Prolog

 

Pre­ston G. Ko­ja­vic schloß die Au­gen und drück­te die ge­ball­te Rech­te in die lin­ke Hand­flä­che. In­brüns­tig sag­te er:

»Laß dem Kon­struk­teur oder dem End­ab­nah­me-Kon­trol­leur die­ses Radar­bild­tas­ters ein Feh­ler un­ter­lau­fen sein; ei­ner, der uns falsche Echo-Po­si­ti­ve vor­gau­kelt. Das kann nicht sein; nicht hier in die­ser öden Ge­gend!«

Sei­ne Wor­te ver­hall­ten un­ge­hört. Die Alarm­si­re­nen über­tön­ten je­den an­de­ren Laut. Als sie mit ei­nem Wim­mer­ton ver­stumm­ten, ach­te­te man eben­falls nicht auf Ko­ja­vic, den Ers­ten Or­tungs- und Nach­rich­te­n­of­fi­zier der TI­TA­NIC.

»Klar­schiff zum Ge­fecht, Feu­er frei – nein, Feu­er er­öff­nen«, dröhn­te es aus den Laut­spre­chern der BzB-Rund­ruf­an­la­ge. »Kom­man­dant spricht. Lo­votch, se­hen Sie zu, was Sie aus Ih­rer viel­ge­rühm­ten Mars­ka­no­ne her­aus­ho­len kön­nen. Mann – schie­ßen Sie end­lich! Oder glau­ben Sie et­wa, man wür­de uns zum Spaß an­mes­sen? Ko­ja­vic …!«

Der Or­ter lös­te sich mit großer Wil­lens­an­stren­gung aus sei­ner Ver­sun­ken­heit. Nie­mand wuß­te bes­ser als er, daß die Kom­man­dos nicht nur zu spät ka­men, son­dern auch zweck­los wa­ren.

Sie wä­ren so­gar zweck­los ge­we­sen, wenn Flech­ter T. Pir­rom das frem­de Ob­jekt schon vor ei­ner Stun­de er­kannt hät­te. Ei­nem Schwe­ren Kreu­zer der KAS­HAT-Klas­se konn­te man we­der ent­kom­men noch die Stirn bie­ten.

Der ein­zi­ge Weg, von ei­nem zwei­hun­dert­fünf­zig Me­ter durch­mes­sen­den Ku­gel­gi­gan­ten der al­ten Mars­flot­te nicht in Ga­se auf­ge­löst zu wer­den, be­stand dar­in, ihm auf kei­nen Fall zu be­geg­nen. Das war aber ge­sche­hen!

»Ko­ja­vic …!« brüll­te Pir­rom er­neut. Sein brei­tes Ge­sicht er­schi­en auf ei­nem Bild­schirm ober­halb Ko­ja­vics Fein­ab­stim­mungs-Schal­tun­gen.

»Or­tung, Sir – Cap­tain Ko­ja­vic«, mel­de­te er sich end­lich. »Sir, das ist tat­säch­lich ein Mar­s­kreu­zer. Ich mei­ne …«

»Ih­re Mei­nung in­ter­es­siert mich nicht«, wur­de er un­ter­bro­chen. »Ge­ben Sie Ih­re Meß­da­ten zu­sätz­lich in die Rech­ner der Feu­er­leit­zen­tra­le. Auch die Wer­te des mar­sia­ni­schen Ob­jekt­pei­lers.«

Ko­ja­vic lach­te bit­ter auf.

»Der Pei­ler läuft, Sir, aber ich kann mit den Farb­sym­bo­len nichts an­fan­gen. Wenn das Mars­ge­rät im Ka­no­nen­leit­stand bes­ser dar­auf rea­giert, kommt es viel­leicht zu ei­ner ver­nünf­ti­gen Ko­or­di­nie­rung bei­der Er­geb­nis­se. Sie soll­ten sich bes­ser auf un­se­re ir­di­schen Er­zeug­nis­se ver­las­sen, Sir. Mei­ne Fu­MO-Tas­ter ar­bei­ten für mei­nen Ge­schmack viel zu ge­nau. Die Stahl­ku­gel kommt aus dem frei­en Raum. Wir … Vor­sicht, har­tes Ener­gie­echo. Der Kreu­zer er­höht sei­nen Brems­schub. Au­ßer­dem baut er einen Schutz­schirm auf. Das ge­sch­ah aber be­reits vor et­li­chen Se­kun­den! Mei­ne Echos kom­men so­eben erst vom re­flek­tie­ren­den Ob­jekt zu­rück. In der Zeit hat der KAS­HAT-Rie­se min­des­tens ei­ne Mil­li­on Ki­lo­me­ter zu­rück­ge­legt, trotz Brems­schub! Er war bei der ers­ten An­tas­tung fast licht­schnell. Das konn­te ich der mar­sia­ni­schen Or­tung noch ent­neh­men, ehe sie un­ver­ständ­lich wer­den­de Da­ten gab. Wir …«

Es schi­en Ko­ja­vics Schick­sal zu sein, nie­mals zu En­de spre­chen zu dür­fen. Dies­mal wur­de er nicht vom Kom­man­dan­ten des ir­di­schen Ve­nu­s­kreu­zers TI­TA­NIC, son­dern vom Ge­tö­se ei­nes Ge­schüt­zes un­ter­bro­chen, das nicht von Men­schen­hand stamm­te.

Ent­spre­chend un­ge­wohnt war die Ge­räusch­ent­wick­lung – vor al­lem der Rück­schlag ei­ner ge­steu­er­ten Kern­fu­si­on, die im Re­ak­ti­ons-Ver­schluß­stück der Mars­ka­no­ne ab­lief.

Ko­ja­vic, des­sen Sta­ti­on na­he der Ge­schütz­kup­pel lag, wur­de nicht aus sei­nem Sitz ge­ris­sen, da er fest­ge­schnallt war. Statt des­sen lös­ten sich je­doch die Schweiß­näh­te des So­ckels und vier Niet­ver­bin­dun­gen, die man vor­sichts­hal­ber zu­sätz­lich an­ge­bracht hat­te.

Das oh­ren­be­täu­ben­de To­sen ver­lief sich. Die TI­TA­NIC, ei­ne Git­ter­ge­rüst­kon­struk­ti­on mit frei auf­ge­häng­ten Tanks, Vor­rats­be­häl­tern und ei­ner bug­sei­tig an­ge­brach­ten Mann­schafts­zel­le von ku­gel­ar­ti­ger Form­ge­bung wur­de in ih­ren Naht­ver­bin­dun­gen schwer er­schüt­tert.

Ko­ja­vic hing in sei­nem halb um­ge­stürz­ten Ses­sel. Auf zwei BzB-Bild­schir­men er­blick­te er als ers­ter Mann der über­le­ben­den Be­sat­zung das Cha­os in der Ge­schütz­kup­pel.

Ehe das Space-De­part­ment der USSF den Um­bau des Plas­ma­kreu­zers an­ge­ord­net hat­te, wa­ren in der Kup­pel zwei schwe­re Ra­ke­ten­wer­fer auf­ge­stellt ge­we­sen.

Der rück­schlag­freie Ab­schuß die­ser Fern­kampf­waf­fen wä­re für die Ge­rüst­ver­bän­de der TI­TA­NIC nie­mals pro­ble­ma­tisch ge­wor­den. Dann aber hat­te man die Wer­fer ent­fernt und statt des­sen ein auf dem Mond ge­fun­de­nes Mars­ge­schütz klei­ne­ren Ka­li­bers ein­ge­baut.

Je­der­mann an Bord des Ve­nu­s­kreu­zers kann­te die Be­den­ken der Sta­ti­ker. Der ge­wal­ti­ge Rück­schlag ei­nes künst­lich zu­sam­men­ge­ball­ten Kern­ver­schmel­zungs­pro­zes­ses war schon für ein klei­ne­res Mars­schiff vom Ran­ge der »1418« ein schwer­wie­gen­der Vor­gang, der nur mit ex­akt ge­steu­er­ten Ener­gie­prall­fel­dern scha­dens­frei ab­sor­biert wer­den konn­te.

Selbst­ver­ständ­lich hat­te man die TI­TA­NIC mit ei­nem ener­ge­ti­schen Rück­stoß­dämp­fer aus­ge­rüs­tet, nur wuß­te nie­mand ge­nau, ob das Ge­rät zum ent­schei­den­den Zeit­punkt rich­tig funk­tio­nie­ren wür­de.

Wis­sen­schaft­ler wie der GWA-Phy­si­ker Pro­fes­sor Dr. Dr. Ema­nu­el Scheu­ning hat­ten ein­dring­lich ge­warnt. Die Leicht­stahl­ver­stre­bun­gen des Schif­fes wa­ren für sol­che Be­las­tun­gen un­ge­eig­net. Man konn­te be­reits glück­lich sein, daß der hun­dert Me­ter lan­ge, zer­brech­lich wir­ken­de Ge­rü­strumpf die Schub­wer­te des an sei­nem hin­te­ren En­de ein­ge­bau­ten Atom­trieb­werks auf­nahm, oh­ne sich zu ver­for­men. Im­mer­hin – das hat­te man sta­tisch be­rech­nen und durch Stütz­ver­stre­bun­gen auf­fan­gen kön­nen.

Der ein­zi­ge in sich ge­schlos­se­ne und da­her be­las­tungs­fes­te­re Kör­per der TI­TA­NIC war die vor­de­re Ku­gel­zel­le mit den Wohn- und Kom­man­do­räu­men. Zwi­schen ihr und dem heck­sei­ti­gen Trieb­werk fun­kel­te die Git­ter­kon­struk­ti­on, de­ren Hohl­räu­me zahl­rei­che Nutz­last­be­häl­ter von völ­lig ver­schie­den­ar­ti­gen For­men ent­hiel­ten.

Sta­tisch ge­se­hen wa­ren das Mas­sen, die bei je­dem Ma­nö­ver von dem Ver­band auf­ge­nom­men wer­den muß­ten.

Es hat­te ge­nü­gend Grün­de ge­ge­ben, vor dem Ein­bau ei­nes hoch­ener­ge­ti­schen Mars­ge­schüt­zes zu war­nen. So­lan­ge es nicht feu­er­te, stell­te es le­dig­lich ei­ne mit­zu­füh­ren­de Mas­se dar. Aber wenn es feu­er­te …!

Ko­ja­vic un­ter­brach sei­ne Über­le­gun­gen. Das The­ma war min­des­tens hun­dert­mal durch­dis­ku­tiert wor­den. Wenn der aus dem Er­be des Mars stam­men­de Rück­stoß­ab­sor­ber ein­wand­frei ar­bei­te­te, konn­te man es viel­leicht ris­kie­ren; aber nur im höchs­ten Ge­fah­ren­fall!

Aus die­sem Grun­de war das Ge­schütz auch nie­mals er­probt wor­den. Die Ver­ant­wort­li­chen des Space-De­part­ment hat­ten es un­ter­sagt und auf den Al­pha-Not­fall hin­ge­wie­sen.

Er war jetzt ein­ge­tre­ten. Je­der­mann an Bord des Fern­raum­schiffs wuß­te, daß vor vier Ta­gen, am 21. Ok­to­ber 2010, der ge­wag­te Mar­sein­satz der GWA teil­wei­se miß­lun­gen war.

Ei­nes der bei­den so­gh­mo­li­schen Groß­raum­schif­fe hat­te recht­zei­tig die Flucht er­grei­fen kön­nen. Und nun, am 25. Ok­to­ber 2010, 15:43 Uhr Bord­zeit, er­schi­en der ku­gel­för­mi­ge Gi­gant ent­ge­gen je­der Mut­ma­ßung im in­ne­ren Son­nen­sys­tem; ge­nau dort, wo die TI­TA­NIC seit ei­ner Wo­che den Pla­ne­ten Ve­nus auf ei­ner wei­ten Or­bit­bahn um­kreis­te.

Der mi­li­tä­ri­sche For­schungs­auf­trag war noch lan­ge nicht ab­ge­schlos­sen. Man hat­te ver­su­chen wol­len, mit zwei Bei­boo­ten zu lan­den und das Ge­heim­nis der auf Ve­nus ver­mu­te­ten Mar­s­nie­der­las­sung zu er­grün­den.

Ko­ja­vic hat­te nie dar­an ge­glaubt, daß es in der weit un­ter ihm lie­gen­den Sand­sturm­höl­le ei­ne mar­sia­ni­sche Stadt vom Ran­ge Zon­tas oder gar Top­thars ge­ben soll­te.

Jetzt glaub­te er es! Der so­gh­mo­li­sche Kom­man­dant des Schwe­ren Kreu­zers schi­en eben­falls ge­wis­se In­for­ma­tio­nen zu be­sit­zen, oder er hät­te es nicht ge­wagt, mit sei­nem Beu­te­schiff noch tiefer in das ir­di­sche Son­nen­sys­tem vor­zu­sto­ßen.

Selbst die Ge­hei­me-Wis­sen­schaft­li­che-Ab­wehr hat­te an­ge­nom­men, der KAS­HAT-Rie­se be­fän­de sich auf dem Rück­flug zum Eryy­na-Sys­tem, in dem der Pla­net So­gh­mol den vier­ten Platz un­ter den krei­sen­den Wel­ten ein­nahm.

Ko­ja­vic starr­te wie be­täubt auf die Trüm­mer, die ihm ei­ne noch funk­tio­nie­ren­de Fern­bild­ka­me­ra über­mit­tel­te.

Die aus­fahr­ba­re Ge­schütz­kup­pel war mit­samt der hy­drau­li­schen He­be­vor­rich­tung aus dem Zel­len­ver­band der Kom­man­do­ku­gel her­aus­ge­ris­sen wor­den.

Das Mars­ge­schütz glüh­te hell­rot; der ne­ben­an in­stal­lier­te Prall­schock­dämp­fer spie dunkle Qualm­wol­ken aus.

Von der acht­köp­fi­gen Ak­tiv­be­sat­zung leb­te nie­mand mehr. Es muß­te aber grö­ße­re Ver­lus­te ge­ge­ben ha­ben, denn aus den un­mit­tel­bar an­gren­zen­den Ab­tei­lun­gen mel­de­te sich nie­mand mehr.

Ko­ja­vic tas­te­te nach dem bieg­sa­men Arm sei­nes Über­mitt­lungs­mi­kro­phons. Plötz­lich ver­nahm er ei­ne Stim­me, die er erst nach ei­ni­gen Au­gen­bli­cken iden­ti­fi­zie­ren konn­te.

Es war Cap­tain Leo Lo­votch, »LL« ge­nannt. Er hat­te die Bord­waf­fen zu be­die­nen.

»Feu­er­leit­zen­tra­le«, krächz­te es aus dem Laut­spre­cher. »An Kom­man­dant: To­tal­aus­fall der SA-Kup­pel, kei­ne Le­bens­zei­chen mehr. Al­le Meß­wer­te in Null­stel­lung. Ver­dammt, ha­be ich nicht im­mer ge­sagt, daß man ein Raum­schiff nicht nach ei­nem Un­glücks­damp­fer der See­fahrts­ge­schich­te be­nen­nen soll! Das muß ja …«

Lo­votch wur­de un­ter­bro­chen. Ko­ja­vic er­blick­te das Ge­sicht des Kom­man­dan­ten und die Haupt­zen­tra­le auf den Bild­schir­men. Wenn der Mar­s­kreu­zer jetzt nicht schoß, konn­te man die Schä­den viel­leicht noch be­he­ben und ei­ni­ger­ma­ßen si­cher nach Hau­se kom­men.

Ko­ja­vic ahn­te je­doch in­stink­tiv, daß die men­schen­ähn­li­chen In­tel­li­genz­we­sen aus den Tie­fen des Raum­es sie nicht scho­nen wür­den. Die har­te, ge­ziel­te Ab­wehr durch ir­di­sche Trup­pen und Son­der­kom­man­dos muß­te sie kom­pro­miß­los ge­stimmt ha­ben. Gna­de hat­ten sie oh­ne­hin nie ge­kannt.

 

»… soll­ten Ih­ren Aber­glau­ben für sich be­hal­ten!« hör­te er Pir­rom schrei­en. Er ver­nahm die Wor­te wie im Traum.

Nie­mand au­ßer ihm sah die grö­ßer wer­den­den Kon­tu­ren des KAS­HAT-Rie­sen. Er wur­de be­reits von der Au­ßen­bor­d­op­tik er­faßt und ge­sto­chen scharf auf die Bild­schir­me ge­bannt. Die Ent­fer­nung zwi­schen den bei­den Schif­fen muß­te in­fol­ge­des­sen auf un­ter drei­hun­dert­tau­send Ki­lo­me­ter ab­ge­sun­ken sein.

»… end­lich ab­weh­ren«, ver­lang­te Pir­rom. »Et­was wird doch wohl noch funk­tio­nie­ren. Feu­er!«

Ko­ja­vic muß­te un­will­kür­lich la­chen. Er er­schrak über sich selbst. Sei­ne Fin­ger schal­te­ten au­to­ma­ten­haft.

Schräg über ihm leuch­te­ten die Kon­trol­len des mar­sia­ni­schen Hy­per­dim­sen­ders auf. Im Ge­gen­satz zur Ener­gie­ka­no­ne ar­bei­te­te er aus­ge­zeich­net und konn­te auch be­herrscht wer­den.

An­de­re Ge­rä­te die­ses Typs stan­den auf dem Mond und im Haupt­quar­tier der GWA. Die Ent­fer­nun­gen in­ner­halb des Son­nen­sys­tems wa­ren für funk­tech­ni­sche Er­zeug­nis­se die­ser Art be­deu­tungs­los.

Als Ko­ja­vic das Ge­sicht ei­nes Uni­for­mier­ten er­blick­te, sprach er schnell und ak­zen­tu­iert. Er ahn­te, daß er nicht mehr viel Zeit hat­te.

»Ve­nu­s­kreu­zer TI­TA­NIC, JU­NI­TAG – JU­NI­TAG. Hier Cap­tain Ko­ja­vic, Chef der Or­tung. Wer­den von KAS­HAT-Kreu­zer an­ge­grif­fen, ei­ge­nes Ener­gie­ge­schütz ex­plo­diert. Er­war­ten An­griff. Po­si­ti­on wie ge­mel­det, Zwei­stun­den-Or­bit über Ve­nus. Von dort kei­ner­lei Re­ak­tio­nen; kei­ne An­ru­fe oder Hil­fe­leis­tung durch ein mar­sia­ni­sches Kom­man­do­ge­hirn. Kom­man­dant er­öff­net Ra­ke­ten­feu­er auf Schwe­ren Kreu­zer. Wir dre­hen mit Voll­schub ab. Schwe­re Er­schüt­te­run­gen. Ener­gie­echo auf Mar­s­an­zei­ge. Wir …«

Die Män­ner im GWA-Haupt­quar­tier sa­hen auf ih­ren Bild­schir­men ein grel­les Auf­leuch­ten. Ko­ja­vics Stim­me war ver­stummt.

Zwei Raum­sta­tio­nen mel­de­ten ei­ne hef­ti­ge Ener­gie­ent­wick­lung na­he der Ve­nus.

Der grell­wei­ße Gas­ball wur­de kurz dar­auf mit den Te­le­sko­pen der Sta­tio­nen ge­sich­tet. Sein Stand­ort war iden­tisch mit der letz­ten Po­si­ti­on des Plas­ma­kreu­zers TI­TA­NIC.

 

 

1.

 

Ah­mid el Hai­fa­ra war ei­ner der drei Über­le­ben­den des Mars-Be­ob­ach­tungs­kom­man­dos. Wir hat­ten ihn, An­ne Bur­ner und Ser­geant Die­go Co­ris­ta kurz nach un­se­rer Ri­si­ko­lan­dung in ei­nem ur­al­ten Bun­ker ge­fun­den. Spä­ter wa­ren die Ge­ret­te­ten an Bord der »1418« ge­kom­men.

Ein Wis­sen­schaft­ler wie Dr. el Hai­fa­ra hät­te auf Grund sei­ner trü­ben Er­fah­run­gen mit mar­sia­ni­schen Au­to­ma­ten wis­sen sol­len, daß es zweck­los war, einen Kampfro­bo­ter zu tre­ten.

Dr. el Hai­fa­ra hat­te ei­ner ty­pisch mensch­li­chen Re­gung auch noch nach der Stel­le ge­sucht, wo sich bei ei­nem Erd­ge­bo­re­nen das Ge­säß be­fin­det.

Das war sein zwei­ter Feh­ler ge­we­sen, denn ich hat­te bis­her kei­nen Mars­ro­bo­ter mit ei­nem der­art aus­ge­bil­de­ten Kör­per­teil ge­se­hen; al­ler­dings war mir be­kannt, daß man Kampf­ma­schi­nen dort ei­ne Ne­ben­schalt­an­la­ge für den kor­rek­ten Be­we­gungs­ab­lauf der Bei­ne ein­ge­baut hat­te.

Je­den­falls hat­te un­ser Ma­the­ma­ti­ker den rech­ten Fuß nach vorn und an­schlie­ßend nach oben be­wegt – und das mit be­acht­li­cher Muske­l­ener­gie.

Ich war nur einen Me­ter hin­ter el Hai­fa­ra durch den Lauf­gang ge­stürmt. Mein Be­stre­ben, mög­lichst schnell in die Zen­tra­le des Kreu­zers zu kom­men, war durch Hai­fa­ras plötz­li­che Ver­wand­lung in einen ge­schoß­ar­tig nach hin­ten flie­gen­den Kör­per ge­bremst wor­den.

Zur Zeit war ich be­müht, mich aus dem Glie­der­durch­ein­an­der her­aus­zu­win­den, mich gleich­zei­tig vor wei­te­ren blau­en Fle­cken ab­zu­schir­men und au­ßer­dem mei­ne stra­pa­zier­ten Trom­mel­fel­le zu schüt­zen.

Al­les zu­sam­men ge­lang mir nicht. Mir blieb kei­ne an­de­re Wahl, als ro­he Ge­walt an­zu­wen­den.

Un­ter mei­nen Grif­fen schrie el Hai­fa­ra auf, aber ich kam we­nigs­tens mit dem Ober­kör­per frei.

Der Ro­bo­ter be­ob­ach­te­te uns in­ter­es­se­los. Schließ­lich wur­de er jetzt nicht mehr ge­tre­ten, und sei­ne Pro­gram­mie­rung ver­bot ihm, not­lei­den­de Men­schen zu be­läs­ti­gen. Er durf­te nicht ein­mal ge­sun­de Men­schen an­grei­fen, es sei denn, sie wa­ren im Be­griff, ei­ni­ge sei­ner wert­vol­len Tei­le zu be­schä­di­gen.

Ich kam auf die Bei­ne, hielt dem To­ben­den die Fü­ße fest und klemm­te sie zu­sam­men.

»Hel­fen Sie mir doch!« rief ich nach hin­ten.

Der Ma­the­ma­ti­ker tob­te im­mer hef­ti­ger. An­schei­nend wa­ren auch sei­ne Schien­bei­ne ge­trof­fen wor­den, und mit de­nen kam ich zwangs­läu­fig in Be­rüh­rung.

Gra­ham G. May­koft eil­te nä­her. Han­ni­bal Othel­lo Xer­xes Utan hielt sich im Hin­ter­grund und gab mir laut­star­ke Ratschlä­ge!

Es war er­staun­lich, was der Über­ei­fer ei­nes zur Zen­tra­le stre­ben­den Man­nes an­rich­ten konn­te.

Zu­sam­men mit May­koft konn­te ich el Hai­fa­ra schließ­lich fest­hal­ten. Sein Schrei­en ging in lau­tes Stöh­nen über.

»Ich wet­te, daß der Ro­bo­ter mit al­len vier Ar­men und bei­den Fü­ßen gleich­zei­tig aus­ge­schla­gen hat«, mel­de­te sich Han­ni­bal. »Eh, Hai­fa­ra, tut es ir­gend­wo weh? Ich …«

Han­ni­bal sprang flucht­ar­tig aus Hai­fa­ras Reich­wei­te, aber sein Grin­sen war nicht zu über­se­hen. Sei­ne Ratschlä­ge und Ver­mu­tun­gen brach­ten uns fast zur Weiß­glut. End­lich tauch­te Kenji Nis­hi­mu­ra auf und preß­te el Hai­fa­ra ei­ne Hoch­druck­sprit­ze ge­gen den Ober­arm.

