Eine Befreiung

Ich war von Tripolis nach Mursuk, der Hauptstadt der Provinz Fezzan, gekommen und bei dem reichen, jüdischen Handelsherrn Manasse Ben Aharab, an welchen ich gute Empfehlungen hatte, abgestiegen. Er nahm mich mit großer Gastfreundlichkeit auf und tat es nicht anders, ich mußte in seinem Hause wohnen und wurde in demselben geradezu wie ein Sohn gehalten. Das bedeutete einen außerordentlichen Vorzug, denn er war nicht nur reich, sondern auch sehr stolz und lebte außerordentlich zurückgezogen, vielleicht auch aus dem Grund, weil die Bevölkerung von Mursuk meist aus Mohammedanern besteht, von denen der Jude bekanntlich noch viel geringer als der Christ geachtet wird. Der Moslem erklärt Christus für den größten Propheten nach Mohammed und kann es dem Juden nicht vergessen, daß seine Vorfahren Isa Ben Marryam d.i. Jesus, den Sohn Mariens, gekreuzigt haben.

Manasse war Witwer und hatte ein Kind, eine Tochter, welche Rahel hieß. Sie mochte, als ich mich bei ihm befand, fünfzehn Jahre zählen, war aber, dem südlichen Klima angemessen, körperlich und geistig nicht nur vollständig entwickelt, sondern sogar vielleicht das schönste Mädchen, welches ich jemals gesehen habe. Ihre Schönheit war weit und breit berühmt und da sie eigentlich aus Sokna stammte, woher ihr Vater vor einigen Jahren nach Mursuk gezogen war, so wurde sie allgemein die ‚Rose von Sokna‘ genannt.

Ich hatte schon unterwegs, als ich in Sokna einen Tag ruhte, von ihr gehört und will aufrichtig gestehen, daß ich neugierig war, zu sehen, ob sie diesen Namen wirklich verdiene. Und ja, sie trug ihn mit vollem Recht. Als ihr Vater mich zu ihr führte, fanden wir sie auf einem rotsamtenen Polster liegen, welches sich rundum an die vier Wände des Gemaches schmiegte. Sie trug eine weite, weißseidene Frauenhose, welche mit goldenen Spangen an die feinen Knöchel befestigt war und um die Hüften von einem blaßblauen, reich in Gold gestickten Gürteltuch festgehalten wurde. Die nackten, rosig schimmernden Füße steckten in niedlichen, violettseidenen Pantöffelchens. Um den Oberkörper schloß sich eine eng anliegende dunkelblauseidene Jacke, welche anstatt der Knöpfe von schwergoldenen Ketten zusammengenestelt war. Das blauschwarze, dichte Haar hing in langen, schweren Zöpfen weit herab; Nadeln mit großen, silbernen Knöpfen glänzten in demselben, und über die Stirn breitete sich ein loses Diadem von Goldstücken verschiedener Größe. An den kleinen Händen funkelten Ringe von gewiß sehr hohem Wert.

Das aber war es nicht, was mir imponieren konnte. Es gibt verschiedene Arten von Reichtum. Man kann reich sein an Erfahrung, an Ehren, an Bildung – auch an Geld, und dieser letztere Reichtum hat an sich keinen Wert für mich. Aber dieses Gesicht! Ich unterlasse es, dasselbe zu beschreiben, denn was ich erzähle, soll keine Liebesgeschichte sein, doch auf diesen prächtig gezeichneten Lippen lagerte der Ausdruck stolzer Reinheit und weiblicher Güte, und aus den mandelförmig geschnittenen, großen, dunklen Augen leuchtete ein ruhiger, offener, selbstbewußter Blick, welcher erkennen ließ, daß die ‚Rose von Sokna‘ auch in Beziehung auf ihren Geist und ihr Gemüt mehr als ein gewöhnliches Mädchen sei.

Sie erhob sich bei unserem Eintritt und sah mich forschend an. Vor diesem Auge, wie sie es so auf mich richtete, konnte sich gewiß kein unedler Charakter verbergen.

„Das ist der deutsche Effendi, dessen Ankunft mein Geschäftsfreund in Tripolis mir gemeldet hat“, sagte ihr der Vater.

Da reichte sie mir die Hand und sprach:

„Du bist uns sehr willkommen, Effendina. Der Brief, welchen wir erhielten, hat uns viel von dir erzählt. Wir erfuhren, daß du weit über die Erde gewandert bist und weit mehr erlebt und erfahren hast, als viele andere Menschen. Ich habe mich auf dein Kommen gefreut, denn wir leben hier sehr einsam, weil wir niemand haben, dem wir Freund sein möchten. Bleib recht, recht lange in unserem Haus, dessen Wirtin ich bin! Ich werde mich bemühen, daß es dir bei uns gefallen möge.“

Ich wurde du genannt, weil wir arabisch sprachen. Ihr Wunsch ging in Erfüllung: Es gefiel mir außerordentlich bei Manasse Ben Aharab und seiner Tochter. Er tat alles mögliche, mich zu halten, und sie war trotz ihrer Jugend eine vortreffliche Wirtin, wie ich sie hier in der afrikanischen Oase nicht gesucht hätte.

Ich kam aus der Heimat, war vorher in Nordamerika gewesen und wollte nun tief in die Sahara hinein. Das durfte nicht plötzlich geschehen, wenn ich nicht meine Gesundheit schädigen wollte. Ich mußte, wie der Kunstausdruck ja lautet, mich trainieren und erst kurze und dann immer weitere Ausflüge unternehmen, um mich wieder an das Wüstenklima zu gewöhnen. Jedem dieser Ausflüge ging ein besorgter Abschied voran, besorgt, weil man wohl glaubte, daß ich nicht zurückkehren würde, und kam ich dann wieder, so sah ich, daß die Freude darüber ebenso groß wie aufrichtig war. Wie wurde ich gebeten, mich zu schonen, mich ja nicht in Gefahr zu begeben! Ich habe auf meinen Reisen viel Güte, viel Liebe gefunden und kann wohl sagen, daß die Erinnerung an dieses gastliche Haus in Mursuk mit zu meinen schönsten gehört.

Natürlich brauchte ich auf diesen Ausflügen einen Begleiter; so wenigstens dachten Manasse und Rahel, während ich ebensogern allein geritten wäre. Meine Erfahrung und meine guten Waffen genügten mir. Mein Wirt hatte mir einen Diener empfohlen, welcher Ali genannt wurde. Dieser war noch jung, vielleicht dreiundzwanzig Jahre alt, und ein sehr brauchbarer Mensch. Er sprach mehrere arabische Dialekte, hatte keinen Familienanhang, der ihn örtlich binden konnte, war treu, ergeben und, was die Hauptsache ist, sehr ehrlich und hatte sich sehr bald – ich möchte fast sagen – förmlich in mich verliebt. Nun, das schadete nichts; das konnte mich nur freuen, und ich will gern zugeben, daß ich ihm auch gewogen war.

Einen Fehler besaß er, der mir aber mehr Spaß als Verdruß bereitete: Er hatte einige Bücher gelesen und hielt sich infolgedessen für einen sehr gelehrten Menschen. Es kam nicht selten vor, daß er selbst mich belehren wollte. Auch für einen großen Helden hielt er sich, wozu ich freilich der Wahrheit gemäß bemerken muß, daß er allerdings Mut besaß. Infolge dieses seines Selbstbewußtseins war er mit dem einfachen Namen Ali nicht zufrieden und ging, wie dies dort so Sitte ist, bei jeder halbwegs passenden Gelegenheit auf seine Vorfahren zurück. Wenn er einmal über eine vermeintliche Nichtachtung in Harnisch geriet, hing er, um zu imponieren, seinem Namen denjenigen seiner nächsten Ahnen an. Dann hieß er nicht bloß Ali, sondern Ali el Hakemi Ibn Abbas er-Rumi Ben Hafis Omar en-Nasafi Ibn Sadek Kamil el Batal. Je länger so ein Name ist, desto größer ist die Ehre für den Betreffenden; wer aber die Namen seiner Vorfahren nicht kennt, wird nicht geachtet. Dazu kam, daß Batal soviel wie ‚Held‘ bedeutet; man kann sich also denken, welch gewichtigen Nachdruck er auf dieses Schlußwort legte.

Was meinen Namen betrifft, so wurde ich nicht bei meinem eigentlichen, sondern, wie auf meinen früheren Reisen, Kara Ben Nemsi genannt. Kara heißt ‚schwarz‘ und Ben Nemsi ‚Sohn der Deutschen‘. Ich trug einen dunklen Bart und war ein Deutscher; daher dieser Name.

Den letzten Ausflug vor meiner definitiven Abreise wollte ich nach dem Wadi Kouhr machen, ein ziemlich weiter Ritt, der über eine Woche in Anspruch nahm. Wadi heißt Tal und auch Fluß. Meist sind damit diejenigen Wasserläufe gemeint, welche sich zur Regenzeit bilden und dann wieder versiegen. Diese Flüsse sind zuweilen gefährlich. Der Regen in den Tropen ist ein ganz anderer als bei uns. Er gießt nicht nur, sondern er fällt wie eine geschlossene Masse vom Himmel herab; im Nu bildet sich der Fluß und stürzt sich wie eine vorwärtsschießende Mauer das Tal hernieder. Befindet sich in demselben ein Zeltlager, so ist alles verloren, was nicht augenblicklich fliehen oder gerettet werden kann. Wir standen jetzt kurz vor Beginn der Regenzeit.

Man darf sich nämlich die Sahara nicht als ein ununterbrochenes und ödes Sandmeer denken. Ja, es gibt da schier endlose Sandflächen; aber es erheben sich auch einzelne Berge oder Höhenzüge, welche hohe, steinige Plateaus tragen. Und Wasser ist auch vorhanden. Wo ein Quell zutage tritt, da bildet sich eine Oase mit der üppigsten Vegetation. Oft braucht man nur einige Meter tief zu graben, um auf Wasser zu treffen, welches freilich meist von keiner guten Beschaffenheit ist; doch wird es um so besser, je tiefer man gräbt; das haben die Franzosen durch ihre artesischen Brunnen bewiesen. Vor Jahrhunderten war die Sahara weit mehr bevölkert und bebaut als jetzt. Noch heute trifft man in der trostlosen Öde auf Römerbauten, welche leider nun der wandernde Sand verschüttet hat.

Interessant sind die Bijara mektumin, d.i. geheimen Brunnen, an denen vorüber oder sogar über welche man reiten kann, ohne zu ahnen, daß man sich in so großer Nähe des ersehnten Elementes befindet. Ein weitab von der Karawanenstraße streifender Beduine entdeckt durch Zufall einen wasserhaltigen Ort, gräbt den Sand auf, füllt seinen Schlauch, tränkt sein Kamel, breitet seine Decke über das schmale Loch und wirft den Sand wieder darauf. Von nun an besitzt er einen Punkt, an welchem er rasten und sich erholen kann, und hält denselben geheim. Er verrät ihn nur dann, wenn er Nutzen davon haben kann. Diese heimlichen Brunnen befinden sich meist im Besitz von Räubern oder auch ganzen Raubkarawanen, denen ein solcher Bir (Brunnen) große Sicherheit bietet, da sie dann nicht nötig haben, die an den Karawanenwegen liegenden Brunnen aufzusuchen und sich dabei in Gefahr zu begeben.

Meine freundliche Wirtin hatte mich vor unserem Aufbruch mit allem Nötigen versehen, ohne daß es mich etwas kostete. Beritten waren wir leidlich, denn ich hatte zwei gute Reitkamele gekauft, sogenannte Hedschihns, während das Lastkamel Dschemmel genannt wird. Freilich mußten sie außer uns auch noch die Wasserschläuche tragen, weil ich angewiesen war, sparsam zu sein, und also kein Dschemmel kaufen wollte. Es gab, wie gewöhnlich, einen längeren Abschied mit herzlich gemeinten Bitten und Ermahnungen.

„Effendina“, fragte Rahel, „wirst du auch Wort halten und wiederkommen?“

„Ich habe noch nie mein Wort gebrochen“, antwortete ich. „Nach zehn Tagen sehen wir uns wieder.“

„Ich will dir glauben, denn du bist ein Alemani (Deutscher), und ich weiß, daß kein Alemani lügt. Aber sei ja vorsichtig und nimm dich in acht. Dein jetziges Ziel liegt nahe der Gegend, wo das Gebiet der räuberischen Tibbu beginnt. Wenn du mit ihnen zusammenträfest, wärst du verloren.“

„Laß dein Herz keine Sorge um mich tragen, o Blume der Oase! Ich fürchte mich nicht.“

„Ja, ich weiß gar wohl, daß du dich nicht fürchtest“, meinte sie eifrig; „aber du bist verwegen, Effendina. Du hast den Löwen und sogar den schwarzen Panther geschossen, welcher weit gefährlicher ist; du hast mit vielen, vielen Feinden gekämpft und bist stets Sieger gewesen; aber dein Körper zeigt noch heute die Narben der Wunden, welche du bekommen hast, und wie leicht kann ein Messer oder gar eine Kugel tiefer gehen, als bisher. Versprich mir, daß du vorsichtig sein willst; gib mir deine Hand darauf!“

„Hier ist die Hand; ich verspreche es.“

Sie nahm meine Hand in ihre beiden kleinen Hände, sah mir mit feuchten Augen in das Gesicht und fuhr fort:

„Du weißt, daß wir dich lieb haben und sehr, sehr traurig sein würden, wenn dir ein Unglück geschähe. Denke ja daran, Effendina!“

„Sei gewiß, daß ich dies keinen Augenblick vergessen werde, o schönste der Rosen von Sokna!“

„Nicht dieses Wort! Du weißt, daß du mich nicht so nennen sollst. Von dir mag ich das nicht hören. Du sollst nur denken, daß ich gut und deine Freundin bin; das andere ist nicht nötig. Allah jebarik fik; Allah jesellimak – Gott segne dich; Gott erhalte dich!“

Nach diesen Worten wendete sie sich ab und entfernte sich. Ihr Vater entließ mich in derselben Weise; dann ritten wir an den Palmen-, Granaten-, Oliven-, Feigen-, Pfirsich- und Aprikosengärten der Stadt vorüber und zum Tor hinaus. Zwischen Wassermelonenfeldern ging es dann ostwärts weiter, wo bald die Vegetation verschwand und unsere Kamele im Sand zu waten begannen.

Was unsere Kleidung und Waffen anbetrifft, so trug ich aus Erfahrungsgründen Hose, Weste und Jacke von einem leichten, dunkelgrauen Stoff und darüber den mantelartigen weißen Haïk mit Kapuze. An den Turban hatte ich zum Schutz der Augen vorn einen blauen Schleier befestigt. Ali war ähnlich gekleidet. Er besaß außer einem Messer und seinen zwei Pistolen eine lange, einläufige arabische Flinte. Ich hatte meine lang und oft bewährten Waffen bei mir: das Bowiemesser, zwei Revolver den schweren Bärentöter, aus welchem eine gutgezielte Kugel genügte, um einen Löwen niederzustrecken, und endlich den wie ich wohl sagen darf, berühmt gewordenen Henrystutzen, aus welchem ich fünfundzwanzig Schüsse abgeben kann. Der Erfinder dieses Gewehrs hat nur zwölf Stück davon angefertigt; elf sind mit ihren Besitzern in den nordamerikanischen Prärien verlorengegangen; mein Exemplar ist das letzte und einzige, welches es noch gibt.

Für unsere Anzüge hatte ich dunkelgrau gewählt, weil diese Farbe das Anschleichen am besten gestattet, das unbemerkte Herankommen an den Feind. Dieses Anschleichen ist eine gar nicht so leichte Kunst, wie man vielleicht denken mag; ich habe derselben viele, viele Male mein Leben und auch dasjenige meiner Gefährten zu verdanken gehabt und war überzeugt, daß sie mir auch während meiner jetzigen Reise Nutzen bringen werde; die Farbe des Anzugs mußte mich dabei unterstützen.

Die ersten drei Tage unseres Ritts verliefen in so erwünschter, glücklicher Weise, daß ich weiter nichts über dieselben zu erwähnen habe. Das Wadi Kouhr liegt in der libyschen Wüste, südöstlich von Mursuk und südwestlich von der Oase Kufarah. Die libysche Wüste ist der Teil der Sahara, welcher bekannt ist als der unwegsamste und gefährlichste. Uns machte sie zwar ein tiefernstes, aber doch kein feindseliges Gesicht.

Wir hatten seit Mursuk keinen Menschen zu sehen bekommen und wünschten auch nicht, jemandem im Wadi Kouhr zu begegnen. In jenen Gegenden muß man sich gewöhnen, in jedem Menschen, den man trifft, einen Feind zu erblicken. Nach dem Wadi aber mußten wir, denn dort gab es Wasser, und wir mußten unsere Schläuche, welche leer geworden waren, wieder füllen. Übrigens kannte ich das Wadi nicht, und auch Ali war noch niemals da gewesen.

Schon wollte sich der dritte Tag zur Rüste neigen; wir waren so schnell geritten, daß wir nach meiner Berechnung das Ziel unbedingt vor Nacht erreichen mußten, wenn wir keine falsche Richtung eingeschlagen hatten, und doch ließ sich nichts sehen, was auf die Nähe des Wadi hätte schließen lassen können. Schon wollte Ali bedenklich werden; er sagte:

„Effendi, wir hätten doch einen Führer mitnehmen sollen. Wenn wir heute das Ziel verfehlen, wissen wir nicht, nach welcher Richtung es zu finden ist, und stehen vor dem Tod des Verdurstens.“

„Habe keine Sorge“, antwortete ich ihm. „Ich weiß mich schon zurechtzufinden. Da, schau hinauf gen Himmel, grad vor uns! Da gibt es ein Zeichen, daß wir uns auf dem richtigen Weg befinden. Kennst du die beiden Vögel, welche da ihre Kreise ziehen?“

„Ja; es ist ein Schahin (Falke) mit seiner Frau. Sollte der wirklich die Nähe des Wadi bedeuten?“

„Gewiß; leider aber auch die Nähe von Menschen. Der Schahin folgt gern den Karawanen, und aus der Richtung, in welcher er dort oben fliegt, kann man folgern, wohin sich unten die Karawane bewegt, obgleich man sie noch nicht zu sehen vermag. Diese beiden Falken schweben langsam im Kreis; sie bewegen sich nicht fort, folglich sind die Menschen unter ihnen nicht im reiten begriffen, sondern sie lagern.“

„Allah! Wie du das so sicher sagen kannst! Du bist wirklich kein ganz dummer Kerl, Effendi; dieses Lob muß ich dir geben. Was das zu bedeuten hat, wirst du wohl wissen?“

„Ja, nämlich nicht viel.“

„Ajjuha – oho! Ich bin ein Mann, der alles kennt, was es auf Erden gibt; ein solches Lob aus meinem Mund ist also ein Vorzug, der nicht jedem zuteil wird. Ich hoffe jedoch, daß du nicht darüber stolz wirst und dich überhebst, denn die Bescheidenheit ist die größte Zierde wahrhaft großer und gebildeter Männlichkeit. Auch der Prophet ist, was du als Christ aber nicht wissen kannst, niemals stolz gewesen.“

„Da verwechselst du wohl euern Mohammed mit Isa Ben Marryam, unserem Gottessohn. Meinst du übrigens nicht, daß die Bescheidenheit auch dir zur Zierde gereichen würde?“

„Allerdings“, nickte er. „Besitze ich sie etwa nicht?“

„Ist es bescheiden, wenn du behauptest, alles zu kennen, was es auf Erden gibt?“

„Ja, denn ich habe mich nicht überhoben, sondern die Wahrheit gesagt. Das wirst du zugeben.“

„Im Gegenteil, ich bestreite es.“

„Bestreiten? Effendi, willst du mich beleidigen? Bring mir doch einmal etwas, was ich nicht kenne!“

„Hast du unseren Weg nach dem Wadi gekannt? Kennst du meinen Vater, meine Mutter? Nenne mir doch einmal ihre Namen!“

Da fuhr er sich mit der Hand hinter das Ohr, kratzte sich dort verlegen und antwortete:

„Du verlangst zu viel von mir, Effendi. Wie kann ich alle Menschen, die Väter ihrer Ahnen und die Urahnen ihrer Großväter kennen! Ich habe gesagt, daß ich alles kenne, aber nicht, daß ich allwissend bin. Doch schau, kommt dort nicht ein Reiter geritten?“

Wir hatten das Wadi vor uns zu suchen; er deutete aber nach rechts, nach Süden, wo ich allerdings zu gleicher Zeit mit ihm den Reiter erblickt hatte. Dieser wollte jedenfalls auch nach dem Wadi; aber als er uns sah, hielt er sein Kamel für einen Augenblick an und verließ dann seine bisherige Richtung, um auf uns zuzulenken.

Als er uns so nahe gekommen war, daß wir ihn und sein Tier deutlich erkennen konnten, sah ich, daß er ein vornehmer und reicher Mann sein müsse, denn er ritt ein graues Bischarin-Hedschihn, eines jener Reitkamele, welche kaum zu kaufen sind. So ein Hedschihn kann, wenn es eine Stute ist und überhaupt veräußert wird, nach deutschem Geld dreißigtausend Mark und noch mehr kosten. Ich hatte früher ein solches Tier geritten und mit demselben an einem Tag zwischen neunzig und hundert Kilometer zurückgelegt. Ihren Namen haben diese Hedschihns von den Bischarin-Nomaden, welche am oberen Nil wohnen. In der Sahara werden sie meist von den Tibbu gezüchtet, welche daraufhin bekannt sind, daß sie die schönsten Reitkamele besitzen.

Und zu diesem Volk der Tibbu schien der Reiter zu gehören, welcher jetzt auf uns zukam. Seine Hautfarbe war fast so dunkel wie diejenige eines Negers; man hätte ihn leicht für einen solchen halten können, wenn er nicht eine gerade Nase und weniger aufgeworfene Lippen gehabt hätte. Seine Gestalt schien, so weit der weiße faltige Burnus dies erkennen ließ, lang und schlank, aber sehr kräftig zu sein; sein schwarzes Haar hing ihm in langen Zöpfen auf den Rücken herab. Anstatt des Turbans trug er ein rotes Kaffije (Kopftuch); eine lange einläufige Flinte lag quer vor ihm auf dem Sattel. Zehn Schritte vor uns hielt er sein Hedschihn an, machte eine leichte Handbewegung nach der Brust und grüßte:

„Sallam! Wohin geht euer Weg?“

Sein Blick ruhte finster und forschend auf uns. Der Mann gefiel mir nicht. Wenn der Beduine so kurz grüßt, ist das stets ein sicheres Zeichen, daß er keine freundlichen Absichten hegt.

