Eine schützende Wolke aus Felsen umgab den von Tunneln durchzogenen Asteroiden, aber Sirix' Robotern war es leichtgefal en, den Angriff zu planen und durchzuführen. Bei einem raschen Vorstoß hatten sie die unter Druck stehenden Kuppeln zerstört, Luken der Leere des Al s geöffnet und die Schotten von Hangars gesprengt. Einige Roamer hatten versucht zu fliehen; andere waren bemüht gewesen, ihre Basis zu verteidigen. Sie al e hatten den Tod gefunden.
Sirix' Anweisungen sahen vor, dass es keine Überlebenden geben durfte.
Seine beiden Kompi-Proteges PD und QT folgten ihm mit forschen Schritten. An einem Port des Zentralcomputers versuchte QT, eine Verbindung mit den Stationssystemen herzustellen. »Roamer schützen ihre Computer mit besonderen Sicherheitsmaßnahmen. Wir müssen vorsichtig sein.« Er zögerte. »Hier sind Programme instal iert, die im Fal einer Sicherheitsverletzung eine elektrische Überladung auslösen und al e gespeicherten Daten löschen sol en.«
Sirix drehte seine flache Kopfplatte. »Kannst du diese Programme deaktivieren, damit wir Zugrif auf die Datenbanken haben?«
»Ja.« Die beiden Kompis schienen gern zu Diensten zu sein. »Dann los.«
PD und QT kannten die Roamer-Systeme von früheren Eroberungen, arbeiteten zusammen und machten die Sicherheitssysteme unschädlich. »Wir haben jetzt Zugang zu den
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Daten, und dazu gehören auch Listen al er bekannten Stützpunkte.«
Während Robotergruppen die Tunnel des Asteroiden erforschten, die letzten Überlebenden fanden und sie töteten, wechselten sich die beiden Kompis damit ab, Sirix statistische Informationen zu übermitteln: wie viele Schiffe die Asteroidenbasis anflogen, wie viele Tonnen Erz pro Jahr verschifft worden waren und wie viel Rohmetal die Anlagen produziert hatten.
»Ist dieser Ort akzeptabel, Sirix?«, fragte PD munter.
»Nein, das ist er nicht.« Sirix war sehr enttäuscht. Seine scharlachroten optischen Sensoren glühten rubinrot im hel roten Licht der Notbeleuchtung. »Die hiesigen Produktionsanlagen stel en nur Rohmaterialien her, die an anderen Orten weiterverarbeitet werden. Hier gibt es nicht die technischen Voraussetzungen, die wir brauchen.«
Mit jedem enttäuschenden Ergebnis wuchs seine Unruhe. Umstände, die sich Sirix' Kontrol e entzogen, hatten zu einer Niederlage nach der anderen geführt, und viele der ursprünglichen schwarzen Roboter waren bei den letzten Kämpfen zerstört worden. Von seiner großen Armee waren nur noch kleine Reste übrig, und was die mithilfe der modifizierten Soldaten-Kompis übernommene Flotte des terranischen Militärs betraf: Nur einige Dutzend Schif e verfügten noch über ihr vol es Funktionspotenzial. Sirix' Möglichkeiten waren sehr beschränkt gewesen, bis die beiden naiven Kompis vorgeschlagen hatten, neue Roboter zu bauen - ein bis dahin undenkbarer Plan.
Doch um neue Roboter zu konstruieren und die breiten Lücken in Sirix'
Streitmacht zu schließen, brauchten sie geeignete Produktionsanlagen. Die neuen Roboter würden zwar nicht die unersetzlichen Erinnerungen und Erfahrungen der alten haben, aber sie konnten die Schlagkraft seiner Truppen erhöhen und ihm helfen, seine Pläne zu verwirklichen.
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Al erdings war die Konstruktion neuer Klikiss-Roboter nicht so einfach wie der Bau von Raumschif en oder Habitatkup-peln. Der Fabrikationsprozess erforderte hochentwickelte Technik. Die Anlagen von Forreys Torheit kamen dafür nicht infrage. Dieser Einsatz war reine Zeitvergeudung gewesen.
Sirix streckte die fingerartigen Beine und trat über die im Weg liegenden Leichen von zwei Menschen hinweg. Dann wandte er sich wieder an die beiden Kompis.
»Analysiert die Informationen in den Datenbanken und schätzt die Produk-tionskapazitäten der anderen Roamer-Basen ein. Findet eine, wo wir Roboter herstellen können.«
»Ja, Sirix«, bestätigten PD und QT wie aus einem Mund.
»Die Roamer werden uns selbst das nächste Ziel zeigen.«
Die beiden Kompis wirkten zufrieden, als sie die Brücke des Schif es betraten, um Bericht zu erstatten. »Habt ihr eine akzeptable Alternative gefunden?«
PD reichte ihm einen Datenschirm, und QT sagte: »Wir schlagen Relleker vor. Das ist eine frühere Hanse-Welt mit einem für Menschen sehr angenehmen Klima.
Hydroger haben die Siedlung zerstört und al e Kolonisten getötet. Nachdem die Hydroger keine Gefahr mehr darstellen, sind die Roamer dorthin zurückgekehrt und haben einen großen Stützpunkt eingerichtet.«
»Vor den Hydrogern mögen sie sicher sein, aber nicht vor meinen Robotern«, sagte Sirix. »Warum glaubt ihr, dass sich jener Ort für unsere Zwecke eignet?«
»Die Roamer haben auf Relleker Industrieanlagen mit moderner Technik«, sagte PD. »Die Informationen der Datenbanken weisen auf ausgezeichnete Produktionsstätten hin.«
»Das glauben die Roamer«, sagte Sirix. »Sehen wir uns Relleker an. Wenn sich der dortige Stützpunkt als adäquat erweist, übernehmen wir ihn und beginnen mit unserer Arbeit.« Er sah sich den Bericht an und stellte fest, dass auf dem betreffenden Planeten tatsächlich al es für die Produk 60
tion von Robotern Notwendige existierte. Die Industrieanlagen konnten ohne größere Schwierigkeiten umgerüstet werden. Hinzu kam: Relleker schien über keine nennenswerte Verteidigung zu verfügen und ließ sich daher leicht erobern.
»Wenn die menschlichen Kolonisten sachkundig sind, könnten sie uns bei der Produktion von Robotern helfen«, sagte QT. »Immerhin ist die gegenwärtige Fließbandproduktion für menschliche Hände konzipiert.«
»Und wir könnten Hilfe gebrauchen«, fügte PD hinzu. »Wir sol ten die Menschen am Leben lassen.«
»Vielleicht einige von ihnen«, erwiderte Sirix widerstrebend. »Falls es unseren Zwecken dient.« Er setzte sich mit den anderen Schiffen in Verbindung und erläuterte die Prioritäten der neuen Mission. Anschließend änderte die Roboterflotte den Kurs und flog einem neuen Ziel entgegen.
23 # GENERAL KURTLANYAN
Lanyan fühlte echte Zufriedenheit, als seine Kampfgruppe dem Peilsignal des fliehenden Roamer-Frachters folgte. Bei Golgen hatte er al e Himmelsminen unter Kontrol e gebracht und den Clans demonstriert, dass sie zum Wohle der Menschheit die Hanse unterstützen mussten. Darüber hinaus hatten seine Soldaten viel Treibstoff für den Sternenantrieb erbeutet - er reichte, um die ganze Terranische Verteidigungsflotte für sechs Monate zu versorgen. Da war eindeutig gute Arbeit geleistet worden. Als Lanyan auf der Brücke der Goliath eine Tasse schwarzen Kaffee trank, dachte er daran, dass der Vorsitzende diesmal al en Grund hatte, sich über einen Erfolg zu freuen.
Die Ekti-Knappheit hatte die TVF über Jahre behindert. Wie konnte eine Raumflotte ihren Aufgaben gerecht werden,
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wenn sie mit jedem Liter Treibstoff sparsam umgehen und sich jeden einzelnen Patrouil enflug genau überlegen musste? Jetzt verfolgten Lanyans Schif e einen
»fliehenden« Frachter, und er war sicher, dass er bald einen weiteren Erfolg erzielen würde. Ja, er hatte al en Grund, mit seiner Crew und sich selbst zufrieden zu sein.
»Das war eine üble Sache bei Golgen, General.« Conrad Brindle war an Bord des Flaggschif s gekommen, um sich mit dem General zu beraten. Er klang al es andere als begeistert.
»Eine üble Sache? Unser Einsatz war ein vol er Erfolg.«
»Es handelte sich um ein ziviles Ziel, Sir. Ohne eine gerichtliche Anordnung hatten wir nicht das Recht, dort irgendetwas zu beschlagnahmen ...«
»Die dortigen Roamer sind Sympathisanten des Feindes, wenn nicht gar aktive Kämpfer.« Lanyan ärgerte sich darüber, dass Brindle seine dumme Kritik nicht im Bereitschaftsraum äußerte, sondern hier auf der Brücke, wo ihn al e hören konnten.
»An der Akademie habe ich den Studenten die Charta der Hanse und die Vorschriften der TVF nahegebracht«, sagte Brindle. »Während unseres Einsatzes über Golgen haben wir uns nicht an die in Charta und Vorschriften zum Ausdruck kommenden Prinzipien gehalten. Unser Verhalten den Roamern gegenüber läuft auf Piraterie hinaus.«
Lanyan winkte ab, als sein Ärger wuchs. Musste ihm dieser Mann unbedingt die Stimmung verderben? Vor Jahren hatte Lanyan den Roamer-Piraten Rand Sorengaard gejagt und hingerichtet; dies war etwas ganz anderes. »Mr. Brindle, Sie haben die richtige Entscheidung getroffen, als Sie sich auf Rhejak weigerten, an Wil is' Meuterei teilzunehmen. Auf Theroc haben Sie bewundernswerte Charakterstärke gezeigt, als Sie Ihren eigenen Sohn verließen und der Terranischen Verteidigungsflotte treu blieben. Enttäuschen Sie mich nicht ausgerechnet jetzt, da al es so gut läuft.«
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»General!«, rief der taktische Offizier. »Das Signal des Peilsenders ist jetzt stationär! Der Frachter hat sein Ziel in dem Sonnensystem vor uns erreicht.«
Lanyan stellte den Kaffee beiseite und hoffte, dass es Brindle dabei bewenden ließ. »Erzählen Sie mir mehr von dem System. Was befindet sich dort?«
»Offenbar nichts Besonderes, Sir. Metal haltige Felsen in exzentrischen Umlaufbahnen, kaum einen Eintrag in unseren Sternkarten wert. Der einzige Name, den ich in den Aufzeichnungen finden konnte, lautet Forreys Torheit. Ich weiß nicht, ob sich das auf einen speziel en Asteroiden bezieht.«
Lanyan nickte langsam und lächelte. »Hässlich, nutzlos und abgelegen - genau der Ort, den Roamer lieben.« Er sah auf einen der Bildschirme, der ihm ein Gewirr aus El ipsen zeigte: die Umlaufbahnen von Planetoiden, im Zentrum eine kleine, blasse Sonne. Der Frachter war offenbar zu einem der Asteroiden geflogen. »Den Flug vorsichtig fortsetzen. Wahrscheinlich finden wir hier ein weiteres Clan-Ver-steck.«
Der Mann an den Ortungskontrol en schickte Sondierungssignale ins Al . »Die Präsenz von verarbeitetem Metal und geometrischen Strukturen deutet auf Konstruktionen hin.«
»Wir nähern uns mit einsatzbereiten Waffen, aber feuern Sie erst auf meinen Befehl hin. Wenn es dort Ekti gibt, so möchte ich den Treibstoff nicht verlieren oder Einrichtungen beschädigen, die sich als nützlich erweisen könnten.«
»Wir sol ten auch unnötige Verluste vermeiden«, fügte Brindle hinzu und sprach so laut, dass ihn al e auf der Brücke hörten.
Der Ortungsspezialist empfing die Daten der Langstreckensondierung. »Es lassen sich keine energetischen Signaturen, Kommunikationssignale oder Wärmequellen feststellen. Unsere Sensoren orten nur den Frachter. Er sendet, bekommt aber keine Antwort.«
Lanyan beugte sich vor, die El bogen auf den Knien. Die 62
Kampfgruppe flog noch immer mit hoher Geschwindigkeit und kam dem Außenposten schnel näher. Einst hatten Habi-tatkuppeln, Tanks und Andockgerüste den Asteroiden bedeckt, aber jetzt war al es zerstört. Explosionen hatten den natürlich entstandenen Kratern in der Oberfläche weitere hin-zugefügt. Von den meisten Anlagen der Station waren nur noch rußgeschwärzte Löcher und glasige Gräben übrig.
»TVF-Jazer haben diesen Schaden angerichtet«, sagte der Ortungsspezialist.
»Jazer? Ich habe nicht befohlen, diese Basis anzugreifen. Meine Güte, ich wusste überhaupt nichts von ihr.«
Bevor Lanyans Schiffe bis auf Gefechtsreichweite heran waren, drehte der Frachter und öffnete einen Kom-Kanal. Flüche und Verwünschungen drangen aus den Lautsprechern. Der Roamer-Pilot hatte einen langen, dünnen Bart und einen über die Schulter reichenden Zopf. Zorn ließ seine Wangen rot glühen, und die großen Augen waren blutunterlaufen. »Ihr verdammten TVF-Mistkerle! Ihr habt hier al e getötet. Warum? Genügt euch Piraterie nicht mehr? Muss es auch noch Massenmord sein?«
Lanyan sah zu Brindle, als erwarte er Antworten von seinem Stellvertreter. »Sind Sie sicher, dass hier keine militärischen Operationen geplant waren?«
»Ganz sicher, Sir.«
»Eine Verbindung mit dem Roamer-Piloten herstel en. Sagen Sie ihm, dass wir nicht für das Massaker verantwortlich sind.«
»Er glaubt uns nicht, General«, sagte der Kommunikationsoffizier kurz darauf.
»Seine Antwort lautet, ich zitiere: Quatsch.«
Beim Triebwerk des Frachters leuchtete es auf, als das Schiff beschleunigte.
Lanyan seufzte. »Wohin wil er jetzt? Glaubt er vielleicht, er könnte uns weglaufen?« Aber das Roamer-Schif kam direkt auf den Moloch zu. »Was soll das denn? Wil er uns rammen? Das ist doch lächerlich.«
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»Die Schilde der Goliath sind stark genug, um einer Kol ision standzuhalten«, sagte Brindle.
»Und wenn schon - das Feuer eröffnen.« Lanyan fügte hastig hinzu: »Wenn möglich, nur das Triebwerk beschädigen.«
Der Frachter jagte ihnen wie ein Projektil entgegen, doch im letzten Moment löste der Pilot die Verankerungen seiner Ekti-Tanks und setzte sie wie Raumminen frei. Dann änderte er den Kurs, flog auf einer komplizierten Bahn durch die Kampfgruppe der TVF und wich immer wieder Jazer-Strah-len aus.
Zwei Ekti-Tanks schmetterten an den Bug von Lan-yans Moloch, und die Explosionen ließen den Kontrol raum erbeben.
»Keine nennenswerten Schäden, General, und keine Verletzten«, meldete Brindle.
»Einer unserer Mantas wurde von einem explodierenden Ekti-Tank getroffen.
Reparaturgruppen sind bereits an der Arbeit.«
Lanyans Interesse galt vor al em dem fliehenden Frachter. »Verdammt, wohin ist er?«
»Wir haben ihn noch immer in der Sensorerfassung, Sir -er verlässt das System.«
Der Roamer-Pilot aktivierte den Sternenantrieb und raste davon, bevor Lanyan seine Flotte anweisen konnte, die Verfolgung aufzunehmen. Der General stand auf und trat näher zum Hauptschirm. »Empfangen wir noch die Peilsignale? Der Sender funktioniert doch noch, oder?«
»Wir sind auf Empfang, Sir.«
»Dann folgen wir dem Schiff. Die Jagd ist erst dann vorbei, wenn ich es sage.«
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24 # ERSTDESIGNIERTER DARO'H
Der Erstdesignierte Daro'h fühlte sich im Höhlenlager noch immer eingeengt und versuchte, die plötzliche Leere im Thism zu verstehen, wo eben noch der Weise Imperator gewesen war. Bis vor einem Moment hatten sie seine ferne Präsenz gespürt, aber jetzt schien er nicht mehr zu existieren. Al e Ildiraner konnten es fühlen.
Angehörige des Bediensteten-Geschlechts klammerten sich verzweifelt an der Il usion einer normalen Routine fest, indem sie sich um den Erstdesignierten kümmerten. Sie bereiteten Speisen und warme, gewürzte Getränke zu, brachten Kissen, auf denen Daro'h sitzen konnte, rückten die Glänzer in den Tunneln zurecht und sorgten damit für besseres Licht. Aber so diensteifrig sie sich auch gaben, sie konnten dieses staubige primitive Lager nicht in den Prismapalast verwandeln.
Während ernste, stil e Wächter nach Feuerkugeln Ausschau hielten, traf sich Daro'h mit Adar Zan'nh, Yazra'h und Tal O'nh. Der Oberste Schreiber Ko'sh, Oberhaupt der Erinnerer, saß bei ihnen, dazu bereit, aus alten und neueren Aufzeichnungen zu zitieren. Die Fingerknöchel von Yazra'hs rechter Hand waren blutig - sie hatte vol er Frust über die Situation gegen die Felswand geschlagen.
Zan'nh berichtete von den letzten Erkundungen. Sein Haar war ungekämmt, die Uniform zerknittert. Seit Beginn dieser Krise vergeudete er keine Zeit damit, auf seine Kleidung zu achten.
»Der Prismapalast glüht die ganze Zeit über, und viele andere Gebäude sind niedergebrannt. Soweit ich das feststellen kann, ist Mijistra leer.« Das Gesicht des Adars machte deutlich, wie schwer es ihm fiel, diese Feststellung zu treffen. »Die Faeros haben völ ige Kontrol e über den Himmel. Zehn weitere für den Patrouil endienst eingeteilte Kampf
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boote sind nicht zurückgekehrt. Wenn ein Schiff versucht, von Ildira zu fliehen, wird es von den Feuerbäl en verfolgt und zerstört.« Mit zusammengekniffenen Augen sah er sich um. »Die Feuerwesen erlauben uns nicht, den Planeten zu verlassen.«
Daro'h dachte an al die Splitter-Kolonien, denen Gefahr drohte, an die vielen verlorenen Siedlungen im Spiralarm. Al e Ildiraner waren verzweifelt gewesen, weil der Weise Imperator in einer so angespannten Situation fehlte, und jetzt wurde al es noch schlimmer. Jora'h war ganz aus dem Thism-Netz verschwunden, und die von ihm hinterlassene Stil e im kol ektiven ildiranischen Bewusstsein wirkte wie ein lauter, nicht enden wol ender Schrei.
Jetzt lag die Verantwortung beim Erstdesignierten, aber Daro'h wusste nicht, wie er sein Volk führen sol te. Von einer Höhle aus schien ihm das kaum möglich zu sein.
»Wir sind in einer Art Schwebezustand«, warf Ko'sh ein. Die Hautlappen im Gesicht des Erinnerers veränderten ihre Farben und wiesen darauf hin, wie beunruhigt er war. »Niemand fühlt den Weisen Imperator!«
»Das ist uns inzwischen klar«, erwiderte Yazra'h mit einem Knurren. »Aber daran können wir nichts ändern.«
»Sie wissen, was getan werden muss, Erstdesignierter«, sagte der Oberste Schreiber und sah Daro'h an. »Wir brauchen ein Oberhaupt für unser Volk. Es gibt einen Präzedenzfal . Sie müssen sich der Aufstiegszeremonie unterziehen und unser neuer Weiser Imperator werden.«
Yazra'h übertönte die überraschten Ausrufe der anderen. »Meinen Sie den vom Designierten Rusa'h geschaffenen Präzedenzfal ? Nur ein Dummkopf kann so etwas vorschlagen, wenn wir noch gar nicht wissen, ob unser Vater tot ist!«
»Der Hinweis des Erinnerers ist gerechtfertigt«, sagte Tal O'nh ruhig. »Sie geben den Ildiranern so viel Führung, wie Sie können, Erstdesignierter, aber nur mit der vol en Kontrol e über das Thism können Sie die Verantwortung des 64
Oberhaupts unseres Volkes wahrnehmen. Und dazu ist die Zeremonie notwendig.«
Daro'h war nach dem Tod des Weisen Imperators Cyroc'h dabei gewesen, als sich Jora'h dem Kastrationsritual unterzogen hatte, der schmerzhaften Zeremonie, die ihn vom Erstdesignierten zum Weisen Imperator gemacht hatte. Er erinnerte sich an die plötzliche Flut von Wärme und Vertrauen, als das Bewusstsein des neuen Weisen Imperators die Stränge des Thism aufnahm und miteinander verknüpfte.
