NACHWORT
»Melusine«, »leichtsinnig«, »eine meisterhafte Politikerin«, »romantisch«, »kaltblütig und ehrgeizig«, »Leitstern der Troubadoure«
oder auch »wenig besser als eine Dirne« - all das hat man Eleonore von Aquitanien im Laufe der Zeit genannt. Schon während ihres Lebens bildeten sich Legenden um sie, die ungefähr fünfzig Jahre nach ihrem Tod ins Uferlose auswuchsen - eine der amüsantesten, die alle erkennbaren Daten wild durcheinanderwirbelt, ist die von ihrer Affäre mit keinem anderen als Saladin während ihres Kreuzzugs, die als Ergebnis natürlich den teuflischen John hatte. (Zur Entstehungszeit der Legende hatte er seine große Auseinandersetzung mit dem Papst-tum schon hinter sich.)
Zweifelsohne war Eleonore - Alienor, wie die Form ihres Namens in der langue d’oc lautet - aus dem Stoff, der zur Legende qualifiziert. Legenden sind nicht immer Tatsachen, und mein Roman ist infolgedessen genau das; ein Roman, keine Biographie. Dennoch entsprechen viele Details, die als romanhafte Zutat gelten könnten, den Fakten, so zum Beispiel die Auseinandersetzung Guillaumes IX, in der Geschichte als »der erste Troubadour« bekannt, mit seinem Sohn über seine Geliebte Dangerosa, Alienors Streit in Antiochia mit ihrem Gemahl Louis oder der Sturm während ihrer und Henrys Überfahrt nach England. Eine der Freiheiten, die ich mir genommen habe, ist zum Beispiel die Umbenennung von Henrys zweitem unehelichen Sohn, des Erzbischofs von York, in »Ralph«. Bei den Normannen war es bisweilen üblich, legitimen und illegitimen Söhnen den gleichen Namen zu geben, und »Ralph« hieß in Wirklichkeit Geoffrey, was aber bei der großen Anzahl von Geoffreys in der Geschichte nur für Verwirrung gesorgt hätte. Wenn man über Alienor recherchiert, muß man überdies immer im Auge behalten, daß die Chronisten ihrer Zeit Mönche waren, die mit einer Frau wie ihr, zumal in ihren jungen Jahren, wenig anzufangen wußten und sehr dazu neigten, sie deswegen zu verdammen. Erst in unserem Jahrhundert sind die Historiker ihr wirklich gerecht geworden.
Meinen ersten Anstoß für die Schilderung der Personen Alienor und Henry verdanke ich jedoch nicht einer Biographie oder Chronik, sondern der wunderbaren Darstellung zweier hervorragender Schauspieler - Katharine Hepburn und Peter O’Toole - in der Verfilmung von James Goldmans Drama »The Lion in Winter«. Das ist keine sachliche Haltung, sondern eine emotionale, aber schließlich waren es lebende Menschen und keine Ziffern auf dem Papier.
Was den Rest meiner Hauptfiguren betrifft, so möchte ich noch auf Richard und John Plantagenet eingehen. Im öffentlichen Bewußtsein leben sie natürlich für immer an der Seite von Robin Hood und Ivanhoe als der gute König Richard und der böse Prinz John. In der Geschichtsschreibung machte sich mit dem Einsetzen des Nationa-lismus und dann vor allem im letzten Jahrhundert eine Tendenz bemerkbar, Richard ab- und John aufzuwerten. Die Gründe lagen unter anderem darin, daß man für die Kreuzzüge nicht mehr soviel übrig hatte wie im Mittelalter und Richard statt dessen vorwarf, er habe sein Land sträflich ausgeblutet und vernachlässigt, während John der erste König seit der Eroberung war, der einigermaßen regelmäßig hauptsächlich in England residierte.
Diese Vorwürfe berücksichtigen nicht, daß das Königreich, über das Richard regierte, nicht England mit einem kleinen Anhang am Festland war, sondern riesige Festlandsprovinzen mit England (ohne Schottland und Wales) als Anhang. Daß John in England blieb, lag daran, daß er den größten Teil dieser Provinzen verlor. Dennoch war er nicht einfach der finstere (und unfähige) Schurke, als den man ihn früher dargestellt hat, genausowenig wie Richard der strahlende Held ohne Fehl und Tadel war - oder die »unvergleichlich leistungsfähige Tötungsmaschine« mit gewissen musischen Begabungen, als die ihn ein Teil der modernen Geschichtsschreibung bezeichnet. Er besaß die Anlagen sowohl zum Helden als auch zur »Tötungsmaschine«; beides machte ihn zu einem Menschen seiner Zeit, der wie sein Bruder im Zusammenhang mit seiner Familie verstanden werden muß.
Daß er daneben auch ein brillanter Stratege
und, wenn nötig, ein hervorragender Diplomat war, zeigt erstmals
John Gillingham in seiner fundamentalen Biographie, die Richard von
sehr vielen Kli-schees befreit. Ich bin Gillingham allerdings darin
nicht gefolgt, daß ich Richard homosexuell sein ließ; er weist
völlig zu Recht darauf hin, daß es keinen gültigen Beweis für diese
Annahme gibt. Aber für meinen Roman war sie
unwiderstehlich.
Letztendlich trifft auf alles, was man über Richard, John, den Rest der Plantagenets und ganz besonders Alienor je gesagt hat, ein italienisches Sprichwort zu: »Wenn es nicht wahr ist, dann ist es eine gute Geschichte.«