18. Kapitel

Es gibt nichts, was Liebe nicht leisten könnte.

So sprach die alte Heilerin Nora in einer kalten Winternacht zu ihren drei jungen Enkelinnen.

Du hast ihm was gesagt?“ Sophia schaute ihn entgeistert an.

Dougal seufzte. Bis vor wenigen Augenblicken hatte seine schöne Frau nur gelächelt und geschnurrt, weil sie so froh war, wieder dort zu sein, wo sie hingehörte - in seinen Armen.

Nun saß sie nicht mehr behaglich auf seinem Schoß, sondern stand vor ihm, die Hände in die Hüften gestemmt, die Augen vor Wut funkelnd.

„Sophia, Liebste. Ich wollte nicht, dass es so klang, aber ...“ Sie wischte mit einer Hand durch die Luft. „Warte! Du hast deinem Bruder versehentlich gesagt, dass er das künftige Glück seiner ihm frisch angetrauten Frau am besten sichern kann, indem er sie wie eines seiner Pferde behandelt?“

Wenn sie es so ausdrückte, klang es wirklich schlimm.

Sophias Blick durchbohrte ihn, sodass er nicht von seinem Stuhl hätte aufstehen können, selbst wenn er gewollt hätte. „Das war der beste Rat, der dir eingefallen ist?“

„Nun, ich ...“

„Wie wäre es denn damit gewesen, Hugh zu sagen, dass eine glückliche Ehefrau für ein glückliches Zuhause sorgt?“

„Ich nehme an, ich hätte ...“

„Oder dass er sich etwas Zeit geben sollte, sie kennenzulernen, nachdem sie auf so verrückte Art und Weise zusammengekommen sind?“

„Das wäre eine gute Idee gewesen ..."

„Oder dass er darauf achten soll, dass es ihr in seinem Haus gut geht, damit sie sich nicht als Außenseiterin fühlt?“ Sophias Augen schleuderten ihm Blitze entgegen. „Hast du darüber nachgedacht? Oder hast du womöglich das Denken vergessen, weil du so eifrig bemüht warst, kenntnisreich zu klingen, was du eindeutig nicht bist.“ Sophias schottischer Akzent wurde stärker, ein sicheres Zeichen, dass er in großen, großen Schwierigkeiten steckte. Er streckte ihr seine offenen Handflächen entgegen. „In der Sekunde, in der ich die Worte aussprach, wusste ich, dass ich einen Fehler gemacht hatte, Sophia. Aber Hugh schien darauf anzuspringen, also funktioniert es ja vielleicht.“

„Hast du sie in letzter Zeit besucht?“

Dougal rutschte auf seinem Stuhl herum und dachte daran, wie ernst Hugh in diesen Tagen wirkte. „Ja, aber man kann daraus, wie die Leute aussehen, nicht immer auf ihre Gefühle schließen.“ „Natürlich kann man das! Erscheinen Hugh und seine neue Frau glücklich? Lachen sie? Lächeln sie einander an? Halten sie Händchen?“

Um der Wahrheit die Ehre zu geben, hatte Dougal seinen Bruder Hugh niemals weniger glücklich gesehen. „Nun ... er schaut sie oft an?“

„Und was bedeutet das?“

„Das heißt, dass er interessiert ist.“

„Das will ich doch hoffen! Er hat sie geheiratet, nicht wahr?“ „Er war gezwungen, sie zu heiraten. Aber nicht durch ihre Schuld, wie er ganz offen zugibt.“

„Wie großmütig von ihm“, fauchte Sophia. „Also heiratet er sie und bringt sie in sein Haus, um sie zu trainieren wie ein Pferd. Lass die Kutsche vorfahren - wir werden sie sofort besuchen.“ „Aber Hugh hat eine Nachricht geschickt, dass er die Mädchen später abholt...“

„Wir fahren jetzt! Mit den Mädchen. Du und ich können gemeinsam den Schaden wiedergutmachen, den deine kleine Perle der Weisheit angerichtet hat.“ Sophia wirbelte auf dem Absatz herum und wollte zur Tür gehen, doch Dougal war schneller.

Er beugte sich vor, legte ihr den Arm um die Taille, drehte sie um und zog sie wieder auf seinen Schoß. Dort hielt er sie fest, obwohl sie stocksteif dasaß. „Ich habe nichts Böses beabsichtigt.“

„Wie konntest du nur so etwas zu ihm sagen?“

„Du weißt, wie er zu Pferden steht, und ich habe versucht, ihm auf eine Weise zu erklären, die er versteht, dass man daran arbeiten muss, wenn man ein guter ...“

„Sag jetzt nicht,Trainer“!“

„Ich wollte ,Ehemann sagen.“ Dougal seufzte. „Und ich gebe zu, dass ich mich schlecht ausgedrückt habe, Sophia. Ich wollte ihm nur den Rat geben, dass er einfach geduldig sein und Zeit mit ihr verbringen soll wie mit den verdammten Pferden und dass er dann vielleicht eine Beziehung aufbauen kann, die den Namen verdient. Ich weiß, ich habe es verpatzt - aber ich wollte einfach nur, dass er einen kleinen Teil von dem Glück findet, dass ich mit dir erlebe.“

Ihre Miene hellte sich ein wenig auf und war nicht mehr ganz so streng. „Du hast sehr viel Glück gehabt.“

„Ich bin der glücklichste aller Männer“, sagte er ehrlich und genoss es, sie in seinen Armen zu spüren. Gott, wie sehr er sie vermisst hatte!