Sein Vater hatte den desorientierten, verängstigten Ildiranern sofort Kraft und Hoffnung gegeben, ihnen ein Gefühl von Sicherheit vermittelt.
Kraft und Hoffnung ... Das brauchte sein Volk jetzt. Wenn Jora'h wirklich tot war, so musste der Erstdesignierte zum neuen Weisen Imperator werden.
Aber wenn sein Vater noch lebte, konnte Daro'h nicht einfach seine Nachfolge antreten. Das hätte zu großer Verwirrung geführt und das Reich viel eicht endgültig auseinandergerissen. Die von Rusa'h ausgelöste Krise bot einen deutlichen Hinweis darauf.
Daro'h schloss die Augen. Er brauchte mehr Informationen, um eine Entscheidung zu treffen. Wenn der Weise Imperator tot war, so gab es an dem Weg, den er beschreiten musste, keinen Zweifel. Aber das Ende seines Vaters hätte ihn wie ein schwerer Schlag treffen müssen, in Herz und Seele. Stattdessen vernahm er nur Stil e: kein Thism, keine Gedanken, kein Flüstern in der Ferne.
Man hätte tatsächlich meinen können, dass Jora'h nicht mehr existierte.
Daro'h schüttelte den Kopf. »Es wäre eine unwiderrufliche Maßnahme und ein Zeichen dafür, dass wir die Hof nung aufgeben. Ich glaube nicht, dass der Weise Imperator tot ist, und deshalb entscheide ich mich dagegen.«
»Manche Leute sagen, Sie wären ein Feigling, wenn Sie sich weigern, Erstdesignierter«, gab Ko'sh zu bedenken.
»Manche Leute reden viel dummes Zeug«, zischte Yazra'h.
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Der Erstdesignierte straffte die Schultern, atmete tief durch und wandte sich an sie al e. Er musste stark sein. »Der Weise Imperator ist nicht hier, aber er erwartet von mir, dass ich ihn vertrete. Ich bin nicht als Erstdesignierter geboren; ich musste diese Rol e übernehmen. Sie sind meine besten Berater; das ist die Rol e, die Sie übernehmen müssen.«
Daro'h musterte sie ernst. »Es fäl t Ildiranern schwer, neue Lösungen für Probleme zu finden. Mein Väter sagte einmal: Wenn wir nicht lernen, uns zu ändern, könnte es unser Untergang sein. Ich übertrage Ihnen diese Aufgabe: Finden Sie eine Lösung. Wir sind das Ildiranische Reich! Es ist mir gleich, wie verzweifelt oder ungewöhnlich der Plan sein mag - machen Sie mir einen Vorschlag, wie wir gegen die Faeros kämpfen können.«
25 # FAERO-INKARNATION RUSA'H
In den glühenden, vom Feuer gereinigten Resten des Prismapalastes schuf Rusa'h die Linien des neuen Thism, um dem ildiranischen Volk Anleitung zu geben. Die Seelenfäden waren hell und heiß wie die Leuchtfasern eines Glänzers. Er musste aufbrechen und sehen, was er bisher geleistet hatte.
Rusa'h ließ Flammen aus dem Boden und den Wänden wachsen und formte daraus feurige Vorhänge um sich herum, bis sie ihn kugelförmig umschlossen. Im Innern dieser Kugel flog er durch verbrannte Korridore, zerbrach eine in der Hitze spröde gewordene Tür und gelangte nach draußen. Sein strahlender Körper schwebte über den in sich zusammengesunkenen Türmen und Minaretten des Palastes, und von dort aus schaute er über seine Domäne. Er ließ seinen blitzenden Blick über Mijistra streichen, einst das Juwel im Herzen des Ildiranischen Reichs.
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Rusa'h fühlte sich zwischen zwei widerstreitenden Verpflichtungen hin- und hergerissen: Er wol te das ildiranische Volk führen und kontrol ieren, und gleichzeitig drängte es ihn, den Faeros zu neuer Größe zu verhelfen. Die feurigen Elementarwesen in ihm scherten sich nicht um das Reich; ihr Kampf hatte eine weitaus größere Bedeutung. Aber er wol te sein Volk retten.
Er hatte enttäuscht zur Kenntnis nehmen müssen, dass die jungen Faero-Funken auf Theroc ausgelöscht worden waren. Die Verdani hatten sich mit unerwarteter Stärke zur Wehr gesetzt, unterstützt von den Wentals, grünen Priestern und sogar Schif en des menschlichen Militärs. Es war ein Rückschlag für die Faeros, nicht aber für Rusa'h. Hier auf Ildira hatte er alles, was er brauchte - abgesehen vom Weisen Imperator Jora'h, der trotz der vielen verzweifelten Rufe im Thism nicht heimkehrte.
Früher oder später würde Rusa'h seinen Bruder finden. Es war nur eine Frage der Zeit.
In seinem Feuerschif flog er über die Dächer von Mijistra, blickte auf Monumente, Museen und längst trockene Springbrunnen hinab. Der Saal der Erinnerer war leer und verkohlt. Die meisten Quartiere der Handwerker, Metal arbeiter, Techniker und Chemiker waren niedergebrannt. Rusa'hs Flug führte über ein medizinisches Zentrum hinweg, ein Landefeld, über Lagerhäuser mit Lebensmitteln für eine Bevölkerung, die gar nicht mehr da war.
Das Ausmaß der Leere stimmte ihn traurig. Jetzt, da die Hydroger in ihren Gasriesen festsaßen, konnten die Faeros ganz nach Belieben schalten und walten.
Sie konnten zerstören, was sie wol ten, und ungestört wachsen, bis sie zur do-minanten Kraft im Spiralarm und darüber hinaus wurden.
Rusa'h dehnte sein Bewusstsein bis in weite Ferne, und ein Teil davon begleitete die Faeros, als sie durch ihre Transtore von Stern zu Stern sprangen. Sie tanzten in der wieder zum Leben erwachten Sonne Durris-B, in der jetzt erneut 66
das Feuer der Kernfusion brannte. Auch andere Sterne hatten die Faeros neu entzündet und erhoben so Anspruch auf ein stel ares Territorium, das ihnen die Hydroger genommen hatten.
Doch Ildira gehörte ihm. Das ildiranische Volk war seines. Erneut erinnerte er die Faeros mit allem Nachdruck daran.
Unter seinem flammenden Schiff sah Rusa'h einige verzweifelte Flüchtlinge, die gerade ein Lebensmittellager verließen - dort hatten sie Proviant für eins der nur unzulänglich verborgenen Flüchtlingslager abgeholt. Rusa'h hätte sich nähern und ihnen ihr Seelenfeuer stehlen können, um es den Faeros zu schenken, aber er entschied sich dagegen. Zwar fühlte er die Unruhe der Feuerwesen, doch er hielt sie zurück. Er durfte ihnen nicht erlauben, völ ig zügel os zu werden. Er hatte die feurigen Elementarwesen für seine eigenen Zwecke einsetzen wol en, doch sein Einfluss auf sie hatte Grenzen. Ihr Chaos konnte recht mächtig sein.
Sein feuriges Schiff flog in einem weiten Bogen über Mijistra und kehrte zum Prismapalast zurück. Ein Dutzend großer Feuerkugeln erschien am Himmel darüber und glitt umher, wirkte dabei gierig, unersättlich und launisch. Die Faeros wol ten irgendetwas zerstören.
Viel eicht konnten sie ihm dabei helfen, Jora'h zu finden ...
26 # WEISER IMPERATOR JORA'H
Al ein an Bord des Kriegsschif s - weit von der Erde und Ildira entfernt, fernab von allen -, bemühte sich Jora'h, bei Verstand zu bleiben. Zusammengekauert saß er in seinem Quartier und wusste nicht, wie viele Tage vergangen waren. Er fühlte nur die schreckliche Leere, die sich endlos um ihn erstreckte.
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Während des größten Teils seines Lebens hatte er das Ildi-ranische Reich für al mächtig und al umfassend gehalten. Überal im Spiralarm gab es Splitter-Kolonnen, und deshalb erstreckte sich das Thism überal hin. In Wirklichkeit aber existierte weitaus mehr außerhalb des Thism als innerhalb. Er war falsch informiert worden.
So geschwächt Jora'h auch war, er zwang sich aufzustehen. Als Weiser Imperator durfte er sich nicht geschlagen geben. Er machte drei unsichere Schritte in Richtung der in die Kabinenwand integrierten Glänzer, blickte in ihr hel es Licht und benutzte es als eine Art Anker.
Wenigstens war es nicht dunkel. Dieser besonderen Folter hatte ihn der Vorsitzende Wenzeslas nicht unterzogen - noch nicht.
Wenn er schrie, wenn er dem Schmerz erlag und versprach, den Forderungen des Vorsitzenden nachzukommen ... würde ihn der TVF-Admiral dann zu den anderen Ildiranern zurückbringen? Aber wenn er sich erst wieder auf der Mondbasis befand ... Vermutlich würde ihn Basil Wenzeslas dort weiter festhalten.
Jora'h bezweifelte, dass ihm der Vorsitzende einfach so die Möglichkeit gab, nach Ildira heimzukehren.
Plötzlich ertönte ein akustisches Signal an der Tür, und Admiral Diente trat ein, ohne eine Aufforderung abzuwarten. Jora'h versuchte, nicht zu zittern, trotz der Kälte der Einsamkeit, die ihm durch die Adern strömte. »Was ... wollen Sie?«
Diente sprach so emotionslos, als gäbe er einen routinemäßigen Bericht. »Meine Software-Experten haben die Datenbanken dieses Schiffes untersucht und dabei etwas gefunden, das ein Übersetzungsprogramm für die Kommunikation mit den Klikiss zu sein scheint. Stimmt das?«
Jora'h schloss die Augen und versuchte, in den Strudeln der Einsamkeit nicht die Orientierung zu verlieren. »Vor langer Zeit haben wir mit den Klikiss kommuniziert.«
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»Funktioniert das Programm noch?«
»Seit Tausenden von Jahren haben wir es nicht mehr benutzt.« Jora'h zögerte, als sich andere Erinnerungen in ihm regten. »Einen Augenblick. Adar Zan'nh hat es benutzt. Ja, er hat mit den Klikiss gesprochen ... bei Maratha.«
Diente nickte. »Dann können wir das Problem viel eicht für Verhandlungen verwenden.«
»Verhandlungen ...« Jora'h holte tief Luft und wol te lachen, fand aber nicht genug Kraft. »Ich fürchte, dafür ist es zu spät. Sie haben den Zorn der Klikiss geweckt. Die Faeros mögen Ildiras größter Gegner sein, aber die Klikiss sind Ihre Feinde, Admiral. Sie haben es nur noch nicht begrif en.«
Diente wirkte müde und sehr traurig. »Wir selbst sind unser größter Feind.«
Seine Stimme war so leise, dass Jora'h ihn kaum hörte. »Ich befolge ausdrückliche Befehle, Weiser Imperator. Ich würde Sie lieber nicht auf diese Weise behandeln.
Es ist ... erniedrigend für das Oberhaupt eines großen Reiches. Ich habe Ihre Solare Marine immer bewundert.«
Ärger regte sich in Jora'h und erlaubte ihm klarere Gedanken. »Wie können Sie dies dann zulassen? Wenn Sie wissen, dass es falsch ist... Wieso befolgen Sie trotzdem die Anweisungen des Vorsitzenden?«
Diente blickte ins Leere, und es verstrichen einige Sekunden, bevor er antwortete: »Weil der Vorsitzende meine Frau, meinen Sohn und meine beiden Töchter als Geiseln genommen hat, Weiser Imperator. Er hat gedroht, sie umzubringen, wenn ich nicht gehorche.« Er bal te die Fäuste. »Er hat meine Familie.«
Jora'h litt so sehr unter der Einsamkeit, dass er nicht die vol e Bedeutung der Worte des Admirals erfasste.
Diente griff in eine Tasche seiner Uniform und holte ein kleines Display hervor, nicht größer als seine Handfläche. Er aktivierte es und zeigte Jora'h einige Bilder: eine schöne Frau, eine Teenager-Tochter, einen attraktiven jungen Mann 68
und ein Mädchen. Das letzte Bild zeigte den Admiral inmitten einer glücklichen Familie.
»Vielleicht habe ich schon zu viel gesagt. Danke für die Informationen über das Klikiss-Übersetzungsprogramm.« Diente schaltete das Display aus und steckte es verlegen ein. Bevor er ging, fügte er in einem tröstenden Tonfal hinzu: »In einigen Tagen kehren wir zurück. Es dauert nicht mehr lange.«
»Nicht mehr lange ...?«, brachte Jora'h zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Die Zeit hatte sich bereits bis in die kalte Unendlichkeit ausgedehnt.
Als Diente gegangen war, gaben Jora'hs Knie nach, und er sank aufs Bett.
Noch einige Tage. Er wusste nicht, wie er es ertragen sol te.
Tage...
27 # MARGARET COLICOS
Als die neue Brüterin sie schließlich in die Schwarmfestung rief, beschloss Margaret, Antworten auf ihre Fragen zu verlangen. Viel zu lange hatte sie die Insektenwesen dabei beobachtet, wie sie rivalisierende Domate niedermetzelten und andere Subschwärme vernichteten, anstatt sie zu assimilieren. Jetzt schienen die Klikiss endlich damit aufzuhören, ihr keine Beachtung zu schenken, und Margaret hoffte zu erfahren, was diesen besonderen Subschwarm so sehr von allen anderen unterschied, warum er so brutal und bösartig war.
Margaret überlegte, ob sie zur Wand mit dem trapezförmigen Transportal laufen sol te. Viel eicht gelang es ihr dort, ein Ziel zu wählen und sich zu transferieren, bevor das Schwarmbewusstsein eingreifen konnte. Doch die Transportal-Verbindungen führten zu anderen Klikiss-Planeten; sie 69
wäre vom Regen in die Traufe geraten. Die hiesigen Insektenwesen kannten sie wenigstens.
Nein, sie würde auf diesem Planeten bleiben und ihr Glück bei der Llaro-Brüterin versuchen. Zwar schien sie blutrünstiger zu sein als die anderen, aber bisher hatte sie Margaret in Ruhe gelassen. Vielleicht wol te sie etwas von ihr -aber was?
Eigentlich gab es für Margaret keinen Grund, sich zu fürchten, denn immerhin hatten die Klikiss sie bisher am Leben gelassen.
Von außen gesehen war der Saal der Brüterin groß und klumpig, mit zwei Türmen wie aus Kerzenwachs zu beiden Seiten. Dornenbesetzte Krieger führten Margaret durch die dunkle Öffnung ins Innere des Gebäudes, und Margaret widersetzte sich ihnen nicht. Mit den rasiermesserscharfen Kanten ihrer Gliedmaßen hätten die Klikiss sie in nur ein oder zwei Sekunden in Stücke schneiden können. In den vergangenen Jahren war Margaret nie in Gefahr geraten, auf eine solche Weise zu enden, und bestimmt würden ihr die Klikiss auch diesmal nichts tun - zumindest noch nicht.
Margaret war noch immer Wissenschaftlerin und hatte viele Jahre zusammen mit Louis die uralten Ruinen eines vermeintlich ausgestorbenen Volkes untersucht.
Sie kannte die Klikiss so gut, wie es für einen Menschen möglich war.
Entschlossen ging sie weiter, folgte den gepanzerten Geschöpfen durch kurvenreiche Korridore und kam sich vor wie jemand, der durchs Innere einer spiralförmigen Muschel wanderte. Die Nähe zahlreicher Klikiss intensivierte den Geruch von Gal e, verfaulten Eiern, vergammeltem Fisch und altem Schweiß -
eine Symphonie aus Pheromonen und chemischen Signalen.
Die Krieger führten sie in einen zentralen Saal vol er Schrecken. Die Köpfe von mehr als hundert besiegten Domaten lagen dort, als Trophäen aufeinandergestapelt. In der Mitte des Saals, neben diesen grässlichen Trophäen, erhob sich ein Haufen aus Mil ionen von kleinen, sich windenden Körpern.
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Margaret sah die Brüterin nicht zum ersten Mal, aber sie fühlte sich erneut von Ekel erfasst.
Sie blieb stehen. Der Gestank machte ihr das Atmen schwer, als das Schwarmbewusstsein von Llaro seine Struktur veränderte. Der große Haufen geriet in Bewegung - Hunderttausende von Komponenten ordneten sich neu an, wie die Pixel eines breiten, komplexen Bilds. Als sich deutlichere Konturen formten, begriff Margaret, dass es einen Unterschied zu den früheren Inkarnationen dieses Schwarmbewusstseins gab.
Nicht nur Krieger standen im Saal, sondern auch Hunderte von Arbeitern, Gräbern und Angehörigen anderer Subspezies, wie Andächtige in einer Kirche.
Die Hintergrundgeräusche bestanden nicht al ein aus dem dumpfen Knarren von Gliedmaßen, Flügeln und Panzerungselementen. Margaret hörte auch das Klacken von Kiefern und ein Summen, das von aneinanderschabenden Chitinplatten stammte. Sie erzeugten einzelne Töne, die sich zu einer Sprache vereinten.
Während ihrer Jahre bei den Klikiss hatte Margaret eine gewisse Art der Verständigung mit den Klikiss gelernt. Sie verstand einige der zwitschernden, klickenden Laute und konnte sie wiederholen. Doch jetzt kam es zu einem Summen und Brummen, das etwas Vertrautes gewann und ... wie ein Wort klang.
»Margaret.«
Die Krieger und Arbeiter sprachen mit vereinter Stimme in einem gespenstischen Chor. »Margaret Colicos.« Nie zuvor hatten die Klikiss versucht, menschliche Worte nachzubilden. Soweit Margaret wusste, waren sie nicht einmal mit dem Konzept von Worten vertraut gewesen.
Überrascht wich sie einen Schritt zurück und stieß gegen den dornigen Leib eines Kriegers, doch der Klikiss bewegte sich nicht. Sie sah zur Brüterin, die noch immer ständig ihre Struktur veränderte.
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»Du unterscheidest dich von der letzten Brüterin«, sagte Margaret.
Die Bewegungen der neuen Brüterin hörten auf, als sie vage Ähnlichkeit mit einem großen menschlichen Kopf hatte, wie von einem unbeholfenen Kind aus Ton geformt. Der Mund öffnete sich, und Geräusche drangen hervor, eine Mischung aus Zischen und Klacken. »Margaret Colicos ... ich kenne Sie.«
Es war eindeutig zu einer Veränderung gekommen. »Wer sind Sie?«, fragte Margaret.
»Ich bin . . . zum Teil. . . ein Mensch.« Das Gesicht des großen Kopfes bekam zusätzliche Details. »Ein Mensch namens Davlin Lotze.«
Margaret riss die Augen auf. »Davlin?« Sie hatte nie erfahren, was mit ihm geschehen war. Of enbar hatten die Klikiss nicht nur seine Gene assimiliert, sondern auch seine Erinnerungen. Aber Davlin musste irgendetwas mit der neu entstehenden Brüterin angestellt, irgendwie einen Teil von sich selbst bewahrt haben, und dieser Teil machte sich jetzt bemerkbar.
»Nach mehreren Teilungen hat mein Subschwarm so viel menschliche DNS
aufgenommen, dass wir menschlicher geworden sind.« Die einzelnen Komponenten bewegten sich wie bei einem Bild, das an Klarheit gewann, und in dem Gesicht wurden Davlins Züge erkennbar. Margaret sah es immer deutlicher.
»Ich habe gegen die Larve der Brüterin angekämpft und bin jetzt Teil davon.«
»Ihr Bewusstsein ist das Selbst des Subschwarms?«
»Ein Teil davon. Wir werden stärker, und ich ringe um Dominanz.« Die Worte kamen schnel er, als die Davlin-Brüterin lernte, auf diese Weise zu kommunizieren. »Ich lasse nicht zu, dass die schwachen Spuren der Kolonisten sich noch weiter verlieren.«
Margaret bemerkte eine seltsame Veränderung in der Mimik und auch im Tonfal der Stimme. Das Gesicht schien zu ver
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schwimmen, gewann dann neue Deutlichkeit. »Wir haben jetzt einen . . . instabilen Frieden, die Klikiss und ich.«
Margaret trat näher zu der schrecklichen Masse. »Warum sind Sie dann so blutrünstig? Können Sie die Schwarm-kriege nicht beenden und für Frieden sorgen? Der Llaro-Sub-schwarm ist bösartiger als die anderen.« Es ergab keinen Sinn für sie.