„Sallam“, antwortete ich also ebenso kurz. „Wir wollen nach dem Wadi Kouhr.“

„Kennst du es?“

„Nein; ich war noch niemals dort.“

„So weiß aber dieser dein Begleiter den Weg?“

„Auch nicht.“

„Maschallah – Wunder Gottes! Wie habt ihr euch da zurechtfinden können?“

„Allah ist der Führer der Seinen. Wer ihm vertraut, geht niemals irr.“

Er machte eine verächtliche Armbewegung und bemerkte:

„Allah wohnt im Himmel. Er wird nicht vor dir hergeritten sein, um dir den Weg zu zeigen. Woher kommt ihr?“

„Von Mursuk.“

Es ging, als ich diesen Ort nannte, wie ein schnelles Leuchten über sein Gesicht; dann fragte er:

„Wohnt ihr dort?“

„Nein. Ich habe mich dort nur ausgeruht.“

„Wie lange?“

„Fünf Wochen.“

„So wirst du dennoch die Stadt und ihre Bewohner kennengelernt haben. Hast du vielleicht einen jüdischen Tagir (Kaufmann) gesehen, welcher Manasse Ben Aharab heißt?“

„Ja. Ich war sein Gast und habe bei ihm gewohnt.“

Wieder bemerkte ich dieses blitzartige Leuchten, welches über sein Gesicht zuckte. Dann erhellten sich seine bisher finsteren Züge, und er sagte in viel freundlicherem Ton:

„Danke Allah, daß dem so ist; Manasse ist mein Freund, und da du der seinige bist, heiße ich dich willkommen. Folge mir!“

Er hatte nur zu mir gesprochen, wohl weil er erriet, in welcher Stellung sich Ali zu mir befand. Diesen schien dies zu ärgern, denn als der Fremde jetzt sein Kamel wendete, ergriff er schnell das Wort:

„Halt, warte noch! So rasch, wie du meinst, geht das nicht. Wir müssen wissen, wer du bist.“

Da drehte sich der Angeredete wieder nach uns um, betrachtete ihn mit zusammengezogenen Brauen und fragte:

„Wer bist denn du, daß du so zu mir zu sprechen wagst?“

„Wagst? Ist es ein Wagnis mit dir zu reden? Ich kenne keinen Menschen, vor dem ich mich zu fürchten hätte, denn ich bin Ali el Hakemi Ibn Abbas er-Rumi Ben Hafis Omar en Nasafi Ibn Sadek Kamil el Batal! Verstanden? El Batal, el Batal!“

Er wiederholte diesen Beinamen und betonte ihn stark, weil das Wort, wie bereits bemerkt, ‚der Held‘ bedeutet. Der Fremde ließ ein leises Lächeln um seine Mundwinkel sehen und antwortete:

„Ja, el Batal; ich höre es, du bist der Nachkomme dieses Mannes; aber der Enkel oder Urenkel eines Helden kann ein großer Feigling sein. Was bist du denn?“

„Ich? Ich bin ein großer Krieger und ein großer Alim (Gelehrter). Es gibt auf Erden keine Wissenschaft, die meinem Auge verborgen wäre. Wie ist dein Name, und zu welchem Stamm gehörest du?“

Das Lächeln des anderen wurde stärker und, wie es mir schien, zugleich verächtlicher; er antwortete ihm nicht, sondern wendete sich zu mir:

„Ist dieser Mann mit dem langen Namen dein Freund, dein Bruder oder vielleicht – ein Diener?“

„Das Letztere“, antwortete ich der Wahrheit gemäß und innerlich erstaunt über den Scharfblick, den er durch diese Frage verriet.

„So sag ihm, daß ein freier Mann sich nicht von einem Menschen, welcher bezahlt wird, ausfragen läßt. Du bist der Herr, und dir will ich Auskunft geben: Ich bin ein Tedetu und werde Tahaf genannt. Und nun komm; ich werde dich zu meinen Leuten führen.“

Er wendete abermals um und ritt davon. Während wir ihm folgten, drängte Ali sein Kamel nahe an das meinige und raunte mir zu:

„Was hast du getan, Effendi! Du hast mein Angesicht schamrot gemacht. Mußtest du ihm sagen, daß ich dein Diener bin?“

„Ja“, antwortete ich.

„Warum?“

„Weil ich nie lüge, und weil du dich für einen großen Gelehrten ausgabst, Prahlhans. Wer mehr von sich sagt, als was er kann und was er ist, dem kann es nichts schaden, wenn er an die Wahrheit erinnert wird.“

„So gibst du also nicht zu, daß ich ein Gelehrter bin?“

„Nein.“

Um weiteren Vorwürfen zu entgehen, lenkte ich mein Kamel von ihm weg und an die Seite des Tedetu. Tedetu ist die Einzahl von Tibbu; ein einzelner vom Tibbuvolk wird also nicht Tibbu, sondern Tedetu genannt; ich hatte also ganz richtig vermutet, als ich annahm, daß er zu den Tibbu gehöre. Er beobachtete mich, als ich nun neben ihm ritt, scharf von der Seite her. Ich sah, daß sein Blick besonders an meinen beiden Gewehren hing. Solche Waffen waren ihm natürlich unbekannt. Er schien ein sehr schweigsamer Mensch zu sein, und auch ich hielt es nicht für nötig, ein Gespräch mit ihm anzuknüpfen. Erst nach längerer Zeit sagte er:

„Du wirst unser Gast sein und kennst meinen Namen. Willst du mir nicht den deinigen nennen?“

„Ich heiße Kara Ben Nemsi.“

„Ben Nemsi? So bist du wohl aus einem fremden Lande?“

„Ja, aus dem Belad el Alman (Deutschland).“

„Also kein Fransawi (Franzose)?“

„Nein.“

„Ich habe von dem Belad el Alman gehört. Es regiert da ein großer Sultan, welcher Wihel (Wilhelm) heißt und die Franzosen besiegt hat. Diese sind unsere Feinde; darum ist jeder Almani unser Freund, und meine Leute werden sich freuen, dich zu sehen. Natürlich bist du auch ein Krieger?“

„Eigentlich nicht.“

„Was denn? Ich sehe doch, daß du viele Waffen trägst.“

„Ich habe sie nur, um mich zu verteidigen, wenn ich angegriffen werde. Ich bin ein Musannif (Schriftsteller), also ein Mann des Friedens.“

Da maß er mich mit einem halb verächtlichen, halb mitleidigen Blick und rief aus:

„Allah erhalte dir den Verstand! Du trinkst daheim schwarze Tinte und trägst hier zwei Flinten auf dem Rücken. Hat dir die Glut der Sonne das Gehirn verbrannt? Wer kein Krieger ist, ist auch kein Mann. Ein Musannif muß bei den alten Weibern sitzen. Du bist doch stark und kräftig; der Prophet muß dich schlecht erleuchtet haben!“

Das war grob. Ich antwortete:

„Ich verlange kein Licht von ihm, denn ich bin kein Moslem, sondern ein Christ.“

Ich wußte recht gut, was ich wagte, indem ich ihm das so offen sagte. Dieser Mann mit dem stolzen Auge und dem verächtlichen Lächeln irrte sich in mir. Ich ritt mit so bescheidener Miene neben ihm her; wahrscheinlich lernte er mich recht bald ganz anders kennen. Er drängte sein Hedschihn ein Stück von mir weg und rief aus:

„Allah bewahre mich! Ein Christ bist du, ein verdammter Giaur, den der Teufel – – –“

„Uskut – schweig!“ unterbrach ich ihn, indem ich mich im Sattel aufrichtete. „Du hältst deinen Glauben und ich den meinigen für den richtigen. Wenn du mich ungläubig nennst, kann ich dich mit demselben Recht ebenso heißen. Ich tue dies aber nicht, weil wir Christen gewöhnt sind, höflich zu sein. Einen Giaur laß ich mich nicht nennen; das merke dir ja!“

Er sah ganz erstaunt zu mir herüber; ein solches Auftreten hatte er mir nicht zugetraut. Er fragte:

„Was wolltest du dagegen tun? Etwa mich erschießen?“

„Nein.“

„Was denn?“

„Eine Kugel ist ein Beleidiger nicht wert. Ich würde dich einfach mit dieser meiner Faust vom Kamel schlagen.“

Das war nach den Gebräuchen der Tibbu eine todeswürdige Beleidigung. Ein Schlag mit der Hand oder mit einem Gegenstand, der keine Waffe ist, und auch die bloße Androhung eines solchen Hiebes ist eine Kränkung, welche nur mit Blut abgewaschen werden kann. Er fuhr auch sofort mit der Hand unter den Burnus und rief, indem er eine Pistole hervorzog:

„Mich schlagen? Das muß – – –“

Aber noch schneller als er hatte ich den Revolver in der Hand, zielte auf seinen Kopf und fiel ihm in die Rede:

„Weg mit der Pistole! Sobald du sie auf mich richtest, fahren dir zwei oder drei Kugeln in den Kopf! Ich werde dir beweisen, daß ein Musannif nicht bei den alten Weibern zu sitzen braucht, sondern auch ein tapferer Mann sein kann. Ich habe dich beleidigt, weil du vorher mich beleidigtest; wird sind also quitt. Ist dir das nicht recht, so bin ich sofort bereit, vom Kamel zu steigen und mit dir zu kämpfen, wie es sich unter Kriegern ziemt!“

Es ging eine ganz eigentümliche Bewegung über seine erregten Züge; dann steckte er die Pistole zurück und sagte in erzwungen ruhigem Ton:

„Wohlan, du hast recht. Wir haben uns gegenseitig beleidigt und sind nun quitt, weil du mein Gast sein sollst. Reiten wir weiter!“

Diese schnelle Beruhigung war eine nur scheinbare; ich ließ mich durch sie nicht täuschen und wußte genau, daß, selbst wenn er mir vorher freundlich gesinnt gewesen wäre, was aber gewiß nicht der Fall war, ich nun in ihm einen unversöhnlichen Feind erworben hatte. Am liebsten hätte ich mich von ihm getrennt; das ging aber nicht an, denn er ritt nach dem Wadi, wo wahrscheinlich seine Tibbu lagerten, und ich mußte auch hin, weil wir Wasser brauchten, welches mehrere Tagereisen weit an keinem anderen Ort zu finden war. Ich hegte die Überzeugung, daß wir einer großen Gefahr entgegengingen, doch hatte ich ganz und gar keine Lust, mich vor derselben zu fürchten.

Nach einiger Zeit sahen wir am Horizont erst die Kronen und dann die schlanken, hohen Schäfte von Dattelpalmen auftauchen; die bisher ganz ebene Gegend war hügelig geworden, freilich, was man dort Hügel zu nennen pflegt, und mehrere Zeltreihen standen im Schatten dieser Palmen oder zogen sich an den Hügeln hin. Es gab sogar eine bescheidene Anzahl von Erdhütten, welche wohl das eigentliche Dorf bildeten. Sie lagen am Rande des jetzt wasserleeren, ganz trockenen Wadi, dessen Grund und Wände aber an vielen Stellen so zerwühlt und zerrissen waren, daß ich annahm, es müsse zu gewissen Zeiten nicht nur Wasser, sondern sogar Hochflut in demselben geben.

Als wir vielleicht noch tausend Männerschritte von dem Dorf entfernt waren, trieb der Tedetu sein Hedschihn plötzlich mit dem Lenkstab in der Weise an, daß es im schnellsten Gang vorwärtsschoß.

„Effendi, der hat etwas vor!“ meinte Ali. „Wollen wir ihm nicht rasch nach?“

„Nein“, antwortete ich, indem ich im bisherigen Schritt weiterritt.

„Aber das, was er beabsichtigt, kann nichts Gutes sein! Er gefällt mir nicht. Du weißt, Allah hat mich mit großer Menschenkenntnis ausgestattet, und ich habe diesem Tahaf in die verborgensten Tiefen seines Herzens geblickt; es sieht ganz schwarz da unten aus, und er hat das Gesicht eines Abu Hossein (Fuchses), welcher beißen will. Warum bleibt er nicht bei uns? Warum reitet er fort? Jedenfalls nicht, um unseren wohlverdienten Ruhm zu verkünden und die uns gebührende Ehrerbietung für uns zu verlangen. Ich ersuche dich also dringend, unsere Kamele ihre Beine auch schneller schleudern zu lassen!“

„Das würde weder Zweck noch Erfolg haben.“

„O weh, Effendi, wie schwer fällt es dir doch, nachzudenken! Wo man einen Zweck hat, da gibt es auch einen Erfolg, und wo ein Erfolg da ist, da hat es stets auch einen Zweck vorher gegeben.“

„Hier kann weder von dem einen noch von dem anderen die Rede sein. Der Tedetu meint es entweder schlecht mit uns oder nicht; reiten wir ihm nach, so erreichen wir doch nichts weiter, als daß wir in ersterem Fall seine bösen Absichten doch nicht verhindern können und in letzterem Fall uns blamieren und ihn beleidigen.“

Jetzt hatte Tahaf das Dorf erreicht. Wir sahen, daß er auf die Bewohner desselben, die in den Zeltgassen standen, einsprach. Einige von ihnen entfernten sich; sie hatten jedenfalls Aufträge von ihm erhalten; er aber wendete sein Hedschihn um, kam uns entgegen und meldete mir, als er uns erreicht hatte:

„Ich bin vorangeeilt, um dein Nahen zu verkündigen. Der ganze Duar (Zeltdorf) ist voller Freude, einen Gast von deiner Wichtigkeit begrüßen zu dürfen.“

„Ich danke dir“, antwortete ich kühl. „Ich erbitte mir nichts, als die Erlaubnis, mir Wasser schöpfen und mich am Rand des Brunnens ausruhen zu dürfen. Ist dies geschehen, so werden wir weiterreiten.“

„Effendi, sind dir die Gesetze der Wüste unbekannt? Weißt du nicht, daß es eine todeswürdige Beleidigung ist, eine gastfreundliche Einladung zurückzuweisen?“

„Ich bin nicht eingeladen worden.“

„So tue ich es jetzt. Du sollst der Gast sein; ich bitte dich darum!“

„Wessen Gast?“

„Derjenige des ganzen Duars.“

Das klang so schön, kam aber mir, der ich Erfahrung hatte, verdächtig vor. Der Gast des ganzen Dorfes? Damit war gar nichts gesagt; das durfte mir nicht genügen. Dann konnte, wenn ich der Hilfe bedurfte, mich einer an den anderen weisen, und keiner brauchte sich meiner wirklich anzunehmen. Ganz anders aber dann, wenn ich der Gast eines bestimmten Mannes war; dieser durfte mich nicht verleugnen, sondern er mußte sich auf alle Fälle und unter allen Umständen meiner annehmen. Dennoch tat ich, als ob ich erfreut über das Anerbieten des Tedetu sei. Ich wollte nicht schon im Augenblick meiner Ankunft ausgesprochenes Mißtrauen zeigen; es war jedenfalls später auch noch Zeit dazu. Es konnte mir nur zum Vorteil gereichen, wenn ich für unbefangener gehalten wurde, als ich war.

Bekommen Wüstenbewohner den Besuch von Freunden oder Bekannten, so geht es, der Sitte gemäß, bei dem Willkommen sehr laut her. Man reitet ihnen entgegen und feuert Freudenschüsse ab. Das ist das sogenannten La'b el Barut oder Schießpulverspiel. Kommen aber Fremde, so verhält man sich ruhig, um sie nicht etwa zu erschrecken, da sie, die Unbekannten, das Schießen ernst und für ein feindseliges Verhalten nehmen könnten. Darum knallte keines der Gewehre, und es ertönte keine laute Stimme, als wir in das Lager einritten; aber alle Zelte und Hütten hatten sich geleert, und die Bewohner derselben, alt und jung, Männer und Frauen, Jünglinge, Mädchen und Kinder, drängten sich herbei, uns zu betrachten. In keinem Gesicht war ein feindlicher Zug zu bemerken; aber ich sah auch keine Spur von der Freude, von welcher der Tedetu gesprochen hatte.

Dieser leitete uns nach der äußersten Zeltreihe, aus welchem Grund, das erkannte ich erst später. Die Männer, welche wir da erblickten, hatten ein ernstes, wortkarges Aussehen und waren, obgleich sie sich daheim und in Frieden befanden, bis an die Zähne bewaffnet. Die Frauen trugen keine Schleier; die Beduinin liebt es nicht, ihr Gesicht zu verhüllen; ihre Gesichter sahen welk und verlebt aus, denn das Weib der Wüste hat alle Arbeit allein auf dem Nacken und altert darum schnell. Aber unter den jungen Mädchen gab es einige, welche man mit Wohlgefallen betrachten konnte. Ihr Haar war mit bunten Bändern und Perlenschnüren in lange, hinten herabhängende Zöpfe geflochten; in ihren Ohren trugen sie schwere Ringe, an den Handgelenken mancherlei Spangen und über den Knöcheln kupferne Ringe, welche man sah, weil die Röcke oder Schalwars (Frauenhosen) nur dorthin reichten und die Füße unbekleidet waren. Schön, zierlich waren diese nackten Füße freilich nicht, sondern breit ausgetreten, und an mancher Zehe sah ich die mehr als deutlichen Spuren der Verwüstung, welche der böse Wüstenfloh anrichtet. Er gräbt sich unter die Fußnägel ein und läßt dort seine Brut zurück, welche bei der dadurch entstehenden, ebenso häßlichen wie schmerzhaften Zehengeschwulst nur dadurch entfernt werden kann, daß man sie mit dem Messer herausgräbt.

Ich war von meinen früheren Reisen her gewöhnt, ein freundliches ‚Marhaba‘ (Willkommen) zu hören, doch fand sich hier kein Mund, der dieses Wort aussprach. Und doch sollte ich der Gast des ganzen Dorfes sein! Da hätten sie doch eigentlich alle ‚Marhaba‘ rufen müssen!

Als der Tedetu sein Hedschihn niederknien ließ, um aus dem Sattel zu steigen, tat Ali dasselbe, und auch ich sprang von dem meinigen herab. Der erstere erteilte einen Befehl, den ich nicht verstand, weil er sich dabei der Tibbusprache und nicht des Arabischen bediente; aber ich sah sogleich, was er geboten hatte, denn es traten einige Männer herbei, um sich unserer Kamele zu bemächtigen. Ich wehrte ab und fragte:

„Was wollen sie mit den Tieren?“

„Zur Tränke schaffen“, antwortete Tahaf.

„Das pflege ich stets selbst zu tun.“

„Du selbst?“ fragte er verwundert. „Das ist doch nicht deiner hohen Würde gemäß!“

„Es entspricht der Würde jedermanns, nicht nur gegen die Menschen gütig zu sein, sondern auch das Tier, welches ihm gehört, mit Aufmerksamkeit zu erfreuen.“

„Aber er braucht trotzdem nicht selbst die Arbeit eines Knechtes zu verrichten!“

„Soll ich deine freien Krieger für Knechte erklären, indem ich ihnen diese Arbeit auftrage? Das sei fern von mir! Wo ist der Brunnen? Wir werden unsere Tiere selbst hinführen!“

Er zog die Brauen finster zusammen, dreht sich zu seinen Leuten um und warf ihnen einige Tibbuworte zu. Dies benutzte ich, dem neben mir stehenden Ali rasch zuzuflüstern:

„Tu ganz genau das, was ich tue!“

Er nickte und nahm seine lange Flinte in die Rechte, so wie ich meinen schweren Bärentöter hatte. Den Henrystutzen trug ich am Riemen über dem Rücken. Mein Verdacht hatte sich zur Gewißheit gesteigert. Die Zeltreihe, an deren Eingang wir standen, schien von Personen bewohnt zu sein, welche ausgesprochene Tibbugesichter hatten, und sich dadurch von den meisten anderen Dorfbewohnern unterschieden. Das waren wilde und, wie es schien, gewalttätige Kerls, denen ich nicht weniger als alles zutrauen konnte. Es fiel mir auf, daß die Insassen der übrigen Zelte zwar beobachtend nahe standen, aber doch nicht ganz herankamen. Es war, als ob diese äußere Zeltreihe gar nicht zum eigentlichen Dorf gehöre. War der Tedetu etwa ein Fremder hier? Er wendete sich, kaum daß ich meinem Diener die wenigen Worte zugeraunt hatte, wieder nach mir um und sagte in einem keineswegs freundlichen Tone:

„Wir können unmöglich dulden, daß du so niedrige Dienste verrichtest. Dein Diener mag sein Kamel tränken; er mag gehen; du aber wirst das deinige uns überlassen, denn du bist unser Gast, der Gast des ganzen Duars.“

Ah, Ali sollte gehen; man wollte uns voneinander trennen? Darum antwortete ich:

„Ali el Hakemi bleibt bei mir! Und der Gast des ganzen Dorfes soll ich sein? Bin ich ein gefräßiger Kuku Kuschu (Kuckuck), den fünfzig andere Vögel füttern müssen? Ich will der Gast eines einzigen Mannes sein, und den werde ich mir selbst auswählen. Wo ist der Scheik el Beled, der Älteste des Duar?“

„Willst du bei ihm einkehren?“

„Ja. Wo befindet er sich?“

„Hier.“

„Wo hier?“

„Da, wo ich stehe. Ich bin es selbst und du sollst bei mir wohnen. Komm also mit!“

„Du?“ fragte ich im Ton des Unglaubens, denn ich hatte ihn bereits vorhin für einen Fremden gehalten, und als er sich jetzt, und zwar nicht mit leiser, sondern lauter, erregter Stimme, die jenseits der Zeltreihe gehört werden konnte, für den Scheik ausgab, bemerkte ich, daß dort viele ihre Augen auf einen alten, ehrwürdig aussehenden Mann richteten, welcher selbst verwundert oder gar mißbilligend dreinschaute. Ich nahm sofort an, daß dieser Greis der Scheik sei; daher mein fragendes ‚du‘?

„Ja, ich!“ versicherte der Tedetu mit Nachdruck. „Also komm!“

Er ergriff mich am linken Arme, um mich mit sich fortzuziehen. Ich aber blieb fest stehen und sagte:

„Erlaube zunächst, mich erst einmal da drüben zu erkundigen!“ Ich deutete bei diesen Worten zu dem Greis hinüber; da aber gab er seinen Leuten einen sehr entschiedenen Wink und rief zornig aus:

„Willst du mich beleidigen, indem du meiner Versicherung keinen Glauben schenkst? Ich bin der Scheik, also vorwärts mit dir!“

Er faßte mich wieder an, um mich nun mit Gewalt fortzuziehen und zugleich wurde ich mit Ali von den Tibbu umringt, welche uns vorwärts drängten; es waren wohl an die zwanzig Mann. Das konnte ich mir denn doch nicht gefallen lassen, wenn es nicht um uns geschehen sein sollte. Darum forderte ich in drohendem Ton:

„Laßt ab, und gebt uns frei, sonst schaffen wir uns Bahn!“

Die Kerls lachten mich laut aus und schoben weiter, und der Tedetu antwortete, ebenso höhnisch lachend:

„Komm nur, Knabe! Deine Bahn schreibe ich dir vor!“

Da faßte ich den Bärentöter mit beiden Fäusten, legte ihn mir trotz des dichten Gedränges vorn quer über den Leib, daß er links und rechts hervorragte und drehte mich mit einer raschen, kräftigen Bewegung um. Dadurch wurden der Tedetu und einige andere von dem Kolben und dem Lauf der Büchse gefaßt und fortgeschleudert. Ich bekam Luft und benutzte dies sofort, das Gewehr um den Kopf zu wirbeln und zu rufen:

„Schreib einmal vor, Betrüger! Ob ich dir folgen werde!“

„Lakkadam, lakkadam – vorwärts, vorwärts, drauf!“ brüllte er wütend. „Entreißt ihm das Gewehr!“

Sie wollten ihm gehorchen, bekamen aber solche Kolbenhiebe, daß sie noch weiter zurückwichen als vorher. Nun war ich gewiß, mir eine Gasse bahnen zu können und rief meinem Ali zu:

„Komm, rasch, eng hinter mir her!“

Der Tedetu war der Anstifter dieses harten Tanzes, folglich mußte ihn der Taktstock treffen. Ich fällte den Kolben und stieß ihm denselben in die Seite, daß er lautlos zusammenbrach; die hinter ihm Stehenden wichen zurück; noch drei, vier tüchtige Stöße und Hiebe, der Weg aus dem Menschenknäuel öffnete sich und ich sprang, von Ali gefolgt, fort, zwischen den zwei nächsten Zelten hindurch und zu dem alten Mann hinüber, den ich für den Dorfältesten hielt. Das Volk, welches bei ihm stand, hatte sprachlos vor Erstaunen zugesehen und wich jetzt schnell zurück, aus Angst, auch Hiebe zu bekommen. Ich hielt bei ihm an und fragte ihn:

„Inte el Scheik – bist du der Scheik?“

„Aiba, Sihdim – ja, mein Herr“, antwortete er.

