernägeln der rechten Hand riss sie die Haut an ihrem linken Handgelenk auf, dass kleine Ströme roten Blutes flossen und ihr silbernes Kleid befleckten.

„Die Kaskade der Unendlichkeit?“ flüsterte sie. „Der verbotene Ort? Du meinst, sie sind…“

Sie unterbrach sich, denn sie wagte es nicht, den Gedanken auszusprechen, der über Jahrtausende wie ein Schatten über den Hohen Mächten gehangen hatte.

Tematokler beendete ihren Satz. „Sie sind die Armee des Lichts!“

Daraufhin brach in ihr der letzte Damm, und ein endloser Schrei drang aus ihrem Mund und erfüllte den Thronsaal.


*


Die Rebellion der Paramirs hatte binnen kürzester Zeit nahezu jegliche Ordnung in der Zitadelle der Unendlichkeit beseitigt. Dabei waren die eigentlichen Diener in Citadel mit unglaublichem Einfallsreichtum und einer faszinierenden Raffinesse vorgegangen – in den wenigsten Fällen setzten sie einfache Strahlen- oder Projektilwaffen ein, denn gerade auf diesem Gebiet waren die Hohen Mächte, die Paramecs und ihre Roboter den kleinen Geschöpfen aus den Randgebieten hoffnungslos überlegen. Die Paramirs setzten auf ihre Stärken, und die waren – durch Jahrhunderte langen Zwang seitens der Hohen Mächte kultiviert – technische Alltags- und Industriegeräte. Kein Mitglied der Armee des Lichts vermochte zu sagen, wie lange schon heimliche Vorbereitungen für diesen Tag getroffen worden waren, doch eines war sicher: Die Planungen trugen Früchte. Immer wieder wurden Roboter und Soldaten von plötzlich in den Fluren entstehenden Energiefeldern aufgehalten oder vernichtet. Immer wieder brachen in den Industrie- und Fertigungshallen Maschinen zusammen, begruben die Wachen unter sich, oder ergossen sich heiße Schmelzen über den Feind. Immer wieder gingen defekt geglaubte Sicherheitssysteme plötzlich in Betrieb und schossen ihre tödlichen Strahlen auf die Paramecs und ihre Roboter.

Das Maß an Brutalität war erschreckend, doch eines musste man den Paramirs zu Gute halten: Sie griffen keine Zivilbevölkerung an – alle urbanen Zentren sowohl der Paramecs wie auch der Hohen Mächte blieben verschont.

Cya, Mercurion, Zentaya, A’eron und Elexi’ael wurden nach ihrer Befreiung von Ihôg zum Ältestenrat der Paramirs gebracht, wo ihnen eine verloren gegangene Freundin freudig entgegenstrahlte.

„Sara!“ rief A’eron sichtlich erleichtert, als er das junge Mädchen von der Erde erblickte. „Was ist denn geschehen?“

„Ich bin in einen Wartungsschacht gefallen, und dort hat mich Bartôg gefunden!“ antwortete Sara und lächelte ebenfalls.

„Dann bist Du der Grund dafür, dass die Paramirs nun doch gegen die Paramecs und die Hohen Mächte vorgehen?“ vermutete Cya, und als Sara nickte, schenkte ihr die Kaiserin ein kurzes Lachen. „Na, da sage ich nur: Gut gemacht!“

„Haben wir die Zeit, dass Du uns erzählst, was geschehen ist?“ fragte Elexi’ael mit einem Seitenblick auf Cya; diese nickte, fügte aber hinzu: „Wenn es nicht zu lange dauert, können wir sicherlich die Zeit entbehren!“

So berichtete Sara von ihrem Sturz, ihrer Begegnung mit dem Techniksammler sowie dem Besuch beim Ältestenrat; auch das, was sie über die Geschichte der Zitadelle erfahren hatte, teilte sie ihren Freunden mit.

„Das ist eine mehr als interessante Information!“ kommentierte Elexi’ael anschließend ihren Bericht. „Das heißt, wir könnten alle Kämpfe recht schnell beenden, wenn es uns gelingt, diese Kaskade der Unendlichkeit zu aktivieren!“

„Das sehe ich ebenso!“ nickte Cya.

„Unser Hauptziel ist es demnach, diese zu erreichen! Wo befindet sie sich?“

Nun mischte sich auch Erkatir, der Älteste der Paramirs, in das Gespräch ein, dem er bislang als schweigender Zuhörer gefolgt war.

„Es gibt im Zentrum der Zitadelle – dort, wo die Stadt der Hohen Mächte liegt – einen für alle Verbotenen Raum, und dort soll sich die Kaskade der Unendlichkeit befinden!“

A’eron verzog das Gesicht.

„Das bedeutet, dass wir uns doch durch die Horden der Gegner kämpfen müssen, denn sicherlich ist gerade die Stadt der Hohen Mächte bis zum äußersten verteidigt!“

„Nun, es gibt noch andere Optionen!“ fuhr Erkatir fort. „Erstens ist in wenigen Momenten unser geheimes Roboterheer einsatzbereit…“

„Ihr habt hier ein Roboterheer?“ entfuhr es A’eron. „Wieso … ich meine, warum habt Ihr das nicht schon lange in Marsch gesetzt?“

„Es hat einige Zeit gedauert, bis wir die Roboter reaktivieren konnten!“ erwiderte der Älteste beinahe entschuldigend. „Immerhin handelt es sich dabei nicht um neugefertigte Modelle, sondern um von uns reparierte Einheiten, die von den Paramecs als defekt entsorgt worden waren! Wir haben sie aus den Mülldeponien und Recyclinganlagen gestohlen und deponiert!“

„Du hast noch eine weitere Option angedeutet!“ erinnerte ihn Cya, während sie ihn mit konzentriert zusammengekniffenen Augen fixierte.

„Ja, in der Tat!“ nickte Erkatir. „Die Hohen Mächte kontrollieren die Zitadelle mittels eines Zentralcomputers, der freilich gut bewacht ist! Dieser Computer wurde schon vor Urzeiten installiert, ist aber nach wie vor in Betrieb. Wenn es uns gelingt, diesen auszuschalten, fallen nicht nur die Roboter der Gegner aus, sondern auch deren gesamte Infrastruktur bricht zusammen!“

Cya entschied kurzerhand in der ihr gewohnten Weise.

„Mercurion, Du hast vermutlich die meiste Ahnung von Computern! Du wirst den Paramirs helfen, diesen Zentralcomputer auszuschalten! Sara wird Dich begleiten!“

Das junge Mädchen von der Erde blickte die Kaiserin fragend an, diese antwortete auf die stumme Frage: „Da, wo wir hingehen, wird vermutlich mehr geschossen und gekämpft werden!“

Dieses Argument genügte, um Sara von dem Plan zu überzeugen, doch Cya war noch nicht fertig; sie wandte sich an Zentaya: „Dich bitte ich dennoch, uns zu begleiten! Wir wissen nicht, inwiefern die Zitadelle der Unendlichkeit verwoben ist in den Komplex Orakel, Schattenstern, Myra, und so weiter! Lex’ kennt sich in dieser Thematik zwar exzellent aus, ist letztendlich aber nicht in irgendeiner Form autorisiert! Deshalb wäre es mir lieb, wenn die Hohepriesterin des Imperiums bei uns wäre, sollte die kaiserliche Gewalt nicht ausreichen!“

Auch Zentaya beugte sich den Argumenten Cyas, und so galt der Plan als beschlossen: Mercurion und Sara würden mit den Paramirs versuchen, den Zentralcomputer der Hohen Mächte zu deaktivieren, das Ziel der übrigen war das Eindringen in die Stadt der Hohen Mächte sowie das Finden der geheimnisvollen Kaskade der Unendlichkeit.

„Kennt Ihr denn den Weg zu diesem Zentralcomputer?“ fragte Mercurion den Ältesten.

„Wir wissen ungefähr, wo er sich befindet! Sollen wir Dich hinführen?“

„Ja, tut das!“ nickte Mercurion, seufzte dann vernehmlich. „Für Computermanipulationen wäre eigentlich Pox viel geeigneter als ich! Ich frage mich, was er gerade macht!“

 






















 

14. Kapitel

Der Orden der Geretteten


Pox musste sich und seinem neuen Verbündeten, dem Geschwaderkapitän Santa Bosz, eingestehen, dass auch seine Fähigkeiten der informations- und kommunikationstechnischen Manipulation begrenzt waren, denn trotz aller Bemühungen gelang es ihm nicht, ihnen beiden Flugtickets zu besorgen, die sie noch in der selben Nacht vom Planeten Zenit wegbringen würden. Nichtsdestotrotz konnte es durchaus bereits als Erfolg betrachtet werden, dass sie zwei Plätze in einem Passagierraumer buchen konnten, der in den frühen Morgenstunden aufbrach, und zwar zum Planeten Ixterc, auf welchem sich die imperial-galaktische Edelmetallbörse befand, und von dort würde es – wenn das, was man in den Medien hörte, der Wahrheit entsprach – ungleich einfacher werden, eine Passage nach Terabial zu bekommen.

Die beiden Ermittler verbrachten die restliche Zeit unterschiedlich: Während Pox weiterhin versuchte, Informationen allgemeiner Natur zu akquirieren, zog sich Bosz in das von ihm gemietete Hotelzimmer zurück, um noch ein paar Stunden zu schlafen. Der Roboter konnte bei seinem sensorischen Stadtrundgang unter anderem sehen, wie einige Polizisten, begleitet von rot-schwarz-gekleideten Flammenkindern der Cahaizo, das Wohngebäude betraten, in welchem Ishabischu gelebt hatte; wenig später verließen sie es mit einem großen Paket, das keinen Rückschluss auf seinen Inhalt zuließ, obwohl sich Pox sicher war, dass sich darin die Leiche des ehemaligen Kapitäns und Verräters befand.

Was mit dem Leichnam passieren würde, kam vermutlich niemals ans Tageslicht.

Zur verabredeten Zeit begab sich Pox zum angegebenen Hotel, traf dort auf den bereits wartenden Santa Bosz und fuhr mit ihm, diesmal per Transportröhre, zum ein wenig außerhalb der Stadt liegenden Raumhafen.

Man bekam, ähnlich wie bei der Bahnstation von Imperia, den eigentlichen Raumhafen als Reisender niemals von außen zu Gesicht: Über ein unterirdisches System von Wegen und Räumen voller Sicherheitssystemen, die eindeutig jetzt von den auch hier allgegenwärtigen Cahaizo für ihre Zwecke benutzt wurden, gelangte man in den Wartebereich für das jeweilige Raumschiff. Pox’ und Bosz’ Scheinidentitäten, mit welchen sie an die Tickets gekommen waren, hielten der Überprüfung seitens der Rebellen stand – vermutlich legte man ohnehin mehr Wert auf die Kontrolle bei der Ein- als bei der Abreise von Zenit. Um gänzlich unverdächtig zu wirken, nannten die beiden verdeckten Ermittler darüber hinaus nicht ihr wahres Endziel, sondern gaben einen randimperialen Planeten als ihr Reiseende an: Die Nennung des Planeten Terabial, die Hauptwelt der Cahaizo, hätte vielleicht Verdacht erweckt, obwohl, wie Pox festgestellt hatte, dieser Planet nach wie vor für Reisende offen war: Die Cahaizo hatten sich noch nicht öffentlich zu ihrer Ursprungswelt bekannt.

Im Passagierflugzeug wies ihnen der robotische Steward ihre Plätze zu; Pox war einer der wenigen, aber nicht der einzige Roboter an Bord, der nicht als Flacht deklariert worden war.

Bis zum Start des Raumers vergingen weitere zehn Minuten, dann zeigte das Vibrieren des Schiffes an, dass die Atmosphärentriebwerke gezündet wurden, und wenig später hob das Schiff ab, verließ den Start- und Landeschacht. Nun konnte man einen kurzen Blick auf den gewaltigen Komplex des Raumhafens von Zenit City werfen, doch verschwand dieser recht schnell unter dem in rasender Geschwindigkeit dem freien Weltraum entgegenstrebenden Passagierraumer.

Sterne umgaben das Raumschiff, doch die meisten Fluggäste waren bereits so oft interstellar gereist, dass sie das Bild nicht mehr beeindruckte; sie widmeten sich ihren Sitz- und Gesprächspartnern, ihren Lektüren oder den Informationsterminals vor ihren Sitzen. Auch Kapitän Santa Bosz und Pox beschlossen stillschweigend, über die offiziellen Nachrichtenkanäle weitere Informationen einzuholen, und so aktivierten sie den statischen Monitor im Sitz ihres Vordermannes.

Mehrere neue Sender waren zu den unzähligen bisher existierenden hinzugekommen, und ihre Ausrichtung war zweifelsfrei pro-rebellisch, doch auch einige der übrigen waren – ob aus Überzeugung oder Zwang war nicht erkennbar – zu den neuen Herren des Imperiums übergeschwenkt. Es gab zahlreiche Meldungen, die sich vor allem darum bemühten, die Rebellion nachträglich zu rechtfertigen, indem Mängel und Fehler der Vorgängerregierung aufgezeigt wurden, und die außerdem versuchten, den Triumph der Revolutionäre herauszustellen. Zusätzlich liefen am unteren Bildrand galaktonavigatorische Informationen in Schriftzeichen entlang. So konnte Pox erfahren, dass im Kontext Raumfahrt noch immer jenes beunruhigende Maß an Unsicherheit herrschte, dass vor einiger Zeit aufgetreten war und zugenommen hatte: Unvorhersehbare Asteroidenschauer und merkwürdige Gravitationsphänomene wechselten sich ab, und immer wieder wurde darauf hingewiesen, dass der stellare Bereich um das Sieben-Sonnen-System für den Raumverkehr gesperrt sei, da sich anscheinend die Kumulation der unerklärliche Prozesse hier abspielte. Das erinnerte Pox daran, dass er in der Kommandozentrale des Obelisken eine Kommunikationsbotschaft des geheimnisvollen General das Zweiten Lebens miterlebt hatte, der augenblicklich sich im Sieben-Sonnen-System befand und weitere Schiffe angefordert hatte. Entweder wusste er demnach, was dort vor sich ging und erhöhte durch Flottenverlegungen die eigene Sicherheit, oder er stand ebenso vor einem Rätsel. In jedem Fall schien sich im System der Sieben Sonnen etwas Bedeutsames abzuspielen.


*


Terabial war die zweite Welt eines Riesenplanetensystems, in welchem sich 129 Himmelskörper unterschiedlichster Größe um die Sonne Bialis bewegten. Das weiße Licht, welches dieser Stern aussandte, brauchte 282366, 6 Sekunden, bis es den äußersten Planeten erreichte, also rund 80 Stunden. Trotz dieser enormen Ausdehnungen war nur Planet 2, also Terabial selbst, besiedelt, und zwar ursprünglich von einem Volk namens T’bazi, das jedoch ausschließlich in Form von Ruinen und Relikten auf sich aufmerksam gemacht hatte – es war bereits vor Tausenden von Jahren wenn auch nicht ausgestorben, so doch ausgewandert: Die klimatischen Verhältnisse auf Terabial hatten sich einst derart gewandelt, dass die Insektoiden gezwungen waren, sich einen anderen Planeten als Heimat zu wählen. Dies war umso bedauerlicher, als dass es auf dem Ursprungsplaneten faszinierende Bauwerke errichtet hatte. Wie so viele andere Völker in der Galaxis auch, die aufgrund ungünstiger Umstände und eines widrigen Schicksals gezwungen worden waren, ihre Heimatwelt aufzugeben, waren in den folgenden Jahren auch die T’bazi niemals wieder richtig heimisch und sesshaft geworden, so dass sie nun ein dezentralisiertes Leben überall in der Galaxis führten.

Nichtsdestotrotz wäre es falsch gewesen, Terabial als tote und verlassene Welt zu bezeichnen (auch ohne das Wissen von Pox’ und Santa Bosz über die Geretteten), denn es gab einige Städte auf dieser Welt, die vor allem von Glücksuchenden sowie von Archäologen bewohnt waren. Darüber hinaus gab es da noch jene florierende Industrie auf der nördlichen Hemisphäre des Planeten, die sich vor allem um das gewaltige Werk der Quantex-Kooperation scharrte; letzteres wies inzwischen die Größe eines kleinen Staates auf und produzierte allein 46% des gesamtplanetaren Bruttosozialproduktes. Es gab auf dem weiträumigen Gelände Industrien und Dienstleistungen fast jeder Sparte, die jedoch allesamt ausschließlich dem Kernunternehmen zuarbeiteten, und dieses wiederum war auf spezielle Hoch- und Höchstenergie-Chemikalien spezialisiert, hatte folglich in den letzten Jahren enorm vom Netzbau profitiert. Pox, der bereits recht früh im Zuge seiner Ermittlungen auf dieses Unternehmen gestoßen war und dadurch gleichsam einen Hinweis auf die Welt Terabial erhalten hatte (das Quantex-Werk gehörte zu einem der wenigen Unternehmen, die in der Lage waren, Beonzodoran herzustellen), musste nach einer Planungsrechnung zugeben, dass ein Besuch in diesem Moloch von Unternehmen keinen Sinn machen würde, obwohl es nun als gesichert gelten konnte, dass das Beonzodoran, welches die Explosion im Obelisken verursacht hatte, von hier stammte: Die gesamte Kooperation war viel zu groß und damit viel zu komplex, um in Kürze durchsucht zu werden, und selbst wenn es gelänge, den genauen Weg des Sprengmittels von Zenit nach Terabial zurückzuverfolgen, waren doch viel zu viele Personen und Institutionen involviert, als dass sich hier effektiv nutzbare Ansatzpunkte hätten finden lassen.

So konzentrierten sich der Roboter und sein Partner Bosz darauf, zu jenen in einem Schreiben der Cahaizo erwähnten Axares-Ruinen zu gelangen, die laut Karte relativ äquatorial lagen.

Die Reise hatte einige Tage gedauert: Von ihrem ersten Stopp auf Ixterc aus führte ihr weiterer Weg auf einem deutlich kleineren Raumer zum Mega-Mond Anymet-Bes, der einen größeren Verteilerraumhafen für den Zielsektor Terabials beherbergte, und nach einer eintätigen Pause auf dieser Welt, die ohne besondere Vorkommnisse verstrich, buchten die beiden Ermittler eine Passage auf einem Schiff, welches sie ins Bialissystem brachte.

Terabial präsentierte sich aus dem Weltraum als braune, trocken und wasserarm wirkende Welt; es gab wohl einen relativ kleinen Ozean, doch selbst dessen Wasser besaß die gleiche ockerfarbene Färbung wie auch der Sandboden des Planeten.

„Das sieht irgendwie nicht sehr einladend aus!“ stellte Santa Bosz fest, der wieder einmal am Fenster saß, während Pox neben ihm hockte.

Der Roboter überging den Beitrag des Kapitäns und sagte: „Wir werden auf dem Raumhafen der Quantex-Kooperation landen, der zugleich als ziviler Hafen fungiert! Von dort aus müssen wir mit einem planetaren Gleiter zu der Stadt Tedeliath fliegen! Es handelt sich dabei um die den Axares-Ruinen nächstliegende Siedlung!“

Santa Bosz nickte nur und warf einen neuerlichen Blick aus dem Fenster des Raumschiffes, das nun fast komplett von dem trostlosen Braun Terabials erfüllt war; Pox stufte die Kommunikation als beendet ein und rechnete erneut die bekannten Daten durch, indem er sein freies Assoziationsprogramm zwischenschaltete, um eventuell neue, unkonventionelle Schlussfolgerungen ziehen zu können, allerdings ohne Erfolg. Bezeichnenderweise kehrten seine internen Kalkulationen dabei immer wieder zu seinem Herrn, Mercurion Tallur, über dessen Verbleib er nach wie vor keine Informationen besaß, und nicht zum ersten Mal rückte in seiner internen Prioritätenliste das Beschaffen von Nachrichten über den ehemaligen Händler einen weiteren Schritt nach oben.


