Ein Dichter
Eine Erzählung aus den Vereinigten Staaten von Karl Hohenthal
I.
In der Todessteppe
Zwischen Texas, Neu-Mexiko, dem Indiana-Territorium und dem nach Nordosten streichenden Ozarkgebirge liegt eine weite Landesstrecke, über welche die Natur nicht weniger Schauer gelegt hat, als wie dergleichen die asiatische Gobi oder die afrikanische Sahara dem Menschen furchtbar machen. Kein Baum, kein einsamer Busch giebt dem brennenden Auge einen willkommenen Anhaltepunkt; kein Hügel, keine einzige namhafte Erhöhung unterbricht die todesstarre, eintönige Ebene; kein Quell erquickt die lechzende Zunge und bringt Errettung vor dem Verschmachten, dem Jeder anheimfällt, der aus der Richtung geräth und den Weg verfehlt, welcher nach den Bergen oder einer der grünenden Prairien führt. Sand, Sand, wieder Sand und nichts als Sand ist hier zu sehen, und nur zuweilen stößt der kühne Jäger, der sich in diese Oede wagt, auf eine Strecke, welcher ein vorübergehender Regen eine scharfe, stachelige Kaktusvegetation entlockt hat, die der Fuß meidet, weil sie ihn verletzt, die Thiere verwundet und keinen Tropfen Saft enthält, welcher die glühende Zunge nur auf einen Augenblick zu kühlen vermöchte.
Und doch durchziehen einige wenige Straßen dieses furchtbare Land. Der Mensch ist Meister der Schöpfung und macht sich selbst ihre starrsten, widerstrebendsten Punkte unterthan. Hinauf nach Santa Fé, an die Creeks, Springs und Goldfelder der Felsenberge und hinunter über den Rio Grande nach dem reichen Mexiko führen sie; aber es sind keine Straßen, wie die Civilisation sie dem Verkehre bietet, sondern was man so nennt, besteht in Nichts als dürren Stangen, die man von Zeit zu Zeit in den Sand gesteckt hat, um die Richtung anzuzeigen, welcher der langsam dahinschleichende Ochsenkarrenzug oder der schnellere Trapper und Squatter zu folgen hat. Wehe ihm, wenn er diese Zeichen, von denen dieser Theil des Südwestens den Namen Llano estacado erhalten hat, verfehlt oder wenn sie von wilden Indianerhorden oder räuberischen Jägerbanden entfernt wurden, um ihn in die Irre zu führen. Er ist verloren! –
Weit, wie der unermeßliche, endlose Ozean, breitete sich die Wüste aus; glühend brannte die Sonne hernieder und über dem heißen Sande zitterte ein flackernder Schein, das darüber hinschweifende Auge schmerzend und blendend. Fünf lebende Wesen waren in der trostlosen Einöde sichtbar: ein Reiter, sein Pferd und drei Aasgeier, welche hoch in der Luft den beiden Ersteren folgten, als ob sie nur des Augenblicks warteten, an welchem Beide vor Erschöpfung zusammensinken und ihnen zur willkommenen Beute werden sollten. Es war doch schon der zweite Tag, daß sie dem Reiter folgten, und die scharfsinnigen Thiere mochten wittern, daß ein Menschenkind die Entbehrungen eines solchen Rittes nicht länger zu ertragen im Stande sei.
Der Wanderer war ein noch junger Mann von vielleicht sechsundzwanzig Jahren. Er trug die gewöhnliche Tracht der Prairiejäger, ein ledernes, ausgefranstes Jagdhemd, ebensolche Leggins und Mokkassins und auf dem Kopfe einen Filzhut, dessen Farbe und Gestalt errathen ließen, daß sein Besitzer schon seit geraumer Zeit nicht mit der Civilisation in Berührung gekommen sei. Seine bleichen, erschöpften Züge, früher vielleicht geist-und lebensvoll, seine trüben, gläsernen Augen, seine blonden, wirr herniederhangenden Haare und die krampfhaft um die Büchse geballte Hand ließen errathen, daß er kaum mehr vermöge, den Entbehrungen und Anstrengungen des Rittes Widerstand zu leisten.
Ebenso ermattet wie er war auch sein Pferd. Es war, das konnte man sofort erkennen, ein aus der Heerde herausgefangener Mustang, vor wenigen Tagen jedenfalls noch voll Muth, Kraft und Ausdauer, jetzt aber gebrochen und bis auf den letzten Rest seiner Kräfte abgetrieben. Die Zunge hing ihm trocken zwischen den auseinanderklaffenden Zähnen hervor, die Augen schienen mit Blut unterlaufen, und nur mechanisch schleppte er sich Schritt um Schritt in dem riefen Sande weiter.
So war es schon seit Tagen gegangen. Er hatte mit einer Gesellschaft von Westmännern Santa Fé verlassen, um über das Ozarkgebirge Arkansas zu erreichen, war jedoch von einem Trupp Comanchen überfallen worden und dankte es nur der Vorzüglichkeit seines Pferdes, daß er als der Einzige ihnen entkommen war. Sie hatten ihn bis in die Steppe verfolgt, sonst hätte er sich sicherlich nicht ohne Begleitung in dieselbe gewagt; er kannte ihre Gefahren und hatte sie noch nie betreten, Grund genug, sich nur deshalb zu dem verzweifelten Ritte zu entschließen, weil hinter ihm der sichere Tod drohte.
Schon seit gestern früh hatten die Stangen aufgehört, und er besaß keinen andern Wegweiser, als den Kompaß und die Gestirne des Himmels. Seit drei Tagen war kein Tropfen Wassers über seine glühenden Lippen gekommen, und mit einem trostlosen Blicke beobachtete er die Geier, welche sich immer weiter niedersenkten, je langsamer und strauchelnder die Bewegungen seines erschöpften Pferdes wurden.
Es stand endlich still und war nicht weiter fortzubringen; es zitterte an allen Gliedern und drohte bei der ersten erzwungenen Anstrengung umzusinken.
»Also bis hierher und – jedenfalls – nicht weiter!« murmelte der Fremde in deutscher Sprache, an diesem Orte eine Seltenheit. »Giebts denn keine Rettung für mich und Dich, mein braves Thier?«
Er suchte den Horizont vergebens nach einer rettenden Erscheinung ab und stand schon im Begriffe abzusteigen, als ihn das Verhalten des Pferdes aufmerksam werden ließ. Das Zittern desselben war ein eigenthümliches; es schien halb von Ermüdung, halb von Angst hervorgebracht zu sein; die schlaffen Nüstern hatten sich erweitert und gespannt, und jetzt erhob sich auch der bisher gesenkte Kopf zu jenem bezeichnenden Schnauben, mit welchem das ächte Prairienpferd die Nähe eines feindlichen Wesens verräth.
Der Wanderer zog das Glas hervor, um den Gesichtskreis noch einmal und zwar genauer zu durchforschen, und bemerkte, daß die Geier ihn verlassen hatten und sich im Westen von ihm zur Erde senkten. Dort sah er nun auch einige regungslose Punkte und zuckte unwillkürlich mit der Hand nach dem Messer. Bei besserer Ueberlegung aber mußte er sich sagen, daß er in seiner Lage von menschlichen Wesen nichts Schlimmeres zu fürchten habe, als ihm so schon drohte. Vielleicht war einer dieser Punkte nur irgend ein verendendes Thier, auf dessen Tod die andern nur warteten, um es zu zerfleischen. Er stieg ab, ergriff die Zügel und schleppte sich und das Pferd langsam vorwärts. Von Zeit zu Zeit das Fernrohr erhebend, gewahrte er endlich, daß ein Mann an der Erde lag, um welchen in einiger Entfernung mehrere Koyoten (Prairiewölfe) und Geier saßen. Er konnte noch nicht todt sein, sonst hätten sich die Thiere längst auf ihn gestürzt.
Es durchzuckte ihn schaudernd. Er sah sein eigenes Schicksal vor seinen Augen liegen, dem er verfallen war, wenn sich nicht baldige Rettung zeigte.
»Wer mag es sein? Ein Jäger? Wo ist sein Pferd? Sie werden ihn zerfleischen und sein Blut – –«
Er hielt inne. Das letzte Wort weckte einen Gedanken in ihm.
»Nein, unser Blut soll nicht von ihnen getrunken werden, sondern das ihrige soll uns vor dem Verschmachten retten!«
Er gab seinem Pferde das gewohnte Zeichen, sich niederzulegen. Es gehorchte. Dann duckte er sich nieder und schlich sich näher an die Räuber und Todtengräber der Steppe heran. Sobald er sah, daß er bemerkt wurde, legte er sein Lariat (Lasso) zu einer Doppelschlinge, die er mit dem Messer im Sande befestigte, und gab ein paar Stücke in der Sonne gedörrtes Büffelfleisch dazu, welches er aus dem am Pferde hangenden Proviantsacke mitgenommen hatte. Dann ging er eine Strecke zurück und fiel zu Boden.