„Jalla, dakilah ya Scheik – wohlan, ich bin der Beschützte, o Scheik!“

„Dakilah bardi ya Scheik – auch ich bin der Beschützte, o Scheik!“ rief auch Ali, ihn bei der linken Hand nehmend, während ich seine Rechte ergriffen hatte.

Der Alte war ganz erstaunt, anstatt Hiebe zu bekommen, um Schutz angerufen zu werden, faßte sich aber schnell, zog seine Hände aus den unsrigen, legte die eine mir und die andere Ali auf den Kopf und erklärte mit lauter Stimme:

„Ahdahn meftihn, ya ridschal; haida dachli, haida dachli – macht die Ohren auf, ihr Männer; dieser ist mein Schützling, und dieser ist mein Schützling!“

Die Tibbu waren uns heulend und fluchend nachgesprungen, um sich unser auf alle Fälle, selbst unter Aufbietung äußerster Gewalt, zu bemächtigen; aber als sie diese Worte hörten, blieben sie stehen und taten keinen weiteren Schritt vorwärts, denn das Wort Dakilah ist selbst dem rohesten Wüstenbewohner ein heiliges Wort, dessen Bedeutung er kennt und unbedingt achtet. Es öffnet den Bedrängten selbst in der größten Todesnot und mitten unter Feinden einen Rettungsweg. Wer sich im Kampf mit einer überlegenen Zahl von Gegnern befindet, ruft einem derselben, womöglich dem ältesten, das Wort Dakilah (ich bin der Beschützte), zu, und sofort wird dieser sich seiner annehmen und ihn gewiß mit dem größten Nachdruck gegen jedermann, selbst gegen die eigenen Freunde und Verwandten in Schutz nehmen. Der Beduine nimmt sich selbst seines Todfeindes für den Augenblick an, wenn dieser ihm dies Zauberwort zuruft und, was dabei freilich die Hauptsache ist, sich mit seinem Körper in Berührung setzt. Ich und Ali hatten die Hände des Scheiks ergriffen, sonst hätte die Anrufung uns nichts genützt.

Dieser heiliggehaltene Gebrauch ist bei den ewigen Fehden jener Völker von einer großen, die Härten mildernden Bedeutung. Selbst die Blutrache muß augenblicklich schweigen, wenn das Opfer, bevor es von dem siegreichen Rächer den Todesstoß erhält, diesem das Wort Dakilah zuruft und es ihm dabei gelingt, ihn zu berühren. Freilich wird der Überlegene sich alle Mühe geben, diese Berührung unmöglich zu machen, aber es genügt das kürzeste und geringste Anhaften irgendwelchen Körperteils. Wenn der um Schutz Flehende z.B. den, welcher ihn beschützen soll, nicht mit den Händen zu erreichen vermag, so braucht er nur den Versuch zu machen, ihn anzuspeien; gelingt ihm dies, so ist er gerettet, denn der Speichel ist ein Teil seines Körpers, und es hat also eine gegenseitige Berührung stattgefunden.

Also die Tibbu blieben stehen und wagten sich nicht weiter zu uns heran. Der Scheik rief ihnen gebieterisch zu:

„Weicht zurück! Solange diese beiden Männer sich im Bereich unseres Duars befinden, dürft ihr sie nicht antasten, denn ihr seid unsere Gäste, und sie sind es auch!“

Sie wendeten sich ab und entfernten sich, indem sie nach ihrer Zeltreihe gingen, wo ich ihren Anführer liegen sah, niedergeworfen von meinem Kolbenstoß; er war noch nicht wieder zu sich gekommen. Sie hoben ihn auf, um ihn nach seinem Zelt zu schaffen, wohl schwerlich unter menschenfreundlichen Wünschen für meine Person!

Jetzt wendete sich der Scheik wieder zu mir und Ali und erklärte uns:

„Diese Tibbu kamen heut in unser Duar, um Wasser zu nehmen und bei uns zu lagern. Sie sind Räuber, wie wir vermuten, und gehen uns nichts an. Willst du das glauben, Herr?“

„Ich glaube es“, antwortete ich.

„Wir sind Nachkommen der alten, berühmten Uëlad Sliman“, fuhr er fort. „Da wir keine Reichtümer besitzen, brauchen wir diese Räuber nicht zu fürchten; du aber scheinst wohlhabend zu sein. Nimm dich in acht!“

„Auch ich bin nicht reich; ich trage keine Schätze bei mir, würde mich aber auf keinen Fall vor ihnen fürchten, wie du wohl gesehen hast.“

„Ich habe es gesehen. Du hast klug, vorsichtig und kraftvoll gehandelt, sie dir aber zu Todfeinden gemacht; sie werden dir nach dem Leben trachten und nicht eher ruhen, als bis sie es dir genommen haben.“

„Sie werden es nicht bekommen.“

„Du sprichst sehr stolz. Doch, solange du dich hier bei uns befindest, bist du sicher. Ihr wollt also unsere Gäste sein?“

„Die deinigen, ja.“

„So tretet in mein Zelt und nehmt fürlieb mit meiner Armut. Ihr seid die Beschützten und wir werden eure Kamele tränken und füttern, wenn ihr sie uns anvertraut.“

„Dir überlassen wir sie gern, denn dein Angesicht ist ein ehrliches und was dein Mund redet, das ist wahr.“

Er führte uns in sein Zelt, dessen Ausstattung allerdings nicht auf Reichtum schließen ließ. Wir bekamen zum Willkommen Wasser, mit Dattelsaft vermischt und dann sahen wir, daß ein Hammel geschlachtet wurde, der am Spieß gebraten werden sollte.

Das Zelt bestand aus zwei Abteilungen. In der einen saßen wir mit dem Scheik, und in der anderen hörten wir sein Weib hantieren. Sie war als ‚Müllerin‘ beschäftigt, indem sie Negerhirse zwischen zwei Steinen zu Mehl zerrieb. Noch war der Braten nicht fertig, da trat einer der Dorfbewohner herein und meldete:

„Es ist einer von den Tibbu draußen, der mit dir sprechen will, o Scheik.“

„Er mag hereinkommen“, antwortete dieser.

„Das will er nicht.“

„Warum nicht?“

„Er hat mit dir allein zu reden.“

„Worüber?“

„Über diese deine Gäste.“

„So muß ich erst recht verlangen, daß er hereinkomme, denn sie haben das Recht zu hören, was von ihnen gesprochen wird.“

„Und wenn er nicht kommt?“

„So mag er gehen.“

„Die Tibbu werden dir darüber zürnen!“

„Mögen sie!“

„Und sich dafür rächen!“

„Das kann ich nicht ändern. Der Prophet und das Gesetz der Wüste gebieten, den Gast zu achten und zu beschützen. Dieses Gebot werde ich erfüllen, und sollte es mir das Leben kosten.“

Der Mann entfernte sich. Ich hatte mich in dem Scheik nicht getäuscht; er war ein braver, ehrlicher Beduine, auf den wir uns verlassen konnten. Wir hörten einen halblauten Wortwechsel draußen; dann kam der Tedetu herein. Er beehrte mich und Ali mit keinem Blicke und fuhr den Scheik in zornigem Ton an:

„Warum kamst du nicht hinaus, wie ich dir sagen ließ?“

„Weil ich der Oberste meines Lagers und der Herr und Besitzer dieses Zeltes bin und nichts anderes tue als das, was mir beliebt. Ich ehre meine Gäste!“

„Auch wir sind deine Gäste, die du zu achten hast!“

„Wohnt ihr in meinem Zelt? Habt ihr vielleicht das ‚Dakilah‘ zu uns gesagt?“

„Das brauchen wir nicht. Wir sind freie Tibbu, die keinen Menschen um etwas zu bitten brauchen. Wir sind gewohnt, zu befehlen und daß man diesen Befehlen Gehorsam leistet.“

Er legte bei diesen Worten die Hand an den Griff seines Messers und seine Miene wurde noch drohender als vorher. Ich sah, daß der Scheik sich eingeschüchtert fühlte; er sagte aber doch, seiner Würde gemäß:

„Befehlt, wo ihr wollt, doch hier in meinem Duar nicht! Was hast du mir mitzuteilen?“

„Tahaf, unser berühmter Anführer, sendet mich. Er verlangt die Auslieferung dieser beiden Giaurs.“

Bei diesen Worten zeigte er auf mich und Ali, doch ohne uns eines Blickes zu würdigen.

„Ich bin kein Giaur, sondern ein gläubiger Anhänger des Propheten!“ fuhr Ali auf, doch dem Tedetu beliebte es, diesen Worten nicht die geringste Beachtung zu schenken.

„Willst du mein Gesicht schamrot machen?“ fragte der Scheik. „Welches Gesetz erlaubt, einen Gast auszuliefern?“

„Es gibt kein Gesetz welches einen Giaur beschützt!“

„Ich bin kein Giaur!“ wiederholte Ali zornig.

Jetzt beachtete der Tedetu den Einwand doch: er warf dem Sprecher die verächtlichen Worte zu:

„Du hast zu schweigen! Wer einem Ungläubigen dient, der ist nicht nur ein Giaur, sondern sogar noch viel verächtlicher als ein solcher. Also, gibst du sie heraus?“

Diese Frage war wieder an den Scheik gerichtet. Er antwortete in nicht ganz zu verbergender Verlegenheit:

„Das könnt ihr nicht von mir verlangen!“

„Wir verlangen es aber! Diese räudigen Anhänger einer anderen Lehre sollen erfahren, daß – – –“

Er wurde unterbrochen. Ali, welcher, wie bereits bemerkt, kein feiger Bursche war, sprang auf und rief, indem er ihm in die Rede fiel:

„Schweig! Ich bin kein Anhänger einer falschen Lehre. Weißt du, wer ich bin? Mein Name lautet Ali el Hakemi Ibn Abbas er-Rumi Ben Hafis Omar en-Nasafi Ibn Sadak Kamil el Batal. Wer mich beleidigt, den werde ich es – – –“

„Schweig du, Giaur!“ schnitt ihm nun seinerseits der Tedetu die Rede ab. „Ihr seid stinkende Hunde, die von den Hyänen und Geiern zerrissen werden müssen!“

Ich hatte bisher getan, als ob mich die Unterredung oder vielmehr der Streit gar nichts angehe; nun aber mußte ich einschreiten, sonst war trotz des guten, ehrlichen Willens des Scheiks zu befürchten, daß er aus Angst vor den Tibbu nachgiebig werden könne. Ich stand also mit einer raschen Bewegung auf, stellte mich vor den Tedetu hin und sagte in warnendem und dabei festem Ton:

„Höre, Mann, wag nicht zuviel! Es ist mir zwar sonst sehr gleichgültig, was ein Mensch, wie du bist, redet, aber Giaur und Hund, diese Worte kann ich nicht vertragen. Wiederholst du nur noch einmal eins von ihnen, so gebe ich dir eine Ohrfeige, daß du augenblicklich fühlen sollst, wer den rechten, wahren Glauben hat, du oder ich!“

Was ich erwartet hatte, daß auf diese todeswürdige Beleidigung erfolgen werde, das geschah: er riß sein Messer aus der Hüftschnur und schrie mir wütend zu:

„Du bist ein Hund, der Sohn eines Hundes und der Enkel eines Hundesohnes! Hier hast du meine Klinge!“

Er holte zum Stoß aus. Mit einem von unten herauf geführten Hieb schmetterte ich ihm das Messer aus der Hand, und als er sich schnell nach demselben bückte, schlug ich ihm meine Faust in das Genick, daß er zusammenbrach.

„Um Allahs willen, was hast du da getan!“ rief voller Angst der Scheik, indem er nun auch von seinem Sitz auffuhr. „Die Tibbu werden es an dir und an uns blutig rächen!“

„Fürchte dich nicht!“ antwortete ich ruhig. „Sie werden euch nichts tun, denn ich werde euch beschützen.“

„Du – – – uns – – –?“ fragte er erstaunt.

„Ja. Erst stand ich unter deinem Schutz und nun stehst du unter dem meinigen. Glaubst du etwa, ich habe mich aus Angst vor diesen Tibbu zu euch gerettet? Das denke ja nicht! Ich bin gewöhnt, mich selbst zu beschützen und nur deshalb euer Gast geworden, um das Recht zu besitzen, euch von diesen Halunken zu befreien.“

„Du – – – uns – – –?“ wiederholte er ganz in demselben ungläubigen und erstaunten Ton wie vorher.

„Ja, ich euch!“

„Wie wäre das möglich! Du bist mit uns, und wir sind mit dir verloren. Sie werden keine Gnade walten lassen!“

„Ich verlange keine Gnade von ihnen; sie aber werden froh sein, wenn sie die meinige erlangen.“

„Ja, so ist es; dieser mein Sihdi (Herr) hat recht“, stimmte mir Ali bei. „Er fürchtet sich vor keinem Menschen und vor keinem Tier; er hat den Löwen geschossen und den schwarzen Panther ganz allein und mitten in der Nacht getötet. Er ist über den Salzsee des Verderbens geritten und in demselben eingebrochen, ohne sein Leben zu verlieren; er schießt mit seinen Gewehren tausendmal, ohne daß er zu laden braucht. Hast du noch niemals seinen Namen gehört? Du mußt ihn kennen, denn er ist schon oft in der Wüste gewesen und hat noch niemals einer Raubkarawane seinen Rücken gezeigt.“

Diese allerdings außerordentlich übertriebene Schilderung meiner Vorzüge und Taten brachte eine Wirkung hervor, die ich nicht für möglich gehalten hätte: der Scheik erhob mit einer Bewegung der Überraschung seine Hände, zog die Brauen erwartungsvoll und hoch empor und fragte:

„Wie ist dieser Name? Schnell, sag ihn mir!“

„Er heißt Emir Kara Ben Nemsi Effendi und ist – – –“

„Kara Ben Nemsi Effendi!“ fiel ihm der Uëlad Sliman in die Rede. „Allah akbar, Gott ist groß! So ist dieser dein Effendi der Fremdling, welcher über die Salzkruste des Schott Dscherid nach Kbilli geritten ist?“

„Derselbe.“

„Der dann den Krumir über den Schott gejagt und ihn gefangengenommen hat?“

„Ja.“

„Der später in der Mahara er rad, in der Höhle des Donners, den schwarzen Panther erschossen hat, um das Kind des Dschellad zu erretten?“

„Er ist es.“

„Hamdullillah, Preis und Dank sei Allah! Da weiß ich allerdings, daß wir nichts zu fürchten haben. Ich bin in jenen Gegenden gewesen und habe mir von diesem Emir Kara Ben Nemsi viel, sehr viel erzählen lassen; ich weiß, daß er Zaubergewehre besitzt und von keinem Feind jemals überwunden werden kann, sondern sie alle besiegt.“

Und sich zu mir wendend, fuhr er fort:

„Oh, Effendina, verzeihe mir, daß ich Angst hatte! Ich wußte nicht, was für einen Gast ich in meinem armen Zelt habe. Nun ist es grad so gut, als ob kein einziger Tedetu vorhanden wäre.“

„So ist es allerdings“, antwortete ich, um ihn in seinem Vertrauen zu bestärken und dadurch von seiner Sorge zu befreien. „Ihr habt von dieser Tibbuschar nichts zu befürchten. Du wirst gleich sehen, wie ich mit diesem Menschen hier umspringen werde, der es gewagt hat, mich zu bedrohen.“

Es ist kaum glaublich, wie in jenen Gegenden, wo die Nachrichten nur von Mund zu Mund gehen können, die Fama eine ganz gewöhnliche Tat, ein ganz alltägliches Vorkommnis zu vergrößern vermag. Jeder Erzähler fügt etwas hinzu, und da die Fantasie des Beduinen eine außerordentliche ist und er sich überhaupt sehr gern in Überschwenglichkeiten ergeht, so wird aus einer einfachen Begebenheit bald ein großartiges Ereignis und aus diesem Ereignis dann eine ungeheuerliche Heldentat, welcher jedermann Glauben schenkt, obgleich jedes Kind einsehen müßte, daß eine solche Tat rein unmöglich ist. So war aus meinem Repetierstutzen ein Zaubergewehr geworden, aus welchem ich tausendmal hintereinander schießen konnte, ohne laden zu müssen. So lächerlich dies klang, so lieb war es mir, weil mir im Falle einer Gefahr diese Fabel mehr Schutz bot, als die Waffe selbst.

Der besinnungslos am Boden liegende Tedetu begann sich zu regen; ich knüpfte seine Hüftschnur los und band ihm mit derselben die Arme fest an den Leib. Er kam zu sich, wollte auf und konnte nicht; er starrte eine Weile fassungslos um sich; dann kam ihm die Erinnerung dessen, was geschehen war. Er machte abermals eine Anstrengung, aufzustehen und als auch dies keinen Erfolg hatte, weil er sich seiner Hände nicht bedienen konnte, stieß er einen Fluch aus und fauchte mich katzenraubtierartig an:

„Was hast du mit mir vor, du Hund? Warum hast du mich gebunden? Gib mich augenblicklich frei, wenn dich Tahaf, unser Anführer, nicht vernichten soll!“

„Hund?“ antwortete ich, bückte mich nieder, faßte ihn mit der Linken bei der Achsel, hob ihn auf, gab ihm mit der Rechten zwei kräftige Ohrfeigen und ließ ihn wieder niederfallen. „So, Bube, werde ich dir diese Sprache abgewöhnen; merke dir es!“

Die Wut trieb ihm beinahe die Augen aus dem Kopf; zwischen seinen Lippen erschien roter Schaum; er wollte sprechen, brachte aber kein Wort hervor; es war nur ein unartikuliertes Lallen zu hören. Hätte er gekonnt, so hätte er mich augenblicklich zerrissen.

„Und nun paß auf, was ich dir sage!“ fuhr ich fort. „Dein Anführer fordert meine Auslieferung; wahrscheinlich will er mich kennenlernen, weil er mich noch nicht kennt. Das kann aber auch ganz gut und leicht geschehen, indem ich hier im Zelt bei meinem Gastfreunde bleibe. Ich werde dich jetzt gehen lassen, damit du diesem Tahaf folgende Antwort bringst: Ich bin der Gast des Scheiks und bleibe hier; ihr habt nicht um Gastfreundschaft gebeten und geht also fort. Ihr habt euch das Recht, hier zu lagern, angemaßt und ich werde euch zeigen, daß ihr es nicht besitzt. Ich befehle euch, dieses Duar augenblicklich zu verlassen.“

„Zwing uns doch!“ zischte er mich an. „Wir werden dich vernichten und in die Dschehennah schicken!“

„Ja, ich zwinge euch und wenn jemand von uns in die Dschehennah geht, so werdet ihr es sein.“

Ich zog ihn wieder empor, deutete zur Zelttür hinaus und erklärte ihm:

„Siehst du euer größtes Zelt da drüben? Es ist jedenfalls dasjenige, welches Tahaf gehört. An der Querstange sind acht Trinkgefäße aus Kürbisschalen an dünnen Riemen aufgehängt. Ich werde diese Riemen mit meiner Zauberbüchse zerschießen, so daß die Kürbisse herunterfallen. Paß auf, ich tue es!“

„Das kann kein Mensch!“

„Ich kann es sogar, ohne daß ich lade.“

Ich legte den Stutzen an und zielte kurz. Acht Schüsse und es hing kein Kürbis mehr an der Stange.

„Maschallah! Allah ja 'lam el Geb – Gottes Wunder! Allah kennt das Verborgene!“ rief der Tedetu aus, ganz baff vor Erstaunen. „Wahrhaftig, das ist ein Zaubergewehr, welches nur der Scheïtan (Teufel) für dich angefertigt haben kann. Gott verbrenne dich!“

„Nicht mich, sondern euch wird er verbrennen. Siehst du, daß eure Männer kommen und das Wunder anstaunen? Geh jetzt zu ihnen und sag Tahaf, daß er fortziehen soll! Ich werde hier in diesem Zelt verborgen sein und aus demselben zu euch hinüberschießen. Um euch Zeit zu geben, die Zelte abzubrechen und die Kamele zu satteln, werde ich euch eine Viertelstunde erlauben, doch nicht mehr; seid ihr dann noch nicht zum Aufbruch fertig, so schieße ich, erst ein Kamel, dann einen Mann, dann wieder ein Kamel und wieder einen Mann, bis ihr entweder fort oder alle erschossen seid, mitsamt euern Tieren.“

Er sah mir starr in das Gesicht; er hätte gern einen Zweifel oder eine Drohung ausgesprochen, wagte es aber nach dem Vorangegangenen nicht.

„Also geh, und melde es! Beim Barte eures Propheten, ich halte Wort!“

„Wir werden uns wehren!“ stieß er jetzt doch hervor.

„Und dabei untergehen! Du hast gesehen, wie schnell ich schieße. Ehe ihr herüber kämt, hätten meine Kugeln euch von der Erde weggefressen. Warne deine Tibbu ja, und sag ihnen, daß ich jeden von ihnen, der nur zehn Schritte von euren Zelten nach uns herüber macht, augenblicklich erschießen werde. Ihr habt nach der anderen Seite abzuziehen. Geh!“

„So kann ich nicht gehen“, wandte er ein.

„Warum nicht?“

„Weil meine Arme gebunden sind.“

„Nur aufstehen konntest du nicht, da ich dich aber aufgerichtet habe, kannst du trotz deiner Fesseln gehen!“

„Sollen meine Gefährten sehen, daß ich überwältigt und beschimpft worden bin!“

„Ja, das sollen sie; das ist deine Strafe. Wärest du höflich gewesen, so könntest du jetzt frei von hinnen gehen. Du hast diese Behandlung durch deinen ‚Giaur‘ und ‚Hund‘ verschuldet.“

Er zögerte noch.

„Marsch fort!“ befahl ich ihm und schob ihn zur Tür hinaus.

Er tat einige Schritte, wendete sich dann um und knirschte mir grimmig zu:

„Allah verderbe dich in die tiefste Dschehennah hinab!“ Hierauf setzte er seinen Weg wankenden Schrittes fort.