*


Mercurion Tallur saß in den Randbezirken von Citadel, wie die Bewohner der Zitadelle der Unendlichkeit ihre Heimat nannten, dachte nicht zum ersten Mal an seinen Robotergehilfen Pox und fragte sich, was dieser jetzt im Augenblick wohl tat; in Anbetracht der Tatsache, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit noch im Obelisken weilte, der vom Feind besetzt war, machte sich der ehemalige Händler und Schmuggler nicht wenige Sorgen um ihn.

Dann zwang ihn eine helle Stimme in die Gegenwart zurück.

„Es gibt einen alten, schon lange nicht benutzten Wartungsschacht!“ erläuterte Bartôg, der von Erkatir das Kommando über den Trupp ‚Spezialeinheit Zentralcomputer’ übertragen bekommen hatte. Er selbst, Mercurion, Sara und elf weitere Paramirs saßen in einem kleinen Raum, in dessen Mitte ein Lageplanhologramm der Zitadelle der Unendlichkeit projiziert war. „Der Eingang zu diesem Schacht befindet sich hier, also unmittelbar über dem unteren Pol unserer Heimat!“ Der Techniksammler deutete mit einem violetten Leuchtstab auf einen Punkt nahe des unteren Rundes der von einem Ring aus Stacheln umgebenen Kugel. „Wir müssen uns also dorthin bewegen, den Schacht mittels Schwerkraftprojektoren nach oben gelangen und dann zusehen, dass wir den Zentralcomputer der Hohen Mächte lahmlegen!“

„Wo siehst Du die Schwierigkeiten?“ wollte Mercurion wissen.

„In erster Linie im Bereich des Zentralcomputers selbst!“ antwortete Bartôg. „Untere Polkappe sowie der Wartungsschacht dürften unbewacht sein!“

„Vor allem unter dem Aspekt, dass alle Kräfte der Paramecs und der Hohen Mächte im Kampf gebunden sind!“ ergänzte ein zweiter Paramir.

Bartôg sah sich mit fragendem Blick in der Runde um, und als niemand etwas gegen seinen Plan sagte, holte er einige Apparaturen vom Tisch hinter sich, die Sara frappierend an die klassischen Fußfessel-Gefängniskugeln erinnerten.

„Das sind tragbare Schwerkraftprojektoren!“ erklärte Bartôg. „Man befestigt sie irgendwo am Körper!“

Sara wandte sich flüsternd an Mercurion.

„Wieso haben wir so etwas nicht in unserer Ausrüstung?“ wollte sie wissen.

„Projizierte Schwerkraftfelder sind nicht risikolos!“ flüsterte der ehemalige Händler zurück. „Man hat festgestellt, dass eine zu nahe oder zu häufige Feldprojektion das zentrale Nervensystem schaden kann!“

„Und wie ist das bei Raumschiffen mit künstlicher Schwerkraft?“

„Da ist das Schwerefeld weitaus weniger distanzlos zum eigenen Körper!“

„Sind wir denn gefährdet, wenn wir diese Dinger anlegen?“

„Nein, ich glaube nicht! Riskant wird es erst bei längerem oder häufigerem Gebrauch!“

Inzwischen hatten sich die übrigen Paramirs die Schwerkraftkugeln, wie Sara sie für sich nannte, umgeschnallt, und auch Mercurion und das junge Mädchen von der Erde folgten ihrem Beispiel.

„Sind alle fertig?“ fragte Bartôg schließlich, sah sich dabei in der Runde um und nickte schließlich zufrieden. „Dann lasst uns aufbrechen!“


*


Im Verlauf des Landeanflugs war das gewaltige Gelände der Quantex-Kooperation unter ihnen immer größer geworden; aus dem zunächst schwarzen, verschwommenen Fleck hatten sich zunächst komplexe, dann einzelne Gebäude – Fabrikhallen, Raffinerien, Tanks von unverstellbaren Ausmaßen – gebildet. Eine nahezu kreisrunde Fläche nördlich des Industrieareals stellte den Raumhafen dar, auf welchem schließlich das Fährschiff gelandet war. Von dort aus hatten Pox und Kapitän Bosz einen kleineren Gleiter bestiegen, der sie nach einem gut einstündigen Flug über weite, gelbbraune Sand-, Fels- und Steinebenen zu der Stadt Tedeliath, die in einer Art Talkessel, umgeben von einem kreisförmigen Felswall, lag, gebracht hatte. Diese kleine Siedlung mit ihren knapp 500 000 Einwohnern wirkte wie ein eher verschlafenes Nest; hauptsächlich waren hier Geologen, Archäologen und andere Wissenschaftler ansässig, und es war klar, dass ihr Aufenthalt hier von begrenzter Dauer war.

Obgleich die Luft des Planeten Terabial für Humanoide atembar war, liefen viele der Bewohner Tedeliath mit Atemgeräten herum, was wohl auf den allgegenwärtigen Staub zurückzuführen war; dieser wiederum war verursacht einerseits durch das trockene Klima des Planeten, andererseits durch die nicht gerade vorbildliche Umweltpolitik des Quantex-Werkes, das offensichtlich den großen Standortsvorteil Terabials darin gesehen hatte, dass es keine ausgeprägte Natur mehr gab, auf die man hätte Rücksicht nehmen müssen. Die Beschwerden der Archäologen, dass die schädlichen Gase und Abfallprodukte die Ruinen über kurz oder lang zerstören würden, wurden regelmäßig abgewiesen oder überhört. Alles in allem war Terabial keine Welt für Urlaube oder Entspannungsreisen – sie überzeugte durch eine starke Ausrichtung auf das Prinzip Funktionalität, und ähnlich funktional und unverziert war die Architektur der Stadt Tedeliath.

Pox ermittelte in einem Informationsbüro (besetzt von einem Modell Roboter, das noch viel älter war als Pox selbst), dass sich die Axares-Ruinen in südwestlicher Richtung und in einer Entfernung von 112km befanden, dass sie keineswegs sehenswert wären („Die Herren mögen sich doch vielleicht eher an den südöstlichen Okatares-Ruinen erfreuen!“) und dass das planetare Hauptbeförderungsmittel für diesen Zweck ein Gleiterpack wäre, das man hier im Büro erwerben oder zeitweise ausleihen könnte. So erstanden die beiden zwei Packs, die aus einem Umschnallgestell und einer steuerbaren Rückenturbine bestanden, und verabschiedeten sich dann von dem Roboter in dem Informationsbüro.

Draußen änderten sie ohne weiteren Zeitverlust erneut die Art ihres Reisens: Pox und Santa Bosz verließen mit ihrem planetaren Gleiterpack auf dem Rücken fliegend die kleine Stadt und blickten nach einem Flug über den Grad des ringförmigen Felswalls hinab in die endlose Weite der mesoterabialen Ebene, die aus dieser Höhe betrachtet aussah, als hätten Insekten von gigantischer Größe Löcher in die Planetenoberfläche gebohrt: Tausende von großen, manchmal mehrere Kilometer durchmessenden Kratern prägten das Bild, soweit das natürliche wie auch das künstliche Auge reichte. Pox hatte seinen Informations- und Datenbestand im örtlichen Infozentrum erweitert, ergänzt und aktualisiert, und so wusste er, dass diese Krater bis vor rund 6000 Jahren mit Wasser gefüllt gewesen waren, dann war das eingetreten, was die Geschichtsschreibung als „Große Katastrophe“ kannte und was Myras Worten zufolge unter anderem zur Abspaltung der Vierten Komponente geführt hatte. Damals war es aus bislang ungeklärten Ursachen zu gewaltigen Beben im Raum-Zeit-Kontinuum gekommen: Stürme von gigantischen Ausmaßen hatten nicht nur den freien Weltraum, sondern auch die Planeten heimgesucht, Katastrophen ungeahnten Ausmaßes hatten die Galaxis erschüttert. Und so waren auf Terabial auch die mit Wasser gefüllten Krater ausgetrocknet, die damals die letzten Heimstätten der insektoiden T’bazi gewesen waren, nachdem diese viele Millionen Jahre zuvor schon einmal aus ihrer Heimat vertrieben worden waren: Zur Blütezeit des Volkes war nahezu der ganze Planet von einem riesigen Ozean umgeben, auf dessen Grund und in dessen Strömungen die T’Bazi ein florierendes Reich voller Kunst, Kultur und Schönheit errichtet hatten – diese Zeit wurde als präterabiale Epoche bezeichnet. Ein nicht näher bekanntes Ereignis, das jedoch von Wissenschaftlern in einer Zeit vor rund 750 Millionen Jahren vermutet wird, ließ diesen Ozean verschwinden, und die übriggebliebenen T’Bazi begannen ein neues Leben in den Kratern, die als einzige noch Reste dieses Meeres beinhalteten. In Anlehnung an diese Epoche der Terabial’schen Geschichte, welche die Bezeichnung „mesoterabial“ trug, hatte man auch jene weite Ebene der einstigen Kraterseen mit diesem Namen geschmückt.

Die Große Katastrophe schließlich hatte vor 6000 Jahren die kulturelle Zivilisation der T’Bazi endgültig zum Tode verurteilt, und in der nun anbrechenden postterabialen Epoche erinnerte nur der Name des Planeten noch an die einstige Pracht und Blüte der Unterwasserstädte der Insektoiden.

„Wie müssen wir fliegen?“ wollte Santa Bosz wissen, der sein Gleiterpack so steuerte, dass er neben Pox schwebte; er musste über das Dröhnen der Turbinen auf ihren Rücken hinweg schreien.

„Unser Kurs führt uns in dieser Richtung nahezu geradeaus!“ antwortete Pox. „Die Axares-Ruinen befinden sich in einem flachen Krater jenseits der beiden Felstürme da vorne!“

Tatsächlich ragten in einiger Entfernung zwei braune Berge in den ockerfarbenen Himmel Terabials, auf welche die beiden Ermittler zuflogen. Außer ihnen waren noch einige wenige Gleiterschiffe unterwegs, und auf der Ebene unter ihnen konnten sie hin und wieder Bodenfahrzeuge ausmachen.

Insgesamt überflogen Pox und Santa Bosz drei größere Krater, erblickten jedoch rechts und links ihrer Flugroute deutlich mehr dieser Vertiefungen, die in ihren Ausmaßen von einer flachen Senke bis zu einem dunkeln Schacht ohne erkennbaren Boden variierten. Einige silbrig glänzende Gebäude bestanden ihre Wälle – Pox vermutete Materiallager, archäologische Geräte, vielleicht auch die Wohnungen von mutigen Pionieren, die hier versuchten, eine Farm oder Kleinindustrie zu etablieren, darin. Straßen waren nicht zu erkennen, allerdings hatten die Bodenfahrzeuge im Laufe der Jahre und Jahrhunderte deutliche Spuren in Form von geraden Linien gepressten Sandes und abgeschliffenen Felsens hinterlassen.

Die beiden Berge kamen immer näher; die helle Sonne Bialis stand recht tief und schickte ihnen blendende, leider nicht wärmende Strahlen entgegen, tauchte das ockerfarbene Land in ein faszinierendes Licht. Ihre Strahlen trafen zwischen den beiden Felstürmen auf ein glänzendes Objekt, das sich schließlich beim Nähern als kleines Kraftwerk entpuppte, welches offensichtlich das mehrgebäudige Anwesen im Schatten eines der Berge versorgte. Von diesem Gebäudekomplex aus führte eine schmale Spalte in den dahinterliegenden Krater, der tatsächlich nicht sonderlich tief war und eher die Bezeichnung Mulde verdiente. Der Durchmesser betrug etwa 2 Kilometer, und in dessen Mitte ragten – in einer Tiefe von etwa 150 Metern unter der Ebene – die Axares-Ruinen aus dem staubigen Boden.

Es handelte sich um eine Ansammlung von Gebäuden, die vor allem aus erodiertem Stein und verwittertem Metall bestanden. Unschwer erkennbar waren die Ruinen einstmals eine kleine Stadt gewesen, allerdings waren alle Bauwerke, die höher als fünf Stockwerke nach oben reichten, inzwischen eingestürzt. Pox errechnete den Radius der in etwa kreisförmigen Siedlung auf gute 600 Meter. Von lebenden Wesen, geschweige denn von den Cahaizo, war zumindest aus dieser Höhe nichts zu sehen.

„Wir sollten am Rand des Kraters landen und ihn zu Fuß betreten!“ sagte Bosz und deutete auf das kleine Kraftwerk; Pox stimmte ihm zu, und so gingen sie wenig später in der Nähe des silbrigen Gebäudekomplexes zu Boden. Von dort aus setzten sie sich in Richtung der Ruinen in Bewegung, allerdings war der Boden unter der dünnen, leicht aufwirbelnden Staubschicht so hart, dass dem Kapitän schon nach kurzer Zeit die Beine schmerzten und sie das Tempo daher reduzieren mussten. So benötigten sie fast eine halbe Stunde, bis sie schließlich im Licht der untergehenden Sonne Bialis den Rand der Axares-Ruinen erreichten.

Auch aus der Nähe betrachtet hielt sich das Bild der Vergänglichkeit beim Anblick der Trümmer in ihrem Bewusstsein. Die ockerfarbenen, steinernen Komponenten der Häuser vor ihnen zerfielen zusehends, in den Wänden klafften immer wieder kleinere und größere Lücken, durch welche der Wind heulend wehte. Metallstücke wirkten mit ihrem rostigen, schorfigen Braun wie Geschwüre. Immer wieder ragten vereinzelte Träger aus stabilerem Material wie mahnende Finger in die Höhe. Ein beklemmendes Gefühl legte sich auf die Seele des Geschwaderkapitäns, als er mit seinem Begleiter die einstige Kleinstadt betrat.

Noch immer war von Leben keine Spur.

„Vielleicht sollten wir eines der Gebäude betreten!“ schlug Bosz nach einer Weile des Schweigens vor.

„Das wird nicht einfach!“ erwiderte Pox. „Da diese Bauwerke errichtet worden sind, als dieser Krater voller Wasser war, befinden sich die Eingänge in die Häuser nicht immer auf Bodenniveau!“

Nickend bestätigte Bosz das Verstehen dieses Gedankens.

Plötzlich tauchte etwas vor den beiden auf, was ihre Neugier entfachte: Am Ende eines langen, schmalen Platzes, der von weiteren Zeugen der Vergänglichkeit allen Seins gesäumt und von herab gefallenen Trümmern übersät war, erhob sich ein halbwegs intaktes Gebäude aus braunem Stein, dessen oberes Drittel voller Löcher war. Interessant an diesem Bauwerk war jedoch nicht der Grad des Verfalls bzw. des Nicht-Verfalls, sondern das Symbol, welches deutlich sichtbar auf der Fassade prangte: Die Neumondblüte.

„Kann das Zufall sein?“ fragte Bosz laut und mit nachdenklich verzogenem Gesicht. „Die Neumondblüte ist ein altes Symbol auf Terabial! Es macht Sinn, dass es öfters hier zu finden ist!“

Pox verneinte.

„Die Neumondblüte ist für sich gesehen eine Pflanze, die in den Gewächshäusern Terabials gezüchtet wird! Von allen Pflanzen dieser Welt hat sie als einzige die Dürre nach der Großen Katastrophe überstanden, die andere Flora wurde nachträglich von Kolonisten implantiert! Zum kultischen Symbol wurde sie aber nur bei den Cahaizo! Abgesehen davon erkenne ich mit meinen Photosensoren, dass dieses Zeichen nachträglich auf die Fassade gemalt worden ist und einen anderen Grad der Verwitterung aufweist! Alt ist es dennoch!“

„Wir sollten uns – mit aller Vorsicht, die geboten ist – in oder an diesem Gebäude umsehen!“

Inzwischen waren sie recht nahe an das mit der Neumondblüte gezeichnete Bauwerk herangekommen und mussten den Kopf in den Nacken legen, um seine obere Spitze zu erkennen. Ein kühler, von hinten wehender Wind blies sie an, brachte den feinen Staub der mesoterabialen Ebene mit sich. Die Sonne Bialis schickte ihre letzten Strahlen auf diese Seite des Planeten, doch erreichten sie Pox und Bosz schon einige Zeit nicht mehr auf dem Grund des Kraters. Es wurde zusehends dunkler.

„Und wo befindet sich der Eingang?“ fragte der Kapitän, und ehe er reagieren konnte, erhielt er eine Antwort aus einer Richtung, mit der er nicht gerechnet hatte.

Zwanzig in schwarze Umhänge gehüllte Gestalten tauchten wie aus dem Nichts auf, stürzten sich auf die beiden. Sie warfen Santa Bosz zu Boden, bedrohten Pox mit Strahlenwaffen. Es ging alles so schnell, dass an Gegenwehr nicht zu denken war.

„Warum wollt Ihr wissen, wie Ihr in das Gebäude kommt?“ schnarrte die Stimme eines Angreifers in Santa Bosz’ Ohr; sein Gesicht war ob der Dunkelheit kaum erkennbar, war aber offenbar humanoid. Das konnte nicht von allen Aggressoren behauptet werden, denn trotz des Getümmels hatten Pox und der Kapitän auch vier oder mehr Arme bei einigen der Kämpfer gezählt.

Santa Bosz reagierte schnell, erinnerte sich an die Erzählung von Pox über dessen Ritual-Erlebnis im Obelisken und antwortete: „Ich bin ein Diener der Cahaizo und wünsche die Weihe zum Flammenkind! Ich wünsche die Inflammierung!“

Sofort ließ man den Kapitän los.

„Nur ein wahrer Eingeweihter kann von dem Ritual der Inflammierung wissen!“ sagte die Stimme des Angreifers nun deutlich ruhiger. „Du bist willkommen!“

Bosz setzte sich auf, atmete tief durch, wobei er so tat, als sei sein Seufzen eine Reaktion auf den Kampf und kein Ausdruck der Erleichterung darüber, dass man ihm seine Geschichte abgenommen hatte. Dann deutete er auf Pox.

„Das ist Neun, mein persönlicher Roboterdiener!“ sagte er; die Vergabe von Zahlen als Bezeichnung für persönliche Roboter war weit verbreitet.

Der Sprecher der Angreifer erwiderte nichts dazu, sondern fuhr fort: „Du kommst zur rechten Zeit, in wenigen Tagen findet eine Inflammierung statt. Außer Dir sind bereits elf weitere Novizen hier, welche sich dem Ritual unterziehen wollen!“ Er winkte mit der Hand einem der übrigen Angreifer, die inzwischen in der Dunkelheit nur noch als Schatten auszumachen waren; der Platz vor Bosz’ Augen war kaum mehr zu erkennen in der Schwärze der terabial'schen Nacht. „Decclan hier wird Dich in Deine Unterkunft führen!“

„Was ist mit Neun?“

„Der kann Dich begleiten!“

Bosz nickte, bejahte dann aufgrund der Dunkelheit mit lauter Stimme und erhob sich. Decclan, in der Nacht kaum zu erkennen, war herangetreten und flüsterte: „Wie ist Dein Name?“

„Ich heiße … Bashu!“ antwortete Bosz. „Bashu Marail!“

Erstaunt stellte er fest, dass zumindest der Stimme nach Decclan ein weibliches Wesen war – sofern es sich bei ihm oder ihr um einen oder eine Humanoide handelte.

„Folge mir, Bashu Marail!“

Hinter der dunkel gekleideten Person und gefolgt von Pox verließ Santa Bosz den großen Platz und die Reihen der Angreifer, umrundete das verwitterte Bauwerk und bestieg schließlich über eine nicht minder erodierte Steintreppe eine auf der abgekehrten Seite der Ruine liegende Terrasse, von wo aus ein Eingang in das Gebäude führte.


*


Die Halle war von solch gigantischen Ausmaßen, dass A’eron im ersten Moment nicht wusste, ob er wirklich noch in einem geschlossenen Raum stand, oder ob er nicht eine Stadt unter freiem Himmel betreten hatte. Doch ein Blick nach oben klärte die Frage – zwar in weiter Ferne, aber dennoch gut erkennbar war die silbrig-graue Decke zu erkennen.