Er schloß so­fort die Au­gen. Das Stöh­nen ver­stumm­te.

»Un­ter­schen­kel­frak­tur rechts, schwe­re Prel­lun­gen, hof­fent­lich kei­ne in­ne­ren Ver­let­zun­gen«, er­klär­te der Elek­tro­ni­ker und Pro­gramm­lo­gist, der au­ßer­dem me­di­zi­ni­sche Kennt­nis­se be­saß. »Hät­te man das nicht ver­hin­dern kön­nen?«

»Ach, des­halb lie­ßen sich die Bei­ne so gut wi­ckeln«, staun­te Han­ni­bal. »Großer, da­zu sag­te man frü­her ›rä­dern‹. Hand­lun­gen die­ser Art sind ei­nes GWA-Schat­tens un­wür­dig.«

Er hob be­schwich­ti­gend die Hän­de, als er mei­nen Blick be­merk­te.

»Das konn­te ich nicht ah­nen, Ma­jor Utan«, schrie ich ihn an.

»Si­cher, wer denkt schon dar­an. Wie­so woll­te er ei­gent­lich mit dem Ro­bo­ter Fuß­ball spie­len?«

Ei­ne Ant­wort er­üb­rig­te sich. Auf ei­nem Bild­schirm der In­tern­ver­bin­dung er­schi­en Bo­ris Pe­tron­kos Un­ge­heu­er-Ge­sicht.

»Al­pha-Mel­dung an Ex­pe­di­ti­ons­chef«, dröhn­te sei­ne Stim­me durch den Rund­gang. »Nach­rich­ten vom HQ. Wo blei­ben Sie denn?«

Mir fiel plötz­lich wie­der ein, warum wir die Auf­ent­halts­räu­me, Sta­tio­nen und Bet­ten ver­las­sen hat­ten. Es war die­se Mel­dung ge­we­sen, die uns zu über­has­te­ten Maß­nah­men ver­lei­tet hat­te.

Ich dreh­te mich um und prall­te ge­gen einen an­de­ren Ro­bo­ter. Er war fried­fer­ti­ger als sein be­waff­ne­ter Kol­le­ge, denn »mein« Au­to­mat war auf Hil­fe­leis­tun­gen je­der Art pro­gram­miert.

Ich zwäng­te mich an ihm vor­bei und rann­te wei­ter. Nur aus den Au­gen­win­keln be­merk­te ich, daß die Ma­schi­ne den nar­ko­ti­sier­ten Ma­the­ma­ti­ker mit Hil­fe ei­nes An­tischwer­kraft­kis­sens an­hob und et­wa zehn Dia­gno­s­tik­son­den aus dem un­för­mi­gen Me­tall­kör­per aus­fuhr.

Ehe el Hai­fa­ra in un­se­rer Bord­kli­nik an­kom­men konn­te, wür­de er vom Mars­ro­bo­ter schon un­ter­sucht wor­den sein.

Ich er­reich­te das of­fen­ste­hen­de Pan­zer­schott der Zen­tra­le, schwang mich hin­durch und schob einen im We­ge ste­hen­den Mann der Be­sat­zung zur Sei­te.

Dr. Fra­mus G. Al­li­son, un­ser kor­pu­len­tes Rie­sen­ba­by, schau­te stirn­run­zelnd auf ei­ne be­druck­te Kunst­stof­fo­lie des Klar­text­schrei­bers.

Er ge­hör­te nicht zum In­ven­tar des al­ten Mars­schif­fes, son­dern war von un­se­ren Po­sitro­ni­kern un­ter großen Schwie­rig­kei­ten mit dem Hy­per­dim-De­chif­frier­ge­rät ver­bun­den wor­den.

Lobral saß im Pi­lo­ten­sitz und über­prüf­te die Schal­tun­gen. Auf ei­nem der ova­len Mars-Bild­schir­me war Do­gen­dals Ge­sicht zu er­ken­nen. Er hat­te die vor ei­ni­gen Mi­nu­ten ein­ge­lau­fe­ne Mel­dung von der Funk­zen­tra­le aus auf den Klar­sichtschrei­ber über­mit­telt.

Ich griff nach der Fo­lie, doch Al­li­son ver­barg sie hin­ter sei­nem Rücken.

»Fra­mus, ich möch­te das se­hen!« fuhr ich ihn an.

»Lang­sam, das hat noch et­was Zeit. Wo­hin soll der Schwe­re Kreu­zer nach Mei­nung Ih­rer GWA-Ex­per­ten ge­flo­gen sein? Hin­aus in den frei­en Raum zwi­schen den Ster­nen; zu­rück zum Eryy­na-Sys­tem?«

Er lä­chel­te mich sar­kas­tisch an. Den Strei­fen hielt er noch im­mer ver­bor­gen.

Ich war ver­führt, mit Hil­fe mei­ner Psi-Kräf­te in sei­nen Be­wußt­seins­in­halt vor­zu­drin­gen und ihm die Nach­richt zu ent­rei­ßen; aber das wä­re ge­gen un­ser Prin­zip ge­we­sen. Ich er­kann­te in dem Au­gen­blick er­neut, wie schwie­rig es für einen Mu­tan­ten war, sei­ne Ga­ben nicht will­kür­lich ein­zu­set­zen. Han­ni­bal und ich muß­ten uns stän­dig be­ob­ach­ten und selbst kon­trol­lie­ren, oder es kam ei­nes Ta­ges so weit, daß wir na­he­zu au­to­ma­ten­haft das Ge­dan­ken­gut an­de­rer Men­schen zu durch­for­schen be­gan­nen.

»Das ha­be ich per­sön­lich nie be­haup­tet«, ging ich auf sei­ne Be­mer­kung ein.

»Ja, ich weiß. Aber die Über­ge­schei­ten des HQs wa­ren der Mei­nung. Okay, Ge­ne­ral, se­hen Sie sich das an! Die TI­TA­NIC, ein na­gel­neu­es Fern­raum­schiff, ist na­he der Ve­nus ver­nich­tet wor­den. Die letz­te Mel­dung des Or­tungs­of­fi­ziers er­klärt al­les. Der Mar­s­kreu­zer, der we­gen NEW­TONS Ener­gie­ab­wehr not­ge­st­ar­tet wur­de, ist tiefer ins Son­nen­sys­tem vor­ge­sto­ßen. Hier, le­sen Sie …«

Han­ni­bals An­ge­wohn­heit, bei schwer­wie­gen­den Nach­rich­ten durch die Zäh­ne zu pfei­fen, war dies­mal be­son­ders stö­rend.

Ge­ne­ral Ar­nold G. Re­ling, Chef der Ge­hei­men-Wis­sen­schaft­li­chen-Ab­wehr, war der Ab­sen­der. Er über­mit­tel­te den ge­nau­en Wort­laut der letz­ten Not­mel­dung und füg­te er­klä­rend hin­zu:

»Die­se In­for­ma­ti­on ge­ben wir durch Hy­per­dim­funk und un­ter Ver­zicht auf ei­ne Bild­sprechsen­dung per GWA-Raf­fer­kode. Fest­stel­len, wie NEW­TON auf die Er­eig­nis­se rea­giert. Ver­su­chen Sie, nicht nur ei­ne Stel­lung­nah­me, son­dern auch ei­ne De­tai­l­aus­wer­tung zu er­rei­chen, die ge­eig­net ist, un­se­rem Groß­rech­ner brauch­ba­re Grund­da­ten zu lie­fern. Ach­tung, Ver­dacht der Ex­per­ten: Der so­gh­mo­li­sche Kom­man­dant könn­te Ve­nus an­ge­flo­gen ha­ben, um zu ver­su­chen, den dort ver­mu­te­ten Ro­bot­kom­man­deur zu be­ein­flus­sen. Es muß da­mit ge­rech­net wer­den, daß auch der ent­kom­me­ne Kreu­zer einen Kom­man­do­ko­da­tor an Bord hat, der in sei­ner Be­fehl­sin­ten­si­tät Ih­rem Ta­schen­ge­rät über­le­gen ist. In die­sem Fall könn­te NEW­TON er­neut un­an­ge­neh­me Maß­nah­men ein­lei­ten. Las­sen Sie sich von Al­li­son und Nis­hi­mu­ra be­ra­ten.

Ach­tung, Be­fehl an Kom­man­die­ren­den Ge­ne­ral der Plas­maflot­te:

Al­le vierund­sech­zig Kreu­zer ha­ben so­fort zur Er­de zu­rück­zu­keh­ren. Wir ge­ben die Ab­war­t­e­po­si­ti­on auf. Wir hof­fen, Ih­re La­ge da­durch ent­span­nen und NEW­TON von un­se­ren fried­li­chen Ab­sich­ten über­zeu­gen zu kön­nen. Ge­ne­ral Mi­ron La­her­ty wird durch ge­son­der­ten Funk­spruch an­ge­wie­sen, sich Ih­rem Kom­man­do zu un­ter­stel­len. De­mas­kie­ren Sie sich laut Ent­tar­nungs­plan.

Star­ten Sie nach der Un­ter­re­dung mit NEW­TON. Flie­gen Sie ei­ne von Ih­nen zu be­rech­nen­de Po­si­ti­on im frei­en Raum an. Stel­len Sie von dort aus ei­ne durch die So­gh­mo­ler ab­hör­si­che­re Richt­strahl-Scharf­bün­de­lung zum HQ-GWA her. Falls die ›1418‹ für den vor­aus­sicht­li­chen Ve­nus­ein­satz tech­ni­scher War­tun­gen be­darf, mög­lichst von NEW­TON durch­füh­ren las­sen. En­de.«

Han­ni­bal hat­te sei­nen Kopf un­ter mei­nem an­ge­win­kel­ten Arm durch­ge­scho­ben und mit­ge­le­sen. Bei sei­ner Kör­per­grö­ße war das nicht pro­ble­ma­tisch.

Ich leg­te die Fo­lie zu­rück und sah mich um.

Al­li­son schwitz­te. Sein Ge­sicht war hef­tig ge­rötet.

Kenji Nis­hi­mu­ra üb­te sich in ja­pa­ni­scher Ge­las­sen­heit, wäh­rend ich von An­ne Bur­ner, der fä­hi­gen Psy­cho­lo­gin, aus wach­sa­men Au­gen ge­mus­tert wur­de.

»Das be­trifft nicht mein Fach­ge­biet«, mein­te sie. »Noch nicht!«

Ich nick­te ihr zu.

»Stea­mers …?«

Un­ser schlan­ker, im­mer be­herrsch­ter Psy­cho­lo­gist und Ab­strakt­ma­the­ma­ti­ker wand­te den Blick von sei­nen ge­pfleg­ten Fin­ger­nä­geln und sah mich an.

»Die Kom­po­nen­ten hän­gen noch frei im Raum«, er­klär­te er. »Re­lings For­de­run­gen ent­hal­ten ei­ne un­be­kann­te Grö­ße von Oder-Und-Fak­to­ren. Die Nach­rich­ten­über­mitt­lung ist be­zeich­nend für die Un­si­cher­heit der HQ-Ex­per­ten. Man rech­net of­fen­bar mit ei­nem bal­di­gen Ge­sin­nungs­wan­del des Mars­ge­hirns. Wenn die So­gh­mo­ler auf dem Schwe­ren Kreu­zer eben­falls einen Groß­ko­da­tor be­sit­zen, soll­te ge­klärt wer­den, wes­halb sie flo­hen und warum sie nach dem Ab­klin­gen ih­res Schock­mo­ments nicht ver­such­ten, den Groß­ro­bo­ter er­neut zu be­ein­flus­sen.« Die Aus­sa­ge war für Stea­mers ty­pisch.

»Zu­viel Re­spekt vor uns, zu vie­le Un­si­cher­heits­fak­to­ren be­züg­lich NEW­TON«, über­leg­te Nis­hi­mu­ra. »Be­den­ken Sie, daß der so­gh­mo­li­schen Kreu­zer­be­sat­zung un­be­kannt ist, daß ihr rie­si­ges Flagg­schiff nicht von NEW­TON son­dern von HC-9 ver­nich­tet wur­de. Wenn ich der so­gh­mo­li­sche Kom­man­dant wä­re, wür­de ich auf Grund der Er­eig­nis­se als si­cher an­neh­men, daß der Ro­bot­kom­man­deur da­für ver­ant­wort­lich zeich­net. Ich wür­de es für völ­lig aus­ge­schlos­sen hal­ten, daß HC-9 und Utan, die schließ­lich als hilflo­se Ge­fan­ge­ne an Bord des MARS­HU-Schlacht­schiffs ge­bracht wur­den, ein sol­ches Wun­der voll­bracht ha­ben könn­ten. Wo­mit auch – wür­de ich mich wei­ter­hin fra­gen! Sie wa­ren pa­ra­ly­siert; stun­den­lang be­wußt­los und ih­rer Kampf­klei­dung be­raubt, in der sich al­le Ein­satz­waf­fen be­fan­den. Ich käme nie auf die Idee, die bei­den nack­ten und halb­to­ten GWA-Schat­ten könn­ten es ge­schafft ha­ben, einen schwer­be­waff­ne­ten Schiffs­gi­gan­ten von vier­hun­dert Me­ter Durch­mes­ser ato­mar zu ver­nich­ten. Das könn­te nur NEW­TON ge­we­sen sein. Dr. Bur­ner …«

An­ne hat­te ih­re Lieb­lings­hal­tung ein­ge­nom­men. Sie lehn­te mit dem Rücken an der Pan­zer­wand der Zen­tra­le und hat­te die Ar­me vor der Brust ver­schränkt.

»Hmm – stimmt«, be­stä­tig­te sie. »So wür­de ich die psy­cho­lo­gi­sche Si­tua­ti­on eben­falls ein­schät­zen. Sie pfu­schen mir ins Hand­werk, Kenji.«

Nis­hi­mu­ra lä­chel­te. Sein ver­schlos­sen wir­ken­des Ge­sicht ent­spann­te sich.

»Da wä­re aber noch et­was«, fuhr An­ne sin­nend fort.

Sie stieß sich von der Wand ab und kam auf uns zu.

»Um in der ver­glei­chen­den Form zu blei­ben, mei­ne Her­ren – ich an Stel­le der Kreu­zer­be­sat­zung wür­de nach Über­win­dung des ers­ten Schocks auf al­le Fäl­le ver­su­chen, NEW­TON we­nigs­tens zu tes­ten. Ich wür­de an ei­ne kurz­fris­ti­ge Fehl­ent­schei­dung des Groß­ro­bo­ters den­ken, ver­ur­sacht durch sei­nen Grund­pro­gram­mie­rungs­kom­plex, der wie­der­um durch ei­ne ge­gen­sätz­li­che Be­fehl­ser­tei­lung zwei­er Quo­ti­en­ten­be­rech­tig­ter ver­ur­sacht wor­den sein könn­te. Es gibt ei­ni­ge kom­pli­zier­te Aus­wer­tungs­me­tho­den. Wenn Sie fol­ge­rich­tig han­deln wol­len, müs­sen Sie vor­her fol­ge­rich­tig über­le­gen.«

»Wir sind da­bei, An­ne«, schnitt ich ihr das Wort ab.

Sie ver­zog iro­nisch die Lip­pen.

»Ach, tun Sie das? Kon­nat, Sie sind in der Mas­ke des ir­di­schen An­ar­chis­ten Dr. Nang-Tai und mit ei­nem Mar­s­kreu­zer hier ein­ge­trof­fen. Sie ha­ben ver­sucht, mit Hil­fe Ih­res Ta­schen­ko­da­tors NEW­TON un­ter Ih­re Be­fehls­ge­walt zu zwin­gen. Im Ge­gen­satz zu frü­her miß­lang es, weil un­ter­des­sen die So­gh­mo­ler mit ei­nem grö­ße­ren und leis­tungs­fä­hi­ge­ren Ge­rät an­ge­kom­men wa­ren. Sie und zu­min­dest der ge­fal­le­ne Kom­man­dant des MARS­HU-Schlacht­schiffs spiel­ten die künst­lich auf­ge­stock­ten In­tel­li­genz­quo­ti­en­ten von über fünf­zig Neu-Orb­ton aus. Bei­de wa­ren Sie im Sinn ei­nes mar­sia­ni­schen Groß­ro­bot­ge­hirns so­ge­nann­te quo­ti­en­ten­be­rech­tig­te Be­fehls­ge­ber und Erb­schafts­voll­stre­cker. Stimmt das bis zu die­sem Punkt?«

Ich war wie­der ver­führt, den Ge­dan­ken­in­halt ei­nes an­de­ren Men­schen zu prü­fen. Han­ni­bal rief mich auf te­le­pa­thi­scher Ebe­ne mit ei­nem war­nen­den Im­puls an.

An­ne Bur­ner war viel zu er­fah­ren, um ei­ne der­ar­ti­ge Spio­na­ge nicht zu be­mer­ken. Sie hät­te sich nicht da­ge­gen ge­wehrt, aber ih­re Ach­tung hät­te ich ver­lo­ren.

Sie mus­ter­te mich und lä­chel­te ei­gen­ar­tig. Hat­te sie mei­nen See­len­zwie­spalt durch­schaut?

»Dan­ke. Das war ei­ne gu­te Leis­tung«, be­stä­tig­te sie mei­nen Ver­dacht.

Al­li­son blick­te sich ver­wun­dert um. Stea­mers hüs­tel­te. Er hat­te die Si­tua­ti­on be­grif­fen.

An­ne er­lös­te mich aus der pein­li­chen Si­tua­ti­on.

»Es stimmt al­so. NEW­TON konn­te we­der Ih­re Wün­sche igno­rie­ren noch den So­gh­mo­lern die ge­plan­te Un­ter­wer­fung der Mensch­heit er­lau­ben – we­nigs­tens nicht di­rekt! Wä­re es den Frem­den ge­lun­gen, auch nur ein großes Schiff der so­ge­nann­ten Hei­mat­flot­te Mars start­klar zu ma­chen, hät­te NEW­TON den An­griffs­flug der So­gh­mo­ler zur Er­de nicht mehr ver­hin­dern kön­nen. Oh­ne Ih­ren Ko­da­tor, der im­mer­hin stö­rend auf das große Ge­rät der So­gh­mo­ler ein­wirk­te, hät­te die Mensch­heit von vorn­her­ein kei­ne Chan­ce ge­habt. Dann wä­ren die Frem­den näm­lich mit ih­ren bei­den ei­ge­nen Schif­fen in Rich­tung Er­de ge­flo­gen. In dem Fall hät­ten wir jetzt schon nichts mehr zu sa­gen; vor­aus­ge­setzt, es wür­de über­haupt noch ei­ne Mensch­heit ge­ben. Auf sie schei­nen die So­gh­mo­ler kei­nen be­son­de­ren Wert zu le­gen, denn sie wol­len nicht den Pla­ne­ten Er­de mit ei­ni­gen Mil­li­ar­den auf­rüh­re­ri­schen Skla­ven ha­ben, son­dern aus­schließ­lich das Er­be der aus­ge­stor­be­nen Mar­sia­ner un­ter ih­re Kon­trol­le brin­gen. Das, mei­ne Her­ren, ist das so­gh­mo­li­sche Ziel! Ich stel­le fest, daß so­wohl das GWA-Haupt­quar­tier als auch un­se­re Bor­d­ex­per­ten am ei­gent­li­chen Be­weg­grund der Frem­den im­mer mehr vor­bei­se­hen. Kom­men Sie um Him­mels wil­len auf die ur­sprüng­li­che Si­tua­ti­on zu­rück.«

»Hat sie recht?« frag­te Han­ni­bal an. Nie­mand au­ßer mir konn­te sei­ne Psi-Nach­rich­ten hö­ren. Ki­ny Ed­wards, die na­tür­li­che Mu­tan­tin der GWA, be­fand sich wei­sungs­ge­mäß an Bord ei­nes Plas­ma­kreu­zers, der vor drei Ta­gen in ei­ne wei­te Or­bit­bahn ein­ge­schwenkt war. Der ur­sprüng­li­che Ver­zweif­lungs­plan, den Mars zu ver­nich­ten, um die So­gh­mo­ler am Ab­flug mit ei­ni­gen Mars­schif­fen der Hei­mat­flot­te zu hin­dern, war längst auf­ge­ge­ben wor­den.

Durch die Zer­stö­rung ih­res Schlacht­schiffs und die Flucht der Kreu­zer­be­sat­zung war die aku­te Ge­fahr vor­über­ge­gan­gen.

Nun schie­nen sich an­de­re Din­ge an­zu­bah­nen.

Ich sprach die Psy­cho­lo­gin an.

»An­ne, Ih­re Aus­füh­run­gen in al­len Eh­ren, aber wir ha­ben die ei­gent­li­chen Be­weg­grün­de der So­gh­mo­ler nie­mals ver­ges­sen. Vor­erst hat­ten wir je­doch al­le Kräf­te auf­zu­bie­ten, um das Er­schei­nen ei­ni­ger Groß­kampf­schif­fe am Him­mel der Er­de zu ver­hin­dern.«

»Na­tür­lich«, pflich­te­te sie mir bei. »Das ist völ­lig klar. Wenn es kei­ne GWA gä­be und zwei GWA-Schat­ten mit be­son­de­ren Fä­hig­kei­ten, wä­ren wir wahr­schein­lich nie­mals auf die Frem­den auf­merk­sam ge­wor­den. Sie hät­ten sich das Mar­ser­be an­ge­eig­net und wä­ren wie­der ver­schwun­den. Sie stie­ßen je­doch auf Wi­der­stand, der sie zu Ge­gen­maß­nah­men zwang. Jetzt, in die­ser Si­tua­ti­on, gibt es kein Ver­steck­spie­len mehr. Der of­fe­ne Kampf hat be­gon­nen. Den­ken Sie al­so nach der Be­sei­ti­gung der aku­tes­ten Ge­fahr aus­schließ­lich an die grund­sätz­li­chen Wün­sche der Frem­den: an die Er­beu­tung des un­er­meß­lich wert­vol­len Erb­guts.«

»Sie sind ein schlau­es Mäd­chen, An­ne«, mel­de­te sich Han­ni­bal.

Er lag in sei­nem An­druck­la­ger, hat­te die ha­ge­ren Bei­ne über die Leh­nen ge­legt und den ei­er­för­mi­gen Kopf in die spe­zi­ell da­für ein­ge­gos­se­ne Mul­de ge­bet­tet.

Der Klei­ne über­leg­te an­ge­strengt und ver­gaß da­bei die ein­fachs­te Re­gel gu­ten Be­neh­mens. Mein Kol­le­ge gähn­te un­ge­niert und dach­te nicht dar­an, ei­ne Hand vor den weit ge­öff­ne­ten Mund zu hal­ten.

»Die­ser Mensch be­sitzt einen Kehl­kopf wie ein Ama­zo­nas­brüll­af­fe«, reg­te sich Al­li­son auf. »Mann, klap­pen Sie Ih­re Bag­ger­schau­fel zu! Oder woll­ten Sie et­was sa­gen?«

»Ja, vor­aus­ge­setzt, Sie ha­ben kei­ne ei­ge­nen Geis­tes­blit­ze zu ver­schleu­dern. Au­ßer­dem, Fra­mus, wenn Sie eh­ren­wer­te Män­ner noch­mals be­lei­di­gen, wer­de ich Sie auf der Ve­nus oh­ne Schutz­pan­zer aus­set­zen. Oder be­zwei­feln Sie, daß wir dem­nächst auf der ver­schlei­er­ten Welt lan­den wer­den?«

Der In­halt sei­ner Er­klä­rung be­schäf­tig­te mich nicht so stark wie der Be­griff »ver­schlei­er­te Welt«. Wenn man den Pla­ne­ten Ve­nus cha­rak­te­ri­sie­ren woll­te, hat­te der Klei­ne ins Schwar­ze ge­trof­fen. Die un­durch­sich­ti­ge, ex­trem licht­re­flek­tie­ren­de At­mo­sphä­re war der Alp­traum je­des Kos­mo­nau­ten. Dort hin­ein­zut­au­chen und auf die ein­wand­freie Funk­ti­on der Or­tungs­ge­rä­te zu hof­fen, war ein Wag­nis be­son­de­rer Art.