»Weil wir bösartiger sein müssen. Ich . . . wir löschen alle anderen aus.« »Warum?«
»Um die Menschheit zu retten. Die Subschwärme greifen an, dominieren und zerstören. Zum Schluss bleibt nur eine Brüterin übrig. Eine Brüterin kontrolliert alles. Eine Brüterin wird die Brüterin sein.« Davlin legte eine Pause ein, und Margaret versuchte zu verstehen, was seine Worte bedeuteten. »Ich muss als Brüterin übrig bleiben. Die Menschheit hat nur dann eine Chance, wenn ich alle anderen Subschwärme bezwinge.«
Margaret hielt unwil kürlich den Atem an, den Kopf vol er Fragen. War sie deshalb bisher mit dem Leben davongekommen? Um eine Art Mittlerin zu werden? »Sie möchten, dass es die Menschheit mit Ihnen zu tun bekommt und nicht mit einer anderen Brüterin?«
»Ja.«
»Und dann wird es Frieden zwischen Menschen und Klikiss geben? Brauchen wir Sie nicht länger zu fürchten?«
»Ich bin stark, aber nicht das einzige Bewusstsein in diesem Subschwarm. Selbst wenn ich Erfolg habe - es gibt keine Garantien. Ein Teil von mir bleibt Klikiss.«
Margaret starrte auf den großen Haufen und schauderte innerlich. »Wie viele Subschwärme müssen Sie noch besiegen?«
»Fünf Subschwärme kämpfen auf Klikiss-Welten und breiten sich aus. Zwei ringen bei Relleker um die Vorherrschaft.« Das Gesicht veränderte sich und bekam einen neuen Aus
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druck. »Ich erinnere mich an Relleker aus jener Zeit, als ich .. . nur Davlin war.
Mein Subschwarm wird warten und dann über die Brüterin herfallen, die sich dort durchsetzt.« »Wie kann ich helfen?«
»Bleiben Sie hier. Sorgen Sie dafür, dass ich nicht meine Menschlichkeit vergesse.«
28 # ORLI COVITZ
Als die letzten Kisten im Frachtraum der Blinder Glaube verladen waren, kletterten Orli, DD und Steinman an Bord, und das Schiff brach nach Rel eker auf.
Captain Roberts freute sich darüber, wieder mit normalen Handelsflügen beginnen zu können, noch dazu in so angenehmer Gesel schaft.
Die Blinder Glaube glitt ruhig durchs Al . Auf dem Tischdisplay kontrol ierte Roberts die Frachtliste. Zusammen mit seinen beiden menschlichen Passagieren hatte er Fertiggerichte erwärmt und aß etwas, das als »nahrhafter Eintopf«
bezeichnet wurde.
»Wenn wir Relleker erreichen, werden sich die dortigen Bewohner so freuen, dass sie ein Festmahl zu unseren Ehren veranstalten«, sagte Roberts. »Früher war es mal ein Urlaubsplanet, wisst ihr.«
»Relleker war eine sehr geachtete und wohlhabende Kolonie der Hanse«, warf DD ein und zitierte aus seiner Datenbank. »Bekannt vor allem für die Wellness-Einrichtungen, das angenehme Klima und die Weingüter. Nur die Reichen ließen sich dort nieder.«
»Und die Großkotzigen«, fügte Roberts hinzu. »Die Gouverneurin der Kolonie war nicht gerade mit besonderer Freundlichkeit gesegnet. Sie lehnte es ab, uns bei der Rettung der Crenna-Flüchtlinge zu helfen. Sie brachte es sogar 72
fertig, Dockgebühren von uns zu verlangen, als wir eine Notausrüstung an Bord nahmen.« Er runzelte die Stirn. »Ich bin nicht nachtragend, aber vielleicht war es Schicksal oder dergleichen. Die Droger vernichteten die Kolonie auf Rel eker und brachten al e Siedler um.« Er nahm drei schnelle Löffel vom »Eintopf«. »Aber jetzt gibt es dort wieder Kolonisten, die einen Neuanfang machen.«
»Ich bin sehr gespannt«, sagte Steinman.
Als die Glaube ihr Ziel erreichte, sahen Orli und die anderen eine wunderschöne blaugrüne Welt, hier und dort mit weißen Wolkentupfern - ein Paradies für Menschen. Roberts schaltete das Kommunikationssystem ein. »He, ihr da unten!
Schickt das Begrüßungskomitee. Wir bringen Nachschub, fal s jemand Interesse daran hat.« Es kam keine Antwort aus den Lautsprechern, und daraufhin verschwand das Lächeln von Roberts' Lippen. Er sah kurz Orli an und ging erneut auf Sendung. »Hier spricht Captain Branson Roberts von der Blinder Glaube. Wir bringen eine Schiffsladung für die Siedlung. Bitte übermitteln Sie Landekoordinaten.«
»Ich dachte, die Leute würden sich über uns freuen«, sagte Steinman.
»Seit Wochen wird hier ein Schiff der Konföderation erwartet. Ich weiß nicht, warum wir keine Antwort bekommen.«
Roberts wartete mit zunehmender Sorge. »Vielleicht benutzen sie andere Frequenzen«, spekulierte DD. »Wir könnten nach Signalen suchen.«
Roberts betätigte die Kontrol en des Kom-Systems, bekam jedoch eine Fehlermeldung. Orli beugte sich vor und gab die Anweisungen neu ein, mit dem Ergebnis, dass plötzlich ein Kreischen aus den Lautsprechern kam, begleitet von klickenden Geräuschen und Pfif en.
Steinman hielt sich die Ohren zu. »Was für ein Lärm!«
»Vielleicht sind es Rückkopplungen oder Störungen.« Roberts schlug auf die Kontrol en, als könnte er das Problem
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damit beheben. »Offenbar haben die Roamer ein fehlerhaftes Kommunikationssystem eingebaut.«
»Es ist nicht fehlerhaft«, sagte DD. »Wir hören die Sprache der Klikiss.«
Als die Glaube hinter der Tagseite des Planeten hervorkam, kol idierte sie fast mit zwei riesigen Schwarmschiffen, die hoch über der Atmosphäre gegeneinander kämpften. Die gewaltigen Gebilde bestanden aus zahlreichen kleineren Schiffen, und Energieblitze zuckten zwischen ihnen hin und her, als sie versuchten, sich gegenseitig zu vernichten.
»Das gefällt mir ganz und gar nicht«, sagte Steinman.
Roberts' Finger huschten über die Tasten des Kom-Systems. »Relleker! Hier ist das Konföderationsschiff Blinder Glaube. Hört mich jemand?« Leeres Rauschen drang aus den Lautsprechern, gefolgt von mehr Klikiss-Gekreische.
»Ich habe zusammen mit Margaret Colicos viel Zeit bei den Klikiss verbracht und kann übersetzen«, sagte DD und trat zum nächsten Lautsprecher. »Zwei rivalisierende Subschwärme kämpfen um die Kontrol e über Relleker. Sie sind fast gleichzeitig eingetroffen und versuchen nun, den jeweiligen Konkurrenten auszuschalten.«
Gruppen kleinerer Klikiss-Schif e grif en den Gegner auf eine desorganisierte, wie trunkene Weise an. Die gewaltigen Schwarmschiffe schienen sich aufzulösen, als sie den Kampf gegeneinander fortsetzten.
Die Glaube flog über der Nachtseite von Relleker, und Orli sah tief unten glühende Flecken - Brände auf dem Planeten. Sie schauderte und dachte an die vielen Menschen, die auf Llaro von den Insektenwesen umgebracht worden waren.
Vermutlich blieben auch auf Relleker keine Überlebenden zurück. Zwei mächtige Subschwärme, die um den Planeten kämpften, hatten den Kolonisten sicher keine Chance gelassen.
Während die beiden Klikiss-Giganten den Kampf gegeneinander fortsetzten, löste sich ein fladenartiger Teil von einem
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Schwarmschiff. Die Gruppe aus kleinen, miteinander verbundenen Schiffen hielt auf die Blinder Glaube zu.
»Sie haben uns entdeckt«, sagte Orli.
»Und wir sind kaum in der Lage, einen Angriff abzuwehren, Roberts«, ächzte Steinman. »Lassen Sie uns von hier verschwinden.«
Captain Roberts nickte. »Mal sehen, wie gut das Roamer-Triebwerk ist.« Er gab den Kurs für einen raschen Rückzug ein.
Die jähe Beschleunigung belastete die Gravitationsgeneratoren bis an ihre Kapazitätsgrenze. Mehrere Strahlblitze rasten an der Blinder Glaube vorbei, und dann waren sie außer Reichweite. Roberts sah auf die Heckschirme und beobachtete die schnell kleiner werdenden Komponentenschiffe der Klikiss. »Zurück nach Osquivel. Wir müssen jemandem erzählen, was hier geschehen ist.«
29 * SIRIX
Als sie schließlich Relleker erreichten, um die dortigen Produktionsanlagen zu übernehmen, stel ten Sirix und seine Roboter überrascht fest, dass Klikiss vor ihnen eingetroffen waren. Die Kampfgruppe der Roboter deaktivierte ihre Triebwerke, um nicht geortet zu werden, und beobachtete, wie zwei Schwarmschiffe versuchten, sich gegenseitig zu vernichten. Und wenn die beiden Brüterinnen noch so erbittert gegeneinander kämpften: Sirix zweifelte nicht daran, dass sie ihre Feindschaft sofort vergessen würden, wenn sie die schwarzen Roboter bemerkten.
Er folgte dem Geschehen über dem Planeten zusammen mit PD und QT, die neben ihm auf der Brücke standen. Ein Teil von ihm wol te dem verhassten Volk der Schöpfer möglichst großen Schaden zufügen, doch die Vernunft setzte sich 74
durch. Sirix beschloss zu warten, bis der primäre Kampf vorüber war. Wenn beide Subschwärme geschwächt waren, konnte er seine Schif e losschicken und die überlebenden Klikiss töten.
»Was ist mit den Kolonisten unten auf Relleker?«, fragte QT. »Wir sol ten versuchen, sie zu schützen.«
»Viel eicht brauchen wir sie in den Produktionsanlagen«, fügte PD hinzu.
Sirix kannte bereits das Ergebnis der Fernsondierungen. »Für die Fabriken und Menschen kommt jede Hilfe zu spät.« Er hatte große Hoffnungen in Relleker gesetzt, und der Verlust der dortigen Produktionsanlagen verdross ihn sehr. Auf keinen Fal wol te er die ihm verbliebenen Roboter beim Versuch in Gefahr bringen, die menschlichen Kolonisten zu schützen - fal s überhaupt welche überlebt hatten. Es befanden sich bereits Klikiss-Krieger in den besiedelten Bereichen auf dem Planeten.
Die beiden Schwarmschiffe verloren immer mehr ihrer Komponenten, aber keines gab sich geschlagen. Als Sirix schließlich glaubte, stark genug zu sein und nicht verlieren zu können, hielt er den richtigen Zeitpunkt für gekommen. »Wir haben jetzt überlegene Feuerkraft und können beide Brüterinnen vernichten.«
Auf seinen Befehl hin besetzten Roboter die Gefechtsstationen der übernommenen TVF-Schif e. PD und QT hatten an Übungen teilgenommen und hielten sich an den Waffenkonsolen bereit. Sirix wies seine kleine Flotte an, die Triebwerke zu reaktivieren, sich mit vol er Geschwindigkeit Relleker zu nähern und das Feuer zu eröffnen.
Bevor die Klikiss auf den unerwarteten Angriff der schwarzen Roboter reagieren konnten, schlugen Jazer-Strahlen und explosive Projektile in die Schwarmschif e.
Dutzende von Explosionen rissen die Schiffe auseinander, und es blieben nur glühende Trümmer übrig. Energetische Druckwellen schleuderten einzelne Komponenten hinaus ins Al .
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»Es befinden sich zahlreiche Klikiss-Krieger auf dem Planeten, Sirix«, sagte QT.
»Sie haben die Kolonie zerstört und setzen den Kampf fort.«
»Sie sind hierhergekommen, um zu erobern.« Sirix rief Inventarlisten in sein kybernetisches Bewusstsein und stel te fest, dass ihm noch vier Nuklearsprengköpfe zur Verfügung standen, mit denen er die Region des Planeten, in der sich die Kolonie der Menschen befunden hatte, völ ig vernichten konnte. Er durfte es nicht riskieren, Teile der beiden aufgeriebenen Subschwärme zurückzulassen. Relleker sol te nicht den Klikiss überlassen bleiben, obwohl der Planet für seine eigenen Zwecke ungeeignet war.
Die Sprengköpfe fielen genau an den richtigen Stellen, und atomares Feuer verschlang al es, brachte den Klikiss sofortigen Tod ... und auch den Menschen, die sich vielleicht versteckt und bisher überlebt hatten.
Als die übernommenen TVF-Schiffe das Sonnensystem verließen, war Relleker steril. »Endlich haben wir einen Sieg errungen«, sagte Sirix trotz der Enttäuschung darüber, dass ihnen noch immer die Möglichkeit fehlte, neue Roboter zu bauen.
Die beiden Kompis sahen auf die Schirme, als der Planet schrumpfte. »Unsere Probleme bleiben ungelöst, Sirix«, sagte PD.
30 * KÖNIG PETER
Es roch nach feuchter Asche.
Die Pilzriff-Stadt war verbrannt, was für Peter bedeutete, dass er einen neuen Regierungssitz brauchte. Admiral Wil is' Soldaten fäl ten die verkohlten Bäume, rodeten den Boden und errichteten Behelfsunterkünfte.
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Sie erstattete Peter Bericht. »Mit Ihrer Erlaubnis, Sir ... Ich möchte unsere Techniker anweisen, sich an die Arbeit zu machen, damit wir sauberes Wasser und genug zu essen haben. Die Nahrungsrationen sind nicht unbedingt für Gour-mets bestimmt, helfen aber gegen den Hunger. Außerdem essen die Theronen Insekten. Ich nehme also an, dass sie nicht besonders wählerisch sind.«
Peter ging nicht auf den Scherz ein. »Sie hätten mit Ihren Schiffen zu keinem besseren Zeitpunkt eintreffen können, Admiral.«
»Besser spät als nie. Bedeutet das, Sie akzeptieren uns als Teil des Konföderationsmilitärs?«
»Sie sind sogar der größte Teil davon. Melden Sie sich bei den Werften von Osquivel, wenn Sie hier mit dem Gröbsten fertig sind. Dort entsteht unsere neue Flotte. Die Einzelheiten können Sie mit meinen gegenwärtigen ... befehlshaben-den Offizieren besprechen - ich glaube, so könnte man sie nennen. Ich meine Robb Brindle und Tasia Tamblyn.«
Wil is lachte leise. »Brindle und Tamblyn? Ich hätte mir denken können, dass ich sie im dicksten Getümmel wiederfinde. Brindles Vater war mein Erster Offizier, aber er ... hat es vorgezogen, unsere Zusammenarbeit nicht fortzusetzen.«
»Sie haben ihn zurückgelassen, als Ihre Schiffe meuterten?«, fragte Estarra.
Wil is versuchte, sich nicht zu sehr über die Wortwahl der Königin zu ärgern.
»Manche Leute brauchen mehr Zeit als andere, um die richtige Entscheidung zu treffen.«
Estarra rückte das Baby an ihrer Seite zurecht und achtete darauf, es nicht zu wecken. Mit Salbe auf den Brandwunden war der Kleine endlich eingeschlafen.
»Peter, wenn Admiral Wil is zu den Werften von Osquivel fliegt, könnte sie das kleine Kugelschiff der Hydroger mitnehmen. Es muss zu Kotto Okiah gebracht werden.«
Peter nickte. »Ja, es wird Zeit. Al erdings bin ich froh, dass es hier war, als wir es brauchten.«
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Das silbrige Wental-Schiff landete mitten auf der Wiese, an deren Rand noch immer Wasser von den Zweigen und Ästen der großen Bäume tropfte. Jess Tamblyn und Cesca Peroni traten durch die flexible Membran ihres Schiffes und blieben stehen, erfül t von Wental-Energie und auf der Haut eine dünne Schicht aus lebendem Wasser. Ihre Gesichter zeigten grimmige Zufriedenheit.
»Zum Glück haben wir die Nachricht rechtzeitig erhalten«, sagte Cesca. »Die grünen Priester haben uns über den Angriff der Faeros informiert.«
»Wir mussten den Wentals beibringen, richtig zu kämpfen«, fügte Jess hinzu. »Die Faeros haben bereits genug Schaden angerichtet. Es wird Zeit für uns, dass wir in die Offensive gehen.«
Ein Schatten fiel auf Cescas Züge. »Die Faeros werden überal dort zuschlagen und al es verbrennen, wo sich ihnen eine Möglichkeit bietet: in der Konföderation, in der Hanse, bei den Wentals und Verdani - überall. Deshalb müssen wir gegen sie kämpfen.«
»Wie Sie hier gesehen haben, sind die Wentals richtig erwacht, und wir werden sie führen.« Jess sah zum Himmel hoch; die untergehende Sonne verlieh dem Firmament besonders intensive Farben. »Ich habe bereits meine Wasserträger aufgefordert, dabei zu helfen, die Wentals erneut zu verbreiten. In den Werften von Osquivel sind wir Nikko Chan Tyler und seinem Vater begegnet; sie sind mit der Aquarius zu neuen Missionen aufgebrochen.«
Der Kummer in Cescas Gesicht wich Genugtuung. »Die Faeros wissen es noch nicht, aber die Regeln haben sich geändert. Sie werden sich wundern ...«
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31 # CALEB TAMBLYN
Kälte. Einsamkeit. Keine Hoffnung.
Während der endlos scheinenden Tage hatte Caleb immer wieder nach Worten gesucht, die seine missliche Lage angemessen beschrieben. Rettungskapseln boten keinen besonderen Luxus, aber wenigstens lebte er. Noch ...
Gestrandet. Isoliert. Mit dem Latein am Ende.
Als sich die Faeros dem Tamblyn-Tanker genähert hatten, waren Denn Peroni und Caleb am Rand des Jonah-Systems gewesen, mit einer Ladung Wentals an Bord. Wer hatte ahnen können, dass Denns bizarre neue Religion Verwunderbarkeit den Faeros gegenüber zur Folge hatte?
Denn hatte gewusst, dass er selbst nicht entkommen konnte, und deshalb hatte er Caleb gezwungen, in die Rettungskapsel zu klettern. Das Triebwerk hatte sofort gezündet, und kurze Zeit später war der Tanker hinter ihm explodiert. Caleb erinnerte sich daran, wie die Feuerwesen die Wentals in die Sonne gezogen hatten ...
Einen ganzen Tag lang war er im Al unterwegs gewesen, und dann erfolgte der Absturz auf den eisigen Planetoiden Jonah 12. Vor nicht allzu langer Zeit hatte es dort einen Stützpunkt der Roamer gegeben, eine von Kotto Okiah konzipierte Wasserstof verarbeitende Anlage. Aber sie war zerstört worden ... von wiedererwachten Klikiss-Robotern, wenn sich Caleb recht entsann.
Jetzt gab es auf Jonah 12 nichts mehr: keine Transportmittel, keine Gebäude, keine Möglichkeit, ein Notsignal zu senden - es gab auch niemanden in Reichweite, der einen Notruf hätte empfangen können.
Die von den Roamern gebaute Rettungskapsel verfügte über ein Lebenserhaltungssystem, das seine Betriebsenergie aus Batterien bezog und höchstens eine Woche funktionierte. Selbst wenn er Wasser und Proviant rationierte und die kör
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perlichen Anstrengungen auf ein Minimum reduzierte: Wenn ihn jemand vermisste, würde Caleb längst tot sein.
Al erdings hatte er einen Schutzanzug, einen einfachen chemischen Generator und einige Werkzeuge. Die ersten anderthalb Tage verbrachte er damit, einen simplen Extraktor zusammenzubasteln, ein Gerät, das jedes zehnjährige Roamer-Kind bauen konnte. Damit gewann er Wasser, Sauerstoff und Wasserstoff aus dem Eis des Planetoiden. Mit seinem Roamer-Know-how konnte Caleb bis zu mehreren Wochen überleben - eine erstaunliche Leistung, die eine Rettung al-lerdings nicht wahrscheinlicher machte.