Vor der Armee des Lichts, die – begleitet von einem Kommando der Paramirs und ihrer neu-alten Roboter – breitete sich die Stadt der Hohen Mächte aus. Hochhäuser von beachtlichen Dimensionen ragten dem Dach des Komplexes entgegen, Hochstraßen verbanden die Türme miteinander, dazwischen waren immer wieder Strukturen ohne erkennbare Funktion zu erkennen, von denen der Hochenergie-Ingenieur glaubte, dass sie bereits vor der Machtübernahme durch die Hohen Mächte an dieser Stelle gewesen waren.

Die Bewohner dieser Stadt selbst waren scheinbar verschwunden; die Armee des Lichts wusste von Erkatir, dass es ohnehin niemals wirklich viele Mitglieder dieses Volkes gegeben hatte, doch selbst diese relativ geringe Zahl von Einwohnern ließ sich ob des Angriffes der Paramirs nicht blicken: Sie hatten sich in ihren Häusern, in ihren Bunkern verschanzt, und auch die Anführer der Hohen Mächte schienen jede Gegenwehr aufgegeben zu haben, denn nicht ein einziger Wachroboter oder Soldat stellte sich ihnen in den Weg.

„Wohin sollen wir nun gehen?“ fragte Cya in die Runde, während sie ihren Blick von einer erhöhten Galerie aus über die gewaltige, aber leere Stadt streifen ließ, in der viel Technik und viel Kunststoff, aber keine Natur oder Natürlichkeit zu entdecken war.

„Die Kaskade der Unendlichkeit befindet sich im exakten Zentrum von Citadel!“ antwortete Erkatir, der es sich nicht hatte nehmen lassen, sie zu begleiten.

„Dann sollten wir uns dorthin begeben!“ meinte Lex’ sofort, doch die Kaiserin widersprach: „Ich möchte den Rücken freihaben, wenn wir uns mit dieser Kaskade befassen!“

„Wenn es uns gelingt, die Kaskade auf unsere Seite zu ziehen, wird sie uns den Rücken freihalten können!“ wandte A’eron ein und gab damit Elexi’ael Recht. Cya blickte die beiden an und sagte dann: „Es gibt noch einen Grund, warum ich zunächst die beiden Gemini-Monarchen aufsuchen möchte! Ich hoffe, dass wir vielleicht noch eine friedvolle, auf die Zukunft gerichtete Lösung der Zusammenarbeit finden können!“

Wenn Erkatir Einwände gegen diesen Plan hatte, so ließ er es sich nicht anmerken.

Die übrigen Mitglieder der Armee des Lichts stimmten schließlich zu, dann setzen sie sich wieder in Bewegung und betraten so die zentrale Polis der Hohen Mächte von Citadel. Das Gefühl, durch eine Geisterstadt zu laufen, wurde mit jedem Schritt stärker. Ihnen wurde mehr und mehr eine unfassbar gut ausgebaute Infrastruktur demonstriert, doch niemand war zu sehen, der sie nutzte.

Doch dann änderte sich alles schlagartig: Sie betraten einen großen Platz, der von zwei beeindruckenden Gebäuden gesäumt war. Links von ihnen lag ein hoher, säulenbestandener Bau, vor dessen breiten Eingangstor zwei mächtige Statuen standen. Das Bauwerk rechts von ihnen war von kreisrunder, nach oben leicht spitz zulaufender Form; das Dach glänzte in einem strahlenden Gold. Und hier, auf dem Zentralplatz der Zentrumsstadt, befanden sich auch Mitglieder des Volkes der Hohen Mächte.

Sie lagen ungerührt, beinahe apathisch auf Liegen oder Bänken, blickten die Eindringlinge mit gebrochenen Blicken an. Kein Widerstand von Seiten der Menschenähnlichen regte sich – es war, als seien sie alle von der einsetzenden Rebellion völlig demoralisiert, als hätte ihnen der Aufstand der Paramirs allen Glauben an die Sinnhaftigkeit der Existenz genommen. Lediglich einige unbewaffnete Dienstroboter arbeiteten, versorgten die Stoischen mit Lebensmitteln oder trugen sie auf ihren metallenen Armen auf eine andere Bank.

„Offensichtlich hat sie unser Angriff völlig fertig gemacht!“ stellte A’eron mit hochgezogenen Augenbrauen fest.

Cya überging den Kommentar und fragte: „Wo ist der Palast der Gemini-Monarchen?“

„Diese Säulenhalle links hier!“ antwortete Erkatir, der einen Blick auf seine Aufzeichnungen warf.

„In Ordnung!“ nickte die junge Frau von Aternia. „Ihr werdet hier warten und wachen, während wir Kontakt zu den Herrschern der Zitadelle aufnehmen!“

Damit verabschiedeten sich die Mitglieder der Armee des Lichts von den Paramirs und betraten die säulenbestandene Halle.

Cyas Hoffnungen wurden bereits nach der ersten Sekunde ihres Eintretens zerschlagen: Die Gemini-Monarchen waren nicht an einer friedvollen Lösung interessiert.


*


Auf die umfassende Dunkelheit der hereingebrochenen terabial'schen Nacht wirkte das gelbe Licht der Photoemitter wie das Gleißen einer Supernova. Santa Bosz riss erschrocken die Arme vor das Gesicht, als er durch die Tür trat und urplötzlich geblendet wurde; Pox verdunkelte seine optischen Sensoren.

„In der Tür befindet sich ein schwaches Energiefeld, welches Photonen absorbiert!“ erklärte die noch immer nicht erkennbare Person Decclans, nachdem sie hinter den beiden Infiltratoren eingetreten war. „Daher hast Du das Licht von außen nicht gesehen!“

Pox sah sich in dem Raum um. Auch von innen spürte man das allgegenwärtige Prinzip der Vergänglichkeit: Die steinernen, von metallenen Adern durchzogenen Mauern wirkten rissig und spröde, abgenutzt und erodiert. Fremdkörperartig zogen sich künstliche Lichtquellen in Form standardisierter Photoemitter die Wände nach oben, bis hin zur offenen Decke, durch die das Licht der Sterne Terabials hereinfiel. Offensichtlich wirkte das Energiefeld nur in einer Richtung photonenabsorbierend.

Einige alte, gleichsam verwitterte Treppen aus Fels und Stein durchzogen den hohen Raum, dazwischen waren immer wieder moderne Konstruktionen aus Metall und Kunststoff erkennbar. Mehrere Ausgänge führten auf unterschiedlichen Höhen aus der Halle.

„Weswegen finden sich hier alte Treppen?“ fragte Santa Bosz, der ebenfalls den Raum betrachtet hatte. „Die T’Bazi waren doch nicht auf sie angewiesen!“

„Man vermutet, dass die damals lebenden Insektoiden in ihren Gebäuden Areale ohne Wasser angelegt hatten; wie Du sicher weißt, sind die T’Bazi-Insekten sowohl Wasser- wie auch Luftatmer!“ antwortete Decclan, und als Santa Bosz sich ihrem Führer umwandte, sah er seine Vermutung bestätigt: Es handelte sich tatsächlich um ein weibliches Wesen.

Decclan war vielleicht 25 Standardjahre alt, hatte dunkelbraune, fast schwarze Haare, die ihr dick und lockig bis auf die Schultern fielen. Ihre Augen waren groß, schillerten grünlich und standen leicht schräg; Nase und Stirnpartie, die in filigranen Knochenwülsten ineinander übergingen, wiesen sie in Verbindung mit den von Hautlappen verdeckten und am Halsansatz befindlichen Ohren als Wesen vom Planeten Ardos 3 aus.

Santa Bosz fragte sich, was diese junge, durchaus attraktive Frau in die Hände der Cahaizo getrieben hat, wies sich dann aber selbst zurecht: Die letzten Tage hatten gezeigt, dass es sich bei den Geretteten nicht nur um einen Orden von Sozio- oder Psychopathen, sondern eher von skrupellosen Machtmenschen handelte. Vielleicht handelte Decclan aus Überzeugung, vielleicht aus Gier nach Macht und Einfluss, vielleicht aus Verblendung.

„Folge mir, Bashu Marail!“ wiederholte die junge Frau ihre Aufforderung von vorhin. „Ich werde Dir zeigen, wo Du schlafen wirst, und Dich den anderen Novizen vorstellen!“

Sie durchschritt den unteren Bereich der Halle, umrundete einen großen Steinquader und führte die beiden ihr Folgenden anschließend eine der geländerfreien, recht steilen Treppen nach oben. Auf einer Höhe von schätzungsweise 20 Metern erreichten sie so nach einigen Windungen des Aufstiegs einen kleinen Balkon, an dessen Ende ein Ausgang in einen schmalen Flur führte. Santa Bosz stellte fest, dass das Gebäude von außen deutlich kleiner wirkte als von innen, denn der Gang war gute 10 Meter lang, und an seinem Ende war noch immer nicht die Außenwand des Bauwerks erkennbar: Eine Tür führte offenbar in ein weiteres Zimmer.

Der Weg von Decclan, Bosz und Pox führte jedoch nicht durch diesen Ausgang, sondern zweigte etwa in der Mitte das Flures nach links ab, wo bei einer kleinen Nische zwei weitere Türen erkennbar waren; ohne Anzuklopfen öffnete die dunkelhaarige Frau eine. Dahinter lag ein kleines Zimmer, in dem acht Betten standen – fünf davon waren belegt.

„Das sind ebenfalls Novizen, welche die Inflammierung erbeten!“ sagte Decclan. „Dein Roboter kann vor der Tür warten, Dir selbst steht es frei, ein Bett zu belegen!“

Ohne ein weiteres Wort verließ die Frau Santa Bosz; dieser trat in den Raum hinein und grüßte laut. Alle fünf Anwesenden erwiderten seinen Gruß, einer von ihnen deutete auf drei Betten im hinteren Teil des Raumes. „Diese hier sind noch frei!“ sagte er.

Bosz begab sich wahllos zu einem Lager und ließ sich darauf nieder, ehe er seine Novizen-Kollegen betrachtete.

Es gab zwei Frauen, einen älteren Mann, ein Zwitterwesen sowie einen kleinen Jungen von vielleicht elf Jahren; offensichtlich gab es keine Altersbeschränkungen, um dem Orden der Cahaizo beizutreten. Es war der ältere Mann gewesen, welcher zuerst Worte an Bosz gerichtet hatte, und nun schien er zu warten, dass der Neuankömmling etwas sagte.

„Ich darf mich vorstellen!“ ergriff dieser die Initiative. „Mein Name ist Bashu Marail!“

„Ich bin Olk von T’t’ovia!“ antwortete der ältere Mann, dessen auffälligstes Merkmal ein langer, buschiger Bart war, welcher in zwei großen Zöpfen bis auf seinen Bauch reichte. „Das hier ist mein Sohn, Milk von T’t’ovia!“ Er deutete auf den Jungen, der keinerlei Ähnlichkeit mit seinem Vater aufwies: Seine Haaren waren nicht grau wie die Olks, sondern feuerrot und sehr kurz.

Auch die Frauen, beide deutlich älter als der Kapitän und tendenziell in der zweiten Hälfte ihres Lebens, kamen nun herbei und stellten sich vor: Die Grünhaarige hieß Ma Ma Ru, die Haarlose trug den Namen Neunelfdreisieben. Das zwittrige Wesen von Irylion stellte sich als Uhutahubou vor. Abgesehen von den beiden Novizen von T’t’ovia kamen alle von anderen Welten, entstammten einem anderen Volk, unterschieden sich dementsprechend in zahlreichen Merkmalen, wenngleich bei allen die humanoide Grundstruktur vorherrschte.

Bosz war gerade im Begriff, einige Fragen an die übrigen zu stellen, als sich die Tür zu dem spartanisch eingerichteten Raum öffnete, und ein sehr schlankes Wesen eintrat; wie Olk von T’t’ovia trug es einen Bart, allerdings von schwarzer Farbe. Auffallend waren die breiten, stark geschwungenen Augenbrauen, welche zwei ausdrucksstarke Augen von dunkelblauer Farbe überspannten.

Sofort erhoben sich die fünf erfahreneren Novizen, und Bosz folgte ihrem Beispiel.

„Wem gehört der Roboter vor der Tür?“ fragte der Neueingetretene sofort und mit deutlicher Strenge in der Stimme.

„Das ist mein Roboter Neun!“ antwortete Bosz sofort. Der Eingetretene machte einige Schritte auf ihn zu, blieb jedoch gelassen.

„Ich bin der Flammenvater Misca parr Toolos!“ stellte er sich vor. „Die übrigen kennen mich bereits von unseren Ritualen! Alle Novizen und Anwärter zur Inflammierung müssen sich den vorgeschriebenen Riten unterziehen, also auch Du! Bevor wir beginnen, musst Du aber Deinen Roboter für die Dauer des Betens entfernen, denn nur wer an der Inflammierung interessiert ist, darf die geheiligten Worte vernehmen!“

„Ich werde ihn wegbringen!“ versicherte Kapitän Bosz sofort.

„Du kannst ihn anweisen, auf dem Balkon in der großen Halle zu warten!“

„In Ordnung!“

Santa Bosz verließ den Raum, erklärte Pox mit einigen knappen Worten die Lage und hieß ihn dann, am angegebenen Ort zu warten.

„Ich werde Dir später erzählen, wie dieses Ritual abgelaufen ist!“ versprach der Kapitän, verschwand dann wieder zuerst in dem Gang, dann in dem Raum. Pox, der nun von dem Balkon aus einen großen Teil der Eingangshalle des Gebäudes im Blick hatte, konnte in der nächsten Stunde zahlreiche Cahaizo aus- und eintreten sehen, ehe Bosz wieder zu ihm trat.

„Folge mir, die übrigen sind in den gemeinsamen Speiseraum gegangen!“ sagte der Kapitän. „Ich kann Dir in unserer Kabine erzählen, was ich erfahren habe!“

Sie begaben sich in das Quartier, welches von Santa Bosz dank der Macht der Gewohnheit als Kabine bezeichnet worden war; dort berichtete der Infiltrator von dem erlebten Ritual, das in der Regel aus dem gemeinsamen Skandieren religiös und mythisch anmutender Parolen und Phrasen bestanden hatte. Bosz glaubte nicht, dass interessante Informationen darin enthalten waren, und als er dem Roboter einige Beispiele nannte, erkannte dieser Elemente aus der Zelebrierung im Obelisken.

Ein tiefer, gongartiger Ton erklang und war so durchdringend, dass die steinernen Wände zu vibrieren begannen.

„Was ist das?“ fragte der Kapitän und als Marail Getarnte, erwartete jedoch von Pox keine Antwort, denn ihm war klar, dass der Roboter genauso wenig darüber wusste wie er selbst. Er erhob sich von seinem Lager und sagte: „Geh besser wieder vor der Tür, bevor man uns erwischt. Ich selbst werde einmal nachsehen, was es mit diesem Ton auf sich hat!“

Noch immer erfüllte das tiefe Brummen das ganze Bauwerk, und als die beiden aus dem Schlafraum traten, sahen sie unzählige Cahaizo, die mit eiligen Schritten den Gang entlangliefen; nicht wenige trugen keine rot-schwarzen Gewänder, wie es die eigentlichen Geretteten taten, sondern hatten ihre Zivilkleidung an, woraus Bosz schloss, dass sie nicht die einzige Novizen-Gruppe waren, die sich auf das Ritual der Inflammierung vorbereitete.

„Worauf wartest Du?“ sprach ihn plötzlich eine Stimme an, und als Bosz den Kopf wandte, erblickte er den jungen Milk von T’t’ovia. Dieser schaute ihn mit großen, fragenden Augen an.

„Was meinst Du?“ wollte Santa Bosz wissen.

„Willst Du nicht in die große Halle? Der Flammenpriester Terabials, das höchste Wesen unter dem Flammengott, hält wie immer an diesem Tag das Große Flammenritual ab! Alle müssen dabei sein, auch wir Novizen!“

„Das wusste ich nicht!“ sagte Santa Bosz wahrheitsgemäß. „Wie Du weißt, bin ich noch neu hier; man hat mir nichts gesagt!“

Er ging neben dem kleinen Jungen in die Hocke und fuhr fort: „Du hast selbst natürlich viel mehr Ahnung von den Dingen, die hier stattfinden! Könntest Du mir vielleicht helfen und mir sagen, was ich tun muss?“

Milk war sichtlich stolz, von einem Erwachsenen um Rat gefragt und um Hilfe gebeten zu werden; ein kindliches Lächeln glitt über sein Gesicht.

„Dann folge mir in die Große Halle, wo das Ritual stattfinden wird!“ sagte er, und der Raumschiffkapitän und Spion erhob sich, nachdem er Pox signalisiert hatte, hier zu warten; gemeinsam mit dem kleinen Jungen ging er zunächst in jenen hohen Raum, durch den er das Bauwerk betreten hatte, begab sich in das Erdgeschoss und über einen weiteren Tunnel schließlich in jenen Bereich des Gebäudes, der augenscheinlich unter der Erde lag. Hier waren ausgebaute Tunnel zu sehen, welche mehrere der Ruinen miteinander verbanden. Die Zahl der Cahaizo, welche sich allesamt in eine Richtung bewegten, nahm von Schritt zu Schritt zu. Schließlich erreichten sie inmitten des Menschenstromes eine Treppe, die steil nach oben führte und sie schlussendlich in eine Halle von gewaltigen Ausmaßen brachte, welche die Bezeichnung „groß“ nicht zu Unrecht in ihrem Namen führte.

Auch die Wände dieser Halle waren aus braunem Stein, von der Decke hingen zahlreiche Photoemitter, die den Raum in ein gelbliches Licht tauchten. In der Mitte des Saales mit dem nahezu quadratischen Grundriss stand ein kleines Podest, um das sich bis hin zu den Wänden steinerne Sitzreihen zogen. Die meisten dieser Bänke waren bereits besetzt, doch Santa Bosz und Milk von T’t’ovia fanden noch zwei Plätze im hinteren Drittel eines Segmentes.

„Was passiert jetzt?“ fragte Bosz flüsternd seinen jungen Begleiter.

„Jetzt kommt gleich der Flammenpriester! Einmal in jedem Meso-Zyklus verlässt er seine Heimat, um mit uns das Große Ritual zu zelebrieren! Er ist es auch, der unsere Inflammierung durchführen wird!“

„Weiß man denn, wo sich die Heimat des Flammenpriesters befindet?“

„Der Flammenpriester lebt eigentlich im Auge der Flammen! Ich weiß, dass das total krass klingt, und mein Vater spricht nur in den höchsten Tönen davon! Aber eigentlich ist dieses Auge der Flammen nur eine Raumstation im Orbit des Sternes Bialis! Dort wohnt auch der Flammengott!“

Bosz hörte aus den Worten Milks heraus, dass dieser selbst keineswegs die fanatische Besessenheit seines Vaters teilte; vermutlich war er nur hier, weil Olk von T’t’ovia dies wünschte. Nun hatte er in seiner kindlichen Naivität dem Kapitän einige entscheidende Informationen gegeben.

Urplötzlich brach das dumpfe Dröhnen ab, und schlagartig breitete sich Schweigen in der Halle aus; alle Anwesenden sanken kollektiv auf die Knie, und Bosz tat es ihnen gleich. Einige Sekunden vergingen, dann schien es, es explodiere mitten in der Halle eine Bombe: Flammen züngelten wie aus dem Nichts, die Hitze stieg an, Explosionen krachten, doch der Kapitän erkannte sofort, dass es sich dabei um eine Inszenierung handelte. Dort wo das Podest stand, entwickelte sich ein gleißender Feuerball, und als dieser sich nach einem kurzen Moment aufzulösen begann, konnte man eine in ein rotes Gewand gehüllte Gestalt sehen, bei welcher es sich zweifelsohne um den erwähnten Flammenpriester von Terabial handelte.