Die Thiere hatten sich bei seinem Anblicke nur langsam und zögernd von ihrer erwarteten Beute entfernt; der Hunger überwog die Furcht vor dem überlegenen Menschen. Jetzt, da er still und bewegungslos an der Erde lag, kamen sie mit eingezogenem Schwanze und lechzender Zunge herbeigeschlichen, um den neuen Tribut der wilden Savanne zu untersuchen. Kaum hatte der Erste die Schlinge erreicht und die Lockung gewittert, so schnappte er mit Heißgier zu und war gefangen. Zwei Schüsse krachten; er und der ihm nächste brachen zusammen.
Im Nu sprang der Jäger auf und eilte hinzu. Alle Müdigkeit war verschwunden. Sein Messer öffnete die Adern des einen der gefallenen Thiere, und mit Wollust sogen seine Lippen das heiße, süße Blut, welches ihm zu anderer Zeit Ekel und Abscheu erregt hätte. Dann sprang er zum Pferde, riß den Trinkbecher vom Gurte, ließ ihn voll laufen und schritt damit zu dem Andern, den der Knall der beiden Schüsse aus seiner tödtlichen Betäubung geweckt hatte. Auch die andern Raubthiere waren dadurch verscheucht worden.
»Wasser!« stöhnte er.
Der rauchende Trank brachte seinem halb verschmachteten Körper augenblickliche Labung; er richtete sich empor und sah dem Retter mit verwundertem Auge in das bleiche Gesicht.
»Uff, Sir, that das meiner armen Zunge wohl! Gebt mir noch solch einen Tropfen!«
Der Angeredete eilte ohne Antwort zu den Koyoten zurück und brachte ihm den letzten Rest ihres Blutes herbei.
»Thank you, Sir! Ich dachte, schon an der Himmelspforte zu sein, aber der vermaledeiete Sand hier rund umher und die Bestien dort sind deutliche Zeichen, daß ich noch ein wenig im bisherigen Jammerthale herumkrabbeln muß. Beinahe glaube ich, das liebe Viehzeug hätte mich aufgefressen, wenn Ihr ihnen nicht den Appetit verdorben hättet!«
»Ich war dem gleichen Schicksale nahe, habe aber gemeint, daß es besser sei, sie geben mir ihr Blut, als ich ihnen mein Fleisch.«
»Well! Es ist eigentlich ein abscheulicher Schluck; aber in der Noth verschlingt der Bär auch Chokolade, und Euer Einfall ist der beste, den Ihr haben konntet. Er hat mir und Euch geholfen, zwar nur für kurze Zeit, aber –«
Er unterbrach sich, beschattete das Auge mit der Hand und beobachtete ein kleines, leichtes Wölkchen, welches er am Horizonte bemerkt hatte.
»Heigh-day, dort kommt die Hülfe in der Noth, Sir! Das giebt in einer halben Stunde einen Regen, der die Todessteppe zum See machen würde, wenn der Sand nicht alles Wasser verschlänge. Aber sagt, wie kommt Ihr an diesen Ort, ohne Pferd, ohne Gesellschaft, ohne –«
»Ohne Pferd? Dort liegt mein Gaul; er war keinen Schritt weiter fortzubringen. Ich komme von Santa Fé, bin den Comanchen echappirt und wollte hinauf nach den Bergen, um über den Red River nach Arkansas zu gehen. Mein Name ist Richard Forster, und meine Heimath Frankfort in Kentucky.«
»Richard Forster? – Frankfort in Kentucky? – By god, Sir, dann sage ich Euch hundertfachen Dank für Euern Rettungstrunk! Ihr seid der berühmte Mann, der die schönen deutschen Lieder macht, die weit über die Staaten hinaus gedruckt und gelesen werden?«
Der Andre nickte lächelnd.
»Richtig gerathen! Ich bin der Mann, der ›Savannenbilder‹ dichten wollte und deshalb in die Prairie ging, um sich von den Koyoten beinahe auffressen zu lassen.«
Er stand jetzt grad und aufrecht da, die Arme in die Hüften gestemmt, eine echte, rechte Kentuckygestalt. Die blonden Locken, lange Zeit ungepflegt, hingen ihm lang bis auf die breiten Schultern herab; die tiefblauen Augen glänzten wieder lebensvoll und die erst so bleichen, männlich schönen Züge begannen sich wieder zu röthen.
»Oder von den Comanchen aufspießen und am Pfahle martern zu lassen. Auch ich bin vor Kurzem ein Weniges mit ihnen zusammengekommen, Sir, und wurde von ihnen verfolgt bis in dieses verdammte Sandmeer, wo sie wieder umkehrten. Ich glaube, es war dieselbe Truppe, die auch Euch zwischen die Pfeile nahm.«
»Möglich! Aber nun will ich dieselbe Frage aussprechen, die Ihr mir vorhin vorlegtet.«
»Ihr? Sagt nur immer Du, Sir! Ich bin weder Präsident noch Gouverneur und mag von Ihr Nichts hören. Wie ich heiße? Tim Summerland, so ist mein Name, seit ich lebe, und so wird er auch bleiben, bis ich meinen Skalp verliere oder von irgend einem Grizzly mit Haut und Haar verschlungen werde. Habt Ihr vielleicht von Bill Summerland gehört, dem Lawyer?«
»Meinst Du den berühmten Advokaten Bill Summerland in Stenton, Arkansas?«
»Denselben. Er ist mein Bruder und zu ihm wollte ich. Ich hätte ihm eine verteufelt hübsche Ladung von Goldstaub und Nuggets mitgebracht, die ich droben am Canadian geholt hatte, aber die Pfahlmänner haben sie mir abgenommen.«
»Die Pfahlmänner?«
»Ja, die Pfahlmänner. Oder wißt Ihr noch nicht, welchen Schuften man diesen Namen giebt? Es giebt allerlei Gesindel, welches aus gewissen Gründen die Staaten verlassen mußte und hier sicher vor den Armen der Jury zu sein scheint. Es zieht in verschiedenen Trupps umher, plündert, mordet, treibt allen möglichen Unfug und hat es ganz besonders auf die Voyageurs und Karawanen abgesehen, welche gezwungen sind, die Todessteppe zu durchschneiden. Um diese irre zu führen, ziehen sie die Pfähle heraus und entfernen sie oder stecken sie in falscher Richtung ein. Ist dann der Wanderer halb verschmachtet, so fallen sie über ihn her und – nun ja, jetzt wißt Ihr, warum man sie die Pfahlmänner nennt. Als wir die Spanish-Piks und den Canadian verließen, waren wir über die zwanzig wohlbewehrten Westleute. Sie alle fielen unter den Tomahawks und Pfeilen der Comanchen, bis auf mich und noch Zwei. Wir konnten uns nur durch die Llano estacado retten und hatten bereits das größere Stück derselben zurückgelegt, als die Pfähle aufzuhören begannen. Dies mahnte uns zur Vorsicht; aber trotz aller List und Achtsamkeit wurden wir überrumpelt. Es war mitten in der Nacht; ich entkam im Dunkeln aus dem Handgemenge, aber so, wie Ihr mich hier seht, ohne Pferd und Waffen. Drei Tage lang ists gegangen, dann aber brach ich zusammen und weiß nicht, wie lange ich gelegen habe. Als ich erwachte, wart Ihr bei mir. Habt Dank, Sir! Der alte Tim Summerland wird schon wieder zu einer Büchse und einem Pferde kommen, und dann sollt Ihr sehen, daß er aus Dankbarkeit für Euch noch ganz andre Dinge verschluckt als einen Becher voll Koyotensaft!«
Er hielt inne. Der Nomade des Westens ist meist ein schweigsamer Gesell, und Tim Summerland hatte trotz seiner Erschöpfung die längste Rede seines Lebens gehalten. Der gute Mann sah nichts weniger als gentlemanlike aus; die Strapazen hatten seinen Körper und noch mehr seine Kleidung arg mitgenommen, aber sein Gesicht zeigte eine jener nicht seltenen Trapperphysiognomien, in welchen sich der Ausdruck ungemeiner List und Verschlagenheit mit dem der Ehrlichkeit und Treue paart.