„Du wagst viel, Effendi!“ warnte mich der Scheik.

„Es ist hier von keinen Wagnissen die Rede.“

„O doch!“

„Inwiefern?“

„Wenn sie nun alle plötzlich herüberkommen!“

„Stehe ich nicht hier mit der Zauberbüchse in der Hand? Und wenn sie noch so rasch wären, meine Kugeln würden doch noch schneller sein. Du brauchst keine Sorge zu haben.“

„Bedenke, wie wütend Tahaf sein wird!“

„Seine Wut ist ohnmächtig; ich fürchte sie nicht.“

„Ja, wir fürchten weder ihn noch seine Wut“, stimmte Ali bei. „Wir sind groß und erhaben in allen Dingen. Wir kennen alle Wissenschaften und alle Dinge im Himmel und auf Erden und sogar alles, was sich unter der Erde befindet. Niemand kann uns widerstehen!“

Der Prahlhans! Mir war gar nicht so wohl zumute, wie ich mich stellte. Ja, ich fürchtete mich freilich nicht; ich wußte, daß ich mit Hilfe meines Henrystutzens mit allen diesen Tibbu fertig werden würde, wenn ich sie töten wollte; aber das wollte ich nicht. Ein Menschenleben zerstört man nicht so leichten Herzens. Wenn ich mich so kaltblütig stellte, so rechnete ich auf die Angst, die sie vor meinem Gewehr haben würden; das war meine ganze Überlegenheit.

Ich sah den Tedetu zu den Seinen treten, welche alle vor dem einen Zelt standen und die Flaschenkürbisse betrachteten. Sie staunten natürlich darüber, ihn in Fesseln kommen zu sehen. Er erzählte. Sie gestikulierten heftig und schrien dazu. Sie griffen nach ihren Waffen und schienen herüberkommen zu wollen. Da steckte ich den Lauf meines Gewehres zu dem Zelt hinaus; sie sahen das und blieben halten. Sie berieten und kamen zu keinem Ergebnis.

Entweder nahmen sie meine Drohung nicht ernst, weil sie den Stutzen doch noch nicht kannten, oder ihr Stolz sträubte sich dagegen, vor einem einzelnen Menschen davonzulaufen.

So vergingen fünf Minuten – zehn Minuten – eine Viertelstunde. Wenn ich meinen Zweck erreichen wollte, so durfte ich nicht schwach, nicht nachsichtig sein. Sie mußten erfahren, daß ich mein Wort hielt. Ein Kamel mußte zum Opfer fallen. Schade um das Tier, aber es ging nicht anders.

Ich zielte auf eines der Tiere und drückte ab; es brach augenblicklich zusammen. Ein vielstimmiger Wutschrei war die Antwort, doch machten sie noch immer keine Anstalt, die Zelte abzubrechen. Nun gut! Ich trat vor das Zelt und rief hinüber:

„Hört, ihr Söhne vom Tibbustamm! Ich habe gesprochen und werde nun handeln. Dieses Mal sei noch das Leben geschont, ich will nur verwunden, nicht töten. Beim nächsten Male aber gibt es keine Gnade. Meine Kugel trifft Tahaf in den rechten Ellbogen.“

Zugleich mit dem letzten Worte krachte ein Schuß. Tahaf zuckte zusammen und schrie laut auf. Die Kugel war ihm genau durch den Ellbogen gegangen. Im nächsten Augenblick war kein Tedetu mehr zu sehen. Sie hatten sich hinter ihre Zelte retiriert, welche sich bald darauf zu bewegen begannen; man brach sie also ab. Meine Strenge hatte endlich die beabsichtigte Wirkung hervorgebracht. Ich hätte freilich noch strenger sein und Tahaf erschießen können, wenn mir ein Menschenleben weniger gegolten hätte.

Ich spielte trotz alledem ein gewagtes Spiel. Meine Gegner waren nicht nur wilde Tibbu, sondern die brutalsten Mohammedaner, die es nur geben kann; dazu kam, daß ich ihren Anführer verwundet hatte. Es war fast ein Mirakel zu nennen, daß sie nicht trotz meines vielschüssigen Gewehres herübergerannt kamen, um mich umzubringen. Mein Verhalten gegen ihren Boten mußte einen solchen Eindruck auf sie hervorgebracht haben, daß sie sich doch vor mir, dem einzelnen Mann, fürchteten.

Das war mir aber noch nicht genug; die augenblickliche Angst konnte schwinden, so daß sie den Angriff auf mich doch noch versuchten; ich mußte sie in Atem halten, indem ich noch eines ihrer Kamele erschoß. Sie brauchten ihre Tiere so notwendig, daß sie dann gewiß kein weiteres meinen Kugeln aussetzten. Ich wartete also nur noch ein oder zwei Minuten und gab dann den nächsten Schuß ab, welcher sein Ziel so genau wie die vorigen traf.

Als das Kamel niederstürzte, antwortete abermals ein vielstimmiger Schrei; dann wurde es für kurze Zeit sehr ruhig; man schien zu beraten. Hierauf trat ein Tedetu hinter dem Zelt hervor, hob wie abwehrend oder bittend die Arme in die Höhe und rief aus:

„Halt ein! Schieß nicht mehr! Wir reiten fort.“

„Aber schnell, sonst schieß ich dennoch!“ antwortete ich, indem ich das Gewehr im Anschlag behielt.

Jetzt arbeiteten sie außerordentlich schnell an dem Niederlegen der Zelte und dem Zusammenbinden der Leinwand und der Stangen. Dabei konnten sie sich nicht verstecken; sie mußten sich sehen lassen, so daß es mir leicht gewesen wäre, noch einige von ihnen zu erschießen. Das tat ich natürlich nicht; ich war vielmehr froh, daß sie nichts Feindseliges gegen mich unternahmen. Ich stand zwar im Innern des Zeltes, aber der Lauf meines Gewehres, welcher aus demselben hervorragte, mußte ihnen die Stellung, welche ich einnahm, verraten, so daß es jedem von ihnen leicht gewesen wäre, mich aus einem verborgenen Hinterhalt aus mit seiner Kugel zu treffen. Doch wagte keiner, dies zu tun, ein sicheres Zeichen des Respektes, in welchen ich mich bei ihnen gesetzt hatte.

Nach kurzer Zeit waren sie fertig und beluden ihre Kamele mit den Zeltteilen und sonstigen Gerätschaften, worauf sie aufstiegen und davonritten. Tahaf war der letzte von ihnen. Ich sah, daß er sich seinen zerschossenen Ellbogen hatte verbinden lassen. Wegen dieser Verwundung konnte er nicht ohne Hilfe in den Sattel steigen; er mußte sich dabei unterstützen lassen. Als er oben saß, drehte er sich nach dem Zelt, in dem ich mich befand, um, erhob den unverletzten linken Arm, machte eine Faust und rief in drohendem Tone zu mir herüber:

„Allah rhinalek – Gott verfluche dich! Wir müssen jetzt weichen; aber wir sehen dich wieder, und dann werde ich mit dir Abrechnung halten!“

„Schieß ihn nieder, Sihdi“, forderte Ali mich auf.

„Nein“, antwortete ich, indem ich das Gewehr senkte, welches ich bis jetzt oben gehabt hatte.

„Warum nicht? Er hat dich bedroht!“

„Drohungen schaden nichts.“

„Er wird sie aber ausführen!“

„Das wird ihm nicht gelingen.“

„Effendi, sei nicht allzu zuversichtlich!“ warnte mich der Scheik. „Kennst du diese Tibbu genau?“

„Ich kenne sie.“

„So mußt du wissen, daß dieser Tahaf nicht ruhen wird, bis er sich gerächt hat!“

„Seine Rache erreicht mich nicht!“

„O doch! Wenn du so unbesorgt bist, wird sie dich ganz sicher treffen. Weißt du, was du vergossen hast?“

„Sein Blut.“

„Ja, sein Blut. Und kennst du das Gesetz der Rache?“

„Ich kenne es.“

„So sag, wie es lautet!“

„Es heißt: Ed dem b'ed dem, en nefs b'en nefs – Blut um Blut, Gleiches mit Gleichem.“

„Richtig! Er wird dein Blut von dir fordern. Soll ich dir sagen, welchen Plan er haben wird?“

„Nein, denn ich weiß es, ohne daß es mir gesagt wird.“

„Nun?“

„Er wird uns heut in der Nacht überfallen wollen.“

„Ja, diesen Vorsatz hat er ganz gewiß gefaßt. Wir müssen uns auf einen Angriff vorbereiten. Am besten ist's, wir brechen unsere Zelte auch ab und entfernen uns, bis die Tibbu diese Gegend verlassen haben.“

„Das ist nicht nötig.“

„Nicht? Sie werden aber ganz gewiß in dieser Nacht kommen, um sich zu rächen.“

„Ich werde euch beschützen. Verlaß dich auf mich!“

Er schüttelte langsam den Kopf und sagte:

„Effendi, du weißt, daß ich von dir gehört habe und dich für einen sehr tapfern Krieger halte; aber wie kannst du, ein einzelner Mann, unser ganzes Duar in Schutz nehmen?“

Da fiel Ali schnell ein:

„Wie er das tun wird? Das laß nur Sache meines Sihdi sein! Er weiß stets ganz genau, was er zu tun hat. Er und ich, wir beide sind die größten Helden, die es in der großen Wüste gibt, und wenn wir versprechen, daß wir euch beschützen werden, so könnt ihr sicher sein, daß – – –“

„Daß es für dich viel besser ist, zu schweigen, als solche Reden zu halten“, unterbrach ich ihn.

Und mich an den Scheik wendend, fuhr ich fort:

„Ich muß zunächst erfahren, wo die Tibbu lagern werden; ich werde ihnen also folgen. Dazu taugen unsere Kamele nichts. Willst du mir zwei Pferde leihen?“

„Gern. Aber warum zwei?“

„Weil ich nicht allein reite; es soll mich einer von deinen Kriegern begleiten.“

„Welcher?“

„Das magst du selbst bestimmen. Er muß ein tapferer, listiger und gewandter Mann sein und die Sprache der Tibbu gut verstehen.“

„Warum das?“

„Weil ich sie belauschen möchte.“

„Um Allahs willen, tut das nicht, denn sie werden euch bemerken und erwischen!“

„Nein. Ich habe gelernt, mich einem Feind ganz unbemerkt zu nähern.“

Er hatte keine Ahnung von der Art und Weise, in welcher z.B. ein nordamerikanischer Indianer seinen Gegner beschleicht und belauscht, und es dauerte noch einige Zeit, ehe er denjenigen bestimmte, der mich begleiten sollte. Am liebsten hätte ich Ali mitgenommen; aber dieser war der Tibbusprache nicht so mächtig, wie ich es für notwendig hielt. Eben verschwanden die Tibbu am östlichen Horizont, als wir uns auf die Pferde setzten und ihnen nachritten. Ich hatte mein Fernrohr mitgenommen, weil ich es brauchte, um die Tibbu aus so weiter Entfernung zu beobachten, daß sie mich nicht zu sehen vermochten.

Der Uëlad Sliman, den mir der Scheik mitgegeben hatte, war zwar ein noch ziemlich junger Mann, doch stellte es sich heraus, daß die Wahl eine sehr gute gewesen war.

Mit Hilfe des Fernrohrs konnte ich den Tibbu vollständig unbemerkt folgen. Es verstand sich ganz von selbst, daß sie die östliche Richtung nur eingeschlagen hatten, um uns zu täuschen. Als ich dies meinem Begleiter sagte, antwortete er:

„Da hast du ganz recht, Effendi, denn Kaïrwan liegt doch nicht im Osten von hier.“

„Kaïrwan?“ fragte ich. „Wie kommst du denn auf diesen Ort zu sprechen?“

„Kennst du diese Stadt?“

„Ich bin in der Nähe gewesen.“

„Aber nicht drin?“

„Nein.“

„Das glaube ich, denn das wäre ein Wagnis gewesen, welches du wahrscheinlich mit dem Tod bezahlt hättest.“

„Wieso?“

„Weil Kaïrwan zu den Städten der Gläubigen gehört, die kein Nichtmohammedaner betreten darf. Jemand, der dort als Christ oder Jude erkannt wird, ist unbedingt verloren. Wie die Anhänger des Propheten nach Mekka und Medina pilgern, so gehen sie auch nach Kaïrwan. Die Okba-Moschee dort ist eines der heiligsten Gotteshäuser des Islam, das allerheiligste in Afrika, denn in ihr liegt El Waib begraben, welcher der Busenfreund und stetige Gefährte des Propheten war. Wer Kaïrwan besucht hat, darf sich ebensogut Hadschi nennen, als ob er in Mekka oder Medina gewesen wäre.“

„Was haben diese Tibbu damit zu tun?“

„Was? Hast du nicht den grünen Sandschak (Fahnen des Propheten) gesehen, welcher über dem Zelte Tahafs wehte?“

„Allerdings.“

„Und daß nicht nur die Tibbu, sondern auch ihre Kamele ihre Mesabih (Rosenkränze) an den Hälsen hängen hatten?“

„Auch das.“

„Nun, daraus konntest du erkennen, daß sie auf der Hadsch (Pilgerreise) nach Kaïrwan begriffen sind.“

„Gut! Kaïrwan liegt in Tunis, nordwestlich von hier. Wenn die Tibbu nach Osten reiten, so wollen sie uns täuschen. Sie werden einen Bogen reiten und über Süden nach dem Wadi zurückkehren. Paß auf!“

„Das denke ich auch, Effendi. Ich möchte sogar sagen, daß ich den Ort kenne, an dem sie lagern werden.“

„Wo ist das?“

„Sie sind fortgeritten, ohne ihre Schläuche gefüllt zu haben, und brauchen also Wasser. Der eigentliche Brunnen unseres Wadi liegt bei unserem Duar; aber zwei kleine Reitstunden östlich davon gibt es auch eine Stelle, wo man Wasser findet, wenn auch weniger als bei uns. Dort stehen auch Fitna-Sträucher (eine Akazienart), mit denen sie sich ein Feuer anzünden können. Diese Stelle werden sie aufsuchen, um dort zu lagern und in der Nacht nach unserem Duar zu kommen und uns zu überfallen.“

„Ganz richtig! Ich sehe soeben durch mein Fernrohr, daß sie nach Süden umbiegen.“

„Wollen wir nicht auch diese Richtung nehmen?“

„Nein. Wir bleiben hinter ihnen, ganz genau auf ihrer Spur; das ist besser.“

Soeben hatte die sinkende Sonne den Horizont erreicht, und die in jenen Gegenden sehr kurze Dämmerung begann; ich betrachtete deshalb den Tibbutrupp jetzt schärfer als bisher, um mir die Gegend, nach welcher er ritt, genau zu merken, und da sah ich, daß er sich nicht mehr in Bewegung befand, sondern angehalten hatte. Wir hemmten also die Schritte unserer Pferde auch, bis unsere Gegner weiterritten. Das geschah, als es so dunkel geworden war, daß ich sie kaum noch erkennen konnte.

Nun durften wir uns mehr nähern als bisher. Wir ritten also im Trab auf die Stelle zu, an welcher sie angehalten hatten. Mein Ortssinn war geübt genug, diesen Ort trotz der Dunkelheit nicht zu verfehlen. Als wir ihn erreichten, schnaubten unsere Pferde und wollten nicht weiter. Wir sahen einige Gegenstände vor uns liegen und stiegen ab, um zu untersuchen, was es sei.

„Roob-Allah – Schreck Gottes! Das sind Leichen!“ rief der Uëlad erschrocken aus.

Er hatte recht; es waren drei Leichen. Hatten sie schon dagelegen, als die Tibbu hier vorüberkamen? Ich untersuchte sie. Sie waren noch ziemlich warm und ich fühlte Blut an meinen Händen.

„Diese Leute sind von den Tibbu ermordet worden“, erklärte ich. „Sie begegneten ihnen und wurden getötet und wahrscheinlich ausgeraubt.“

„Weißt du das gewiß?“

„Werden gleich sehen.“

Ich untersuchte die Taschen der drei Leichen; sie waren alle leer, und auch in ihren Gürtelschnüren befand sich oder hing nicht der geringste Gegenstand.

„Ja, sie sind von den Tibbu ermordet und beraubt worden“, wiederholte ich. „Wer mögen sie gewesen sein?“

Der Uëlad Sliman betastete sie und ihre Kleidungsstücke sehr sorgfältig und behauptete dann:

„Wenn mich nicht alles trügt, so müssen das Leute aus Kufra sein. Was wollen die aber in dieser Gegend?“

„Kommt von dort niemand hierher?“

„Ganz selten, und dann nur als Führer von fremden Reisenden, die sie begleiten.“

„Wenn dies auch hier der Fall wäre?“

„Fast glaube ich es.“

„Dann hätten die Tibbu den oder die Fremden mit sich fortgeschleppt!“

„Ja, um ein Lösegeld zu erpressen und die Gefangenen dann dennoch nicht freizugeben, wie sie es zu tun pflegen.“

„Dann müssen wir ihnen schnell nach. Hier können wir nicht mehr helfen. Wollen keine Zeit versäumen. Getraust du dir, trotz der Dunkelheit die Wasserstelle zu finden, von der du vorher gesprochen hast?“

„Ja, ich werde sie nicht verfehlen.“

„Dann fort von hier! Vielleicht ist es uns möglich, ein Menschenleben zu retten.“

So wenig wir hier getan hatten, es war doch während der Untersuchung der Leichen eine Viertelstunde vergangen, welche wir einholen mußten. Wir durften uns freilich nicht allzusehr beeilen, wenn wir den Tibbu nicht so nahe kommen wollten, daß sie uns hörten oder überhaupt bemerkten, ehe sie den Lagerplatz erreichten. Ich mußte mich da ganz auf den Uëlad Sliman verlassen. Die Sterne waren zwar aufgegangen, aber sie leuchteten noch nicht hell; die mahlenden Schritte unserer Pferde im tiefen Sand waren weiter zu hören, als wir sehen konnten.

Er rechtfertigte das Vertrauen, welches ich in ihn setzte. Wir mochten, seit wir das Duar verlassen hatten, ungefähr zwei Stunden geritten sein, da leuchtete grad vor uns eine kleine Flamme auf, welche um so größer und heller wurde, je mehr wir uns ihr näherten.

„Das ist das Lagerfeuer, welches die Tibbu angebrannt haben. Wir reiten doch nicht ganz hin?“ fragte mein Führer.

„Beschreib mir die Stelle! Also es gibt Sträucher dort. Ist die Gegend eben?“

„Nein, denn die Stelle stößt an die obere äußere Seite des Wadi, an deren inneren Seite da unten rechts unser Duar liegt. Diese äußere Talwand ist eingebogen wie eine kleine, enge Bucht, welche von Fitna-Sträuchern eingefaßt wird. Das Wasser steht im Hintergrunde dieser Bucht.“

„So werden sie da hinten lagern. Hast du den Mut, durch diese Sträucher bis in den Rücken der Tibbu zu kriechen?“

„Ich bin nicht furchtsam, Effendi, und da du bei mir bist, habe ich erst recht keine Angst.“

„So wollen wir erst seitwärts reiten, um eine Stelle zu suchen, wo wir unsere Pferde lassen können.“

Ein solcher Ort war bald gefunden. Wir kamen an die Felsenhügel, welche die Nordseite des Wadi bildeten und fanden einige große Steine, an welche wir die Pferde banden. Hierauf unterrichtete ich den Uëlad Sliman eingehend, wie er sich zu verhalten hatte, und dann schlichen wir uns, ich voran und er hinter mir, nach dem Lagerplatz der Tibbu hin. Als wir nahe genug gekommen waren, legten wir uns nieder, um den weiteren Weg kriechend zurückzulegen.

Zu unserem Vorteil war das Feuer nur klein; es leuchtete nur wenige Schritte weit und war doch hell genug, den Schein der Sterne unwirksam zu machen. Erwähnt muß werden, daß wir unsere hellen Haïks (Mäntel) im Duar zurückgelassen hatten; nun waren unsere Anzüge so dunkel, daß sie nicht von dem Erdboden unterschieden werden konnten.

Der Lagerplatz hatte die nach außen offene Form eines Hufeisens. Hinten gab es Wasser; weiter vorn brannte das Feuer, um welches sich die Tibbu gesetzt und gelegt hatten. Außen, vor dieser Bucht, lagen die Kamele. Diese Halbrundung war mit Büschen besäumt, welche aber so dünn standen und so wenig Laub hatten, daß sie uns keine Deckung gewährten. Uns in die Bucht hineinzuschleichen, war also leider nicht möglich. Aber da, wo sie auf unserer Seite begann, sich einwärts zu biegen, gab es einige große Felsstücke, hinter denen wir uns verstecken konnten. Wir erreichten sie glücklich und schmiegten uns so eng an sie, daß wir selbst dann, wenn sich ein Tedetu uns näherte, hoffen durften, nicht von ihm bemerkt zu werden.

Die Tibbu ahnten keinen Menschen in der Nähe und sprachen so laut, daß wir jedes Wort hören konnten – verstehen aber konnte ich nichts; ich beschäftigte also meine Augen mehr als meine Ohren.

Tahaf saß aufrecht am Feuer und trug seinen rechten Arm in einer improvisierten Binde. Neben ihm saß finsteren Blickes ein Mann, dessen Hände und Füße gefesselt waren. Er mochte dreißig Jahre alt sein. Sein von einem schönen, blonden Vollbart umrahmtes Gesicht war von der Sonne dunkel gebrannt. Die Farbe seiner Augen zu erkennen, war mir nicht möglich; aber ein Gesicht mit einem solchen Bart konnte nur blaue Augen haben. Wer war dieser Mann? Ein Beduine jedenfalls nicht. Wohl gar ein Europäer! Es stand sofort bei mir fest, daß ich diesen Ort nicht verlassen würde, ohne ihn befreit zu haben. Aber wie?

Die Räuber unterhielten sich, wie schon erwähnt, sehr eifrig und verzehrten dabei ihr frugales Abendessen. Dieses bestand aus Kuskussu, Mehl, welches sie mit den Fingern in kaltem Wasser einrührten und dann auch so mit den Fingern aßen. Die Gefäße, deren sie sich dabei bedienten, waren solche ausgehöhlte Kürbisschalen, wie ich heute welche von der Zeltstange geschossen hatte. Seitwärts von dem Feuer, und zwar außerhalb des Kreises, den die Tibbu bildeten, lag ein kleiner Haufen von Gegenständen, welche die Objekte ihres Gesprächs zu sein schienen. Das waren jedenfalls die Sachen, welche sie dem Gefangenen und seinen Begleitern abgenommen hatten.

Tahaf aß von demselben Gericht wie seine Leute. Den Blicken, welche er dabei auf den Blonden warf, sah ich es an, daß er vorhatte, ihn nach dem Essen ins Verhör zu nehmen; darum stieß ich meinen Gefährten an, um seine Aufmerksamkeit auf mich zu lenken, und fragte ihn.