Das erstaunlichste an dieser Person war, dass Santa Bosz sie kannte, doch wenngleich ihm sofort klar wurde, dass er das Gesicht schon gesehen hatte, benötigte er einige Augenblicke, um sich an die Identität des alten, schmalen Mannes mit den grauen Haaren und dem markanten Gesicht zu erinnern. Doch als dies endlich geschah, musste er sich eingestehen, dass diese Erkenntnis nicht verwunderlich war – man hätte aufgrund der Involvierung des Kaisers Ardobal von Xernico ähnliches vermuten können.

Die Person, welche in dem Feuerring stand und sich als Flammenpriester der Cahaizo auszeichnete, war Irc von Motavien – seinerzeit Hohepriester der Kathedrale der Ewigkeit und zusammen mit Ardobal vom Thron des Imperiums gestoßen.


*


Pox musste auf seinen Partner mehr als zwei Stunden warten, dann sah er ihn gemeinsam mit den übrigen Novizen ihres Lagers den Flur entlangkommen. Die beiden Frauen, das Zwitterwesen und auch der Mann gingen wortlos an ihm vorbei in den Raum, Bosz und der Junge blieben jedoch bei ihm stehen.

„Mann, der Roboter ist aber ganz schön alt!“ stellte Milk mit sichtlicher Beeindruckung fest.

„Das ist Neun, ich habe ihn schon ganz lange!“ entgegnete der Spion. „Ist es nicht so, Neun?“

„So ist es!“ bestätigte Pox. „Darf ich fragen, wie das Ritual war?“

„Sehr lange und sehr intensiv!“ antwortete Santa Bosz mit einem für den Emotions-Analysator deutlich erkennbaren ironischen Unterton. „Viele Phrasen, die wir zu wiederholen hatten! Wenige Informationen!“

Der Kapitän hoffte, dass die letzte Bemerkung nicht die Skepsis des Jungen erregte, dennoch reagierte Milk darauf.

„Informationen werden Sie in den Ritualen nicht erhalten! Mein Vater glaubt zwar daran, dass man in ihnen Erkenntnis und Weisheit erringt, aber ich habe noch nichts dergleichen erfahren! Wenn Sie etwas wissen wollen, müssten Sie sich schon im Archiv umsehen, aber das ist leider verboten!“

„Was ist das für ein Archiv?“ wollte Bosz wissen.

„Das ist ein großer Raum voller Terminals, und dahinter sind die Speicherbänke! Es enthält alle Informationen über die Cahaizo und die Galaxis, welche die Geretteten angesammelt haben! Ich weiß davon, weil wir hin und wieder dort kleinere Lerneinheiten, natürlich unter Beobachtung der Priester, erhalten haben. Ansonsten ist nur den Flammenpriestern der Zutritt gestattet!“

„Woher weißt Du denn, wie es in dem Archiv aussieht?“ fragte der Spion nach. Milks Gesichtsfarbe änderte sich um eine Nuance, und in seine Augen trat ein schuldbewusster Glanz. Er blickte rasch zur Seite und flüsterte: „Ich war schon einmal in dem Archiv, aber ich habe keinen Terminal benutzt! Das war am Anfang, als wie hierherkamen!“ Er sah wieder in Bosz’ Gesicht. „Wirst Du mich verraten?“

„Nein, das werde ich nicht!“ erwiderte der Kapitän. „Aber ich frage mich, wie Du in diesen Raum gekommen bist, wenn er doch verboten ist!“

„Die Cahaizo überwachen ihn nicht besonders stark; nur zweimal am Tag kommt ein Aufpasser und sieht nach, ob alle Geräte funktionieren!“

Das passte zu den Geretteten – Bosz war sich sicher, dass sie glaubten, ihre bloße Verbotsaussprache genügte, Neugierige abzuhalten von einem Besuch des Archivs. Er ging wieder vor Milk in die Hocke, schaute dem Jungen in die Augen und fragte leise: „Wie kommen wir zu diesem Archiv?“

Milk sagte es ihnen, und die beiden Spione machten sich auf den Weg; nach zehn Minuten durch unterirdische Tunnel und über erodierte Steintreppen hatten sie es erreicht, und tatsächlich bewachte nicht ein einziger Cahaizo den Zugang.

Das Archiv war ein etwa 10 Meter langer, schmaler Raum, der wie alle anderen Räumlichkeiten im dem weitläufigen Hauptsitz der Cahaizo aus bräunlichen und cremefarbenen Steinen bestand, in welchen einige Metalleinschlüsse zu erkennen waren. Es gab kein Fenster nach außen, lediglich eine Tür führte in den Saal. An den Wänden waren mehrere Eingabe-Ausgabe-Terminals zu erkennen, die jedoch meist alt und verwittert waren; offensichtlich stammten sie noch aus der Zeit der T’Bazi und waren inzwischen nicht mehr funktionsfähig. Stattdessen fanden Pox und Kapitän Santa Bosz am Kopfende des Raumes drei einsatzbereite Computer, hinter denen eine durchsichtige Scheibe den Blick freigab auf einen weiteren Raum, in dem sich zahlreiche Speichersysteme befanden. Hier lagerten anscheinend die unzähligen Informationen, welche die Geretteten im Laufe ihrer zweifelsohne sehr langen Geschichte angehäuft und katalogisiert hatten und auf die man mittels der Terminals zugreifen konnte.

Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, machte sich Pox an einem der Computer zu schaffen, während Bosz danebenstand und aufmerksam den Eingang des Raumes observierte; vor allem auf seine Ohren konzentrierte er sich stark – er hoffte, andere Cahaizo, die diesen Raum betreten wollten, rechtzeitig zu hören, um zu reagieren und sich zu verstecken oder wenigstens vom Terminal abzuwenden.

„Ich werde mir zunächst eine Datei ansehen, welche sich mit der Geschichte der Cahaizo, insbesondere ihrer Entstehung, befasst!“ erläuterte Pox, nachdem er sich in einer unvorstellbaren Geschwindigkeit mit der Struktur des Ordnungssystems des Archivs vertraut gemacht hatte. „Vielleicht gibt uns das bereits Aufschlüsse über die wichtigsten Kernfragen unserer Ermittlung!“

Bosz nickte zustimmend, widmete sich dann wieder seinem Lauschen, während Pox’ synthetisches Bewusstsein eintauchte in die Daten, die vor langer Zeit hier gespeichert worden waren…


…die Geschichte der Cahaizo selbst beginnt vor Äonen und ist nicht zu verstehen, wenn man nicht zuvor die Legenden der Haynu gehört hat.

Nachdem der große Feind, welcher die nahe Sterneninsel verwüstet hatte, das Licht und die Dunkelheit nicht hatte finden können, kam er in die Galaxie, die vom Volk der Haynu bewohnt und gelenkt war. Auch hier suchte er nach dem Objekt seiner Begierde, doch das alte Volk verweigerte sich ihm und setzte ihm Widerstand entgegen. Und so sperrte der große Feind alle Haynu in das Ewige Gefängnis, in dem sie sicherlich im Laufe der Zeitalter vergessen worden wären, hätten nicht die Kosmischen Pilger zu ihren Gunsten eingegriffen und die Wälle des Gefängnisses eingerissen.

Doch es gab keinen Frieden für die Haynu: Nach der ewigen Isolation entstand eine Fraktion, die sich von der kosmischen Bildfläche zurückziehen wollte, um nicht noch einmal den Zorn der Mächtigen zu erregen. Den übrigen missfiel dieser Weg – sie wünschten sich eine weitere Stärkung des eigenen Volkes. So entwickelte sich aus der Meinungsverschiedenheit ein Streit, und aus dem Streit ein Krieg. Noch einmal war das Volk der Haynu gefährdet, die eigene Existenz zu verlieren. Die weisesten Denker beschlossen schließlich, dass kriegerische Gewalt nicht die Zukunft der Haynu sein konnte und durfte, und so arbeiteten sie an einem Verfahren, alles Gewaltpotential des Volkes aus ihrer Zivilisation zu verbannen. Der Prozess gelang, übertraf sogar die Erwartungen der Architekten: Die Individuen der Haynu verloren gemeinsam mit ihren negativen Gedanken ihre Körperlichkeit und erlangten dadurch unerwartete Kräfte. Dank dieser neugewonnenen Fähigkeiten wussten sie von den Geschehnissen in der Nachbargalaxis, und so machte sich das Kollektivwesen der Haynu auf, um an der Verwirklichung des Planes mitzuarbeiten. Doch trotz seiner beeindruckenden Erkenntnisfähigkeit konnte die Entität nicht wahrnehmen, dass sie nicht alleine reiste: Die abgesonderten Gewalt- und Negativkomponenten der Haynu hatten sich heimlich ebenfalls verwandelt, und während die einstigen Individuen nach der Entsagung des Aggressiven ihre Individualität eingebüßt hatten, formten sich die dunklen Seiten der Haynu nun wiederum zu einzelnen Lebewesen, welche dem Kollektiv in die benachbarte Sterneninsel folgten.

Es kam zu einem ersten Kontakt auf der Welt Terabial, welche von dem Kollektiv deswegen angesteuert wurde, weil die Kosmischen Pilger diesen Planeten erwähnt hatten. Das Wesen, entstanden aus den Haynu, erkannte seine Nemesis und reagierte mit Flucht – es verließ Terabial. Die negativen Individuen mussten erkennen, dass die Kraft, welche ihnen die Welt zu geben schien, mit dem Verschwinden des Kollektivs versiegte, und so mussten auch sie Terabial verlassen.

Doch sie gingen nicht, ohne der Welt den eigenen Stempel aufzudrücken: Als sich diese Ereignisse auf der ockergelben Welt abspielten, lebten die T’bazi bereits in ihren Kraterstädten. Die Negativen nahmen Kontakt mit einigen der Insektoiden auf und verführten sie, um eine Armee gegen ihre Feinde zu haben, doch bevor diese tatsächlich einsatzbereit war, musste die Nemesis des Haynu-Kollektivs Terabial bereits verlassen, um nicht zu vergehen. Es blieb die Erinnerungen an jene geheimnisvolle Macht, und aus den Erinnerungen wurden Legenden, und aus Legenden wurden Mythen. Und mit dem Vergessen der Tatsachen nahm die Macht des Glaubens zu: Einige T’bazi gründeten den Orden der Cahaizo, die sich selbst als die Geretteten ihres Volkes verstanden. Sie nahmen ihren Kodex auch dann mit, als sich dank der Großen Katastrophe die Zivilisation der Insektoiden von Terabial in der Galaxis ausbreitete, und im Gegensatz zu vielen anderen ihres Volkes behielten sie enge Bindungen zu ihrer Heimatwelt, die sie nach wie vor als Heilige Städte verstanden, die von der Kraft der Haynu-Nemesis berührt worden war…


*


…nur aus diesem Grund fanden die wichtigen Rituale noch immer auf Terabial statt, folgerte Pox, der seine neuen Informationen mit Höchstgeschwindigkeit in seine bestehenden Datenbänke integrierte. Offensichtlich gab es den Orden der Cahaizo schon seit Jahrtausenden, doch in den letzten Jahren musste etwas geschehen sein, was aus der eher seichten Untergrundbewegung jene machtvolle Organisation gemacht hatte, die sich sogar imstande gesehen hatte, das ganze Imperium zum Einsturz zu bringen.

Santa Bosz hatte entgegen seiner Überwachungsabsichten über Pox Schulter hinweg ebenfalls die Daten studiert, welche dieser aus den Geheimen Archiven der Cahaizo gezogen hatte.

„Hilft uns das weiter?“ fragte er flüsternd. „Zwei Wesen aus dem Volk der Haynu, eines positiv, eines negativ! Und beide erreichen die Welt Terabial! Die negative Komponente gründet dann den Orden der Geretteten!“

„Diese Informationen sind zwar per se interessant, für unsere Ermittlungen aber wenig hilfreich!“ formulierte Pox die Gedanken des Kapitäns aus. „Wichtiger wäre zu erfahren, worin die Bindungen zwischen den Cahaizo und der feindlichen Flotte bestehen, und vor allem, wie es den Geretteten gelungen ist, den Obelisken zu sabotieren!“

„Gibt irgendeine Datei in diesem Archiv darüber Auskunft?“

„Es würde zu lange dauern, alle Dateien durchzuforsten!“

„Dann konzentriere Dich auf jene Informationen, welche unter dem Stichwort ‚Obelisk’ gespeichert sind!“

Pox nickte zur Bestätigung und widmete sich dann wieder dem Terminal. Erneut kamen laute, krachende Geräusche aus der Wand vor ihnen, und wieder befürchtete Santa Bosz, dass man auf sie aufmerksam werden könnte.

„Es gibt nicht wenige Dateien, welche dieses Stichwort führen!“ meinte Pox nach einer Weile. „Sie stammen aus verschiedenen Zeiten und verweisen allesamt auf Pläne, wie der Obelisk einzunehmen sei! Ich werde die aktuellsten selektieren!“

Einige Sekunden vergingen, reihten sich zu Minuten aneinander. Santa Bosz wurde nervös, denn mit jedem verstreichenden Herzschlag erhöhte sich die Chance, dass man sie fand und angriff.

„Hier habe ich etwas - zwei Dateien!“ sagte Pox schließlich und zur Erleichterung des Kapitäns. „Es handelt sich um zwei Tagebuch-Aufzeichnung von Flammenkindern! Die erste Person war mit einem Anschlag auf das Netz-Projekt betraut und sollte, getarnt als Sicherheitsfachmann, an die verborgenen Dateien A'eron von Telerions gelangen! Das zweite Flammenkind arbeitete in einer imperialen Funk- und Ortungsstation und hat dort für die Cahaizo spionierte! Dieser letzte Eintrag ist abspielbar!"

„Abspielen!“ befahl Bosz knapp.

Pox gab die entsprechende Anweisung weiter, wenig später erklang aus dem Terminal die Stimme eines jungen Mannes.

„Ich bin voller Erregung über das Fortschreiten des Planes, und es erfüllt mich mit Stolz, dass ich in einer derart wichtigen Position daran mitarbeiten darf! Das Schicksal scheint uns und unseren Zielen gewogen zu sein! Zwar ist es mir nicht vergönnt, einen umfassenden Überblick über den ganzen Plan zu besitzen, doch weiß ich um meinen minderen Status in den Reihen der Geretteten. Mir ist nur bekannt, dass der Flammenpriester Terabials, der Vertraute des Flammengottes, schon vor langer Zeit den Versuch unternommen hatte, den Obelisken zu stürzen, allerdings schlug dieser Versuch fehl. Damals hatte er mit Hilfe einer Androidenarmee das Imperium unterwerfen wollen, doch unsere Feinde hatten alle Androiden vernichtet. Wenn ich die Worte des Flammenpriesters richtig verstanden habe, gab und gibt es ein Programm, welches die Androiden damals steuern sollte, und als er dieses Programm vor einiger Zeit aktivierte, stellte er fest, dass noch ein einziger dieser alten Androiden existierte – und dass sich dieser noch immer im Obelisken aufhielt. Gemeinsam mit dem Flammengott wurde der Plan entwickelt, sich dieses Androiden zu bedienen, um das Imperium niederzuwerfen. Und hier erteilte man mir – jawohl, mir – den glorreichen Auftrag, am Fall der Kaiserin mitzuarbeiten. In Kürze, wenn die Zeit des Angriffs gekommen ist, werde ich ein bestimmtes Signal aussenden, welches im Obelisken den Verräter-Androiden aktivieren und instruieren wird, und dieser wird dann der Flotte des Generals des Zweiten Lebens den Weg ebnen…“

Pox unterbrach an dieser Stelle die Aufzeichnungen des jungen Flammenkindes, und als Santa Bosz ihn fragend anblickte, erklärte er: „Mit diesen Informationen kann ich den Ablauf der Sabotage vollständig rekonstruieren!“

„Nämlich?“

„Irc von Motavien, der alte Hohepriester der Kathedrale der Ewigkeit, verfügt seit seinem letzten Putschversuch über ein Programm, mit welchem er jene Androiden, die vor 4 Jahren den Obelisken stürmen sollten, nicht nur kontrollieren, sondern auch lokalisieren kann. Vor kurzem, als der Orden der Cahaizo bereits mit der feindlichen Flotte kollaborierte, hat er dieses Programm zum ersten Mal wieder aktiviert!“

„Weswegen sollte er das getan haben? Er muss doch geglaubt haben, dass keiner der Androiden damals entkommen konnte!“

„Auf diese Frage kann ich keine Antwort geben, doch es ist für die Rekonstruktion des Falles nicht von Bedeutung! Er hat das Programm aktiviert und wurde somit über den verbliebenen Androiden informiert!“

„Das war natürlich eine riesige Chance für die Cahaizo und auch für die Flotte!“ folgerte Santa Bosz und biss sich auf die Lippen.

„Diese Chance nutzten sie!“ nahm Pox den Faden wieder auf. „Sie bereiteten alles für eine erfolgreiche Sabotage und den darauffolgenden Raum- und Bodenangriff vor. Das heißt, sie sammelten die Flotte im Tsa-System…“

„Einen Moment!“ unterbrach ihn der Kapitän. „Wieso kam es dann zu dem gescheiterten Angriff mittels Netzteleportation?“

„Meine Berechnungen und Beobachtungen haben ergeben, dass sich der General des Zweiten Lebens als Anführer der feindlichen Raumflotte und der Flammengott der Cahaizo als Oberster der Infiltratoren nicht bedingungslos unterstützen. Es gibt wohl eine Art Konkurrenzdenken und Gegeneinanderarbeiten zwischen den beiden! Es ist wahrscheinlich, dass sich der General des Zweiten Lebens erst dann dazu bereiterklärte, den Sabotageplan zu unterstützen, als er mit seiner Raumkampftaktik gescheitert war!“

„Das passt zeitlich aber nur dann, wenn die Cahaizo trotz der Ablehnung seitens des Generals an der Ausführung ihres Planes arbeiteten!“

„Was wiederum der Spaltung beider Interessengruppen entspräche! Man brachte, vermutlich unberührt von den Angriffen der Flotte, die eigenen Bodentruppen nach Imperia, und schickte vor allem das Beonzodoran über den Flammenpriester Ervoos Colvoumo auf den Planeten Zenit!”

Wieder nickte Bosz und fuhr mit nachdenklichem Gesichtsausdruck fort: „Der letzte Schritt war dann ganz einfach – mittels des Funksignals, von welchem das junge Flammenkind gesprochen hat, wurde der Androide aktiviert und instruiert, gleichzeitig sandte man das Beonzodoran mittels Transportmodus der Hochgeschwindigkeitsbahn zwischen Obelisk und Zenit City zu dem Attentäter, der daraus die Bombe baute und das Kraftwerk zerstörte. Der Obelisk der Macht war wehrlos, und die Bodentruppen sowie die Raumflotte konnten ihn im Sturm nehmen! Das Imperium war gefallen!“

Der Kapitän sah Pox einige Sekunden lang an, dann blitzte ein Lächeln in seinen Augen auf.

„Es ist uns gelungen, den Fall zu lösen!“ sagte er mit unverkennbarem Stolz in der Stimme.

„Noch eine Frage ist offen!“ widersprach Pox. „Die Identität des Attentäters muss noch geklärt werden, denn solange er sich unerkannt im Obelisken aufhält, stellt er selbst bei einer erfolgreichen Rückeroberung ein Sicherheitsrisiko dar!“

„Wie können wir ihn lokalisieren?“ fragte Santa Bosz.

„Der Schlüssel zu diesem Verräter-Androiden ist das Programm Irc von Motaviens!“ erklärte Pox. „Wenn ich Zugriff erhalten, kann ich die Identität des Saboteures entschlüsseln!“

„Vermutlich befindet sich dieses Programm auf dem Kommandorechner des Flammenpriesters!“ meinte Santa Bosz. „Und dieser steht nicht auf Terabial, sondern auf dem Auge der Flammen, also der Raumstation der Cahaizo!“

Er seufzte, sah Pox dabei mit intensivem Blick an.