»Was die Büchse betrifft, so kann schon jetzt geholfen werden,« meinte Forster. »Ich habe außer meinem Doppelläufer einen famosen Stutzen dort am Sattel hangen, den Du haben kannst, Tim; für Munition und Proviant ist gesorgt; nur Wasser, Wasser, das ist nöthig, nicht blos für uns, sondern noch vielmehr für mein Thier, ohne welches wir verloren sind. Aber, Gott sei Dank, Du hast Recht gehabt; die Wolke wächst zusehends; sie nimmt schon fast den halben Himmel ein, und ich glaube, vor dem Verschmachten sind wir nun sicher!«
»Das ist so gewiß wie meine Mütze! In fünf Minuten kommt der Guß, Sir, das könnt Ihr glauben, denn Tim Summerland ist nicht zum ersten Male in der Todessteppe und kennt ihre Launen wie seinen Kugelbeutel. Macht nur, daß Ihr das Pferd anpflockt und das Pulver verwahrt, sonst ists um Beides geschehen.«
Er erhob sich und stülpte sich die Mütze auf das wirre Haar. Es war eine Kopfbedeckung, die ihres Gleichen suchte. Von ihm selbst vor langen Jahren mittelst Hirschsehnen aus einem Stück Bärenfell zusammengenäht, hatte sie wohl schon ursprünglich eine außergewöhnliche Form besessen; dann waren ihr im Laufe der Zeit die Haare bis auf einige zerstreute Troddeln abhanden gekommen, die lang und schmutzig braun an der nackten Haut hingen wie Blutegel, die sich in das Fell verbissen hatten; tausendmal vom Regen durchnäßt und ebenso oft von der Sonne wieder getrocknet, hatte das Prachtstück jetzt eine geradezu unbeschreibliche Gestalt angenommen und lag auf dem Kopfe wie eine ausgedorrte Quelle oder ein Stück ausgelaugte und ausgebratene Dachpappe, welches die Hitze in Halbkugelform gezogen hat. Solche Ausrüstungsstücke sind in der Prairie gar nichts Seltenes; sie haben dem Besitzer ihre guten Dienste geleistet, werden von ihm heilig gehalten und selbst dann nicht abgelegt, wenn er auf kurze Zeit mit der Civilisation in Berührung kommt.
Zwar war die Luft jetzt noch schwüler als vorher, aber die beiden Männer fühlten sich schon durch die Hoffnung auf den Regen gekräftigt, und auch das Pferd war aufgesprungen und hielt den Kopf schnaubend in die Höhe. Sein Instinkt ließ es die nahe Rettung erkennen. Es wurde fest angepflockt; Forster sorgte dafür, daß Proviant und Munition nicht von der Nässe erreicht werden konnten, und kaum war dies geschehen, so brach es los, nicht allmählig, wie in anderen Zonen, sondern plötzlich, wie eine See, die vom Himmel stürzt und Alles in die Erde schlagen will. Die Jäger tauchten bei dem ersten Drucke der furchtbaren Tropfenmasse förmlich auf den Boden nieder, dann aber riß Summerland die Mütze herab und hielt sie verkehrt dem niederströmenden Elemente entgegen. In wenigen Augenblicken war sie gefüllt.
»Cheer up, Sir, nehmt Euren Hut und macht’s wie ich! Auf Euer Wohl und dasjenige des alten Tim Summerland!«
Er goß das Wasser, trotzdem es verschiedene Ingredienzen in der Kopfhaut vorgefunden hatte, in den weit geöffneten Mund, schnalzte mit der Zunge, als habe er einen Humpen echten New-Hampshire-Wiskey ausgeleert, und hielt die Bärenhaut wieder empor, um den labenden Trunk zu wiederholen.
Forster folgte der Aufforderung. Die trotz der dichten und ausgetrockneten Kleidung bald bis auf die Haut durchdringende Nässe wirkte auf seinen Körper, wie Balsam auf eine offene Wunde. Die ganze Fülle der früheren Kraft und Freudigkeit kam über ihn, und auch das Pferd wieherte laut und schlug vorn und hinten aus, um die Rückkehr des beinahe entwichenen Lebens zu erkennen zu geben.
Weit über eine Stunde lang gossen die Schleußen des Himmels ihre Ströme unvermindert hernieder, dann hörte die Fluth ebenso plötzlich auf, wie sie begonnen hatte.
»‘sdeath, war das eine Sündfluth!« meinte Summerland. »Ich wollte, die ganze Comanchen-und Pfahlmännersippschaft wäre darin ersoffen wie der König Belsazar im rothen Meere, als er die Egypter erschlagen wollte. Wie ist’s Euch, Sir?«
»So gut und wohlig, als säße ich in irgend einer ›dearness-spelunk‹ von St. Louis oder Cincinnati,« antwortete der Gefragte mit einem heitern Lächeln über die geschichtliche Verwechslung, deren sich sein Gefährte schuldig gemacht hatte. »Ich fühle mich so vollständig erfrischt und munter, daß ich sofort aufsteigen und davonreiten möchte.«
»Wird auch das Beste sein! Jetzt ist die Luft kühl und stärkend; das müssen wir benutzen. Come on, setzt Euch auf; wir wollen machen, daß wir aus dieser verteufelten Steppe heraus und in ein Land kommen, wo es ein wenig Gras und einige Bäume giebt!«
»Willst Du nicht zuvor ein Stück Fleisch nehmen? Ich bin damit zur Genüge versehen.«
»Gebt her! Doch das läßt sich im Gehen thun.«
»Im Gehen? Nein, Du sollst auf das Pferd. Ich habe nicht so viel gelitten wie Du und bin also besser auf den Füßen.«
»Meint Ihr etwa, Tim Summerland, der alte Trapper und Goldsucher, setzt sich wie St. Mary auf den Esel und läßt Euch als Joseph daneben herhumpeln bis in den Distrikt Mesopotamien hinein? Da irrt Ihr Euch gewaltig. Ich habe meine Portion Wasser bekommen und werde laufen wie ein Cheyennehäuptling. Das Thier ist Euer; darum müßt Ihrs reiten!«
»Well, so wechseln wir ab. Aber die Richtung, Tim, über die müssen wir uns doch vorher einigen!«
»Nord und Süd kenne ich genau und Ihr jedenfalls auch; aber das ist nicht genug. Die Hauptsache ist, zu wissen, nach welcher Gegend wir das grüne Land am schnellsten erreichen.«
»So sag Deine Meinung. Du kennst ja die Estacado besser als ich.«
»Hm, wenn die Pfähle nicht fortgewesen wären, so könnte man sich leicht entscheiden; so aber muß man sich sehr besinnen, um nicht vielleicht gar noch tiefer in die Wüste zu gerathen.«
»Ich schlage Nordostnord vor. In dieser Richtung flohen die Koyoten, als ich meine Schüsse abfeuerte. Kein Raubthier kann lange ohne Wasser sein, und ich vermuthe, daß dorthin welches zu finden sei und in Folge dessen auch Vegetation und Futter für das Pferd.«
»Ihr seid ein Dichter, Sir, und solchen Gentlemen ist nicht viel Praktik zuzutrauen, weil sie gewöhnlich ganz wo anders zu Hause sind, als gewöhnliche Menschenkinder, die keine Verse machen. Das hätte ich beinahe auch von Euch gedacht; jetzt aber muß ich Abbitte thun, denn ich sehe, daß Ihr das Auge dort habt, wo es hingehört. Vorwärts also, nach Nordostnord!«
»Nimm vorher den Stutzen und mein Bowiemesser; die Büchse und den Tomahawk behalte ich für mich. Auch muß ich laden. Man kann nicht wissen, was Einem begegnet.«
»All right! Gebt her; ich werde Eurem Schießzeuge keine Schande machen!«
Nach einem kurzen Aufenthalte des Ladens verließen sie den Ort, der ihnen so verhängnißvoll hätte werden können. Das Pferd war vollständig munter und wohlauf und trug seinen Reiter mit der früheren Leichtigkeit; doch war zu denken, daß dies nur eine vielleicht bald vorübergehende Folge des Regenbades sei. Es hatte seit längerer Zeit kein Gras gehabt, und die zurückgekehrten Kräfte konnten nur durch ein baldiges Futter erhalten werden.
Dennoch hielt es brav aus bis gegen Abend, wo alle Anzeichen verriethen, daß es wieder zu ermatten beginne.
Summerland blieb stehen und streckte den Kopf vor; ein eigenthümlicher Geruch machte ihn aufmerksam. Auch Forster sog die Luft ein.
»Kaktus,« meinte er. »Wir müssen ihm ausweichen.«
»Ausweichen? Das fällt dem Tim Summerland gar nicht ein. Grad hin zu ihm müssen wir; das ist so sicher wie meine Mütze.«
»Warum?«
»Weil er durch den Regen saftig geworden ist und –«
»Hast Recht, Tim,« fiel Forster ein, um die Blöße zu vermeiden, die er sich beinahe gegeben hätte. »Die Schale mit den Stacheln herunter, wird er vielleicht vom Pferde gefressen.«
»Wenn es die richtige Art ist. Also immer grad aus!«
In kurzer Zeit war die Kaktusoase erreicht. Die Pflanzen hatten meist Kugelform, und nach dem Schälen blieb das innere Fleisch zurück, welches das Pferd zwar zu anderer Zeit verschmäht hätte, jetzt aber mit Begierde fraß. Als es seinen Hunger gestillt hatte, wurde der Ritt wieder aufgenommen und bis in die späte Nacht hinein fortgesetzt. Jetzt waren Menschen und Thier so ermüdet, daß man Rast halten mußte.