Auf halbem Weg zwischen Langeweile und Verzweiflung streifte er den Schutzanzug über, brachte die kleine Luftschleuse hinter sich und trat nach draußen ins »Tageslicht«. Die ferne Sonne zeigte sich nur als ein heller Stern unter vielen. Jonah 12 war eine öde kleine Welt, düster und kalt. Caleb nahm seine Werkzeugtasche und einen Probenbehälter, stapfte damit über die felsige, hier und dort von Eis bedeckte Oberfläche.
Die geringe Schwerkraft erlaubte ihm große, mühelose Schritte, und er brauchte weniger als eine Stunde, um den Krater mit den Resten von Kottos Verarbeitungsanlage zu erreichen. Er hoffte, die Überbleibsel von Unterkünften zu finden, vielleicht einige Dinge, aus denen er ein Basislager improvisieren konnte. Auf dem Weg zum Krater träumte Caleb davon, einen funktionsfähigen Generator zu entdecken, ein intaktes Lebensmittellager oder vielleicht ein unbeschädigtes Kommunikationssystem.
Doch er fand nur Trümmer, einige Metal reste und Klumpen geschmolzener und dann wieder erstarrter Legierung, nichts, das er irgendwie verwenden konnte.
Trotzdem setzte er die Suche fort. Der größte Teil des Stützpunkts war bei der Reaktorexplosion einfach verdampft, und geschmolzenes Eis hatte den zerstörten Rest verschlungen. Das Wasser war kurze Zeit später zu einer eisenharten grauen Masse erstarrt,
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in der es hier und dort Pfützen gab, wo radioaktiver Zerfall für genug Wärme sorgte.
Caleb blickte in den Krater und musste sich der Realität stel en: Er würde noch eine ganze Weile hierbleiben, und die letzten Tage ohne Nahrung würden bestimmt ziemlich unangenehm.
32 # NIRA
Nira wusste, dass Jora'h mit seiner ganzen Kraft gegen den Wahnsinn ankämpfte
- sie dachte kaum an etwas anderes. Als Sarein und Captain McCammon in der Mondbasis eintrafen und um ein Gespräch mit ihr baten, rechnete sie mit schlimmen Nachrichten.
»Kommen Sie mit uns in den Flüsterpalast, Nira.« In Sareins Stimme erklang fast so etwas wie Anteilnahme. »Der Vorsitzende braucht Ihre Fähigkeiten als grüne Priesterin.«
Nira rang mit ihrem Zorn. Sarein trug ihre theronische Botschafterkleidung, verhielt sich aber wie eine Marionette des Vorsitzenden. Botschafterin Otema hatte einst dieses aus Kokonfasern bestehende Gewand getragen; Nira beschmutzte es, fand Nira.
»Kein grüner Priester wird der Hanse Telkontakt-Dienste leisten«, sagte Nira.
»Ich ganz bestimmt nicht.«
»Selbst wenn es den Weisen Imperator sicher hierher zurückbringen würde?«, fragte McCammon. Er schien dichter neben Sarein zu stehen, als es eigentlich nötig war. »Sie brauchen uns nur zu begleiten«, fügte er etwas leiser hinzu.
»Ich kann den Vorsitzenden dazu bringen, Diente die Rückkehr zu befehlen«, sagte Sarein. Sie wirkte sehr ernst. »Sie bekommen den Weisen Imperator zurück. Aber zuerst müssen Sie ein wenig Kooperation zeigen.«
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Niras Herz schlug schnel er. Jora'h wol te bestimmt nicht, dass sie sich Druck beugte, aber sie konnte ihm damit praktisch das Leben retten. Wenn er starb oder den Verstand verlor ... die Konsequenzen für das Ildiranische Reich wären schrecklich gewesen. »Ich möchte unsere Vereinbarung schriftlich fixiert wissen und im Beisein von Zeugen unterschrieben.« Nira verschränkte die Arme.
»Innerhalb von einer Stunde.«
»Ich fürchte, Sie sind nicht in der Position, irgendetwas zu verlangen.«
McCammons Worte klangen kühl, aber seine Augen zeigten ein Mitgefühl, das Nira überraschte. »Und wir sind nicht in der Lage, auf solche Forderungen einzugehen.«
»Ich bin einverstanden.« Sarein legte McCammon sanft die Hand auf den Arm.
»Ich schreibe einige entsprechende Zeilen.« Sie spielte ihren letzten Trumpf aus.
»Und der Vorsitzende wird Ihnen Zugang zu einem Schössling gestatten, zumindest für eine Weile. Das sol ten Sie bedenken.«
Nira dachte an die Vorteile eines kurzen Kontakts mit dem Weltwald. Dann konnte sie den König und al e grünen Priester im Spiralarm auf ihre Gefangenschaft hinweisen. Und vielleicht erfuhr sie, wie es nach dem Angrif der Faeros um Ildira stand. Was auch immer der Vorsitzende beabsichtigte: Es musste wichtig genug sein, ein derartiges Risiko zu rechtfertigen. Ein solches Angebot machte er nur, weil er sie, Nira, dringend brauchte.
Die im Weltwald präsenten Erinnerungen von grünen Priestern hatten Nira auf die Pracht des Flüsterpalastes vorbereitet, aber als sie ihn tatsächlich sah, achtete sie gar nicht darauf. Hinter all der fantastischen Architektur und den jubelnden Mengen sah Nira die Fäulnis in der Terranischen Hanse.
Sarein führte sie zu einem hübschen orangefarbenen Pavil on an einer Ecke des Palastplatzes - er war extra für die
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»geschätzte theronische Botschafterin« geschmückt worden. Vermutlich hatte sich Sarein selbst darum gekümmert, denn Nira bezweifelte, dass Basil Wenzeslas der Zentralwelt der neuen Konföderation besonderen Respekt entgegenbrachte.
Vom Pavil on aus konnten sie das zentrale Rednerpodium sehen, die hingerissene Menge und die vielen Wächter. Als das Zwielicht al mählich Dunkelheit wich, wurden zahlreiche Fackeln an den Türmen des Flüsterpalastes entzündet. Der ganze Distrikt erstrahlte in hellem Licht wie zu einem Fest.
Zweifel regten sich in Nira. »Was erwartet man von mir?«
»Der Vorsitzende möchte sicher sein, dass König Peter seine Bekanntgabe hört -
sofort«, erwiderte Sarein. »Berichten Sie, was Sie sehen und hören. Geben Sie die Nachricht weiter und überlassen Sie es Peter, zu entscheiden, was er damit anfängt. Seien Sie eine grüne Priesterin!« Sie senkte die Stimme, und die nächsten Worte überraschten Nira. »Anschließend muss ich Ihnen den Schössling wegnehmen. Nutzen Sie die Gelegenheit so gut es geht.«
Der Vorsitzende Wenzeslas näherte sich, begleitet von einem Wächter, der einen kleinen Schössling trug, so vorsichtig, als wäre er eine Zeitbombe. Nira merkte plötzlich, wie sehr sie sich danach gesehnt hatte, wieder einen Weltbaum berühren zu können. Über Jahre hinweg war sie auf Dobro vol kommen vom Weltwald isoliert gewesen, und diese Erfahrung hatte sich auf der Mondbasis wiederholt. Sie konnte ihre Sehnsucht nicht verbergen.
Der Vorsitzende bedachte sie mit einem strengen Blick. »Ich weiß, dass ich nicht kontrol ieren kann, was Sie während Ihres Kontakts mit dem Weltwald senden, und ich wil es auch gar nicht versuchen. Mir genügt, dass Sie weitergeben, was hier geschieht. Damit dürfte Peter al e Hände vol zu tun haben.«
Nira blieb stehen und zwang sich, nicht die Arme nach dem Schössling auszustrecken. »Und der Weise Imperator? Wann holen Sie ihn zurück? Ich verlange, dass Sie ...«
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»Erdreisten Sie sich nicht, die Bedingungen dieser Übereinkunft zu diktieren.
Sarein hat mich bereits dazu überredet, Admiral Dientes Schiff zurückzurufen, wenn Sie hier kooperieren, obwohl ich nach wie vor Bedenken habe. Ein wenig Kooperationsbereitschaft des Weisen Imperators hätte al es viel einfacher gemacht. Wenn er in einigen Tagen zurückkehrt, stellt er vielleicht fest, dass sich die öffentliche Meinung in Bezug auf ihn ein wenig verändert hat.«
Der Blick des Vorsitzenden schweifte über die Menge. Er lächelte, als Nira auf den Bildschirmen am Rand des großen Platzes erschien. Es war keine aktuel e Aufnahme, sondern eine alte - sie zeigte eine hohlwangige, vom Leid gezeichnete grüne Priesterin. Unbehagen breitete sich bei den Zuschauern aus.
»Was ... was haben Sie vor?« Nira sah sich um und stellte fest, dass Sarein ihrem Blick auswich.
»Ich habe beschlossen, den Weisen Imperator ins rechte Licht zu rücken«, erklärte der Vorsitzende. »Meine Presseabteilung gibt die vol e Geschichte darüber bekannt, was Ildiraner Ihnen angetan haben: die Ermordung von Botschafterin Otema, der Umstand, dass Sie im Rahmen eines abscheulichen Zuchtprogramms immer wieder vergewaltigt wurden, und so weiter. Diese grässlichen, unmenschlichen Ildiraner ... Es passt perfekt zu der religiösen Begeisterung, die der Erzvater in unseren Bürgern weckt. Und das Beste von allem: Es entspricht der Wahrheit. Von jetzt an werden die Menschen nichts mehr von den Versprechungen der Ildiraner halten. Ihre Geschichte beweist, dass der Weise Imperator jederzeit zu Verrat bereit ist.«
»Für die von Ihnen erwähnten Verbrechen ist der frühere Weise Imperator verantwortlich«, sagte Nira. »Jora'h hat al es in seiner Macht Stehende getan, um Abbitte zu leisten. Und ich bin nicht Ihre Marionette.«
»Sie werden tun, was ich von Ihnen erwarte, es sei denn, Sie wol en das Leid des Weisen Imperators verlängern. Also
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los. Vergeuden wir keine Zeit.« Basil Wenzeslas nickte, und der Wächter reichte Nira den Schössling. Sie nahm ihn entgegen und war mehr an seinen zarten Blattwedeln und dem Telkontakt-Potenzial interessiert als am Geschehen auf dem Platz.
Basil wandte sich an Sarein. »Cain und ich haben drinnen einige Dinge zu besprechen. Du kannst leider nicht mitkommen, denn ich vertraue dir die grüne Priesterin an. Sorg dafür, dass Peter von unserem neuen König erfährt - insbesondere seinen Namen.«
»Ja, Basil.« Der Vorsitzende ging fort, nachdem er Sarein übers kurze Haar gestrichen hatte - eine mechanische Geste. Nira entdeckte nicht das geringste Gefühl darin, aber sie sah, wie Sarein kurz erschauerte.
Als sie im Beobachtungspavil on al ein waren, berührte Nira den Schössling, projizierte ihre Gedanken ins Netzwerk des Weltwalds und nahm die wartenden Informationen in sich auf. Sie strömten ihr entgegen, und innerhalb weniger Sekunden erfuhr sie, was seit Jora'hs Gefangennahme passiert war.
Sie wusste plötzlich, dass die Faeros über Ildira hergefal en waren. In deutlichen Bildern sah sie junge Faeros, die Theroc angrif en, von Weltbäumen Besitz ergriffen und sich als lebendes Feuer ausbreiteten. Die Katastrophe war zwar überstanden, aber noch immer erinnerte Schmerz daran.
Nira schickte ihre eigenen Informationen, berichtete von der Entführung des Weisen Imperators und vom Plan des Vorsitzenden, ihn zum Verrat an König Peter zu zwingen. Wol te Basil Wenzeslas, dass die Konföderation darüber Bescheid wusste? Es spielte keine Rol e. Nira dachte daran, dass man ihr den Schössling wegnehmen würde, wenn dies hier vorbei war. Sie beschloss, Sarein nicht zu sagen, was sich auf Theroc ereignet hatte. Warum auch?
Im Telkontakt versunken, nahm sie kaum zur Kenntnis, dass auf dem Platz die Zeremonie begann. Der Erzvater trat
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prächtig gekleidet aufs Rednerpodium und hob seinen Hirtenstab. Er ging mit langsamen, bedächtigen Schritten, und sein Erscheinen schuf erwartungsvol e Stil e auf dem Platz.
Sarein merkte, wie sehr Nira auf den Schössling konzentriert war. »Sehen Sie sich dies an. Bitte.«
Nira kehrte aus dem Informationsmeer zurück und sah den Erzvater auf dem Podium, in Begleitung eines jungen Mannes, der hinter ihm wartete. Er hatte dunkles Haar und dunkle Augen, und auf Nira machte er den Eindruck von jemandem, der überfordert war, aber versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen.
Er trug erlesene bunte Kleidung, die ein wenig an die des Alten Königs Frederick erinnerte. Das bärtige religiöse Oberhaupt begann mit einer weiteren Rede über die Klikiss-Dämonen und König Peters angebliche Verschwörung mit ihnen, doch die Worte klangen zögernd; ihnen fehlte Nachdruck.
»Bevor wir errettet werden können«, intonierte der Erzvater, »bevor die Menschheit auf den rechten Pfad zurückkehren kann, brauchen wir jemanden, der uns mit Weitblick führt. Wir brauchen einen König, der mehr ist als nur ein König, jemanden, der den von König Peter angerichteten schrecklichen Schaden beheben kann.«
Nira übertrug die Worte in den Telkontakt, obwohl sie nicht ganz verstand, warum dem Vorsitzenden so viel daran lag. Die grünen Priester gaben sie weiter; Nira hörte, wie Celli in diesem Augenblick König Peter Bericht erstattete.
»Heute stelle ich Ihnen den neuen König der Hanse vor, einen jungen Mann, der dazu ausersehen ist, uns al e zu retten. Heil dir, König Roryl«
Der junge Mann trat vor und blieb dann so gerade und würdevol stehen, als hätte er diesen Auftritt oft geübt. Er wirkte recht sympathisch, die perfekte Galionsfigur. Aber ein Erretter? Nira bezweifelte es.
Peter wusste jetzt, dass die Hanse ihn ganz offiziell ersetzt hatte, womit früher oder später natürlich zu rechnen gewe
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sen war. Erneut fragte sich Nira, welche besondere Bedeutung diese Proklamation für den Vorsitzenden hatte.
33 # STELLVERTRETENDER
VORSITZENDER ELDRED CAIN
Während der Krönungszeremonie stand Basil neben seinem Stellvertreter Cain auf dem hohen, verborgenen Balkon. Der Vorsitzende schien recht guter Stimmung zu sein. »Heute Abend liegt eindeutig etwas Besonderes in der Luft.«
Cain war nicht sicher, ob er wissen wol te, was der Vorsitzende plante.
Basil Wenzeslas war stolz darauf, zahl ose Eisen im Feuer zu haben. Angeblich dienten sie al e dem Wohl der Hanse, aber oft handelte es sich um kleinliche Dinge, wie zum Beispiel die falsche Darstellung der Erlebnisse der grünen Priesterin Nira bei den Ildiranern.
General Lanyan hatte vor kurzer Zeit einen Bericht von seinem großen Erfolg bei den Himmelsminen der Roamer geschickt. Darin war die Rede von »enorm viel«
erbeutetem Ekti. Der General setzte seine »Mission« fort, aber der Vorsitzende Wenzeslas musste die besiegten Roamer jetzt irgendwie dazu bringen, weiterhin Ekti für die Hanse zu produzieren. Cain bezweifelte, dass das eine leichte Aufgabe war ...
Bevor der Erzvater mit der eigentlichen Krönungszeremonie begann, traten hinter Wenzeslas und Cain zwei lächelnde Personen auf den Balkon: ein kleiner Mann mit breitem Gesicht und einem Oberkörper, der länger zu sein schien als die Beine, und eine große, dunkelhäutige Frau. Die statuenhafte Frau hatte hohe Wangenknochen, große braune Augen und einen ungewöhnlich langen Hals.
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»Al es ist bereit, Vorsitzender«, sagte der Mann mit tiefer, rauer Stimme. Er hatte Kommunikationsgeräte mitgebracht.
Die große Frau nickte und verneigte sich dabei. Es sah fast aus, als mache sich eine Giraf e zum Trinken bereit. »Der Metal staub ist gleichmäßig in der Luft über dem Platz verteilt. Bei der gegenwärtigen Wetterlage werden die Impedanzpfade noch fünfzehn oder zwanzig Minuten von Bestand bleiben. Die Zeit ist knapp, aber wir sind bereit.«
Der Vorsitzende stellte seinem Stel vertreter die Neuankömmlinge mit einem zuversichtlichen Lächeln vor. »Das sind meine wissenschaftlichen Berater Dr.
Tito Andropolis und Dr. Jane Kulu.«
»Wir sind hier, um mit technischen Wundern zu zeigen, dass Gott auf unserer Seite ist«, sagte die Frau, und sie schien ihre Worte ernst zu meinen.
»Technische Wunder?«, wiederholte Cain. Was hatte Wenzeslas vor?
»Lug und Trug«, murmelte Basil.
»Manchmal braucht der Glaube einen kleinen Anstoß, damit er die gewünschte Richtung einschlägt«, sagte Andropolis und lachte leise. »Die Wahrheit ist die Wahrheit. Warum sol te es eine Rol e spielen, wenn wir ein bisschen dabei nachhelfen, die Bürger auf den rechten Weg zu bringen?«
Unten auf dem hell erleuchteten Platz rief der Erzvater König Rory zu sich. Die Menge jubelte und klatschte; sie hätte dem Erzvater al es geglaubt.
Andropolis wippte auf den Zehen und genoss die gute Aussicht vom Balkon.
»Nach dem Schauspiel des heutigen Abends werden die Leute Rory als von Gott geschickt verehren.«
»Das ist der Sinn der Sache«, sagte Basil.
Auf dem Rednerpodium sprach der Erzvater: »Gott hat diesen jungen Mann dazu bestimmt, unser König zu sein. Rory wird uns retten vor den Dämonen, vor den Verrätern, und
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uns zurück zum Wohlstand führen.« Klug positionierte Scheinwerfer verpassten dem gerade gekrönten Rory eine Art Heiligenschein.
Kulu hob einen Kommunikator. »Die Ladungen vorbereiten« sagte sie mit selbstsicher klingender Stimme. »Auf meine Anweisung warten.«
Oben am Himmel explodierten Feuerwerkskörper, und das ganze Firmament schien in Flammen zu stehen. Die Menge auf dem Platz applaudierte begeistert.
Basil lächelte hintergründig. »Das ist nur der Anfang.«
Die feurigen Muster am dunklen Himmel verblassten, und Rory sprach mit zittriger Stimme, die schnell fester wurde: »Ich bin euer König. Ich werde euch führen, mein erwähltes Volk, und ich werde al en anderen die wahre Macht der Gerechten zeigen.«
Andropolis war fast außer sich vor Aufregung. Kulu hob erneut ihren Kommunikator vor die Lippen. »Mit den Entladungen beginnen.«
Unten auf dem Podium hob Rory die Arme und rief: »Ich rufe die Blitze vom Himmel!«
Mit perfekter Choreografie flackerten Blitze in der Dunkelheit über dem Platz.
Einer nach dem anderen trafen sie wie glühende himmlische Peitschen die höchsten Gebäude des Palastdistrikts und schienen sich dann am höchsten Turm des Flüsterpalastes und an der Spitze der Hanse-Pyramide festzufressen. Vier blendende Sekunden lang gleißten die Blitze dort und woben ein Spinnennetz aus Elektrizität am Himmel. Nie zuvor hatte Cain so etwas gesehen.
Die Nahaufnahmen zeigten, wie Rory zählte, und dann ließ er genau im richtigen Moment die Arme sinken - wie auf seinen Befehl hin verschwanden die Blitze.
Ehrfürchtige Stil e herrschte auf dem Platz.
Der stellvertretende Vorsitzende blinzelte und rechnete damit, zerstörte Türme und in Flammen stehende Dächer zu sehen. Aber ihm wurde schnell klar, dass kein Schaden an
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gerichtet worden war. König Rory hatte nicht nur Blitze vom Himmel gerufen, sondern auch sein Volk geschützt. Perfekt.
»Gut platzierte Blitzableiter«, erklärte Basil. »Sie sol ten entfernt werden, bevor jemand auf den Gedanken kommt, sich umzusehen. Bitte kümmern Sie sich darum.«
Cain nickte vol er Unbehagen.