»Das woll­te ich über­haupt nicht sa­gen«, fuhr Han­ni­bal fort. »Wis­sen Sie, An­ne, Ih­re De­fi­ni­ti­on klingt ziem­lich ver­nünf­tig, aber sie geht an der Tat­sa­che vor­bei. Ich be­haup­te, daß die Erb­schlei­cher auf kei­nen Fall auf be­son­de­re Schi­ka­nen ver­zich­tet hät­ten. Da­zu ist die raum­fah­ren­de Mensch­heit viel zu na­he am Tat­ort.«

»Raum­fah­ren­de Mensch­heit! Daß ich nicht la­che«, murr­te Al­li­son.

Sei­ne Un­rast mach­te sich wie­der be­merk­bar. Er konn­te sei­ne Hän­de nicht mehr ru­hig hal­ten.

»Daß ich nicht la­che!« äff­te der Zwerg nach. »Sie wol­len doch ein Hoch­ener­gie­phy­si­ker sein, oder? Au­ßer­dem Spe­zia­list für funk­tech­ni­sche Ko­di­fi­zie­rungs­pro­gram­me, oder?«

Al­li­son ver­lor die Ge­duld. Han­ni­bal war ihm in der letz­ten Zeit zu häu­fig auf die Ner­ven ge­gan­gen.

»Ihr Chef hat be­son­de­re Be­feh­le er­hal­ten. De­mas­kie­rung, hieß es dar­in un­ter an­de­rem. Schlie­ßen Sie al­so Ih­ren großen …«

»Den Teu­fel wer­de ich tun«, un­ter­brach Han­ni­bal ihn mit sei­ner Trom­pe­ten­stim­me. »Sie und Ih­re Be­feh­le. Und was heißt ei­gent­lich ›Ihr Chef‹! Män­ner wie ich wer­den höf­lich er­sucht oder ge­be­ten.«

Fra­mus hüs­tel­te und schob die Hän­de in die Bein­ta­schen sei­ner Bord­kom­bi­na­ti­on.

»Ak­zep­tiert, Sie Pracht­mensch. Ich sa­ge Ih­nen nur, daß ich mich mit Ih­rem Ge­sicht schä­men wür­de, selbst wenn ich es in den Ho­sen hät­te. Okay, HC-9, ich se­he einen Weg, um NEW­TON die von Re­ling ge­for­der­ten Test­fra­gen zu stel­len.«

Han­ni­bal be­lei­dig­te Al­li­son und ver­schon­te auch des­sen Vor­fah­ren nicht, aber das stör­te nie­mand mehr.

Län­ger und ein­ge­hen­der über Tat­sa­chen oder Bei­na­he-Tat­sa­chen zu dis­ku­tie­ren, war nach der Ver­nich­tung der TI­TA­NIC nicht nur zeit­rau­bend, son­dern auch ge­fähr­lich.

Re­lings An­ord­nung be­frei­te mich end­gül­tig von der Mas­ke des Wis­sen­schaft­lers Dr. Hol­ger-Bert­ram Nang-Tai, den wir er­fun­den hat­ten, um den So­gh­mo­lern oder an­de­ren Nicht­mensch­li­chen einen Herr­scher mit au­ßer­or­dent­li­chem Wis­sen vor­zu­gau­keln.

Um das glaub­haft dar­stel­len zu kön­nen, wa­ren wir ge­zwun­gen ge­we­sen, die Erd­be­völ­ke­rung eben­falls zu täu­schen und zu de­mons­tra­ti­ven Maß­nah­men zu grei­fen.

Der an­geb­li­che Dr. Nang-Tai be­saß den ho­hen Auf­sto­ckungs-In­tel­li­genz­quo­ti­en­ten von über fünf­zig Neu-Orb­ton.

Ab ei­nem Wert von fünf­zig NO-Ein­hei­ten be­gan­nen mar­sia­ni­sche Kom­man­do- und Be­fehls­ge­rä­te zu rea­gie­ren. Das zog den Ge­hor­sam der gi­gan­ti­schen Ro­bot­ge­hir­ne auf Mond und Mars nach sich, vor­aus­ge­setzt, es funk­te nie­mand mit ei­nem leis­tungs­fä­hi­ge­ren Be­fehls­ge­ber, Ko­da­tor ge­nannt, da­zwi­schen.

In die­se Si­tua­ti­on wa­ren wir durch das Er­schei­nen der So­gh­mo­ler hin­ein­ma­nö­vriert wor­den.

An­ne hat­te recht: Sie wa­ren ge­kom­men, um sich das Er­be des Mars zu si­chern. Wir Men­schen, die die­se kost­ba­ren Hin­ter­las­sen­schaf­ten mitt­ler­wei­le eben­falls ent­deckt hat­ten, dach­ten aber nicht dar­an, das Wis­sens­gut un­se­rer ehe­ma­li­gen pla­ne­ta­ri­schen Nach­barn an Frem­de aus­zu­lie­fern; auch nicht, wenn sie glaub­haft be­wei­sen konn­ten, di­rek­te Spät­nach­kom­men je­ner Mars­flüch­ti­gen zu sein, die vor et­wa 187.000 Jah­ren un­ser Son­nen­sys­tem ver­las­sen hat­ten.

Al­lein die wis­sen­schaft­lich-tech­ni­schen Ge­rät­schaf­ten, die wir in der Mond­stadt Zon­ta ge­fun­den hat­ten, stell­ten für uns ei­ne Of­fen­ba­rung dar. Al­les, was wir noch nicht konn­ten oder be­herrsch­ten, fan­den wir dort bis zur letz­ten Ein­zel­heit ge­löst vor.

Han­ni­bals Ein­wand durf­te auch nicht über­se­hen wer­den! Ich glaub­te eben­falls nicht dar­an, daß uns die So­gh­mo­ler un­be­läs­tigt ge­las­sen hät­ten. Viel­leicht hät­ten sie sich da­zu ent­schlos­sen, wenn sie auf dem Pla­ne­ten Er­de noch den Stein­zeit­menschen vor­ge­fun­den hät­ten.

Wir be­sa­ßen aber nicht nur die Atom­kraft in vie­len For­men, son­dern dar­über hin­aus ei­ne funk­tio­nie­ren­de Raum­fahrt. Auch wenn wir nicht auf das Er­be des Mars ge­sto­ßen wä­ren, hät­te un­se­re tech­ni­sche Ent­wick­lung si­cher­lich aus­ge­reicht, die So­gh­mo­ler be­denk­lich zu stim­men.

Sie konn­ten in ih­ren na­tur­wis­sen­schaft­li­chen Kennt­nis­sen noch nicht sehr viel wei­ter sein als wir, denn wir hat­ten fest­ge­stellt, daß sie die bei­den Groß­raum­schif­fe nicht selbst er­baut, son­dern ein­fach in Be­sitz ge­nom­men hat­ten.

In der Be­zie­hung gli­chen sie uns, al­ler­dings mit dem Un­ter­schied, daß wir die auf Mars und Mond ste­hen­den Groß­kampf­schif­fe des Mars noch nicht sou­ve­rän be­die­nen konn­ten.

Bei dem Ge­dan­ken an den Ri­si­koflug mit ei­nem Neun­hun­dert-Me­ter-Su­per­schlacht­schiff der POR­CU­PA-Klas­se ver­spür­te ich im­mer noch ein un­be­hag­li­ches Ge­fühl in der Ma­gen­ge­gend.

Den Kreu­zer »1418« – sein Durch­mes­ser be­trug nur vier­zig Me­ter – konn­ten wir in­so­fern hand­ha­ben, daß uns die Ma­schi­nen nicht um die Oh­ren flo­gen. In die­ser Be­zie­hung wa­ren die So­gh­mo­ler wei­ter fort­ge­schrit­ten, aber das hin­der­te un­se­re Ex­per­ten nicht dar­an, sie eben­falls als »Knopf­druck­hau­sie­rer« und »Zau­ber­lehr­lin­ge« zu be­zeich­nen.

Das wa­ren Be­grif­fe, die ei­ni­ge Spöt­ter für die Spe­zia­lis­ten der GWA ge­prägt hat­ten. In der Tat be­weg­ten wir uns in der »1418« mit der Vor­sicht von Mäu­sen, die be­reits ein­mal um Haa­res­brei­te der zu­schnap­pen­den Fal­le ent­gan­gen wa­ren.

Die »1418« wä­re uns oh­ne Hil­fe­leis­tung zahl­lo­ser rat­ten­großer Re­pa­ra­tur­ro­bo­ter längst »durch­ge­gan­gen«, wie sich Han­ni­bal aus­drück­te. Wenn das Schiff nicht durch ZON­TAs Me­cha­ni­ken über­holt und auf­ge­tankt wor­den wä­re, hät­ten wir an ei­ne In­be­trieb­nah­me oh­ne­hin nicht den­ken kön­nen.

Nun war die­ser Schwe­re Kreu­zer na­he der Ve­nus auf­ge­taucht. Was das be­deu­te­te, konn­te nur je­mand er­mes­sen, der die ge­wal­ti­ge Kampf­kraft ei­nes zwei­hun­dert­fünf­zig Me­ter großen Mars­gi­gan­ten schon ein­mal er­lebt hat­te.

Die Hoch­ener­gie­ge­schüt­ze des KAS­HAT-Rie­sen be­sa­ßen nach al­ten mar­sia­ni­schen Vor­stel­lun­gen »mitt­le­re Ka­li­ber oh­ne be­son­de­re Leis­tung«!

Ich hat­te ein Schiff der KAS­HAT-Klas­se ein­mal feu­ern se­hen – mit nur ei­nem Ge­schütz sei­ner SA-Bat­te­rie. Mei­ne Sin­ne hat­ten mir durch­aus nicht vor­ge­gau­kelt, der Mond stän­de kurz vor dem Aus­ein­an­der­bre­chen; es war so ge­we­sen!

Dar­aus ging her­vor, daß ein Kampf­schiff die­ser Grö­ßen­ord­nung die Er­de mit ei­ni­gen Breit­sei­ten ver­nich­ten konn­te – und zwar aus ei­ner Ent­fer­nung, die für un­se­re Raum­ab­fang­jä­ger nicht er­reich­bar war.

Un­se­re schnells­ten Ab­wehr­ra­ke­ten hät­ten Ta­ge be­nö­tigt, um den Stand­ort des feu­ern­den Kreu­zers er­rei­chen zu kön­nen. Und wenn sie je­mals dort an­ge­kom­men wä­ren, hät­ten sich die Be­sat­zungs­mit­glie­der wahr­schein­lich köst­lich amü­siert, denn die Schutz­schir­me ei­nes KAS­HAT-Kreu­zers wa­ren auch von un­se­ren stärks­ten H-La­dun­gen nicht zu zer­schla­gen.

Es war völ­lig aus­sichts­los, der Be­sat­zung ei­nes sol­chen Schif­fes die Stirn bie­ten zu wol­len.

Din­ge, die Mar­sia­ner ge­baut hat­ten, wa­ren nur un­ter güns­tigs­ten Um­stän­den durch Men­schen zer­stör­bar. Ich hat­te mit ei­ner re­la­tiv klei­nen Ein­satz­bom­be der Ge­hei­men-Wis­sen­schaft­li­chen-Ab­wehr ein MARS­HU-Schlacht­schiff von vier­hun­dert Me­ter Durch­mes­ser zer­stört; aber die Bom­be war im In­nern des Raum­ers ex­plo­diert!

Das war für den tech­ni­schen Stand der Mensch­heit die ein­zi­ge Mög­lich­keit, stäh­ler­ne Ti­ta­nen die­ser Art ernst­haft zu be­schä­di­gen, oder sie in ei­ne Son­ne zu ver­wan­deln.

Bei der Über­le­gung an­ge­kom­men – ich be­fand mich be­reits auf dem Weg zur Bord­kli­nik –, wur­de mir klar, daß mir der Kom­man­dant des Kreu­zers nicht die ge­rings­te Chan­ce ein­räu­men wür­de, sein Schiff zu schä­di­gen.

Er hat­te, eben­so wie sein ge­fal­le­ner Ex­pe­di­ti­ons­kom­man­deur, an­ge­nom­men, zwei strahl­ge­schock­te, ener­gie­ge­fes­sel­te und völ­lig ent­klei­de­te Men­schen könn­ten kei­ne Ge­fahr mehr dar­stel­len.

Den­noch war vor vier Ta­gen, am 21. Ok­to­ber 2010, Punkt 19.04 Uhr, das Flagg­schiff sei­nes Kom­man­deurs ex­plo­diert.

Kenji Nis­hi­mu­ras Auf­fas­sung war rich­tig – oder noch rich­tig! Der Kreu­zer­kom­man­dant wür­de je­de Schuld auf NEW­TON schie­ben – und da­zu hat­te er auch al­len Grund.

Als die Ener­gie-Fein­or­ter des rie­si­gen Ro­bot­ge­hirns die be­gin­nen­de Kern­re­ak­ti­on mei­ner Bom­be an­tas­te­ten, stand es für NEW­TON fest, daß ei­ne Hil­fe nicht mehr mög­lich war.

Al­so folg­te er sei­ner un­barm­her­zi­gen Selbs­t­er­hal­tungs­lo­gik und gab je­de Rück­sicht­nah­me auf, ob­wohl er Mi­nu­ten zu­vor noch im Bann des großen Kom­man­do­ko­da­tors ge­stan­den hat­te.

Wir hat­ten da­durch er­kannt, daß der »Ro­bot­be­fehls­ha­ber Sys­tem­ver­tei­di­gung« al­le vor­pro­gram­mier­ten Grund­ge­set­ze über­la­ger­te, wenn es um sei­ne Exis­tenz ging. Sie muß­te für die mar­sia­ni­schen Flot­ten­be­fehls­ha­ber und Pro­gram­mie­rungs­tech­ni­ker am wich­tigs­ten ge­we­sen sein.

NEW­TON hat­te das Schlacht­schiff mit sei­nen Ro­ta­tor­fel­dern er­faßt und in den Raum ge­schleu­dert. Gleich­zei­tig er­folg­te die Ex­plo­si­on, aber die ent­ste­hen­de Ener­gie­bal­lung wur­de so lan­ge von star­ken Fes­sel­fel­dern ein­ge­engt, bis das weiß­glü­hen­de Schiff ei­ne aus­rei­chen­de Si­cher­heits­ent­fer­nung er­reicht hat­te.

Erst zu die­sem Zeit­punkt hat­te NEW­TON sei­ne Druck- und Kom­pri­mie­rungs­fel­der ab­ge­schal­tet, um den to­ben­den Atom­ge­wal­ten die Frei­heit zu ge­wäh­ren.

Wir wuß­ten das ge­nau und konn­ten es auch fol­ge­rich­tig be­ur­tei­len, denn wir hat­ten in der ro­ten Mars­wüs­te ge­le­gen und den aus dem Welt­raum nie­der­peit­schen­den Or­kan über uns er­ge­hen las­sen.

Die so­gh­mo­li­sche Be­sat­zung des Kreu­zers muß­te zu ei­ner ganz an­de­ren Auf­fas­sung ge­kom­men sein.

Dar­in, und nur dar­in lag un­se­re Chan­ce! Ein mar­sia­ni­sches Groß­raum­schiff, in das wir nicht un­an­ge­foch­ten hin­ein und her­aus konn­ten, war von kei­ner mensch­li­chen Macht zu zer­stö­ren.

Das konn­ten nur die mar­sia­ni­schen Ein­rich­tun­gen selbst, dar­un­ter die Gi­gan­ten­ro­bo­ter ZON­TA auf dem Mond und NEW­TON auf dem Mars.

Un­ser Vor­ge­hen wur­de aus­schließ­lich von die­ser Er­kennt­nis dik­tiert. Wenn zu­sätz­li­che Er­kennt­nis­se der Ex­per­ten vor­han­den wa­ren – um so bes­ser!

In der Kli­nik war­te­ten die Ärz­te. Mei­ne Fo­li­en­mas­ke muß­te so­fort ent­fernt wer­den. Dem Kom­man­deur der Plas­maflot­te konn­te ich un­mög­lich als Mensch­heits­feind Dr. Nang-Tai ge­gen­über­tre­ten. Er hät­te mich auf der Stel­le tö­ten zu las­sen.

Wann hat­te ich ei­gent­lich zum letz­ten Ma­le mein wirk­li­ches Ge­sicht ge­se­hen? Ich er­in­ner­te mich nicht ge­nau.

 

 

2.

 

Dr. Phram Ta­res­cu, Astro­me­di­zi­ner des GWA-Raum­korps, sprüh­te die Bio­pol­plast-Lö­sung auf die nach­blu­ten­den Schnitt­wun­den.

Die Mas­ke, de­ren hoch­emp­find­li­ches Zell­ge­we­be plötz­lich nicht mehr mit mei­nem Blutstrom ver­bun­den war, lag gleich ei­ner an­ge­sto­che­nen Bal­lon­haut ne­ben mir auf dem In­stru­men­ten­tisch.

Das Ge­sicht, das ich so lan­ge ge­tra­gen hat­te, starr­te mich aus lee­ren Au­gen­höh­len an. Die weiß­ver­färb­ten Lip­pen schie­nen mich höh­nisch an­zu­lä­cheln. Wei­ter un­ten bau­mel­ten die bei­den Blut­lei­ter aus der Kopf­fo­lie her­vor.

Sie be­gann sich be­reits zu zer­set­zen. Ich glaub­te, einen üb­len Ge­ruch wahr­zu­neh­men, aber das muß­te ei­ne Täu­schung sein.

Die Blu­tung mei­ner Hals­schlag­adern stand in­zwi­schen. Der Schmerz ließ nach.

»Ei­ne Stun­de ru­hen, Sir«, for­der­te Ta­res­cu. »Sie be­kom­men noch ei­ne In­jek­ti­on.«

»Wo­zu? Ist et­was nicht in Ord­nung?«

Er deu­te­te auf die schlaf­fe Fo­li­en­haut.

»Zu schnel­le Zer­set­zungs­er­schei­nun­gen. Das wä­re nicht mehr lan­ge gut­ge­gan­gen. Mir­nams Bio­che­mi­ker schie­nen die Syn­tho­kul­tur über­mä­ßig ak­ti­viert zu ha­ben. Das ga­ran­tiert ta­del­lo­se Ge­sichts­zü­ge und Zell­ver­bands­bau­ten, aber die Emp­find­lich­keit wächst ra­pi­de an. Wir soll­ten et­was ge­gen die Fäul­niss­tof­fe un­ter­neh­men, die sich be­reits in Ih­rem Blut be­fin­den.«

Ich ahn­te, daß ich um Haa­res­brei­te ei­ner bak­te­ri­el­len Ver­gif­tung ent­gan­gen war. Mir­nam hat­te in der Tat ei­ne kopf­um­hül­len­de Fo­li­en­mas­ke höchs­ter Prä­zi­si­on er­zeugt, aber der­ar­ti­ge Syn­tho­kon­struk­tio­nen soll­te man nicht län­ger als ei­ni­ge Ta­ge tra­gen.

»Kon­takt«, mur­mel­te Han­ni­bal.

Er lag ne­ben mir auf ei­ner Bah­re und hielt die Au­gen ge­schlos­sen.

Nis­hi­mu­ra und Ta­res­cu ver­lie­ßen den Raum. Er war zu klein, um vier Män­nern aus­rei­chend Platz bie­ten zu kön­nen.

»Klei­ne Über­mitt­lungs­pha­se. Ich muß wach blei­ben«, bat ich.

Er be­weg­te nur die Li­der. Se­kun­den spä­ter sprach mein Ex­tra­hirn auf Ki­nys te­le­pa­thi­sche Im­pul­se an. Da ich mich nicht voll dar­auf kon­zen­trie­ren woll­te, um der Um­welt noch ei­ni­ge Auf­merk­sam­keit wid­men zu kön­nen, ver­nahm ich die Nach­rich­ten sehr schwach. Sie un­ter­hielt sich mit Han­ni­bal.

»… stei­gen­de Un­ru­he un­über­seh­bar. Der Kom­man­deur miß­traut der ›1418‹-Be­sat­zung im­mer stär­ker. Sie soll­ten et­was un­ter­neh­men.«

»Be­ste­hen Se­pa­rat­plä­ne?« frag­te Han­ni­bal an.

»Ja. Vie­le Kreu­zer­kom­man­dan­ten, neun­und­vier­zig von vierund­sech­zig, for­dern einen Über­ra­schungs­an­griff auf un­ser Mars­schiff. Man nimmt an, daß sich Dr. Nang-Tai noch im­mer an Bord be­fin­det. Zu­min­dest aber glaubt man, die Be­sat­zung wä­re nicht ein­wand­frei.«

»Die De­mas­kie­rung ist be­en­det. Wir wer­den nach dem Stu­fen­plan vor­ge­hen. Ge­ne­ral Mi­ron La­her­ty soll kei­ne Dumm­hei­ten ma­chen. NEW­TON wird beim ge­rings­ten Feh­ler rück­sichts­los zu­schla­gen. Die Nar­ren ha­ben nicht die ge­rings­te Chan­ce; auf der Or­bit­bahn schon gar nicht. Okay, wir mel­den uns in et­wa ei­ner Vier­tel­stun­de. Stop – noch et­was! Ist die Nach­richt vom Haupt­quar­tier ab­ge­hört wor­den? Ich mei­ne die TI­TA­NIC-Mel­dung?«

»Ja, aber man konn­te sie nicht ent­schlüs­seln. Statt des­sen hat La­her­ty fünf Mi­nu­ten spä­ter die An­wei­sung zum Öff­nen des Schiffstre­sors er­hal­ten. Er hat die ver­sie­gel­te Or­der vor sich lie­gen. Sei­ne Kom­man­dan­ten be­fin­den sich al­le an Bord des Flagg­schiffs.«

»Kon­nat spricht«, schal­te­te ich mich mit mä­ßi­ger Psi-Ener­gie ein. »Ki­ny, ich wer­de mich als HC-9 mel­den. Wie rea­giert La­her­ty auf den Ge­heim­be­fehl?«

»Zwie­späl­tig, Sir. Es ist ei­ne schrift­li­che Nach­richt in ver­al­te­ter Form. Auf dem Um­schlag steht ein Ko­de­be­griff und ei­ne An­wei­sung. Mehr kann ich nicht er­mit­teln.«

Wir schal­te­ten ab. Ki­ny hat­te ih­re Auf­ga­be er­füllt. Ich hat­te sie so­fort nach der An­kunft der vierund­sech­zig Plas­ma­kreu­zer mit ei­nem un­se­rer TES­CO-Jä­ger an Bord des Flagg­schiffs brin­gen las­sen, um even­tu­el­len Un­über­legt­hei­ten zei­tig ge­nug auf die Spur kom­men zu kön­nen. Vom Mars aus wä­re die te­le­pa­thi­sche Über­wa­chung von vier­tau­sen­dacht­hun­dert Be­sat­zungs­mit­glie­dern kaum lös­bar ge­we­sen.

Han­ni­bal rich­te­te sich auf.

»Da ha­ben wir die di­cke Sup­pe«, nör­gel­te er. »Sie ist schon fast an­ge­brannt. Erst hat man die Män­ner mit den tolls­ten Vor­sichts­maß­nah­men auf die Ri­si­ko­rei­se ge­schickt, dann soll­ten sie den Mars ato­mar spren­gen, und da­nach wur­den sie zu­rück­ge­pfif­fen. Nun um­krei­sen sie den ro­ten Wüs­ten­bro­cken und sol­len sich er­neut auf ei­ne an­de­re Si­tua­ti­on ein­stel­len. Wenn von ih­nen kei­ner durch­dreht und auf die Zünd­knöp­fe der Ra­ke­ten­wer­fer drückt, hei­ße ich ›von Mops‹.«

Ich schau­te ihn ir­ri­tiert an. »Wie­so ›von Mops‹?«

Er grins­te mich an und mas­sier­te sich die Wa­den.