Er fing eine ihrer goldenen Locken ein und ließ ihr langes, seidiges Haar durch seine Finger gleiten. „Oh, Sophia“, flüsterte er. „Es tut mir leid, dass ich dich wütend gemacht habe, aber du hast mir so schrecklich gefehlt.“

Sie schnaubte.

Um sein Lächeln zu verbergen, küsste er sie rasch auf die Wange und sagte leise: „Ich wollte nur, dass Hugh das bekommt, was wir beide gefunden haben. Du bedeutest mir alles, Sophia.“

Ihre dichten Wimpern senkten sich auf ihre Wangen, und sie schmiegte sich ein wenig fester in seine Arme. „Wir sind glücklich, nicht wahr?“

Er drückte einen weiteren Kuss auf ihre seidenglatte Wange. „Glücklicher, als ich es mir jemals hätte vorstellen können“, erklärte er und liebkoste ihren Nacken. „Ich habe dich schrecklich vermisst.“

Sie erschauderte, ließ sich gegen ihn sinken und lehnte den Kopf an seine Schulter, sodass ihre blonden Haare ihn am Hals kitzelten. „Du hast mir auch gefehlt. Es tut mir leid, dass ich so lange fort war, aber die Reise war sehr schwierig für den armen Red.“

„Ich bin froh, dass es deinem Vater jetzt besser geht.“ Er zog sie noch ein wenig dichter an sich heran.

Sophia schwieg einen Moment, dann seufzte sie und setzte sich kerzengerade hin. „Entschuldige, dass ich so wütend auf dich war, aber du hast deinem Bruder einen furchtbaren Rat gegeben.“ „Das war mir schon in dem Moment klar, in dem ich ihn aussprach. Wärst du da gewesen, hättest du ganz genau gewusst, was man in so einem Fall sagen muss. Aber du warst nicht da, und es ging ihm so schlecht, dass ich irgendetwas sagen musste.“ Nachdenklich schaute sie ihn an. „Ihm ging es schlecht?“

„Sie bedeutet ihm mehr, als ihm klar ist. Und seine Gefühle für sie scheinen mit jedem Tag stärker zu werden.“ Dougal runzelte die Stirn. „Wenn er sie nur näher an sich heran ließe - ich glaube, dann würden sie beide feststellen, dass sie mehr füreinander empfinden, als sie jetzt denken. Aber er hat Angst, sie könnte ihn verletzen. Ihn und auch die Mädchen.“

„Natürlich hat er Angst. Er war so damit beschäftigt, die Mädchen vor ihrer Mutter zu schützen, dass er eine Festung um sie alle herum gebaut hat.“

Dougal griff nach der Hand seiner Frau und drückte einen Kuss auf die Innenfläche. „Genau wie jemand anders, den du früher mal kanntest.“

„Ja, aber du hast dich davor gefürchtet mich zu lieben, weil du dachtest, du könntest deswegen die Kontrolle über deine Gefühle verlieren. Das ist nicht geschehen.“

„Wenn dir jemals etwas zustieße ...“ Bei diesem Gedanken presste der die Lippen fest aufeinander. „In gewisser Weise hatte ich recht.“

„Nein.“ Sie legte ihre warme Hand gegen seine Wange und sah ihn mit hell schimmernden Augen an. „Wenn mir etwas zustieße, wärst du traurig, aber du würdest wissen, dass ich dich liebe. Das würde dir helfen.“

Er legte seine Hand über ihre und spürte, dass sein Herz sich bei dieser Vorstellung schmerzlich zusammenzog. „Das kann ich nicht versprechen.“

„Doch, das kannst du“, widersprach sie mit fester Stimme. „Und das kann auch Hugh. Außerdem habe ich noch nie erlebt, dass er sich Sorgen gemacht hat, er könne die Beherrschung verlieren.“ Dougal schwieg lange, bevor er leise sagte: „Es gab eine Zeit, da waren wir alle halb verrückt vor Zorn und Trauer.“

Plötzlich wurde Sophias Blick dunkel. „Als Callum starb?“ Weil seine Kehle zu eng war, um antworten zu können, nickte Dougal stumm. Sein jüngster Bruder, der Liebling der Familie, war einen sinnlosen Tod gestorben, und seine fünf überlebenden Geschwister waren wütend und entsetzlich traurig gewesen.

Ihre vereinte Wut hatte Stürme erschaffen, die so heftig gewesen waren, dass sie Häuser durch die Luft gewirbelt hatten. Flüsse waren wegen der heftigen Wolkenbrüche über ihre Ufer getreten und hatten sich in reißende Ströme verwandelt. Blitze teilten den Himmel und schlugen in alles ein, was sich bewegte, und Donner rollte über das Land, während tödlicher Hagel niederprasselte.

Nachdem sie das Unwetter entfesselt hatten, kamen sie wieder zur Besinnung, doch es war zu spät. Keiner von ihnen konnte es unter Kontrolle bringen ... Als das Gewitter am heftigsten tobte, fand Dougal seinen Bruder Hugh ohnmächtig auf den Zinnen der Burg. Der Schreck und die Angst um ihn halfen ihnen allen, sich zu beherrschen.