„Folglich müssen wir versuchen, diesen Ort hier zu verlassen!“


*


Obwohl die Schwerkraftprojektoren von ihrer Idee her anders geklungen hatten, war das Hinaufsteigen des von Bartôg erwähnten Wartungsschachtes eine einzige, elende Plackerei. Der Grund dafür bestand darin, dass sich die in Schwerelosigkeit gehüllten Kämpfer, zu denen auch Sara und Mercurion gehörten, nicht einfach nach oben bewegten, sondern ständig nach links und rechts abgetrieben wurden. Das junge Mädchen von Terra wusste nun, warum diese Art der Fortbewegung als gefährlich galt, denn in dem schmalen Schacht hatte sie sich unzählige blaue Flecke zugezogen, weil sie ständig gegen die Wand des Tunnels gestoßen war. Doch auch den anderen erging es nicht besser, und als sie schließlich und endlich den oberen Ausgang des Schachtes erreicht hatten, machte sich in der ganzen Spezialeinheit "Zentralcomputer" Erleichterung bemerkbar.

Sie standen in einem viereckigen Raum, an dessen Wänden zahlreiche Energie- und Datenknoten zu sehen waren. Ein einziger Ausgang führte aus dem Raum heraus; bislang war von feindlichen Soldaten oder Robotern nichts zu sehen.

Jenseits des Ausganges, wohin sich Sara, Mercurion und die sie begleitenden Paramirs begaben, lag ein kleiner Flur, wo in Form einer T-Kreuzung ein weiterer Gang einmündete; am anderen Ende lag ein weiterer Durchgang, und dahinter befand sich der Vorraum des Zentralcomputers.

Nach wie vor wurden sie nicht von feindlichen Einheiten angegriffen, dennoch wusste sich das Computersystem der Hohen Mächte durchaus zu verteidigen: Kaum hatten die beiden Mitglieder der Armee des Lichts den Raum betreten, als auch schon ihre Körperschilde unter plötzlich einsetzendem Beschuss flackerten, aber hielten. Einer der Paramirs hatte weniger Glück – er wurde getroffen, taumelte zurück und stürzte leblos zu Boden. Die übrigen Rebellierenden reagierten schnell und hektisch: Sie rissen ihre Waffen heraus und feuerten auf die automatischen Selbstverteidigungsanlagen, die sich überall in den Wänden befanden. Einige der Schutzvorrichtungen explodierten.

„Roboterdrohnen!“ entfuhr es plötzlich Bartôg, während er weiterhin auf das Gesehene schoss: Aus den Wänden lösten sich kleine, kugelförmige Schweberoboter mit deutlich erkennbaren Waffenarmen.

„Da vorne geht es in den Computerraum!“ rief ein Paramir und deutete auf einen zweiten Durchgang. „Mercurion und Sara, legt das System lahm, wir halten hier die Stellung!“

Auch Mercurion hatte einen ähnlichen Plan entwickelt; er wandte sich unter dem Aufleuchten seines Schildes an Sara und schrie: „Da drin dürften keine Waffensysteme sein! Los, wir beeilen uns!“

Die beiden Menschen hechteten durch das an Intensität zunehmende Sperrfeuer und kamen auf diese Weise in den eigentlichen Zentralcomputerraum.

Sara und Mercurion fanden sich in einem recht kleinen, aber ungleich höheren Raum; er maß vielleicht 4 auf 4 Meter, ragte aber gute 30 Meter in die Höhe. Eine grell leuchtende Wand war gegenüber des Eingangs zu sehen, die auf Bodenhöhe in ein kleines Terminal mit Monitor auslief. Unzählige Leuchtdioden blinkten unaufhörlich teils rhythmisch, teils unregelmäßig. Durch unzählbar viele, halbdurchsichtige Röhren liefen Lichter mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten, und ein permanentes Summen erfüllte den Raum.

Es handelte sich um den Zentralcomputer der Hohen Mächte von Citadel, und das ganze Gebilde hatte unerfassbar große Ausmaße angenommen. Trotz der rein physischen Starrheit wirkte die Konstruktion aufgrund des Blinkens, Leuchtens, des blitzenden Pulsierens eher wie ein gewaltiges Lebewesen, das sich hier eingenistet hatte.

Sara war vom ersten Moment an fasziniert und fast wie gelähmt in Gegenwart des monströses Gebildes, Mercurion jedoch wirkte völlig gelassen, als er sich dem Terminal näherte.

„Dieser Zentralcomputer ist keineswegs ein integraler Bestandteil der Zitadelle!“ erklärte Mercurion nach seiner Musterung des überdimensionalen Rechengerätes. „Er ist vielmehr von den Hohen Mächten nachträglich eingebaut worden und hat dann die Kontrolle über die wichtigsten Systeme von Citadel übernommen!“

„Und was bedeutet das für uns?“ wollte Sara wissen.

„Dass wir vermutlich nichts zerstören können, was die Zitadelle der Unendlichkeit dauerhaft schädigt!“ antwortete Mercurion. „Das kommt uns sehr entgegen!“

Er begann, einige Befehle in den Terminal einzugeben, zog dann seinen MiniCom von seinem Arm und stellte mit Hilfe seines Adaptergerätes eine Verbindung her.

„Aber dennoch ist der Zentralcomputer ein Meisterwerk für sich!“ fuhr er fort. „Da waren durchaus Könner am Werk!“ Er warf einige Blicke auf die Anzeige seines tragbaren Mini-Computers. „Allerdings hat man seine Programme und Datenbestände lange nicht aktualisiert! Das dürfte kein Problem werden!“

Und er machte sich daran, das synthetische Herz, das die Hohen Mächte nachträglich in die Eingeweide von Citadel gepflanzt hatten, nach und nach am Schlagen zu hindern; Mercurion Tallur ging dabei keineswegs zimperlich vor, und Sara konnte einen kurzen Schrei des Erschreckens nicht unterdrücken, als nach einer Weile einige grelle Stichflammen aus Datenknoten in der leuchtenden Schaltwand brachen. Das Blinken und Funkeln nahm zu, als beschleunige der synthetische Parasit seine Atemfrequenz. Von außen, wo die Paramirs nach wie vor gegen die Abwehreinrichtungen des Systems kämpften, waren laute Rufe, kreischende Schüsse und kleinere Detonationen zu hören – der Zentralrechner wehrte sich mit allem, was ihm zu Verfügung stand.

Doch all das hatte keinen Zweck – am Ende unterlag er Mercurion. Gläserne Röhren explodierten, grell leuchtende Dämpfe stiegen auf, schrilles Kreischen wechselte sich mit dumpfen Dröhnen ab, und schlussendlich blinkte die ganze Computerwand ein letztes Mal auf, ehe sie für immer in Dunkelheit versank.


*


„Hast Du eine Idee, wie wir das Lager der Cahaizo verlassen können, ohne dass man uns verfolgt?“ fragte Kapitän Santa Bosz, nachdem er gemeinsam mit Pox das Archiv hinter sich gelassen hatte – sie wollten vermeiden, nach erfolgreicher Informationsbeschaffung in flagranti erwischt zu werden. So standen sie nun am Rande eines relativ willkürlich ausgewählten, unterirdischen Ganges.

„Vielleicht können wir uns die terabial'sche Nacht zunutze machen!“ erwiderte der Roboter.

Santa Bosz stimmte zu, und so schlichen sie sich weiter durch einige unterirdische Tunnel. Die enorme Größe dieses hauptsächlich subplanetar angelegten Geheimstützpunktes wurde ihnen mit jedem Schritt gewahr, und erst nach gut einer Stunde, in deren Verlauf sie durch immer selten benutztere Gänge (erkennbar an dem Maß an Staubbeschichtung beziehungsweise dem Geringerwerden von künstlichen Lichtquellen) kamen, erreichten sie eine Treppe, die Pox als für den Aufstieg geeignet erachtete. Zwar waren sie auch vorher schon an Rampen vorbeigekommen, allerdings hatte der Roboter mit seinen künstlichen Sensoren stets davor gewarnt, diese zu benutzen, da er an ihrem oberen Ende Stimmen hatte hören können. Nun endlich bestiegen sie die steinernen Stufen und kamen nach weiteren fünf Minuten in einem kleinen Gebäude aus Fels heraus, dessen Dach fehlte und durch das sie die glitzernde Sternenpracht des Himmels von Terabial sehen konnten. Schon während des Aufsteigens war ihnen kalte Nachtluft entgegengeschlagen, nun spürten sie deutlicher denn je den Wind, der durch die Ruinen wehte.

Eine einzige Öffnung führte aus dem kleinen Gemäuer, und nachdem sie diesen Durchgang passiert hatten, stellten sie fest, dass sie in einer kleinen Ansammlung gleichartiger Felshäuser standen, die – laut Pox, der Restlichtverstärker in seinem Photosystem eingeschaltet hatte – nicht über ein Erdgeschoss hinauswuchsen. Augenscheinlich handelte es sich nicht mehr um die Axares-Ruinen, sondern um irgendein anderes Relikt aus der Zeit, in welcher die T’Bazi hier lebten, allerdings sprach die Tatsache, dass man auch recht tief stehende Sterne noch erblicken konnte, dafür, dass der Krater, in dem sie sich befanden, gleichfalls recht flach war.

„Gibt es einen Anhaltspunkt, in welche Richtung wir uns wenden müssen, um möglichst schnell zu einer Siedlung zu kommen?“ fragte Santa Bosz. „Dort können wir ein Raumschiff bekommen und uns zu der Raumstation der Cahaizo begeben, oder wenigstens unsere Identität verschleiern!“

„Es gibt hier verhältnismäßig wenige Siedlungen!“ gab Pox Auskunft, indem er seine Datenbänke über Terabial nach verwertbaren Informationen durchforstete. „Allerdings liegt ein kleines archäologisches Camp in erreichbarer Nähe!“

„Ist es denn besetzt? Leben dort Menschen?“

„Ich habe keine gegenteiligen Informationen! Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass wir dort die Möglichkeit erhalten, uns zur nächstgrößeren Siedlung befördern zu lassen!“

„Dann werden wir dorthin aufbrechen! Wohin müssen wir gehen?“

„Der Weg führt uns zu diesen Bergen!“ sagte Pox und deutete auf einige schwarze Silhouetten in der nicht wirklich helleren Dunkelheit der Terabial’schen Nacht.

Sie machten sich augenblicklich auf den Weg, denn Pox befürchtete weiterhin, dass man zunächst ihr Verschwinden, bei darauffolgender Recherche auch ihren Einbruch im Archiv bemerken und sie anschließend verfolgen würde. Mit eiligen Schritten verließen sie den flachen, sehr kleinen Krater, dessen Durchmesser keine 200 Meter betrug, durchquerten anschließend die Wüste. Der Sand knirschte unter ihren Schuhen oder Metallfüßen. Doch trotz ihrer Eile benötigten sie mehr als 2 Stunden, in denen sie ausschließlich schwiegen, ehe sie die ersten Felsausläufer der kleinen Bergrücken erreichten. Der nun auf sie wartende Anstieg erwies sich als beschwerlich, aber nicht als schwierig. Eine weitere Stunde verging, und als sie endlich eine größere Felsterrasse erreichten, dämmerte es am Horizont bereits.

„Hier müsste das archäologische Camp sein!“ sagte Pox. „Es gibt eine Höhle in den Felsen hier!“

Ohne etwas zu antworten, näherte sich Kapitän Bosz jener Seite der Terrasse, an welcher sich die bräunlichen Felsen gen Himmel erhoben, und tatsächlich fand er im heller werdenden Licht der aufgehenden Sonne Bialis eine Öffnung im Gestein, die groß genug war, um mehreren Menschen Einlass zu gewähren. Die beiden Ermittler traten ein und fanden sich unversehens wieder in Dunkelheit gehüllt.

Der widerwärtige Geruch von Verwesung schlug ihnen einem Faustschlag gleich entgegen, und Pox hörte Santa Bosz neben sich würgen.

„Was ist da los?“ stieß der Kapitän durch seine vor Mund und Nase gehaltene Hand hervor.

„Einen Augenblick!“ erwiderte Pox, der mit seinen lichtempfindlichen Photozellen links neben dem Eingang der Höhle einen Generator erspäht hatte; mit einigen schnellen Handgriffen gelang es ihm, ihn zu aktivieren. Seine Überlegungen erwiesen sich als richtig, denn begleitet von einem leisen Sirren erwachte zunächst der Generator zum Leben, anschließend ging das Licht in der Höhle an.

Insgesamt zählten Pox und Santa Bosz in diesem Eingangsbereich des archäologischen Camps neun Leichen, Männer wie Frauen, Humanoide von verschiedenen Welten. Sie alle waren entweder niedergeschossen oder mit brutaler körperlicher Gewalt getötet worden. Im Schädel eines Wesens vom Planeten Eraphin steckte noch eine Art Kolben. Das Ausmaß der Verwesung deutete darauf hin, dass der Tod bereits vor einiger Zeit erfolgt war, sich aber niemand die Mühe gemacht hatte, die Leichen zu beseitigen, geschweige denn zu begraben oder andersartig zu würdigen.

„Was ist passiert?“ stieß Santa Bosz hervor.

„Die Cahaizo haben bereits auf Zenit bewiesen, dass sie mit ihren Gegnern nicht zimperlich umgehen!“ erwiderte Pox. „Vermutlich hat sie die Nähe der Archäologen gestört!“

„Oder aber diese Forscher haben etwas herausgefunden, was sie nicht hätten erfahren dürfen!“ ergänzte Bosz.

„Das ist durchaus möglich!“ bestätigte der Roboter. „Wir könnten nachsehen, woran sie gearbeitet haben!“

Die beiden Ermittler entschieden, dass diese Überlegungen es wert waren, ausgeführt zu werden, und so besah sich Pox einige Notizen der Verstorbenen, ehe er mitteilte: „Es gibt drei interessante Neuigkeiten innerhalb dieser Aufzeichnungen - offenbar hat man  hinteren Teil der Höhle vor kurzem einen weiteren Raum mit Relikten und Inschriften entdeckt. Dann erhielt man jedoch die unbegründete Anweisung, das Camp und sogar den Planeten zu verlassen - dies geht aus einer zweiten Datei hervor. Die Forscher stimmten jedoch intern ab und beschlossen so, den Befehl zu verweigern und trotz der gegenteiligen Anweisung weiterzuarbeiten!"

„Im Nachhinein war das wohl die falsche Entscheidung!" kommentierte Szanta Bosz das Gehörte mit versteinerter Miene.

Die Eingangshöhle hatte noch zwei weitere Ausgänge, die tiefer in den Berg hinein führten; einem dieser Gänge folgten die beiden. Die Energie, welche der Generator spendete, reichte aus, um auch diesen Bereich des Camps bzw. der Forschungsstätte zu beleuchten, und so waren Pox und Bosz gezwungen, auf ihrem Weg in den Berg weitere 22 schrecklich verstümmelte Leichen erblicken zu müssen.

Schließlich erreichten sie den neuentdeckten Raum. Er war etwa drei Meter lang, ebenso breit und gute 4 Meter hoch. Die glatten Wände sowie die beinah exakt geometrische Form wiesen darauf hin, dass er künstlich angelegt worden war. Am auffälligsten waren die Zeichnungen an der Wand – sie übertrafen das Niveau simpler Höhlenmalereien von Ur-Zivilisationen an Farbenfreude und vor allem an Detailreichtum.

Insgesamt drei unterschiedliche Bilder waren zu erkennen: Auf dem ersten Bild war die Oberfläche des Planeten Terabial zu sehen, wobei statt der Krater hier Seen zu erblicken waren. Über dieser Landschaft schwebten zwei kugelartige Gebilde, von denen eines weiß-bläulich war, das andere in einem düsteren Rot leuchtete.

„Dieses Bild zeigt offensichtlich die Ankunft der beiden Wesenheiten, die sich aus dem Volk der Haynu entwickelt hatten!“ folgerte Santa Bosz. „Welche Komponente wird von welcher Farbe symbolisiert?“

„Die hellere stellt vermutlich die gute Seite dar! Das dunkle Rot löst in den meisten Kulturen Furcht aus, wird also eher negativ assoziiert. Außerdem ist die blauweiße Kugel als Einheit wahrnehmbar, während das rötliche Objekt aus unzähligen Einzelfragmenten besteht, was die Individualität der Wesen darstellen könnte!“

Sie betrachteten das zweite Bild: Hier war nur die vermutlich düstere Wesenheit zu sehen, umgeben von insektoiden T’Bazi.

„Auf diesem Bild wird uns die Rekrutierung von einheimischen Lebewesen durch die negativen Individuen gezeigt!“ mutmaßte Pox.

Das dritte Bild war bei Weitem das interessanteste: Es symbolisierte offensichtlich die Flucht der Negativen von Terabial, nachdem diese nicht mehr hier leben konnten, weil ihre Nemesis – das Haynu-Kollektiv - verschwunden war. Erstmalig waren diese Individuen nicht mehr als intern fragmentierte Einheit dargestellt, sondern als Einzelwesen, welche von der Oberfläche des Planeten aus gen Himmel strebten.

Die dunkelrote Farbe war geblieben, doch waren nun einigermaßen deutliche Körperkonturen erkennbar. Ein annähernd humanoider Leib mit zwei Beinen und zwei Armen sowie einem Kopf war erkennbar. Die Finger waren Klauen, ebenso die Füße; aus dem Schädel ragten zwei bedrohliche Hörner. Die Silhouette des Wesens war umgeben von rotleuchtenden Flammen.

Santa Bosz war einen Augenblick lang sprachlos vor Erstaunen, ehe es ihm gelang, seine Verwundern in Worte zu kleiden: „Das ist ein Jäger der Sterbenden Sonne!“

Pox hatte diese augenscheinliche Tatsache mit emotionsloser Kühle akzeptiert und in sein synthetisches Bewusstsein integriert: „Die Wahrscheinlichkeit dafür ist sehr hoch! Die individuellen Negativkomponenten der Haynu manifestierten sich als jene Kreaturen, die wir heute Jäger der Sterbenden Sonne nennen! Nach ihrer Flucht von Terabial siedelten sie sich auf einem Planeten an, dessen Sonne ihnen jene Kraft spendete, welche sie zuvor vom Haynu-Kollektiv selbst erhielten. Die Prozedur, welche jenem Stern die Energie entzog, ließ auch die Jäger an Macht verlieren!“

„Wir wissen, dass die Jäger der Sterbenden Sonne für den Feind arbeiten! Gibt es hier eine Verbindung?“

„Es ist durchaus möglich, dass entweder die Rekrutierung der Jäger über die Cahaizo stattgefunden hat, oder aber dass der Feind über die Jäger der Sterbenden Sonne auf den Orden der Geretteten aufmerksam geworden ist!“

Bosz überlegte kurz, fuhr dann fort: „Wenn die Jäger der Sterbenden Sonne als Negativkomponente der Haynu heute noch leben, besteht dann nicht die Möglichkeit, dass auch das Haynu-Kollektiv noch existiert?“

Eine Stimme vom Eingang des Raumes riss den Kapitän herum; auch Pox wandte den Kopf.

„Das werdet Ihr nie erfahren!“ sagte der Anführer des bewaffneten Trupps von Cahaizo. „Vorher werdet Ihr wie diese Forscher Euer Leben verlieren!“

Bosz hatte sich schnell wieder im Griff.

„Was werdet Ihr mit uns tun?“

„Unser Auftrag lautet, dass Ihr zunächst zum Flammenpriester gebracht werdet! Er wird entscheiden, was mit Euch geschehen wird!“


Am Ende des schmalen, hohen Raumes standen zwei Personen, in wallende Gewänder gehüllt – eine junge Frau mit schwarzen, langen Haaren, und ein ebenso junger Mann, dessen Gesicht den Eindruck geistiger Umnachtung nicht verbergen konnte. Sie trugen über ihre Ohrmuscheln gestülpte Lichtfeldprojektoren, die ein eigenartiges Fluoreszieren über ihre Häupter projizierten.

„Das müssen die Gemini-Monarchen sein!“ sagte A’eron laut.

„So ist es!“ lautete die Antwort der Frau; inzwischen hatte sich die Distanz zwischen beiden Gruppen auf vielleicht zehn Meter reduziert. „Wir werden Euch nun in Eure Schranken weisen!“

Cya blickte die beiden Herrscher der Zitadelle der Unendlichkeit mit einem intensiven Funkeln in ihren Augen an.