Aber kurz nach Tagesanbruch ging es schon wieder weiter, und zu Mittag zeigten sich zur unermeßlichen Freude der beiden Männer zwischen dem Sande einzelne vertrocknete Exemplare des kurzen, lockigen Büffelgrases. Je weiter sie kamen, desto geschlossener wurde die Vegetation, und endlich trat die Steppe ganz zurück, um der grünenden Prairie Platz zu machen.
Jetzt waren sie gerettet. Das Pferd schwelgte förmlich in dem saftigen Futter, und die Jäger streckten sich in das frische, kühle Grün, sich mit einer wahren Wollust dehnend und streckend. Dann wurde beschlossen, noch vor Nacht wo möglich einen blaugrauen Streifen zu erreichen, welcher sich am nördlichen Horizonte sichtbar machte. Es mußte Buschwerk oder gar eine vortretende Waldparthie sein, was trotz der nahen Wüste möglich war, falls dort ein Wasserlauf vorhanden war.
Die Sonne stand schon ziemlich tief, als man das Ziel erreichte. Es war ein allerdings sehr lichtes Wildkirschengebüsch, von vielen Rasenplätzen unterbrochen, sich weiterhin aber immer mehr verdichtend, bis sich in der Ferne einzelne Baumkronen über ihm zeigten.
»Fare well, Hunger, Durst, Hitze und Elend!« meinte Summerland. »Da eben beginnt der Wald und – seht Ihr die Linien über ihm, Sir? Das sind Berge; das ist – by god, jetzt weiß ich, wo wir sind; ich kenne diese Hügel, ich bin zwischen ihnen herumgeritten, und da drüben fließt der Bee-fork, der in den Red River geht, das ist so sicher wie meine Mütze!«
»So reiten wir noch bis zum Wald; wir haben noch Licht genug, um ihn zu erreichen und eine gute Stelle zum Lager auszuwählen.«
Dieser Vorschlag wurde befolgt. Immer die gerade Linie einhaltend, drangen sie durch das Buschwerk vor. Summerland saß zu Pferde. Forster schritt voran, das Auge zwischen der Ferne und dem Boden getheilt. Man befand sich jetzt auf wegsamem Gebiete und mußte also wieder auf feindliche Begegnungen gefaßt sein. Da plötzlich blieb er stehen und bückte sich zur Erde, um das Gras einer sorgfältigen Untersuchung zu unterwerfen. Auch Summerland stieg ab und betrachtete aufmerksam die geknickten und niedergebogenen Halme.
»Eine Fährte! Eins, zwei – fünf – acht, neun Reiter mit eins, zwei – vier, fünf Lastthieren. Stimmt es, Sir?«
»Ja. Neun einzelne Spuren und fünf Eindrücke von Thieren, die zusammengekoppelt sind. Es sind keine Indianer, sondern Weiße, denn sie eilten nicht einzeln hinter, sondern sorglos durch und neben einander. Folgen wir ihnen oder nicht?«
»Warum nicht? Wir müssen ihnen nach, zu unserer eigenen Sicherheit.«
»Dann aber langsam; sie sind vor kaum einer Viertelstunde hier vorbei. Wär’s länger, so hätten sich die Halme wieder emporgerichtet.«
Das Pferd jetzt am Zügel führend und die Spur scharf im Auge behaltend, bogen sie rechts ein und beobachteten dabei, stets Deckung suchend, das vor ihnen liegende Terrain. Die Truppe konnte ja bereits Halt gemacht haben und die Verfolger früher bemerken, als es räthlich war.
Da führte die Fährte über einen Platz, der vermöge seiner sandigen Beschaffenheit die Hufeindrücke in größter Deutlichkeit und Treue zeigte. Die Männer mußten sich vollständig sicher gefühlt haben, sonst hätten sie solche Zeichen ihrer Anwesenheit ganz gewiß vermieden.
»God bless my soul, Gott schütze meine Seele,« klang der halblaute Ausruf Summerlands; »das sind die Pfahlmänner, die meine Nuggets geholt haben. Vierzehn waren es; fünf haben wir kalt gemacht, bleiben neun; das stimmt wie meine Mütze!«
»Woher willst Du so genau wissen, daß sie es sind, Tim?«
»Woher? Na, seht Ihr denn nicht diese Hufspur im Sande, die – ach so, Ihr könnt das ja gar nicht wissen! Schaut diesen rechten Hinterfuß. Ist er an der linken Seite nicht etwas kürzer als an der andern?«
»Allerdings.«
»Dieser Eindruck stammt von meiner alten Fuchsstute. Wenns nicht so ist, so will ich durch und durch gespießt sein! Sie hat sich einmal einen Dorn ins Leben getreten, der ausgeschwärt ist; der Fuß ist vollständig heil geworden, doch hat sich die eine Seite des Hufes hinten Etwas nach aufwärts gekrümmt, so daß der Sand nie eine vollständige Spur empfängt, selbst jetzt nicht, wo das arme Thier über die Gebühr beladen ist, wie Ihr an der Tiefe und vorderen Schärfe der Eindrücke seht. Ich muß den Fuchs wiederhaben, und koste es mich das Leben! Seid Ihr dabei, Sir?«
»Natürlich! Die Burschen haben die Stangen entfernt und uns dem Tode nahe gebracht, gar nicht zu rechnen, daß Du von ihnen überfallen und beraubt worden bist. Sie müssen eine ernste Lehre bekommen, obgleich ich ohne Noth nicht gern einem Menschenkinde an das Leben gehe.«
»Zounds! Sind sie uns nicht auch daran gegangen? Tim Summerland ist eine alte, gute Haut, das könnt Ihr glauben; er hat noch niemals einen Elephanten oder Walfisch todtgebissen; aber bei solchem Gesindel kennt er kein Erbarmen. Meine Stute will ich haben, meine Nuggets dazu, eine Büchse, ein Messer, einen Tomahawk, etwas Munition und so weiter, vielleicht auch einige Maß Spitzbubenblut, wenns nicht anders geht, und – aber verzeiht meine Frage, Sir; es sind ihrer Neun; wir zählen blos Zwei, und ich kenne Euch noch nicht –!«
»Keine Sorge, Tim!« lachte Forster, indem er das schöne Ebenmaß seiner hohen und ungewöhnlich kräftigen Gestalt emporstreckte. »Ich bin ein Kentuckymann, und wenn Du mich nicht kennst, so hast Du wohl schon Andre gesehen, die zwischen dem Ohio und den Cumberlands zu Hause sind.«
»Well, Sir! Dort giebt es keine Hasen; dort sind die zweitatzigen Bären daheim, und ich denke, daß Ihr Eure Pranken auch zu gebrauchen wißt. Vorwärts also. Wir wollen über sie kommen wie Simson über die Pharisäer, Sadduzäer und Kolosser. Vielleicht hat er auch noch die Epheser und Philipper erschlagen, denn ist man einmal im Zuge, so kommt es auf ein Volk mehr oder weniger nicht an!«
Sie folgten der Fährte weiter. Einzelne Bäume unterbrachen das niedere Buschwerk, wurden nach und nach immer häufiger und schlossen sich endlich zum mäßig dichten Walde, unter dessen Baumkronen die Eindrücke immer in gerader Linie hinführten.
Da machte sich ein brenzlicher Geruch bemerkbar.
»Stopp!« meinte Summerland. »Sie haben sich gelagert und ein Feuer angezündet. Wartet ein wenig; ich bin gleich wieder hier!«
Er führte das Pferd bis an den Saum des Waldes zurück und pflockte es hier in der Weise zwischen mehreren Büschen an, daß es weder gesehen werden noch entfliehen konnte. Dann kehrte er zurück.
»Jetzt gilt es, unbemerkt an sie zu kommen. Folgt mir!«
Er huschte, von Baum zu Baum Deckung suchend und die Zwischenräume blitzschnell überspringend, vollständig unhörbar vorwärts. Forster folgte ihm in derselben Weise. Nach einiger Zeit bemerkten sie einen hellen Rauch, welcher sich durch das Laubdach einen Ausgang suchte, und dann auch das Feuer, um welches alle Neun Platz genommen hatten. Summerland lehnte an einer Fichte, deren umfangreicher Stamm Beiden vollständige Sicherheit bieten konnte. Er winkte den Gefährten zu sich heran.
»Sie haben die Thiere noch nicht entschirrt und auch keine Wache ausgestellt. Welch horrible Unvorsichtigkeit!«
»Wo sind die Pferde?«
»Dort drüben hörte ich schnaufen. Ich brauche Waffen; sind welche dort, so braucht kein Tropfen Blutes zu fließen. Kommt!«
Sie schlichen sich weiter bis in die unmittelbare Nähe der Pferde, die keinen verdächtigen Laut hören ließen, weil sie sich noch nicht in freier Bewegung befanden.