Dougals Brust schmerzte bei der Erinnerung daran, wie Hugh dort oben gelegen hatte, in sich zusammengesunken, vollkommen durchnässt vom Regen und so blass, dass sie ihn zunächst für tot hielten. Nur am kaum wahrnehmbaren Zucken des Pulses an seiner Kehle erkannten sie, dass er noch lebte. Sie schafften ihn in sein Bett, wo er sehr rasch immer schwächer wurde, bis die Heilerin Nora kam, um ihn zu pflegen. Mithilfe ihres Wissens über Zaubertränke und Kräuter gelang es ihr, ihn zurückzuholen, doch es dauerte fast ein Jahr, bis er wieder vollkommen gesund war.

Dougal rieb sich die Stirn. Er fragte sich, ob Hugh seitdem jemals wieder ganz der Alte gewesen war.

Sophia legte den Kopf schief. „Wie läuft es zwischen den Mädchen und Triona?“

„Sie geben ihr keine Chance. Ich habe versucht, mit ihnen zu reden, doch das schien sie nur noch in ihrem Entschluss zu bestärken, sie nicht zu mögen.“ Dougal zögerte und fügte dann hinzu. „Ich fürchte, sie führen irgendetwas im Schilde.“

„Warum? Was haben sie gemacht?“

„Ich weiß nicht, aber während der letzten Tage haben sie sich sehr geheimnisvoll verhalten. Ich ertappte sie beim Flüstern, und als ich sie fragte, was sie da machen, taten sie für meine Begriffe viel zu unschuldig.“

„Dann planen sie ganz sicher etwas.“ Sophia küsste ihn auf die Wange. „Komm. Wir müssen nach Gilmerton. Ich habe das Gefühl, wenn wir erst einmal dort sind, werden wir klarer sehen.“

Triona ging die Treppe hinunter, um zu frühstücken. In der Halle blieb sie stehen und legte den Brief an ihre Schwester auf das Tablett für die Post. Der Butler würde dafür sorgen, dass er abgeschickt wurde. Hugh hatte sich nicht einmal gerührt, als sie aufgestanden war; er musste sehr erschöpft sein. Falls nicht von der Suche nach der Stute, so doch von ihren Aktivitäten in der Nacht. Bei dem Gedanken musste sie lächeln, doch eine Sekunde später war sie schon wieder ernst. Sie und Hugh hatten im Bett eine wunderbare Beziehung, aber sie sehnte sich nach so viel mehr.

Schweren Herzens ging sie weiter zum Frühstückszimmer, doch Angus stand vor der Tür, als wollte er sie am Eintreten hindern. Das war seltsam. „Ist das Frühstück fertig?“, erkundigte sie sich.

Er legte das Gesicht in Falten. „Sicher, Mylady. Aber es is’ ein bisschen schwierig, ins Zimmer zu kommen. Liam is’ gegangen, um zwei der Stallburschen zu holen, damit sie helfen, die Anrichte zu verschieben, aber ...“

Ein Klopfen an der Haustür unterbrach ihn.

Mit einer gemurmelten Entschuldigung eilte Angus davon, um zu öffnen.

Mam trat ein. „Ach, da bist du ja, mein Mädchen! Ich bin gekommen, um zu sehen, ob ... was ist los? Du siehst verwirrt aus.“

„Ich wollte gerade ins Frühstückszimmer gehen, und ...“

Wieder klopfte es an die riesige Haustür.

Triona verbarg ihre Ungeduld und machte Angus ein Zeichen, zu öffnen.

Christina, Devon und Aggie kamen mit von der Kälte rosigen Wangen ins Haus, während Angus die Tür aufhielt, offenbar folgte Dougal den Mädchen.

Augenblicklich wurde Triona leichter ums Herz. „Da seid ihr ja! Ich habe mich schon gefragt, wann ihr zurückkommen würdet.“ Die Mädchen standen dicht aneinandergedrängt da, und Devon und Christina schauten sich unbehaglich um.

„Ist Papa wieder zu Hause?“, erkundigte Aggie sich aufgeregt. „Oh ja. Er schläft noch.“

Aggie ließ die Schultern sinken. „Schade.“

Nun betrat Dougal die Halle, und an seiner Seite ging eine winzig kleine Frau, die zweifellos das schönste Wesen war, das Triona jemals gesehen hatte.

Mit einem herzlichen Lächeln kam die Frau auf Triona zu. „Meine Liebe! Es tut mir so leid, dass ich nicht in der Stadt war, als du hier ankamst.“

Höflich streckte Triona die Hand aus, aber die Frau zog sie in eine warme Umarmung.

Einen Augenblick lang stand Triona vor Überraschung einfach nur da, aber dann lachte sie und legte die Arme um ihren Gast. „Sind Sie Sophia MacFarlane?“, mischte Mam sich ein.

Die Frau drehte sich um, stieß einen erfreuten Schrei aus und eilte auf Nora zu, um sie ebenfalls in die Arme zu schließen.

„Gütiger Himmel“, stieß Triona hervor. „Heute Morgen kommt ja die halbe Welt, um uns zu besuchen.“

Mams Lächeln wurde breiter, während sie Sophias Umarmung erwiderte. „Ich dachte mir gleich, dass du das bist! Wie geht es deinem Papa, dem alten Halunken?“

„Entschuldigung“, sagte Dougal mit gespielter Ernsthaftigkeit. „Sophias Nachname lautet jetzt MacLean, und das schon seit einiger Zeit.“

Mam brachte ihn mit einem ,Papperlapapp zum Schweigen und wandte sich wieder an Sophia: „Ich hätte nie gedacht, dass dieser Tunichtgut, den du da hast, einen so guten Ehemann abgeben würde, aber ich habe mich geirrt. Er scheint sich in der Ehe wohlzufühlen wie ein Fisch im Wasser.“

Dougal machte eine elegante Verbeugung, und seine Haare leuchteten im Licht der Morgensonne golden. „Ich stehe ganz schön unter dem Pantoffel und bin sehr glücklich darüber.“

Mam gackerte. „So soll es sein.“

Sehnsüchtig beobachtete Triona den Blick, den Dougal mit Sophia tauschte. Sein Gesichtsausdruck war zärtlich und liebevoll. Was musste sie tun, damit Hugh sie ebenso anschaute?