„Wir sind die Armee des Lichts, und uns steht die Herrschaft über die Zitadelle uneingeschränkt zu! Wir geben Euch die Chance, sie uns ohne weiteres Blutvergießen zu übergeben!“

Die Frau, welche offensichtlich handlungskompetenter war als ihr Partner, der weiterhin mit leerem Blick die Armee des Lichts anstarrte, versuchte, ein Lachen auszustoßen, scheiterte jedoch – ihre Stimme kippte, und mehr denn je war ihr die Furcht und Nervosität anzumerken, die in ihr brodelte.

„Ihr werdet niemals die Herren von Citadel, denn das Schicksal hat uns dazu gemacht! Die Kaskade der Unendlichkeit in unserem Tempel werdet Ihr niemals erreichen! Wir sind die Nachfahren der Herren von Arche Eins, und uns gehört Citadel!“ schrie die Frau dann.

Ihre rechte Hand, die sie hysterisch zuckend auf Cya gerichtet hatte, fiel nach unten und schlug auf einen Schalter, der ein Gerät aktivierte, welches zwischen den beiden Herrschern stand. Die Aureole, welche die Köpfe der beiden Gemini-Monarchen umgab, leuchtete heftig auf, dann gab es einen grellen Blitz, welcher Cya, Elexi’ael, Zentaya und A’eron veranlasste, die Hände vor die Augen zu reißen. Als das Licht wieder abgeklungen war und sie wieder sehen konnten, war es an ihnen, aufgrund ihres Erschreckens für einen Moment die Kontrolle über ihre Gesichtszüge zu verlieren: Eine zweieinhalb Meter große, pechschwarze Gestalt mit wehendem Umhang und brennenden Augen im Kopf stürmte auf sie zu, das aus dem Zenit eines gewaltigen Schädels ragende, gewundene Horn gefährlich nach vorne gestreckt. Aus einem zähnebewehrten Rachen quollen flammende Blitze, mit den muskelbepackten Armen schwang er stabartige Waffen, deren Ränder seltsam verzerrt wirkten, als verlören sie beim Schwingen einen Teil ihrer Substanz, die staubartig herumwirbelte, ehe sie sich wieder mit dem Objekt verband.

Nun war das hysterische Lachen, das aus dem Mund der Gemini-Monarchin drang, deutlich echter.

„Diesen Kampf werdet Ihr nicht überlegen! Unser Dämon wird Euch vernichten!“ kreischte sie.

Das schwarze Wesen stieß einen lauten, unmenschlichen, beinahe unwirklichen Schrei aus und stürmte dann auf die Armee des Lichts los; in einer schnellen Reaktion stürzten die vier Imperialen auseinander. Die erste Attacke des Dämons ging ins Leere.

„Was ist das?“ schrie Zentaya laut und riss ihren Körper, der bei dem Ausweichen schmerzhaft auf den harten Boden gestürzt war, nach vorne.

„Ein Psykrieger!“ ächzte Elexi’ael. „Das ist eine materialisierte Psyenergie-Projektion, die von Psybegabten erzeugt und gesteuert wird! Es gab Experimente zu solchen Manifestationen im Psy-Kommando, allerdings ohne sonderlich großen Erfolg!“

Der Psykrieger hatte inzwischen auf das Ausweichmanöver seiner Opfer reagiert; er fuhr herum, schwang erneut die merkwürdigen Waffen und wählte sich dann A’eron aus nächstes Ziel aus. Mit zwei weiten Schritten näherte er sich diesem, der glücklicherweise nicht gestürzt, sondern beim ersten Angriff des Dämons nur zur Seite gesprungen war. So sah der Hochenergie-Ingenieur seinen Angreifer auf sich zustürmen und konnte sich erneut mit einem Seitensprung vor dem herabsausenden Stab in Sicherheit bringen.

„Halte uns keinen Vortrag, Lex’!“ rief Cya von der anderen Seite des Raumes aus. „Was können wir tun?“

„Wir können zusehen, dass wir verschwinden!“ lautete Lex’ Antwort.

Es war nicht erkennbar, ob der Psykrieger autark genug agieren konnte, um seine Worte zu verstehen und zu reagieren, oder ob die Gemini-Monarchen, die ihn steuerten, seine Anweisungen wahrnahmen und ihr Kampfmonster bewusst lenkten; in jedem Fall schien die nächste Aktion des Psykriegers eindeutig den Sinn zu haben, eine Flucht der Armee des Lichts zu verhindern. Mit einer rasend schnellen Bewegung, die seinen ganzen Körper jenem Phänomen des Zerstäubens, das bisher nur seine Stabwaffen begleitet hatte, aussetzte, schnellte er zur anderen Seite des Raumes, wo sich der Ausgang befand.

Cyas Kopf folgte seiner Bewegung, und so meinte sie: „Der Plan, zu fliehen, ist hiermit gescheitert! Wir müssen uns etwas anderes überlegen!“

Nun hatte der Psykrieger Zentaya erspäht, die noch immer auf dem Boden lag, sich allerdings zu einer Wand vorgeschoben hatte. Sofort hob er seinen rechten Arm, gleichzeitig bewegte er sich auf die Hohepriesterin zu. „Zentaya, pass auf!“ rief A’eron, der den nächsten Angriff des Psykriegers antizipierte.

Die junge Frau von Dosk fuhr herum, sah einen Arm auf sich zufliegen, und warf sich instinktiv zur Seite. Neben ihr drang der schwarze Arm in die Wand ein, und dort, wo sein psyenergetischer Korpus auf Materie traf, entstanden elektrische Entladungen, die Zentaya teilweise schmerzhaft auf ihrer Haut spürte.

„Wir müssen schnell etwas tun!“ schrie Cya, zog eine Waffe und feuerte auf den Gegner; das, was sie bereits vermutet hatte, traf zu: Die hochenergetischen Strahlen der Waffe durchdrangen den Körper des Ungeheuers, als wäre es gar nicht existent.

„Es ist das Gerät, mit dem die Gemini-Monarchen den Psykrieger erzeugen!“ brüllte A’eron. Inzwischen war Zentaya aufgesprungen, befand sich aber noch immer gefährlich nahe dem Angreifer. Dieser holte erneut aus, schlug zu und verfehlte die Hohepriesterin nur knapp, da diese sich wieder fallen ließ. Noch einmal brannten ihr Entladungen im Gesicht und am Kopf.

Cya fuhr herum und gab einen gezielten Schuss auf das Gerät, welches zwischen den beiden Herrschern der Zitadelle stand, doch auch hier hatte ein Angriff mit dem Strahlengewehr keinen Erfolg; die Energie verging im Flackern eines Schutzschildes.

Zentaya saß in der Falle – es war klar, dass sie beim nächsten Schlag des Psykriegers nicht mehr würde ausweichen können. Mit vor Angst geweiteten Augen starrte sie das schwarze Ungeheuer an und erlebte wie in Zeitlupe, dass dieses den Arm mit den Stäben hob. Offensichtlich war sich auch die materielle Projektion (oder die Gemini-Monarchen als Marionettenspieler) bewusst, dass ihr Opfer nun dem Tod geweiht war, denn der schwarze, zahnbewehrte Rachen öffnete sich und stieß einen lauten, triumphalen Schrei aus.

Ein neuerlicher Blitz durchzuckte die Halle, doch diesmal verging das Leuchten nicht; alle Augen fuhren herum und erblickten in der Mitte des Raumes eine strahlende, weiße Gestalt von hohem Wuchs, einem schlanken Körperbau und zwei schwingenden Flügeln auf dem Rücken – wäre Sara hier gewesen, hätte sie unzweifelhaft an einen Engel gedacht.

Cya war die erste, welche erkannte, worum es sich bei dem Wesen handelte, denn ihr zweiter Blick nach dem Auftauchen der Figur ging zu Lex’; dieser kniete in einer Ecke des Raumes mit geschlossenen Augen auf dem Boden, während Schweißperlen sein vor Konzentration verzerrtes Gesicht hinab liefen. Er hatte es geschafft, dank der Unterstützung des Gerätes, welchem sich die Gemini-Monarchen bedienten, gleichsam einen Psykrieger zu erschaffen.

Die Anführer der Hohen Mächte waren die letzten, die erkannten, was gerade geschehen war, und in dieser Zeit stand auch ihr eigener Psykrieger bewegungslos über Zentaya gebeugt, welche die Gelegenheit nutzte, um sich aus der unmittelbaren Nähe des Ungeheuers und in Sicherheit zu bringen.

Auch Lex’ Psykrieger hatte in den Händen zwei stabartige Waffen; diese in eleganten Bewegungen schwingend, schwebte er auf seinen schwarzen Kontrahenten zu, der sich augenblicklich zu ihm umwandte. Sein Angriff hatte nichts von der Eleganz und Grazie, wie sie der weiße Psykrieger ausstrahlte – seine Bewegungen waren reine Brutalität. Wieder entfloh ein Schrei seiner dunklen Kehle. Er riss seine Waffe über den Kopf und ließ sie auf die leuchtende Gestalt hinab sausen. Diese hob gleichsam ihre Stäbe, und als sich beide Projektionen trafen, erfüllte ein helles Kreischen den Raum. Schwarzer und weißer Dunst umgab die beiden Psykrieger, wirbelte wild herum und formte sich dann wieder erneut zu den beiden Waffen, aus denen er entstanden war. Nun setzte Lex’ Krieger zum Gegenangriff an: Er hielt beide Stäbe seitlich von seinem Körper gestreckt, wirbelte um die eigene Achse und schaffte es so, seinen Gegenüber zweimal zu treffen. Diesmal war nur schwarzer Nebel zu sehen; der dunkle Krieger stieß einen weiteren Schrei aus. Mit seiner rechten Waffe stieß er auf den Engelsartigen zu, traf ihn in der Brust, dieser sprang rückwärts, wartete einen Moment, bis sich die losgelöste Psymaterie wieder mit seiner Gestalt verbunden hatte. Schon war der schwarze Krieger wieder auf ihn losgestürmt, doch der Weiße wich mit einer Drehung aus. So kam er hinter seiner Gegner, dessen schwerfällige Gestalt es nicht schaffte, sich schnell genug zu drehen. Es sah aus, als springe der weiße Psykrieger hoch in die Luft, seine beiden Flügel führten einen Schlag aus, der ihn für den Bruchteil eines Augenblicks in der Luft hielt,  dann stürzte er mit nach vorne gerichteten Waffen auf den Schwarzen hinab. Dieser riss verzweifelt seine Arme nach oben, doch kam jede Gegenwehr zu spät: Wie ein scharfes Schwert drang der Psykrieger von Elexi’ael mit seiner ganzen leuchtenden Gestalt in das dunkle Ungeheuer ein, das augenblicklich jeglichen Zusammenhalt verlor und sich unter einem Tosen in schwarzen Nebel auflöste.

Ein greller Schrei erfüllte den Raum, und es dauerte einige Sekunden, bis Cya, A’eron und Zentaya klar wurde, dass es keineswegs der Psydämon war, der ihn ausgestoßen hatte, sondern dass die beiden Gemini-Monarchen schrien. Ein Blick zu ihnen zeigte, dass das Gerät, welches den Psykrieger erzeugt hatte, von Blitzen umzuckt wurde und von innen heraus glühte; ein gefährliches Glühen ging auch von den Aureolen aus, welche die Köpfe der beiden Anführer der Hohen Mächte umspielten. Mit verzweifelter Anstrengung versuchte die Königin noch, die Krone abzulegen, doch ihr Körper gehorchte ihr nicht mehr, zitterte und verkrampfte sich unaufhörlich. Ein letztes Mal leuchtete es um ihre Köpfe hell auf, dann erlosch das Scheinen, und mit ihm der Geist der beiden Herrscher. Ohnmächtig brachen sie zusammen.

Cya rannte sofort zu Lex’, dem aber offensichtlich nichts zu fehlen schien; zwar mit vor Anstrengung gerötetem Gesicht und mit Blutrinnsalen aus seinen Augen und seinen Ohren fließend, aber ansonsten bei vollem Bewusstsein, erhob er sich ächzend mit Hilfe von Cyas dargebotener Hand. Er interpretierte ihren besorgt fragenden Blick richtig.

„Keine Angst!“ sagte er, und seine Stimme klang verausgabt. „Ich war nicht, wie die beiden Monarchen, direkt mit dem Gerät verbunden, sondern habe mich nur in den psy-energetischen Fluss eingeklinkt! Sonst wäre ich jetzt auch…“

Er beendete den Satz nicht, sondern ging mit langsamen Schritten auf die beiden bewusstlosen Gestalten neben dem ausgebrannten Gerät zu, beugte sich über sie und betrachtete sie einen Moment.

„In dem Moment, in welchem ihr Psykrieger kollabierte, floss die ganze Energie durch das Gerät zurück in ihr Bewusstsein und hat es vermutlich völlig ausgebrannt! Vor uns liegen die körperlich noch lebenden, geistig aber toten einstigen Beherrscher der Zitadelle der Unendlichkeit!“


*


Ein einzelner Schuss, für ein menschliches Auge ob seiner Kürze nicht mehr wahrnehmbar, löste sich aus der Strahlenwaffe Irc von Motaviens; ein gleißender Strahl durchschnitt den Raum, drang in Santa Bosz Brust ein. Kein Herzschlag später verschmorten die heißen Energien den Brustkorb und die Eingeweide des Kapitäns – leblos kippte sein Körper nach hinten. Santa Bosz war tot.

Pox registrierte es mit der emotionslosen Kühle eines Roboters.

Auf Terabial war der Morgen angebrochen gewesen, und die Strahlen der Sonne Bialis hatten das öde Land in ein teils ockerfarbenes, teils braunes Licht getaucht. Pox und Santa Bosz waren nach ihrer Gefangennahme von dem bewaffneten Cahaizotrupp keineswegs zurück in die Axares-Ruinen gebracht worden, sondern in eine andere verfallene Hinterlassenschaft der einstigen Bewohner des Planeten, in welcher sie dem Flammenpriester Terabials persönlich gegenüberstanden. Dieser – Irc von Motavien, einst Hohepriester des Imperiums – hatte ihre Geschichte bereits gekannt und auch über ein Eindringen in das Archiv Bescheid gewusst. Eine erwartete Rede des ehemaligen Hohepriesters war ausgeblieben: Ohne große Worte hatte Irc eine der bewaffneten Wachen angewiesen, die beiden Gefangenen zu einem Raumschiff zu bringen, mit welchem der ehemalige Hohepriester selbst zum Flammenauge aufzubrechen gedachte. So war es gekommen, dass die beiden Ermittler schlussendlich auf diesem ungewöhnlichen Weg ihrem Ziel entgegen nahten, doch sollte das Schicksal nun endgültig einem der beiden - dem Raumschiffkapitän - nicht mehr gewogen sein, und er beendete sein Leben in einem sinnlosen Tod dank des Feuerstrahles aus der Waffe des ehemaligen Hohepriesters - offensichtlich hatte dieser geglaubt, Bosz wolle ihn angreifen, als letzterer eine für die Situation zu hastige Bewegung ausführte.

So starb Szanta Bosz, Kapitän des Imperiums und Patriot.

Einige Sekunden lang starrte der ehemalige Hohepriester auf die Leiche des imperial-loyalen Geschwaderkapitäns, dann legte er mit gleichmütiger Ruhe die Waffe neben sich und wandte sich dem Sichtfenster zu.

„Sobald der Roboter eine Bewegung macht, erschießt er ihn ebenfalls!“ wies er die Wachen an. „Wir sind in Kürze am Auge der Flammen!“

Tatsächlich war bereits vor einigen Momenten durch das Front-Sichtfenster in der Schwärze des Weltalls ein glänzendes Objekt erschienen. Diese Raumstation kreiste um den 98. Planeten des Bialis-Systems, eine leblose, von dicken Eisschichten überzogene Welt ohne nennenswerte Auffälligkeiten. Beim Näherkommen erkannte Pox, dass es sich bei dem „Auge der Flammen“ um eine gewöhnliche imperiale Überwachungsstation handelte, an die einige Aufbauten montiert worden waren. Insgesamt erinnerte die Konstruktion an einen Kreisel mit zwei nach außen ragenden Armen.

Zu einem dieser Arme steuerte das kleine Raumschiff mit Irc von Motavien und Pox an Bord, dockte wenige Minuten später an. Begleitet von bewaffneten Wachen verließen der Flammenpriester und der Roboter das Schiff. Nach einer Weile erreichten sie eine Schleuse, welche sie von dem Andockarm in das Innere der Station bringen sollte.

Irc wandte sich vor dem Öffnen der Tür an Pox: „Hier lebt der Flammengott, das höchste Wesen dieser Galaxis!“ sagte er und durchbohrte den Roboter mit seinem eiskalten Blick, den er auch über die anderen Cahaizo gleiten ließ. „Respekt ist das mindeste, was ihm entgegenzubringen ist, Demut das angebrachte!“ Er öffnete mit einigen Schaltungen die Tür.

Auch von Innen gab wies die Station keine Besonderheiten auf, die sie von einer normalen Imperiumsstation unterschied. Über einige Gänge und Flure erreichten sie den offensichtlichen Kernbereich, schließlich das Kommandozentrum: Über einen kreisrunden Raum spannte sich eine transparente Kuppel, hinter welcher sich die endlosen Weiten des Weltalls ausbreiteten. Mehrere Cahaizo taten hier Dienst; der ehemalige Hohepriester näherte sich der nächsten Computerstation.

Irc von Motavien gab einige Befehle in das Terminal, wartete einige Sekunden, zog dann die Stirn kraus. Nachdenklichkeit zeichnete sich in sein Gesicht. Wieder flogen seine schmalen Finger über die Eingabekonsole, und das Unverständnis in seinem Blick nahm zu.

Schließlich fragte er laut: „Weswegen werden meine Kommando-Anweisungen nicht befolgt?“

Die synthetische Stimme des Computers antwortete prompt: „Ihre Kommando-Legitimation wurde aufgehoben; sie haben keine Befehlsgewalt über die Einheiten des Kosmischen Prinzen!“

„Wer gab diese Anweisung?“ Leichte Panik war aus der Stimme des ehemaligen Hohepriesters herauszuhören, und dies ließ Pox vermuteten, dass Irc von Motavien die Antwort bereits kannte, wenigstens erahnte.

„Der Flammengott!“ sagte der Computer lapidar, ergänzte dann nach einigen Sekunden jedoch: „Er erwartet Dich darüber hinaus in Deinen Gemächern!“

Irc von Motavien schluckte; Schweißperlen traten auf seine Stirn. „In meinen Gemächern?“ fragte er nach; der Computer bestätigte.

Ruckartig zog der Flammenpriester die Hände von der Konsole, richtete sich ebenso abrupt auf, fuhr herum und befahl Pox: „Du begleitest mich in meine Gemächer!“ Wieder drehte er sich zur Seite, ging dann mit heftigen, aber unsicheren Schritten den Gang entlang, gefolgt von Pox. Offensichtlich hatte er keine geringe Angst vor dem, was oder wer ihn in seinen eigenen Gemächern erwartete.


*


Dunkelheit umhüllte den Fremden wie ein Mantel, Schwärze umgab ihn wie ein Schwarm Insekten; Angst, Furcht, unterschwellige Panik – viele schlechte Emotionen begleiteten ihn gleich einer zweiten Haut. Es war, als träge der Fremde alles Schlechte mit sich, und jede Berührung seiner Aura würde alles gleichsam in Schlechtes verwandeln.

Am erschreckensten jedoch war, dass sich in Pox’ Personenspeicher das Bild einer Person befand, das sich in vielen Punkten vollständig mit dem Äußeren, der Gestik, der Mimik und vor allem dem Funkeln in den Augen des Fremden deckte; es war keine wirkliche Ähnlichkeit, was allein schon durch das unterschiedliche Geschlecht bedingt war, doch gab es Übereinstimmungen in einigen Punkten, welche einen Zufall beinahe ausschlossen.