„Verstehst du, was sie sprechen?“

„Ja.“

„Wovon reden sie?“

„Von dem Fremden.“

„Wer ist er?“

„Sie wissen es nicht; er hat es ihnen nicht gesagt.“

„Was soll mit ihm geschehen?“

„Er gibt ein Lösegeld, wird aber trotzdem nicht freigelassen. Sagt er aber jetzt nach dem Essen nicht, wer er ist und ob er reich ist, so wird er sofort getötet.“

„Wir retten ihn!“

„Maschallah, Wunder Gottes! Auf welche Weise?“

„Ich habe keine Zeit, zu warten und zu überlegen; es gibt also nur eine Art und Weise. Ich hole ihn heraus!“

„Den Fremden?“

„Nein, denn da würde ich ihn vielleicht retten, aber sein Eigentum würde für ihn verloren sein.“

„Wen meinst du denn?“

„Tahaf.“

„Effendi, das ist wahnsinnig! Wir würden den Gefangenen nicht nur nicht befreien, sondern mit ihm verloren sein.“

„Nein. Ich weiß, wie man so etwas zu machen hat. Es ist allerdings gefährlich, höchst gefährlich, aber es wird gerade deshalb gelingen, weil die Tibbu es für ganz unmöglich halten. Die Hauptsache ist, daß du tust, was ich dir sage.“

„Ist es schwer?“

„Nein. Du bist doch kräftig genug, einen Menschen zu tragen?“

„Ja, Effendi.“

„So hast du hier mein Gewehr; halte es einstweilen! Es würde mir im Weg sein. Paß genau auf! Ich springe mitten unter die Tibbu hinein und hole Tahaf heraus. Du bleibst hier versteckt, bis ich ihn bringe. Da gibst du mir das Gewehr wieder, nimmst ihn und trägst ihn so rasch wie möglich zu unseren Pferden – – –“

„Er wird sich wehren!“ unterbrach er mich.

„Nein, denn er wird bewußtlos sein. Bei den Pferden angekommen, legst du ihn hin, bindest sie los, und wartest, bis ich komme. Ich steige auf; du hebst ihn zu mir hinauf und springst auch in den Sattel; dann reiten wir fort.“

„Aber Effendi, das ist ja – – –“

„Still!“ fiel ich ihm in die Rede. „Ich sehe, daß Tahaf beginnen will. Hier nimm das Gewehr! Kein Wort weiter! Es wird alles leicht und schnell vonstatten gehen!“

Ich konnte mich nicht länger mit dem Uëlad Sliman abgeben, denn ich sah und hörte, daß Tahaf mit dem Gefangenen zu reden begann, und zwar in der Tibbusprache, welche dieser nicht zu verstehen schien, denn er antwortete nicht. Da bediente sich der Tedetu des Arabischen; ich hörte ihn sagen:

„Dein Leben hängt an diesem Augenblick. Antwortest du nicht, so fährst du in einigen Minuten in die Hölle. Also sag uns, wer du bist!“

„Ich bin ein Mann, der Raubmördern keine Auskunft gibt.“

Das war kühn! Ich stand sprungfertig.

„Hund!“ fuhr Tahaf ihn an, indem er aufstand, sich drohend vor ihn hinstellte und die linke Hand zur Faust ballte. „Es kostet mich nur einen Wink, so bist du eine Leiche! Sag augenblicklich, woher du kommst!“

„Das brauchst du nicht zu wissen!“

„Bist du reich?“

Die nächste Antwort entschied über Leben und Tod: das sah ich. Wenn der Fremde die Auskunft wieder verweigerte, so gab Tahaf den von ihm erwähnten Wink. Ich durfte nicht zögern. Der Anführer der Tibbu stand vielleicht zwölf Schritte von mir entfernt, und zwar mit dem Rücken nach mir gerichtet. Aller Augen hingen an ihm und an dem Gefangenen. Fünf, sechs schnelle Sprünge, und ich stand hinter ihm, nahm ihn mit der linken Hand bei der Kehle, schlug ihm die rechte Faust an die Schläfe, warf ihn mir über die Schulter und eilte zurück.

„Hier hast du ihn! Mein Gewehr her, und fort, fort!“

Ich bekam den Stutzen, den ich allein mitgenommen hatte, und der Uëlad Sliman packte den besinnungslosen Tedetu, um mit ihm fortzueilen. Das war so schnell geschehen, daß bis jetzt kein einziger der Tibbu sich bewegt oder einen Laut von sich gegeben hatte. Sie saßen starr. Der Felsen deckte mich; ich legte hinter demselben hervor das Gewehr auf sie an und rief:

„Seht hier die Zauberflinte! Wer sich von der Stelle bewegt, den trifft die Kugel! Bleibt ihr aber sitzen, so wird keinem Menschen und auch Tahaf nichts geschehen!“

Sie saßen noch immer wie hypnotisiert.

„Wer ist nach Tahaf der Oberste von euch?“ fragte ich.

Niemand antwortete.

„Antwortet, sonst frißt euch mein Zaubergewehr! Wer ist der Oberste von euch?“

„Dieser“, antwortete endlich einer, indem er auf denjenigen Tedetu zeigte, der heut als Bote in dem Zelte des Scheiks bei uns gewesen war.

„Ah, du also?“ wendete ich mich an diesen. „Ich spreche mit dir und du wirst mir antworten, sonst schieße ich dich nieder. Du kannst dir denken, daß ich nicht allein hier bin. Tahaf befindet sich schon jetzt in Sicherheit; er ist verloren, wenn ihr mir nicht gehorcht. Binde dem Gefangenen augenblicklich die Hände und die Füße los!“

Die Angst trieb ihn, diesem Befehl nachzukommen; schon hatte er die Hände dazu ausgestreckt; da zog er sie wieder zurück.

„Vorwärts, schnell! Ich zähle nur bis drei: eins – zwei – – –“

Jetzt gehorchte er. Der Fremde war nicht mehr gefesselt.

„So wird dieser Mann bleiben, damit er frei ruhen und schlafen kann. Ihm darf nichts geschehen. Jedes Leid, welches ihr ihm zufügt, kostet Tahaf das Leben. Dieser ist unser Gefangener und wird gegen den eurigen ausgewechselt werden. Ihr bleibt bis zur Morgenröte hier an dieser Stelle. Wenn einer von euch diesen Ort eher verläßt, so ist Tahaf verloren. Sobald die Morgenröte erscheint, kommen zwei von euch mit dem Gefangenen nach dem Duar, bleiben aber fünfhundert Schritte vor demselben halten. Er muß alles wiederbekommen, was ihr ihm abgenommen habt. Fehlt nur ein einziger Gegenstand, so kommt Tahaf nicht frei. Hast du es gehört?“

„Ich bin nicht taub! Allah vernichte dich!“ antwortete er. Die anderen schwiegen. Der Fremde rief mir zu:

„Herr, wer bist du? Wem danke ich diese Rettung?“

„Das wirst du früh erfahren.“

„Kannst du mich nicht jetzt gleich mitnehmen?“

„Nein. Du bist hier nun ebenso sicher wie bei mir.“

„Werden sie mich wirklich ausliefern?“

„Ja, denn es gilt das Leben ihres Anführers. Bring mir die Riemen her, mit denen du gebunden warst!“

„Ich kann nicht gehen; ein Schuß hat mich in das Bein getroffen, als diese Tibbu uns überfielen.“

„Sie mögen dich jetzt gut verbinden, wenn sie das Leben Tahafs retten wollen! Jetzt bin ich fertig. Allah erleuchte eure Gedanken, sonst seht ihr euern Scheik niemals wieder!“

Ich trat hinter den Felsen zurück und blieb einige Augenblicke lauschend stehen. Keiner bewegte sich; sie hatten Angst. Da sprang ich fort, nach der Stelle, an welcher der Uëlad Sliman mich erwartete.

„Hamdullillah, daß du kommst, Emir!“ empfing er mich. „Du bist ihnen entgangen? Welch ein Wunder! Wer konnte so etwas für möglich halten!“

„Es war leichter, als du denkst. Du hast deine Sache gut gemacht; ich muß dich loben!“

„Oh, ich war kaum hier angelangt, so kam dieser Tahaf schon wieder zu sich. Ich habe ihn aber schnell gefesselt und ihm einen Knebel in den Mund gesteckt.“

„Das war gut! Hattest du Riemen oder Stricke? Ich wollte mir welche geben lassen.“

„Ein Ben Arab (Araber) hat stets so etwas bei sich. Wann reiten wir fort von hier?“

„Sogleich. Reich mir den Kerl herauf!“

Ich stieg in den Sattel und nahm den Gefangenen quer vor mich hin; dann ging es im Trab nach dem Duar zurück. Es läßt sich denken, welches Aufsehen wir mit der Erzählung dessen, was geschehen war, erregten. Die guten Leute erschraken zunächst; sie fürchteten die Rache der Tibbu, als ich ihnen aber erklärte, daß ich Tahaf nicht eher freilassen würde, als bis er den heiligsten Eid abgelegt hatte, sich nicht zu rächen, da beruhigten sie sich.

Der Gefangene wurde in das Zelt des Scheiks geschafft und da festgebunden, wo auch ich wieder mein Unterkommen fand. Man hatte bis jetzt mit dem Essen auf uns gewartet und es läßt sich denken, daß ich es mir nach dem gelungenen Streich sehr gut schmecken ließ. Der Gefangene bekam – nichts.

Die Uëlad Sliman waren nicht ganz ohne Sorge, daß die Tibbu doch wohl kommen könnten, um ihren Anführer zu befreien; ich aber war vollständig überzeugt, daß sie dies nicht wagen würden, weil sie dadurch sein Leben in die größte Gefahr bringen mußten und es gelang mir, den Scheik zu beruhigen. Er gab mir recht, hielt es aber doch nicht für überflüssig, einige Wachen auszustellen, wogegen ich ganz und gar nichts hatte.

Tahaf befand sich in einem Zustand ohnmächtiger Wut und überschüttete mich zunächst mit Schmähungen, die ich so ruhig hinnahm, als ob ich gar nichts hörte. Nach und nach aber kam er zur Einsicht, daß ihm dies keinen Vorteil bringe; er nahm einen anderen Ton an und versuchte, mit mir zu handeln.

„Dieser Fremde soll euch gegen mich ausgeliefert werden“, sagte er, „aber die Beute, welche wir gemacht haben, geben wir nicht wieder her!“

„Laß dich nicht auslachen!“ antwortete ich. „Wir geben dich frei und du behältst alles, was du bei dir trägst, und ihr laßt ihn frei mit allem, was ihm gehört.“

„Da mach ich nicht mit!“

„Ob du mitmachen willst oder nicht, darauf kommt nichts an; du hast hier gar keinen Willen. Sei froh, daß ich nicht viel strengere Bedingungen gestellt habe!“

„Was könnte strenger sein?“

„Der Blutpreis für die drei, welche ihr getötet habt!“

„Fahr zur Hölle!“

Ohne diesen Wunsch zu beachten, fuhr ich fort:

„Es kam mir nur darauf an, ihn zu retten; seine toten Gefährten gehen mich nichts an. Was er, wenn er frei sein wird, in Beziehung auf sie tun will, das ist seine Sache. Ich bleibe aber desto strenger bei meiner Forderung. Du wirst gegen ihn ausgewechselt: er bekommt sein sämtliches Eigentum, und du schwörst bei Allah, dem Propheten und allen Kalifen, daß du diese Gegend sofort verlassen und dich an den Bewohnern des Duars nie rächen wirst.“

Er fuhr trotz seiner Fesseln halb empor und fragte höhnisch:

„Etwa auch nicht an dir?“

„Meine Person kommt gar nicht in Betracht. Räche dich an mir, so oft und so sehr du willst. Über die Rache eines Wurms, wie du bist, lache ich.“

„So lache jetzt! Es wird die Zeit kommen, wo du nicht mehr lachen, sondern vor Entsetzen heulen wirst!“

Diese Drohung ließ mich natürlich kalt und raubte mir keine Minute von dem Schlaf, der mich dann in die Arme nahm. Während ich schlief, saß neben mir ein Uëlad Sliman, welcher Tahaf streng zu bewachen hatte und uns beim Grauen des Tages wecken mußte.

Als dies letztere geschehen war, nahmen wir den Gefangenen entscheidend vor. Er weigerte sich wieder, auf meine Bedingungen einzugehen.

„Gut, so ziehe ich das, was ich gesagt und versprochen habe, nun zurück“, erklärte ich. „Ich gebe dich also nicht frei. Du wirst unser Gefangener bleiben und wegen der drei Männer, welche ihr gestern ermordet habt, zur Rechenschaft gezogen und auf das strengste bestraft werden.“

„Und unser Gefangener wird das mit dem Leben bezahlen müssen!“ antwortete er höhnisch.

„Da verrechnest du dich! Dieser Gefangene wird in sehr kurzer Zeit seine Freiheit zurückerhalten.“

„Meine Krieger geben ihn nicht her, wenn ich nicht dabei bin und es ihnen erlaube.“

„Dich brauche ich nicht dabei. Du weißt, was ich zu ihnen gesagt habe. Es werden nur zwei von ihnen kommen und ihn bringen. Mit diesen beiden werde ich schnell fertig. Ich bedarf nicht der geringsten Hilfe dabei.“

„Entweder bist du der Scheïtan (Singular von Teufel) selbst, oder der Schejatin (Plural von Teufel) gibt dir diese Gedanken ein!“ fuhr er mich wütend an.

„Beleidige mich nicht, sonst hörst du kein Wort mehr von mir. Du siehst, daß es Tag werden will; ich gehe, um deine beiden Krieger zu empfangen, und frag dich zum allerletzten Mal: Willst du tun, was ich von dir verlange?“

„Nein!“

„So sind wir fertig!“

Ich stand auf und nahm meine Gewehre zur Hand; der Scheik und Ali taten dasselbe. Sie verließen das Zelt, und ich folgte ihnen. Eben ließ ich den Türvorhang hinter mir fallen, da beeilte er sich, uns nachzurufen:

„Halt, kommt zurück! Ich will einverstanden sein!“

Wir gingen wieder hinein, und er bequemte sich endlich zu den Versprechungen, die ich von ihm gefordert hatte, und die er mit einem Schwur, den ihm der Scheik als Mohammedaner vorsagte, bekräftigen mußte. Hierauf banden wir ihn los und nahmen ihn mit hinaus.

Es schlief kein Mensch mehr, sondern alle Bewohner des Duar waren wach, um zu sehen, ob die Auswechslung der beiden Gefangenen so glatt vor sich gehen werde, wie ich gesagt hatte. Alt und jung, Mann, Weib und Kind lief mit hinaus vor das Zeltdorf. Eben begann der Himmel sich zu röten, und aller Blicke waren gegen Osten gerichtet, da sahen wir eine Reiterschar von dorther langsam näherkommen. Es waren die Tibbu. Sie blieben, als sie uns bemerkten, halten, und von ihnen trennten sich drei Reiter, welche drei ledige Kamele mit sich führten und ungefähr fünfhundert Schritte von uns anhielten. Diese ledigen Kamele hatten den drei ermordeten Begleitern ihres Gefangenen gehört. Sie mußten natürlich mit ausgeliefert werden.

Der Scheik und ich nahmen Tahaf, welcher an den Händen gefesselt war, in die Mitte und gingen ihnen entgegen. Fünfzig Schritte von ihnen blieben wir stehen. Ich nahm meinen Stutzen in die Höhe und rief ihnen zu:

„Wir kommen in Frieden; aber bei der geringsten verdächtigen Bewegung werde ich Tahaf und euch erschießen! Hat euer Gefangener alles von euch zurückerhalten?“

„Ich habe alles“, antwortete er selbst.

„Es fehlt dir nichts?“

„Gar nichts!“

„Ist deine Wunde verbunden worden?“

„Ja.“

„Wurdest du seit gestern abend, als ich euch verließ, vielleicht schlecht behandelt?“

„Ich kann nicht klagen.“

„Willst du deine drei toten Gefährten rächen?“

„Nein.“

„So forderst du nur den Blutpreis von den Mördern?“

„Auch nicht. Diese Männer gingen mich nichts an; sie hatten sich nur zufällig zu mir gesellt.“

„So sind wir mit diesen Tibbu fertig. Komm her mit den drei Kamelen! Tahaf mag auch gehen!“

Dies geschah. Die beiden begegneten sich in der Mitte zwischen den Parteien. Die Tibbu zerschnitten die Fesseln ihres Anführers; er bestieg sein Kamel, und dann ritten sie davon, nicht gen Osten wie gestern, sondern nach Westen zu. Der Fremde ließ sein Kamel niederknien, stieg ab, kam auf mich zu, ergriff meine beiden Hände und sagte:

„Endlich bin ich frei und kann dir danken! Du hast mich vom sicheren Tod errettet, Herr. Wie glücklich würde ich sein, wenn ich es dir vergelten könnte! Wer sind diese Leute?“

„Die Bewohner dieses Duar. Sie gehören zu dem berühmten Stamme der Uëlad Sliman.“

„Du auch?“

„Nein. Ich bin ebenso ihr Gast, wie du es sein wirst.“

„Ja, sei unser Gast! Wir heißen dich willkommen!“ sagte der Scheik zu ihm, indem er ihn bei der Hand ergriff. „Komm mit in mein Zelt! Alles was dir gehört, ist bei uns so sicher und so gut aufgehoben, als ob du es bei dir, bei deinem eigenen Stamm hättest.“

Er führte ihn in das Duar und in sein Zelt. Die Frauen sangen laut ihr „Ahla wa sahla wa marhaba“ (Willkommensgruß), und die Kinder stimmten in dasselbe ein.

Ich war gewöhnt, stets vorsichtig zu sein, und bat den Scheik, den Tibbu einige Reiter nachzusenden. Wir mußten wissen, ob sie wirklich fortritten oder die Absicht hatten, das gegebene Versprechen zu brechen und Rache an den Uëlad Sliman zu nehmen. Diese Boten brachten dann am nächsten Tag die beruhigende Nachricht, daß die Feinde ohne Aufenthalt westwärts geritten seien.

Natürlich hätten wir gar zu gern gewußt, wer und was der Fremde war; aber das Gesetz der Wüste verbot, sofort danach zu fragen. Wir beobachteten einander während des ganzen Vormittags, und ich machte da die Bemerkung, daß er aus mir ebensowenig klug wurde, wie ich sein Wer und Was erraten konnte. Es kam erst dann zur Aufklärung, als es zu Mittag wieder einen gebratenen Hammel gab und wir das Mahl nach mohammedanischer Weise mit dem gebräuchlichen ‚El Hamd ul illah‘ einleiteten. Er sprach diesen Ausruf nicht mit aus und entschuldigte sich:

„Ihr dürft mir mein Schweigen nicht übelnehmen; ich bin kein Moslem, sondern ein Christ.“

„Ein Christ?“ fragte ich. „Also wohl auch kein Orientale?“

„Nein. Meine Heimat liegt im Bilad Amirika.“

„Nord oder Süd?“

„Im Norden.“

„Wohl in den Vereinigten Staaten?“

„Wie, du kennst dieses Land?“ fragte er verwundert.

„Ich habe von ihm gehört“, antwortete ich ausweichend. „So ist dein Name wohl kein arabischer?“

„Nein; ich heiße Forster. Das ist ein Wort, welches du wohl nicht auszusprechen vermagst.“

„Forster, Forster“, sagte ich lächelnd.

„Du kannst es, du kannst es! Das hat noch kein Araber fertiggebracht!“

„Oh, ich kenne die Dscheografia (Geographie)!“ stellte ich mich stolz. „Ich spreche alles richtig aus, vielleicht auch die Stadt, die deine Heimat ist. Darf ich sie erfahren?“

Er hielt mich für einen Beduinen, lächelte ein wenig und antwortete:

„Ich bin in Stenton geboren.“

„Stenton? Etwa in Arkansas?“ fuhr ich auf.

„Was? Wie? Du kennst diesen Namen wirklich?“ fragte er, im höchsten Grade erstaunt.

„Forster! Stenton in Arkansas! War dein Vater etwa ein Scha'ir (Dichter)?“

„Ja.“

„Forster, Richard Forster! Er stammte aus Frankfurt in Kentucky?“

„Ja, ja!“

„Und deine Mutter? Maschallah! Welch ein Wunder! Sie hieß Marga und war die Tochter des Bankiers Olbers?“

Da sprang er auf und schrie mich förmlich an:

„Du kennst meinen Vater und meine Mutter? Du kennst Stenton und Frankfurt? Mann, du bist nicht der, für den ich dich gehalten habe; du bist ein anderer!“

Sein Erstaunen war mir eine wahre Wonne. Da aber fuhr mir mein schwatzhafter Ali drein. Zwar waren ihm die Namen, die er gehört hatte, fremd, aber er begriff die Situation und rief dem Amerikaner zu:

„Mein Effendi ist ja auch ein Christ!“

„Auch – ein – Christ!“

„Ja; er ist kein Beduine, sondern ein Alemani.“

„Ein Alemani? Ein Deutscher?“

„Ja“, lachte ich jetzt laut. „Ich weiß, Mr. Forster, daß wir deutsch miteinander sprechen können.“

„Allerdings, allerdings! Sie ein Deutscher, ein Deutscher! Wer hätte das gedacht! Ist so ein Zusammentreffen nicht ein wahres Wunder zu nennen?“

„Oh, ich habe solche Wunder schon wiederholt erlebt.“

„Aber Sie kennen meine Eltern. Da müssen Sie doch in Amerika gewesen sein?“

„Verschiedene Male.“

„Ihr Name, Ihr Name?“

„Daheim heiße ich anders; drüben wurde ich Old Shatterhand genannt.“

Ich glaube, jetzt glänzte mein Gesicht förmlich vor Vergnügen.

„Old – Shat – ter – hand!“ stieß er die Silben alle einzeln hervor, so überrascht war er.

„Ja. Ich habe Ihren Vater in Mexiko getroffen, wo er mir erzählte, wie er zu seinen Grants gekommen war. Darf ich hoffen, daß er noch lebt?“

„Natürlich lebt er noch! Aber, Sir, wenn Sie Old Shatterhand sind, der Freund von Winnetou, so sind – sind – sind Sie doch auch der Deutsche, welcher – welcher – welcher hier hüben Kara Ben Nemsi genannt worden ist?“

„Der bin ich freilich auch.“

„Ah, endlich, endlich, endlich! Wie sehr habe ich gewünscht, Sie einmal zu sehen, einmal zu treffen, einmal mit Ihnen zu sprechen! Ich muß Ihnen nämlich sagen, daß ich Ägyptologe und Arabist bin, wenn ich es so nennen darf – aus Neigung natürlich, denn ein Brotstudium habe ich nicht nötig; Vater ist reich, sehr, sehr reich, wie Sie wissen. Ich bereise den Orient nun schon an die vier Jahre und bin oft auf die Spur von Kara Ben Nemsi getroffen, jetzt nun endlich auf ihn selbst!“

„Wo waren Sie zuletzt?“

„In Erbehna.“

„Das ist kühn. Und wo wollen Sie hin?“

„Nach Mursuk.“

„Kennen Sie das schon?“

„Ja; ich war zweimal dort, das letztemal vor fünf Monaten.“

„Das ist mir sehr willkommen. Ich will nämlich auch hin.“

„Nach Mursuk? Herrlich, herrlich! Wir reisen natürlich zusammen, das heißt, wenn es Ihnen recht ist?“

„Nicht nur recht, sondern sogar lieb. Sie werden mit mir bei meinem Gastfreund absteigen.“

„Wer ist das?“

„Der reiche Handelsherr Manasse Ben Aharab.“

„Der Jude?“ rief er aus, indem, ich wußte nicht, warum, eine tiefe Röte in sein Gesicht schoß und dann schnell wieder aus demselben verschwand.

