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Es brennt. Es brennt so sehr. BITTE! Laßt mich gehen! Nein. Es brennt! Nein!
Bitte! AaaAaaahhh. Bi-tt-e.
Etwas surrendes hängt im Halbdunkel über ihr. Sie weiß, daß es Schmerz bringen wird. Es surrt so hochfrequent, daß es eine Tätowierernadel sein könnte oder ein Zahnarztbohrer. Oder irgend etwas anderes. Sie will es nicht wissen. Doch! Sie muß. Sie muß es wissen!
Was--? Aaaaaaahhh. Verdammt. Nein.
Blut. Sie schmeckt Blut. Etwas bohrt sich in ihren Arm. Er ist fast völlig gefühllos durch den andauernden Schmerz. Sie merkt nur halb, wie die das drehende, brennende Ding in ihre Haut sticht, sich tief in ihr Fleisch bohrt, bis hinab an die Muskelstränge ihrer Arme. Sie will ohnmächtig werden. Wieder und wieder. Sie will es. Aber sie kann nicht. Irgend etwas hält sie wach.
Stimmen im Hintergrund. Sie will den Kopf zur Seite werfen und dorthin sehen, will Gesichter sehen; will wissen. Aber da ist nichts. Sie weiß es. Nichts außer Schmerz. Sie hat dorthin gesehen und ist bestraft worden. Ihre Stirn, ihre Stirn ist blutverschmiert. Sie haben irgend etwas mit ihrer Stirn gemacht. Verdammt. Verdammt.
Sie will um sich schlagen, will treten, will ihren nackten Körper bedecken, sich hochstemmen, sich freikämpfen.
Sie weiß, daß sie das nicht kann. Das ist die schlimmste Folter.
Sie liegt. Mehr kann sie nicht. Sie ist fixiert und will nicht wissen, womit. Etwas Warmes rinnt ihre Beine herunter. Es hat eine gewisse Viskosität, klebt, dickt ein und bildet einen schorfigen Rand dort, wo ihr Körper auf dem Tisch aufliegt: Blut.
Surrend bohrt sich das Gerät wieder in ihren Körper. Zwischen all der Taubheit flammt für einen Moment Schmerz auf. Schmerz! Das Brennen wird zu einem Ziehen, als jemand beginnt, sich an ihren Beinen zu schaffen zu machen. Bitte nur die Beine! Bitte nur die Beine! Nicht wieder dort; nicht dort unten. Nein!
Der Schmerz wird unerträglich, als eine Klinge die Haut an ihren Beinen quälend langsam in einem wirren Zickzackmuster ritzt. Sie schreit, sie läßt die ganze Wut, den ganzen Schmerz heraus und spürt mit einem Mal etwas an ihrer Kehle. Etwas hauchdünnes schneidet in ihre Haut ein, drückt ihr die Luft ab, läßt ihre Augen hervorquellen, läßt dann wieder nach, zieht sich wieder um die wunde Haut fest, wieder und wieder, tiefer und tiefer, bis sie schließlich reißt und warmes Blut an den Ränder des Drahtes herunterrinnt. Blut. Sie möchte lachen, doch der eisenharte Griff des Drahtes drückt ihr unbarmherzig die Luft ab. Röchelnd saugt sie in irren Stößen die wenige Luft ein, die durch die völlig zusammengepreßte Kehle dringen mag. Sie will weg, will loslassen, will sterben; ist frei.
Für einen Moment ist die Luft wieder da. In dem Chaos aus flirrenden Sternen, die vor ihren Augen tanzen, hört sie eine Frau schreien. Ihre Stimme ist seltsam verzerrt in der dumpfen Dunkelheit ihrer Ohren. Sie braucht lange, um zu bemerken, daß sie selbst schreit. Sie macht Laute, die sie noch nie von sich gehört hat.
Sie hört sich, wie sie Dinge sagt, die sie noch nie gesagt hat. Dinge, die so abartig und pervers sind, daß sie sie nicht wiederholen will.
Sie versteht nicht, warum sie das sagt, sie versteht sich selbst nicht mehr. Sie weiß nur, daß sie leben will. Überleben. Um jeden verdammten Preis.
In der Absurdität ihres Lebenskampfes nimmt das da unten plötzlich einen Platz ein, der überproportional ist.
Sie spürt den Druck einer Hand auf ihrer Brust, spürt, wie jemand auf ihr verzweifeltes Angebot eingehen will, macht die Beine breit, will nur noch hoffen, daß dieses letzte Bißchen Selbstaufgabe reicht und spürt, wie etwas eindringt. Sie hört sich schreien, sich keuchen, ächzen. Sie will weg, will den Schmerz nicht spüren; will, daß er – sie – es? - seine Hand von ihrer Brust nimmt. Sie will nicht, daß dort unten etwas passiert. Wie kommt sie darauf, daß ...
Eine Stimme ihrem Ohr säuselt, daß sie sich ihm hingeben soll. Sie säuselt, daß er es ihr dann leichter macht. Es ist eine Stimme, die so leise ist, daß sie unter all dem chaotischen Schmerz untergegangen ist.
Sie realisiert, daß sie sich selbst nicht aufgeben will, will ihn forttreten aus ihrem da unten, will weg, will einfach nur weg. Schreit, beißt, geifert. Spürt, wie etwas surrend und brennend in sie eindringt, wie es tief in ihr drin etwas zerreißt.
Und ist frei.
Sie läuft. Stolpert. Gleitet auf ihren blutigen Fußsohlen aus, zwingt sich den brennenden Schmerz an den Sohlen, ja, am ganzen Körper zu unterdrücken. Läuft, läuft, läuft. Hofft, daß sie nicht verblutet. Läuft weiter, weiter. Hört hinter sich etwas, das ihr nachzulaufen scheint; stürzt blind in die Dunkelheit eines Ganges. Berührt mit dem Arm die Wand und fällt schreiend zu Boden. Eine tiefe Wunde klafft dort, wo sie die Wand im Vorgeigehen berührt hat. Sie jault auf, verharrt für einen Moment in völliger Agonie auf den Knien und läßt sich dann von der Angst, daß er-sie-es? sie einholen könnte, weitertragen.
Im Vorbeilaufen, die Hände schmieren das krustende Blut aus ihren Augen, sieht sie, daß die Wände mit Nägeln, Widerhaken und kleinen Klingen bedeckt sind. Blut klebt daran und der schwere Geruch von geronnenem Blut hängt in der Luft.
Sie läuft und läuft, rutscht hin und wieder aus, stolpert weiter, hofft auf ein Ende. Ein verdammtes Ende in diesem Gang. Sie will zum verdammten Ende. Sie will raus, raus, raus.
Ihre Hand berührt die von dem Surrenden Etwas zerrissene Stirn, als sie nach einer Ewigkeit keuchend in einen Trab verfällt. Verdammt. Bitte nicht! Ihre Finger berühren die dünnen Linien einer schon verschorften Wunde, die ganz offensichtlich ein Symbol zeigt. Sie stellt sich vor, welches Symbol es ist, während ihre Finger darüber gleiten.
Kurz bevor sie es in all der Zerstörung erkennt, hört sie ein Geräusch hinter sich. Es ist ein Schreien; eigentlich weniger ein Schreien als ein Wimmern. Etwas, das in der Ferne verhallt.
Es reicht ihr, um auf die Beine zu kommen und weiter zu laufen. Sie will nicht mehr dorthin zurück. Nie wieder. Sie will nach vorne. Sie will an das Ende dieses verdammten Ganges. Ganz tief in ihr drin, da ist eine warme Stimme, die ihr sagt:
Geh weiter! Bleib nicht stehen!