Dougal wandte sich Triona zu. „Vielleicht weißt du es nicht, aber deine Großmutter hat einmal unsere Schwester Fiona gerettet. Wenn man es recht bedenkt, hatte sie im Laufe der Jahre einiges zu tun, um die MacLeans gesund und am Leben zu erhalten.“ Triona sah, dass Devon ihrer Schwester Christina etwas zuflüsterte. „Oh, ich habe gar nicht daran gedacht, zu fragen, ob die Kinder schon gefrühstückt haben. Habt Ihr alle denn schon etwas gegessen?“

„Nein“, erwiderte Dougal sofort. „Und wir sind halb verhungert.“ Sophia lachte. „Ich hatte es so eilig, hierherzukommen und dich kennenzulernen, dass wir beschlossen, uns auf Gedeih und Verderb deiner Gnade auszuliefern, was das Frühstück betrifft.“ „Ich bin sicher, es ist genug für alle da.“ Triona wandte sich um. „Angus, informierst du bitte Mrs Wallis, dass wir Gäste zum Frühstück haben?

Angus, der allen aus den Mänteln geholfen hatte, nahm nun sämtliche Kleidungsstücke, verbeugte sich und eilte davon.

Triona sah, dass Christina die Tür zum Frühstückszimmer anstarrte und dabei die Stirn in Falten legte. „Hast du schon etwas gegessen, Christina?“

Das Mädchen schrak zusammen und wurde knallrot. „Nein, nein! Ich meine ... ich bin kein bisschen hungrig.“

Christina und Devon sahen sich an, dann erkundigte Devon sich in herausforderndem Ton: „Wo ist Papa?“

„Wie ich Aggie schon sagte, schläft er oben. Er ist sehr spät nach Hause gekommen, aber ich bin sicher, es macht ihm nichts aus, wenn ihr ihn weckt.“

Devons warf ihr einen wutfunkelnden Blick zu. „Wir brauchen deine Erlaubnis nicht, um Papa aufzuwecken.“

Erschrockenes Schweigen breitete sich in der Halle aus.

Sophia sah Devon strafend an, während Mam missbilligend mit der Zunge schnalzte.

Christina, deren Wangen immer noch glühten, sagte mit leiser Stimme: „Wenn es euch nichts ausmacht, werden wir einfach ...“

„Papa!“, rief Aggie. Sie stürzte davon und war die Stufen hinaufgelaufen, bevor die anderen sich rühren konnten.

Hugh stand auf dem Treppenabsatz. Ohne jedes Zögern fing er das Kind in seinen Armen auf und drückte sie an sich. Die anderen Mädchen waren dicht hinter Aggie, und lachend umarmte er sie alle.

Seine Züge waren vor Liebe ganz weich, als er mit jeder von ihnen sprach. Die Mädchen lachten und redeten durcheinander, umarmten ihn der Reihe nach immer wieder und legten zwischendurch die Köpfe in den Nacken, um ihn anzusehen, während sie wegen diesem oder jenem laute Rufe ausstießen. Triona schaute vom Fuß der Treppe aus zu. Es war sehr dumm von ihr gewesen, Hughs Liebe zu seinen Töchtern infrage zu stellen. Natürlich liebte er sie - das erkannte man an allem, was er tat. Warum konnte er sie nicht in diese Liebe einschließen? Sie kämpfte mit den Tränen und bohrte ihre Fingernägel in die Handflächen.

Plötzlich stand Mam neben ihr. „Das ist eine tolle Familie, die du da hast, Mädchen.“

„Es ist nicht meine Familie.“ Jedes Wort brannte ihr auf der Zunge, und Tränen trübten ihren Blick.

„Sie gehören zu dir, Liebling, ganz gleich, ob sie es wissen oder nicht.“ Mam legte ihr den Arm um die Schultern. „Manchmal gefällt es dem Schicksal, dich lange auf das warten zu lassen, was du dir am meisten wünschst. Aber wenn du Geduld hast und nicht auf halbem Weg aufgibst, wirst du belohnt werden.“

Triona nickte. Mam hatte recht - und sie war niemand, der einfach so aufgab.

„Entschuldigung“, drang eine sanfte Stimme an ihr Ohr.

Triona stellte fest, dass Sophia lächelnd an ihrer anderen Seite stand.

„Ich konnte nichts dagegen tun, euch zu belauschen. Es ist genau, wie deine Großmutter sagt: Die Mädchen werden ihre Meinung ändern, aber das wird eine Weile dauern. Es sind gute Kinder, aber sie können sehr stur sein. Ganz im Ernst, es ist gut, dass du hier bist. Sie brauchen jemanden wie dich in ihrem Leben.“ Ihr Blick wanderte hinauf zum Treppenabsatz. „Sie alle brauchen jemanden“, fügte sie leise hinzu.

Hugh, der immer noch die Mädchen in den Armen hielt, fing Catrionas Blick auf, und sein Lächeln verblasste. Er sah die Anspannung in ihrem Gesicht und wusste instinktiv, dass irgendetwas geschehen sein musste.