»Seht Ihr dort meinen Fuchs? Er hat wirklich die Beutel mit den Nuggets noch über dem Rücken hangen. Und dort der Rappe hat eine vollständige Jagdausrüstung auf dem Packsattel. Ich nehme Beide, Ihr auch eins oder zwei, und die andern schneiden wir los. Go on, jetzt schnell!«
Er glitt vorwärts, schnitt im Vordringen einige Lasso’s durch und gab den Thieren einen Schlag, daß sie laut wiehernd davonstürmten. Dann sprang er auf den Fuchs, ergriff den Rappen beim Zügel und sah sich nun erst nach Forster um. Dieser hatte so schnell gehandelt, daß fast sämmtliche Pferde verschwunden waren. Er selbst saß auf einem Braunen und machte eben Miene, den Platz zu verlassen, als lautes Geschrei ertönte und die Pfahlmänner zwischen den Bäumen herbeisprangen.
Der Vorderste von ihnen war ein breitschultriger, schwarzbärtiger Gesell, der sich sofort auf Forster stürzte.
»Der Anführer, Master Dichter,« rief Summerland, seinen Stutzen auf zwei Andre abdrückend. »Gebt ihm genug!«
Der Tomahawk Forsters sauste durch die Luft, und der Schwarze brach zusammen.
»Huzza, so war’s gut. Jetzt fort!«
Sie wandten sich zur Flucht. Schüsse krachten hinter ihnen, laute Flüche erschallten; der Wald wirkte hindernd auf ihre Eile; dennoch aber erreichten sie unverwundet die Büsche, zwischen denen Summerland das Pferd zurückgelassen hatte.
»Schnell heraus mit ihm, und dann weiter, Sir! Ehe sie die Pferde wiederbekommen, wird es Nacht, und sie können erst morgen unsrer Fährte folgen. Aber fangen sollen sie Tim Summerland und seine Stute nicht, das ist so sicher wie meine Mütze!« –
II.
Marga
Im Staate Arkansas und an dem gleichnamigen Flusse liegt einige Stunden oberhalb Little Rock die Stadt Stenton. Obgleich ihr Ursprung nur um einige Jahrzehnte zurückweist, bildet sie doch, an der Einmündung zweier kleiner Seitenflüsse liegend, den Knotenpunkt eines außerordentlich regen Land-und Wasserverkehrs. Mit echt amerikanischer Schnelligkeit ist Haus an Haus, Straße an Straße gewachsen, und wo vor kurzer Zeit der wilde Sohn der Prairie sein Roß im Wasser des Stroms tränkte, dehnt jetzt sein »weißer Bruder« sich in weichen Flaumen und freut sich des Segens – vielleicht auch des Fluches der Gesittung, die einen ganzen, nach Millionen zählenden Menschenstamm erbarmungslos von der Erde streicht.
Da, wo einige englische Meilen vor der Stadt die Berge zur Ebene niedersteigen, tummelte eine Kalvakade junger Herren und Damen ihre muthigen Pferde in dem elastischen, von gelben Holianthusblüthen durchschossenen Grase. Der einzige ältere Mann, der sich bei der Gesellschaft befand, zeichnete sich zugleich auch durch sein Aeußeres von allen Uebrigen aus. Von ungemein dicker Natur, saß er auf einem Schimmel, der ihm an Körperumfang jedenfalls ebenbürtig war. Die Bewegungen der beiden so wohl zusammenpassenden Wesen hatte etwas Dickhäuterähnliches an sich, zu welchem die grellen Farben, in welche sich der Reiter gekleidet hatte, außerordentlich possierlich standen. Er trug ein gelbes Beinkleid, rothkarrirte Weste, lichtblauen Rock und einen breitkrämpigen, in schwarz und weiß geflochtenen Pferdehaarhut. Unter dem breit umgelegten, steif gestärkten Hemdenkragen war ein grün und lila gestreiftes Tuch in einen imposanten Knoten geschlungen und schickte seine wohlgefalteten Zipfel bis auf die kostbaren Berloquen herab, welche klingend an der dicken Uhrkette baumelten. Das jetzt vom Ritte geröthete und mit großen Schweißperlen bedeckte Gesicht hatte einen höchst gutmüthigen Ausdruck, doch konnte der eigenthümlich scharfe Zug um den Mund auch eine bittere Beimischung bedeuten und der kurze, dicke Nacken ein Zeichen hartnäckiger Ausdauer sein.
Eben machten er und sein Schimmel eine keuchende Anstrengung, einer der Damen zu folgen, die, als die Gewandteste von Allen, in tollen Kapriolen und Zickzackwendungen umherfegte, während ihr langer, blauer Schleier hoch in den Lüften flatterte. Wer sie eine reizende Erscheinung nennen wollte, hätte viel zu wenig gesagt; eine so wundervolle Schönheit durfte nicht jetzt während des kühnen Rittes, sie mußte im Augenblicke der Ruhe und Beschaulichkeit beobachtet und dem Herzen eingezeichnet werden.
»Halt ein, halt ein, Marga,« stöhnte der Bunte. Der Schimmel hatte eine fürchterliche Anstrengung gemacht und wirklich einen Satz fertig gebracht, der seinen Reiter vollständig aus der Contenance warf. »Du brichst den Hals, und ich, ich brech – brrr, stopp, ohohoho, Du höllische Bestie!«
Einer der Herren eilte herbei und half ihm wieder in eine sattelfeste Stellung.
»Der Schimmel hat zu gute Pflege, Master Olbers. Laßt ihm etwas weniger Hafer geben, dann wird er nicht so unmäßig in die Welt hineinspringen.«
»Der Hafer ist nicht schuld, sondern das böse Beispiel, welches selbst die besten Sitten verdirbt. Der Gaul verträgt seine Portion Körner ohne alle Aufregung ebenso leicht, wie ich meine Flasche Madeira, die ich mir nicht nehmen lasse. Aber bei Eurem Springen und Jagen kann auch die zuverlässigste Kreatur unmöglich ruhig bleiben. Ich bitte Euch dringend, Sir, reitet hin zu meiner Tochter und sagt ihr, daß ich sofort in Ohnmacht falle, wenn sie noch ein einziges ventre-à-terre riskirt!«
»Laßt ihr das Vergnügen, Master. Es hebt den Muth, stärkt die Gesundheit, macht gewandt und, ganz unter uns gesagt, läßt Miß Marga in einem Lichte erscheinen, dem kein wahrer Gentleman zu widerstehen vermag.«
»Licht hin, Licht her; ich lobe mir die Sicherheit meiner gesunden Glieder, Master Wilson. Da seht einmal den Mann, der dort herüberkommt. Sein Pferd geht Schritt um Schritt, als hätte es die Blüthen zu zählen, die es niedertritt, und wahrhaftig, es nimmt sich sogar hier und da ein Maul davon auf, er läßt das geduldig geschehen, hängt dabei vornüber im Sattel, als wolle er in die Mähne beißen, und scheint es ganz gleich zu nehmen, ob er heute nach Stenton kommt oder morgen. Der ist kein solcher Wagehals wie Ihr und Marga, und für die erste Rippe, welche er bricht, will ich Euch getrost baare fünfzigtausend Dollars versprechen!«
»Meint Ihr?« frug der Andre mit einem forschenden Blick auf den noch fernen fremden Reiter. »Ich meine sehr, daß Ihr die Dollars bald verlieren könntet, denn der Mann hat jedenfalls schon mehr als eine Rippe gewagt.«
»Hoëh! Er sieht ganz und gar nicht danach aus.«
»Das meint Ihr, weil Ihr noch nie die Prairie betreten habt. Ich wette ganz dieselbe Summe, daß es ein richtiger Westmann ist, der noch andre Ritte, als Ihr gesehen habt, unternommen und dem Tode täglich in das Auge geschaut hat. Ich kenne das, denn meine Besitzungen in Texas grenzen an die Savanne, und ich habe also Gelegenheit, diese Leute zu beobachten und sogar ein wenig mitzuthun. Gerade seine gebeugte Haltung kennzeichnet ihn als Jäger; so sitzen sie Alle zu Pferde, denn anders wäre das ewige Reiten gar nicht auszuhalten.«
»Ein Prairiejäger? Ein Halbwilder? Den müssen wir anreden! Eine Unterhaltung mit ihm wird unsern Damen sicher viel Spaß machen.«
»Ich denke auch. Laßt mich nur machen!«
Der Sprecher war ein noch ziemlich junger und schöner Mann, dessen dunkel sprühende Augen ganz prächtig zu dem tiefschwarzen, wohlgepflegten Vollbarte standen. Er war mit beinahe übermäßiger Eleganz gekleidet und saß mit seltener Leichtigkeit zu Pferde. Der breite Panamahut war ihm ein wenig aus der Stirn in den Nacken gerutscht und ließ eine dunkelrothe Narbe sehen, welche sich von der Nasenwurzel aus bis unter die Haare zog. Einige laut gerufene Worte von ihm brachten die Gesellschaft zusammen.