»Steif wird man«, murr­te er. »In zwei Jah­ren, Ju­ni 2012, fin­den die nächs­ten olym­pi­schen Spie­le statt. Im Hoch­sprung muß ich mei­ne zehn Me­ter schaf­fen. Al­so brau­che ich ge­ziel­tes Trai­ning, Herr Ge­ne­ral.«

»Auf dem Mond, was?«

»Klar, wo sonst. Ich ver­glei­che mich nicht mit ge­wöhn­li­chen Erd­hüp­fern. Okay, ist es mir ge­lun­gen, dich aus dei­ner Brü­te­rei zu kit­zeln? Mann, die­ser Zwei-Ster­ne-La­her­ty ist ein al­ter Kno­chen­fres­ser mit der na­po­leo­ni­schen Hym­ne auf den Lip­pen. Er peitscht uns den ro­ten Mars­sand um die Lau­scher, daß so­gar ich schlecht zu hö­ren be­gin­ne; und ich ha­be Oh­ren wie ein Su­per-Luchs. Un­ter­nimm et­was! Wenn Ki­ny un­ru­hig wird, dann ist et­was dran.«

Ich ver­zich­te­te auf ei­ne Ant­wort. Mein Kol­le­ge war zu sehr in Fahrt, als daß ich sei­nen Wort­schwall hät­te brem­sen kön­nen. Au­ßer­dem hat­te er recht.

Ich drück­te auf die Ruftas­te der BzB-Ver­bin­dung.

»HC-9 an al­le: Fer­tig­ma­chen zum Fest. Kenji, wie­weit sind Sie mit mei­ner Lei­che? Hält das die Fo­lie noch aus?«

»Ge­ra­de noch. Sie zer­fällt so schnell, daß Sie ei­gent­lich schon seit zehn Ta­gen tot sein müß­ten.«

Ich schluck­te. Seit wann ent­wi­ckel­te Nis­hi­mu­ra schwar­zen Hu­mor?

Han­ni­bal fand da­für ei­ne Lö­sung.

»Er fängt an mensch­lich zu wer­den«, lach­te er. »Was bleibt den Brü­dern in un­se­rer La­ge an­ders üb­rig, als auf den see­li­schen Putz zu hau­en? Die un­ken so lan­ge über des Teu­fels liebs­tes Spiel­zeug, bis sie in die Ka­no­nen­mün­dun­gen des Schwe­ren Kreu­zers se­hen. Los, Lan­ger, dei­ne Hals­wun­den sind vam­pir­reif. Laß dich un­ter den Leu­ten se­hen, aber hü­te dich vor La­her­tys prü­fen­den Bli­cken. Er kommt sonst un­ter Um­stän­den auf die Idee, du wärst Dr. Nang-Tai in der Mas­ke des hin­ter­rücks er­schos­se­nen GWA-Schat­tens HC-9, ali­as Thor Kon­nat. Weißt du auch, was er dann macht?«

Ich ver­zich­te­te dar­auf, mir die ein­ge­hen­de Schil­de­rung an­zu­hö­ren.

 

Die­sen brei­ten Kopf mit der dunklen Lö­wen­mäh­ne kann­te ich zu gut, um nicht zu wis­sen, was hin­ter sei­ner Stirn vor­ging.

Ge­ne­ral­leut­nant Mi­ron La­her­ty ge­hör­te zum Stab des der IAK un­ter­ste­hen­den Welt­raum-Of­fen­siv­kom­man­dos.

Er war iri­scher Ab­stam­mung, hat­te aber von sei­ner Groß­mut­ter einen Schuß spa­ni­schen Blu­tes mit­be­kom­men. Er galt als »über­hitzt­ge­bän­digt«, ein Aus­druck, den na­tür­lich nur Han­ni­bal prä­gen konn­te.

Trotz­dem hat­te der Be­griff schon die Run­de ge­macht. Er war so­gar an Bord der vierund­sech­zig Plas­ma­kreu­zer be­kannt ge­wor­den.

»La­her­ty«, dröhn­te es aus den Laut­spre­chern un­se­res nor­ma­len Vi­si­phon­ge­räts. »Mit wem ha­be ich die Eh­re?«

»Gu­ten Tag«, be­grüß­te ich ihn. »Bri­ga­de­ge­ne­ral HC-9, Chef des GWA-Raum­korps, ak­ti­ver Ein­satz­schat­ten ZBV. Ich konn­te mich nicht frü­her mel­den. Nang-Tai er­for­der­te un­se­re Auf­merk­sam­keit. Ich er­hielt so­eben mein Stich­wort per Hy­per­dim­funk. Ha­ben Sie Ih­ren Ge­heim­be­fehl vor sich lie­gen?«

Sein Blick wur­de noch miß­traui­scher. Ki­ny gab durch, die Kom­man­dan­ten der an­de­ren Kreu­zer hät­ten sich zu­ge­schal­tet. Dort oben wür­den mich jetzt vier­tau­sen­dacht­hun­dert Spe­zia­lis­ten der höchs­ten Qua­li­fi­ka­ti­ons­stu­fe hö­ren und se­hen.

»Man hat. Un­ge­öff­net.«

Ich fühl­te sei­ne in­stink­ti­ve Ab­wehr. La­her­ty ent­wi­ckel­te sich zum Stö­ren­fried. Wir hat­ten ein­fach kei­ne Zeit mehr, stun­den­lang mit ihm zu dis­ku­tie­ren oder Iden­ti­fi­zie­rungs­nach­wei­se zu er­brin­gen.

»Ver­ges­sen Sie Ih­ren Arg­wohn, La­her­ty. Nang-Tai und Dr. Rob­bens sind tot, des­glei­chen das Un­ge­heu­er vom Pla­ne­ten Moohr­ko. Wir sind start­klar, aber ich will Ih­nen trotz­dem die sterb­li­chen Über­res­te zei­gen – um über­flüs­si­ge Fra­gen vor­zu­beu­gen«, füg­te ich hin­zu.

Ich wink­te os­ten­ta­tiv. Dr. Ta­res­cu er­schi­en auf ei­nem an­de­ren Bild­schirm.

»Um­schal­ten zur Tief­kühl­kam­mer«, ord­ne­te ich an. »Pas­sen Sie auf, La­her­ty.«

Das Bild wech­sel­te. Plötz­lich er­schie­nen ei­ni­ge zer­schos­se­ne Kör­per, dar­un­ter Nang-Tais Lei­che.

Ich schluck­te ver­krampft, als ich mei­ne ehe­ma­li­ge Mas­ke sah. Sie hat­te sich schreck­lich ver­än­dert. Die für die­sen Zweck vor­be­rei­te­te und sorg­sam auf­ge­bla­se­ne Pup­pen­fo­lie stör­te es al­ler­dings nicht.

Ich starr­te in weit auf­ge­ris­se­ne Au­gen. Der Bild­aus­schnitt be­gann zu wan­dern. Do­gen­dal streu­te mit sei­nen Ka­me­ras die Kühl­kam­mer ab.

Bo­ris Pe­tron­ko, mas­kier­ter Dar­stel­ler des In­tel­li­genz-Mon­s­trums von Moohr­ko, hat­te nicht nach­ge­bil­det wer­den kön­nen. Des­halb hat­te er sich ent­schlos­sen, die Rol­le des To­ten zu schau­spie­lern, ob­wohl er wuß­te, daß die Käl­te­kam­mer trotz der ab­ge­schal­te­ten Ma­schi­nen noch le­bens­ge­fähr­lich war.

Sein Kör­per wies schwe­re »Schuß­wun­den« auf; ein auf­ge­kleb­tes Pro­dukt un­se­rer ein­falls­rei­chen Wis­sen­schaft­ler.

Ich schau­te un­auf­fäl­lig zu Han­ni­bal hin­über. Er stand vor ei­nem Be­ob­ach­tungs­schirm und be­trach­te­te kri­tisch »sei­nen« Leich­nam. Was der Zwerg da­bei dach­te, konn­te ich mir leb­haft vor­stel­len, aber so­lan­ge er den Mund hal­ten konn­te, war es nicht stö­rend.

Do­gen­dal, un­ser Or­tungs­of­fi­zier, schal­te­te ab. La­her­ty konn­te mich wie­der se­hen.

»Mehr kann ich Ih­nen nicht bie­ten, Ge­ne­ral. Öff­nen Sie nun Ih­ren Ge­heim­be­fehl.«

»Da­zu ha­ben Sie – ich mei­ne, da­zu hat HC-9 einen Ko­de­be­griff durch­zu­ge­ben«, ent­geg­ne­te er ge­dehnt. »Wie gut sind Ih­re Lei­chen prä­pa­riert?«

Ich hol­te tief Luft. Al­li­son fluch­te laut­los, wäh­rend der Zwerg an­er­ken­nend grins­te und Lobral, un­ser »1418« -Pi­lot die Stirn run­zel­te.

»Hier wur­de nichts prä­pa­riert. Öff­nen Sie Ih­ren Be­fehl. Der Ko­de­be­griff lau­tet ›Da­seins­kämp­fer im Be­reich Ro­bot­nar­ko­se NEW­TON‹. Sie neh­men doch hof­fent­lich nicht an, je­mand au­ßer dem ech­ten GWA-Schat­ten HC-9 könn­te dar­über in­for­miert sein?«

La­her­ty beug­te sich vor. Sein »Lö­wen­kopf« wur­de grö­ßer.

»Es sieht so aus, aber ich kann mich nicht da­zu durch­rin­gen, Ih­nen be­din­gungs­los zu glau­ben. Da­für wa­ren die Er­eig­nis­se zu tur­bu­lent. Sie soll­ten zu­sätz­lich wis­sen, wel­che An­wei­sun­gen ich ab­le­sen wer­de.«

Er ver­hielt sich wie an­ge­nom­men. Ich gab An­ne Bur­ner einen Wink. Sie trat an mei­ne Sei­te.

»Ich bin Dr. An­ne Bur­ner, Psy­cho­lo­gin«, be­gann sie ge­las­sen. »Ge­ne­ral, ich ge­hö­re zu den drei letz­ten Über­le­ben­den der Mars­be­ob­ach­tungs­kom­man­dos. HC-9 kam am 15. Ok­to­ber 2010 auf dem Mars an. Einen Tag zu­vor, am 14. Ok­to­ber, lan­de­te die ›1418‹ un­ter Nang-Tais Kom­man­do.«

»Wo­mit kam HC-9 an?« un­ter­brach La­her­ty ei­sig. »Mit wel­chem Schiff?«

An­ne lä­chel­te ma­li­zi­ös.

»Mit kei­nem Schiff. Ha­ben Sie schon von der mar­sia­ni­schen Trans­mit­ter­brücke zwi­schen dem Mond und dem Ro­ten Pla­ne­ten ge­hört? Sie wur­de von den Ein­satz­schat­ten der GWA be­nutzt. Mehr darf ich Ih­nen nicht sa­gen. Nang-Tai wur­de vor vier Ta­gen, am 21. Ok­to­ber, ge­stellt und zu­sam­men mit sei­ner Be­sat­zung er­schos­sen. Der Ro­bot­re­gent NEW­TON übergab HC-9 die ›1418‹.«

»Und da­mit be­fin­det sie sich wie­der im Be­sitz der GWA«, fiel ich ein. »La­her­ty, die Zeit drängt. Sie wer­den in dem Schrei­ben an­ge­wie­sen, sich mei­nem Be­fehl zu un­ter­stel­len oder dem ei­nes an­de­ren GWA-Schat­tens im Fal­le mei­nes To­des. Öff­nen Sie end­lich!«

»Das ist sehr va­ge«, miß­trau­te er im­mer noch. »Warum wer­de ich nicht di­rekt vom HQ der GWA oder vom Chef der In­ter­na­tio­na­len-Ab­wehr­ko­ali­ti­on per­sön­lich an­ge­ru­fen? Es ist be­kannt, daß wir einen mar­sia­ni­schen Hy­per­dim­sen­der an Bord ha­ben.«

Ich ver­lor end­gül­tig die Ge­duld. Wei­ter hin­ten klang ein Schmer­zens­schrei auf. Han­ni­bal, der so­eben nach vorn ren­nen und sei­ne »Mei­nung« sa­gen woll­te, war von Al­li­son mit ei­nem ziem­lich gro­ben Griff zu­rück­ge­hal­ten wor­den.

»La­her­ty, ha­ben Sie kurz vor Ih­rer An­kunft die Ato­m­ex­plo­si­on über dem Mars ge­or­tet?«

»Ja!«

»Das war ein Schlacht­schiff der MARS­HU-Klas­se. Ein Schwe­rer Kreu­zer der KAS­HAT-Klas­se konn­te ent­kom­men. Er ist vor we­ni­gen Stun­den na­he der Ve­nus auf­ge­taucht und hat dort das For­schungs­schiff TI­TA­NIC ab­ge­schos­sen. Wenn Sie das Schick­sal der Be­sat­zung tei­len wol­len, brau­chen Sie le­dig­lich Ih­ren Hy­per­dim­sen­der auf Sen­dung zu schal­ten und ei­ne An­fra­ge ab­zu­strah­len. Das be­deu­tet die so­for­ti­ge Or­tung.«

»Die TI­TA­NIC un­ter Oberst Pir­rom?« frag­te er zu­rück, dies­mal je­doch be­stürzt.

»Ja! Ich über­spie­le Ih­nen die Nach­richt, die Sie wahr­schein­lich emp­fan­gen ha­ben, aber nicht ent­schlüs­seln konn­ten. Sie soll­ten fer­ner nicht glau­ben, mit Ih­ren ein­ge­bau­ten Mars­ge­schüt­zen Wi­der­stand leis­ten zu kön­nen. Im Fall der TI­TA­NIC ist die Kup­pel mit­samt der Mars­ka­no­ne ex­plo­diert. Der Ener­gierück­schlag konn­te nicht ge­bän­digt wer­den. Ich will Ih­nen nicht un­be­dingt An­wei­sun­gen ge­ben, La­her­ty, aber ich ra­te Ih­nen drin­gend, so­fort Fahrt auf­zu­neh­men, die Trieb­wer­ke mög­lichst schnell wie­der ab­zu­schal­ten und im frei­en Fall einen Teil der Stre­cke Mars – Er­de zu über­win­den! Sie wer­den von uns oder dem GWA-Haupt­quar­tier be­nach­rich­tigt, wenn Sie ge­fahr­los wei­ter­be­schleu­ni­gen kön­nen. Vor­erst hält sich noch der KAS­HAT-Kreu­zer im Raum auf. Au­ßer­dem kann ich Ih­nen mo­men­tan nicht sa­gen, ob er eben­falls über einen Su­per­ko­da­tor an Bord ver­fügt. Wenn ja, wird NEW­TON dem­nächst wie­der un­ru­hig wer­den. Des­halb soll­ten Sie nicht auf die Idee kom­men, Ih­re vier­tau­sen­dacht­hun­dert Män­ner mit den Bei­boo­ten auf dem Mars zu lan­den. Hier sind Bri­ga­den und Di­vi­sio­nen im Ato­mor­kan mar­sia­ni­scher Kampfro­bo­ter auf­ge­löst wor­den. Ih­nen er­gin­ge es kaum bes­ser. Fra­gen Sie Dr. Bur­ner oder Dr. el Hai­fa­ra, den wir eben­falls ret­ten konn­ten. Oder ist Ih­nen mit Ser­geant Die­go Co­ris­ta ge­dient? Er ist der letz­te Über­le­ben­de der 2. Eu­ro­päi­schen Mars­bri­ga­de. Han­deln Sie, La­her­ty!«

Er be­gann in sei­ner vor­ge­faß­ten Mei­nung zu schwan­ken. Ich da­ge­gen ver­wünsch­te die un­dank­ba­re Auf­ga­be, die uns le­dig­lich von der Pri­mär­si­tua­ti­on ab­lenk­te.

Der Start der vierund­sech­zig Plas­ma­kreu­zer war von vorn­her­ein när­risch ge­we­sen. Sie hät­ten im Fal­le ei­ner mas­si­ven Ab­wehr durch NEW­TON oder die So­gh­mo­ler nicht die kleins­te Chan­ce ge­habt.

Ich kam nicht mehr da­zu, Mi­ron La­her­ty er­neut auf die Dring­lich­keit der emp­foh­le­nen Maß­nah­men hin­zu­wei­sen.

Jim Do­gen­dal mel­de­te sich aus der Or­tungs- und Funk­zen­tra­le der »1418«.

»Hoch­ener­gie­pei­lung aus Rich­tung Top­thar«, klang sei­ne Stim­me auf. Sie wur­de auch von La­her­ty ver­nom­men. »Vor­sicht, Sir. NEW­TON läßt ei­ni­ge Kraft­wer­ke – nein, er läßt al­le Kraft­wer­ke an­lau­fen! Die Ro­ta­tor­kup­peln fah­ren aus. Sir, et­was stimmt nicht. Ich – Zu­satz­mel­dung. Wir re­gis­trie­ren stark ein­fal­len­de Hy­per­di­mim­pul­se auf Ko­da­tor­fre­quenz.«

»Ist das si­cher?« rief ich er­regt zu­rück. »Bild­auf­nah­me nach Zen­tra­le schal­ten. La­her­ty, kön­nen Sie mitse­hen und -hö­ren?«

»Lei­der, Sir«, ver­nahm ich sei­ne tie­fe Stim­me. Nur halb be­wußt re­gis­trier­te ich die kor­rek­te An­re­de »Sir«. Er schi­en sei­ne Mei­nung schlag­ar­tig ge­än­dert zu ha­ben.

»Sir, ich weiß nicht, ob Sie von Ih­rem Stand­ort aus einen so gu­ten Über­blick ha­ben wie wir. NEW­TON hüllt sich in sei­ne Schutz­schir­me ein. Noch mehr da­von – der hal­be Mars wird plötz­lich ab­ge­rie­gelt. Über­all ent­ste­hen strah­len­de Kup­peln und hoch­ra­gen­de Spitz­glo­cken. Sir, ich glau­be, wir ha­ben Ih­nen Un­recht ge­tan. Gilt der Rück­zugs­be­fehl noch?«

»Auf al­le Fäl­le. Die an­ge­mes­se­nen Ko­da­to­rim­pul­se kön­nen nur von dem KAS­HAT-Kreu­zer stam­men. Bei die­ser Art ei­ner fünf­di­men­sio­na­len Schlüs­sel­sen­dung kön­nen wir mit un­se­ren Schiffs­ge­rä­ten we­der den Stand­ort noch die Leis­tungs­ab­ga­be des Ge­räts er­mit­teln. Neh­men Sie um Him­mels wil­len Fahrt auf und ver­schwin­den Sie mit Voll­schub. Wäh­len Sie auf kei­nen Fall den di­rek­ten Kurs zur Er­de. Schwen­ken Sie in die al­ten Bahn­li­ni­en ein, und nut­zen Sie die Son­nen­gra­vi­ta­ti­on aus. Star­ten Sie, La­her­ty! Ich kann mit der klei­nen ›1418‹ nichts für Sie tun! Und ver­fal­len Sie nicht eben­falls auf die Idee, Ih­re Mars­ka­no­nen ein­zu­set­zen. Ih­re Schif­fe wer­den schwer be­schä­digt oder ver­nich­tet. Stop – noch et­was. Schi­cken Sie mir Ki­ny Ed­wards mit ei­nem Ih­rer TES­CO-Jä­ger her­un­ter. Be­ei­len Sie sich.«

»Ro­ger, ich ris­kie­re es, an Sie zu glau­ben. Nang-Tai wür­de sich in der Si­tua­ti­on wohl an­ders ver­hal­ten. Das Mäd­chen kommt. Kann ich Ih­nen nicht doch ir­gend­wie hel­fen?«

»Sie kön­nen nur ver­su­chen, das Le­ben Ih­rer Män­ner zu ret­ten. Da­mit hel­fen Sie auch mir.«

»Zum Teu­fel, wir könn­ten NEW­TON doch un­ter Druck set­zen. Ich ha­be die schwers­ten und mo­d­erns­ten Nu­klear­waf­fen an Bord. Von der jet­zi­gen Or­bit­bahn aus wä­re der Ra­ke­ten­be­schuß kein Pro­blem.«

Al­li­son trat in den be­grenz­ten Auf­nah­me­be­reich der Ka­me­ra. Sei­ne Ar­me gli­chen ro­tie­ren­den Wind­müh­len­flü­geln.

»Ge­ne­ral, Sie ken­nen mich«, rief er aus. »Ich ge­hö­re neu­er­dings zum wis­sen­schaft­li­chen Ein­satz­kom­man­do der GWA.«

»Auch das noch«, stöhn­te La­her­ty. »HC-9, jetzt glau­be ich Ih­nen je­des Wort. Wo ha­ben Sie die Ner­ven­sä­ge auf­ge­trie­ben?«

Fra­mus lach­te mit der Hei­ter­keit ei­nes Man­nes, der weit über den Er­eig­nis­sen steht. Das ent­sprach sei­nem chro­ni­schen Op­ti­mis­mus.

»Das er­zäh­le ich Ih­nen spä­ter per­sön­lich. Jetzt soll­ten Sie be­grei­fen, daß man Sie mit eu­pho­ri­schen Mut­ma­ßun­gen, nicht aber mit Tat­sa­chen auf den Weg zum Mars ge­schickt hat. Wenn Sie ei­ne Ra­ke­te ab­schie­ßen, ist Ih­re Kreu­zer­flot­te ein­mal ge­we­sen. NEW­TON hat so­gar ein MARS­HU-Schlacht­schiff bis in den frei­en Raum ge­wir­belt. Mit Ih­ren zer­brech­li­chen Git­ter­kon­struk­tio­nen wird er in we­ni­gen Se­kun­den fer­tig. Auch wenn Sie Ih­re Kampfra­ke­ten noch ab­feu­ern könn­ten, wür­de kei­ne ein­zi­ge das Ziel er­rei­chen. Be­grei­fen Sie doch, daß die­ser Pla­net be­reits vor 187.000 Jah­ren ei­ne Fes­tung war! Hier grif­fen die De­ne­ber mit Waf­fen an, von de­nen nicht ein­mal ich zu träu­men wa­ge. Und die­se Ag­gres­so­ren wur­den ab­ge­wehrt, oder der Mars exis­tier­te längst nicht mehr. Sagt Ih­nen das nichts? Sie ha­ben nur noch ei­ne Chan­ce – näm­lich schleu­nigst zu ver­schwin­den. Wir wer­den eben­falls star­ten müs­sen, vor­aus­ge­setzt, HC-9 kann die Ge­neh­mi­gung da­zu er­wir­ken.«

»Was?« frag­te La­her­ty fas­sungs­los.

Al­li­son wisch­te sich mit dem Är­mel der Bord­kom­bi­na­ti­on über die schweiß­be­deck­te Stirn.

»Ja, Sie ha­ben rich­tig ge­hört, Sie ah­nungs­lo­ser En­gel. Da se­hen Sie ein­mal, wel­che In­for­ma­tio­nen das Space-De­part­ment un­ter die Leu­te ge­bracht hat. Wir kom­men hier nur weg, wenn der GWA-Ko­da­tor noch ei­ni­ger­ma­ßen an­spricht. Wis­sen Sie we­nigs­tens, daß HC-9 einen Auf­sto­ckungs­quo­ti­en­ten von über fünf­zig Neu-Orb­ton be­sitzt?«

Ja, das war ihm be­kannt ge­we­sen, al­ler­dings nur ihm al­lein. Jetzt hat­ten es auch die mit­hö­ren­den Of­fi­zie­re und Mann­schaf­ten er­fah­ren. Es war zum Ver­rückt­wer­den! Was war aus der ab­so­lu­ten An­ony­mi­tät der GWA-Schat­ten ge­wor­den?