Basil blickte zufrieden auf die zutiefst beeindruckte Menge hinab. »Das sol te die lästigen Anti-Hanse-Protestler für eine Weile zum Schweigen bringen. Ist es zu weiteren Zwischenfäl en gekommen?«
Cain musste seine Gedanken in die Gegenwart zurückholen. »Es kommt ständig zu irgendwelchen Zwischenfäl en, Vorsitzender. Die Widerstandsgruppen werden immer aktiver.«
»Machen Sie sie unschädlich.«
Kulu und Andropolis beglückwünschten sich gegenseitig. »Heute Abend hat Gott seinen Wil en gezeigt«, sagte Andropolis und seufzte zufrieden. »Wer könnte daran zweifeln?«
34 # KÖNIG PETER
Peter erbleichte, als ihm Celli von den Ereignissen auf der Erde berichtete. »König Rory? Das kann doch nicht sein ...«
Estarra sah ihn an und teilte seine Verwirrung und sein Unbehagen. Peter wusste, dass nur seine Frau verstand -und Basil. Zum Teufel mit ihm! Eine solche Gemeinheit hätte Peter nicht einmal vom immer labiler werdenden Vorsitzenden erwartet.
Rory ... Wie konnte er noch am Leben sein?
Von Nira wussten sie, dass Basil den Weisen Imperator entführt hatte und ihn zwingen wol te, sein Bündnis mit der Konföderation zu lösen - Isolation sol te seinen Wil en bre
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chen. Und jetzt hatte der Vorsitzende Rory der Öffentlichkeit präsentiert, den seit Langem toten Rory. Wie war das möglich?
»Oh, Basil ist noch durchtriebener, als ich dachte«, sagte Peter. »Beschreib es mir erneut, Celli. Jede Einzelheit. Und beschreib mir den jungen Mann.«
Erstaunt von seiner Reaktion, wiederholte sie Niras Nachricht, und Peter nickte langsam und kummervol . »Entschuldige bitte. Ich möchte mit Estarra al ein sein, wir müssen miteinander reden.«
Die Königin war bereits auf den Beinen, und Peter folgte ihr ins gemeinsame provisorische Quartier. Dort nahm er Platz, stützte die El enbogen auf die Knie und den Kopf auf die Hände. »Al e anderen glauben, dass es nur eine politische Proklamation war, mit der ein neuer König vorgestellt werden sol te, aber Basil kennt natürlich den persönlichen Aspekt - vor al em darum ging es ihm. Er wol te das Messer in der Wunde drehen. Dies ist ganz klar eine gegen mich gerichtete Drohung.«
Estarra setzte sich, hielt den kleinen Reynald in den Armen und lehnte sich zurück, damit sie ihn stil en konnte. »Glaubst du wirklich, dass es dein Bruder ist?
Oder könnte es ein Trick sein?«
Peter überlegte. Vor fast zehn Jahren war seine Familie beim Brand ihres Wohnhauses ums Leben gekommen - das Ergebnis von Sabotage, mit der die Schergen des Vorsitzenden al e Verbindungen zu Peter/Raymond beseitigen wol ten. Niemand sol te die Identität des neuen Königs durch genetische Untersuchungen in Zweifel ziehen können.
Aber König Rory konnte kein Zufal sein. Darauf wies Basil in al er Deutlichkeit hin, indem er Nira veranlasst hatte, die Nachricht zu übermitteln.
»Es ist doch absurd, anzunehmen, dass dein kleiner Bruder nach al den Jahren noch lebt«, sagte Estarra und versuchte, vernünftig zu klingen.
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Peter atmete tief durch. »Wenn jemand so heimtückisch sein könnte, dann Basil.«
»Aber wenn er wirklich die ganze Zeit über eine Geheimwaffe hatte, mit der er dich unter Druck setzen konnte -warum macht er erst jetzt Gebrauch davon? Du könntest König Rory entlarven und auf seine gefälschte Identität hinweisen. Dann hätte der Vorsitzende nichts mehr gegen dich in der Hand.«
Peter schüttelte den Kopf. »Wenn ich den Weg einschlage, müsste ich meine eigene Herrschaft infrage stellen. Ich müsste zugeben, dass ich nur ein Straßenjunge bin, dem man eine neue Identität gab, um ihn auf den Thron zu setzen. Ob Rory mein Bruder ist oder nicht - ich bin ebenso ein Hochstapler wie er.« Peter stand auf und begann mit einer unruhigen Wanderung durch den Raum. »Basil wird versuchen, ihn als Geisel zu verwenden. Solange Rory seine Anweisungen befolgt, hat er genau das, was er wil : die wil fährige Marionette, die ich für ihn sein sol te. Und wenn es in mir auch nur einen Hauch von Hoffnung gibt, dass Rory mein kleiner Bruder ist ... In dem Fal glaubt Basil, mich unter Kontrol e zu haben.«
Als Estarra den Säugling gestil t hatte, nahm Peter ihn entgegen. Er hielt ihn in den Armen und blickte in das kleine Gesicht hinab. Er dachte an seine Brüder: Carlos, Michael... und Rory. Ja, Rory. Das Gefühl des Verlustes kehrte zurück, die Sehnsucht nach der Familie und dem einfachen Leben, das sie damals geführt hatten - al es von Basils Plänen zerstört. War es möglich, dass der Vorsitzende einen kleinen Teil von Peters Vergangenheit bewahrt hatte, gewissermaßen als Rückversicherung?
»Basils Plan wird nicht funktionieren, oder, Peter?«
»Nein«, antwortete er schnell und fügte dann leiser hinzu: »Zumindest glaube ich das nicht.«
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35 # TASIA TAMBLYN
Als die elf TVF-Kampfschiffe Osquivel erreichten, sagte Tasia zu Robb: »Sie können von Glück reden, dass wir eine grüne Priesterin haben, die uns vorgewarnt hat. Andernfal s hätte ich vielleicht sofort das Feuer eröffnet.«
»Gib es zu, Tamblyn - du freust dich, sie zu sehen. Und auch Admiral Wil is.«
Die Strenge wich aus Tasias Gesicht. »Ja, das stimmt. Und wir können jemanden gebrauchen, der mehr vom Kommando versteht als wir beide.«
»Du hast also die ganze Zeit über nur so getan, als ob?«
Sie klopfte ihm auf die Schulter. »Dir gegenüber nie, Brindle. Lassen wir das Begrüßungskomitee aufmarschieren. Mit al den Waf en und Schif en könnten wir auf Käferjagd gehen.«
Als sie sich ganz offiziel an Bord der Jupiter präsentierten, sah sich Tasia vol er Nostalgie auf der Brücke um. Wil is trug ihre beste Uniform und hatte Offiziere und Crew aufgefordert, sich herauszuputzen: auf Hochglanz polierte Schuhe, präzise gebügelte Uniformen, sorgfältig gekämmtes Haar. Tasia wusste nicht, warum es die Admiralin für notwendig hielt, einen guten Eindruck zu machen, denn immerhin war die Konföderation kaum in der Lage, das Angebot einsatzfähiger Kriegsschiffe zurückzuweisen.
Willis erwiderte Tasias militärischen Gruß. »Ganz ehrlich, ich hätte nicht gedacht, Sie beide lebend wiederzusehen.«
Tasia gab al e Förmlichkeit auf und umarmte Wil is kurz. »Mir ist der Kampfdienst lieber als die Gefangenschaft bei den Hydrogern, Ma'am.«
»Ich habe das kleine Kugelschiff der Hydroger für Kotto Okiah mitgebracht, fal s Sie weitere verrückte Ideen haben«, sagte Wil is.
»Nein, danke, Ma'am. Ein Ausflug in die Tiefen eines Gasriesen genügt mir.«
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Die Admiralin führte sie in ihren Bereitschaftsraum; dort musterte sie ihre beiden Besucher von Kopf bis Fuß und schien die Flecken an ihren Overal s zu zählen. »Ihre Uniformen könnten etwas mehr Aufmerksamkeit vertragen. Sieht so das Militär der Konföderation aus?«
»Roamer und die Freiwil igen von den Kolonien brauchen keine Kostüme, um zu wissen, auf welcher Seite sie kämpfen«, sagte Tasia und fühlte sich in die Defensive gedrängt.
»Wir hatten noch keine Zeit, uns neue Uniformen zuzulegen«, fügte Robb hinzu.
»Ich weiß nicht einmal, welchen Rang wir haben.«
»Klingt so, als könnten Sie ein Organisationsdiagramm gebrauchen«, kommentierte Wil is. »Obwohl mir bei der Vorstellung graut, der Roamer-Gesel schaft eine solche Struktur aufzuzwingen.«
Nachdem Wil is in der Bordkombüse Kaffee und Plätzchen bestellt hatte, sagte Tasia: »In der TVF mangelte es nicht an idiotischen Kommandeuren, aber Sie gehörten nicht dazu, Admiral. Sie haben sich die Dinge durch den Kopf gehen lassen, selbst damals, als die Tivvis es auf die Roamer-Clans abgesehen hatten.«
Wil is hob die Brauen. »Ich mag schwer von Begriff sein, aber irgendwann fäl t der Groschen.« Sie nahm ein drittes Zuckerplätzchen vom Teller und erzählte, wie sie den Dienst in der Terranischen Verteidigungsflotte nach General Lanyans Vorgehen auf Usk und Rhejak quittiert hatte.
Es stimmte Robb traurig, zu hören, dass sein Vater nicht die Seiten gewechselt hatte. »Offenbar bleibt er bei der TVF, was auch immer geschieht.«
Tasia räusperte sich. »Ich weiß nicht, was der beste Weg ist, Ihre Schiffe und Soldaten ins Militär der Konföderation zu integrieren, Ma'am. Unser Setup unterscheidet sich von dem, an das Sie gewöhnt sind.«
»Sosehr es Sie auch erstaunen mag, aber ich bin durchaus imstande, zu lernen und mich anzupassen«, sagte Wil is.
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»Al e meine Soldaten wussten, worauf sie sich einließen, und sie sind bereit. Sie können sich gern bei der Crew umhören.«
Tasia schnaubte. »Glauben Sie viel eicht, ich hätte nichts Besseres zu tun, als mit Tausenden von Soldaten zu quatschen? Es genügt mir, wenn Sie für sie bürgen.«
Wil is' Schiffe flogen zur anderen Seite der Ringe, dorthin, wo Kotto Okiah eine nagelneue Raumwerft eingerichtet hatte, die genug Platz für die ganze Kampfgruppe bot. »Dies sind eindrucksvol e Anlagen, Tamblyn«, sagte die Admiralin. »Ganz und gar nicht das, was wir vorgefunden haben, als wir hier gegen die Hydroger antraten. Wurde al das in nur einigen wenigen Jahren gebaut?«
Tasia verzog das Gesicht. »Oh, es war schon vorher hier. Wir haben es nur vor Ihnen verborgen. Damals hielten es die Roamer für besser, sich versteckt zu halten und zu warten, bis al es vorbei war, aber inzwischen haben wir unsere Philosophie geändert. Nach den Verfolgungen, denen wir ausgesetzt waren, können wir nicht mehr einfach nur Händler und Kuriere sein. Wir müssen auch in die Rol e von Kriegern schlüpfen. Dafür können Sie sich beim Vorsitzenden Wenzeslas bedanken.«
Der Moloch glitt in die große Raumwerft hinein. Helles Scheinwerferlicht fiel auf den Rumpf, und Andockklammern hielten das große Schif fest, damit die Arbeit beginnen konnte. In Schutzanzüge gekleidete Roamer-Techniker schwärmten aus und sahen sich die Jupiter aus der Nähe an.
Tasia wandte sich mit Anweisungen an das Personal der Werft. »Jedes Schiff muss untersucht und generalüberholt werden.«
Während der nächsten Stunden änderten die Werftmanager ihre Arbeitspläne, damit Wil is' zehn Mantas Platz im Werftkomplex fanden. Konnektoren, Teleskopbrücken und Treibstoffschläuche reichten über die Schiffsrümpfe hinweg.
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Als die eigentliche Arbeit beginnen konnte, schauten Tasia und Wil is durch das breite Beobachtungsfenster im Verwaltungszentrum. Tasia lächelte, aktivierte ihren Kommunikator und wandte sich an die Techniker. »Das Wichtigste zuerst.
Nehmt euch Abrasionsstrahler und entfernt die TVF-Sym-bole! Ich möchte Hoheitszeichen der Konföderation an jeder Außenhül e.«
36 ORLI COVITZ
Die Blinder Glaube eilte mit der Nachricht über die Kämpfe der Klikiss bei Rel eker nach Osquivel zurück. Als Captain Roberts in der Verwaltungskuppel den Roamern die aufgezeichneten Bilder zeigte, war Robb Brindle ziemlich erstaunt. »Aber was machten die Käfer dort? Relleker gehörte nie zu ihren Welten. Es handelt sich um einen legitimen Außenposten der Konföderation.«
Tasia war ziemlich sauer. »Die verdammten Insekten wol en al es erobern. Wir sol ten losschlagen! Wenn Admiral Wil is' Schiffe die Werft verlassen, haben wir genug Feuerkraft, um die Mistviecher zu erledigen.«
»Auf Relleker gibt es keine Überlebenden, die man retten könnte«, sagte Orli.
»Und es ist al es zerstört.«
Die Roamer murrten, insbesondere jene, die bisher noch nichts mit den Klikiss zu tun bekommen hatten. »Wir mussten oft genug weglaufen und uns verstecken«, sagte eine ältere Pilotin mit ledrigem Gesicht. »Jemand sol te den Käfern eine Lektion erteilen.«
»Aber was ist mit den Faeros?«, fragte die grüne Priesterin Liona. »Sie haben gerade Theroc angegriffen.«
»Und die Tivvis sind über Golgen hergefal en«, warf Robb ein.
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»Wie wundervol , so viele Feinde zu haben, dass man unter ihnen wählen kann«, sagte Hud Steinman.
Trotz seines Geredes, er wol e sich entspannen und zur Ruhe setzen, verbrachte Steinman den größten Teil seiner Tage in den Laboratorien, wo Kotto Okiah mit neuen Konzepten herumspielte. In früheren Jahren war er immer wieder Risiken eingegangen und hatte das Transportal-Netz der Klikiss erforscht. Jetzt wünschte er sich ein ruhigeres Leben, doch die Ereignisse hinderten ihn daran, und deshalb versuchte er, eine neue Aufgabe zu finden.
Mit DD an ihrer Seite fand Orli die beiden Männer in Kottos Laboratorium. Sie hatte kein Zuhause und war alt genug, al ein zurechtzukommen und Verantwortung zu tragen. Bei den Roamern wussten Mädchen in ihrem Alter bereits einen eigenen Beitrag zu leisten, und Kotto schien sich gern von ihr und Steinman helfen zu lassen.
Die kleine Forschungsstation war eine Aushöhlung im Felsgestein, über der man eine Kuppel aus transparenten Segmenten errichtet hatte. Reflektiertes Licht vom Gasriesen fiel in den Raum.
Kotto und Steinman untersuchten das kleine Hydroger-Schiff, das Admiral Willis vor kurzer Zeit gebracht hatte. Zwar hatte es einiges hinter sich, aber die kristal ene Außenfläche glänzte noch immer makel os. Kotto summte leise vor sich hin, als er durch die offene Luke sah. Seine beiden For-schungskompis KR
und GU arbeiteten in seiner Nähe, fertigten Aufzeichnungen an, analysierten Proben und brachten die zahlreichen von Kotto begonnenen Dinge zu Ende.
Als Orli mit DD hereinkam, sah Steinman von seinem Arbeitstisch auf. Kotto warf einen geistesabwesenden Blick über die Schulter. »Ich hoffe, du kommst nicht mit einem Verwaltungsproblem, um das ich mich kümmern muss.«
»Ich wol te mich nur vergewissern, dass Mr. Steinman keine Probleme schafft«, erwiderte sie scherzhaft.
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Steinman verzog das Gesicht. »Ich bin alt, Mädchen, aber mein Kopf funktioniert noch immer bestens.«
Kotto hob einen kleinen Datenschirm auf, den er auf dem transparenten Boden des Kugelschiffs liegen gelassen hatte. »Ich muss die von den Technikern der Hanse zusammengestellten Berichte durchgehen. Ein gewisser Dr. Swendsen hat einige interessante Untersuchungen durchgeführt, aber er ist tot. Ich glaube, Kompis haben ihn umgebracht. Wie dem auch sei, König Peter und OX haben die meisten Aufzeichnungen zur Verfügung gestel t.«
»Kann ich helfen?«, fragte Orli.
»Auch ich bin ein ausgezeichneter Assistent«, warf DD ein. »Meine ersten Eigentümer wol ten nur einen Freundlich-Kompi, doch Margaret und Louis Colicos veränderten meine Programmierung, damit ich ihnen bei ihren Forschungen helfen konnte.«
»Wenn du dich nützlich machen kannst, DD ... Warum nicht?«, erwiderte Steinman. »An Arbeit mangelt es hier gewiss nicht. Putz die Fenster, wenn du möchtest.«
Orli sah durch die transparenten Kuppelsegmente zu den Sternen und dem Gasriesen, in dessen Ringen die Lichter von Raumschiffen, Habitaten und Anlagen blinkten.
Ein recht schneller heller Punkt weckte ihre Aufmerksamkeit: ein Frachter, der mit hoher Geschwindigkeit den Ringen entgegenstürzte, wie auf der Flucht vor etwas. »Was ist denn mit dem Schif dort los?«
»Es scheint vor etwas zu fliehen«, sagte DD.
Kotto kletterte aus dem kleinen Kugelschiff und reckte den Hals. »Vermutlich vor al den TVF-Kampfschiffen dort.«
Ein Moloch und mehrere Kreuzer der Terranischen Verteidigungsflotte folgten dem Frachter. Alarmsirenen heulten im Werftkomplex. Da eröffnete die TVF-Kampfgruppe auch schon das Feuer.
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37 # GENERAL KURT LANYAN
Als Lanyan die vielen Anlagen in den Ringen von Osquivel sah, glaubte er, seinen Augen kaum trauen zu können. Die Ringe schienen vol er Lichter zu sein: Werften, Verarbeitungsanlagen und dichter Raumschiffverkehr. Nach den Berichten hatte die frühere Vorsitzende Fitzpatrick die Roamer von hier vertrieben, aber sie waren ganz offensichtlich zurückkehrt, und jetzt gab es hier noch mehr als vorher.
Der bei Forreys Torheit geflohene Frachter hatte sie direkt hierher geführt.
Lanyan grinste zufrieden.
Nur wenige Momente nach der Ankunft der TVF-Kampf-gruppe stoben die Schiffe der Roamer auseinander. Conrad Brindle stand auf der Brücke und sagte ernst:
»Offenbar sind sie auf uns vorbereitet, General.«
»Kein Wunder - der Frachter hat sie bestimmt per Funk gewarnt.« Der Pilot hatte sicher vorab Bericht erstattet, und damit war das Überraschungsmoment dahin.
»Waf enoffizier, vernichten Sie das Schif . Wir haben gefunden, was wir suchten.«
Brindles Augen wurden groß. »Ist das wirklich nötig, General?«
»Es handelt sich um ein fliehendes feindliches Schif . Genügt Ihnen das nicht?«
Der Waf enoffizier richtete die Zielerfassung auf das spinnenartige Schiff, und wenige Sekunden später explodierte es.
Brindle stand mit steinerner Miene da, verzichtete aber auf weitere Kommentare.
Stattdessen wandte er sich an den taktischen Offizier der Goliath. »Suchen Sie in den Datenbanken nach Bildern der Anlagen von unseren früheren Erkundungsmissionen. Viel eicht finden wir eine Möglichkeit, sie zu übernehmen, ohne dass es zu weiteren Verlusten kommt.«
Die auf den Schirmen angegebene Anzahl der Roamer-
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Schiffe, Raumdocks und Habitate verblüffte Lanyan. Dies musste ein primäres Roamer-Zentrum sein.
Dem wilden Durcheinander aus Schiffen schien es an Plan und Organisation zu mangeln. Viele Clan-Schif e setzten sich in Richtung Systemrand ab, während andere ins dichte Asteroidengetümmel der inneren Ringe flohen. Einige besonders tol kühne Piloten flogen direkt auf die Kampfgruppe der TVF zu und schössen mehrmals, bevor sie abrupt den Kurs änderten. Sie erinnerten Lanyan an kleine bellende Hunde, doch er hob erstaunt die Brauen, als von der Außenhül e der Goliath lautes Dröhnen kam. »Was war das, zum Teufel?«, entfuhr es ihm. »Haben sie uns tatsächlich getroffen?«
Brindle sah auf die Anzeigen. »Ihre Waffen sind wirkungsvol er als unsere Jazer, General. Sie stellen eine Gefahr dar.«
»Roamer haben sich nie zur Wehr gesetzt.« Lanyan wies die Mantas an, auszuschwärmen und eine zangenförmige Formation zu bilden.