Devon zog an seinem Arm. „Können wir jetzt essen? Wir haben schrecklichen Hunger.“

„Ganz furchtbaren Hunger“, bekräftigte Aggie.

Er sah Christina an, die den Kopf schüttelte. Das war seltsam; in letzter Zeit hatte sie immer einen sehr guten Appetit gehabt.

Wieder zog Devon an seinem Arm. „Onkel Dougal und Tante Sophia sind auch hungrig.“

„Nun, wir sollten unsere Gäste nicht warten lassen, stimmt’s?“ Hugh ging die Treppe hinunter, und die Mädchen folgten ihm. „Wir scheinen heute beim Frühstück ziemlich viele zu sein.“

„Ich hoffe, es macht dir nichts aus“, sagte Dougal. „Sophia ist erst heute Morgen nach Hause zurückgekehrt, und sie war entschlossen, die Kinder so bald wie möglich zu dir zu bringen.“ Nora lachte in sich hinein. „Wollte sie wohl schnell loswerden.“ Sie schaute die Mädchen an und zwinkerte ihnen zu. „Ihr bereitet doch keine Probleme? Oder doch?“

„Nein“, stieß Christina atemlos hervor. „Natürlich nicht!“ Sophia ging zu Hugh, um ihn schwesterlich zu umarmen und auf die Wange zu küssen. „Ich würde sie für immer bei mir behalten, wie du weißt, aber sie freuen sich immer so darauf, wieder nach Hause zu kommen, dass ich sie sofort hergebracht habe. Außerdem wollte ich deine Frau kennenlernen.“

Hugh warf Catriona einen raschen Blick zu. „Ich bin froh, dass ihr euch endlich begegnet seid.“ Seine Frau sah an diesem Morgen ganz besonders bezaubernd aus mit ihren ordentlich hochgesteckten Haaren und der Brille auf der Nase, als wollte sie dahinter ihre Schönheit verstecken, was ihr aber eindeutig misslang. Er war beim Aufwachen sehr enttäuscht gewesen, als er festgestellt hatte, dass sie nicht neben ihm lag. Offenbar war seine Erschöpfung noch größer, als er gedacht hatte, denn er hatte bis zu Dougals Ankunft nichts gehört oder bemerkt.

Mrs Wallis rauschte in die Halle. „Wir haben das Frühstück jetzt nach oben gebracht. Und das Zimmer sollte inzwischen auch bereit sein. Ich habe Liam und Angus durchs Fenster hineinklettern lassen.“

Als aus dem Frühstückszimmer ein lautes kratzendes Geräusch zu hören war, wandten sich alle der geschlossenen Tür zu.

Hugh legte die Stirn in Falten. „Was zum Teuf...“

Triona räusperte sich und sah bedeutungsvoll in Richtung der Mädchen.

Dann öffnete sich die Tür, und Angus und Liam erschienen grinsend im Rahmen. Mrs Wallis lächelte die Gruppe in der Halle an. „Kommen Sie essen. Es gibt Eier und Schinken, Porridge und Brötchen und Abernathy-Plätzchen!“

Hugh nahm Trionas Hand, legte sie in seine Armbeuge und ging mit ihr zur Tür. Als sie die Schwelle überquerten, blieb sie abrupt stehen. Ebenso wie in seiner Bibliothek war jedes einzelne Möbelstück - mit Ausnahme des schweren Tisches und der großen Anrichte an einer der Wände - verrückt worden. Die Stühle waren an einer Seite des Zimmers neben der kleineren Anrichte in einer Reihe aufgestellt. An den Schrammen auf dem Fußboden war zu erkennen, dass die kleine Anrichte offenbar vor der Eingangstür gestanden und sie versperrt hatte. Angus und Liam waren damit beschäftigt, die Möbel wieder dorthin zu stellen, wo sie hingehörten, aber die Unordnung im Raum war unübersehbar.

„Gütiger Himmel“, rief Nora. „Was ist denn hier passiert?“ Dougal schaute sich neugierig um. „Habt ihr die Teppiche gereinigt oder...“

„Nein“, antwortete eine klare, laute Stimme.

Alle wandten sich Devon zu.

Sie war sehr blass, stand jedoch mit hocherhobenem Kopf da und erklärte mit fester Stimme: „Papa hat Triona gesagt, sie kann mit den Möbeln machen, was sie will. “ Mit einem zufriedenen Ausdruck im Gesicht ließ das Mädchen seinen Blick durchs Zimmer schweifen. „Ich mag es allerdings nicht. Es gefällt mir kein bisschen.“

Mrs Wallis schüttelte den Kopf. „Die Herrin und ich haben nur den Salon umgeräumt.“

Hugh wandte sich Devon zu, die äußerst kampfeslustig dreinblickte. Starr erwiderte sie seinen Blick, während Christina in eine andere Richtung sah.

Seine Verwunderung musste deutlich zu erkennen sein, denn als Christina doch wagte, ihn für einen Moment anzuschauen, wurde sie blass und wich einen Schritt zurück. Devon allerdings ballte neben ihrem Körper die Fäuste.

Ernst begann Hugh: „Mädchen, ihr habt...“

Catriona nahm ihn beim Arm und zog ihn dichter zu sich heran. „Lass uns nach dem Frühstück darüber sprechen, Hugh. Wir haben alle noch nichts gegessen.“

Er runzelte die Stirn.