Ich be­en­de­te die Dis­kus­si­on. La­her­ty sag­te zu, um­ge­hend Fahrt auf­zu­neh­men. Sein Strahl­mas­sen­vor­rat war in den letz­ten Ta­gen durch stän­di­ge Ver­sor­gungs­flü­ge der mit­ge­führ­ten Lan­dungs­raum­schif­fe auf­ge­füllt wor­den, al­ler­dings nur mit Was­ser.

Da­mit ga­ben sich die Zu­satz-Wär­me­tau­scher-Ex­pan­si­ons­kam­mern der Schif­fe eben­falls zu­frie­den; aber wenn sein Re­ak­ti­ons-Kern­brenn­stoff – ka­ta­ly­sier­tes Deu­te­ri­um auf der Me­so­nen-Er­satz­ba­sis – auf­ge­braucht war, wür­de kei­ne Macht der Welt die Leis­tungs­re­ak­to­ren wei­ter­füt­tern kön­nen.

Nor­mal­schwe­res Was­ser konn­ten sie nicht ver­ar­bei­ten. Sie be­nö­tig­ten die zünd­freu­di­ge Voll­ka­ta­ly­se, die be­reits bei ei­ner elek­trisch er­zeug­ten Flamm­tem­pe­ra­tur von plus 4285 Grad Cel­si­us in den Kern­ver­schmel­zungs­pro­zeß ein­trat.

Un­ter La­her­tys Of­fen­siv­kreu­zern be­fan­den sich auch kei­ne La­bor­schif­fe, die aus dem Mars­was­ser den VKD-Kern­brenn­stoff hät­ten er­zeu­gen kön­nen.

Der Ge­dan­ke an das Aus­bren­nen der le­bens­wich­ti­gen Mei­ler quäl­ten mich. Ich rief ihm da­her has­tig zu:

»La­her­ty, hö­ren Sie! Wenn Ih­re VKD-Tanks leer sind, wer­de ich ver­su­chen, Sie mit der ›1418‹ zu be­lie­fern, egal wo Sie im frei­en Raum ste­hen. Soll­te der Kreu­zer nicht mehr exis­tie­ren, wird Ge­ne­ral Re­ling Nach­schu­bein­hei­ten auf den Weg brin­gen. Hal­ten Sie auf al­le Fäl­le Re­ak­ti­onss­toff-Re­ser­ven zu­rück, da­mit Sie Ih­re Leu­te bei ei­ner län­ge­ren War­te­zeit mit Sau­er­stoff ver­sor­gen kön­nen. Das Mars­was­ser kön­nen Sie doch hof­fent­lich ka­ta­ly­tisch auf­spal­ten?«

»Ja, je­des Schiff be­sitzt ei­ne An­la­ge. Dan­ke, Sir. Das be­ru­higt mich.«

»Nichts zu dan­ken. Das ist selbst­ver­ständ­lich. Las­sen Sie die Wer­te ex­akt durch­rech­nen und le­gen Sie ei­ne War­te­zeit von min­des­tens zwei Mo­na­ten zu Grun­de. Wir wis­sen nicht, was noch al­les auf uns zu­kommt. Ich ge­be die Ver­sor­gungs­an­wei­sung auf al­le Fäl­le an mein HQ durch. Und jetzt star­ten Sie end­lich. Wir wer­den …«

»An­ruf NEW­TON auf Vi­deo­funk«, klang Do­gen­dals Stim­me auf. »Ich le­ge in die Zen­tra­le um. Soll der La­her­ty-Richt­strahl zu­ge­schal­tet wer­den?«

»Ja! Pas­sen Sie auf, La­her­ty. Sie wer­den gleich hö­ren, was der Ro­bo­therr­scher von Ih­ren Schif­fen hält. Blei­ben Sie am Ge­rät und re­den Sie nicht da­zwi­schen.«

Han­ni­bal und die an­de­ren Per­so­nen, die La­her­tys Raum­fah­rern als Dr. Nang-Tais Mit­ar­bei­ter be­kannt­ge­wor­den wa­ren, ver­stan­den mei­nen Wink rich­tig. Sie gin­gen in Sicht­de­ckung, um dem grö­ßer wer­den­den Weit­win­kel­be­reich der mar­sia­ni­schen Bil­der­fas­sung aus­zu­wei­chen.

NEW­TONS Sym­bol er­schi­en auf dem ova­len Bild­schirm über mir. Er sen­de­te wie­der die grü­ne Son­ne mit den flam­men­den Pro­tu­be­ran­zen.

Die Kon­takt­auf­nah­me er­folg­te oh­ne vor­be­rei­ten­de Er­klä­rung, scho­nungs­los und oh­ne je­de Kom­pro­miß­be­reit­schaft. Sie war ty­pisch für einen po­sitro­ni­schen Rech­ner.

»NEW­TON an Bri­ga­de­ge­ne­ral HC-9, quo­ti­en­ten­be­rech­tig­ter Ko­da­tor­trä­ger. Ih­re Be­fehl­ser­tei­lung wird nicht mehr ak­zep­tiert. Mei­ne Er­halts­pro­gram­me ge­bie­ten mir, einen Ko­da­tor­trä­ger vor Scha­den zu be­wah­ren. Sie ha­ben da­her so­fort zu star­ten. Mein Ver­tei­di­gungs­sek­tor ist zu ver­las­sen.«

»Nicht über die Nor­mal­ver­bin­dung ant­wor­ten«, raun­te mir Al­li­son has­tig zu. »Ih­re Ko­da­tor­sen­dung hat ei­ne we­sent­lich stär­ke­re Wir­kung. Er kann Sie nicht will­kür­lich an­grei­fen; auch nicht, wenn es mit Hil­fe ei­nes stär­ke­ren Über­la­ge­rungs­ge­räts ver­langt wird.«

Do­gen­dal schal­te­te. Die Bild­schirm­ga­le­rie über mir flamm­te auf. Sie ver­mit­tel­te ei­ne na­tur­ge­treue Wie­der­ga­be der Au­ßen­welt.

Die Son­ne, oh­ne­hin nur als blas­ser, gelb­lich­wei­ßer Ball zu se­hen, ver­schwand so­eben hin­ter dem Ho­ri­zont.

Um so deut­li­cher wa­ren die von NEW­TON auf­ge­bau­ten Schutz­schir­me zu se­hen. Ich er­schrak!

Top­thar, die ur­al­te Haupt­stadt des Mars, war schon oft ener­ge­tisch ab­ge­rie­gelt wor­den, aber nie­mals in ei­nem Um­fang wie jetzt.

Mir wur­de oh­ne nä­he­re Er­läu­te­run­gen klar, daß der Ro­bot­kom­man­deur erst­mals seit dem Er­schei­nen der Men­schen auf »sei­ner« Welt die Ver­tei­di­gungs­waf­fen in vol­ler Stär­ke ak­ti­viert hat­te. Das be­deu­te­te höchs­te Ge­fahr und ab­so­lu­te Un­an­tast­bar­keit.

Wer trotz die­ser Ge­ge­ben­hei­ten auf die Idee kam, die un­ge­heu­ren Ener­gie­mau­ern mit ir­gend­wel­chen Waf­fen­sys­te­men durch­schla­gen zu wol­len, muß­te när­risch sein.

Der Ko­da­tor lag auf­ge­klappt in mei­ner Hand. Ich be­merk­te an dem auf dem Mi­kro­schirm sicht­ba­ren Son­nen­sym­bol, daß NEW­TON nicht nur auf nor­mal­licht­schnel­ler Vi­deo­fre­quenz rief, son­dern auch im in­ter­nen Be­fehls­be­reich. Das muß­te sei­ne Grün­de ha­ben!

Mir fiel La­her­ty ein; La­her­ty und die von ihm be­feh­lig­ten Kreu­zer ir­di­scher Kon­struk­ti­on. Da­mit war die Ak­ti­vie­rung der Ab­wehr­fel­der be­reits mo­ti­viert.

So­lan­ge NEW­TON ver­pflich­tet ge­we­sen war, aus­schließ­lich auf die Be­fehl­sim­pul­se mei­nes Ta­schen­ge­räts an­zu­spre­chen, hat­te er es nicht für »nö­tig« ge­hal­ten, die Kreu­zer in­ten­si­ver zu be­ach­ten. Sie un­ter­stan­den mei­nem Kom­man­do.

Das hat­te sich mit der Im­puls­ge­bung durch ein zwei­tes, we­sent­lich stär­ke­res Kom­man­do­ge­rät schlag­ar­tig ge­än­dert; we­nigs­tens nach den Lo­gik­be­grif­fen ei­ner Ma­schi­ne.

Jetzt konn­te ich zum Geg­ner wer­den. Die Kreu­zer wur­den in­fol­ge­des­sen eben­falls ge­fähr­lich. Des­halb hat­te man die Schir­me auf­ge­baut. So war das!

»HC-9 an NEW­TON: Dei­ne An­wei­sun­gen sind un­ver­ständ­lich und wi­der­spre­chen dei­ner ers­ten Ge­setz­ge­bung. Ich ver­lan­ge im Na­men dei­ner Er­bau­er vol­len Ge­hor­sam.«

»Ab­ge­lehnt, HC-9. Sie wer­den über­la­gert. Zie­hen Sie Ih­re Raum­schif­fe so­fort zu­rück und star­ten Sie eben­falls. Ich ge­wäh­re Ih­nen ei­ne Frist von fünf­zehn Mi­nu­ten Ih­rer Zeit­rech­nung. Un­ter Be­rück­sich­ti­gung der ge­rin­gen Be­schleu­ni­gungs­wer­te Ih­rer im Raum krei­sen­den Schif­fe ge­dul­de ich mich zwei Stun­den Ih­rer Zeit­rech­nung. An­schlie­ßend er­öff­ne ich das Feu­er.«

Ich woll­te noch­mals auf mei­ne Quo­ti­en­ten­auf­sto­ckung und die da­mit ver­bun­de­ne Be­fehls­be­rech­ti­gung hin­wei­sen, schloß aber wie­der die Lip­pen, als ich das Flim­mern auf dem Schirm mei­nes Ko­da­tors be­merk­te.

Gleich­zei­tig drang ein selt­sa­mes Ge­räusch aus der akus­ti­schen Über­mitt­lungs­spi­ra­le.

»Vor­sicht, be­gin­nen­der Zwie­spalt­zu­stand«, rief Nis­hi­mu­ra aus dem Hin­ter­grund der Zen­tra­le. »Pro­gram­me vol­ler Ge­gen­sätz­lich­kei­ten pral­len auf­ein­an­der. Da­bei kann das Ge­hirn auf einen Not­sek­tor um­schal­ten. Er wird aus­schließ­lich nach ei­ner un­ver­än­der­li­chen Grund­pro­gram­mie­rung han­deln, denn er ist kein aut­ar­ker Lo­gik­rech­ner auf der Ba­sis des Mo­ti­v­aus­gleichs. Star­ten Sie, Sir. Das wird ge­fähr­lich! Ge­wäh­ren Sie NEW­TONS To­le­ranz­sek­to­ren ei­ne Lo­gik­un­ter­stüt­zung, oder sie wer­den to­tal ver­frem­det.«

Ich ver­nahm auch Stea­mers Stim­me. Er de­fi­nier­te die ei­gen­tüm­li­che Zu­stands­form des Gi­gant­rech­ners weitaus tref­fen­der, al­ler­dings in sei­ner kaum ver­ständ­li­chen Ab­strakt­leh­re. Men­gen­sym­bo­li­sie­run­gen spiel­ten ei­ne Rol­le. Das Er­geb­nis war noch un­heil­vol­ler als Nis­hi­mu­ras Ver­mu­tun­gen.

»Ich kann Ih­nen nicht hel­fen«, gab NEW­TON in ei­ner lang­sa­men, kaum ver­ständ­li­chen Sprech­wei­se durch. »Ich möch­te …«

Ich ver­zich­te­te auf ei­ne Ent­geg­nung. In dem Groß­rech­ner lie­fen un­vor­stell­ba­re Vor­gän­ge mit Über­licht­ge­schwin­dig­keit ab. Vor al­lem die fünf­di­men­sio­nal ori­en­tier­ten Pro­gramm­sek­to­ren schie­nen in ei­nem Zwie­spalt zu lie­gen.

Schuld dar­an war mein Ko­da­tor, die Un­ver­letz­lich­keit mei­ner Per­son und die der mir na­he­ste­hen­den Men­schen; aber auch die Ein­flüs­se ei­nes stär­ke­ren Ge­räts, hin­ter dem mit höchs­ter Wahr­schein­lich­keit ein So­gh­mo­ler mit dem auf­ge­stock­ten I-Quo­ti­en­ten von über fünf­zig Neu-Orb­ton saß.

Das war die Si­tua­ti­on, die wei­te­re Wor­te über­flüs­sig mach­te.

Lobral hat­te längst ge­schal­tet. Je­mand streif­te mir den schwe­ren Ge­hör- und Druck­wel­len-Schutz­helm über den Kopf und klink­te die Ma­gnet­ste­cker der Ka­bel­ver­bin­dung ein.

»Die Ro­ta­tor­kup­peln schwen­ken ein«, gab Do­gen­dal durch. »La­her­ty be­ob­ach­tet ge­wal­ti­ge Stahl­kon­struk­tio­nen von bis­her nie ge­se­he­ner Form. Sie glei­ten auf dem Mars über­all aus dem Bo­den. An­ge­weh­te Sand­mas­sen und klei­ne Hö­hen­zü­ge bre­chen un­ter dem Druck aus­ein­an­der. Das sind Ka­no­nen­tür­me, Sir. NEW­TON wird ge­fähr­lich! Das hat­te er nicht ein­mal bei sei­ner letz­ten Of­fen­si­ve für er­for­der­lich ge­hal­ten. Warum jetzt?«

»Weil über sei­nem wei­sen Haupt vierund­sech­zig ato­mar be­waff­ne­te Kreu­zer der Mensch­heit ste­hen«, ver­nahm ich Han­ni­bals Stim­me. »Lobral, star­ten Sie end­lich, oder der ver­rückt ge­wor­de­ne Kon­ser­ven­göt­ze bläst uns als Staub­wol­ke über die aus­ge­trock­ne­ten Mee­re hin­weg. Raus aus der Mau­se­fal­le, schnell!«

Mehr in­tui­tiv als be­wußt er­kann­te ich, wie man NEW­TON un­ter­stüt­zen konn­te. Der klei­ne Kreu­zer be­saß im­mer­hin Hoch­ener­gie­ge­schüt­ze und Schutz­schir­me. Das muß­te für den als »ver­nünf­tig« ein­zu­stu­fen­den Sek­tor des Groß­ro­bo­ters einen er­heb­li­chen Be­las­tungs­fak­tor dar­stel­len.

La­her­ty mel­de­te sich noch ein­mal.

»Sir, ich hal­te den TES­CO-Jä­ger mit Ki­ny zu­rück. Über­neh­men Sie das Mäd­chen im frei­en Raum. En­de.«

Das To­sen un­se­rer Trieb­wer­ke un­ter­band ei­ne Ant­wort.

Lobral schal­te­te mit der Si­cher­heit ei­nes Man­nes, der aus Er­fah­rung weiß, daß die Be­rüh­rung die­ser oder je­ner Kon­takt­plat­te kein Un­heil an­rich­ten, son­dern einen ge­wis­sen Ef­fekt aus­üben wür­de.

Wir ir­di­schen »Knopf­druck­hau­sie­rer« konn­ten uns auch dies­mal blind­lings auf die mar­sia­ni­schen Au­to­ma­ti­ken ver­las­sen. Kein Mensch wä­re in der La­ge ge­we­sen, die mit stei­gen­der Trieb­werks­leis­tung hoch­zu­fah­ren­den Wer­te der An­druck­ab­sor­ber zu syn­chro­ni­sie­ren; aber das wä­re nur ein Fak­tor un­ter vie­len an­de­ren ge­we­sen.

Die »1418« stand weit drau­ßen am Rand des Raum­ha­fens von Top­thar. Wir hat­ten uns ge­hü­tet, nä­her als un­be­dingt nö­tig in den in­ter­nen Ab­wehr­be­reich des Ge­hirns ein­zu­drin­gen.

Rie­si­ge Sand­wol­ken ver­hüll­ten die Au­ßen­bord­auf­nah­men, aber das dau­er­te nur den Bruch­teil ei­ner Se­kun­de.

Ich be­merk­te, daß un­se­re weiß­glü­hen­den Schubstrahl­par­ti­kel von dem kirsch­rot auf­leuch­ten­den Lan­de­kreis­feld ab­sor­biert und un­schäd­lich ge­macht wur­den.

Die »1418« ruck­te wie ei­ne ab­ge­feu­er­te Gra­na­te an. Die bis­lang stil­lie­gen­den Kon­troll­flä­chen der Farb­sym­bo­li­sie­rung er­wach­ten zur hek­ti­schen Be­trieb­sam­keit.

Wir wa­ren in der La­ge, die gröbs­ten Farb­nu­an­cen rich­tig ein­zu­schät­zen, aber die Fein­ar­beit ei­nes mar­sia­ni­schen Au­ges ver­moch­ten wir nicht zu ver­rich­ten. Die klein­wüch­si­gen In­tel­li­genz­we­sen des Ro­ten Pla­ne­ten muß­ten einen be­son­de­ren Ge­hirn­sek­tor für Far­bun­ter­schie­de be­ses­sen ha­ben, sonst wä­ren sie nie auf die Idee ge­kom­men, auf nor­ma­le Meß­in­stru­men­te zu ver­zich­ten.

Die Kon­trol­len brach­ten uns stän­dig in Ver­le­gen­heit. Zif­fern oder Dia­gramm­kur­ven je­der Art hät­ten wir mit der Zeit ver­ste­hen kön­nen, nicht aber das irr­lich­tern­de Ge­hu­sche und Glü­hen.

Der Kreu­zer durch­s­tieß die At­mo­sphä­re mit sol­cher Fahrt, daß die Gas­mas­sen trotz ih­rer ge­rin­gen Dich­te auf­glüh­ten und von den obe­ren Prall­schir­men aus der Flug­bahn ge­ris­sen wur­den.

Ehe wir die ei­nem senk­recht nach oben füh­ren­den Schacht glei­chen­de Glut­bahn un­se­res Durch­sto­ßes se­hen konn­ten, er­reich­ten wir be­reits den frei­en Raum.

Das Flim­mern auf dem Bild­schirm mei­nes Kom­man­do­ge­räts sta­bi­li­sier­te sich plötz­lich. Das Bild der grü­nen Son­ne war wie­der klar zu se­hen.

Lobral ver­stand mei­nen Zu­ruf rich­tig. Nach sei­ner Schal­tung ver­stumm­te das Dröh­nen der Ma­schi­nen.

Die über sei­nem Pi­lo­ten­sitz an­ge­brach­te Ver­ti­kal-Leucht­leis­te ver­än­der­te sich. Das dun­kel­ro­te Leuch­ten wech­sel­te über zu ei­nem hel­ler wer­den­den Gelb­ton, der schließ­lich über den blau­en Sek­tor hin­un­ter zum zar­ten Grün ver­lief.

Die aku­te Ge­fahr war vor­bei; das Ge­walt­ma­nö­ver be­en­det.

Ich zerr­te den Schutz­helm von mei­nem Kopf und lös­te die An­schnall­gur­te. Der Mars lag weit un­ter uns und war be­reits als Halb­ku­gel er­kenn­bar.

Ich be­trach­te­te nach­denk­lich mei­nen Ko­da­tor, klapp­te ihn zu­sam­men und steck­te ihn in die In­nen­ta­sche der Bord­kom­bi­na­ti­on zu­rück.

»Das war gleich­be­deu­tend mit ei­ner ver­lo­re­nen Schlacht«, mel­de­te sich Reg J. Stea­mers. Sei­ne Stim­me klang un­wirk­lich laut durch die ein­ge­tre­te­ne Stil­le.

Ich sah mich prüf end um.

»Sa­gen wir ein ver­lo­re­nes Ge­fecht«, ver­such­te ich zu be­rich­ti­gen. »Do­gen­dal, ru­fen Sie La­her­ty an und sor­gen Sie da­für, daß Ki­ny wohl­be­hal­ten an Bord kommt. Ich war­te nicht mehr län­ger.«

Al­li­son kam auf mich zu. Er schlän­gel­te sich um zu­sätz­lich in­stal­lier­te Ge­rät­schaf­ten ir­di­scher Fa­bri­ka­ti­on her­um und setz­te sich auf die Kan­te mei­nes An­druck­la­gers.

Sein rot­wan­gi­ges Ge­sicht wirk­te an­ge­spannt.

»Sie war­ten nicht mehr län­ger? Darf man fra­gen, wie das ein harm­lo­ser Mensch mei­ner Art aus­le­gen soll?«

»Warum ver­su­chen Sie es nicht noch­mals mit Ih­rem Ta­schen­ge­rät? NEW­TONS Ver­hal­tens­wei­se könn­te sich durch den Start ge­än­dert ha­ben.«

Ich wink­te ab.

»Sie soll­ten bes­ser wis­sen als ich, wie zweck­los es ist, ge­gen die Über­la­ge­rungs­im­pul­se ei­nes viel stär­ke­ren Ag­gre­gats die­ser Art an­ge­hen zu wol­len. Ah­nen Sie, was mich viel mehr über­rascht?«

Fra­mus run­zel­te die Stirn. Aus den Laut­spre­chern drang Do­gen­dals Stim­me. Er be­sprach mit La­her­ty die Ein­zel­hei­ten der Aus­schleu­sung.

»Ich ver­mu­te es«, warf An­ne Bur­ner ein. »Mo­ment – hat je­mand ei­ne Zi­ga­ret­te für mich? Ih­re wag­hal­si­gen Un­ter­neh­men ge­hen mir all­mäh­lich auf die Ner­ven.«

»Sie soll­ten ab­neh­men«, feix­te Han­ni­bal. Er be­kam wie­der Ober­was­ser. »Fett­lei­bi­ge Men­schen wie Sie lau­fen im­mer Ge­fahr, von ei­nem Schlag oder zer­rei­ßen­den Ner­ven­fa­sern da­hin­ge­rafft zu wer­den. Das ist me­di­zi­nisch ein­wand­frei, hm …«

An­ne schau­te un­will­kür­lich an ih­rer as­ke­ti­schen Fi­gur hin­ab. An­schlie­ßend be­kam der Zwerg einen Blick zu­ge­wor­fen, wie ihn ei­gent­lich nur Frau­en ver­schi­cken kön­nen.

»Me­di­zi­ni­sche Ko­ry­phä­en wie Sie bra­te oder rös­te ich be­son­ders gern«, mein­te sie da­nach. »Ma­chen Sie sich auf al­ler­lei ge­faßt, Ma­jor MA-23!«

»Was woll­ten Sie sa­gen, klu­ges Mäd­chen?« warf ich ein. »Es ge­hört hof­fent­lich zur Sa­che.«

»Des­sen kön­nen Sie si­cher sein. Sie be­wegt die Fra­ge, warum der so­gh­mo­li­sche Kreu­zer­kom­man­dant so lan­ge war­te­te, bis er sei­nen Groß­ko­da­tor ein­setz­te, nicht wahr?«

»Un­ter an­de­rem.«

»Ja, ich weiß. Dar­über hat­ten wir be­reits ge­spro­chen und den Schock ein­kal­ku­liert. Sie wol­len al­so pri­mär wis­sen, was der Frem­de über der Ve­nus such­te oder sucht. Un­se­re TI­TA­NIC dürf­te mehr oder we­ni­ger zu­fäl­lig sei­nen Kurs ge­kreuzt ha­ben.«

»Stimmt.«

Sie mus­ter­te mich nach­denk­lich und nick­te.