»Meine Ladies und Gent’s, ein Plaisir erwartet uns. Dort kommt ein Biberhauthaggler, den wir ein wenig ins Gebet nehmen wollen. Der Mann hat wohl noch nie eine wirkliche Lady gesehen und wird in schauderhafte Verlegenheit gerathen über die Zumuthung, uns Rede und Antwort stehen zu sollen.«
Der Vorschlag wurde von der übermüthigen Versammlung mit Freuden angenommen, nur die Tochter des Bunten appellirte dagegen.
»Laßt ihn ruhig vorüber, Gentlemen! Der Mann hat Euch nichts gethan, und könnte sich verletzt fühlen!«
»Verletzt?« lachte Wilson. »Er soll es für eine Ehre halten, von so feinen Leuten angesprochen zu werden. Ich werde ihm dies begreiflich machen!«
Er wandte sein Pferd dem Reiter entgegen; die Andern folgten, und Marga war also gezwungen, sich ihnen anzuschließen, doch hielt sie sich zurück. Das Unternehmen des reichen Plantagenbesitzers stand im Widerspruche mit ihrer Art und Weise zu denken und zu empfinden.
Der Fremde war jetzt bis in Hörweite herangekommen, und ein mit dem Leben und den Gestalten der Prairie Unvertrauter würde geglaubt haben, daß die Gesellschaft noch gar nicht von ihm bemerkt worden sei, so unverwandt hielt er den Blick auf den Hals seines Pferdes gerichtet.
»Good day, Mann,« rief Wilson. »Schlaft und träumt Ihr oder sind Euch Eure letzten zwei Sinne abhanden gekommen?«
Der Gefragte richtete sich blitzschnell in die gerade Stellung empor, und es war eigenthümlich, mit welchem Blicke sich die Beiden begegneten. Das tiefblaue Auge des Jägers bohrte sich förmlich stechend in das Gesicht seines Gegenübers, und das dunkle des letzteren leuchtete wie unter einem plötzlichen Erkennen auf und warf einen vernichtenden Strahl unter die zerwalkte Hutkrämpe des in ein schmutziges und arg zerfetztes Lederhabit gekleideten Reiters.
»Good day, Ladies und Mesch’schurs,« antwortete dieser mit voller, sonorer Stimme. »Ich träumte von der Llano estacado und von abhanden gekommenen Stangen und Nuggets. Good bye!«
Er machte Miene, seinen Weg fortzusetzen, Wilson aber verlegte ihm denselben.
»Halt, nicht weiter, bis Ihr erklärt, was diese Antwort zu bedeuten hat!«
Er war blaß geworden, aber sein Auge funkelte und die Narbe auf seiner Stirn schwoll zu doppelter Dicke an.
»Halt?« frug der Andre mit einem überlegenen Lächeln. »Wer will es wagen, einem freien Manne unter freiem Himmel Halt zu gebieten? Wer will ihm das Wort befehlen, das er nur freiwillig giebt?«
»Ich will es, Bursche! Was soll Deine Rede bedeuten? Sprich sofort oder – –«
Er erhob drohend die Reitpeitsche. Die Absicht, den unscheinbaren Mann zur Zielscheibe eines muthwilligen Spasses zu machen, hatte so schnell zur drohenden Gefahr geführt, daß keiner der Anwesenden Zeit fand, sie abzulenken.
»Oder – –?« donnerte der Jäger, die langen, wirren, blonden Locken schüttelnd wie ein Löwe seine Mähne. Er nahm mir der Linken die Zügel empor, und in demselben Augenblick schien dreifaches Leben sein scheinbar zu keiner schnellen Bewegung fähiges Pferd zu durchströmen. »Hinweg mit der Peitsche!«
»Heraus mit der Antwort!« schallte es ihm entgegen.
»Hier ist sie!«
Ein leiser Schenkeldruck und der Mustang schnellte bis dicht an Wilson heran; im nächsten Augenblicke sank dieser, von einem fürchterlichen Faustschlage getroffen, aus dem Sattel in das Gras hinab. Der kraftvolle Mann, der jetzt so plötzlich von Geist und Feuer sprühte, riß sofort das Roß wieder herum und blitzte Einen nach dem Andern mit seinem vor Zorn sich dunkelfärbenden Auge an.
»Will einer von den Gentlemen noch Antwort haben?«
Niemand regte sich, denn jeder der Herren mußte erkennen, daß diese Antwort augenblicklich und ganz in der vorhergehenden Weise erfolgen werde.
»Keiner? Well, so sind wir eigentlich fertig. Doch will ich Euch warnen vor dem Wagniß, je wieder einen braven Westmann für den passenden Gegenstand eines Possenspieles zu halten: sein kleiner Finger ist mehr werth als Ihr Alle; er sieht schon in der Ferne, was Ihr wollt, und weiß genau, wer lachen wird.«
Schon stand er im Begriff fortzureiten, da zügelte er sein Thier bis vor Marga heran. Sein Gesicht nahm einen ganz andern Ausdruck an; seine Hand zog ehrerbietig den Hut vom Kopfe; bewundernd glitt sein Blick über die holde, lichtvolle Erscheinung des Mädchens, und seine Stimme klang weich und halblaut:
»Dank, Mylady! Ihr wart die Einzige, die nicht spotten wollte, und seid einer besseren Gesellschaft werth. Good bye!«
Mit dem vollen Anstand eines wohlgeschulten Ladiesman bedeckte er sich wieder, zog den gelockerten Büchsenriemen fester an und ritt in kurzem, elegantem Galopp davon.
Nicht ein einziges Mal sah er sich um, trotzdem es seinen Blick mit Gewalt nach rückwärts zog. Er hatte hier zum ersten Male in ein Mädchenangesicht geblickt, von dem er sich gestand, daß er es nie vergessen werde. Als er die Stadt erreichte, stieg er in dem Gasthause ab, dessen Schild ihm zuerst entgegenglänzte, übergab sein Pferd dem Stallkeeper und begab sich in den Trinkraum, wo er die allgemeine Aufmerksamkeit durch die Hast erregte, mit welcher er nach den ausliegenden Zeitungen griff. Ein Trapper, der zu lesen versteht, kann beinahe als ein Mirakel betrachtet werden. Nach einiger Zeit winkte er den Boardkeeper zu sich heran.
»Wer ist Mutter Smolly?«
»Kennt Ihr Mutter Smolly nicht, Master? Dann müßt Ihr noch niemals hier gewesen sein! Sie war das schönste Mulattenmädchen weit und breit, wurde freigegeben und heirathete einen reichen Mississippihändler, dessen Wittwe sie nun ist. Sie ist die ehrbarste Frau der ganzen Stadt und überall als der Engel aller Nothleidenden bekannt; darum wird sie von Jedermann nicht anders als Mutter Smolly genannt.«
Er dankte für die Auskunft und las noch einmal die Annonce, welche ihn zu seiner Frage veranlaßt hatte:
»Ein wahrer Gentleman kann bei Mutter Smolly feine Wohnung mit Bibliothek und guter Kost erhalten.«
Diese Offerte hatte, vielleicht gerade wegen ihrer sonderbaren Fassung, etwas Anziehendes für ihn. Er erkundigte sich nachträglich noch nach der Wohnung der Mulattin, die nicht angegeben war, und beschloß, sie aufzusuchen.
Das Haus, welches ihm bezeichnet wurde, lag in einer der schönsten und ruhigsten Straßen Stentons. Er klingelte am Entree des Parterres, und aus der sich öffnenden Thürlücke sah ein allerliebstes, dunkles Gesicht hervor.
»Ist Mutter Smolly daheim, mein Kind?«
»Ja. Ich will sie rufen!«
»Nein, melde mich an,« lächelte er über das Mißtrauen, welches seine Kleidung hervorgerufen hatte. »Ich habe längere Zeit mit ihr zu sprechen.«
Nach längerer Zeit und jedenfalls erst nachdem die Dienerin der Herrin den Besuch bis in das Einzelnste beschrieben hatte, wurde er eingelassen, aber auch nur bis in den Vorsaal, wo ihn eine dralle, außerordentlich sauber gekleidete Frau empfing, die vielleicht vierzig Jahre zählen mochte und deren Gesichtsfarbe ihre Abstammung von irgend einer hübschen coloured-Lady verrieth.
»Verzeihung, Mylady, wenn – –«
»Mutter Smolly, nicht anders, wenn ich bitten darf!« fiel sie ihm schnell in die Rede.
»Gut also, Mutter Smolly! Ich las da eine Annonce, daß Ihr eine feine Wohnung mit guter Kost zu vergeben habt.«
»Allerdings. Aber habt Ihr auch gelesen, an wen?«
»An einen wahren Gentleman.«
»Also nicht an einen von den Vielen, die sich so nennen, ohne es zu sein, sondern an einen, den ich mit Recht so nennen darf.«
»Diese Sorte ist hier im Südwesten außerordentlich selten, Mutter Smolly.«
»Dann bleibt mein Logis unvermiethet. Ich nehme in mein Haus nur Leute, denen ich außer einer strengen Wirthin auch eine gute Mutter Smolly sein darf. Hat Euch Jemand geschickt?«
»Nein. Ich selbst beabsichtigte, bei Euch zu wohnen, wenn Eure Räumlichkeit mir und meine Person Euch gefällt.«
Sie konnte ein leises, silbernes Lachen nicht zurückhalten.