In erster Linie war es der ernste, alles beherrschende Blick in den Augen des Dunklen, zweitens das durch und durch bewusste, nicht den Hauch eines Zweifels tragende Bewegen. Erst die dritte Auffälligkeit waren die beiden Flügel, welche sich vom Rücken des Fremden ausbreiteten und damit an die blauen Schwingen Cya von Aternias erinnerten – doch auch ohne diese waren Parallelen zu der gestürzten Kaiserin des galaktischen Imperiums nicht zu übersehen.

Doch es gab auch Unterschiede: Der Fremde war eindeutig männlichen Geschlechts, und während Cyas Flügel in einem beruhigenden, zugleich faszinierenden Blau strahlten, leuchteten die des Fremden in einem bedrohlichen Schwarz, das von rotglänzenden Adern durchzogen war. Auch waren die Ränder der Schwingen keineswegs glatt und gerundet, sondern wirkten zerrissen und vielfach gespalten.

Schwarze, lange Haare reichten ihm bis auf den Rücken, verdeckten den Ursprungspunkt der Flügel, hingen ihm auch bis ins Gesicht, das schmal und markant, aber nicht hässlich war. Seine Augen waren ohne Unterscheidung von Iris, Pupille oder Hornhaut schwarz, sahen aus wie ein Blick in den nächtlichen Sternenhimmel, denn die Schwärze wurde unterbrochen von sternartigen Punkten. Wie ein Stück eingefangener Weltraum leuchteten die Spiegel seiner Seele, und diese Seele war ebenso dunkel wie ewige Nacht.

Die Figur des Fremden war schmal, aber hochgewachsen; alle Bewegungen wirkten ernst, durchdacht und vor allem gezielt – nicht eine einzige Geste, die keine Bedeutung hatte, war zu sehen. Seine imposante Gestalt war in einen nachtblau glänzenden Umhang gehüllt.

„Mein Flammengott!“ hörte Pox Irc von Motavien keuchen und registrierte, dass sich der alte Mann niederkniete.

Einige Sekunden lang musterte der Fremde den Flammenpriester, ehe er ebenso lange Pox betrachtete. Dann fragte er mit einer tiefen, sonoren Stimme: „Wen bringst Du mir?“

„Das ist der Roboter eines Spions, der unsere Bruderschaft infiltriert hat! Vor seinem Tod teilte mir sein Herr mit, dass sie zum Flammenauge wollten, um meinen persönlichen Computer zu durchsuchen!“

Pox’ Emotionsinterpreter versagten bei dem Fremden; es war ihm nicht möglich, dessen innere Regungen zu erraten.

In jedem Fall schien für den Dunklen das Thema Pox bereits abgeschlossen zu sein; er bohrte seinen Blick in das Gesicht Irc von Motaviens.

„Die Bruderschaft der Cahaizo hat ihren Dienst getan!“ sagte er. „Der Obelisk ist gefallen, das Imperium ist geschlagen! Der General wird in Kürze das Erwachen des Schattensterns erleben, und unser aller Herr wird ihn dann in Empfang nehmen! Meine Aufgabe in dieser Galaxis ist erfüllt!“

Der ehemalige Hohepriester der Kathedrale blickte überrascht auf.

„Mein Flammengott, was hat das zu bed…?“

Er wurde unterbrochen von dem Dunklen: „Es wird kontraproduktiv sein, wenn sich in dieser Galaxis mehrere Interessensgruppen einen unterschwelligen Kampf liefern! Unser aller Herr wird hier seine Operationsbasis errichten, folglich muss diese Galaxis bereitet sein für seine triumphale Ankunft!“

„Ich erwarte ihn mit Freuden!“

„Das wird nicht nötig sein! Ich weiß, dass für den General bereits ein Bote geschickt worden ist!“

„Was…?“

Es war, als wolle der Dunkle mit einer heftigen Bewegung seiner Hand den Einwand des ehemaligen Hohepriesters beiseite wischen, doch noch ehe seine Hand wieder unter dem blauen Umhang verschwand, war Irc von Motavien leblos zur Seite gekippt. Sein Tod war so plötzlich gekommen, dass er nicht einmal mehr Zeit hatte, zu erschrecken oder einen letzten Laut auszustoßen. Noch vor dem Ende eines Herzschlags war das Leben aus ihm gewichen, und er war in die düsteren Gefilde des Vergessens gestürzt.

Irc von Motavien war tot; der dunkle Fremde hatte ihn wie ein Insekt getötet.

Dann richtete der Flammengott seinen Blick auf Pox, und dieser erwartete gleichsam sein Ende.

„Du suchst Informationen!“ stellte der Düstere fest. „Dein Wissen wird Dir nichts nützen, denn das Imperium dieser Galaxis ist gefallen, und nach ihm wird auch die Milchstraße selbst in der Schwärze versinken!“

Und nach diesen Worten verschwand der Dunkle; es war, als entstände in seinem Leib ein schwarzes Loch, welches ihn auffraß, und innerhalb weniger Sekunden war dort, wo er vorher gestanden hatte, nur noch Leere.

War es Arroganz? War es Vermessenheit?

Pox’ emotio-interpretative Programme waren nicht in der Lage, das Verhalten des Flammengottes nachzuvollziehen oder zu erklären – außer mit jener Logik, die nur einem synthetischen Wesen innewohnen konnte: Die momentane Lage ließ tatsächlich nur den Schluss zu, dass das Imperium gefallen und die Galaxis in der Hand der Feinde war. Doch selbst die einfachsten KI-Programmierungen hätten diesen Schluss nicht in jene Konsequenz des Flammengottes überführen können, denn viel zu wahrscheinlich waren unerwartete, unberechenbare Ereignisse.

Es erschien Pox grob leichtsinnig, ihn – den erklärten Gegner des Flammengottes – unbeaufsichtigt an den Kommandocomputer des Hohepriesters zu lassen, selbst wenn dieser jeder Befehlsfunktion und seines Lebens beraubt worden war. Andererseits war der Gedanke, dass ein einzelnes Wesen einer Flotte jener Größenordnung, wie sie sich momentan der Galaxis näherte und deren Vorhut alleine das Imperium gestürzt hatte, Widerstand zu leisten vermochte, gleichsam abträglich.

Die Handlungsmotivatoren von Pox gewannen die Oberhand, und so begab er sich zu dem Kommandocomputer Irc von Motaviens, neben dessen Stuhl die Überreste des einstigen Hohepriesters und Cahaizo-Führers hingen. Mit einer sanften Bewegung schob er den Leichnam zur Seite. Dann startete er den Computer, betrat das informelle Datennetz auf kybernetischem Weg und las voll synthetischer Faszination die Geschichte des Attentäters, welcher den Obelisken zu Fall gebracht hatte…


*


„...wir haben ein Problem!“ sagte der alte Hohepriester der Kathedrale der Ewigkeit zu dem alten Kaiser des Imperiums, der im Obelisk der Macht auf Zenit residierte und alle Vorzüge seines Amtes auskostete. Der alte Mann mit den grauen Haaren saß dem alten Mann mit dem erschreckend voluminösen Bauch gegenüber, ansonsten war der Raum leer, abgesehen von dem Roboter, der in einer Ecke stand und auf Befehle wartete. Dieser Roboter war etwa 1, 50 Meter groß, von bläulich-grauer Farbe und mit einem Emblem an der linken Schulter versehen, das ihn als Spezialeinheit des imperialen Führungsstabes auszeichnete. Es handelte sich bei ihm um den Leibbediensteten des Hohepriesters, der sich höchst selten ohne seinen künstlichen Wächter und Sklaven bewegte. 

„Wir haben immer Probleme!“ erwiderte der Fette und schob sich mit vor Genuss flackernden Augen ein synthetisches Nahrungspräparat in den Mund. „Aber das macht nichts, weil wir die Probleme ohnehin lösen!“

„Und hier irrst Du!“ entgegnete der alte Hohepriester. „Wir ... also Du und ich ... werden die Probleme nicht lösen, denn wir werden abdanken!“

Bevor der Kaiser diese Botschaft realisiert hatte, vergingen einige Sekunden. Dann erhob er sich mühsam, unterstützt von allerlei cybertechnischen Geräten, und erklärte: „Hat das Orakel das beschlossen?“

„Ja, genau! Und es hat mir noch etwas erzählt!“

„Nämlich?“

„Dass es mit dem Imperium, wie wir es kennen, zu Ende geht!“

Es gelang dem Kaiser mit Hilfe von Technik und größter Kraftanstrengung, seinen immensen Körper aufzuwuchten und ein paar Schritte durch den Raum zu bewegen.

„Hat das Orakel schon Lösungen parat? Oder wenigstens neue Regenten?“

Nun erhob sich auch der alte Hohepriester und nickte ernst.

„Ja! Es handelt sich um ein junges Mädchen vom Planeten Aternia ... und eines von Dosk!“

„Aternia? Aternia ... den Namen hab’ ich schon mal gehört!“

„Das ist diese Welt mit den Flügel-Menschen! Du weißt ... wie die Prostituierte auf...“

„Ja, ich erinnere mich! Seltsam! Diese Welt ist nun schon zum zweiten Mal in kurzer Zeit im Gespräch, weil nämlich niemand anderes als unser Elexi’ael dort eine Freundin hat!“

„Ich weiß, und das macht die Sache so katastrophal, denn diese Freundin ist tatsächlich die neue Kaiserin! Klingt verdächtig, oder?“

Die Mienen beider Personen verrieten beim Aussprechen des Namens Elexi’ael, dass sie beide nicht sonderlich angetan waren von ihm.

„Du meinst, dass dahinter ein Komplott steckt? Elexi’ael ist von Myra direkt benannt worden, und ich zweifele eigentlich nicht an Myra...!“ wandte der Kaiser ein.

„Ich schon, und zwar deswegen, weil sie absolut imperiumstreu ist! Glaubst Du denn ernsthaft, dass wir zwei gute Arbeit geleistet haben in den letzten Jahren?“

Nun ging eine bemerkenswerte Veränderung im Gesicht das Kaisers vor: Es wurde rot und feucht.

„Was soll das heißen? Schön, wir haben uns aus der Politik herausgehalten, aber wozu hätten wir uns da auch einmischen sollen? Das Imperium funktioniert doch!“

„Ja, und wir haben es uns auf Kosten des Imperiums mehr als gut gehen lassen! Doch nun scheint eine Hand gebraucht zu werden, die auch mal etwas tut!“

Es gelang dem alten Kaiser, sich ein wenig zu beruhigen, und zwar in erster Linie dadurch, dass er sich in seinen Sitz fallen ließ.

„Damit sind alle unsere Zukunftspläne hinfällig!“ fuhr der Hohepriester fort.

Der Kaiser schwieg einige Sekunden und erwiderte dann: „Das werde ich mir so nicht bieten lassen! Ich werde dagegen protestieren!“

„Da wirst Du keinen Erfolg haben!“

„Das Imperium will einen Kaiser, der etwas tut? Nun, ich werde etwas tun! Vielleicht noch nicht sofort, aber eines kann ich Dir versprechen: Die Herrschaft dieses Mädchens wird nicht lange dauern, und wenn ich das Imperium dafür opfern muss! Das schwöre ich!“

Einige Sekunden lang starrte der Hohepriester den Kaiser mit einem merkwürdigen Blick an, dann erhob er sich, um etwas näher bei Ardobal wieder auf das Sofa zu gleiten.

„Ich habe gehofft, dass dies Deine Einstellung sein wird!“ sagte er, und auf einmal klang auch seine Stimme ganz anders – weniger verzweifelt, siegessicherer, gefährlicher. „Höre mir gut zu, Ardobal von Xernico! Ich habe einen Plan entwickelt, der uns helfen wird, weiterhin die Macht in den Händen zu behalten!“

„Und wie sieht dieser Plan aus?“

Der Hohepriester erhob sich ein zweites Mal und ging mit einigen Schritten auf den anwesenden Roboter zu. „Du kennst meinen Persönlichen Adjutanten!“ sagte er. „Ich habe Dir niemals erzählt, dass es sich dabei keineswegs um einen normalen Roboter handelt!“

Ardobal musterte den Synthetischen mit einem abschätzenden Blick, schüttelte dann jedoch den Kopf: „Ich kann nichts besonderes an ihm erkennen!“

„Ich erzähle Dir eine Geschichte!“ fuhr der Hohepriester fort, während ein triumphierendes Grinsen über sein Gesicht glitt. „Du weißt natürlich am besten Bescheid über die Androidenkrise vor 60 Jahren!“

Es war, als hätte man dem Kaiser eine Schwertspitze ins Herz getrieben; trotz der langen Zeit hatte er das Trauma nicht überwunden, doch er hatte gelernt, sich zu beherrschen. So ließ er sich nichts anmerken und nickte nur.

„Damals hat man alle Androiden mit der gefährlichen Programmierung modifiziert oder verschrottet!“ erklärte der Hohepriester. „Allerdings gab es ein kleines Kontingent, nicht mehr als 60 Androiden, die dieser Imperiumsaktion entkommen waren, und zwar dadurch, dass man ihre Prozessoren nicht in die üblichen Schein-Menschenkörper gebaut hat, sondern in normale Robotergehäuse! Das hier…“ Er deutete wieder auf seinen Adjutanten: „…ist einer dieser letzten Androiden mit der besonderen, ja einzigartigen Programmierung!“

„Wie bist Du an ihn gekommen?“ wollte der Kaiser wissen.

„Das spielt keine Rolle! Es reicht, wenn ich Dir sage, dass sich dieses ganze Androidenkommando hier im Obelisken befindet! Ich habe eine Programmierung entwickelt, welche diese Pseudo-Roboter zu den perfekten Attentätern macht: Sie verhalten sich völlig imperiumskonform, aber auf ein bestimmtes Signal hin werden sie alles daransetzen, den Obelisken von innen heraus zu zerstören!“

Der Kaiser erhob sich nun ebenfalls, obwohl ihm Bewegungen dieser Art per se keinen Spaß machten; er näherte sich vorsichtig und scheinbar voller Respekt dem Roboter.

„Und Du hast diese Programmierung an Deinem Adjutanten ausprobiert?“

„Ich habe bereits alle Androiden dieser Programmierung unterzogen! Ich brauche nur Dein Einverständnis, und wir werden alle notwendigen Vorbereitungen treffen, um mit Unterstützung der Infiltration den Obelisken wieder in unsere Gewalt zu bekommen! Wenn diese neue Kaiserin und ihre Unterstützer erst einmal tot sind, werden wir Mittel und Wege finden, die Entscheidung des Orakels für ungültig zu erklären und im Amt zu bleiben!“

Drei endlose Sekunden lang überlegte der Kaiser, dann schließlich nickte er; dem Hohepriester fiel ein Stein vom Herzen.

Doch schon in den nächsten drei Sekunden kippte alles, wofür der ehemalige Herr der Kathedrale der Unendlichkeit gearbeitet hatte, ins Nichts, denn die Tür zu den kaiserlichen Räumlichkeiten öffnete sich geräuschlos, und herein kam der verhasste Elexi’ael von Zenit, Leiter des Psyonten-Kommandos, und neben ihm standen vier schwerbewaffnete Wachroboter; ihre drohenden Arme waren auf die beiden Kollaborateure gerichtet.

„Hiermit erkläre ich Euch, Ardobal von Xernico und Irc von Motavien, für verhaftet! Man bezichtigt Euch des versuchten Hochverrats! Bitte begebt Euch in die Obhut der Wachroboter!“

In den Gesichtern der beiden Beschuldigten lag schieres Entsetzen.

„Welche Beweise hat man?“ fragte der Hohepriester, und seine Stimme überschlug sich.

„Als Ihr hier eintraft, Irc von Motavien, erhielt ich von der neuen, legitimierten Kaiserin des galaktischen Imperiums die Ausnahmeerlaubnis nach Paragraph 4 der Psyonten-Gesetze, bei dringendem Verdacht auf Hochverrat oder gleichwertiger krimineller Aktivitäten, emotionale Zustände ohne Zustimmung des Denkenden zu lesen; in Eurem Gedanken war der Plan, das Imperium zu verraten, so allgegenwärtig, dass die Kaiserin anordnete, die kaiserlichen Gemächer überwachen zu lassen! Somit haben wir Euer Geständnis in Form des vorangegangenen Dialogs aufgezeichnet!“

„Das ist unerhört!“ brüllte der ehemalige Kaiser los, und sein feistes Gesicht schwoll an, färbte sich rot. „Noch niemals in der Geschichte des Imperiums ist der Kaiser in seinen eigenen Gemächern ausspioniert worden!“

„Noch niemals in der Geschichte des Imperiums hat ein ehemaliger Kaiser versucht, das Imperium zu vernichten!“ konterte Elexi’ael sofort.

Von diesem Moment an ging alles ganz schnell: Der Hohepriester hatte während des kurzen Dialogs seine Hand gehoben, die er nun ruckartig sinken ließ. Obwohl Elexi’ael hoch konzentriert gewesen war, hatte er die Absicht des älteren Mannes erst sehr spät erkennen können, und so reichte die Zeit gerade noch, um sich mit einem hastigen Sprung zur Seite in Sicherheit zu bringen. Der Adjutanten-Roboter, der hinter dem Hohepriester gestanden hatte, schoss, doch seine tödlichen Strahlen gingen über den Psyonten hinweg. Dieser richtete sich sofort auf und rief seinen eigenen Kampfrobotern zu: „Den Androiden vernichten!“

Dieser zeigte jedoch seine ganze über-robotische Leistung und ging selbst hinter dem Hohepriester in Deckung; seine eigenen Berechnungen hatten ergeben, dass die Kampfroboter, von dem als Pazifisten und Humanisten bekannten Elexi’ael befehligt, niemals auf ein wehrloses Wesen feuern würden, und so konnte der Androide selbst Deckung finden hinter der Person, die er damit beschützte. Seine eigenen Strahlenwaffen antworteten, und es gelang ihm, einen der Kampfroboter in dessen empfindliche Photosensoren zu treffen. Funkensprühend stürzte er nach hinten, doch aus dem Energiestrahler des Super-Androiden löste sich ein zweiter Strahl, der jedoch nicht wie erwartet einen zweiten Kampfroboter ausschaltete, sondern erneut den Taumelnden traf. Dieser wurde von der Wucht des Aufpralls aus seiner Sturzbahn gerissen und drohte nun auf Elexi’ael zu stürzen. Der Psyont fuhr herum und schlug mit seiner gesamten telekinetischen Kraft zu; das Ziel dieses geistigen Stoßes wurde hoch gewirbelt und flog in hohem Bogen durch das kaiserliche Gemacht, ehe es gegen die Wand knallte und dort auseinanderbrach.

Die durch diese Ablenkung gewonnene Zeit nutzte der Androide, um seinen Herrn, den Hohepriester, zu packen und mit ihm einen großen Sprung hinter das Sofa des wie gelähmt dasitzenden Kaisers zu machen; nun begannen die Kampfmaschinen erneut, auf den Verräter zu feuern, doch diese bewegte sich mit einer Hastig- und Willkürlichkeit, dass ein Treffer vermieden wurde. Ein weiterer Schuss löste sich aus der Waffe des Androiden, der noch immer mit dem freien Arm Irc von Motavien, den Hohepriester, umklammert hatte; dieser Schuss traf das Schaltpaneel der energetisch geschützten Fenster. Das Energiefeld erlosch, und unter lautem Klirren brach der flüchtige Pseudo-Roboter, begleitet von einem Glasregen, durch die Scheibe.