»Bin ich rich­tig un­ter­rich­tet, daß Sie an­läß­lich ei­nes noch ge­heim­ge­hal­te­nen Ein­sat­zes auf der Ve­nus wa­ren und dort mit ei­nem wei­te­ren Kom­man­do­ro­bo­ter Kon­takt auf­neh­men konn­ten?«

Sie kam mei­nen Über­le­gun­gen im­mer nä­her.

»Ich war dort, aber ei­ne di­rek­te Ver­bin­dung zwi­schen Han­ni­bal, mir oder dem dor­ti­gen Po­sitro­nik­ge­hirn kam nicht zu­stan­de. Wir wa­ren ge­wis­ser­ma­ßen Gäs­te ei­nes ir­di­schen Wis­sen­schaft­lers na­mens Pro­fes­sor Ho­ra­tio-Nel­son Bridge­man. Von ihm er­hiel­ten wir üb­ri­gens un­se­re In­di­vi­du­al­schutz­schirm­pro­jek­to­ren. Er gab sein ver­bre­che­ri­sches Vor­ha­ben im letz­ten Au­gen­blick zu­guns­ten der Mensch­heit auf.«

»Ach, Ihr Herr Kol­le­ge war auch da­bei? Wenn er dort ge­dul­det wur­de, und sei es auch nur der Schirm­herr­schaft die­ses Bridge­man zu ver­dan­ken ge­we­sen, dann soll­ten Sie Ihr Vor­ha­ben durch­füh­ren.«

Han­ni­bal jag­te wie ei­ne Klein­ra­ke­te durch die Zen­tra­le. Er riß den Arm nach oben und fuch­tel­te An­ne mit dem Zei­ge­fin­ger vor der Na­se her­um.

»Soll das ei­ne Be­lei­di­gung ge­we­sen sein?« trom­pe­te­te er. »Viel­leicht ge­hen Sie das nächs­te Mal mit? Der Ve­nus­ro­bo­ter ist mu­si­ka­lisch und spielt Xy­lo­phon. Wenn er Ih­re Rip­pen sieht, ver­fällt er in einen Rausch­zu­stand und macht, was wir wol­len. Von we­gen ›ich wur­de dort ge­dul­det‹! Bei mei­nem An­blick hat er einen Be­wun­de­rungs­knick in der Haupt­lei­tung be­kom­men, oder wol­len Sie das ab­strei­ten?«

Ich wink­te Bo­ris Pe­tron­ko zu. Der über zwei Me­ter ho­he Gi­gant – er trug sei­ne furcht­ein­flö­ßen­de Mas­ken­hül­le – stampf­te auf Han­ni­bal zu.

Der Zwerg schloß die wuls­ti­gen Lip­pen, räus­per­te sich und stol­zier­te da­von. Bo­ris, un­ser »Moohr­ko-Un­ge­heu­er«, schal­te­te sei­ne Ver­zer­rungs-Sprech­an­la­ge ein und lach­te. Es klang schau­er­lich.

»Okay«, emp­fing ich Han­ni­bals Te­le­pa­thi­eim­puls. »Ich ha­be die an­ge­spann­ten Ner­ven un­se­rer Ak­teu­re nor­ma­li­siert. So­lan­ge sie grin­sen, ha­ben sie auch ih­re Sin­ne bei­ein­an­der.«

»Das nächs­te Mal bit­te we­ni­ger dra­ma­tisch«, for­der­te ich un­wil­lig. »An­ne ist mir zu scha­de für dei­ne Spä­ße.«

»Ei­ner muß halt drun­ter lei­den. An­ne ist ein un­schul­di­ges, aber bes­tens ge­eig­ne­tes Op­fer. Und das weiß sie auch! Sie spielt mit. Schau dir ih­re la­chen­den Au­gen an. Üb­ri­gens – Ki­ny sitzt be­reits in dem TES­CO-Jä­ger. May­koft und ich ho­len sie an Bord.«

Ich schau­te zu der Psy­cho­lo­gin hin­über und nick­te ihr zu.

Als sie lach­te, wuß­te ich, daß der Klei­ne rich­tig ver­mu­tet hat­te. Sein selt­sa­mes Psy­cho­ex­pe­ri­ment war ge­lun­gen. Die Span­nung un­ter den Män­nern hat­te sich ab­ge­baut.

 

 

3.

 

»… auf kei­nen Fall. Le­dig­lich Frem­dim­pul­se al­ler Art an­mes­sen. Kei­ne ei­ge­nen Tas­te­rechos aus­schi­cken, gleich­gül­tig ob auf ir­di­scher Fu­MO-Ba­sis oder auf mar­sia­ni­schen Hy­per­fre­quen­zen«, lehn­te ich Do­gen­dals An­fra­ge ab. Sein Ge­sicht ver­schwand vom Bild­schirm. Ich schau­te auf den Zeit­mes­ser. Es war 12.32 Uhr am 26. Ok­to­ber 2010.

Den Mar­sor­bit hat­ten wir nach der Über­nah­me der Mu­tan­tin Ki­ny Ed­wards vor zir­ka acht­zehn Stun­den ver­las­sen.

Vier Stun­den spä­ter hat­ten wir von ei­ner weit ent­fern­ten und da­her ab­hör­si­che­ren Po­si­ti­on aus mit dem Haupt­quar­tier der GWA Hy­per­dim­kon­takt auf­ge­nom­men.

Re­ling hat­te uns we­der hel­fen noch be­ra­ten kön­nen. Die letz­ten Nach­rich­ten über den Schwe­ren Kreu­zer der KAS­HAT-Klas­se stamm­ten von der Be­sat­zung der TI­TA­NIC.

Nach­dem die durch ih­re ato­ma­re Ex­plo­si­on er­zeug­te Gas­wol­ke im frei­en Raum ver­weht war, hat­ten die ir­di­schen Be­ob­ach­tungs­sta­tio­nen kei­ne wei­te­ren Hin­wei­se auf die Tä­tig­keit des al­ten Mar­s­kreu­zers auf­zeich­nen kön­nen.

Wir wa­ren mit der »1418« nach ei­nem für mar­sia­ni­sche Be­grif­fe »ge­mäch­li­chen« Flug ge­gen zehn Uhr des nach­fol­gen­den Ta­ges na­he der Ve­nus ein­ge­trof­fen.

Un­se­re auf über­licht­schnel­ler Ba­sis ar­bei­ten­de Fern­se­hor­tung hat­ten wir nach ei­ner halb­stün­di­gen In­ten­siv­be­ob­ach­tung der um­lie­gen­den Raum­sek­to­ren ab­ge­schal­tet.

Die Or­tungs- und Ein­pei­lungs­ge­fahr war enorm groß.

Noch vor we­ni­gen Mo­na­ten hät­ten wir uns sorg­lo­ser ver­hal­ten und voll auf die Wun­der mar­sia­ni­scher Tech­nik ver­traut. In­zwi­schen wa­ren wir er­fah­re­ner und vor­sich­ti­ger ge­wor­den.

Man schi­en nichts leich­ter an­mes­sen und au­ßer­dem harr­ge­nau ein­pei­len zu kön­nen als einen mar­sia­ni­schen Hy­per­dim­sen­der, gleich­gül­tig ob er im Vi­deo­ver­kehr, auf rei­ner Sprech­ba­sis oder als Echo­re­flex­tas­ter ver­wen­det wur­de.

Phy­si­ka­lisch ge­se­hen, das be­haup­te­ten we­nigs­tens Al­li­son und Nis­hi­mu­ra, muß­ten der­art hef­ti­ge und di­men­si­ons­frem­de Schwin­gun­gen tat­säch­lich viel leich­ter fest­stell­bar sein als un­se­re ein­fach-licht­schnel­len Ra­da­rim­pul­se.

Sie stell­ten in­ner­halb un­se­res von zahl­lo­sen Ener­gie­bah­nen durch­zo­ge­nen Son­nen­sys­tems we­der ei­ne räum­lich über­ge­ord­ne­te We­sens­ein­heit dar, noch wa­ren sie in ih­rem Schwin­gungs­be­reich sel­ten.

Die »1418« ver­füg­te je­doch über ein zwei­tes Er­kun­dungs­sys­tem, das nicht we­ni­ger zu­ver­läs­sig war als ih­re Über­licht­tas­ter.

Die ei­gen­tüm­li­chen Bild­schir­me der Or­tungs­zen­tra­le zeich­ne­ten den Pla­ne­ten Ve­nus in vie­ler­lei For­men.

Wir sa­hen so­gar, ob die auf der Ober­flä­che to­ben­den San­dor­ka­ne sehr heiß, we­ni­ger heiß oder nur lau­warm wa­ren.

Das Gra­vi­ta­ti­ons­bild war hell­blau ge­färbt. Die Ma­gnet­fel­der des Him­mels­kör­pers ho­ben sich ocker­gelb ab.

Wei­te­re Dar­stel­lun­gen, bei­na­he gra­phisch an­mu­tend, be­zeich­ne­ten in meh­re­ren hun­dert Farb­nu­an­cie­run­gen na­tür­li­che Ele­ment­vor­kom­men tief un­ter dem Bo­den.

Ei­ne Dar­stel­lung war be­son­ders in­ter­essant! Sie be­traf die nord­po­la­re Re­gi­on des zwei­ten Sol­pla­ne­ten.

Hell- bis dun­kel­ro­te Farb­fle­cken, scharf be­grenzt und kei­nes­wegs ver­wa­schen wir­kend wie we­ni­ger wich­ti­ge Meß­an­zei­gen, ver­rie­ten den Stand­ort des großen Ve­nus­ge­hirns.

Von ihm wuß­ten wir fast nichts! Als Han­ni­bal und ich dort ge­lan­det wa­ren, hat­ten wir au­ßer leuch­ten­den Kup­peln und ei­nem lan­gen Gang kaum et­was be­merkt.

Wir konn­ten nicht ein­mal ab­schät­zen, ob die­se ur­al­ten Mars­an­la­gen ge­nau­so wehr­haft wa­ren wie ZON­TA auf dem Mond oder NEW­TON auf dem Mars.

Fest stand al­ler­dings, daß die Ve­nus­bun­ker eben­falls Ver­tei­di­gungs­an­la­gen und einen steu­ern­den Groß­ro­bo­ter be­sa­ßen.

Wir wuß­ten fer­ner aus Bridge­mans Er­klä­run­gen, daß der Ve­nus­stütz­punkt vor 187.000 Jah­ren stren­ger Ge­heim­hal­tung un­ter­le­gen hat­te.

Er war ein Do­mi­zil für be­son­ders hoch­ste­hen­de und ein­fluß­rei­che Mar­sia­ner ge­we­sen, die es aus ir­gend­wel­chen Grün­den nicht für rat­sam ge­hal­ten hat­ten, das Son­nen­sys­tem zu ver­las­sen, um weit drau­ßen in der Ga­la­xis vor den an­grei­fen­den De­ne­bern Schutz zu su­chen.

Vie­le an­de­re Mar­sia­ner hat­ten es ge­tan. Das be­wies das Er­schei­nen der So­gh­mo­ler, die of­fen­kun­dig von sol­chen Flücht­lin­gen ab­stamm­ten. Al­ler­dings wa­ren sie im Ver­lauf der lan­gen Zeit mu­tiert oder mo­di­fi­ziert.

Für uns war es in­ter­essant, zu wis­sen, daß die al­te Ve­nus­fes­tung we­gen der ho­hen wirt­schaft­li­chen, mi­li­tä­ri­schen und po­li­ti­schen Be­deu­tung der Flücht­lin­ge einen Son­der­sta­tus er­hal­ten hat­te.

Bridge­man, da­mals der her­vor­ra­gends­te Spe­zia­list für Mars­fra­gen, hat­te kurz vor sei­nem To­de be­haup­tet, in den Ve­nus­de­pots hät­te man sei­ner­zeit die ge­heims­ten Neu­ent­wick­lun­gen der mar­sia­ni­schen Tech­no­lo­gie und Wis­sen­schaft ein­ge­la­gert. Es hand­le sich um Din­ge, die kei­nem »Nor­mals­terb­li­chen« je­mals zu­gän­gig oder be­kannt ge­we­sen wä­ren.

Das er­öff­ne­te er­staun­li­che Aspek­te, zu­mal wir wuß­ten, daß die so­zia­le Kluft zwi­schen den herr­schen­den Mar­sia­nern und der brei­ten Volks­mas­se sehr tief ge­we­sen war.

Kein Nor­mal­ge­bo­re­ner hat­te in die herr­schen­de Schicht ein­drin­gen kön­nen; auch dann nicht, wenn er in­fol­ge be­son­de­rer Ver­diens­te Ad­mi­ral der Flot­te ge­wor­den war.

Er hat­te be­feh­len und für den Mars ster­ben dür­fen; aber der Weg in die Pa­läs­te war ihm eben­so ver­schlos­sen ge­we­sen wie ei­nem ein­fa­chen Raum­sol­da­ten.

Die­se Din­ge stimm­ten mich nach­denk­lich. Sie lie­ßen die Ver­mu­tung zu, daß die Flucht­fes­tung un­vor­stell­ba­re Schät­ze ent­hielt.

Wenn wir einen zu­frie­den­stel­len­den Kon­takt mit dem Ro­bot­kom­man­deur der Ve­nus her­stel­len konn­ten, wür­den wir je­doch kei­ne Gold- oder Edel­stein­vor­rä­te fin­den. Die ir­di­sche Vor­stel­lung über Kost­bar­kei­ten brauch­te durch­aus nicht iden­tisch mit der mar­sia­ni­schen zu sein.

Wir wuß­ten zu we­nig über den al­ten Mars, um ver­mu­ten zu kön­nen, was für sei­ne in­tel­li­gen­ten Be­woh­ner wirk­lich er­stre­bens­wert ge­we­sen war. Un­ter Um­stän­den – so be­haup­te­te Han­ni­bal – hat­ten sie den Pelz ei­nes ir­di­schen Sä­bel­zahn­ti­gers hö­her be­wer­tet als ei­ni­ge Ki­lo­gramm Fein­gold.

»Je­de Wet­te, daß es so war«, über­rasch­te mich Utan mit ei­ner über­fall­ar­ti­gen Te­le­pa­thienach­richt. »Ja, ver­giß es, ich ha­be wie­der in dei­nen Ge­dan­ken her­um­ge­schnüf­felt. Das ist aber vor­teil­haft, großer Stra­te­ge! Du brauchst je­mand, der dir auf die Sprün­ge hilft. Al­li­son saust wie­der her­um wie ein Erd­be­ben­ge­schä­dig­ter auf der Su­che nach dem Er­satz­ge­biß. Ich …«

Ein La­chen auf Psi-Ebe­ne un­ter­brach Han­ni­bals Im­pulss­trom. Ki­ny hat­te mit­ge­hört und sich un­ge­wollt ein­ge­schal­tet.

»Oh, Ver­zei­hung«, bat sie. »Ich zie­he mich so­fort wie­der zu­rück.«

»Wenn das der Wur­zelzwerg eben­falls be­her­zi­gen woll­te, wä­re es schön«, be­schwer­te ich mich. »Ru­he jetzt, Klei­ner, sonst ver­lie­re ich end­gül­tig die Ge­duld.«

»Ach! Et­wa mit mir?«

»Du denkst wei­se Wor­te. Kon­zen­trie­re dich ge­fäl­ligst auf die Um­ge­bung, auch wenn sie dir leer er­schei­nen mag. So­gh­mo­ler sind zwar nicht te­le­pa­thisch zu be­lau­schen, aber ih­re Hirn­im­pul­se kann man spü­ren; so­gar über wei­te Stre­cken.«

»Was glaubst du, warum ich mich in dei­ne Über­le­gun­gen ein­ge­schal­tet ha­be? Wir fin­den nichts. Die Ker­le sind ver­schwun­den. Un­ten auf der Ve­nus gibt es kein le­ben­des Ge­hirn.«

»Ich be­stä­ti­ge die Mel­dung«, teil­te Ki­ny mit.

»Gut, vie­len Dank. Ich …«

»Er gibt sich wie­der wohl­er­zo­gen«, ki­cher­te Han­ni­bal. »Vie­len Dank, gön­ner­haft aus­ge­spro­chen von Sei­ner Ver­klärt­heit, Tu­madschin-Khan. Großer, denkst du noch an dei­ne Ti­tu­la­tur? Ein eis­kal­ter Welt­raum­herr­scher wie du; ei­ner, der sei­nem Lieb­lings­sau­ri­er Blaue Zwer­ge zum Fraß vor­wer­fen läßt, soll­te blitz­schnell han­deln.«

»Ich ha­be dar­an ge­dacht, al­ler­dings mit ei­nem vor dei­ner Spio­na­ge ab­ge­schirm­ten Ge­hirn«, ent­geg­ne­te ich iro­nisch. »Klei­ner, die­se Tat­sa­che ist längst ein­ge­plant. An die klei­nen Leu­te von Pla­ne­ten Ba­wa­la V kann ich mich eben­falls er­in­nern. Du soll­test in­fol­ge­des­sen nicht fra­gen, ob ich sie ins Kal­kül mit ein­be­zo­gen ha­be.«

Han­ni­bal lach­te er­neut. Es er­zeug­te ein selt­sa­mes Vi­brie­ren in mei­nem ak­ti­vier­ten Hirn­sek­tor.

Zu ei­ner Ant­wort kam er nicht mehr. Dr. Fra­mus G. Al­li­son be­weg­te sich wie ei­ne Mo­tor­wal­ze durch die Zen­tra­le.

Sei­ne hef­tig ges­ti­ku­lie­ren­den Ar­me ver­rie­ten mir, daß er ei­ne neue Idee aus­ge­brü­tet hat­te, und sein ge­röte­tes Ge­sicht ließ kei­nen Zwei­fel dar­an, daß er ent­schlos­sen war, ein be­stimm­tes Vor­ha­ben durch­zu­set­zen.

An­ne Bur­ner folg­te ihm auf dem Fuß. Nis­hi­mu­ra stand noch vor sei­nem hoch­wer­ti­gen Kom­pakt­rech­ner und ver­such­te, ihn mit der mar­sia­ni­schen Bord­po­sitro­nik zu syn­chro­ni­sie­ren. Ei­ni­ge Ma­le war das schon ge­lun­gen, aber da­bei hat­te es sich um kos­mo­nau­ti­sche Auf­ga­ben­be­rei­che ge­han­delt.

»Kon­nat, hö­ren Sie«, sprach mich Fra­mus leb­haft an.

Bei Auf­trit­ten die­ser Art pfleg­te er skur­ril wir­ken­des Ide­en­gut preis­zu­ge­ben. In­fol­ge­des­sen fand er bei Leu­ten, die ihn we­ni­ger gut kann­ten als ich, grund­sätz­lich kein Ge­hör. Er hat­te sich we­gen sei­nes un­or­tho­do­xen Be­neh­mens schon man­che Sym­pa­thi­en ver­scherzt.

Er rüt­tel­te mich an den Schul­tern und at­me­te er­regt.

»Fra­mus, Sie stin­ken wie­der«, be­gehr­te ich auf. »Wie ma­chen Sie das nur? Wir ha­ben ge­nug Frisch­was­ser und au­ßer­dem ei­ne Re­ge­ne­rie­rungs­an­la­ge an Bord, die aus fau­li­ger Me­than­gas-Schlamm­brü­he kris­tall­kla­res Quell­was­ser macht. Las­sen Sie mei­nen Arm los!«

»Ich ha­be die Lö­sung!« schrie er mir aus nächs­ter Nä­he ins Ohr. »Hö­ren Sie mir doch zu! Wir müs­sen hin­un­ter.«

Er deu­te­te mit dem Dau­men über die Schul­ter. Mir wur­de klar, daß er dort ir­gend­wo den Pla­ne­ten Ve­nus ver­mu­te­te.

»Hin­un­ter«, wie­der­hol­te er mit dröh­nen­der Stim­me. »Die TI­TA­NIC ist den So­gh­mo­lern tat­säch­lich zu­fäl­lig über den Weg ge­kro­chen. Ent­kom­men konn­te sie nicht.«

»Klar, nach dem letz­ten Wol­ken­bruch war er ver­sumpft. Der Weg!« warf Han­ni­bal ein. »Da drau­ßen gießt es ja dau­ernd.«

Al­li­son starr­te un­will­kür­lich auf die Bild­schir­me. Sie zeig­ten nichts an­de­res als die Schwär­ze des Wel­ten­raums. Weit weg, von der Nor­ma­l­op­tik nur als ball­großer Leucht­punkt ein­ge­fan­gen, zog die Ve­nus auf ih­rer Or­bit­bahn um die Son­ne.

»Wer­fen Sie den Zwerg über Bord, oder ich ver­wen­de ihn als Loch­strei­fen­pro­gramm«, droh­te Fra­mus. Er hat­te sei­nen Hu­mor ver­lo­ren.

»Kon­nat, ich mei­ne es ernst. Die So­gh­mo­ler ha­ben sich nicht grund­los zur Ve­nus ge­wandt. Sie wuß­ten, wie ge­fähr­lich das für sie wer­den kann. Sie, Kon­nat, gel­ten zwar nicht mehr als Dr. Nang-Tai, aber für die So­gh­mo­ler sind Sie nach wie vor ein Ab­trün­ni­ger und An­ar­chist. Die­ser Auf­tritt ist, wie ich zu­ge­ben muß, noch bes­ser durch­dacht als das Nang-Tai-Schau­spiel.«

»Kom­men Sie zur Sa­che, Fra­mus. Ich möch­te mit dem Haupt­quar­tier Kon­takt auf­neh­men.«

Er schlug mir mit sei­ner kräf­ti­gen Hand auf den Rücken und lach­te mich an.

»Groß­ar­tig, Kon­nat! Sie kön­nen al­so noch den­ken. Das woll­te ich ge­ra­de vor­schla­gen. Un­se­re schar­fe Richt­strahl­sen­dung wird nie­mals auf­ge­fan­gen und de­chif­friert wer­den. Fra­gen Sie Re­ling, ob sich un­ter­des­sen die Bar­stru­ler ge­mel­det ha­ben. Das zu wis­sen, ist wich­tig für mein Vor­ha­ben. Ih­re letz­te Po­si­ti­ons­mel­dung kam aus ei­nem Ve­nu­sor­bit. Wo sind sie ge­blie­ben? In­fol­ge ih­rer phan­tas­ti­schen Or­tungs­ge­rä­te und De­fen­siv-Schutz­schir­me ha­ben sie sich be­stimmt nicht aus­ma­chen las­sen. Sie sind beim ers­ten Kon­takt­piep­ser ver­schwun­den, und der Schwe­re Kreu­zer stieß ins Lee­re.«

Ich hol­te tief Luft, schob ihn zur Sei­te und ging auf das Zen­tra­le­schalt­pult zu. Er folg­te mir dicht auf den Fer­sen.