»Meine Wohnung würde Euch sicher gefallen; aber sagt mir doch einmal, Master, wer und was Ihr seid! Ich vermuthe, ein Jäger oder Fallensteller.«
»Meinem gegenwärtigen Aeußern nach, ja. Ich komme vom Felsengebirge und habe seit dort weder Kleider noch Wäsche wechseln können. Ich wollte das erst thun, wenn ich hier eine Heimath gefunden habe.«
»Weshalb hier in Stenton?«
»Weil sich hier die Druckerei befindet, in welcher ich Einiges veröffentlichen will.«
Sie blickte ihn erstaunt an.
»So seid Ihr eigentlich ein Gelehrter oder wohl gar ein Dichter?«
»Vielleicht. Ich unternehme meine Reisen nur des Wissens wegen. Mein Name ist Richard Forster.«
»Rich – – Forst – – bitte, bitte, Sir, tretet doch hier herein!«
Sie riß eine Thür auf, schob ihn mehr als er ging in ein sehr hübsch eingerichtetes Zimmer, zog von einem Konsolegestell unter mehreren Büchern einen in Sammet gebundenen Band heraus und hielt ihm das Titelblatt desselben vor.
»Herzensklänge, Sir; habt Ihr diese Lieder gedichtet?«
»Sie sind von mir.«
»Ists möglich! Mein Mann war ein Deutscher; er hat eine ganz werthvolle Bibliothek hinterlassen, und seine liebsten Bücher waren ihm die Eurigen. Ich kann sie nicht lesen; aber ich kenne ihre Titel und habe sie als Heiligthum hier in meinem Zimmer aufbewahrt. Ihr sollt die Wohnung haben; Ihr müßt sie nehmen. Kommt; ich will sie Euch zeigen!«
Es war auf einmal eine ganz außerordentliche Lebhaftigkeit über sie gekommen. Sie sprang voraus, eine Treppe empor, und öffnete ihm drei Räume, die alle Ansprüche eines gebildeten Mannes zu befriedigen vermochten.
»Hier das Schlafzimmer; hier das Wohnzimmer mit Balkon, und hier die Bibliothek, in welcher Ihr arbeiten könnt. Ich vertraue die Bücher keinem Menschen lieber an als Euch!«
»Gut; ich wohne hier, und der Preis?«
»Jetzt nicht; später davon. Seht nur erst, ob es Euch auch wirklich bei mir gefällt! Ich lasse Euch gar nicht wieder fort, und was Ihr braucht, werde ich Euch sofort besorgen.«
»Was die Wäsche und Aehnliches betrifft, ja; da muß ich sogar um Eure Hülfe bitten, meine gute Mutter Smolly; das Andre aber werde ich wohl selbst übernehmen müssen. Auch mein Pferd, welches im Hotel steht, erfordert meine Anwesenheit.«
»Das lassen wir holen. Ich habe im Hinterhause eine ganz prächtige Stallung, die Euch sicher zufriedenstellen wird.« –
Bis der Abend hereinbrach, war mit Hülfe des Konfektioners, Kleiderhändlers und Friseurs ein vollständig anderer Mensch aus Forster geworden, und die Wirthin schlug verwundert die Hände zusammen, als er herabkam, um sich ihr in dieser neuen Fassung vorzustellen.
Dann begab er sich zum Buchhändler und Druckereibesitzer, welcher zugleich Herausgeber der hiesigen Morgen-und Abendpost war und ihn mit Auszeichnung empfing. Hier erkundigte er sich nach der Privatwohnung des Advokaten Summerland. Er hatte sich in Preston am Red River von dem braven Tim getrennt, um noch einen Ausflug in das Indiana-Territorium zu machen und wollte den ersten Tag nicht vorübergehen lassen, ohne ihn aufgesucht zu haben. Leider aber fand er ihn nicht daheim; er war, wie das Mädchen berichtete, mit ihrer Herrschaft für den ganzen Abend zum Bankier Olbers geladen.
Er kehrte nach Hause zurück, um sich mit der Bibliothek des verstorbenen Mississippihändlers zu beschäftigen. Während dieser Unterhaltung bemerkte er, daß die zweite Etage des gegenüberliegenden großen Hauses hell erleuchtet war. Man konnte von dort aus recht wohl seine Zimmer übersehen; er schloß also die Gardinen.
Drüben war eine zahlreiche Gesellschaft um die Tafel, an welcher Marga präsidirte, versammelt. Unter den Anwesenden befanden sich, Wilson abgerechnet, sämmtliche Theilnehmer der heutigen Reitparthie und auch Bill Summerland mit Frau und Bruder. Dieser letztere hatte aus Rücksicht für die Seinen heute auf die gewohnte Trapperkleidung verzichtet und sich in eine salongerechtere Gewandung geworfen; doch war ihm recht gut anzusehen, daß er sich in derselben außerordentlich unbehaglich fühlte. Er war nicht der Mann, sich an einem solchen Orte fehlerlos zu bewegen, aber das genirte ihn ganz und gar nicht, denn er wußte, daß alle diese geputzten Herren und Damen im Gegensatze zu ihm in der Prairie noch viel unbehülflicher gewesen sein würden, wie er hier in den glänzenden Räumen des reichen Goldmannes, die er noch niemals betreten hatte. Er war ja eigentlich die Hauptperson der anwesenden Versammlung, die nicht müde wurde, sich von der Erzählung seiner Abenteuer unterhalten zu lassen.
Er stand jetzt bei der Schilderung der Todessteppe und seiner Rettung durch Forster.
»Ja, Mesch’schurs, es ist ein kleiner Unterschied zwischen Kojotensaft und dem veritablen Zeuge, das hier in diesem Glase glänzt, aber ich sage Euch, das Blut damals war mehr werth, als der ganze Keller von Master Olbers, auf dessen Wohl ich bei dieser Gelegenheit einen Schluck nehmen will. Und wißt Ihr, wem ich es verdanke, daß ich dies thun kann und nicht von den Geiern zerrissen worden bin? Einem Dichter, ja, schaut mich nur verwundert an, einem Dichter, aber nicht einem solchen, der zwischen Himmel und Erde hängt und hilflos mit den Beinen zappelt, sondern einem echten Busineßman, der auf jedem Fleck, wo man ihn hinstellt, es mit dem Besten aufzunehmen versteht.«
»Wie heißt er?« frug der dicke Bankier, der ein großer Literaturfreund war und nicht gern eine Gelegenheit, seine Belesenheit merken zu lassen, ungenützt vorübergehen ließ.
»Forster, Richard Forster, wenn es Euch recht ist. Seine Reime sind weich wie Butter, seine Fäuste aber hart wie Stahl. Er ist ein Kerl wie ein Riese und hat dabei ein Herz wie ein Kind; darauf kann ich schwören wie auf meine Mütze!«
»Forster, der Germanist! Dort sitzt seine größte Verehrerin,« meinte er, auf seine Tochter zeigend. »Sie hat seine Gedichte bei Mutter Smolly kennen gelernt. Er ist wirklich bedeutend in seinem Genre; groß aber könnte er nur im Englischen werden.«
»Im Englischen?« frug Tim Summerland. »Ich weiß nicht, ob er deutsch oder englisch zugeschlagen hat, aber gut waren seine Hiebe, das könnt Ihr glauben Ich habe es gesehen, als wir meine Nuggets wieder holten, und diese Geschichte müßt Ihr noch hören!«
Er fuhr in seinem Berichte fort, den er mit der Bemerkung schloß:
»Und wenn Ihr ihn sehen wollt, so kann dies vielleicht gar bald geschehen. Als wir am rothen Flusse von einander gingen, hat er mir versprochen, nach Stenton zu kommen. Er war blos in die Prairie gezogen, um ein Buch voll Reime über sie zu machen, und will es hier drucken lassen. Reime über die alte große Wüste, ein verteufelt sonderbarer Gedanke! Als ich zum ersten Male hineinritt, war ich ein Greenbeak von achtzehn Jahren, jetzt bin ich ein alter Junge und niemals aus ihr herausgekommen, aber ich will, so lang ich noch lebe, nichts als Truthahnbussard und Büffelboutins verzehren, wenn ich einen einzigen Reim über sie fertig bringe, geschweige ein ganzes Buch voll von ihnen! Und da soll er nicht groß sein, Master Olbers? Seht ihn Euch erst an, und dann sagt, ob Ihr etwas Kleines an ihm findet!«
Die Tafel wurde aufgehoben, und die Gäste zerstreuten sich in die verschiedenen Zimmer. Marga war der Erzählung des Trappers aufmerksam gefolgt. Ihr waren während derselben die verschwundenen Stangen und geraubten Nuggets aufgefallen, und unwillkürlich brachte sie Beides mit der Antwort des Jägers in Verbindung, der heut dem muthwilligen Wilson eine so derbe Lehre gegeben hatte. Dieser letztere hatte in Folge des erhaltenen Schlages am Abend nicht erscheinen können. Was hatten die überraschten Blicke zu bedeuten, mit welchen sich die Gegner gemessen hatten? Sie konnte die hohe, stolze Gestalt des Fremden nicht aus dem Sinne bringen. Mit welcher Schwere hatte seine Stimme der Feind getroffen, und wie weich und warm war sie dann ihr entgegengeklungen! Sie suchte einige Augenblicke unbelauschten Zusammenseins mit Tim Summerland zu ermöglichen.