»Es sind jetzt nicht mehr einfach nur Roamer, Sir ... sie gehören zur Konföderation.«
»Ich habe genug von diesem Unsinn. Öffnen Sie einen Kom-Kanal auf den Frequenzen der Roamer, damit ich zu ihnen reden kann.« Lanyan räusperte sich, beugte sich vor und schnitt eine besonders ernste Miene. »Hier spricht General Lanyan von der Terranischen Verteidigungsflotte. Ich fordere Sie hiermit auf, sich zu ergeben. Im Namen der Hanse beschlagnahme ich al e Ihre Anlagen.«
»Wir sind nicht Teil der Hanse, du aufgeblasener Kni ch!«, erwiderte ein Pilot, dessen Schiff gerade an der Goliath vorbeiraste und dabei mit seinen verbesserten Jazern feuerte.
»Das Schif zerstören!«, rief Lanyan. »Vernichten Sie al e Roamer-Schif e, die auf uns schießen. Erteilen wir ihnen eine Lektion.«
»Sind Sie sicher, dass offener Krieg im Interesse des Vorsitzenden liegt, General?«, gab Brindle zu bedenken. »Bei den früheren Feindseligkeiten gab es viele Opfer, und ...«
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»Natürlich ist dies Krieg!«
Die Roamer-Schiffe hatten keine Chance gegen die konzentrierte Feuerkraft der TVF-Waffen. Entsetzte Flüche kamen aus den Kom-Lautsprechern, doch Lanyan schenkte ihnen kaum Beachtung, als er die Kampfgruppe näher an die Anlagen der Roamer heranbrachte. »Eröffnen Sie das Feuer auf die Habitatkuppeln und Stationen.«
Dieser Befehl schuf Unbehagen bei den Brückenoffizieren. »Wir haben es mit Zivilisten zu tun, General«, sagte Brindle.
»In diesem Krieg gibt es keine Zivilisten. Senden Sie weiterhin unsere Aufforderung zur Kapitulation. Wenn sich die Roamer ergeben, hören wir auf, ihnen wehzutun.«
Als der Moloch und die Mantas damit begannen, die automatischen Schmelzöfen und Rohstoffdepots unter Beschuss zu nehmen, erklang die Stimme eines Mannes aus den Kom-Lautsprechern. »General Lanyan, Sie sind hiermit zum Kriegs-verbrecher erklärt. Wir verlangen von Ihnen, dass Sie sich den Behörden der Konföderation stellen, damit ein Verfahren gegen Sie eingeleitet werden kann.«
Die Worte erschienen Lanyan so absurd, dass er lachte. »Wer spricht da?«
Es folgte eine kurze Pause, und dann antwortete die Stimme: »Ich bin Commodore Robb Brindle, zweiter, äh, dritter Befehlshaber des Militärs der Konföderation.«
Conrad wirkte schockiert. Lanyan richtete einen finsteren Blick auf ihn. »Admiral, Sie sol ten Ihren Sohn besser unter Kontrol e halten.«
»Ich weiß, dass er sich der Konföderation angeschlossen hat, aber ich hätte nie gedacht ...« Conrad schüttelte den Kopf. »Commodore Robb Brindle?«
Lanyan entdeckte einen Hauch von Stolz in der Stimme seines Stellvertreters und unterbrach die Kom-Verbindung, bevor Brindle antworten konnte. »So dumme Forderungen brauchen wir uns nicht anzuhören.« Wieder beugte er sich 91
vor und drückte die Fingerspitzen aneinander. »Setzen Sie den Beschuss fort.
Feuern Sie auf die Roamer, bis sie sich endlich ergeben.«
38 f- ADAR ZAN'NH
Tief in den Sicherheit gewährenden Bergstol en befasste sich Zan'nh mit der Lage der Solaren Marine. Nach der Zerstörung des Kriegsschif s mit den zehntausend Flüchtlingen an Bord blieben ihm noch neun große Schlachtschif e auf Ildira. Al e Schiffe, die versucht hatten, den Planeten zu verlassen -auch kleinere -, waren zerstört worden. Hunderte von Ildira-nern waren bei der Flucht ums Leben gekommen.
Die fünf beschädigten Kriegsschiffe von Tal O'nhs Prozes-sionssepta hatten sich vor kurzer Zeit gemeldet. Die Arbeiter, die Zan'nh an Bord der leeren, nur von Rauch erfül ten Schif e zurückgelassen hatte, waren mit den Reparaturen fertig und befanden sich am Rand des Sonnensystems. Der Adar befahl ihnen, außerhalb der Gefahrenzone zu bleiben und sich den Patrouil enschiffen hinzuzugesel en, denen er ebenfal s untersagte, sich Ildira zu nähern. Selbst wenn die Anzahl der Schiffe dort draußen wuchs - sie waren weit entfernt.
Immer mehr Kriegsschiffe kehrten heim, ihre Piloten und Besatzungen verwirrt vom Verschwinden des Weisen Imperators aus dem Thism. Sie wol ten Anweisungen und Erklärungen, doch Adar Zan'nh konnte ihnen kaum Trost bieten. Er befahl ihnen zu warten. Da er nicht wissen konnte, was der Weise Imperator in dieser Situation unternommen hätte, blieb ihm nur der Versuch, die bestmöglichen Entscheidungen zu treffen.
Die neun Kriegsschiffe auf Ildira suchten nach Überleben 91
den, nahmen sich ein Flüchtlingslager nach dem anderen vor und halfen den Ildiranern, vor den Faeros halbwegs verborgen zu bleiben. Die anderen im Spiralarm verstreuten Flottenteile der Solaren Marine konnten kaum dabei helfen, das Reich zu stabilisieren. Und er, der Adar, saß hier fest, vom Gros der Solaren Marine getrennt.
Das Ildiranische Reich brauchte ihn - er musste irgendeine Möglichkeit finden, die Faeros zu vertreiben und sein Volk zu retten. Zan'nh war zum Kommandeur der Solaren Marine ernannt worden, weil er es verstanden hatte, selbst in aussichtslos scheinenden Situationen Lösungen zu finden. Er hatte sein Durchhaltevermögen mehr als nur einmal unter Beweis gestellt. Auch diesmal versuchte er, eine neue Strategie zu finden.
Doch gegen die Faeros schien es kein Mittel zu geben. Seit Tagen zermarterte er sich den Kopf und sprach mit seinen besten Beratern, aber niemandem fiel etwas ein, das ihnen gestattet hätte, wirkungsvol gegen die Faeros zu kämpfen.
In der zentralen Höhle hatte Erinnerer Ko'sh eine Gruppe von Zuhörern versammelt und erzählte ihnen eine Geschichte, die Teil der revidierten Saga der Sieben Sonnen werden sol te. »Auf diese Weise errang Adar Kori'nh einen ruhmvol en Sieg gegen die Hydroger.«
Zan'nh zuckte unwil kürlich zusammen und fragte sich, ob der Oberste Schreiber diese Geschichte als Seitenhieb auf ihn ausgewählt hatte. Ja, Adar Kori'nh, sein heroischer Vorgänger ... Ihm war es gelungen, den Hydrogern einen harten Schlag zu versetzen, als man sie noch für unbesiegbar gehalten hatte.
Kummer erfasste Zan'nh, als der Erinnerer erzählte, wie der alte Adar einen ganzen Manipel der Solaren Marine geopfert hatte, um die gleiche Anzahl von feindlichen Kugelschif en zu vernichten. Damit hatte Adar Kori'nh dem Ildiranischen Reich gezeigt, wie man den Feind empfindlich treffen konnte.
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Zan'nhs Augen glitzerten in der hel erleuchteten Höhle, und in hilflosem Zorn biss er die Zähne zusammen. Er hätte sich darüber gefreut, dem Beispiel seines Vorgängers folgen zu können, doch es wäre sinnlos gewesen, sich gegen die Faeros selbst zu opfern. Er durfte die wenigen Kriegsschif e, die ihm geblieben waren, nicht in selbstmörderischen Aktionen gegen einen übermächtigen Feind vergeuden. Er brauchte sie noch, für die Verteidigung von Ildira.
Während der Oberste Schreiber seine Geschichte erzählte, saß der junge Ridek'h neben Tal O'nh auf dem steinernen Boden. Yazra'h wanderte mit den Isix-Katzen umher, so rastlos und voller Frustration wie der Adar. Der Erstdesignierte Daro'h stand abseits der anderen und wirkte sehr nachdenklich.
Plötzlich ging ein Beben durchs Thism, und hinter Zan'nhs Stirn erklangen tausend Schreie. Ko'shs Stimme verklang, als er es ebenfal s fühlte.
Auf der anderen Seite der Höhle sank Daro'h auf die Knie und schnappte nach Luft. »Die Faeros haben erneut angegriffen. Tausende von Ildiranern sind gerade gestorben.«
Ridek'h schien stärker betroffen zu sein als die anderen. Er presste sich die Hände an die Schläfen. »Es waren Bewohner von Hyril ka, in einem der Umsiedlungslager.« Er sah sich in der Höhle um. »Ich habe gehört, wie jemand schrie, und dann herrschte plötzlich Stil e.«
Zan'nh handelte impulsiv und stapfte zur Liftplattform, mit der man den Ausgang des alten Bergwerks erreichen konnte. »Ich nehme das Kampfboot und sehe mir die Sache an. Vielleicht kann ich den Überlebenden helfen - wenn es welche gibt.«
Ridek'h stand auf. »Ich komme mit«, sagte er mit angespannt klingender Stimme.
»Es ist zu gefährlich.«
Der junge Mann verschränkte die Arme. »Dann ist es auch für dich zu gefährlich, Adar.«
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Tal O'nh lächelte in seiner dunklen Welt. »Nehmen Sie den Jungen mit, Adar. Die Erfahrung wird ihn stärker machen.«
Die Worte erinnerten Zan'nh an seine Beziehung zu Kori'nh, der ihm ein Lehrer gewesen war, und da konnte er nicht mehr ablehnen.
Rauchschwaden trübten das hel e Tageslicht, als das Kampfboot tief über der offenen Landschaft flog. Ridek'h beugte sich vor und sah aus dem Bugfenster.
Feuer waren über Felder und Prärie hinweggerast, hatten überal ihre schwarzen Aschespuren zurückgelassen. In der Ferne hingen Rauchsäulen über der immer noch brennenden Stadt Mijistra.
Zan'nh fühlte den T/u'sm-Schmerz in seinem Innern und flog in die entsprechende Richtung. Kurze Zeit später erreichte das Kampfboot eins der größten Lager für Flüchtlinge von Hyril ka, geometrisch angelegt, mit aus Fertigteilen errichteten Unterkünften und Polymerstraßen. Der Schmerz im Thism wurde stärker, Hinweis darauf, dass an diesem Ort vor Kurzem viele Ildiraner gestorben waren.
Das Lager war nicht mehr als eine qualmende Wunde. Al e Gebäude waren zerstört, die Flüchtlinge zu Asche verbrannt und ihre Seelenfeuer assimiliert.
»Die Faeros haben hier gefressen«, sagte Zan'nh.
Ridek'h schüttelte vol er Entsetzen den Kopf. »Wir haben al e Bewohner von Hyril ka evakuiert und ihnen gesagt, dort sei es zu gefährlich. Wir haben ihnen nicht gesagt, dass es hier auf Ildira noch schlimmer sein würde.« In seinen geröteten Augen glühten Abscheu und Zorn. »Wenn dem Designierten Rusa'h einst etwas an der Bevölkerung von Hyril ka lag - wieso lässt er dann zu, dass die Faeros so etwas anrichten? Warum?«
Weit oben am Himmel zogen Feuerbäl e ihre helle, heiße Bahn. Zan'nh wusste, dass sie ihn sahen. Sie konnten herabkommen, den Designierten Ridek'h und ihn einfach töten.
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Doch die Faeros blieben, wo sie waren, beschränkten sich auf Beobachtungen.
Kam in ihrem Verhalten so etwas wie Spott zum Ausdruck?
Zan'nh hasste sie. Die Faeros schienen klarmachen zu wol en, dass sie sich jederzeit die restlichen Ildiraner holen konnten.
39 # WEISER IMPERATOR JORA'H
Eingesperrt an Bord des eigenen Flaggschif s schaltete Jora'h das Licht in seiner Unterkunft auf die höchste Stufe. Unter anderen Umständen wäre das Gleißen zu grell gewesen, aber in seiner Gefangenschaft nahm er es kaum wahr.
Dies waren sein Quartier und sein Schiff. Er war der Weise Imperator des Ildiranischen Reichs.
Er fühlte sich hilflos.
Und al ein.
Er wusste, dass Nira auf ihn wartete, und er schwor sich durchzuhalten. Doch unter solchen Umständen reichten dje Gedanken an sie nicht aus. Selbst wenn sie bei ihm gewesen wäre und mit ihm gesprochen hätte ... Zwar standen sie sich sehr nahe, aber sie war nicht imstande, ihm im Thism Kraft zu geben.
Eine weitere Sekunde verstrich, und noch eine.
In seinem Kopf herrschte hohle Stil e. Nichts. Sein Bewusstsein war so leer wie das Vakuum zwischen den Sternen, in dem sein Kriegsschiff unterwegs war. Ja, die Isolation konnte ihn tatsächlich in den Wahnsinn treiben, wie der Vorsitzende Wenzeslas es sich wünschte. Jora'h verfluchte ihn. Der Vorsitzende der Hanse verdiente kein Vertrauen, und das Ildiranische Reich, die große, glorreiche Zivilisation und ihr großes, glorreiches Oberhaupt, lag auf den Knien.
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Einmal mehr fragte sich Jora'h, wie viel Zeit inzwischen vergangen war. Wann hatte Admiral Diente ihn besucht? Vor zwei Tagen, oder vor drei? Eine Ewigkeit schien seitdem vergangen zu sein. Oder waren es vielleicht nur einige wenige Minuten?
Jora'h wusste es nicht. Er hatte jedes Zeitgefühl verloren.
»Nira ...«, flüsterte er, doch niemand antwortete ihm.
Er erinnerte sich daran, dass Anton Colicos nach der langen, einsamen Flucht vor den schwarzen Robotern den katatonischen Erinnerer Vao'sh in den Prismapalast gebracht hatte. Als Weiser Imperator hatte Jora'h ein deutliches Echo von Vao'shs Leid empfangen, aber ihm war nicht klar gewesen, dass sich Isolation so anfühlte.
Von Alpträumen geplagt, erinnerte er sich an seinen Sohn Thor'h, der unter Drogen gesetzt in einem versiegelten Raum eingesperrt worden war - auf Jora'hs Befehl hin. Die Generatoren waren ausgefal en, und dadurch hatten die Glänzer in dem Raum keine Energie mehr bekommen. Thor'h war al ein und im Dunkeln gestorben, ein schreckliches Schicksal für einen Ildiraner ...
Jora'h setzte sich näher an die Glänzer in der Wand, aber selbst das half nicht.
Er fühlte sich schwach, schickte erneut seine Gedanken auf die Reise und suchte nach Echos in der Leere dort draußen. Stundenlang suchte er - oder vielleicht nur einige wenige Minuten -, bis er schließlich so erschöpft war, dass seine Gedanken nur noch ziel os durch das kalte Nichts trieben.
Plötzlich berührten vertraute TTi sm-Stränge den Rand seines Selbst. Die mentale Berührung überraschte ihn, und er versuchte so verzweifelt, die Fäden festzuhalten, dass sie fast zerrissen. Fast. Die fernen Gedanken glitten fort - und kehrten dann zu ihm zurück. Er bemühte sich, sie zu identifizieren, doch es fiel ihm sehr schwer, klar zu denken.
Schließlich begriff er: Osira'h und ihre Geschwister! Als er 94
sie erkannt hatte, wurde die Verbindung stärker. Sie halfen von ihrem Ende aus und gestalteten den Kontakt stabiler.
»Osira'h!«, sagte Jora'h laut, und die Kinder hielten sein wanderndes Bewusstsein fest, wie Retter, die einem Ertrinkenden Leinen zuwarfen. Die Verbindung im Thism wurde hel und klar. Streiflichtartig sah er ildiranische Flüchtlinge, die in Berghöhlen Zuflucht suchten, und er empfing Erinnerungen an hungrige Flammen.
Nach und nach verstand Jora'h, was auf Ildira geschehen war. Vorher hatte er nur vage Vorstellungen gehabt, aber jetzt erfuhr er, dass Rusa'h und seine Feuerbäl e al e Bewohner aus Mijistra vertrieben und den Prismapalast übernommen hatten. Das Ildiranische Reich stand kurz vor dem Zusammenbruch.
Jora'h nutzte die Gedanken der Kinder als Anker und bezog Kraft aus ihnen. Doch die Entschlossenheit kam aus dem eigenen Innern, und das galt auch für den Zorn darauf, was ihm der Vorsitzende Wenzeslas angetan hatte.
Ja, jetzt hatte er die Kraft und den Wil en, auszuharren, bis das Schif zur Erde zurückkehrte. Und dann musste er einen Weg finden, das ildiranische Volk zu retten.
40 * OSIRA'H
Niras Kinder hockten in einer kleinen Höhle des alten Bergwerks, in dem sie Zuflucht gefunden hatten, schickten ihre Gedanken auf die Reise und suchten nach dem Weisen Imperator. Osira'h hatte das vorgeschlagen.
Die abrupte Veränderung im Geborgenheit vermittelnden Thism-Netz hatte al e anderen Ildiraner verunsichert und desorientiert, aber Osira'h glaubte nicht an den Tod ihres Vaters. Er lebte noch, doch irgendetwas hinderte ihn daran, mit 95
seinem Volk in Verbindung zu treten. Und wenn das stimmte, konnte Osira'h ihn finden - daran glaubte sie. Sie brauchte nur die Hilfe von Rod'h, Gale'nh, Tamo'l und Muree'n.
Zusammen konnten sie schaffen, wozu die anderen Ildiraner nicht imstande waren.
Früher, in vergleichsweise »normalen Zeiten«, hatten die fünf Halbblut-Kinder mit Berührungen des einen Schösslings im Prismapalast eine starke Verbindung untereinander geschaf en. Sie verwendeten eine Mischung aus dem Telkontakt ihrer Mutter und dem ildiranischen Thism, formten daraus eine neue Kraft, die stärker und anders war als jene, mit der die grünen Priester und die Ildiraner umgingen. Im Gegensatz zu anderen Anhängern der Telkontakt/Thism-Philo-sophie hatten sich diese fünf sehr speziel en Kinder schützen können, indem sie bestimmte Verbindungswege blockierten, durch die Rusa'h sie verbrennen wol te.
Während ihres Aufenthalts an diesem Ort - während der Erstdesignierte Daro'h, Yazra'h, Adar Zan'nh und Tal O'nh nach einer militärischen Lösung suchten und Flüchtlinge in Hunderten von über ganz Ildira verstreuten Lagern der Gnade der Faeros ausgeliefert blieben - hatten sich Osira'h und ihre Geschwister die ganze Zeit über abgeschirmt.
Aber sie glaubte, dass ihnen aufgrund ihrer Fähigkeiten eine besondere Verantwortung zukam, der sie nicht gerecht werden konnten, wenn sie sich immerzu versteckten. Deshalb hatten sie sich geistig miteinander verbunden und im Thism mit einer gemeinsamen Suche nach dem Weisen Imperator begonnen.
Tagelang blieb er verschwunden, ganz gleich, wie weit sie den Seelenfäden folgten. Osira'h hatte schon aufgeben wol en.
Und dann fanden sie ihn.
Als die fünf Kinder in den zentralen Raum gelaufen kamen, blickte Daro'h überrascht auf. Osira'h wusste: Einige Leute wol ten, dass sich der Erstdesignierte der Aufstiegszeremo
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nie unterzog und zum neuen Weisen Imperator wurde, aber wenn Daro'h zu früh handelte, konnte es zu katastrophalen Folgen kommen.