„Sind Sie Antisemit, Mr. Forster?“

„Nein, nein, gar nicht, wenigstens nicht in dem Sinn, in dem Sie es wahrscheinlich meinen.“

„Sie kennen diesen Herrn?“

„Ja – – – ja – – –“ dehnte er verlegen.

„Well! Ist Nebensache. Jetzt sind wir nicht in Mursuk, sondern noch hier und wollen uns den Hammel schmecken lassen. Wir haben während dieser Erkennungsszene unseren Gastfreund ganz vergessen und dürfen nicht länger nachlässig gegen ihn sein.“

Ich langte tapfer zu; Forster aber aß fast gar nicht mehr; aus welchem Grund? Aus Freude über unser Zusammentreffen, oder weil ich den Namen Manasse Ben Aharab genannt hatte? Mir schien, das letztere war der Fall!

Die braven Uëlad Sliman wünschten, daß wir längere Zeit bei ihnen blieben; ich wäre am liebsten bald wieder fortgeritten, weil ich meiner jungen Freundin Rahel versprochen hatte, bald zurückzukehren; aber in der folgenden Nacht stellte sich bei Forster ein Wundfieber ein, welches, obgleich es sich nur um einen Streifschuß handelte, länger anhielt, und selbst dann, als es überstanden war, durfte bei dem dortigen Klima an einen dreitägigen Ritt nicht gedacht werden. Wir blieben also eine volle Woche und verabschiedeten uns dann in der herzlichsten Weise von den Beduinen, die uns so freundlich aufgenommen hatten und nur ungern ziehen ließen. Forster ließ ihnen die drei Kamele mit allem Zubehör zurück und beschenkte sie auch noch mit anderen Gegenständen. Von mir erhielt jeder ein aufrichtiges Allah jusallimak (Gott segne dich); mehr konnte ich nicht geben, denn ich hatte keinen Vater, dem zehn Leguas mexikanisches Land geschenkt worden waren.

Und wieder sah ich Mursuk vor mir liegen mit seinen Melonenpflanzungen, seinen Granaten- und Feigengärten und seinen Palmenwäldern. Von der letzteren Pflanze hat der berühmte und unglückliche Afrikareisende Vogel in der Umgegend der Stadt beinahe vierzig Varietäten gezählt.

Wir waren wegen der Wunde Forsters langsam geritten und darum fast vier Tage unterwegs gewesen. Die Reise schien ihn keineswegs angegriffen zu haben, und doch befand er sich in einem Zustand, welcher einem Fieber, wenn auch nicht dem Febris traumatica (Wundfieber) zu gleichen schien. Er war innerlich aufgeregt; das bemerkte ich, obgleich er sich Mühe gab, es mir zu verbergen. Wer oder was war die Ursache? Etwa mein Freund Manasse Ben Aharab?

Sosehr ich darüber nachdachte, ich mußte immer wieder auf diesen Namen kommen. Forster hatte sich nämlich unterwegs mit geradezu auffälliger Vorliebe mit mir über Mursuk unterhalten; aber sooft ich auf Manasse zu sprechen gekommen war, hatte sich sein Gesicht sofort verdüstert, und er war augenblicklich in Schweigen verfallen. Das Zartgefühl verbot mir, eine Frage auszusprechen; aber es mußte zwischen dem Juden und ihm etwas vorgekommen sein, was ihn noch heut mehr als unangenehm berührte. War es eine Geldverlegenheit? Gewiß nicht! Ja, Ben Aharab war einer der bedeutendsten Geldmänner von Fezzan, und ich durfte annehmen, daß Forster ihn aus geschäftlichen Gründen aufgesucht hatte; aber beide waren sehr reich, und beide waren sehr ehrlich; ein Zerwürfnis in dieser Beziehung konnte nicht vorliegen. Wenn Manasse wirklich der Gegenstand von Forsters Mißmut war, so war die Ursache gewiß auf einem ganz anderen Punkt zu suchen. Nicht in geschäftlichen Verhältnissen? Etwa in familiären? Ich mußte an meine liebe, schöne Rahel, an meine Rose von Sokna, denken.

Ich hatte den Namen Rahel einige Male erwähnt, und da war er allemal tief errötet. Lag es hier? Ah!

Als wir jetzt nun die aus Erde gestampften Umfassungsmauern der Stadt vor uns sahen, über welche der gewaltige Bau des Residenzschlosses emporragte, durfte ich nicht länger zögern; ich mußte wissen, ob er mit bei Manasse Ben Aharab absteigen wollte oder nicht. Darum sagte ich:

„Endlich sind wir da! Wer wird Ihnen ein Habakek (Sei willkommen) zurufen? Wo ich wohnen werde, das wissen Sie. Wollen wir nicht beisammenbleiben, Mr. Forster?“

Er hätte wohl gern ja gesagt; das sah ich ihm an; aber seine Antwort lautete:

„Zwei Gäste in einem Haus, das ist selbst für einen wohlhabenden Mann wenn auch nicht zuviel, so doch störend. Ich werde wieder bei meinem Mameluken Alaf wohnen.“

In Mursuk versteht man unter Mameluken die Abkömmlinge von weißen Renegaten; sie bilden den dortigen Adel.

„Ganz wie Sie wollen, bester Freund. Das wird ja nicht verhindern, daß wir uns täglich sehen.“

„Nein. Sie sind mir ja zu jeder Minute willkommen; das brauche ich Ihnen nicht erst zu sagen.“

„Sie mir ebenso. Wir werden uns gegenseitig besuchen.“

Er erwiderte nichts darauf, und so wußte ich, woran ich war. Ich sollte ihn besuchen; er aber wollte nicht zu mir kommen; er war mit Manasse Ben Aharab verfeindet. Wir ritten durch die erste der sehr breiten Straßen nach der zweiten, in welcher das Haus seines Mameluken lag; dort verabschiedete ich mich von ihm und setzte mit Ali meinen Weg bis zum Schloß fort, in dessen Nähe Manasse wohnte. Vor seinem nach dortiger Bauart einstöckigen aber sehr geräumigen Haus ließen wir die Kamele niederknieen und stiegen ab. Das weite Tor war verschlossen, eine Seltenheit zu jetziger Tageszeit! Ich bewegte den schweren, ehernen Klopfer, worauf einer der schwarzen Sklaven das Tor öffnete. Er kreuzte die Arme über der Brust und verbeugte sich tief.

„Ist der Herr daheim?“ fragte ich.

„Nein, Effendi; er ist zum Pascha geritten.“

„Und die Bint el Bet (Tochter des Hauses)?“

„Ist auch fort.“

„Wohin?“

Ich glaubte, als Gast und Hausfreund diese verbotene Frage aussprechen zu dürfen.

„Niemand weiß es.“

„Was? Niemand weiß es? Was redest du da?“

„Niemand weiß es“, wiederholte er.

„Allah! Ist etwas geschehen?“

„Ja, Effendina.“

„Was?“

„Weiß es nicht. Niemand darf davon sprechen. Issitt Rebekka (Fräulein Rebekka) wird es dir sagen.“

Er fuhr sich mit dem Arm über die Augen und trat auf die Seite zu Ali, um diesem behilflich zu sein, die Kamele in den Hof zu schaffen; ich aber eilte spornstreichs zu Rebekka, der alten Wirtschafterin, deren ganz besonderer Liebling Rahel war. Ich fand sie in der Küche, wo sie beschäftigt war, einen Teig zu kneten. Als sie mich eintreten sah, unterbrach sie sofort ihre Arbeit, kam mit hoch erhobenen Händen auf mich zu und rief in jammerndem Ton: „Oh, Effendi, wie sehnsüchtig haben wir auf dich gewartet, und wie froh ist meine Seele, daß du endlich kommst!“

Bei diesen Worten schoß auch schon ein Tränenstrom aus ihren Augen, die sie sich mit ihren teigigen Händen zu trocknen versuchte, was aber zur ganz natürlichen Folge hatte, daß sie sich dieselben fast vollständig verklebte.

„Was ist denn geschehen, meine gute Rebekka?“ fragte ich sie. „Warum weinst du?“

„Denke dir, sie ist fort, fort, fort!“

„Wer? Rahel?“

„Ja, sie!“

„Wie meinst du das? Sie ist fort?“

„Sie ist verschwunden, vollständig verschwunden, sie, die Blume unseres Hauses, der Liebling unserer Herzen.“

„Verschwunden? Ohne daß ihr wißt, wohin?“

„Ja. Kein Mensch weiß, wo sie sich befindet!“

„Ist das ganz plötzlich geschehen?“

„Ja.“

„Wann?“

„In der Nacht.“

„Wo sie sich also daheim befand?“

„Daheim“, nickte Rebekka.

„Sonderbar! Verschwinden kann ein Mensch auf einer Reise oder bei einer ähnlichen Gelegenheit; aber wenn sie zu Hause war, so ist es doch fast eine Unmöglichkeit zu nennen, wenn –“

„Ja, ja, eine Unmöglichkeit!“ fiel sie mir in die Rede. „Die reine Unmöglichkeit!“

„Seit wann ist sie denn fort?“

„Wohl eine Woche schon, Effendi. Warte einmal; ich will es ausrechnen. Heut haben wir Jom el Arba'a (Mittwoch) und am Jom el Chamis (Donnerstag) ist es geschehen; es sind also sechs Tage vergangen.“

„Und wie ist es gekommen? Erzähle es mir doch!“

Sie fuhr sich wieder mit den Teighänden in die Augen, welche von neuem zu tränen begannen und antwortete:

„Wie kann ich es dir erzählen? Ich bin ja nicht dabeigewesen und weiß also nicht, wie es geschehen ist.“

„Hm! Wann hast du sie denn an dem betreffenden Tag zum letzten Mal gesehen?“

„Am Abend.“

„Wo?“

„Draußen im Hof.“

„Was tat sie da?“

„Ich holte Wasser und kehrte mit demselben in die Küche zurück; da begegnete sie mir und sagte, daß sie noch ein wenig in den Garten gehen wolle.“

„So! Hat sie das getan?“

„Ja.“

„Weißt du das genau?“

„Ja, denn ich blieb stehen und blickte ihr, die mein Liebling war, nach, bis sie im Garten verschwand.“

„Und dann hast du sie nicht wieder gesehen? Sie ist nicht aus dem Garten zurückgekehrt?“

„Nein.“

„Ist das kein Irrtum?“

„Ich täusche mich nicht. Du weißt ja auch, Effendi, daß sie täglich des Abends vor dem Schlafengehen in den Garten ging. Wenn sie aus demselben zurückkehrte, kam sie stets zu mir herein, um mir ‚Gute Nacht‘ zu sagen. Das hätte sie jedenfalls auch an diesem Abend getan, sie hat es nie versäumt.“

„Wann habt ihr sie vermißt? Am anderen Morgen?“

„O nein, sondern schon an jenem Abend. Eben weil sie nicht zu mir kam, blieb ich wach, um auf sie zu warten. Da sie noch immer nicht erschien, so ging ich in den Garten, um sie zu suchen; sie war nicht mehr da.“

„Auch nicht im Schlafzimmer?“

„Nein. Ich weckte den Herrn, dem sie den gewöhnlichen Nachtgruß auch nicht gebracht hatte. Wir suchten im ganzen Haus, doch vergeblich. Da sandten wir Boten durch die ganze Stadt, mein Liebling war aber nirgends zu finden.“

„Habt ihr denn keine, gar keine Ahnung, auf welche Weise sie verschwunden sein kann?“

„Keine!“

„Gab es im Garten keine Spur?“

„Nein. Der Herr hat es dem Pascha gemeldet. Dieser kam selbst und brachte viele Asaker und Subbat (Soldaten und Polizisten) mit, welche nachforschen mußten; es wurde nichts gefunden. Dann wurde die ganze Umgegend abgesucht, doch auch vergeblich.“

„Sonderbar! Rahel kann doch nicht in die Erde hinein verschwunden und durch die Luft davon geflogen sein! Wäre ich doch da gewesen! Ich hätte gewiß eine Spur gefunden.“

„Das sagte auch der Herr, und darum haben wir mit so großem Verlangen auf dich gewartet.“

„Wohl auch umsonst, denn nun, nach sechs Tagen, ist jede Spur verwischt. Der Herr ist beim Pascha?“

„Ja. Er geht täglich mehrere Mal zu ihm, um ihn zu fragen, ob noch nichts gefunden ist und ihn zu neuem Forschen anzuspornen. Horch! Man führt sein Pferd in den Hof; er ist also zurückgekehrt. Sprich mit ihm, Effendi, sprich mit ihm! Vielleicht gelingt es dir, eine Spur zu entdecken.“

Dieses Vertrauen hätte mich erfreuen können, wenn ich es für möglich gehalten hätte, ihm zu entsprechen. Manasse Ben Aharab empfing mich mit einem Ausruf der Freude; er sah sehr angegriffen aus; das unerklärliche Verschwinden seiner Tochter zehrte an seinem Körper und auch an seiner Seele; das sah ich ihm sofort an. Er mußte erzählen; leider aber konnte er mir auch nicht mehr sagen, als was ich schon von Rebekka erfahren hatte, setzte aber trotzdem große Hoffnungen auf mich.

„Effendi, fordere von mir, was du willst, ich werde es dir geben, nur bringe mir den Glanz meiner Augen, das Licht meiner Seele wieder!“ bat er mich.

„Manasse, ich fühle mit dir und bin von dem, was ich erfahren habe, selbst tief erschüttert“, antwortete ich ihm; „aber wie kann ich, der hier ganz Fremde, dir diejenige wiedergeben, die du verloren hast, nachdem alle Bemühungen des Pascha und seiner Leute vollständig vergeblich gewesen sind.“

„Oh, ich weiß, daß du viel erlebt und viel erfahren hast. Du hast so manches fertiggebracht, was keinem anderen gelingen wollte, und wirst auch hier einen Weg finden, der zum Ziele führt.“

„Leider muß ich das bezweifeln, doch wollen wir nichts unversucht lassen. Kommt mit mir nach dem Garten!“

Wir gingen hinaus, und ich durchsuchte jeden Winkel; ich betrachtete jeden Strauch, jeden Mauerstein auf das genaueste, doch umsonst; es war inzwischen zuviel Zeit vergangen.

„Wir können gar nichts anderes als eine Entführung annehmen“, sagte ich. „Deine Tochter ist über die Mauer geholt worden; aber heut, nach sechs Tagen, ist keine Spur mehr von ihr vorhanden. Ich zweifle gar nicht daran, daß irgendein Zeichen zu entdecken gewesen wäre; das aber ist durch die Leute des Pascha verwischt und unkenntlich gemacht worden. Sie verstehen sich nicht darauf. Nimmst du auch eine Entführung an?“

„Ja.“

„Und hast du keinen Verdacht?“

„Ich habe einen.“

„Welchen?“

„Der Pascha hat mir verboten, davon zu sprechen, weil ich dadurch leicht alles verderben kann; dir jedoch darf ich mein Vertrauen schenken, denn du bist verschwiegen. Es gibt nämlich einen, der meine Tochter zu seinem Weib machen wollte.“

„Ah! Wer ist das?“

„Ein Gharib (Fremder), der mein Gast war und mir die Gastfreundschaft dadurch vergalt, daß er mir das Herz meines Kindes entfremdete.“

„Entfremdete? So ist es ihm gelungen, sich die Zuneigung Rahels zu erwerben?“

„Ja. Ich wies ihm die Tür. Ehe er mein Haus verließ, gelang es ihm, Rahel zu beruhigen und sie zu überzeugen daß sie trotzdem sein Weib sein werde. Daher war sie später heiter und grämte sich nicht. Sie hatte sogar den Mut, später sehr oft mit mir von ihm zu sprechen.“

„Verließ er Mursuk gleich?“

„O nein, sondern er zog zu einem Mameluken, bei dem er noch mehrere Wochen wohnte.“

Ich mußte unwillkürlich an Forster denken und fragte:

„Wie heißt der Mameluk?“

„Alaf.“

„Ah! Und der Fremde?“

„Er nannte sich Forster und war aus dem Bilad Amirika.“

„Maschallah! Also der!“ rief ich aus.

„Kennst du ihn?“ erkundigte er sich schnell.

Ehe ich antworten konnte, kam ein Schwarzer in den Garten und meldete seinem Herrn, daß er schnell zu dem Pascha kommen solle, der ihm Wichtiges mitzuteilen habe.

„Da gehst du mit, Effendi!“ forderte mich Manasse auf. „Du mußt es mit hören und dann mit beraten.“

Zehn Minuten später standen wir vor dem höchsten Beamten des Padischah. Er teilte dem Juden mit, daß der Entführer ergriffen sei, und auf ein Zeichen von ihm brachte man den Missetäter gefesselt hereingeführt. Man denke sich mein Erstaunen, da es kein anderer als – Forster war!

Dieser befand sich in einem Zustand größter Aufregung. Als er mich erblickte, zerrte er an seinen Fesseln und rief mir in deutscher Sprache zu:

„Welch ein Glück, daß Sie da sind! Denken Sie sich: Kaum bin ich bei meinem Wirt abgestiegen, so schickt dieser Kerl fort, und es kommen Soldaten, die mich arretieren! Ich soll Rahel, die Tochter Manasses, heimlich entführt haben.“

„Ich weiß es. Sie lieben dieses Mädchen?“

„Ja. Ich habe es Ihnen verschwiegen, bin aber jetzt gezwungen, es Ihnen zu gestehen. Ist sie wirklich fort?“

„Ja.“

„Wohin?“

„Das weiß man nicht.“

„Alle Teufel! Machen Sie mich von diesen Fesseln frei und ich werde sofort beginnen, ganz Tripolis zu durchstöbern und nicht eher ruhen, als bis ich sie gefunden habe!“

Es wurde mir nicht schwer, seine stürmische Bitte zu erfüllen, denn ich konnte bezeugen, daß er sich am Tag der Entführung weit weg von hier und bei mir befunden hatte. Dem Pascha war es freilich nicht angenehm, zu hören, auf was für einem Irrweg er sich befunden hatte. Forster zürnte natürlich dem Vater seiner Geliebten, der daran schuld war, und dieser konnte nicht umhin, ihn um Verzeihung zu bitten, und so kam es, daß beide sich versöhnten, noch ehe sie die Residenz des Pascha verlassen hatten.

Nun waren wir gerade- und genauso klug wie vorher und kehrten nach Manasses Wohnung zurück, um zu beraten. Wir sannen hin und sannen her und strengten allen unseren Scharfsinn an, kamen aber zu keinem Resultat, bis Forster Manasse fragte: „Gibt es hier in Mursuk jemand, der sie zu besitzen begehrte? Vielleicht ist sie noch hier in der Stadt verborgen.“

„Ich wüßte keinen.“

„Gab es auch sonst keinen Bewerber, meinen Freund hier ausgenommen?“ erkundigte ich mich.

„Nein, denn den Tedetu darf ich nicht als einen solchen betrachten.“

„Der Tedetu? Wer ist das?“

„Ein Anführer der Tibbu, welcher früher in Geschäften einige Male bei mir war.“

„Was! Hieß der Mensch Tahaf?“

„Ja, du kennst ihn, Effendi?“

„Ja. Sag schnell, wann er zum letzten Mal bei dir war! Es ist von großer Wichtigkeit.“

„Am Tag, bevor mein Kind verschwand.“

„Ah! Was wollte er bei dir?“

„Er wollte mit mir von dir sprechen.“

„Von mir? Was? Und das sagst du mir erst jetzt!“

„Ich wollte es ganz verschweigen, weil ich glaubte, dich damit beleidigen zu können.“

„Mich beleidigen? Was war es denn?“

„Er hielt dich für den Asik (Geliebter, Verlobter) meiner Tochter.“

„Mich? Wie kam er auf diesen sonderbaren Gedanken?“

„Er hatte es von dem Wirt der Karawanserei gehört.“

„Und glaubte es?“

„Ja. Darf ich ganz aufrichtig mit dir sein, Effendi, da es sich um eine so wichtige Sache handelt?“

„Ich fordere es sogar von dir!“

„Du bist volle fünf Wochen mein Gast gewesen, und meine Dienerschaft hat erzählt, wie gut und freundlich du gegen Rahel warst.“

„Und da hat man mich für ihren Verlobten gehalten?“

„Ja, doch ohne daß ich es ahnte. Du verzeihst es doch?“

„Ich habe nichts zu verzeihen. Sag' mir vor allen Dingen, in welcher Beziehung du zu dem Tedetu Tahaf standest!“

„Ich hatte einige Male Tauschgeschäfte mit ihm. Ich war der Ansicht, daß er so ein wenig Räuber sei, da aber die Tibbu alle den Raub für keine Schande und kein Verbrechen halten, so ging es mich nichts an.“

„War er bei seinen geschäftlichen Besuchen vielleicht stets nur kurze Zeit bei dir?“

„Nein, sondern er war stets mein Gast.“

„Auch des Nachts?“

„Ja.“

„So kannte er wohl Rahels Gewohnheit, des Abends in den Garten zu gehen?“

„Ja; er hat sie dahin begleitet und mit ihr gesprochen, doch nur in meiner Gegenwart.“

„Sie hat ihm gefallen?“

„So sehr, daß er sie zur Frau begehrte.“

„Er, der Mohammedaner?“

„Die Tibbu sagen, daß das Weib keine Seele habe; eine Frau kann nicht in das Paradies gelangen; darum ist es gleichgültig, ob sie an Mohammed glaubt oder nicht.“

„Du hast ihn natürlich abgewiesen?“

„Ja.“

„Erregte das nicht seinen Zorn, seine Rache?“

„Er ließ sich nichts merken, kam aber dann nicht mehr zu mir. Bei seinem Besuch in voriger Woche habe ich ihn seitdem zum ersten Mal wiedergesehen.“

„War er denn nicht leidend?“

„Er trug den rechten Arm in der Binde und sah aus wie ein Mensch, welcher krank gewesen ist.“

„Ah! Er muß eine sehr starke Natur besitzen, da er trotz seiner Verwundung direkt und ohne längeres Ausruhen nach Mursuk geritten ist.“

„Du weißt, daß er verwundet ist?“

„Ja; wir werden es dir erzählen. Zunächst aber möchte ich wissen, auf welche Weise er mich kennengelernt haben will. Das muß er dir doch gesagt haben, da er extra zu dir gekommen ist, um von mir zu reden.“

„Er begegnete dir in der Wüste und sagte dir, daß er nach Mursuk wolle; da gabst du ihm den Auftrag, zu mir zu gehen und mich von dir zu grüßen.“

„So! Du sagtest ihm, daß ich nicht Rahels Verlobter sei?“

„Ja, aber er glaubte es nicht.“

„Schön! So weiß ich nun, woran ich bin. Wir haben die Spur gefunden. Er hat deine Tochter geraubt.“

„Dieser – – – Tedetu?!!“

„Ja.“

„Allah! Denkst du das wirklich?“

„Ich glaube es nicht nur, sondern ich bin vollständig überzeugt davon. Er will sich rächen!“