Das kaiserliche Gemach befand sich ziemlich weit oben in der Obeliskenspitze, darüber lag nur noch der Projektor des Obeliskenstrahls, der das mächtigste Waffen- und Verteidigungssystem des Obelisken darstellte; seine Energien reichten bis weit in den Weltraum hinaus und ließen selbst die größten Feindesschiffe zu einem formlosen Klumpen Metall verschmelzen. Durch den Sprung durch das Fenster das Obeliskeninnere verlassend, rutschten der Androide und sein Herr die Schräge der Spitze entlang; erst gut zehn Sekunden später erschienen hinter ihnen – dort, wo sich in der Glaswand nun eine riesige Öffnung befand – die drei verbliebenen Kampfroboter und Lex’, der noch versuchte, mittels telekinetischer Kräfte den Sturz – oder die Flucht – der beiden zu verhindern, doch sie waren bereits zu weit entfernt und zu schnell in ihrer Abwärtsbewegung. Der Hohepriester, der nun erst realisierte, was geschehen war, erkannte in einiger Entfernung den todversprechenden Abgrund, spürte, dass sie immer schneller darauf zuglitten und floh in die einzige Reaktion, zu der er in dieser Situation fähig war: Er begann, unaufhörlich zu schreien.

Näher und näher kam der erschreckende Rand der Obeliskenspitze, schneller und schneller wurde das Rutschen der beiden Geflohenen. Noch einige Meter … ein Meter … dann war der Rand erreicht, und der Hohepriester rechnete mit einem Sturz, sehnte die Ohnmacht herbei. Doch er hatte die Leistungsfähigkeit seines Androiden unterschätzt. Schon wenige Meter unterhalb der Kante der Obeliskenspitze streckte dieser den freien Arm aus, an dem sich auch seine Waffe befand, und griff damit einen der vielen kleinen Vorsprünge des Obelisken und riss sich selbst und den Getragenen aus der Sturzbahn.

Grelles Licht blendete den Hohepriester, der erschrocken und reflexartig die Augen zusammenkniff. Es war, als befände er sich im Innern einer Sonne, und erst als sich der Androide einige Meter durch dieses Gleißen bewegt hatte, wurde ihm klar, wo er sich befand, nämlich in der schmalen Öffnung zwischen Obeliskenspitze und –körper, durch welche mittels Tausender Spiegel das Licht der Sonne Zenits ins Innere der Vertikalröhre geleitet wurde. Glücklicherweise lag zwischen diesem Einlass und generell der Obeliskenaußenwand eine kaum zwei Meter breite Zone bis zum Schutzschild, der den Obelisken umgab, sonst wären der Hohepriester und der Androide an den schützenden Energien verglüht.

Im Innern des Obelisken angekommen, sprach der Pseudo-Roboter die ersten Worte an seinen Herrn seit Beginn der Flucht: „Herr, wir müssen uns beeilen! Elexi’ael von Zenit hat sicherlich die Wachen und das Psyonten-Kommando über unser Manöver informiert!“

Irc von Motavien nickte schwach und resignativ – längst hatte er es aufgegeben, mit der Handlungsgeschwindigkeit des Androiden Schritt halten zu wollen. Über zwei Wartungszugänge verließen die beiden den Spiegelbereich und kamen so in den Vertikalschacht. Mit hohem Tempo begaben sie sich zu den Transportröhren und gelangten so auf die Ebene der Landeplattformen, die sie nach einem kurzen Sprint auch erreichten. Dort wartete bereits das Raumschiff des Hohepriesters startklar auf seinen Herrn.

Keine fünf Minuten nach dem Versuch, ihn zu verhaften, war dem einstigen Herrn der Kathedrale der Ewigkeit die Flucht aus dem Obelisken gelungen, und geflogen von seinem treuen Androiden verließ er anschließend mit Höchstgeschwindigkeit das Zenitsystem.

Doch auch an Bord des Raumschiffes fand Irc von Motavien keine Ruhe. Ihm war klar, dass sein Plan gescheitert war – ohne Zweifel würde Elexi’ael von Zenit die präparierten Androiden im Obelisken aufspüren und nachträglich modifizieren. Sein eigener Adjutant wäre schlussendlich der einzige übriggebliebene Roboter mit dieser Infiltrationsprogrammierung, und darüber hinaus auch sicherlich das letzte Meisterwerk, das vor 60 Jahren beinahe das Imperium zum Einsturz hätte bringen können, ein Wunder kybernetischer Technik. Inzwischen war sicherlich sein Verbündeter, Kaiser Ardobal, endgültig abgesetzt und vielleicht sogar gefangen – ein Schicksal, das er selbst keineswegs zu teilen beabsichtigte. Aus diesem Grund entschied er, auf seine persönlichen Habseligkeiten zu verzichten und zumindest vorerst nicht nach Horizont zu fliegen. Er musste zunächst irgendwo auf einer x-beliebigen Welt untertauchen und dort warten, bis sich die Situation etwas beruhigt hatte.

„Ich denke, wir werden verfolgt!“ sagte plötzlich der Androide von seinem Steuerpult aus.

„Imperiale Schiffe?“ fragte der ehemalige Hohepriester, neuerlich von einem panischen Sturm überrollt.

„Ich kann ihre Signatur nicht erkennen!“ antwortete der Adjutant ohne emotionale Regung in seiner Stimme. „Aber sie reagieren auf jede Kursänderung von uns! Ich empfehle die sofortige Landung auf einem Planeten!“

Irc wusste, was der Androide damit bezwecken wollte: Es war weitaus einfacher, auf einem Planeten unterzutauchen, als zu versuchen, Verfolger im Weltraum abzuschütteln.

„Wie heißt die nächstgelegene Welt?“ wollte er wissen.

„Meriszan 2, leicht industriell, stark dienstleistungstechnisch genutzt! Einige Untergrundkartelle sind hier ansässig!“

„Besser als nichts! Landung vorbereiten!“

Die Welt Meriszan 2 war ein recht kleiner Planet, der aber einen Großteil seiner natürlichen Ressourcen längst verbraucht hatte und nun auf Belieferungen von außen angewiesen war; infolgedessen war der Raumhafen recht gut ausgebaut und ebenso rege besucht. Es gab zahlreiche Großstädte, wenige kleinere Siedlungen und kaum unberührte Natur. Irc von Motavien war nicht wählerisch, er wollte nur möglichst schnell den potentiellen Verfolgern entkommen. Daher verließ er mit seinem Androiden sofort nach der unter Angabe falscher Daten erfolgten Landung das Raumschiff, ließ sich von einem Gleiter in die Innenstadt der Hauptsiedlung des Planeten bringen und mietete sich dort ein Zimmer im erstbesten Hotel; glücklicherweise wurde er von dem provinziellen Zimmervermieter nicht erkannt. Entsprechend schäbig war schließlich auch seine Unterkunft, doch das war dem sonst so auf Annehmlichkeit bedachten Hohepriester egal.

Es dauerte keine Stunde, bis ihn die Verfolger gefunden hatten. Das zimmerinterne Kommunikationssystem zeigte an, dass der Hotelwirt mit ihm Kontakt aufnehmen wollte, und als Irc – reichlich beunruhigt – das Gespräch annahm, wurde ihm mitgeteilt, dass vier Personen ihn zu sprechen wünschten und bereits auf dem Weg zu ihm wären.

Aus der permanent in ihm kochenden Panik und Furcht wurde blinde Hektik. Er überlegte fieberhaft, was er tun könnte, um den Verfolgern noch einmal zu entkommen, doch diesmal standen die Chancen noch schlechter als im Obelisken: Dieses Zimmer besaß noch nicht einmal ein echtes Fenster, nur eine fehlerhaft funktionierende Hologramm-Illusion eines Ausblicks.

„Du stellst Dich neben die Tür, und wenn sie eindringen, schlägst Du sie nieder!“ wies er schließlich seinen Androiden an, der dem Befehl Folge leistete und sich neben der Tür direkt unter einen Energieverteilerkasten stellte. Die Minuten verstrichen, und mit jeder vergangenen Sekunde wurde der Hohepriester nervöser. Er zog seine Waffe aus seinem Koffer, schaltete sie auf töten und machte sich mit dem Gedanken vertraut, einen Feind niederschießen zu müssen. Immerhin bestand die Möglichkeiten, dass sein Roboter diesmal versagte, und dann würde er sich, seine Freiheit und sein Leben selbständig verteidigen müssen. Die Strahlenwaffe zitterte in seinen Händen.

Weitere Augenblicke vergingen. Dann öffnete sich zischend die Tür, die beiden Flügel versanken in der Decke und gaben den Blick frei auf vier erschreckende Gestalten: Sie waren gekleidet in leuchtend rote, an manchen Stellen schwach geränderte Kutten, die einen Teil ihres Kopfs verhüllten. Ein schweres, metallenes Amulett hing auf ihre Brust.

Irc von Motavien erschrak zu Tode, und er reagierte mit der einzigen Reaktion, die ihm einfiel: Er drückte die Waffe ab. Ein heißer Energiestrahl verließ die Projektionsöffnung der Pistole, zerschnitt in Lichtgeschwindigkeit die Luft in dem kleinen Raum – und traf den Energieverteilerkasten neben der Tür. Ein greller Lichtblitz ließ ihn geblendet die Augen schließen, und als er sie wieder aufschlug, sah er seinen Androidendiener in einem Netz zuckender Entladungen stehen, unfähig, sich zu bewegen. Es gab einen lauten Knall, dann kippte das kybernetische Wesen zur Seite und rührte sich nicht mehr.

Der ehemalige Hohepriester der Kathedrale war fassungslos, starrte wie gebannt auf seinen zerstörten Adjutanten, dann erst auf die vier Eindringlinge. Diese betraten mit einer Miene, die keinerlei Überraschung zeigte, den Raum; zischend schloss sich die Tür hinter ihnen.

„Was… was wollt ihr?“ rief der Hohepriester mit vor Angst geweiteten Augen, machte einen unsicheren Schritt nach hinten und fiel über einen Stuhl. Noch auf dem Boden liegend, zog er sich weiter nach hinten von den Fremden fort.

Der erste von diesen sprach mit ruhiger Stimme: „Du brauchst keine Angst zu haben, Irc von Motavien! Wir sind keine Imperialen! Im Gegenteil, wir haben Freunde, die das Imperium neu ordnen wollen – mächtige Freunde…“


*


…die folgenden Einträge der Datenbank beschrieben, wie der Hohepriester sich die Ausführungen der augenscheinlichen Flammenväter angehört hatte, um wenige Stunden später als Mitglied der Cahaizo den Planeten Meriszan 2 zu verlassen. Er war ein Flammenkind geworden, später vom Flammengott persönlich zum Flammenvater, schließlich zum Flammenpriester geweiht worden. Er hatte dabei geholfen, den alten Kaiser gleichfalls für die Sache der Geretteten zu gewinnen. Und er hatte niemals den einstigen Plan vergessen.

Die Zusammenhänge waren klarer geworden: Der alte Hohepriester und der alte Kaiser waren nach ihrer Entmachtung und dem gescheiterten Putschversuch den Cahaizo beigetreten, die ihnen Macht versprochen hatten. Es war nicht verwunderlich, dass die Geheimbündler an hochstehenden Persönlichkeiten interessiert waren – allein schon wegen deren Insider-Wissen über die Prozesse im Obelisken und in der Kathedrale.

Dennoch offenbarte dies alles noch nicht, wer der geheimnisvolle Saboteur war, der das Beonzodoran im Obelisken angenommen und im Energiebereich gezündet hatte. So öffnete Pox die letzte Datei, die noch übrig war, und die eigentlich gar nichts mit den Cahaizo zu tun hatte, sondern die unter der Bezeichnung „Androide“ gespeichert war. Dort las er, dass der Hohepriester eine Weile nach seiner Weihe zum Flammenpriester sich in einem Anflug von Nostalgie und Verbundenheitsgefühl die Mühe gemacht hatte, noch einmal nach Meriszan 2 zu reisen, weil er hoffte, die Überreste seines einstigen Adjutanten zu finden. Nachforschungen ergaben schließlich, dass der Kybernetische entgegen seiner ersten Einschätzung keineswegs durch die energetische Entladung zerstört worden war, sondern nach einigen Reparaturen wieder funktionierte, wenngleich große Teile seiner Gedächtnisengramme von der Zeit vor dem Energieunfall zerstört worden waren. Man hatte ihn an einen Händler verkauft, bei diesem verlor sich schließlich die Spur.

Die Datei endete mit einem Bild und einer Datensammlung des betroffenen Androiden. So las Pox die im Grunde genommen relativ nichtssagende Seriennummer TX 422 O 9812, und direkt daneben identifizierte er den abgebildeten Roboter – als sich selbst…


*


…Mercurion Tallur, sein Besitzer, hatte ihn angewiesen, in der Kabine auf ihn zu warten. „Da läuft jetzt irgendeine Besprechung ab!“ hatte der ehemalige Händler zu ihm gesagt. „Ich weiß nicht, ob man da einen Roboter dabei haben will. Bleibe hier, ich werde später wieder zu Dir kommen!“

Dann hatte der junge Mann die Kabine verlassen, und Pox war zurückgeblieben. Um die Zeit des Wartens nicht ungenutzt verstreichen zu lassen, aktivierte der Roboter den rauminternen Terminal. Eine Zeit lang füllte er seinen Speicher mit allgemeinen Informationen über die momentane Lage im Imperium, erfuhr von der Flotte bei Tsa, die sich schließlich in Bewegung setzte.

Und dann war es plötzlich da – ein Signal, das aus allen Kanälen und Kommunikationssystemen gleichzeitig zu kommen schien, drang wie die Spitze eines Pfeils in sein kybernetisches Bewusstsein, riss Barrieren, Programmierungen und Modulfunktionen beiseite und explodierte schließlich in seinem Zentralprozessor mit einem einzigen Befehl: Zerstören. Unfähig, sich dagegen zu wehren, schmiedete sein Handlungsprozessor einen Plan, wie er den Obelisken von innen heraus zerstören konnte. Eine weitere Nachricht traf ein, und ihren Anweisungen folgend verließ Pox die Kabine, bewegte sich zur Bahnstation, wo er sich erfolgreich als Empfänger eines Pakets, das von dem Logistikunternehmer Ervoos Colvoumo aus Zenit City geschickt worden war, identifizierte. In dem kleinen Container fand er eine geringe Menge des Stoffes Beonzodoran sowie einige andere Utensilien. Aus diesen baute er eine winzige, aber wirkungsstarke Bombe, gelangte auf normalem Weg in den Energiebereich, deponierte, getarnt als Wartungsroboter, das kleine Objekt an einem Fusionsmeiler, ehe er das Kraftwerk wieder verließ. Zurück im Hauptbereich des Obelisken wartete er vor einem Terminal, bis der Angriff begann, begab sich in eine etwas abgelegene Nische – und zündete die Bombe.

In der folgenden Explosion fiel nicht nur das Imperium, sondern auch durch das Fehlen weiterer Handlungsanweisungen sein Hauptprozessor aus. Es gab keine Gedächtnisengramme über sein imperiumsfeindliches Vorgehen, und als der Roboter, der eigentlich einer der höchstentwickelten Androiden des Imperiums war, sich wieder aktivierte, begann er mit einer beispiellosen kriminologischen Ermittlung, deren Ende zugleich der Anfang war: Pox hatte den Täter gesucht und sich selbst gefunden...



Fortsetzung im Folgeband

AD ASTRA Buchausgabe 9:

Der Schattenstern II

Ebenfalls geschrieben von Michael Klein











Die Armee des Lichts finden Sie auch im

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www.armeedeslichts.de















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Cover: Verschiedene Künstler. Ihre Abkürzungen bedeuten: GB = Gerhard Börnsen, HB = Helmut Bone, TG = Thorsten Grewe, MB = Martin Brendel, IB = Iris Berg, AB = Alfred Bekker, DR = Damien Reed, RS = Rainer Schorm, AS = Anistasius, LB = Lothar Bauer, ML = Michael Lontke, KF = Karl-Heinz R. Friedhoff

STAR GATE 0: Pilotroman: „Wie alles begann...“ Wilfried A. Hary (Neufassung 2010 MB) ISSN 1860-1855

STAR GATE 1: “Phönix” Kurt Carstens (= W. K. Giesa) / Frank Rehfeld (2010 MB) ISSN 1860-1855

STAR GATE 2: “Geheimcode Alpha” Frank Rehfeld / Carsten Meurer (2010 AS) ISSN 1860-1855

STAR GATE 3: “Vetusta” Wilfried A. Hary / Carsten Meurer (2010 AS) ISSN 1860-1855

STAR GATE 4: “Shan” Carsten Meurer (2010 AS) ISSN 1860-1855

STAR GATE 5: “Xybrass” Frank Rehfeld (2010 AS) ISSN 1860-1855

STAR GATE 6: “Äthermorph” Kurt Carstens / Michael Schmidt (2010 GB) ISSN 1860-1855

STAR GATE 7: “Klonkrieger” Hermann Schladt / Kurt Carstens (2010 GB) ISSN 1860-1855

STAR GATE 8: “Frascati” Miguel de Torres (2010 AS) ISSN 1860-1855

STAR GATE 9: “Menschen unerwünscht” Miguel de Torres / Wilfried A. Hary (2010 AS) ISSN 1860-1855

STAR GATE 10: “Tustra” Wilfried A. Hary (2010 ML) ISSN 1860-1855

STAR GATE 11: “Erfolgsaussichten: NULL!” Wilfried A. Hary / Richard Barrique / Frank Rehfeld (2010 ML) ISSN 1860-1855

STAR GATE 12: “Das Tor der Götter” Wilfried A. Hary / Manfred Rückert (2010 AS) ISSN 1860-1855

STAR GATE 13: “Verräter” Wilfried A. Hary / Miguel de Torres (2010 ML) ISSN 1860-1855

STAR GATE 14: “Wohu Batohu” Miguel de Torres (2010 GB) ISSN 1860-1855

STAR GATE 15: “Fremde Welten” Hermann Schladt / Wilfried A. Hary (2010 GB) ISSN 1860-1855

STAR GATE 16: “Der Große Bruder” Wilfried A. Hary (2010 KF) ISSN 1860-1855

STAR GATE 17: “Finale Entscheidungen” Wilfried A. Hary / W. Berner (2010 KF) ISSN 1860-1855

STAR GATE 18: “Der Mondzwischenfall” W. Berner / Miguel de Torres (2010 KF) ISSN 1860-1855

STAR GATE 19: “Im Auftrag der Götter” Wilfried A. Hary (2010 AS) ISSN 1860-1855

STAR GATE 20: “Das Multiversum” Wilfried A. Hary / W. Berner (2010 AS) ISSN 1860-1855

STAR GATE 21: “Gedankenkontrolle” Wilfried A. Hary (2011 GB) ISSN 1860-1855

STAR GATE 22: “Der Alte Feind” Wilfried A. Hary / Frederick S. List (2011 KF) ISSN 1860-1855

STAR GATE 23: “Der große Coup” Wilfried A. Hary (2011 KF) ISSN 1860-1855

Ad Astra 1: „Das Geheimnis der Pflanzenwelt“ – von W. Berner (2009 MB) ISSN 1614-3280

Ad Astra 2: „Das sterbende Imperium I“ – von Michael Klein (2009 A) ISSN 1614-3280

Ad Astra 3: „Das sterbende Imperium II“ – von Michael Klein (2009 A) ISSN 1614-3280

Ad Astra 4: „Katastrophenwelt“ – von Bernd Teuber und Marten Munsonius (2010 RS) ISSN 1614-3280

Ad Astra 5: „Grenzgänger“ – von K. H. Reeg (2010 LB) ISSN 1614-3280

Ad Astra 6: „Die Sternenkrieger“ – von K. H. Reeg / W. A. Travers (2010 LB) ISSN 1614-3280

Ad Astra 7: „Krisenfall VIOLETT“ – von W. Berner (2010 LB) ISSN 1614-3280

Ad Astra Bestseller 1: „Grahams Fluch“ – von Stefan T. Pinternagel (2010 LB) ISSN 1614-3280

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GAARSON-GATE 1: „Gaarson“ Erno Fischer (3/04 GB)  ISSN 1614-3299

GAARSON-GATE 2: „Das Schiff der Mutanten“ Erno Fischer (4/05 GB) ISSN 1614-3299

GAARSON-GATE 3: „Ein Held namens Millory“ Wilfried A. Hary (5/05 GB) ISSN 1614-3299

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