»Den­ken Sie dar­an, daß die über­le­ben­den So­gh­mo­ler erst die Ve­nus an­flo­gen, ehe sie sich an ih­ren Groß­ko­da­tor er­in­ner­ten. Was be­weist das?«

»Gar nichts.«

»Oh, das mei­ne ich aber doch«, trumpf­te er auf. »Man hat­te hier et­was zu er­le­di­gen, was kei­nen Auf­schub dul­de­te. Oder warum – mei­nen Sie – ließ man uns vier Ta­ge lang in Ru­he? So tief kann kein Schock sit­zen. Sie gin­gen auf Si­cher­heit, denn die ›1418‹ stellt trotz ih­rer ge­rin­gen Grö­ße ei­ne ernst­haf­te Be­dro­hung dar. Sie wird einen KAS­HAT-Kreu­zer nie ver­nich­ten kön­nen, aber sie ist schnel­ler, ma­nö­vrier­fä­hi­ger und da­her eben­falls nicht zer­stör­bar. Das heißt – wenn die Zau­ber­lehr­ling-Be­sat­zung auf­paßt! Mein Lie­ber, wir sind für die Her­ren ein stö­ren­der Fak­tor.«

»Das ist mir klar. Nur dar­auf kön­nen wir auf­bau­en.«

»Na al­so, was sa­ge ich denn!« er­klär­te er noch lau­ter. »In die­ser Auf­fas­sung sind wir uns ei­nig! Die Frem­den woll­ten uns mit Hil­fe ih­res Su­per­ge­räts ver­nich­ten las­sen, aber NEW­TON spiel­te nicht mit. Er kam so­gar in einen Pro­gram­mie­rungs­zwie­spalt. Das wis­sen die Her­ren längst! Als wir blitz­ar­tig ver­schwan­den, ging bei de­nen das große Rät­sel­ra­ten los. Man wird ver­mu­ten, daß wir über das Schick­sal der TI­TA­NIC ori­en­tiert sind, denn Sie, Kon­nat, ha­ben glaub­wür­dig be­haup­tet und be­wie­sen, daß Sie zwar ein hoch­ka­rä­ti­ger GWA-Schat­ten sind, aber das Brand­mal des Ver­rä­ters mit sich her­um­tra­gen. Das paßt den So­gh­mo­lern über­haupt nicht, denn da­durch, so muß man ver­mu­ten, sind Sie stets in­for­miert. Und nicht nur das – in­fol­ge Ih­rer Voll­mach­ten kön­nen Sie auch auf die Hilfs­mit­tel ei­ner zwangs­läu­fig ge­ein­ten Mensch­heit zu­rück­grei­fen. Das wird Ih­nen Dr. Bur­ner psy­cho­lo­gisch un­ter­mau­ern kön­nen.«

»Sie ist da­zu be­reit. Al­li­son denkt fol­ge­rich­tig«, be­kräf­tig­te An­ne die Aus­sa­ge.

Ich setz­te mich in den Kom­man­deurs­ses­sel und rief Do­gen­dal an. Er wink­te be­stä­ti­gend und be­gann mit der Her­stel­lung der Richt­strahl­ver­bin­dung zur Er­de.

Sie stand dicht »ne­ben« der Son­ne und war op­tisch schlecht aus­zu­ma­chen. Für die mar­sia­ni­sche Hy­per­dim­ver­bin­dung wür­de das je­doch un­be­deu­tend sein. Mit un­se­rem Nor­mal­funk hät­ten wir bei ei­ner so ex­trem un­güns­ti­gen Kon­stel­la­ti­on zwi­schen Ve­nus und Er­de wohl kaum stö­rungs­frei durch­kom­men kön­nen. Die mäch­ti­gen Gra­vi­ta­ti­ons- und Ma­gnet­fel­der des Mut­ter­ge­stirns hat­ten uns in die­ser Hin­sicht schon man­chen Streich ge­spielt.

»Wir müs­sen auf Ve­nus nach­se­hen, was dort ma­ni­pu­liert wor­den ist«, be­schwor mich Al­li­son.

»Das ist be­stimmt sehr ein­fach, nicht wahr?« fuhr ich ihn an. »Die San­dor­ka­ne hö­ren un­se­ret­we­gen auf zu ra­sen; das schwach ein­fal­len­de Son­nen­licht wird zum strah­len­den Süd­see­tag, und die Gift­gasat­mo­sphä­re hat sich ge­fäl­ligst auf un­se­ren Sau­er­stoff­be­darf um­zu­stel­len. Auch der Ro­bo­therr­scher in der Nord­pol­re­gi­on wird uns selbst­ver­ständ­lich will­kom­men hei­ßen. Al­li­son – ich möch­te vor­erst nichts mehr hö­ren! Ich lan­de auf die­ser Höl­len­welt nur, wenn ich da­zu einen kon­kre­ten Grund ha­be. Der liegt bis jetzt nicht vor.«

Er hol­te tief Luft und dreh­te sich um.

»Willst du wis­sen, was un­ser Ele­fan­ten­ba­by au­gen­blick­lich denkt?« frag­te Han­ni­bal te­le­pa­thisch an. »Er hält dich für einen aus­ge­wach­se­nen Horn­och­sen. Großer, Al­li­son hat viel­leicht recht! Wir soll­ten uns wirk­lich die Ober­flä­che des Pla­ne­ten an­se­hen.«

»Und wo willst du be­gin­nen?«

»Hmm …!«

»Aha! Die ers­te Re­gel ei­nes GWA-Schat­ten lau­tet, erst dann in den ak­ti­ven Ein­satz zu ge­hen, wenn hand­fes­te Un­ter­la­gen vor­lie­gen. Die ha­ben wir bis jetzt nicht, aber ich hof­fe, daß uns die Fach­wis­sen­schaft­ler der GWA wei­ter­hel­fen kön­nen. Oder glaubst du ernst­haft, von die­sen Kön­nern wä­re noch nie­mand auf die Idee ge­kom­men, nach dem Ver­bleib des bar­stru­li­schen Raum­schiffs zu fra­gen? Man wird längst ver­sucht ha­ben, mit Hil­fe des afri­ka­ni­schen Astro­phy­si­kers, Pro­fes­sor Bar­ghe Nohrm, einen funk­tio­nie­ren­den Sprech­funk­kon­takt her­zu­stel­len. Wenn man selbst hilf­los ist, soll­te man sich an Leu­te wen­den, die es er­wie­se­ner­ma­ßen gut mei­nen. Schluß jetzt, Klei­ner. Do­gen­dals Hy­per­strip­pe sta­bi­li­siert sich.«

 

Re­lings eis­graue Haa­re ho­ben sich deut­lich von der Bräu­ne sei­nes mar­kan­ten Ge­sichts ab. Un­ser obers­ter Chef war sicht­lich ge­al­tert, aber sei­ne In­itia­ti­ve hat­te er nicht ver­lo­ren.

Die Ver­bin­dung war aus­ge­zeich­net. An­ders war es auch nicht zu er­war­ten ge­we­sen. Für uns war aber der mar­sia­ni­sche Hy­per­dim­funk noch im­mer ein Buch mit sie­ben Sie­geln.

Der ova­le Groß­bild­schirm zeich­ne­te je­de Nu­an­ce in räum­li­cher Tie­fe, völ­lig na­tur­ge­treue Far­ben und oh­ne Ver­zer­rungs­er­schei­nun­gen. Es war, als stän­den wir Ar­nold G. Re­ling in der Wa­shing­to­ner GWA-Zen­tra­le ge­gen­über.

»Ich hat­te Sie im Ge­gen­satz zu an­de­ren Leu­ten noch nicht ab­ge­schrie­ben, HC-9«, be­ton­te er. Sei­ne Stim­me klang laut und ver­ständ­lich aus der leuch­ten­den Ener­gie­spi­ra­le, die bei die­ser Art ei­ner Funk­ver­bin­dung den Laut­spre­cher er­setz­te.

»Es wur­de je­doch höchs­te Zeit für Ih­re nächs­te Po­si­ti­ons­mel­dung«, fuhr er fort. »Sind Sie si­cher, daß man Ih­ren Richt­strahl nicht an­zap­fen kann?«

Dr. Kenji Nis­hi­mu­ra, der ne­ben mir stand, er­hob Auf­merk­sam­keit hei­schend die Hand.

»Die Mög­lich­keit lä­ge bei eins zu zehn hoch drei­ßig Mil­lio­nen, Sir«, be­ru­hig­te er den Al­ten. »Der Scharf­strahl ver­läßt un­se­re An­ten­nen in der Bün­del­stär­ke ei­nes Schreib­stifts und er­reicht Sie mit ei­nem Ra­di­us von knapp drei Ki­lo­me­tern. Die Au­to­ma­ti­ken fah­ren die RiS-An­ten­ne mit un­vor­stell­ba­ren Feinst­kor­rek­tu­ren nach, sonst wä­re Ihr HQ in­fol­ge der Erd­ge­schwin­dig­keit und der pla­ne­ta­ri­schen Ro­ta­ti­on jetzt schon aus dem Emp­fangs­be­reich aus­ge­wan­dert. Ih­re Ant­wor­ten kom­men auf dem glei­chen Bün­del­strahl zu uns zu­rück, al­ler­dings auf der zwei­ten See­len­pha­se. Wir ha­ben her­aus­ge­fun­den, daß auf die­sem Lei­ter-Bün­del gleich­zei­tig drei­tau­send Vi­deo­ge­sprä­che mit Far­be und drei­di­men­sio­na­lem Räum­lich­keits­ef­fekt lau­fen kön­nen. Bei ei­nem Ver­zicht auf die­se voll­kom­me­ne Ver­bin­dung könn­ten in rei­ner Ge­spräch­form zir­ka acht­zig­tau­send Kon­tak­te her­ge­stellt wer­den und bei ei­ner Mor­se-Durch­ga­be bis zu zwei­hun­dert­tau­send. Wir sind nach mensch­li­chem Er­mes­sen we­der zu or­ten noch ein­zu­pei­len. Ihr HQ-Sen­der stellt kei­ne Ge­fah­ren­quel­le dar; nicht bei ei­ner mög­li­chen Zu­falls­quo­te von eins zu ei­ner Zehn mit drei­ßig Mil­lio­nen Nul­len.«

»So ge­nau woll­te ich das gar nicht hö­ren«, brumm­te Re­ling. Er schi­en an­ge­strengt zu über­le­gen.

»Kon­nat, wapp­nen Sie sich mit Ver­ständ­nis. Sie er­hal­ten hier­mit einen Ein­satz­be­fehl, den ich al­ler­dings nicht so sorg­sam un­ter­mau­ern kann, wie Sie es ge­wohnt sind. Ha­ben Sie an die Bar­stru­ler ge­dacht?«

Ich warf Al­li­son einen iro­ni­schen Blick zu. Sein Ge­sicht rö­te­te sich noch hef­ti­ger, der ab­weh­ren­de Wink un­ter­strich sei­ne be­gin­nen­de Re­si­gna­ti­on.

»Na­tür­lich, Sir. Ich ha­be al­ler­dings auch mit Ih­rer Ak­ti­vi­tät in die­ser Rich­tung ge­rech­net. Da­her mein An­ruf. Wo­hin ha­ben sich die klei­nen Leu­te zu­rück­ge­zo­gen?«

»Wie­der in ei­ne son­nen­na­he Um­lauf­bahn, die je­doch als ›ver­frem­dungs­si­cher‹ be­zeich­net wird. Kön­nen Sie da­mit et­was an­fan­gen?«

Al­li­son konn­te sein Tem­pe­ra­ment nicht mehr zü­geln. Er zwäng­te sich durch die Män­ner der kos­mo­nau­ti­schen Be­sat­zung hin­durch, leg­te sein Kinn auf mei­ne Schul­ter und starr­te in die mar­sia­ni­sche Feld­lin­sen-Auf­nah­me.

»Oh, die Son­ne geht auf«, stöhn­te Re­ling. »Wie­so sind Sie von mei­nen Män­nern noch nicht ge­stei­nigt wor­den, Dok­tor?«

Fra­mus lach­te – fröh­lich und un­be­küm­mert. Ob er ver­ges­sen hat­te, daß es an Bord der »1418« ei­gent­lich nichts zu la­chen gab? Oder hat­ten nur Han­ni­bal und ich nichts zu la­chen?

»Ich be­grü­ße Sie noch herz­li­cher, be­hal­te den In­halt der Wor­te aber für mich, Ge­ne­ral«, be­gann Fra­mus laut­stark. »Über­zeu­gen Sie die­sen Dick­schä­del mit der Ko­de­num­mer HC-9, daß die Lö­sung des Fal­les auf der Ober­flä­che der Ve­nus zu su­chen ist. Im frei­en Raum kom­men wir nicht wei­ter. Hier kön­nen wir bes­ten­falls Hie­be er­hal­ten. Oder hal­ten Sie mein Ver­lan­gen eben­falls für tö­richt?«

»Seit wann drücken Sie sich ge­wählt aus? Kon­nat, ha­ben Sie dem Herrn et­was in den Kaf­fee ge­träu­felt?«

»Von we­gen Kaf­fee«, schrie Han­ni­bal da­zwi­schen. Der Al­te hat­te ihm un­vor­sich­ti­ger­wei­se ein Stich­wort ge­ge­ben. »Den hat Ihr GWA-ei­ge­ner Mond-Ober­schim­pan­se ver­ges­sen ein­zu­pa­cken.«

Ich hielt die Luft an, aber der Al­te nahm Han­ni­bals Be­schwer­de ge­las­sen ent­ge­gen.

»Da kann man nichts ma­chen, MA-23. Sie wer­den um­ge­hend einen Hop­ser zur Ve­nus ma­chen. Ver­ständ­lich aus­ge­drückt, heißt es, daß ich Al­li­sons Mei­nung tei­le. Sie wer­den lan­den.«

Han­ni­bal leg­te den Kopf in den Nacken, schluck­te ver­nehm­lich und er­klär­te fei­xend:

»Wenn Sie ge­dacht ha­ben, mir blie­be die Spu­cke weg, dann sind Sie ei­nem Irr­tum un­ter­le­gen. Ich woll­te so­wie­so hin­un­ter.«

»Hat man nä­he­re Da­ten?« er­kun­dig­te ich mich be­un­ru­higt. »Sir, Ih­re Be­ra­ter soll­ten wis­sen, was uns auf dem Or­kan­pla­ne­ten er­war­tet.«

»Da­für sind Sie aus­ge­rüs­tet. Die Bar­stru­ler ha­ben sich ge­mel­det. Sie ha­ben nicht nur den an­flie­gen­den Kreu­zer ge­or­tet, son­dern auch die Ver­nich­tung der TI­TA­NIC be­ob­ach­tet.«

»Aber ein­grei­fen woll­ten Sie nicht?«

Er be­weg­te be­dau­ernd die Hän­de. Sei­ne Stim­me klang von nun an bei­na­he ge­fühl­voll. Das war die al­te Re­ling-Me­tho­de, wenn er an­de­ren Leu­ten zu­mu­te­te, in den nächs­ten Stun­den und Ta­gen Kopf und Kra­gen zu ris­kie­ren.

»Sie soll­ten wis­sen, daß die In­tel­li­gen­zen von Bar­strul rein de­fen­siv ein­ge­stellt sind. Sie be­sit­zen ein­ma­li­ge An­tior­tungs-Schir­me und vollen­de­te Be­ob­ach­tungs­ge­rä­te, aber kei­ne Of­fen­siv­waf­fen. Sie konn­ten nicht ein­grei­fen. Ih­re Stär­ke liegt im Rück­zug, in der ge­nia­len Tar­nung und im schnel­len Aus­wei­chen. An­dern­falls wür­den sie längst nicht mehr exis­tie­ren. Ver­ges­sen Sie fer­ner nicht, daß die Bar­stru­ler noch im­mer an Ihr Mär­chen vom all­mäch­ti­gen Tu­madschin-Khan glau­ben. Kon­nat, Sie gel­ten der­zeit als be­voll­mäch­tig­ter Ver­tre­ter die­ses Welt­raum­herr­schers im Be­reich des ir­di­schen Son­nen­sys­tems. Sie müs­sen die Rol­le we­nigs­tens so­lan­ge wei­ter­spie­len, bis die so­gh­mo­li­sche Ge­fahr ge­bannt ist. Erst dann kön­nen wir es wa­gen, die Bar­stru­ler auf­zu­klä­ren und sie un­se­rer­seits um Hil­fe zu er­su­chen.«

Ich lach­te hu­mor­los auf.

»Das ist ein schä­bi­ges Ex­pe­ri­ment, Chef. Die Bar­stru­ler sind zu uns ge­kom­men, um ih­rer­seits Hil­fe zu fin­den.«

»Die wir ih­nen im Rah­men un­se­rer tech­ni­schen Mög­lich­kei­ten in vol­lem Um­fan­ge ge­wäh­ren wer­den. Mehr kön­nen wir nicht tun. Wir ar­bei­ten zur Zeit ei­ne denk­bar er­schei­nen­de Kom­pro­miß­lö­sung aus. Der wich­tigs­te Fak­tor bei die­ser Rech­nung ist die ta­del­lo­se Funk­ti­on Ih­res Ta­schen­ko­da­tors.«

»Ich ver­ste­he. Um das er­rei­chen zu kön­nen, müs­sen die So­gh­mo­ler mit­samt ih­rem KAS­HAT-Kreu­zer ver­schwin­den.«

»Das ist Ih­re Auf­ga­be. Wir über­spie­len Ih­nen im Raf­fer­text al­le HQ-Aus­wer­tun­gen. Sie fin­den ei­ne enor­me Da­ten­fül­le. Je­des De­tail ba­siert auf den zu­ver­läs­si­gen bar­stru­li­schen Nach­rich­ten. Die So­gh­mo­ler sind ein­deu­tig auf Ve­nus ge­lan­det, und zwar na­he der Nord­pol­re­gi­on.«

»Der Er­folg …?« frag­te ich er­regt.

»Hö­ren Sie doch zu«, wies er mich un­wil­lig zu­recht. »Un­ser Funk­kon­takt kann nicht stun­den­lang auf­recht­er­hal­ten wer­den. Ich traue ihm trotz der drei­ßig Mil­lio­nen Nul­len nicht. Die Bar­stru­ler be­haup­ten, es sei der Kreu­zer­be­sat­zung trotz Groß­ko­da­tor-Ein­satz nicht ge­lun­gen, den ro­bo­ti­schen Ve­nus­kom­man­deur zum Öff­nen sei­ner Ener­gie­pfor­ten zu be­we­gen. Er muß – ich be­to­ne ›muß‹ – an­ders rea­gie­ren als NEW­TON oder ZON­TA. Das kann mit ei­ner grund­ver­schie­de­nen Pro­gram­mie­rung er­klärt wer­den, die nach Auf­fas­sung un­se­rer Ex­per­ten auf die Be­lan­ge der ge­sell­schaft­lich hoch­ste­hen­den Mars­flücht­lin­ge in die­sem Un­ter­kunfts­be­reich ab­ge­stimmt war. Das wird Ih­nen Dr. Bur­ner be­stä­ti­gen.«

Ich sah mich et­was fas­sungs­los um. Re­lings Er­klä­run­gen wa­ren so fol­gen­schwer, daß so­gar Al­li­son sei­nen Op­ti­mis­mus ver­lor. Der für ihn anor­ma­le Zu­stand hielt aber nur we­ni­ge Se­kun­den an. Er fand schnel­ler die Spra­che wie­der, als es mir lieb war.

»Wie lan­ge stand der Kreu­zer auf dem Pla­ne­ten?« er­kun­dig­te er sich. »Doch be­stimmt nicht vol­le vier Ta­ge un­se­rer Zeit­rech­nung?«

»Et­was mehr als drei­ein­halb Ta­ge, Doc.«

Re­lings Ge­sicht spann­te sich. Als er schließ­lich sein be­rüch­tig­tes Lä­cheln zeig­te, wuß­te ich, daß der Ein­satz in die­ser Form nicht mehr ab­zu­wen­den war; es sei denn, wir hät­ten ge­meu­tert.

»Drei­ein­halb Ta­ge«, wie­der­hol­te Fra­mus nach­denk­lich. »Das stimmt mit mei­nen Hy­po­the­sen über­ein, Sir. Man be­schäf­tig­te sich ei­ni­ge Zeit, um an­schlie­ßend zu star­ten, im Vor­beiflug die zu­fäl­lig auf­tau­chen­de TI­TA­NIC zu ver­nich­ten und Kurs auf den Mars zu neh­men. Nur ei­ne Stun­de spä­ter brach NEW­TON den di­plo­ma­ti­schen Kon­takt mit uns ab.«

»Nicht übel ge­spro­chen«, schmun­zel­te Re­ling.

»So war es aber! Der Groß­ko­da­tor be­gann zu ar­bei­ten. Al­so hat man be­wußt auf ei­ne frü­he­re An­wen­dung des Ge­räts ver­zich­tet. Dar­aus er­gibt sich die Fra­ge, was man auf der Ve­nus für wich­tig ge­nug hielt, um uns ei­ne Gna­den­frist von zir­ka vier Ta­gen ein­zuräu­men. Das hät­te für die So­gh­mo­ler durch­aus un­an­ge­nehm wer­den kön­nen – und das müs­sen sie ge­wußt ha­ben! Wie ich Sie ken­ne, ha­ben Sie sinn­ent­spre­chen­de Fra­gen an die Bar­stru­ler ge­rich­tet, oder?«

»Selbst­ver­ständ­lich. Sie or­te­ten ei­gen­tüm­li­che Ener­gie­echos, mehr nicht. Se­hen Sie sich un­se­re Aus­wer­tun­gen an. Kon­nat, wir kön­nen Sie von hier aus bes­ten­falls mit Ratschlä­gen und den neues­ten Nach­rich­ten un­ter­stüt­zen. Ich ha­be für den Fall der Fäl­le einen wei­te­ren Ve­nu­s­kreu­zer star­ten las­sen, aber der Kom­man­dant war­tet in si­che­rer Ent­fer­nung die Er­eig­nis­se ab. Einen zwei­ten Ab­schuß wol­len wir un­be­dingt ver­hin­dern. Das Schiff soll nur im ex­tre­men Not­fall ein­ge­setzt wer­den. Es hat einen Hy­per­dim­sen­der an Bord. Mel­den Sie sich erst, wenn Sie kei­nen an­de­ren Weg mehr se­hen und wenn die ›1418‹ aus noch un­be­kann­ten Grün­den nicht hel­fend ein­grei­fen kann. Die Ein­satz­pla­nung über­las­se ich Ih­nen. Ich ma­ße mir nicht an, von der Er­de aus An­wei­sun­gen ge­ben zu wol­len. Sie wä­ren ga­ran­tiert falsch.«

Wir tausch­ten noch ei­ni­ge Ver­mu­tun­gen aus. Un­ter­des­sen lie­fen die stark ge­raff­ten Aus­wer­tungs­er­geb­nis­se ein. Sie wur­den von der Au­to­ma­tik ge­spei­chert und auf Nor­mal­län­ge zu­rück­ge­spielt.

Re­ling en­de­te mit den Wor­ten:

»Hin­ter Ih­nen steht in ers­ter Li­nie die GWA mit all ih­ren Mög­lich­kei­ten und Er­fah­run­gen. Wie sich die Her­ren der In­ter­na­tio­na­len-Ab­wehr­ko­ali­ti­on ver­hal­ten wer­den, ist un­ge­wiß. Ich las­se mich nicht mehr auf lang­wie­ri­ge und letzt­lich frucht­lo­se Be­spre­chun­gen und Be­schluß­fas­sun­gen ein. Ihr Un­ter­neh­men wird zum GWA-Fall er­klärt. Das ver­ant­wor­te ich.«

»Ich küs­se Ih­nen dem­nächst bei­de Spa­zi­er-Duf­ter«, er­klär­te der Zwerg er­leich­tert. »Klein-Ar­nold wird end­lich ver­nünf­tig.«

»Über ›Klein-Ar­nold‹ re­den wir noch, Utan«, ver­sprach der Al­te bei­na­he fei­er­lich. »Ach ja – das woll­te ich noch sa­gen: Kon­nat, da Sie es neu­er­dings vor­zie­hen, den ver­rä­te­rischen und welt­macht­lüs­ter­nen GWA-Ge­ne­ral zu schau­spie­lern, von dem ich Trot­tel na­tür­lich nur das Al­ler­bes­te an­neh­me, wer­den wir auf dem Pla­ne­ten Er­de ein klei­nes Psy­choschau­spiel zur Un­ter­stüt­zung Ih­rer un­ver­schäm­ten Dis­kri­mi­nie­rung mei­ner Per­son star­ten. Ich möch­te, daß die So­gh­mo­ler ver­stärkt den Ein­druck ge­win­nen, Sie kön­nen je­der­zeit auf die mi­li­tä­ri­sche Macht der Mensch­heit zu­rück­grei­fen. Un­mit­tel­bar nach Ab­bruch die­ser Sen­dung wird die Nach­richt von Nang-Tais an­geb­li­chem To­de ver­brei­tet. Ent­spre­chen­de Fil­me – teils echt, teils im Trick – wer­den über World Te­le­vi­si­on aus­ge­strahlt. Sie sind der ruhm­rei­che Held. Ich schät­ze, das wird Ih­nen ge­le­gen kom­men.«

Ich hüs­tel­te pein­lich be­rührt. Bei Han­ni­bal schie­nen die Wor­te des Al­ten Schluck­be­schwer­den ver­ur­sacht zu ha­ben.