„Wir können die restlichen Möbel nach dem Frühstück wieder dorthin stellen, wo sie hingehören. Schließlich haben wir jetzt Gäste ..." Der ruhige Blick ihrer haselnussfarbenen Augen suchte den seinen.

Ah. Sie wollte also nicht, dass er die Mädchen vor ihrer Tante und ihrem Onkel zurechtwies. Widerstrebend gestand er sich ein, dass sie recht hatte.

„Ich habe schrecklichen Hunger“, erklärte Sophia strahlend. „Und es gefällt mir, wie der kleine Tisch dort am Fenster steht. Das scheint mir eine hübsche Nische für Mahlzeiten in kleiner, vertrauter Runde zu sein.“

„Genau“, stimmte Nora zu, und warf den Mädchen einen scharfen Seitenblick zu. „Die neue Anordnung der Möbel ist gar nicht so schlecht. Dem einen oder anderen dürfte sie gefallen, wenn er eine eigene Meinung hat und nicht alles Neue von vornherein ablehnt.“

Hugh nickte. Er würde warten, bis er mit den Mädchen über diese Angelegenheit sprach, aber wenn es so weit war, würde er ihnen eine Menge zu sagen haben.

Er legte seine Hand über Catrionas Finger und zwang sich zu einem Lächeln. „Dann lasst uns essen.“

Trotz der Anspannung, die von Devon und Christina ausging, wurde während der Mahlzeit lebhaft geplaudert, was hauptsächlich Sophia und Nora zu verdanken war. Sie scherzten miteinander, stellten Catriona viele Fragen, erzählten sämtlichen Klatsch und Tratsch, der ihnen einfiel, und brachten alle Anwesenden zum Lächeln. Außer Christina und Devon, die mit verkniffenen Gesichtern schwiegen.

Was hatten sie nur für einen Grund, auf seine Frau wütend zu sein, fragte sich Hugh. Er beobachtete Triona, als Sophia sie drängte, etwas über ihre Kindheit zu erzählen. Ihre Miene hellte sich auf, während sie berichtete, wie sie und ihre Geschwister einmal eines der guten Laken als Vorhang für ein Spiel benutzt und versehentlich Farbe darauf verschüttet hatten und welche verrückten Situationen entstanden waren, als sie versuchten, dieses Missgeschick vor ihrer Mutter zu verbergen. Alle am Tisch brachen in lautes Gelächter aus, außer den Mädchen.

Draußen war es an diesem Morgen kalt, und ein leichter Nieselregen ging nieder, doch drinnen schien das warme Licht der Messinglampen, Catriona ließ ihr melodisches Lachen erklingen, und alles erschien ihm heimelig und wie von Gold überstäubt. Sie war es gewesen, die diese wunderbare Stimmung in sein Leben gebracht hatte.

So bald wie möglich baten Devon und ihre Schwestern, den Tisch verlassen zu dürfen. Mit gesenkter Stimme sagte Hugh ihnen, dass er bald nach oben kommen würde, um mit ihnen zu reden. Sie sahen einander an, nickten jedoch und verabschiedeten sich. Während er ihnen nachschaute, fühlte er sich schuldig. Er war so sehr damit beschäftigt gewesen, die Mädchen zu schützen, dass er nicht darüber nachgedacht hatte, ob Catriona verletzt sein würde. Doch von nun an würde auf Gilmerton Frieden herrschen.

Catriona hatte bereits das Ihrige dazu getan, und nun würde der Rest der Familie sich ebenfalls um Harmonie bemühen.

Das niedrig brennende Feuer im Kinderzimmer spendete mehr Licht als Wärme. Christina warf eine Schaufel Kohlen durch die Eisentür des Ofens, schloss sie wieder und verriegelte sie sorgfältig. Sofort flackerten die Flammen heller und verbreiteten Hitze. Sie lächelte ihre Schwestern an. „Mir gefallen die neuen Heizöfen, die Papa hat einbauen lassen.“

Aggie, die - umgeben von drei ihrer Lieblingspuppen und in ihre Lieblingsdecke gehüllt - auf dem Sofa saß, nickte so heftig, dass ihre blonden Locken auf- und abhüpften. „Es ist jetzt viel wärmer hier.“

Devon lümmelte am anderen Ende des Sofas herum. Sie hatte die Arme vor der schmalen Brust verschränkt, und ihre Mundwinkel hingen missmutig herab.

Christinas Augen wurden schmal, als sie ihre Schwester ansah. Nach einer Weile setzte sie sich neben sie. „Nun sag es schon, du Quälgeist. Irgendetwas passt dir doch nicht.“

Devon warf ihr einen Seitenblick zu, rührte sich aber nicht. „Kann schon sein.“

„Es geht um das Frühstück, nicht wahr?“

„Ja! Wir haben so hart gearbeitet, und Papa hätte total wütend sein müssen!“ Devon starrte finster vor sich hin. „Diese Frau ist eine Hexe. Sie hat ihn mit einem Fluch belegt.“

„Es gibt keine Hexen.“

„Und was ist dann mit der alten Heilerin Nora? Alles sagen, dass sie eine Hexe ist!“

„Sie sagen, sie sei eine weiße Hexe. Und die sind nicht gefährlich.“

„Nun, ihre Enkelin ist eine schwarze Hexe, und sie ist sehr gefährlich.“

Aggie blickte von ihren Puppen auf. „Ich glaube nicht, dass sie eine Hexe ist. Ich glaube, sie ist traurig.“