Mit hoher, klarer Stimme rief sie ihm zu: »Der Weise Imperator lebt! Wir haben ihn im Thism gefunden.«
Der Erstdesignierte sprang auf, und Zan'nh und Yazra'h zeigten ihre Freude. O'nh blieb sitzen, mit einem zufriedenen Lächeln in seinem von Falten durchzogenen Gesicht. Die Halbblut-Kinder erklärten aufgeregt, wie sie auf Jora'hs ziellos treibende Gedanken gestoßen waren. Einsamkeit und Isolation hatten ihn fast in den Wahnsinn getrieben, und er befand sich in Gefangenschaft, aber er lebte.
Osira'h und ihr Bruder Rod'h mussten fast schreien, um sich verständlich zu machen, denn um sie herum wurden zahlreiche Stimmen laut. Die Ildiraner empörten sich darüber, dass der Vorsitzende der Hanse Jora'h und die Besatzungsmitglieder seines Flaggschif s verschleppt hatte, um den Weisen Imperator zu zwingen, vom Bündnis mit der Konföderation Abstand zu nehmen.
»Sie haben ihn isoliert«, sagte Rod'h, und seine Stimme zitterte vor Entsetzen über eine solche Grausamkeit. »Sie haben den Weisen Imperator vom Kontakt mit dem Thism getrennt. Er ist al ein gewesen, Lichtjahre vom nächsten Ildiraner entfernt.«
»Wie kann jemand so etwas überleben?«, fragte der Oberste Schreiber Ko'sh.
»Wir haben ihm dabei geholfen.« Osira'h gestattete sich ein Lächeln. »Vielleicht hätte er es auch al ein geschafft, aber er wurde schwach. Jetzt hat er unsere Kraft.
Wir werden nicht zulassen, dass er aufgibt.«
»Außerdem wissen wir jetzt, wo wir ihn finden können«, fügte Rod'h hinzu. »Der menschliche Kommandeur bringt ihn zum Mond der Erde zurück.«
Zan'nh und Yazra'h wol ten sofort die Hanse angreifen, aber Daro'h erinnerte sie daran, dass die Solare Marine nicht
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über die notwendigen Mittel für einen solchen Kampf verfügte. Zwar befanden sich viele Kriegsschiffe in sicherer Position am Rand des ildiranischen Sonnensystems, aber sie konnten es nicht mit dem ganzen terranischen Militär aufnehmen.
»Rusa'h wünscht sich nichts mehr, als den Weisen Imperator zu finden«, sagte Tal O'nh ruhig. »Selbst wenn wir Jora'h hierher brächten - die Faeros würden ihn töten. Vielleicht ist er dort sicherer, wo er sich derzeit aufhält.«
»Was unternehmen wir?«, fragte Ko'sh.
»Wir wissen jetzt, dass der Weise Imperator noch lebt, und deshalb wil ich nichts mehr von der Aufstiegszeremonie hören«, sagte Daro'h. »Wenn er seine schwere Prüfung überleben konnte, so sol ten auch wir in der Lage sein, mit unserer fertig zu werden.«
Adar Zan'nh straffte die Schultern. »Eins dürfte klar sein. Unter den gegebenen Umständen kann uns der Weise Imperator nicht helfen. Wir sind auf uns al ein gestellt.«
41 # SAREIN
Für Sarein lief die Arbeit in Estarras verheertem Treibhaus fast auf eine Therapie hinaus. Ihre Schwester hatte diesen Ort geliebt und sich hier um theronische Pflanzen gekümmert, die sie an ihre Heimat erinnerten. Doch Basil hatte aus reiner Bosheit befohlen, al es zu zerstören.
Es gab nur noch einige wenige Blumenbeete mit halb verwelkten Pflanzen; der Rest war zerwühlte Erde. Sarein hatte Blumen, Sämlinge und kleine Obstbäume angepflanzt. Sie war nicht in der Lage gewesen, neue Pflanzen von Theroc zu bekommen, abgesehen von den wenigen Exemplaren in ihrem Quartier, aber sie wusste: Estarra hätte sich gefreut.
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Mit stil er Entschlossenheit ging Sarein ihrer Arbeit nach, machte sich die Hände schmutzig und pflanzte, was sie konnte. Der Zustand des Treibhauses erinnerte sie daran, dass sie es zu oft nicht geschafft hatte, rechtzeitig Einfluss auf Basils Entscheidungen zu nehmen und ihn daran zu hindern, zu extreme Maßnahmen zu ergreifen.
Als die Wächter Nira ins Gewächshaus führten, schob Sarein al e ihre Bedenken beiseite. Die grüne Priesterin wartete im Flüsterpalast auf die Rückkehr des Weisen Imperators, der in ein oder zwei Tagen erwartet wurde. Basil hatte es ihr gestattet. Inzwischen musste Nira vor Sorge um Jora'h außer sich sein, und Sarein hatte keine Möglichkeit, sie zu beruhigen. Aber sie konnte etwas anderes tun.
»Einige neue Blumen und Büsche zu pflanzen ...«, kam Niras scharfe Stimme vom Eingang. »Das ist keine ausreichende Buße für den hier angerichteten Schaden.«
Sarein atmete tief durch. »Ich tue, was ich kann. Das gilt für viele von uns.« Sie nahm eine Geranienwurzel und grub ein Loch dafür. »Es ist eine sehr schwierige Sache, und man sieht nicht immer, was sich hinter den Kulissen abspielt.«
Nira blieb reserviert. »Wussten Sie, dass die Faeros Theroc angegriffen haben?
Das habe ich am Abend der Krönung durch den Telkontakt herausgefunden.«
Sarein erschrak. »Warum haben Sie mir das nicht sofort gesagt? Wenn Theroc in Gefahr war, hätte man uns um Hilfe rufen sol en!« Sarein hörte ihre eigenen Worte und begriff, wie dumm sie klangen. Selbst sie hätte Basil nicht dazu bringen können, den Theronen zu helfen.
Nira bedachte sie mit einem finsteren Blick. »König Peter glaubte nicht, dass die Hanse bereit wäre zu helfen. Schließlich konnten nicht einmal Ihre eigenen Schwestern Sie um Hilfe bitten! Für mich spricht das Bände.«
Sarein ging nicht darauf ein und dachte an den Punkt, den sie für wichtiger hielt.
»Ist der Angriff vorbei? Hat der Weltwald überlebt? Wie groß sind die Schäden?«
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»Die Verdani haben die Faeros besiegt, mit Unterstützung der grünen Priester, Roamer und Wentals. Sogar Admiral Wil is und ihre früheren TVF-Schiffe kamen uns zu Hilfe. Sie al e kämpften, um die Bäume zu verteidigen - al e bis auf die Hanse. Ihr Bruder Beneto war ebenfal s da. Jetzt ist er tot.«
Sarein versteifte sich. »Sein Baumschiff...?«
»Er verbrannte im Kampf gegen die Faeros.« Verachtung erklang in Niras Stimme. »Und wo waren Sie, während dies al es geschah? Hätte die offizielle Botschafterin von Theroc nicht irgendwie in diese Krise eingreifen sol en? Sol te es Ihnen nicht vor al em um die Interessen von Theroc gehen? Sie haben die Nachfolge von Botschafterin Otema angetreten. Was hätte sie getan?«
Die Worte schmerzten so sehr, dass sich Sarein zur Wehr setzte. »Otema wurde von den Ildiranern ermordet. Sie waren Ihre Schülerin, und doch sind Sie nicht nur bei ihnen geblieben, sondern auch die Geliebte des Weisen Imperators geworden.« So wie ich Basils Geliebte geworden bin. »Der Unterschied zwischen uns ist nicht sehr groß. Loyalitäten verändern sich, wenn die Umstände sich wandeln, und es ist uns nicht immer freigestel t, uns für den noblen, ehrenvol en Weg zu entscheiden.«
»Richtig und Falsch verändern sich nicht.«
Für einen langen Moment starrten sie sich gegenseitig an. Als Sarein der grünen Priesterin in die Augen blickte, sah sie dort Stärke und auch die Narben zahlreicher Wunden. Schon vor Basils Medienaktion hatte Sarein von den Alpträumen gehört, die Nira grundsätzlich verändert hatten - die fröhlich-naive grüne Priesterin, der Sarein damals auf Theroc begegnet war, existierte nicht mehr. Aber wenn Nira nicht nur überlebt, sondern sich auch ihre Kraft und Menschlichkeit bewahrt hatte, so sol te Sarein ebenfal s dazu in der Lage sein ...
»Warum haben Sie mich hierher bringen lassen?«, fragte Nira kühl.
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Sarein sah zu den Wächtern. »Wir möchten al ein miteinander reden.«
Die königlichen Wächter zögerten, und Sarein erkannte einen von ihnen als jemanden, der zu Captain McCammons Gruppe gehörte. Sie nickte ihm kurz zu und hoffte, dass er tatsächlich der Verbündete war, den sie erwartete. Der betreffende Wächter wandte sich an die anderen. »Geben wir Botschafterin Sarein ein wenig Zeit. Es ist bestimmt im Sinne des Vorsitzenden, dass wir ihre Anweisungen befolgen.« Daraufhin verließen die uniformierten Männer das Gewächshaus.
Sarein führte die argwöhnische Nira an einigen Blumentöpfen vorbei und durch ein Dickicht aus trockenen Zweigen, das einmal ein dichter, blühender Busch gewesen war. Es schützte sie zumindest teilweise vor Beobachtung. Als Sarein einen Topf mit einem kleinen Schössling hervorholte, wurden Niras Augen groß.
»Ich bin seit langer Zeit von meinen Eltern und Schwestern getrennt«, sagte Sarein. »Ich bitte Sie nur darum, eine Nachricht zu übermitteln. Teilen Sie Estarra mit, dass ich ihr al es Gute wünsche. Ist ihr Kind bereits geboren? Und Celli...
Sagen Sie meiner kleinen Schwester, dass ich sie vermisse. Stimmt es, dass sie selbst grüne Priesterin werden wil ? Und meine Eltern ...«
Nira kniff die Augen zusammen. »Warum sol te ich Ihnen trauen?«
»Wie Sie eben sagten: Ich bin die theronische Botschafterin. Ich habe Estarra und Peter zur Flucht verholfen. Ich habe dafür gesorgt, dass Nahton über ihre Situation berichten und Theroc warnen konnte.« Sarein senkte die Stimme.
»Können Sie sich vorstellen, was der Vorsitzende mit mir machen würde, wenn er davon erführe?«
Die Stimme der grünen Priesterin war etwas sanfter, als sie erwiderte: »Ich schicke Ihre Nachricht.« Sie berührte den Schössling, schloss die Augen und stel te innerhalb weniger
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Sekunden einen Telkontakt her. Ihre Lippen bewegten sich lautlos, als sie von den Neuigkeiten berichtete. Sarein wartete unruhig und befürchtete, dass die Wächter bald zurückkehrten, um festzustellen, was sie machten.
Als Nira die Augen wieder öffnete, fragte Sarein sofort: »Wie ist die Lage auf Theroc? Haben Sie mir etwas mitzuteilen?«
»Der Wiederaufbau hat begonnen. Viele Theronen sind im Feuer der Faeros gestorben, aber die meisten wurden gerettet. Ja, Cel i ist jetzt grüne Priesterin. Ja, Peter und Estarra sind stolze Eltern eines kleinen Jungen. Sie haben ihren Sohn Reynald genannt.«
Tränen glänzten in Sareins Augen.
Nira runzelte die Stirn, als Sarein den kleinen Schössling wieder verschwinden ließ. »Jetzt muss sich die Konföderation nur noch Sorgen um die nächste törichte Aktion des Vorsitzenden Wenzeslas machen.«
42 # ORLI COVITZ
Das Heulen von Alarmsirenen hal te durch Kottos Forschungskuppel. Ein riesiger TVF-Moloch flog über die Station hinweg und feuerte, während Clan-Schiffe wie Wespen umherschwirrten. Bisher zeigten die Verteidigungsbemühungen der Roamer kaum Wirkung.
»Es ist al es in Ordnung. Hier sind wir sicher - glaube ich.« Kotto sah durch die transparenten Kuppelsegmente ins Al . »Warum sol te es jemand gerade auf diesen Felsen abgesehen haben?«
»Sie scheinen auf al es zu schießen.« Steinman blickte ebenfal s nach oben und beobachtete das Geschehen. Die drei Kompis standen neben dem kleinen Kugelschif
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der Hydroger. »Wenn wir hier sicher sind ... Sol en wir die Arbeit fortsetzen?«, fragte GU. »Oder sind wir für heute mit den Untersuchungen fertig?«
»Ich kann die bisherigen Resultate abgleichen, damit wir die bisher geleistete Arbeit nicht wiederholen müssen«, sagte DD.
KR schien der einzige Kompi zu sein, der den Ernst der Lage verstand. »Dies ist eine sehr unangenehme Sache«, sagte er.
Orli beobachtete, wie Roamer-Frachter und gepanzerte Kurierschif e die Mantas bedrängten. Ein TVF-Kreuzer flog direkt über der Forschungsstation und feuerte mit seinen Ja-zern auf al es, was aus reflektierendem Metal bestand. Ein Energiestrahl traf einen in der Nähe schwebenden Treibstofftank, und es kam zu einer lautlosen Explosion.
Die Kuppelsegmente zeichneten sich zwar durch eine besondere Festigkeit aus, aber einem solchen Schrapnel be-schuss konnten sie nicht standhalten. Drei Platten bekamen Sprünge, knisterten bedrohlich und splitterten. Als sie brachen, kam es zu einer plötzlichen Dekompression, die vier weitere Segmente ins Al mitriss.
In Orlis Ohren knackte es, als die Luft mit einem schier ohrenbetäubenden Donnern und Fauchen ins Al entwich, obgleich die von den Roamern instal ierten Versiegelungsfilme aktiv wurden. Aber sie genügten nicht. Steinman packte Orli, warf sich mit ihr zu Boden und versuchte, sie zu schützen. GU stand direkt unter einem der großen Löcher in der Kuppel und geriet in den starken Sog. Er verlor den Boden unter den Füßen und stieg hoch, aber KR streckte eine Polymerhand aus und hielt den anderen Kompi am Fuß fest. GU rief um Hilfe, während die entweichende Luft ihn noch immer in Richtung des Lecks zerrte. Als KR ebenfal s den Boden unter den Füßen verlor und nach oben gezogen wurde, hielt DD ihn am Fuß fest. Der Freundlich-Kompi war auch so klug, mit der anderen Hand nach der Luke des Ku
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gelschif s zu greifen und sich dort zu verankern. Die fauchende, heulende Luft zerrte an den drei Kompis, die immer wieder um Hilfe riefen.
Kotto wankte durch den Raum, packte Steinman am Hemd und zog ihn und Orli mit sich. »Ins Kugelschiff!«, rief er, und in der dünner werdenden Luft klang seine Stimme wie ein fernes Quieken.
Steinman kam auf die Knie und schob das Mädchen vor sich her. »Du hast ihn gehört! Wir müssen ins Kugelschif und die Luke schließen!«
Die Luft entwich schnell, und es wurde immer kälter. Dennoch verharrte Orli am offenen Zugang des kleinen Hydro-ger-Schif s. »Ich lasse DD nicht dort draußen.«
»Er ist ein Kompi, Mädchen«, sagte Steinman. »Er übersteht das Vakuum.«
»Das Vakuum ja, aber nicht die Jazer-Strahlen. Kannst du zu uns kommen, DD?«
»Dann müsste ich KR loslassen.«
»Ich habe eine andere Idee«, verkündete GU. Er befand sich am Ende der Kompi-Kette, dicht unter dem Loch in der Kuppel, beugte sich nach unten und ergriff KRs Arm, dessen Hand ihn festhielt - auf diese Weise kletterte er dem Boden entgegen. GU erreichte DDs Schulter, und von dort hangelte er sich zur Einstiegsluke. Orli half dem zerbeulten Kompi ins Schiff, während KR GUs Beispiel folgte. Steinman unterstützte Orlis Bemühungen, auch den beiden anderen Kompis an Bord zu helfen.
Kotto hatte unterdessen den Kontrol raum des kleinen Hy-droger-Schiffs erreicht und versuchte dort herauszufinden, wie die Bordsysteme funktionierten. »Wir haben die Luke mit vibrierenden Membranen geöffnet, aber jetzt erinnere ich mich nicht mehr daran, wie man sie schließt!«
»Die Informationen bezüglich der Kontrol en sol ten sich in den Datenbanken befinden«, sagte GU und stand auf. Neben den rätselhaften Kristal knol en, mit denen die Hyd
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roger ihre Schiffe steuerten, waren Analysegeräte der Roamer instal iert. KR und GU fanden schnel die richtigen Systeme, und wenige Sekunden später schloss sich die Luke.
Orli sank zu Boden. Steinmans Haar war völ ig zerzaust. Zwei dünne Blutfäden sickerten aus seinen Ohren, und die Augen waren blutunterlaufen.
Draußen explodierte ein zweiter Treibstofftank, doch innerhalb des kleinen Kugelschif s waren sie in Sicherheit. »König Peter und die Hanse-Techniker haben uns genug Daten hinterlassen«, sagte GU. »Wir können mit diesem Schif fliegen, wenn wir wol en.«
»Es enthält auch ein Transportal«, fügte DD hinzu. »Al erdings widerstrebt es mir, mich zu einem unbekannten Ort transferieren zu lassen. Um das Portal in Betrieb zu nehmen, brauche ich nicht nur meine ganze Datenkapazität, sondern auch die von KR und GU. Sol ich Ihnen erzählen, wie ich ...«
»Nicht jetzt, DD«, sagte Orli.
»Kein Transportal für mich«, brummte Steinman. »Lieber fliege ich von hier weg.«
»Überprüfen wir das Triebwerk«, sagte Kotto. »KR und GU, ihr könnt die Navigation übernehmen.«
Zusammen mit der letzten entweichenden Luft flog das kleine Kugelschiff durch die Reste des Kuppeldachs. Rufe, Flüche und Befehle kamen aus dem Lautsprecher des mobilen Kommunikationssystems.
Als die Forschungsstation unter ihnen zurückblieb, hatten sie freien Blick auf den zur Hälfte erleuchteten Gasriesen, seine Ringe und die angreifenden TVF-Kreuzer. Dutzende von Konföderationsschiffen sausten umher und versuchten, die wichtigsten Habitat- und Verwaltungskomplexe zu schützen. Im Vergleich mit den Aggressoren von der Terranischen Verteidigungsflotte wirkten sie winzig und unbedeutend.
»Die Geschichte von David und Goliath beschreibt die Ausnahme von der Regel«, sagte Steinman. »In den meisten
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Fäl en werden die Kleinen und Schwächeren einfach zerquetscht.«
43 # TASIA TAMBLYN
Als die TVF-Schif e die Werften in den Ringen des Gasriesen angriffen, begannen die Roamer sofort mit der Evakuierung. Sie verließen die zahlreichen Asteroiden und Industrieanlagen und zogen sich in vorbereitete Schlupflöcher zurück. Die Clans wussten, wie man sich auf Notfäl e vorbereitete, denn sie hatten reichlich Erfahrung mit Dingen, die nicht wie geplant liefen.
Tasia und Robb standen in der Verwaltungskuppel, umgeben von Monitoren und Kommunikationsschirmen, auf denen die Aktivitäten in den Werften zu sehen waren. Fast al e Anzeigen blinkten rot. Dutzende von Verwaltern beeilten sich, Docks, Laboratorien und Fabrikationseinheiten zu schließen, und al e Arbeiter wurden aufgefordert, die Schutzräume aufzusuchen.
Lanyan würde bestimmt keine Vernunft annehmen, sooft Robb es auch versuchte. »Bitte antworten Sie, General. Sie greifen zivile Ziele an. Stellen Sie das Feuer ein! Diese Anlagen stellen keine Gefahr für Sie dar!«
Draußen im Al gleißten erneut Jazer-Strahlen und trafen einige Erz-Asteroiden.
Tasia schnaubte abfällig. »Shizz, Brindle, glaubst du vielleicht, er nimmt deine Kritik zum Anlass, plötzlich ein Einsehen zu haben und uns in Ruhe zu lassen?«
Robb schloss den Kommunikationskanal und runzelte enttäuscht die Stirn. »Nein, aber es fühlt sich gut an, ein wenig Dampf abzulassen.«
»Wie wär's, wenn wir anderen Dampf ablassen, und zwar 102
welchen aus Triebwerken? Aus der Liste geht hervor, dass sich im Haupthangar zwei Frachter befinden, die mit ihren Verbesserungen und Erweiterungen fast Kriegsschiffstatus erreicht haben. Ich schlage vor, du nimmst den einen und ich den anderen.« »In Ordnung.«
»Und wer hat dir den Rang des Commodore gegeben?«
Robb strich sich so über die Schulter, als gäbe es dort ein Rangabzeichen. »Ich selbst. Ich dachte mir, du hättest nichts dagegen - da du ohnehin einen höheren Rang bekleidest.«
»Tol e Art, Streitkräfte zu führen«, sagte Tasia, als sie durch die Korridore zwischen den Felswänden liefen. Immer wieder dröhnten Lanyans Aufforderungen zur Kapitulation aus den Lautsprechern, bis ein Clan-Techniker genug hatte und das Interkom-Kabel löste - daraufhin herrschte Stil e.