»Sagtet Ihr nicht, daß Forster nach Stenton kommen will?«
»Yes; das habe ich gesagt, Miß.«
»Könnt Ihr mir seine Person beschreiben?«
»Sehr genau. Figur lang, breit und kräftig, Haare blond und lang, Bart ebenso, Augen blau, Mund klein, Zähne gut, Kleidung ein Jagdrock, ausgefranst und zerrissen, Leggins, ausgefranst und zerfetzt, Moccassins, ausgefranst und zersprungen, Hut, ein Stück Filz ohne Gestalt und Farbe, Pferd, ein Brauner mit weißem Stern, Waffen, eine Doppelbüchse, ein Stutzen, Messer, Tomahawk und Lariat, besondere Kennzeichen, macht Lieder und schlägt Pfahlmänner todt. So, nun könnt Ihr ihn steckbrieflich verfolgen lassen, so genau ist die Beschreibung.«
Sie wußte jetzt genug; das seltsame Signalement paßte genau auf den fremden Jäger.
»Werdet Ihr ihn uns einmal zuführen, wenn er da ist, Master Summerland?«
»Wenn Ihr es wünscht, Miß, so bringe ich ihn so gewiß wie meine Mütze.«
»Ich halte Euch beim Wort!«
Er wandte sich wieder der Gesellschaft zu, und sie trat an das Fenster, wo der Vater stand.
»Mutter Smolly muß vermiethet haben.«
»Wirklich? Dann ist es erst heut geschehen. Als ich sie gestern besuchte, stand das Logis noch leer.«
»Sie scheint also doch einen ›wahren Gentleman‹ gefunden zu haben, wie ihr Ausdruck in der Morgenpost lautet. Die Fenster sind erleuchtet, und hinter den Gardinen bewegt sich ein männlicher Schatten.«
Der, von welchem dieser Schatten herrührte, hatte in der Bibliothek manches Buch gefunden, welches nicht ohne Werth für ihn war, und dachte erst zu ungewöhnlich später Stunde daran, die Ruhe aufzusuchen. Als er das dunkle Wohnzimmer betrat, bemerkte er, daß drüben im gegenüberliegenden Hause die Lichter des zweiten Stockes erloschen seien. Jetzt waren einige Fenster des ersten Stockes erleuchtet; die Vorhänge waren zurückgezogen; die Altanthüre stand auf, und durch diese glänzte die große, lichtverbreitende Kuppel einer Lampe, welche auf dem Sophatische stand. Eine weibliche Gestalt in weißem, luftigem Gewande glitt wie schwebend durch das Gemach. Sie trat an den Tisch; das blendendhelle Licht fiel auf ihre hohe, volle Gestalt, doch da sie von ihm abgewandt stand, so konnte er von ihrem Gesicht nichts sehen. Unbeweglich aber hielt er seinen Blick auf sie gerichtet, indem er erwartete, daß sie sich mehr seitwärts wenden werde. Jetzt erhob sie ein Buch, schlug es auf und hielt es dem Lichte näher, und weißer als ihr Gewand, weißer als das Papier glänzte wie ein selbstleuchtender Gegenstand ihre Hand zu ihm herüber.
Schnell holte er ein Opernglas herbei, welches er auf dem Schreibtische gesehen hatte, und eilte, dasselbe vor sein Auge haltend, hinaus auf den Balkon, wo er in der Dunkelheit nicht bemerkt werden konnte. Da stand die Unbekannte nun so klar und deutlich vor ihm, als befinde er sich in ihrer unmittelbaren Nähe. Ihre Hand fesselte wieder seinen Blick. Er hatte schon manche schöne Hand gesehen, vielleicht auch eine von ihnen besungen, wie weit aber blieb alle seine Poesie gegen diese Wirklichkeit zurück! Wie graziös berührten sich ihre lang gestreckten, spitz zulaufenden Finger an dem Papiere; wie leicht und schön gebogen hob sich das Handgelenk, und wie reizend schaute der Arm aus der durchsichtigen Spitzenhülle hervor! Es war ihm, als brauche er sich nur vorzubeugen, um seine Lippen auf diese Lilienhand zu drücken, so nahe, so deutlich sah er sie vor sich. Und immer noch wollte die Eigenthümerin derselben sich nicht wenden, immer noch konnte er ihr nicht in das Angesicht schauen! Ob die Schönheit ihrer Züge wohl mit der ihrer Hand im Einklang stand? Ihr Kopf war klein und edel geformt, und zwischen den reichen, braunen Locken, die über die Schultern herniederfielen, schaute ein zierlicheres Ohr hervor, als er in seinem Leben jemals gesehen hatte.
Es durchfluthete ihn ein vollständig fremdes Gefühl. Es war ihm, als harre er auf eine Seligkeit, die ihm von Minute zu Minute vorenthalten werde; seine Ungeduld steigerte sich immer mehr und – da, da drehte sie sich halb um, und er erblickte dasselbe wunderbar schöne Angesicht, welches heute einen so tiefen Eindruck auf ihn gemacht hatte.
»Sie ists; ich hab’ es geahnt!«
Heiße Wogen drängten sich nach seinem Herzen; war es von dem zu scharfen Sehen durch das Glas, ein Taumel, ein der Trunkenheit ähnlicher Zustand wollte ihn erfassen. Er kannte die Macht weiblicher Schönheit, aber er hatte sie noch nicht an sich selbst erfahren; jetzt zitterte ihr Einfluß ihm durch das tiefste Leben, und er hätte um keinen Preis der Erde die Fülle von Ahnungen und unbewußten Wünschen, welche seine Brust schwellten, hingegeben.
Da nahm sie die Lampe und trat in das Nebengemach. Die weißen, neidischen Gardinen, welche die dortigen Fenster verhüllten, ließen nur noch ihren Schatten sehen, welcher auch bald verschwand, als sie das Licht verlöschte. Sie war schlafen gegangen.
Noch lange stand er, ob gedankenvoll oder gedankenlos, er selbst hätte es nicht sagen können. Nicht ihre Schönheit allein hatte ihn begeistert; das Vornehme und Edle ihres Aeußeren und die Reinheit, welche sie umwebte und umschwebte wie das Licht die Sonne, hatten ihn gefangen genommen.
»Schlaf wohl, Du herrliches, Du unvergleichliches Wesen!« flüsterte er aus überschwellendem Herzen und trat wieder in die Bibliothek zurück. Es trieb ihn hin zum Schreibtisch, es lenkte seine Hand zur Feder, und bald flossen die glühenden Stanzen auf das Papier, so glockentönig und farbenprächtig, wie sie nur die erste, alles Irdische überlodernde Liebe zu diktiren vermag. Er nahm das Blatt und las es wiederholt.
»Meine beste Arbeit, vielleicht die einzige gute und untadelhafte von allen. Nicht ich habe sie geschrieben, sondern die himmlische Macht, die sich heute mir zum ersten Male offenbarte. Was thue ich? Darf ich oder nicht? Noch ist die Redaktion mit der Zusammensetzung des Morgenblattes beschäftigt – ja, es wird gewagt!«
Er griff zum Hute und verließ trotz der späten Nachtstunde das Haus, um sich zur Druckerei zu begeben. Sein Beitrag wurde willkommen geheißen, und befriedigt kehrte er zurück. In der vom Monde nicht beschienenen Thornische standen zwei Personen, mit denen er in der Eile seines Ganges nicht allzuzart karambolirte, eine hohe männliche und eine zierliche, weibliche.
»Wer da?«
»Ich bin’s.«
»Wer ist das?«
»Sarah.«
»Welche Sarah?«
»Das Mädchen von Mutter Smolly.«
»Ach so. Gute Nacht!«
Die kleine, niedliche Terzerone hatte also einen Anbeter. Forster wollte in den undeutlichen Umrissen seiner Gestalt etwas Bekanntes finden, konnte aber die beiden Leute unmöglich noch mehr belästigen. Er stieg zu seiner Wohnung empor und schlief nach langer Zeit zum ersten Male wieder zwischen schwellenden Federn. Seine Ruhe war so tief und fest, daß es dem Gotte des Traumes versagt blieb, sie mit den glücklichen Bildern zu durchweben, die den Schläfer noch im Entschlummern umgaukelt hatten. –