„Was weißt du denn schon davon?“, fuhr Devon sie an. „Mehr als du“, erwiderte Aggie mit fester Stimme. „Ich weiß, dass sie drei Brüder und zwei Schwestern hat und dass sie die Älteste ist und sich immer um alle gekümmert hat. Und genau das hat dann dazu geführt, dass sie nun mit Papa verheiratet ist! Weil sie ihrer Schwester helfen wollte. Und ich weiß auch, dass sie ihr Zuhause vermisst.“

Christina legte die Stirn in Falten. „Woher weißt du das alles?“ „Das tut sie doch gar nicht“, widersprach Devon und schnaubte. „Tu ich wohl! Ich weiß sehr viel über sie - viel mehr als du.“ Aggie betrachtete ihre Schwestern aus zusammengekniffenen Augen. „Ihr zwei habt die Möbel verrückt, stimmt’ s?“

„Und was, wenn wir es getan haben?“, wollte Devon wissen. „Sie hat es verdient.“

Aggie zog die Brauen zusammen. „Das glaube ich nicht. Ich weiß, du glaubst, dass sie gemein zu Papa war, aber ...“ Sie zupfte an Spitzensaum des aufwendigen Kleids ihrer Puppe. Dann hob sie den Blick und schaute ihre älteste Schwester mit tränennassen Augen an. „Was ist denn, wenn sie sich schrecklich einsam fühlt, weil wir so gemein zu ihr waren, Christina?“

Überrascht rutschte Christina dichter an ihre Aggie heran, legte ihr einen Arm um die Schultern und zog sie an sich. „Wie um alles in der Welt kommst du denn darauf?“

Aggie zuckte mit den Schultern und blickte auf ihre Puppen hinab.

Christina schaute ihre kleine Schwester eine Weile abwartend an, dann zog sie ihren Arm weg. „Na gut. Wenn du mir nicht sagst, was du weißt, erzähle ich dir auch nicht, was ich weiß.“

Wie an einem Faden gezogen, fuhr Aggies Kopf hoch. „Was weißt du denn?“

„Oh, ich habe gehört, wie Papa etwas zu Onkel Dougal gesagt hat. Das willst du aber sicher nicht wissen. Es ging um ...“, sie machte eine dramatische Pause „... den Fluch.“

Aggie riss die Augen weit auf. „Der Fluch der MacLeans? Du hast gehört, wie Papa ihn erwähnte?“

Christina nickte.

„Er spricht doch niemals darüber!“

Christina wartete ab und schwieg.

Wieder zupfte Aggie am Saum des Puppenkleids. „Ich denke schon, dass ich euch erzählen kann, woher ich all diese Dinge über Papas neue Frau weiß. Es ist nur so, dass ich sie ... irgendwie gestohlen habe.“

„Was hast du gestohlen?“, erkundigte sich Christina ruhig. Aggie steckte die Hand in die Tasche ihres Kleids und zog einen zerknitterten Zettel daraus hervor. „Catriona schreibt fast jeden Tag Briefe an ihre Familie. Diesen habe ich fertig zum Abschicken in der Halle liegen sehen, und ...“

„Du hast ihn weggenommen?“ Devon machte ein Gesicht, als würde sie es nicht für möglich halten, dass Aggie zu so etwas in der Lage war.

Aggie zog ein trauriges Gesicht und nickte, während ihr erneut Tränen in die Augen stiegen. „Ich hätte es nicht tun sollen, aber ich dachte, vielleicht hat sie etwas über ihre Pläne geschrieben, wie sie Papa hereinlegen will, und deshalb habe ich angefangen, den Brief zu lesen. Und dann kam einer der Diener in die Halle, und ich bekam einen Schreck und steckte ihn in meine Tasche, und ...“ Aggies Lippen begannen zu zittern. „Oh, Devon. Ich fürchte, dass wir unrecht hatten.“

Devon betrachtete den Brief in Aggies Hand. Dann streckte sie langsam die Hand aus, nahm ihn und las ihn. Während sie es tat, wurde sie immer blasser.

Christina sah ihr zu und spürte, wie ihre Kehle eng wurde. „Was steht denn da drin?“

Stumm reichte Devon ihr den Briefbogen.

Christina faltete ihn auseinander und las ihn schweigend durch. Danach saß sie lange bewegungslos da, bevor sie die Hände in den Schoß fallen ließ und blicklos in die Ferne starrte.

Devon rutschte ruhelos auf dem Sofa hin und her, und schließlich stieß Christina einen zittrigen Seufzer aus. „Sie hat Heimweh.“ Aggie nickte, und wieder wippten ihre Locken wild auf und ab. „Genau wie wir, nachdem wir hierhergekommen waren, um bei Papa zu leben.“

Es schien Devon große Mühe zu bereiten, zu schlucken. „Sie will überhaupt nicht, dass wir von hier verschwinden.“

„Nein“, bestätigte Aggie. „Sie möchte nur, dass wir sie mögen.“ Christina spürte, wie in ihrer Kehle ein dicker Kloß wuchs. „Sie hatte also die ganze Zeit Heimweh, und wir haben alles noch viel schlimmer für sie gemacht.“

„Ich wollte doch nur, dass Papa sich von ihr fernhält“, stieß Devon mit zitternden Lippen hervor. „Ich dachte nicht...“ Eine Träne lief über ihre Wange. „Ich ... ich wollte einfach nur Papa nicht verlieren. Wenn er uns verlässt, müssen wir zurück zu Mama, und ...“ Aus ihrer Brust stieg ein Schluchzen auf.