Sie erreichten den Hangar, wo Roamer bereits an Bord der beiden zu Kampfschiffen umgebauten Frachter gingen, dazu bereit, in den Kampf zu ziehen, sobald jemand das Kommando übernahm. Durch die zusätzlichen Module wirkten die beiden Schif e kastenförmig, aber im Weltal spielte mangelnde Stromlinienform keine Rol e, und über das Potenzial der Schiffe konnte sich niemand beschweren.
Tasia gab Robb einen schnel en Kuss, als sie sich trennten. »Das sol dir Glück bringen«, sagte sie und lief dann zum Schiff auf der linken Seite.
Drei schmuddelig wirkende Männer und eine Frau in mittleren Jahren saßen bereits an den Konsolen. Tasia nahm im Sessel des Captains Platz und forderte ihre improvisierte Crew auf, die Startvorbereitungen so schnell wie möglich ab-zuschließen. Das Schiff war mit Standardkontrol en ausgestattet, was bedeutete: Die meisten Roamer hätten jede beliebige Station übernehmen können. Als sie die Checkliste für den Start durchgingen, stritten sie darüber, wer Gelegenheit bekommen sol te, die neue Waffenkonsole zu übernehmen.
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Mit Brindles Schiff an ihrer Seite flog Tasia aus dem Hangar ins Al und beschleunigte. »Es gibt reichlich Tivvis, auf die ihr schießen könnt!«, fuhr sie ihre Leute an. »Reißt euch zusammen, bis wir die Kampfzone erreichen!«
Die Roamer wählten schnell ihre Stationen, setzten sich und hatten ihre Systeme gerade erst koordiniert, als Tasia mit dem ersten Angriffsflug begann.
Die TVF-Aggressoren feuerten noch immer auf das Zentrum der Werften und zerstörten al e Stationen, die sie finden konnten. Es hatten sich bereits viele Roamer-Schif e eingefunden, um Osquivel zu verteidigen. Den Piloten fehlte es zwar an Disziplin, aber ihre Schif e verfügten über neue Waffen, und damit setzten sie den TVF-Kreuzern sehr zu. Leider hatten Lanyans Angreifer weitaus mehr Übung darin, auf irgendetwas zu schießen.
»Ich finde dies verdammt lästig, Brindle«, sendete Tasia, als ihre beiden Schiffe den TVF-Einheiten folgten. »Viel lieber hätte ich mir die Klikiss vorgeknöpft.«
Robb fiel es sicher nicht leicht, auf seine früheren TVF-Kameraden zu schießen, und deshalb fügte Tasia hinzu: »Wir haben nicht darum gebeten, Brindle. Wir verteidigen uns nur.«
Die Ringe von Osquivel hatten sich in einen Schießplatz verwandelt. Unbehagen regte sich in Tasia, als sie sich an einen anderen Kampf an diesem Ort erinnerte.
Bei jener Gelegenheit war eine große Flotte des terranischen Militärs gegen die Hydroger angetreten und hatte eine verheerende Niederlage erlitten.
Tasia und Robb fügten ihre Schif e dem Schwärm der Verteidiger hinzu, die sich bemühten, die TVF-Kreuzer von den wichtigsten Habitaten fernzuhalten. Tasia hatte ihrer Crew nicht zu viel versprochen: Es gab tatsächlich reichlich Ziele für sie.
Mit einem gut gezielten Schuss erledigte Tasia eine aus vier Geschützen bestehende Jazer-Bank am Bug der Goliath. Bevor sie sich selbst dazu gratulieren konnte, konzentrierten
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drei Maritas das Feuer auf ihr Schiff. Die Schilde hielten gerade so stand, und Tasia musste sich mit einigen schnellen Ausweichmanövern absetzen.
Als das Steuerbordtriebwerk beschädigt wurde, wusste sie, dass sie in großen Schwierigkeiten waren. Robb eilte ihr tapfer zur Hilfe und zog das gegnerische Feuer auf sich, aber auch er musste einen schweren Treffer einstecken - mit einem aufgerissenen Tank trudelte er davon.
Plötzlich kam eine Gruppe riesiger Kriegsschiffe aus dem Schatten des Planeten, ein Moloch und zehn Mantas, al e mit Hoheitszeichen der Konföderation versehen. Von einem Augenblick zum anderen war General Lanyans Kampfgruppe den Verteidigern unterlegen.
»Tut mir leid, dass wir zu spät zur Party kommen.« Admiral Wil is' Jazer feuerten in einem breit gefächerten Muster, noch bevor die Schiffe auf Gefechtsreichweite heran waren -offenbar wol te sie Eindruck schinden. »Hat Ihnen die Demütigung auf Rhejak nicht gereicht, General? Wol en Sie noch mehr von der gleichen bitteren Medizin?«
»Warum haben Sie so lange gebraucht, Admiral?«, sendete Robb. »Wir sind seit einer Stunde beschäftigt!«
»Wie lange dauert es wohl, elf große Schiffe aus dem Raumdock zu steuern?«
»Roamer hätten es schnel er geschafft«, sagte Tasia zu ihrer grinsenden Crew, verzichtete aber darauf, diesen Kommentar zu senden.
Admiral Wil is' Stimme gewann an Schärfe. »General Lanyan, was halten Sie davon, wenn wir Sie so zur Kapitulation auf ordern wie Sie die Roamer? Ihrer Meinung nach gab es daran doch nichts auszusetzen, oder?«
Die Schif e der Admiralin erreichten die übrigen Verteidiger, und sie al e griffen mit neuer Entschlossenheit an. Wil is' Moloch hatte die gleiche Feuerkraft wie Lanyans Goliath, und insgesamt waren die TVF-Schif e zahlenmäßig unterlegen.
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Nach einem kurzen, angespannten Patt machten Lanyans Schiffe kehrt und flohen aus dem Osquivel-System. Der General hielt sich nicht einmal damit auf, eine Antwort zu senden.
44 * SULLIVAN GOLD
Nach dem Verlassen des Ildiranischen Reichs hatte sich Sul-livan Gold ein ruhiges Leben auf der Erde erhofft, zusammen mit seiner Familie. Er hatte eine Wolkenmine für die Hanse geleitet, einen Angriff von Kugelschiffen der Hydroger überlebt, zahlreiche Ildiraner gerettet und einen langen, unfairen Arrest hinter sich gebracht, bevor er endlich die Möglichkeit zur Heimkehr bekam. Er verdiente es, ein wenig Zeit für sich zu haben.
Der Vorsitzende Wenzeslas schien das anders zu sehen.
Zwei Wochen hatte Sul ivan mit Lydia und der Großfamilie verbracht und darauf verzichtet, seine Rückkehr an die große Glocke zu hängen - er wol te Belästigungen durch die Medien vermeiden. Er hatte es auch nicht für nötig gehalten, dem Vorsitzenden Bericht zu erstatten. Was sich als Fehler herausstellte.
Einige Männer und Frauen in seltsamen paramilitärischen Uniformen klopften an die Tür seines Reihenhauses. Eine Offizierin mit zimtbraunem Haar stand draußen, begleitet von vier weiteren Uniformierten. Ohne ihre arrogante Strenge wäre die Frau hübsch gewesen, fand Sul ivan. Sie verglich sein Gesicht mit dem auf ihrem Datenschirm. »Sind Sie Sul ivan Gold?«
»Ja ... ja, der bin ich. Darf ich fragen, worum es geht?«
»Wir sind angewiesen, Ihr Haus zu durchsuchen, um festzustel en, wo Sie sich aufhalten und welchen Aktivitäten Sie nachgehen.«
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»Ich halte mich hier auf. Und ich nehme nicht an irgendwelchen Aktivitäten teil, sondern entspanne mich nur.«
Lydia näherte sich. »Was hast du jetzt wieder angestellt, Sul ivan?«, fragte sie scherzhaft.
»Nichts«, sagte Sul ivan. Er machte keine Anstalten, beiseitezutreten und den Weg für die Uniformierten freizugeben.
»Sie haben sich nach Ihrer Rückkehr aus dem Ildiranischen Reich nicht beim Vorsitzenden gemeldet.« Die Stimme der Offizierin klang jetzt scharf. »Sie hätten Bericht erstatten sol en. Das war Ihre Priorität.«
Lydia schnaufte. »Das glaube ich kaum, Ma'am. Die Familie war seine Priorität.
Immerhin mussten wir lange genug auf ihn verzichten. Wer sind Sie überhaupt?
Ich kenne Ihre Uniformen nicht.«
»Wir gehören zu einem vom Vorsitzenden Wenzeslas eingesetzten Sonderkommando. Ich bin Colonel Sheila Andez.« Sie sah erneut auf ihren Datenschirm. »Und Sie müssen Lydia Gold sein.« Sie scrol te den Bildschirminhalt und brummte missbil igend, ohne zu sagen, was sie in ihren Aufzeichnungen entdeckt hatte. »Wir müssen das Haus durchsuchen, um dem Vorsitzenden einen vol ständigen Bericht zu erstatten. Er erwartet, dass Sie zu einem Gespräch bei ihm erscheinen, sobald er Zeit für Sie erübrigen kann, Mr. Gold.«
»Ich erkenne Ihre Autorität nicht an«, sagte Lydia. Ihre Stimme war kalt wie Eis, wie immer, wenn jemand ihr gegenüber zu weit ging. »Für wen halten Sie ...«
»Schon gut, Lydia«, unterbrach Sul ivan sie. »Bring uns nicht noch mehr in Schwierigkeiten.«
»Noch mehr?« Sie trat neben ihn, als wol te sie ihn beschützen. »Warum sol ten wir in Schwierigkeiten sein? Was haben wir getan?«
Colonel Andez wartete keine Einladung ab und schob sich an Sul ivan und seiner Frau vorbei. Die fünf Angehörigen
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des Sonderkommandos schwärmten aus und begannen damit, Schränke und Schubladen zu durchsuchen. Sie sahen sogar hinter den Möbeln nach. Lydia machte keinen Hehl aus ihrer Empörung, doch Andez und ihre Leute achteten gar nicht auf sie, was sie nur noch wütender machte.
Seit seiner Rückkehr hatte Sul ivan aufmerksam die Nachrichtensendungen verfolgt. Die Hanse war nicht mehr das, woran er sich erinnerte. Nach König Peters Flucht von der Erde war es zu vielen unangenehmen Veränderungen gekommen. Lydia sah Unterdrückung und machte keinen Hehl daraus, wie wenig sie davon hielt.
Sul ivan hätte sich lieber zurückgehalten, aber jetzt war die Hanse zu ihm gekommen und im wahrsten Sinne des Wortes in sein Haus eingedrungen.
»Colonel Andez, sehen Sie sich dies an!« Einer der Wächter holte eine Schachtel unter dem Bett hervor. »Extraterrestrische Schmuggelware.«
Sorge erfasste Sul ivan. Die Schachtel enthielt zahlreiche Edelsteine und ildiranische Kreditchips. Vor seiner Abreise hatte ihn der Weise Imperator mit diesen Wertgegenständen für seine Arbeit im Ildiranischen Reich bezahlt. Jora'h hatte Sul ivan gebeten, im Reich zu bleiben und sich um die Splitter-Kolonie Dobro zu kümmern, aber er hatte beschlossen, zu Frau und Familie zurückzukehren.
»Währung aus dem Ildiranischen Reich?«, fragte Andez.
»Bezahlung für die geleisteten Dienste, mit denen ich zum Sieg über die Hydroger beigetragen habe«, erklärte Sul ivan geduldig. »Ganz und gar nichts Il egales.«
»Sie geben also zu, dass Sie für den Feind arbeiten?«
Er starrte die Frau verblüfft an. »Seit wann ist das Ildiranische Reich unser Feind?«
»Seit es sich mit der Konföderation verbündet hat. Haben Sie nichts davon gehört?«
»Ach, das ist doch lächerlich!«, entfuhr es Lydia. »Selbst wenn stimmt, was Sie sagen ... Sul ivan hat seine Arbeit be
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endet, bevor es dem Vorsitzenden gelang, Feindseligkeiten mit den Ildiranern zu beginnen.«
»Können Sie das beweisen?«, fragte Andez.
Lydia sah die junge Offizierin an, als hätte sie komplett den Verstand verloren.
»Er ist heimgekehrt, bevor es zu jener Proklamation kam. Können Sie nicht rechnen?«
»Sarkasmus hilft Ihnen nicht bei der Rechtfertigung«, warnte Andez.
»Ich wusste gar nicht, dass wir uns für irgendetwas rechtfertigen müssen!«
»Lydia, bitte.« Sul ivan hatte sie immer für ihre Unnach-giebigkeit geliebt, wenn es darum ging, für die Familie einzutreten, aber in diesem Fal konnte ihnen ihre scharfe Zunge große Probleme bereiten.
Der kräftig gebaute Mann nahm die Schachtel. »Dies wird beschlagnahmt.«
»Wir brauchen das Geld für unseren Lebensunterhalt«, sagte Sul ivan kummervol . Sie hatten nichts anderes.
Als er sich bereit erklärt hatte, die Wolkenmine der Hanse über Qronha 3 zu leiten, war ihm ausgezeichnete Bezahlung in Aussicht gestellt worden. Aber es hatte zu viele Haken bei der Sache gegeben - Haken, die ihm erst später bewusst geworden waren. Die Hanse hatte seiner Familie kein Geld mehr überwiesen, als er und seine Crew für tot gehalten wurden. Inzwischen war bekannt, dass er noch lebte, aber die Situation schien noch schlechter geworden zu sein. Wenn Sul ivan getötet worden wäre, hätte seine Familie Zahlungen von der Versicherung erhalten, doch da er eine wertvol e Anlage verloren hatte ... Vielleicht verlangte die Hanse Schadenersatz von ihm.
»Beschweren Sie sich beim Vorsitzenden«, sagte Andez. »Wenn er Zeit findet, Sie anzurufen.«
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45 # KONIG PETER
Peter fand es seltsam, sich mit einem Säugling auf dem Schoß um die Regierungsgeschäfte zu kümmern, aber er wol te keinen Moment davon missen.
Der in eine weiche Decke gehül te Reynald hatte es bequem und schien es in der lauten, von Wil is' Technikern eingerichteten Einsatzzentrale interessant zu finden. Sein kleines Gesicht zeigte erst Verwirrung und dann Freude und Entzücken.
Celli eilte durch den Raum auf sie zu; die Neuigkeiten platzten regelrecht aus ihr heraus. »Eine von General Lanyan höchstpersönlich kommandierte Kampfgruppe der TVF hat die Werften von Osquivel angegriffen. Die Höhe der Verluste ist noch unbekannt.«
»Was zum Teufel denkt er sich dabei?« Peters laute Stimme erschreckte das Baby. »Zuerst plündert er die Wolkenminen von Golgen, und jetzt dies!«
Erstaunlicherweise wirkte Celli nicht sonderlich betroffen. »Keine Sorge, Lanyan hat einen ordentlichen Tritt in den Hintern gekriegt. Die Roamer verteidigten ihre Anlagen, und dann erschien Admiral Wil is auf der Bildfläche. Daraufhin floh General Lanyan so schnel , dass er nicht einmal eine Emissionsspur zurückließ.«
»Hoffentlich lässt sich die Hanse das eine Lehre sein«, sagte Estarra.
Die Farbe wich aus Peters Gesicht, als er versuchte, seinen Zorn unter Kontrol e zu halten. »Basil wil unseren Konflikt zu einem großen Bürgerkrieg eskalieren lassen, und daran kann uns nichts gelegen sein. Unser Militär ist nicht bereit, und unsere Welten erholen sich noch vom Hydroger-Krieg. Die Menschen der Erde sind nach wie vor mein Volk, was auch immer der Vorsitzende ihnen einredet.«
»Hinzu kommt, dass er mit der Entführung des Weisen Imperators den Ildiranern praktisch den Krieg erklärt hat«,
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sagte Estarra vol er Abscheu. »Warum haben die Bürger noch nichts gegen den Vorsitzenden unternommen? Wie können wir sie dazu bringen, ihn zu stürzen?«
Das hatte sich Peter ebenfal s gefragt. »Wir haben seine Aktionen immer wieder verurteilt, aber Basil verhindert, dass unsere Stellungnahmen al gemein bekannt werden. Er verbreitet Furcht unter den Bürgern der Erde - das sol sie daran hindern, nach Alternativen Ausschau zu halten.«
»Aber sehen sie denn nicht, wie viel Schaden der Vorsitzende jeden Tag anrichtet?«, erwiderte Estarra. »Es geht immer mehr bergab mit ihm, und er reißt die Menschheit mit sich in den Abgrund.«
»Nicht, wenn ich es verhindern kann.« In Peters Magengrube hatten sich dicke Knoten gebildet. Unruhig wanderte er durch den Raum und hielt Reynald dabei in der rechten Armbeuge. »Wenn wir über einen Mittler aktiv werden könnten, mithilfe von jemandem, der Einfluss hat und Respekt genießt, der Bevölkerung der Erde eine Alternative aufzeigt... Das könnte Basils Macht brechen. Die Menschen würden handeln, wenn sie einen anderen, besseren Weg sähen. Aber von welcher Seite man es auch betrachtet: Ich fürchte, ein Blutvergießen lässt sich nicht vermeiden.«
»Wir brauchen einen Insider, der Unterstützung gewinnen und den Vorsitzenden in die Enge treiben kann«, sagte Estarra. »Was ist mit dem stellvertretenden Vorsitzenden Cain? Oder Sarein? Sie haben uns zur Flucht verholfen.«
»Nein, Basil behält sie zu genau im Auge. Wir brauchen eine andere al seits respektierte Stimme, eine Person, die den Mut hat, laut und offen Stellung zu beziehen.« Peter schaute plötzlich hoch, und in seinen Augen blitzte es. »Die frühere Vorsitzende Maureen Fitzpatrick.«
»Die alte Streitaxt? Wie wil st du sie dazu bringen, die Seite zu wechseln?«
Peters Gedanken rasten. »Ich setze mich mit Patrick Fitzpatrick bei Golgen in Verbindung. Er ist ihr Enkel. Viel eicht
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ist er imstande, ihr ein Angebot zu machen, das sie nicht ablehnen kann.«
46 # WEISER IMPERATOR JORA'H
Admiral Diente rief einen sehr mitgenommenen Jora'h in den Kommando-Nukleus, als das Schiff in eine Umlaufbahn um die Erde schwenkte. Beim Verlassen seines Quartiers ging der Weise Imperator mit langsamen, schwerfäl igen Schritten, vol er Zorn darüber, dass man ihm seine Schwäche so deutlich ansah. Die steinernen Mienen der ihn begleitenden TVF-Wächter zeigten nicht die geringste Reaktion.
Aber er hatte den Wahnsinn der Isolierung überlebt. Er hatte Zähigkeit und Kraft gefunden, nicht nur in seinem eigenen Innern, sondern auch bei seiner Halbblut-Tochter - Reserven, von deren Existenz der Vorsitzende Wenzeslas nichts gewusst hatte. Jora'h fühlte, einen Sieg über das Oberhaupt der Hanse errungen zu haben. Und jetzt kehrte er zurück.
Um den Weisen Imperator nicht noch länger leiden zu lassen, hatte Admiral Diente das Triebwerk des Kriegsschiffs bis über seine Kapazitätsgrenzen hinaus belastet und war mit maximaler Geschwindigkeit in Richtung Erde gerast. Gestärkt von der Verbindung mit Osira'h und ihren Geschwistern, hatte Jora'h die Isolation weiter ertragen. Jetzt spürte er die Nähe der anderen Ildiraner in der Mondbasis, und die Fäden des Thism rückten in greifbare Nähe.
Er war wieder in Sicherheit - und noch immer gefangen. Die gerade überstandene Isolation und Osira'hs Informationen über die jüngsten Ereignisse auf Ildira erfül ten ihn mit dem innigen Wunsch, seinem Volk zu Hilfe zu eilen.
Jora'h schloss die Hände ums Geländer des Kommando-Nukleus und atmete tief durch, um sich zu beruhigen.