„An mir?“

„An dir, weil du ihm Rahel abgeschlagen hast, und an mir, weil er von mir besiegt worden ist.“

„Von dir?“

„Ja; den verwundeten Arm, den du gesehen hast, hat er mir zu verdanken.“

„Wer hätte das gedacht! Wie ist das zugegangen?“

Ich erzählte es ihm und fügte, als ich fertig war, hinzu:

„Ich behaupte also, daß er der Räuber deiner Tochter ist und denke, daß du mir recht geben wirst.“

„Unrecht kann ich dir freilich nicht geben, aber ein Beweis ist noch nicht vorhanden.“

„Den werden wir sogleich holen.“

„Wo?“

„Bei dem Wirt der Karawanserei, von dem du vorhin gesprochen hast.“

„Meinst du etwa, daß er diesem etwas von seinem Vorhaben mitgeteilt hat?“

„Nein, das ist ihm gewiß nicht eingefallen.“

„So kann er nichts beweisen!“

„Warte es ab! Ich habe dir doch erzählt, daß die Tibbu als Pilger nach Kaïrwan wollen.“

„Allerdings; aber ich denke, daß sie diesen Vorsatz jetzt aufgegeben haben werden.“

„Aus welchem Grund?“

„Wegen meiner Tochter.“

„Gewiß nicht!“

„O doch! Sie können eine Gefangene nicht so viele Tagereisen mit sich nach Kaïrwan schleppen, sondern sie haben sie nach ihrem Duar gebracht.“

„Das glaube ich nicht. Wo ist Tahafs Duar?“

„Wer weiß es! Er sagte einmal, daß er gar keinen festen Wohnsitz habe.“

„Ich bin überzeugt, daß er da die Wahrheit gesprochen hat. Er ist ein Räuber; er lebt nur vom Raub und darf also kein Duar haben, in welchem man ihn aufsuchen kann, um ihn zu bestrafen; es gibt also keinen Ort, wohin er deine Tochter schleppen kann, um sie zu verbergen; er muß sie bei sich behalten, sogar auf der jetzigen langen Reise.“

„Du denkst also, daß er doch noch nach Kaïrwan geht?“

„Ja. Ein Moslem, der einmal seine Pilgerreise angetreten hat, führt sie auch aus, denn nach seiner Ansicht würde er sich sonst den Zorn Allahs zuziehen.“

„Effendi, indem du dies behauptest, machst du mir das Herz noch viel schwerer, als es vorhin schon war!“

„Warum?“

„Weil, wenn du recht haben solltest, mein Kind für immer für mich verloren ist.“

„Das sehe ich nicht ein.“

„Er wird Rahel zwingen, sein Weib zu werden.“

„Das geht nicht so schnell.“

„O doch! Was kann so ein schwaches Mädchen gegen einen solchen Menschen tun?“

„Sich auf die Satzungen des Islam verlassen.“

„Ich verstehe dich nicht. Meinst du, daß diese Satzungen Rahel retten können?“

„Ja, und ich habe allen Grund, dies zu denken. Ich gebe zu, daß dem Tedetu deine schöne Tochter am Herzen liegt; noch größeres Verlangen aber wird er nach deinem Geld tragen.“

„Das heißt, er wird ein Lösegeld von mir verlangen?“

„Ja.“

„Und mir das Kind dann zurückgeben?“

„Möglich. Ebenso und noch weit mehr möglich aber ist ein anderer Fall.“

„Welcher?“

„Daß er danach trachtet, in den Besitz beider zugleich zu gelangen, nämlich deines Kindes und deines Geldes!“

„Wie will er das anfangen?“

„Er heiratet Rahel auf rechtmäßige Weise vor dem Kadi und ist als ihr Mann dann dein Erbe.“

„Das wäre schrecklich für mein Kind; aber er bekäme mein Geld nicht, denn ich würde ihn enterben.“

„Er würde dafür sorgen, daß du das nicht könntest. Wenn er sie zwingt, Mohammedanerin zu werden, so kannst du sie nach hiesigen Gesetzen nicht enterben, weil du ein Jude bist; er könnte es sogar so weit bringen, dein Vermögen sofort unter seine Aufsicht zu bekommen.“

„Allah! Das ist wahr!“ rief er erschrocken aus. „Ein Jude ist hier ohne allen Schutz. Schrecklich – schrecklich!“

„Beruhige dich! Ich bin zwar vollständig überzeugt, daß er keinen anderen Plan als gerade diesen hat; aber die Ausführung desselben wird ihm schwer werden. Er wird Rahel mit nach Kaïrwan nehmen, weil er sie dort am sichersten zwingen kann, Mohammedanerin zu werden, denn als Jüdin ist sie dort dem Tod verfallen; das erfordert aber Zeit, und bis diese vergeht, findet sich Gelegenheit, das Kind zu befreien.“

„Auf welche Weise?“

„Man muß nach Kaïrwan reisen und Rahel heimlich von dort fortschaffen.“

Er starrte mich eine ganze Minute lang wie sprachlos an und rief dann erschrocken aus:

„Da ist man ja verloren! Kein Andersgläubiger darf diese lebensgefährliche Stadt betreten!“

Da fuhr Forster ihn zornig an:

„Liebst du deine Tochter? Ich, dem du sie versagt hast, bin bereit, sofort hinzugehen, um sie zu retten!“

„Gemach!“ beruhigte ich ihn. „Noch weiß man nicht, was geschehen wird. Wir haben noch Erkundigungen einzuziehen.“

„Bei wem?“

„In der Karawanserei und sodann auf dem Wege nach Norden, um zu erfahren, ob die Tibbu diese Richtung eingeschlagen haben und Rahel mit sich führen.“

„So wollen wir das gleich tun und ja keine Zeit verlieren! Wo ist das Serail?“

Manasse führte uns hin. Wir erfuhren von dem Wirt, daß Tahaf allerdings bei ihm gewesen und da erfahren hatte, daß die schöne Jüdin, die ‚Rose von Sokna‘, für mich bestimmt sei. Das wußten wir schon. Viel wichtiger war uns die Nachricht, daß er einen Tachterwahn (Kamelsänfte) gekauft hatte. Dieser Umstand gab uns die Gewißheit, daß er es ohne allen Zweifel war, welcher Rahel geraubt hatte; der Tachterwahn war für sie bestimmt.

Nun galt es noch, zu erfahren, ob seine Leute alle bei ihm waren und welche Richtung er eingeschlagen hatte. Dazu paßte Manasse nicht. Er mußte mir und Forster zwei gute Reitkamele verschaffen, und am nächsten Tag verließen wir beide Mursuk, um nordwärts gegen Jeded zu reiten.

Am ersten Tag begegnete uns kein Mensch und erst am zweiten Tag gegen Abend trafen wir auf eine kleine Karawane, welche sich eben zur Ruhe gelagert hatte. Diese Leute hatten nun allerdings einen Reitertrupp von gegen zwanzig Tibbu gesehen, deren Anführer am rechten Arm verwundet gewesen war; eines ihrer Kamele hatte eine dicht verhangene Frauensänfte getragen.

Wir wußten nun genug und lagerten uns bei dieser Karawane, um mit Tagesgrauen unsere Rückkehr nach Mursuk anzutreten. Ich schlief bald ein; Forster aber fand keine Ruhe. Die bange Sorge um die Geliebte scheuchte den Schlaf von ihm; er wäre am liebsten den Tibbu jetzt gleich nachgeritten. Kaum hellte sich der östliche Horizont, so weckte er mich auf. Auch die anderen erwachten und rüsteten sich zum Aufbruch.

Da sahen wir im Süden von uns, also in der Richtung von Mursuk her, einen Kamelreiter erscheinen, der es sehr eilig zu haben schien. Noch waren wir nicht auf unsere Tiere gestiegen. Er kam uns schnell näher, und da sahen wir, daß es ein Tedetu war.

„Alle Teufel, den kenne ich! Er gehörte zu Tahafs Leuten“, sagte Forster. „Erkennen Sie ihn nicht auch?“

„Ja“, antwortete ich. „Er kommt von Mursuk.“

„Was mag er dort zu schaffen gehabt haben?“

„Ob er die Aufgabe hatte, Manasse Ben Aharab die Bedingungen Tahafs zu überbringen? Möglich!“

Jetzt war der Mann nur wenige Kamellängen von uns entfernt.

Sein Auge fiel auf mich.

„Maschallah, der Giaur!“ rief er aus, indem er sein Kamel anhielt. „Allah sei gelobt, daß ich dich treffe, du Hund! Hier ist der Lohn, der dir gehört!“

Er riß seine lange Flinte empor, um auf mich zu schießen; ein Schuß krachte, doch nicht der seinige, denn Forster war schneller als er und hatte ihm eine Kugel in den Kopf gejagt. Der Tedetu wankte hin und her und stürzte dann aus dem hohen Sattel auf die Erde herab; er war eine Leiche.

Dergleichen Vorkommnisse sind nichts besonderes in der Wüste; der Kerl hatte mich töten wollen und war dafür von meinem Begleiter erschossen worden; das erschien den Beduinen, bei denen wir gelagert hatten, als etwas so ganz und gar Selbstverständliches, daß sie kein Wort darüber verloren. Wir untersuchten die Taschen des Tedetu, ob er etwas für uns wichtiges bei sich hatte, fanden aber nichts. Wir ließen ihn liegen und nahmen, als wir dann fortritten, sein Kamel als die uns zugehörige Beute mit nach Mursuk.

Dort erwartete uns eine sehr große und zugleich sehr traurige Überraschung.

Manasse Ben Aharab war mir ein lieber Gastfreund gewesen, aber seine Liebe zu seiner Tochter hatte immer so etwas Ungewisses, Ängstliches an sich gehabt; es war mir manchmal so vorgekommen, als ob er seiner Sache mit diesem Kind nicht recht sicher sei. Und Rahel hatte ihn lieb gehabt, ja; aber es war eine ganz eigentümliche Zuneigung gewesen. Oder mußte man sich nicht wundern, daß sie mit ihm so unbefangen über den Geliebten gesprochen hatte, der von ihm doch abgewiesen worden war? Das Verhältnis zwischen Vater und Tochter hatte für mich etwas Geheimnisvolles gehabt. Jetzt sollte dieses Rätsel gelöst werden, und zwar in einer Weise, die ich nicht für möglich gehalten hätte.

Als wir bei dem Haus Manasses ankamen, stand das Tor offen, so daß wir mit dem ersten Blick die Klageweiber sehen konnten, welche im Hof saßen und, ihre Köpfe mit Asche bestreut, leise, dumpfe Laute ausstießen. Es mußte sich ein Sterbender im Haus befinden. Ich eilte in die Küche. Da saß Rebekka weinend auf der Erde. Als sie mich erblickte, schluchzte sie:

„Oh, Effendina, was ist geschehen! Der Herr will sterben. Die Atibba (Ärzte) sind bei ihm, um ihm die letzte Arznei zu geben, und auch die Schuhuhd (Zeugen), um den Wasija (Letzten Willen) niederzuschreiben.“

„Allah jarhamkum – Gott erbarmt sich Euer! Was ist denn geschehen, Rebekka?“

„Es kam einer von den Tibbu und begehrte, mit dem Herrn zu sprechen. Schon nach kurzer Zeit ging er wieder fort und da fanden wir den Herrn in seinem Blut liegen.“

„Der Tedetu hatte ihn verwundet?“

„Ja, er hat ihn erstechen wollen.“

„Warum?“

„Der Herr hat es dem Pascha erzählt, welcher bald darauf kam. Der Tedetu hat eine Unterschrift verlangt, daß Rahel, mein Liebling, in Kaïrwan Mohammedanerin werden dürfe. Der Herr hat es verweigert und dafür den Stich erhalten. Er wurde verbunden, muß aber sterben. Er liegt seit der Zeit still und kann nur wenig und ganz leise sprechen; er hat nur immer nach Euch verlangt.“

„Welch ein Unglück! Wo liegt er? Führe uns zu ihm!“

Sie gehorchte dieser Aufforderung. Als wir eintraten und mein Blick auf Manasse fiel, sah ich sofort, daß wir zu spät kamen; er war tot; er hatte soeben zum letzten Mal geatmet. Am Fuß des Lagers kauerten die zwei Quacksalber, die sich Ärzte nannten. Zu Häupten desselben saß ein Beamter mit den drei Zeugen. Er sah uns forschend an, stand langsam und würdevoll auf und fragte:

„Bist du der fremde Kara Ben Nemsi Effendi, von dem dieser Tote mit mir gesprochen hat?“

„Ja“, antwortete ich.

„Und dein Gefährte ist der Mann aus Amerika?“

„Ja.“

„So habe ich euch vor diesen Zeugen etwas zu eröffnen.“

Er winkte den Ärzten; sie entfernten sich, dann fuhr er fort:

„Die Tochter dieses Toten ist nicht seine Tochter; sie ist auch keine Jüdin, sondern eine Christin.“

Welch eine Überraschung! Ich ließ einen Ausruf des Erstaunens hören, worauf er erwiderte:

„Dieser Tote hat im Sterben ein Bekenntnis abgelegt. Er kam als armer Händler nach Dschidda, welches vor Mekka, der Stadt der Propheten, liegt. Dort forderte el Haua el Asfar (Cholera) das Leben vieler Menschen. Manasse Ben Aharab sah auf der Gasse einen Sterbenden mit einem schönen, kleinen Mädchen liegen. Der Sterbende rief ihn zu sich und sagte ihm, daß er ein Nauti (Matrose) aus dem Bilad Fransa (Frankreich) sei, das Kind aber sei das Enkelchen eines berühmten Raïs (Kapitän), welches er nach dem Bilad Fransa bringen solle, nun aber nicht bringen könne, weil er hier vom Tod überfallen worden sei. Er bat ihn, das Enkelchen nach Suez zum Konsul zu schaffen, und gab ihm ein Gezdahn (Brieftasche), welches dem Kind gehörte. In demselben waren große Geldscheine und einige Papiere in fremder Sprache. Der Nauti starb nach wenigen Minuten; Manasse nahm das Kind und dessen Eigentum. Er wollte ehrlich sein; aber die Geldscheine siegten über sein Gewissen. Er behielt sie und das Kind und vernichtete die fremden Papiere. In Kairo ließ er sich Gold für die Scheine geben und ging dann mit dem Enkelchen des berühmten Raïs erst nach Tunis und dann gar hierher nach Mursuk, weil er glaubte, in dieser abgeschiedenen Gegend könne das, was er getan hatte, nicht entdeckt werden. Er war dem Enkelchen ein guter Vater, konnte aber nie vergessen, daß er es betrogen hatte. Da nahte plötzlich der Tod, und er ließ mich kommen, um mir dies mitzuteilen. Sein Testament liegt hier in meiner Hand; sein Vermögen gehört der Enkelin des berühmten Raïs, welche die Frau des Mannes aus Amerika werden soll.“

Er hielt inne, wir beide standen starr. Endlich fragte ich:

„Woher weißt du, daß sie eine Christin ist?“

„Der sterbende Nauti hat es gesagt.“

„Wie hieß ihr Großvater, der berühmte Raïs?“

„Niemand weiß es, denn Manasse hat die Papiere vernichtet, die er nicht lesen konnte.“

„Wer wird Vollstrecker dieses Testamentes sein?“

„Der Pascha selbst. Ihr müßt euch an ihn wenden. Manasse Ben Aharab hat noch von einem Higab (Amulett) gesprochen, welches Rahel am Hals hängen hat. Sie soll es öffnen, um zu sehen, was sich in demselben befindet. Ich gehe jetzt zum Pascha, um ihm dies alles zu melden und ihm das Testament zu überreichen. Er wird euch kommen lassen, um mit euch zu sprechen.“

Er entfernte sich mit den drei Zeugen, und wir waren nun allein mit dem Toten, den wir für den Vater Rahels gehalten hatten. Wie hatte er sich an ihr vergangen! Er hatte sie und ihr Vermögen den fernen Angehörigen entzogen. Wer waren diese, und wo wohnten sie? In Frankreich? Wer war ihr Großvater, der ‚berühmte Kapitän‘, gewesen, und wie war sie in die Obhut eines gewöhnlichen Matrosen gekommen? Ob das Amulett wohl diese Fragen zu beantworten vermochte?

Nun war es sicher, daß sie nach Kaïrwan geschleppt wurde. Sie mußte befreit werden. Forster beteuerte, sein Leben tausendmal daran zu wagen, traute sich aber nicht die dazu nötigen Erfahrungen zu. Hier an der Leiche bat er mich, ihn ja nicht zu verlassen, und ich versprach ihm, mit nach Kaïrwan zu gehen, obgleich dadurch mein ursprünglicher Reiseplan vollständig umgestoßen wurde.

Er wäre am liebsten sofort aufgebrochen, denn er hatte große Angst um die Geliebte. Aber wir mußten Manasse Ben Aharab begraben. Und dann galt es, das Erbe Rahels sicherzustellen. Forster brauchte es nicht, denn er war ein steinreicher Mann; aber er hielt es für seine Pflicht, das Eigentum der Geliebten ihr möglichst zu erhalten, und ich bestärkte ihn darin. Natürlich floß ein beträchtlicher Teil desselben in den Säckel des Pascha und in andere Taschen, und es wäre wohl ganz und gar zu Wasser geworden, wenn die Blutegel in Mursuk nicht doch Respekt vor dem amerikanischen Konsul in Tripolis gehabt und die Befürchtung gehegt hätten, später alles und noch mehr wieder herausgeben zu müssen.

Es dauerte lange, sehr lange, bis das alles geordnet war und wir abreisen konnten. Wir mußten nach Tripolis. Das ist ein weiter Weg. Dr. Nachtigall hat siebenunddreißig Tage zugebracht, um diesen gefährlichen Weg zurückzulegen. Bei uns ging es zwar schneller, denn Forster war reich genug, für diesen Ritt die besten Reitkamele zu kaufen, für seine Sehnsucht nach Rahel aber doch nicht schnell genug.

Dann, als wir in Tripolis angekommen waren, gab es verschiedene Konferenzen mit dem Konsul und der türkischen Behörde, welche das Erbe nicht aus dem Land gehen lassen wollte und es einstweilen mit Beschlag belegte, und zwar mit vollem Recht, weil die Erbin nicht zugegen war, sondern erst aus den Händen der Tibbu befreit werden mußte.

Und als dies in Ordnung war, konnten wir unmöglich daran denken, zu Land nach Kaïrwan zu gehen, denn das wäre ein monatelanger Ritt gewesen; wir mußten uns für den Wasserweg entscheiden. Und da gab es kein Schiff, mit welchem wir nach Susa kommen konnten. Die englischen und französischen Schiffe legten nur in Sfax an, und so waren wir schließlich froh, als wir ein schmutziges, tunesisches Fahrzeug von ungefähr hundert Registertonnen entdeckten, dessen Kapitän bereit war, uns in Susa abzusetzen.

Da uns, wenn wir als Nichtmohammedaner erkannt wurden, in Kaïrwan der sichere Tod erwartete, so mußten wir schon vorher verheimlichen, wer wir waren. Darum stellten wir uns dem Kapitän als ägyptische Offiziere vor, welche tunesische Zuchtpferde kaufen und bei dieser Gelegenheit die heilige Stadt besuchen wollten. Er war selbst auch dort gewesen und beschrieb sie uns während der Überfahrt in der Weise, daß wir uns für wenigstens einigermaßen unterrichtet halten durften. Hinreichend war dies freilich nicht.

Die Seefahrt war außerordentlich langweilig, ging aber glücklich vorüber. Das ruinenhafte Susa konnte uns nur solange halten, als nötig war, uns Pferde zu kaufen, da wir die Kamele in Tripolis veräußert hatten; dann ging es weiter, dem Bahir Sihdi Krador zu.

Kaïrwan, oder, wie es auch ausgesprochen wird, Keruan, liegt an der Stelle des alten Vicus Augusti in einer sumpfigen Ebene, in welcher das Auge keinen einzigen Baum erblickt; höchstens daß hier oder da einmal ein einsamer kahler Strauch erscheint, dessen junge Triebe von den Tieren abgefressen worden sind. Der Ritt durch diese Gegend ist kein anregender, und so waren wir froh, als wir gegen Abend des zweiten Tages die Nähe der Stadt erreichten.

Wenn ich sage froh, so bezieht sich das freilich nicht auf unsere gegenwärtige innere Grundstimmung, die wir mit den Worten froh nicht bezeichnen konnten. Die Gefahren, vor denen wir jetzt standen, waren so groß, daß wir einander im Gegenteil sehr ernst in die Augen blickten, als wir die ersten Häuser des heiligen Ortes vor uns liegen sahen. Der Anblick, den sie uns boten, war aber kein heiliger, sondern ein sehr profaner. Es mochte hier einmal eine Umwallung vorhanden gewesen sein; jetzt lag sie in Trümmern, auf welchen Gestrüpp und Unkraut wucherte.

„Hinein werden wir kommen“, meinte ich; „wie und wann aber werden wir wieder herauskommen!“

„Tot oder lebendig, eins von beiden“, antwortete Forster. „Die Hauptfrage für mich ist, ob Rahel sich in diesem heiligen Nest befindet.“

„Ich bin überzeugt, daß sie da ist.“

„Aber wo?“

„Das werden wir erfahren.“

„Von wem?“ fragte er weiter und machte dabei ein Gesicht, als ob er sein Haupt schon jetzt dem Henker überliefern müsse.

„Nicht so triste, Mr. Forster! Wer etwas mit frohem Mut beginnt, der kommt viel leichter, schneller und sicherer an das Ziel, als derjenige, der zu ängstlich ist.“

„Angst ist es nicht, aber Sorge. Wenn uns einer von den Tibbu sieht, werden wir förmlich zerrissen.“

„Wir brauchen uns doch nicht so zur Schau zu stellen, daß uns jedermann sehen muß!“

„Und wo bleiben wir? In einem feinen Hotel oder in einer Herberge für Handwerksburschen?“

„Wenn es beides gäbe, ja, ja! Es gibt wohl Menazil (Plural von Menzil – Gasthaus), aber die müssen wir vermeiden, weil da jedermann verkehren kann. Wir suchen einen Ort auf, wo nur bevorzugte Leute Zutritt haben.“

„Welcher Ort wäre das?“

„Sie vergessen, daß wir jetzt ägyptische Offiziere sind und daß in dieser guten, heiligen Stadt es eine Chassa esch schanuf zur Aufrechterhaltung der Ordnung und zur Bewachung der Moschee gibt.“

„Eine Ehrengarde? Das ist wahr. Aber, Sie wollen doch nicht etwa so verwegen, so tollkühn sein –?!“

„Natürlich will ich das. Je größer die Kühnheit, desto kleiner die Gefahr. Wir stellen uns den Herren Offizieren dieser Garde vor.“

„Ein Gedanke, der beinahe an Wahnsinn grenzt!“

„Aber er ist nicht übel. Haben Sie Vertrauen zu ihm!“

„Meinetwegen; tun Sie, was Sie wollen!“

„Und Sie tun mit?“

„Ja; ich kann doch nicht anders.“

„Gut! Kommen Sie!“

Ich muß bemerken, daß wir uns ganz wie fromme Muselmänner trugen; sogar Gebetsteppiche hatten wir mit; alles Europäische, besonders die Revolver, mußten wir verbergen. Die Sonne war im Untergehen, und eben bogen wir in die zweite Straße ein, da ertönte der Klang des Glockenbrettes, und der Munddin rief vom hohen Minareh herab:

„Hai alas salah, hai alai felah; es salah cher min en nom; Allah akbar; la ilaha il Allah – auf zum Gebet, auf zum Heil; das Gebet ist besser als der Schlaf; Gott ist groß; es gibt keinen Gott außer Gott!“

Alle auf der Straße befindlichen Menschen knieten augenblicklich nieder, um zu beten. Wir hielten an, sprangen von den Pferden, breiteten die Teppiche aus und ahmten die vorgeschriebenen Bewegungen nach. Unweit von uns betete ein alter Soldat; ich behielt ihn im Auge, und als die Zeremonie vorüber war, rief ich ihn herbei, stieg wieder in den Sattel und fragte ihn:

„Du weißt, wo der Kommandant der Chassa esch scharuf wohnt?“

„Ja, Herr“, antwortete er.