„Nein!“ Christina packte Devon bei den Schultern. „Ganz egal, welche Gefühle Papa für seine neue Frau hat, er wird niemals aufhören, uns zu lieben.“

Aggie strich mit ihrer Wange über die Haare ihrer Puppe. „Glaubst du das wirklich?“

„Ja“, erklärte Christina mit fester Stimme, obwohl sie sich ganz tief in ihrem Herzen nicht ganz so sicher war.

Daraufhin breitete sich Schweigen zwischen den Schwestern aus, das Devon als Erste wieder brach. „Ich weiß, dass Papa das gesagt hat, aber Mama hat aufgehört, uns lieben, als sie jemand anders gefunden hatte.“

Christina dachte über die Worte ihrer Schwester nach.

„Es gibt einen großen Unterschied zwischen Mama und Papa. Mama war nie sehr gut darin, eine Mutter zu sein. Sie war nicht gut in der Art von Liebe, die für immer anhält. Ihre Liebe ist eher so wie ein überraschender heftiger Schauer, der irgendwann nach einer langen Reihe von trockenen Tagen kommt und auch bald wieder vorbei ist.“

„Und Papa?“, wollte Devon wissen.

Christina lächelte. „Er ist wie ein guter, gleichmäßiger Regen, der dafür sorgt, dass der Garten frisch und grün bleibt, aber niemals unter Wasser steht.“ Sie rollte eine von Aggies Locken um ihren Finger. „Mama wusste nicht, wie sie uns besser lieben sollte, als sie es nun einmal tat. Und Papa hat immer alles so gut gemacht, wie er es nur konnte.“

„Manchmal schreit er uns an“, stellte Aggie nickend fest. „Aber er meint es nicht so.“

„Und manchmal schreit er herum, weil wir ihm so viel bedeuten, und er nicht weiß, wie er es uns zeigen soll“, ergänzte Christina.

Devon dachte über diese Bemerkungen nach. „Das kommt aber nicht sehr oft vor. Meistens ist er guter Laune.“

„Jedenfalls war das so, bis Catriona kam.“ Mit gerunzelter Stirn grübelte Christina eine Weile. „Ich dachte, das läge daran, dass er sie nicht heiraten wollte und nun böse war, weil er es doch tun musste. Aber jetzt frage ich mich, ob es nicht vielleicht so war, wie während der ersten Zeit, nachdem wir hergekommen waren, um bei Papa zu leben. Erinnert ihr euch, wie er sich damals verhalten hat?“

„Er war ganz schweigsam und merkwürdig.“

„Und wir waren genauso. Wir kannten ihn nicht gut und ...“ Christina stützte den Ellenbogen auf ihr Knie und stützte ihr Kinn in die Hand. „Das ist tatsächlich sehr interessant, wenn man darüber nachdenkt. Man könnte auf die Idee kommen ...“ In ihren blauen Augen war ein leerer Blick, während sie in die Ferne starrte.

Devon ließ ihrer Schwester Zeit zum Nachdenken. Christina konnte sehr gut denken, sogar besser als Sokrates, sagte Papa. Wenn irgendjemand die komplizierten Gründe herausfinden konnte, warum Erwachsene sich so seltsam verhielten, dann war das ganz sicher Christina.

Die sprang jetzt auf und begann, im Zimmer hin und her zu gehen. „Er benimmt sich, als wäre er wütend auf sie, dabei war es nicht ihre Schuld, dass sie gezwungen waren, zu heiraten.“ Devon zuckte mit den Schultern. „Und weiter?“

„Es könnte also sein, dass er einfach nicht weiß, wie er sich ihr gegenüber verhalten soll, und es wirkt nur so, als wäre er wütend. Es ist möglich, dass er sie in Wirklichkeit sehr gern hat und ihm das Angst macht.“

„Papa hat vor nichts Angst“, behauptete Aggie im Brustton der Überzeugung.

„Das stimmt nicht. Am Anfang hatte er sogar vor uns ein bisschen Angst. Ich glaube, vor Catriona fürchtet er sich sogar noch mehr, also versucht er, immer weiter wütend auf sie zu sein.“ Devon starrte auf ihre Hände.

Gleichzeitig hob Aggie den Blick und sah Christina an. „Glaubst du, deshalb ist Mama immer so seltsam gewesen und hat uns nie nah an sich herangelassen? Weil sie Angst hatte, sie könnte uns zu sehr lieben?“

Christina ließ sich neben ihrer kleinen Schwester auf dem Sofa nieder. „Ja. Genau das denke ich. Sie ist kein besonders starker Mensch.“

Mit ernster Miene dachte Aggie über Christinas Worte nach. „Es ist aber kein sehr glückliches Leben, das man führt, wenn man so ist.“

„Nein, das ist es nicht. Genau deshalb müssen wir uns bei Papa entschuldigen.“ Christina schaute Devon an. „Und bei Catriona.“ Devon weigerte sich aufzuschauen, obwohl sie wusste, dass ihre Schwester darauf wartete. Wenn irgendjemand Papa und seiner Frau eine Entschuldigung schuldete, dann war sie das. Sie hatte die Dinge vorangetrieben und versucht, Catriona vor Papa bloßzustellen. Christina hatte sich bemüht, sie dazu zu bringen, auch die andere Seite der Geschichte zu sehen, aber sie hatte sich strikt geweigert. Sie war kein freundlicher Mensch. In gewisser Weise ähnelte sie ihrer Mutter.