„Wir sind Zubbat (Plural von Zabit – Offizier); führe uns zu ihm!“

Er kreuzte die Hände über die Brust, verbeugte sich und gehorchte dann. Es wurde schnell dunkel; wir brauchten keine Sorge zu haben, erkannt zu werden. Wir wurden durch mehrere Gassen bis in die Nähe der Okba-Moschee geführt. Dort ging es durch ein Tor in einen Hof, wo wir abstiegen. Der Soldat verschwand, und bald darauf kam ein martialisch dreinschauender Kolarasi (Hauptmann), der uns nach unseren Wünschen fragte. Ich nannte zwei beliebige Namen und sagte, daß wir ein Mir Alai und ein Rejjis tabur (Oberst und Major) des Vizekönigs von Ägypten seien und uns pflichtschuldig hier meldeten, um zu fragen, wo wir wohnen könnten. Er bat um ein wenig Geduld, entfernte sich, kam aber eher schnell wieder und erklärte:

„Der Muschir (Feldmarschall) hat eure Meldung mit Wohlgefallen entgegengenommen und läßt euch bitten, zu ihm zu kommen.“

Die Ehrengarde zählte hundert Mann; ihr Kommandant nannte sich Feldmarschall – echt orientalisch! Er war ein alter Degenknopf, der uns, auf einer Matte sitzend, empfing. Wir mußten uns zu ihm setzen und bekamen Kaffee und Tabakspfeifen. Er richtete eine Menge Fragen an uns, von denen eine immer dümmer als die andere war. Wir antworteten in bescheidener Weise und machten dadurch einen so guten Eindruck auf ihn, daß er uns einlud, seine Gäste zu sein und bei ihm zu wohnen, was wir natürlich annahmen. Er ließ alle seine ‚Offiziere‘ kommen, deren er auf seine hundert Mann nicht weniger als zwanzig hatte. Man aß kaltes Fleisch und unterhielt sich über militärische Fragen, doch in einer Weise, daß wir Mühe hatten, ernst zu bleiben. Das Wohlwollen der ‚Herren Kameraden‘ wuchs von Viertelstunde zu Viertelstunde, und jeder von ihnen versprach uns, uns beim Pferdeeinkaufe nach Kräften behilflich sein zu wollen. Wir mußten viel vom Khedive erzählen, auch von der Khediva Emineh, welche die schönste Frau von Ägypten sei, doch lange nicht so schön wie die Warda (Rose) von Kaïrwan. Als ich fragte, wer diese Warda sei, antwortete mir ein jüngerer Mülazim (Lieutenant) ganz begeistert:

„Sie ist erst vor kurzem aus Fezzan hier angekommen, eine Jüdin, die das Weib eines Tedetu werden soll, der sie zum Islam bekehren läßt, weil sie sonst sterben müßte. Sie geht nach der Art der dortigen Frauen nicht verschleiert, und jedermann kann die Wonne ihres Angesichtes trinken.“

In dieser Weise sprach er einige Zeit fort, und die anderen stimmten ihm bei; sie waren ebenso begeistert wie er. Wir sahen einander heimlich an. Da hatten wir ja schon, was wir wollten! Ich sorgte durch kurze Fragen dafür, daß das Gespräch so lange bei diesem Thema blieb, bis wir alles erfahren hatten. Rahel wohnte nicht etwa mit Tahaf zusammen, sondern bei dem Weib eines Molla (Priester, Lehrer), der ihr Unterricht im Islam erteilte. Tahaf kam nur zuweilen, um sich nach ihren Fortschritten zu erkundigen. Der Mülazim fügte lächelnd hinzu:

„Er hat sie nach der heiligen Stadt gebracht, um eine Moslemin aus ihr zu machen und sie dann als sein Weib wieder mitzunehmen; dies wird aber nicht geschehen. Sie ist unendlich schön und wird deshalb von jedermann die Warda, die Rose von Kaïrwan, genannt. Wenn sie rechtgläubig geworden ist, wird es hundert vornehme Männer hier geben, welche sie zu besitzen wünschen, und der häßliche Tedetu wird von ihr lassen müssen.“

Er ahnte nicht, daß der zukünftige Mann der Rose von Kaïrwan an meiner Seite saß. Es war sehr spät, als die Versammlung auseinanderging; dann führte uns der ‚Feldmarschall‘ höchst persönlich nach dem Zimmer, wo wir wohnen und schlafen sollten. Die ganze Einrichtung bestand aus einem in der Mitte liegenden Teppich und mehreren Kissen rund an den Wänden. Es läßt sich denken, wie befriedigt wir uns niederlegten. Von der großen Gefahr, in welche wir uns begeben hatten, war bis jetzt noch nichts zu spüren gewesen. Wenn es nicht schlimmer wurde, konnten wir zufrieden sein!

Am frühen Morgen führte uns der Mudir nach der großen Moschee. Dieses große Heiligtum war natürlich diejenige Sehenswürdigkeit, die wir zuerst aufsuchen mußten. Er führte uns überall herum und zeigte und erklärte uns alles. Hätte er geahnt, daß wir Christen waren!

Die sehr hohe und mit Türmen versehene Außenmauer ist geschmacklos und läßt den Glanz nicht vermuten, den sie umschließt. Die Moschee ist ein Meisterstück der arabischen Baukunst mit über dreihundert Granit-, Porphyr- und Marmorsäulen; sie hat zwanzig Türen und gegen hundert Kapellen; ihre Länge mag hundertfünfzig und ihre Breite hundertzwanzig Meter betragen. Leider konnten wir die Schönheit dieses Bauwerkes nicht genießen, denn es waren viele Menschen da, und wir befanden uns in immerwährender Sorge, daß ein Tedetu unter ihnen sein und uns verraten könne. Glücklicherweise war dies nicht der Fall. Auf dem kurzen Nachhauseweg kamen wir an einem offenen Tor vorüber; der Mudir deutete hinein und sagte zu unserer freudigen Überraschung:

„Da wohnt der Molla, bei dem sich die Rose von Kaïrwan befindet.“

„Wie heißt dieser fromme Mann?“ erkundigte ich mich in möglichst gleichgültigem Ton.

„Sein Ehrenname ist Abu Dijana (Vater der Frömmigkeit). Möchtest du ihn wohl kennenlernen?“

„Es würde meine Seele freuen, einen Allah so wohlgefälligen Gläubigen zu sehen.“

„Er ist mein Freund. Kommt mit herein! Es wird ihm wohltun, zwei so fromme Offiziere aus Misr (Ägypten) bei sich zu haben.“

Wir hatten großes, wirklich großes Glück. Wir trafen den Molla daheim; er war ein sehr ehrwürdiger Mann, mit dem wir wohl eine halbe Stunde sprachen. Von Rahel aber war nichts zu sehen und nichts zu hören. Wir durften von der Gunst des Glückes nicht zuviel verlangen.

Wieder daheim angekommen, nahm der Mudir uns mit in seine Wohnung, wo er beim wohlriechenden Tabaksrauch fragte, was wir in Beziehung auf unsere geschäftlichen Absichten zunächst zu tun gedächten. Er war selbstverständlich der Meinung, daß wir die Pferdekäufe im Auftrag des Khedive auszuführen hatten. Ich antwortete:

„Wenn ich mich nicht irre, weiden in der Gegend von Kaïrwan die Herden von zwei Stämmen, nämlich der Uëlad Krofila und der Uëlad Selass. Ist es so?“

„Ja, so ist es.“

„Welcher Stamm hat bessere Pferde?“

„Sie sind einander gleich; aber die Uëlad Selass sind uns näher, und ihr Scheik ist mir verpflichtet. Er würde euch sehr wohl beliefern. Wenn es euch recht ist, reite ich sehr gern mit euch hinaus.“

„Du würdest unseren Dank dadurch erhöhen.“

„Gut! Wann paßt es euch?“

„Sobald es dir gefällig ist.“

„So wollen wir es tun, wenn wir zu Mittag gegessen und geschlafen haben.“

Dieser Mann war wirklich höchst gefällig, und es tat mir im stillen leid, daß wir gezwungen waren, ihn zu täuschen. Als wir uns dann wieder in unserem eigenen Zimmer befanden, sprach Forster denselben Gedanken aus und fuhr dann fort:

„Wir können mit unseren bisherigen Erfolgen sehr zufrieden sein. Wir wissen, wo Rahel sich befindet. Wie aber kommen wir zu ihr, und wie bringen wir sie heraus?“

„Nichts leichter als das.“

„So? Also wie denn?“

„Davon später. Erst müssen wir Pferde haben.“

„Die haben wir doch!“

„Die jetzigen taugen nichts.“

„Bis Susa halten sie schon aus.“

„Bis Susa? Dahin kehren wir nicht zurück.“

„Nicht? Warum?“

„Weil wir da verloren wären.“

„Wieso?“

„Wir werden natürlich verfolgt. Können wir uns in Susa schnell genug auf ein Schiff retten?“

„Nein; das ist wahr! Es müßte ganz zufälligerweise gerade eines da sein.“

„Auch dann ist das Wagnis zu groß, denn wenn die Bemannung mohammedanisch ist, so liefert sie uns aus. Wir können nur auf dem Landweg fliehen, und zwar nach Sfax hinunter.“

„Da sind allerdings sehr gute Pferde nötig.“

„Die wir heut bei den Uëlad Selass kaufen.“

„Schon heut?“

„Ja und drei Sättel dazu.“

„Wir haben schon zwei.“

„Das ist so gut wie keiner. Wenn wir die ‚Rose‘ aus Kaïrwan entführen, so haben wir höchst wahrscheinlich keine Zeit, den Sattel von dem einen Pferd zu nehmen und ihn auf das andere zu schnallen; es ist vielmehr anzunehmen, daß wir um unser Leben reiten müssen. Es muß da alles klappen und vorbereitet sein. Auch einen Anzug müssen wir haben.“

„Für wen? Für Rahel wohl?“

„Natürlich! Kann sie mit uns in Frauenkleidern durch die Stadt gehen oder reiten?“

„Nein. Ich werde diesen Anzug sogleich besorgen; ich gehe nach dem Bazar der Kleiderhändler.“

„Wissen Sie, wo er ist?“

„Ich werde danach fragen.“

„Aber nehmen Sie sich in acht, damit Ihnen keiner von den Tibbu in den Weg kommt!“

Er führte auch das glücklich aus, denn er brachte schon nach kurzer Zeit einen vollständigen Anzug, welcher seiner ‚Rose‘ gewiß paßte; sie mußte in demselben wie ein hübscher vierzehnjähriger Knabe aussehen.

Nach dem Essen wurde eine kurze Mittagsruhe gehalten und dann ritten wir nach dem Lager der Uëlad Selass hinaus. Es begleiteten uns außer dem ‚Feldmarschall‘ noch mehrere Offiziere. Wir wurden gut aufgenommen und kauften drei windschnelle Pferde nebst vollständigem Sattelzeug, nahmen aber nichts mit nach der Stadt; die Tiere blieben draußen auf der Weide, und es wurde ausgemacht, daß wir sie abholen könnten, sobald wir sie brauchten.

Die ‚Herren Offiziere‘ waren außerordentlich kurzsichtig. Sie hätten sich doch fragen müssen, warum und wozu wir die drei Sättel brauchten; daß sie das nicht taten, ließ auf keinen großen Scharfsinn schließen. Aber ihre Klugheit sollte überhaupt auf keine lange Probe gestellt werden, denn die Entscheidung lag uns viel, viel näher, als wir beide dachten. Wir machten, als wir am Abend wieder allein beisammen saßen, verschiedene Pläne und wogen sie gegeneinander ab. Das war aber gar nicht nötig, denn die Frucht fiel ohne unser Zutun ganz von selbst vom Baum.

Wir wurden nämlich am nächsten Morgen von dem ‚Marschall‘ aufgefordert, mit ihm wieder die Moschee zu besuchen. Wir taten dies nicht gern, durften uns aber nicht weigern. In einem der Säulengänge trafen wir den Molla, welcher sich über diese Begegnung freute, uns die hervorragendsten Kapellen zeigte und uns dann einlud, ihn nach seiner Wohnung zu begleiten. Er hatte gestern bemerkt, daß ich in der mohammedanischen Literatur bewandert war, und wollte mir die selbstgefertigte Abschrift eines religiösen Werkes zeigen. Selbst wenn es möglich gewesen wäre, abzulehnen, hätten wir dies nicht getan, weil wir hofften, etwas über Rahel, die ‚Warda von Kaïrwan‘, zu erfahren. Wir gingen also mit.

Da saßen wir vier beisammen, der Molla, der Mudir, Forster und ich, und sprachen über das Buch; plötzlich ging die Tür auf, und wir sahen – – – Rahel, welche aus irgendeinem Grund bei dem ersteren eintreten wollte. Sie war zu jung und zu unerfahren, als daß sie sich hätte beherrschen und verstellen können, und ich sagte mir sofort, daß die Entscheidung gekommen sei.

Ich sprang auf, Forster ebenso. Rahel stand einige Augenblicke wie versteinert; dann schrie sie im hellen Entzücken auf:

„Mein Geliebter, mein Geliebter! Hamdullillah, ich bin gerettet! Ich bin erlöst! Du bist gekommen, wie ich dachte, und hast mich gefunden!“

Sie flog auf ihn zu und lag im nächsten Augenblicke an seiner Brust.

Die beiden Mohammedaner sprangen jetzt auch auf.

„Maschallah, sie kennen sich! Was ist das? Sie ist eine Jüdin und liegt in den Armen des Moslem!“ rief der ‚Feldmarschall‘.

„Sie, die Verlobte des Tedetu!“ fügte der Molla erstaunt hinzu. „Das ist Sünde; das darf nicht gelitten werden!“

Er wollte die beiden auseinanderreißen. Da stieß ihn das Mädchen, kräftig wie ein Mann, von sich und rief:

„Fort, du Peiniger! Du wurdest erkauft, mich zu martern, und ich konnte mich nicht wehren; nun aber sind meine Beschützer, meine Freunde da, diese beiden Christen, welche mich befreien werden und – – –“

„Christen – – – Christen – – –“ schrien der Molla und der Kommandant wie mit einer Stimme.

Sie starrten uns an; dann packte mich der letztere beim Arm und fragte mich:

„Sie nennt dich einen Christen! Soll ich das glauben? Ist das wahr? Sage es bei deiner Seligkeit, ob es wahr ist oder nicht?“

„Ja, wir sind Christen“, antwortete ich. Es fiel mir nicht ein, jetzt zu leugnen.

„Christen, Christen, Giaurs, räudige Hunde in der heiligen Stadt Kaïrwan! Sie sind mit in der Moschee gewesen und haben sie geschändet! Sie sollen zerrissen werden, wie man faules Fleisch zerreißt! Ich will –“

Er eilte nach der Tür, welche noch offenstand, und der Molla folgte ihm. Sie wollten hinausrufen; aber ich war noch schneller als sie, riß sie zurück und machte die Tür zu.

„Giaur!“ donnerte mich der ‚Marschall‘ an, und „Giaur!“ schrie auch der Molla.

Ich antwortete mit der Faust. Zwei Jagdhiebe an ihre Köpfe, und sie stürzten betäubt zu Boden.

„Schnell fort, fort, fort!“ sagte Forster, indem er die ‚Rose‘ bei der Hand ergriff, um sie fortzuziehen.

„Halt!“ warnte ich. „Keine Übereilung, sonst sind wir verloren! Rahel, kennst du die Straßen der Stadt?“

„Fast alle“, antwortete sie mit vor Aufregung fliegendem Atem.

„Auch das südliche Tor, welches nach den Weideplätzen der Uëlad Selass führt?“

„Ich kenne es.“

„Geh schnell zu diesem Tor und dann weiter fort, doch langsam, damit du kein Aufsehen erregest!“

„Warum – ich – ich –“ stotterte sie.

„Fort, fort! Wir dürfen keinen Augenblick verlieren, sonst gibt's kein Gelingen!“

Forster wollte eine Einwendung machen; aber ich schob das Mädchen hinaus und hielt ihn zurück. Es gab keine Riemen oder Stricke da; darum riß ich schnell den Turban des Molla in Stücke und band und knebelte ihn und den Kommandanten damit. Dann eilten wir fort, nach dem Haus des letzteren. Ich forderte Forster auf, alles, was uns gehörte, aus unserem Zimmer zu holen, und ging nach der hinteren Ecke des Hofes, wo unsere Pferde ein Unterkommen gefunden hatten; das Riemenzeug lag dabei, und ich machte mich ans Satteln. Soldaten sahen es und kamen herbei, einige Offiziere auch. Diese fragten mich, wohin ich so schnell wolle; ich gab ihnen ausweichende Antworten. Da kam Forster; er hatte alles in den Händen. Ich nahm meine beiden Gewehre und stieg aufs Pferd; er folgte diesem Beispiel; wir ritten fort! Jetzt mochten die Militärs ahnen, daß mit uns nicht alles in Ordnung sei. Laute Rufe erschallten hinter uns; wir achteten nicht darauf und ritten zum Tor hinaus, im Schritt; draußen aber begannen wir zu traben.

Wir kannten den Weg nach dem Südtor. Als wir die vierte und fünfte Gasse erreichten, sahen wir einen Menschenknäuel in derselben. Er kam uns entgegen. Forster stieß einen Schreckensruf aus und deutete darauf hin. Ich sah Tahaf, welcher Rahel unterwegs getroffen und zum Umkehren gezwungen hatte; es waren noch zwei Tibbu bei ihm. Rahel wehrte sich; das hatte den Auflauf erregt.

„Jagen Sie mitten durch die Menge und dann zum Tor hinaus!“ forderte ich Forster auf.

„Aber Rahel – meine Geliebte!“ antwortete er.

„Die bringe ich nach!“

„Die Tibbu halten sie fest!“

„Unsinn! Ich bin Old Shatterhand, wissen Sie! Gehorchen Sie! Vorwärts, schnell!“

Diese Worte wirkten; er jagte in den Menschenhaufen hinein und ritt mehrere Personen nieder. Tahaf erkannte ihn.

„Ein Christ, ein Christ!“ brüllte er, indem er vor Überraschung Rahel losließ.

Das benutzte ich und trieb mein Pferd zwischen ihn und sie. Da sah er auch mich und schrie:

„Zwei Christen, zwei Christen! Haltet sie! Tötet sie!“

Seine Tibbu stimmten ein. Ich bückte mich vom Pferd, faßte Rahel mit der rechten Hand, schwang sie zu mir herauf und jagte fort. Hinter mir ertönte ein wütendes Geheul, welches mir nun vollständig gleichgültig war. Mein Pferd flog die Straße hinab, durch die folgende auch und dann zum Tor hinaus. Dort ereilte ich Forster.

„Gott sei Dank; Sie haben sie!“ rief dieser.

„Keine Worte jetzt“, antwortete ich. „So schnell wie möglich zu den Uëlad Selass!“

Nach fünf Minuten war die Stadt hinter uns verschwunden. Eine Viertelstunde später sahen wir von weitem, rechts von uns, die erste Hammelherde der Selass. Ich ließ Rahel vom Pferd und gebot ihr:

„Geh weiter jetzt, immer geradeaus! In kurzer Zeit sind wir wieder bei dir!“

Sie gehorchte, und wir jagten nach dem Lager der Selass, um unsere Pferde zu verlangen. Sie weigerten sich nicht, sie uns zu geben, obgleich sie sich über unsere große Eile wunderten. Sie halfen uns sogar beim Satteln und erstaunten nicht wenig, als wir ihnen unsere alten Pferde schenkten, ehe wir auf den neuen fortritten.

Eine Viertelstunde, nachdem wir uns von der ‚Rose von Kaïrwan‘ getrennt hatten, waren wir wieder bei ihr; wir halfen ihr auf das dritte Pferd und jagten weiter, gerade noch zur rechten Zeit, denn wir sahen im Norden von uns eine Wolke von Reitern erscheinen. Erst zu Mittag hielten wir bei einem Gebüsch an, wo wir uns so viel Zeit nahmen, daß Rahel den Knabenanzug anlegen konnte. Wir waren gerettet. Das Glück der ‚Rose‘ und ihres Geliebten ‚aus dem Bilad Amirika‘ brauch ich nicht zu beschreiben.

Wir erreichten wohlbehalten Sfax, wo wir so glücklich waren, einen Dampfer der Societa Rubattino vorzufinden, der uns mit nach Tripolis nahm. Unterwegs erzählten wir Rahel von dem Tod Manasse Ben Aharabs und daß dieser nicht ihr Vater gewesen war. Sie weinte sehr, tröstete sich aber mit dem Glück, nun von dem Geliebten nicht wieder getrennt zu werden. Von den Tibbu war sie unterwegs zwar als Gefangene, aber sonst ganz erträglich behandelt worden. Wie freute sie sich, als mit einer Karawane ihre treue Rebekka aus Mursuk in Tripolis ankam! Das hatte Forster so veranstaltet. Die gute Seele ging mit dem jungen Paar gern hinüber nach dem ‚Bilad Amirika‘.

Und das Amulett?

‚Warda‘, die Rose, hatte es, so weit sie zurückdenken konnte, stets an einem Kettchen am Hals hängen gehabt. Es war ein rundum zugenähtes, kleines Lederetui. Als sie es aufschnitt, kam ein Medaillon zum Vorschein, welches einen schönen, charaktervollen Männerkopf in Miniaturmalerei enthielt. Wir konnten die kleine Platte herausnehmen; auf der Rückseite derselben las ich zu meiner Überraschung:

„Robert Surcouf, Paris 1804.“

War dieser der ‚berühmte Kapitän‘, von welchem der sterbende Matrose gesprochen hatte? Und wenn, in welcher Weise durfte sich dann Rahel seine Enkelin nennen? Es gab da eine ganze Reihe von Fragen, von denen keine mit Sicherheit zu beantworten war, denn es sind alle Nachforschungen vergeblich gewesen. Über eine Frage aber herrscht die vollständigste Klarheit, nämlich über die, ob die ‚Rose von Kaïrwan‘ glücklich geworden ist. Die Antwort besteht in einem Ja, gegen welches kein Zweifel erhoben werden kann. – – –