Nach­dem Re­ling uns noch ei­ni­ge Se­kun­den be­ob­ach­tet hat­te, schal­te­te er ab.

Ich starr­te auf den ver­blas­sen­den Bild­schirm und frag­te mich er­neut, wel­cher Un­geist mir den Rat ein­ge­flüs­tert hat­te, ein GWA-Schat­ten zu wer­den.

 

 

4.

 

Au­ßer mir schi­en an Bord der »1418« nur Cap­tain Gra­ham G. May­koft nicht be­stürzt zu sein.

Er stand im Hin­ter­grund der Zen­tra­le un­ter ei­nem Kon­troll­bild­schirm. Das grel­le Licht spie­gel­te sich auf sei­ner Stirnglat­ze und hob die Fal­ten in sei­nem har­ten Ge­sicht über­deut­lich her­vor.

Ich hat­te ihn we­gen sei­ner Hal­tung nicht te­le­pa­thisch ge­tes­tet, denn ich wuß­te, warum die­ser al­te, er­fah­re­ne GWA-Mann nicht eben­falls auf mich ein­drang, schnells­tens auf der Ve­nus zu lan­den.

May­koft dach­te ähn­lich wie ich; al­so in den Bah­nen ei­nes ZBV-Schat­tens, der je­de Ge­ge­ben­heit auf ih­ren psy­cho-kri­mi­na­lis­tisch fun­dier­ten Hin­ter­grund ab­zu­wä­gen hat­te.

Han­ni­bal schi­en die­se Re­gel ver­ges­sen zu ha­ben. Er war un­ru­hig, ver­bit­tert und von Zorn er­füllt. Da­zu hat­ten wir auch al­len Grund; zum Zorn und zur Trau­er!

Wir stan­den mit der »1418« in ei­ner 48-Stun­den-Or­bit­bahn über dem zwei­ten Pla­ne­ten des Son­nen­sys­tems.

Vor et­wa zwei Stun­den, um 16:06 Uhr, hat­te ich den be­reits er­teil­ten Lan­dungs­be­fehl wi­der­ru­fen.

Selbst An­ne Bur­ner schi­en mei­ne Ge­dan­ken­gän­ge nicht mehr mit­ver­fol­gen zu kön­nen.

Han­ni­bal hat­te ei­ni­ge Ma­le einen Psi-Über­fall ver­sucht, war aber in­fol­ge mei­ner Kon­stant­blo­cka­de ab­ge­prallt.

Der Grund für die je­der­mann über­ra­schen­de Maß­nah­me wa­ren die Hy­per­dim­not­ru­fe ge­we­sen, die wir um 16:06 Uhr auf­ge­fan­gen hat­ten.

Dies­mal hat­te nicht nur ein Or­tungs­fun­ker sei­ne To­des­angst in die Mi­kro­pho­ne ge­schri­en. Es muß­ten et­wa fünf­zig Mann ge­we­sen sein, die ih­re Vi­si­phon­ge­rä­te gleich­zei­tig auf die bei­den mar­sia­ni­schen Hy­per­dim­sen­der an Bord der La­her­ty-Flot­te ge­schal­tet hat­ten.

Wä­re es nicht so ge­we­sen, hät­ten wir einen sol­chen Stim­men­wirr­warr nie­mals ver­neh­men kön­nen.

Die Not­ru­fe hat­ten knapp drei Mi­nu­ten an­ge­hal­ten – dann war ei­ne töd­li­che Stil­le ein­ge­tre­ten.

Un­se­re Plas­ma­kreu­zer un­ter dem Kom­man­do von Ge­ne­ral­leut­nant Mi­ron La­her­ty hat­ten zu exis­tie­ren auf­ge­hört. Aus den letz­ten Nach­rich­ten ging ein­deu­tig her­vor, daß der Schwe­re Kreu­zer der KAS­HAT-Klas­se über­ra­schend an­ge­grif­fen hat­te.

Un­se­re vierund­sech­zig Plas­ma­schif­fe wa­ren in­ner­halb von drei Mi­nu­ten in den Atom­glu­ten der Mars­ge­schüt­ze zer­platzt.

Der KAS­HAT-Kreu­zer hat­te dem­zu­fol­ge mit dem schnel­len und be­rüch­tig­ten Breit­sei­ten­takt der al­ten Mars­flot­te ge­feu­ert. Gut ab­ge­schirm­te Hoch­ener­gie­ge­schüt­ze konn­ten die­se Schuß­fol­ge bis zu fünf Mi­nu­ten aus­hal­ten, oh­ne we­gen ther­mi­scher Über­las­tung aus­zu­fal­len.

Je nach Men­ta­li­tät hat­ten wir ge­tobt, un­se­re Em­pö­rung her­aus­ge­schri­en, fas­sungs­los auf die Kom­mu­ni­ka­ti­onss­pi­ra­le ge­st­arrt oder ge­weint.

Es war grau­en­haft ge­we­sen, das En­de von vier­tau­sen­dacht­hun­dert Men­schen in­di­rekt mit­er­le­ben zu müs­sen, oh­ne ein­grei­fen zu kön­nen.

Ei­ne hal­be Stun­de spä­ter hat­ten wir über Nor­mal­funk die Aus­wer­tung ei­ner un­se­rer ir­di­schen Raum­sta­tio­nen emp­fan­gen. Die In­for­ma­tio­nen wa­ren in­fol­ge der Mor­se-Schar­f­ab­gren­zung recht gut bis zur Ve­nus durch­ge­kom­men. Re­ling hat­te es nicht ris­kie­ren wol­len, sein Hy­per­dim­ge­rät ein­zu­set­zen.

Uns war be­stä­tigt wor­den, daß La­her­tys Schif­fe im frei­en Raum, weit jen­seits der Mars­bahn, an­ge­grif­fen und mit we­ni­gen Feu­er­schlä­gen ver­nich­tet wor­den wa­ren.

Ich hat­te mei­ne Plä­ne so­fort ge­än­dert. Die »1418« war nicht ge­lan­det. Den Grund für die­se Maß­nah­me schi­en je­doch nur May­koft er­kannt, oder an­nä­hernd rich­tig er­faßt zu ha­ben. Er war ur­sprüng­lich Kri­mi­na­list und ak­ti­ves Mit­glied des CIA ge­we­sen, bis er Mit­te der acht­zi­ger Jah­re zur da­mals ge­grün­de­ten GWA über­trat. Er sah mei­ne Hal­tung mit an­de­ren Au­gen an.

 

»Warum nicht, Kon­nat?« drang Al­li­son auf mich ein. »Sei­en Sie doch nicht so starr­köp­fig! Was wol­len Sie hier im Raum? Die Lö­sung al­ler Er­eig­nis­se liegt auf der Ober­flä­che der Ve­nus.«

»Ich pflich­te Ih­nen bei.«

»Na al­so«, rief er und schlug mit der Faust auf ei­ne Ses­sel­leh­ne. »Das ha­ben Sie jetzt be­reits zwan­zig­mal ge­sagt. Warum rich­ten Sie sich nicht nach Ih­ren Er­kennt­nis­sen? Das ist doch schi­zo­phren!«

»Sie soll­ten einen Mann mit blu­ten­dem Her­zen in Ru­he las­sen, Dok­tor«, klang May­kofts Stim­me auf. »Star­ren Sie mich nicht an, als woll­ten Sie mich in der Luft zer­rei­ßen. Mit ei­nem Jüng­ling Ih­rer Art wird ein lang­jäh­ri­ger GWA-Mann noch im­mer spie­lend fer­tig. Sie las­sen HC-9 nun in Ru­he über­le­gen, ist das klar?«

May­koft mein­te es ernst. Sein Lä­cheln wirk­te un­an­ge­nehm. Sei­ne grau­en Au­gen schie­nen ir­gend­wie ver­eist zu sein. In ei­nem sol­chen Er­re­gungs­zu­stand war der Cap­tain ge­fähr­li­cher als ein Raub­tier.

Han­ni­bal, in Wirk­lich­keit ein aus­ge­zeich­ne­ter Psy­cho­lo­ge, ret­te­te die Si­tua­ti­on auf sei­ne Art.

»Hin­set­zen, Sie ve­nu­si­scher Fett­schlamm­bei­ßer! Wenn Sie ge­nia­le Ge­dan­ken­gän­ge nicht be­grei­fen, sind sie noch lan­ge nicht falsch. Zwei plus zwei muß auch nicht vier er­ge­ben – be­haup­tet der Ul­tra­men­gen­leh­re-Ar­tist Reg J. Stea­mers.«

»Ach! Das er­gibt bei Ih­nen wohl drei oder fünf, wie?« schrie Al­li­son er­regt. »Hö­ren Sie …«

»Kei­ne Be­lei­di­gun­gen, Di­cker, oder ich wer­de zum Tor­na­do«, un­ter­brach der Gnom mit be­acht­li­cher Laut­stär­ke. Al­li­son ver­stumm­te.

»Ich, der eh­ren­wer­te MA-23, stel­le zwei tro­cken­ge­pu­der­te Trot­tel nach links und zwei nach rechts. Wenn Sie aber den­ken, das er­gä­be vier feucht­ge­pu­der­te Trot­tel, ir­ren Sie sich ge­wal­tig! Nach Stea­mers Leh­re bringt das ge­nau einen schwit­zen­den Al­li­son und kei­nen Krü­mel Fett mehr.«

Un­ser Hy­per­phy­si­ker ver­lor die Be­herr­schung. Ehe er sich je­doch auf Han­ni­bal stür­zen konn­te, wur­de er von Bo­ris Pe­tron­ko mit ei­ner Hand auf­ge­fan­gen und von der glei­chen Hand auf das nächs­te Kon­tur­la­ger ge­legt.

»Aber, aber – wo ha­ben Sie Ih­re Ner­ven ver­steckt?« er­kun­dig­te sich der Gi­gant. Der Ra­chen in sei­ner mons­trö­sen Ge­sichts­mas­ke öff­ne­te sich weit. Die Reiß­zäh­ne schim­mer­ten im Licht.

Mein Herr Kol­le­ge mit den his­to­ri­schen Vor­na­men grins­te wie üb­lich, aber das än­der­te sich schlag­ar­tig, als der Ef­fekt ein­trat, den ich seit dem Ab­bruch des Lan­de­ma­nö­vers er­war­tet hat­te.

Ich sah May­koft mit atem­be­rau­ben­der Schnel­lig­keit in­stink­tiv zur Waf­fe grei­fen. Pe­tron­ko sprang zu den Kon­trol­len hin­über. Le­dig­lich Han­ni­bal ließ sich nicht aus der Ru­he brin­gen. Ich ahn­te, daß er an mei­nem Ge­sichts­aus­druck er­kann­te, wor­auf ich ge­war­tet hat­te.

Das Schril­len un­se­rer Alarmpfei­fen war laut ge­nug, um Trom­mel­fel­le schä­di­gen zu kön­nen. Die Mar­sia­ner muß­ten sich auch hin­sicht­lich ih­res Ge­hör­sinns von den Er­den­menschen un­ter­schie­den ha­ben.

Do­gen­dal schal­te­te die Alarm­an­la­ge ab, aber die auf­ge­flamm­ten Farb­kon­trol­len lie­ßen sich da­von nicht be­ein­dru­cken.

Sie ver­kün­de­ten in ei­nem in­ten­si­ver wer­den­den Rot die plötz­lich auf­ge­tauch­te Ge­fahr.

Über dem mar­sia­ni­schen Zen­tra­le-Ro­bot­ge­hirn ent­stand ein klei­ner, in­ten­siv leuch­ten­der Ener­gie­schirm. Das er­in­ner­te mich an die Ge­fah­renschal­tun­gen des Ul­tra­sch­lacht­schiffs BA­PU­RA, die uns in Au­gen­bli­cken aku­ten Not­stands zur Ver­zweif­lung ge­bracht hat­ten.

Nor­ma­ler­wei­se be­merk­ten wir die An­we­sen­heit un­se­res tat­säch­li­chen Kom­man­dan­ten über­haupt nicht. Er be­wies sei­ne Macht nur dann, wenn er ent­we­der die klei­nen Re­pa­ra­tur­ro­bo­ter in Marsch setz­te, oder in ei­nem Ge­fah­ren­fall, den er vor­erst nicht selbst neu­tra­li­sie­ren woll­te oder konn­te, durch einen un­ver­mit­telt ent­ste­hen­den Se­pa­rat­schutz­schirm sei­ne An­we­sen­heit de­mons­trier­te.

Das war bis­her ein­mal der Fall ge­we­sen. Jetzt zeig­te sich un­ser ro­bo­ti­sches »Ober­haupt« ein zwei­tes Mal in vol­ler Kampf­mon­tur.

Von dem Au­gen­blick an lief mein neu­er Plan. Der ers­te Un­si­cher­heits­fak­tor, den ich aber glaub­te meis­tern zu kön­nen, be­stand in der Ver­hal­tens­wei­se un­se­rer Schiffs­po­sitro­nik.

Bei dem Un­ge­heu­er aus MA-Me­tall, das so­eben von un­se­rer über­licht­schnel­len Au­to­ma­tor­tung er­faßt wor­den war, konn­te es sich nur um den KAS­HAT-Kreu­zer han­deln. Jetzt mein­ten es die So­gh­mo­ler ernst!

An­stel­le des frem­den Kom­man­dan­ten hät­te ich so­fort ver­sucht, mei­nen großen Kom­man­do­ko­da­tor auch ge­gen die schiff­sin­ter­ne »1418« -Po­sitro­nik ein­zu­set­zen und sei­ne weitaus stär­ke­ren Im­puls­fron­ten zum Tra­gen zu brin­gen.

Ein Ge­rät, mit dem man einen Ro­bot­gi­gan­ten wie NEW­TON be­herr­schen konn­te, hät­te ei­gent­lich mit ei­nem Steu­er­ge­hirn wie dem der »1418« leicht fer­tig wer­den müs­sen.

Dar­in lag aber die Schwie­rig­keit! Mar­sia­ni­sche Ro­bo­ter be­sa­ßen ei­ne ei­ge­ne, völ­lig fremd­ar­ti­ge Lo­gik.

Ich hat­te da­her an­ge­nom­men und nahm noch an, daß un­ser Schiffs­ge­hirn in­fol­ge mei­ner di­rek­ten An­we­sen­heit an­ders rea­gie­ren muß­te als NEW­TON oder ZON­TA.

Ich hat­te mir in den letz­ten bei­den Stun­den im­mer wie­der ein­ge­häm­mert, daß un­ser Au­to­ma­tik­kom­man­dant bei ei­ner even­tu­el­len »Um­fal­ler-Be­reit­schaft« schon auf dem Mars kon­trär hät­te han­deln müs­sen. Er hat­te aber auf un­se­re Schal­tun­gen an­ge­spro­chen und das Schiff in den ret­ten­den Raum ra­sen las­sen.

»Schwe­rer Kreu­zer im An­flug«, gab Do­gen­dal aus sei­ner Or­tungs­zen­tra­le durch. »Das Schiff ist nach Aus­sa­ge mei­ner Kon­trol­len fast licht­schnell und bremst mit enor­men Ge­gen­schub­wer­ten. In ei­ner Vier­tel­stun­de ist es auf Schuß­wei­te her­an, En­de.«

Ich stand auf. Der Ta­schen­ko­da­tor lag auf­ge­klappt in mei­ner Hand. Ich sprach kein Wort, son­dern starr­te auf den ein­ge­drück­ten Leucht­knopf der Über­nah­me-For­de­rungs­schal­tung.

Wo die An­ten­ne die­ses Wun­der­werks mar­sia­ni­scher Mi­kro­tech­nik zu su­chen war, wuß­te ich nicht. Ich nahm an, daß man sie am obe­ren En­de des Klap­pe­tu­is ein­ge­baut hat­te. Die­ses En­de war nun auf un­se­ren Haupt­rech­ner ge­rich­tet.

Al­li­son ver­stand mei­ne Hal­tung. Er sprang von dem An­druck­la­ger und gab mir den Weg frei.

Nach dem Ver­stum­men der Alarmpfei­fen herrsch­te in der Haupt­zen­tra­le der »1418« be­drücken­de Stil­le.

»Kon­nat an Zen­tra­le­haupt­rech­ner der ›1418‹! Ich for­de­re Kraft mei­ner Be­fehls­be­rech­ti­gungs­quo­te vol­len Ge­hor­sam und die Frei­ga­be der schiff­sin­ter­nen Ma­nu­ell­schal­tun­gen. Du hast Feh­ler so­fort zu kor­ri­gie­ren und im Rah­men mei­ner Wün­sche sach­ge­recht ein­zu­grei­fen.«

Ich preß­te die Lip­pen auf­ein­an­der und hielt die Luft an. Wie wür­de die Ma­schi­ne un­ter dem ein­fal­len­den Be­fehlss­trom des Su­per­ko­da­tors rea­gie­ren?

Han­ni­bals und May­kofts Hand­be­we­gun­gen be­merk­te ich nur aus den Au­gen­win­keln. Sie schlos­sen die Druck­hel­me der Kampf­an­zü­ge, die wir beim Er­rei­chen der Or­bit­bahn an­ge­legt hat­ten.

Auf Han­ni­bals Brust hing der ball­för­mi­ge In­di­vi­du­al-Schirm­pro­jek­tor; ein in­di­rek­tes Ge­schenk des me­cha­ni­schen Ve­nus­kom­man­deurs.

Ei­ne grün­lich flim­mern­de Ener­gief­lut floß an sei­nem Kör­per ent­lang und hüll­te ihn ein.

»Ich wer­de kei­ne Ge­hor­sams­ver­wei­ge­rung dul­den«, er­klär­te der Klei­ne.

Mit die­sen Wor­ten un­ter­stütz­te er mein Ver­lan­gen nach den Re­geln der ro­bo­ti­schen Lo­gik. Von nun an hat­te das Ge­rät nicht nur den Klei­nen und mich als quo­ti­en­ten­be­rech­tig­te Be­fehls­ha­ber mit über fünf­zig Neu-Orb­ton zu schüt­zen, son­dern dar­über hin­aus das sei­ner Ob­hut über­las­se­ne Schiff, das er auf kei­nen Fall ge­fähr­den konn­te. Han­ni­bals schuß­be­rei­te Strahl­waf­fe war aber ei­ne ernst­haf­te Be­dro­hung!

May­koft ent­si­cher­te eben­falls. Mir stock­te fast der Atem, als ich das gla­si­ge Flim­mern in dem Ab­strahl­trich­ter sei­ner Hoch­ener­gie­waf­fe be­merk­te. Die­ses Bün­de­lungs-Ener­gie­feld muß­te der Zen­tra­lero­bo­ter längst an­ge­mes­sen ha­ben.

»Fahrt auf­neh­men, ver­schwin­den! Das schaf­fen wir ge­ra­de noch«, rief mir Al­li­son be­schwö­rend zu.

Der Hauptro­bo­ter rühr­te sich nicht, nur die Kon­trol­len flamm­ten im­mer hef­ti­ger. Ich war über­zeugt, daß un­ser »Chef« in­zwi­schen tä­tig ge­wor­den war. Nach den im­mer noch gül­ti­gen Vor­schrif­ten des Kom­man­die­ren­den Mar­sad­mi­rals Sag­hon hat­te er das nä­her kom­men­de Raum­schiff per Hy­per­funk an­zu­ru­fen und den Be­rech­ti­gungs­kode zu ver­lan­gen.

Das war ein wei­te­rer Punkt mei­nes Pla­nes! Das Schiff der So­gh­mo­ler hat­te an den letz­ten Welt­raum­schlach­ten zwi­schen der mar­sia­ni­schen und de­ne­bi­schen Flot­te nicht teil­ge­nom­men.

Es hat­te im Ge­gen­satz zu den letz­ten, für die Sys­tem­ver­tei­di­gung ein­ge­setz­ten Kampf­ver­bän­den be­reits lan­ge Zeit zu­vor auf dem Pla­ne­ten So­gh­mol ge­stan­den. Dort hat­te es ei­nem Au­ßen­sek­tor-Kom­man­deur als Flagg­schiff ge­dient, oder es hät­te sich nie­mals ei­ner der sei­ner­zeit streng ge­hei­men Groß­ko­da­to­ren an Bord be­fin­den kön­nen.

Das be­deu­te­te in lo­gi­scher Kon­se­quenz, daß die Bord­po­sitro­nik des KAS­HAT-Kreu­zers die letz­ten Ko­de­schlüs­sel der Hei­mat­flot­te nicht mehr ge­spei­chert hat­te. Ad­mi­ral Sag­hon war ein äu­ßerst vor­sich­ti­ger Mann ge­we­sen. Er hat­te sich zwei­fel­los ge­hü­tet, wei­tent­fern­ten Un­ter­ge­be­nen, die oh­ne­hin auf ver­lo­re­nem Pos­ten stan­den, die wich­ti­gen Klad­den­schlüs­sel durch­zu­ge­ben.

Un­se­re »1418« hat­te aber bis zum bit­te­ren En­de als Sag­hons Ku­rier­schiff ge­dient. Wenn es noch ir­gend­wo die ge­hei­men Da­ten gab, dann in den un­er­gründ­li­chen Spei­chern un­se­res Boo­tes.

»Neh­men Sie doch Fahrt auf!« be­schwor mich Al­li­son. »Wenn Sie schon vor­her wi­der je­de Ver­nunft han­del­ten, hö­ren Sie we­nigs­tens jetzt auf mich. Wir müs­sen ver­schwin­den!«

»Al­li­son – wenn das mei­ne Ab­sicht wä­re, hät­te ich es schon vor zwei­ein­halb Stun­den ge­tan«, ant­wor­te­te ich end­lich. »Ich ha­be auf den Schwe­ren Kreu­zer ge­war­tet; nicht un­ten auf der Ober­flä­che, son­dern hier im frei­en Raum, wo sei­ne Ge­schüt­ze we­sent­lich bes­ser ein­ge­setzt wer­den kön­nen. Und nun, Fra­mus, se­hen Sie auf die Bild­schir­me – jetzt ist er wirk­lich ge­kom­men!«

»An­ne, ru­fen Sie einen Arzt«, wand­te sich Al­li­son er­staun­lich ge­las­sen an Dr. Bur­ner. Sie mus­ter­te mich nach­denk­lich. Die Bild­schir­me mit dem im­mer grö­ßer wer­den­den Ab­bild der dro­hen­den Ver­nich­tung be­ach­te­te sie nicht.

»Ich den­ke nicht dar­an. Mir scheint, der GWA-Schat­ten HC-9 hat ge­han­delt, wie es für die ak­ti­ven Mit­glie­der die­ser Or­ga­ni­sa­ti­on ty­pisch ist. Kon­nat, ist es rich­tig, daß Sie glau­ben, den So­gh­mo­lern ei­ne Fal­le ge­stellt zu ha­ben?«

Sie war auf dem rich­ti­gen We­ge.

»Ja, aber noch ist sie nicht zu­ge­schnappt. Das kommt auf die Ver­hal­tens­wei­se der So­gh­mo­ler an.«

»Aber Sie wol­len sich doch si­cher­lich nicht in der Or­bit­bahn ab­schie­ßen las­sen?«

Ich starr­te nach wie vor zum Ener­gie­schirm des Zen­tra­lero­bo­ters hin­über. Wor­auf war­te­te die­ses un­be­greif­li­che Mon­s­trum noch? Es muß­te doch längst er­kannt ha­ben, daß der nä­her kom­men­de KAS­HAT-Rie­se nicht zur Hei­mat­flot­te ge­hör­te und da­her auch nicht in das Son­nen­sys­tem ein­flie­gen durf­te!

Ei­ne der­ar­ti­ge Pro­gram­mie­rung muß­te die Po­sitro­nik von Sag­hons Tech­ni­kern er­hal­ten ha­ben, denn wir wuß­ten, daß die De­ne­ber auch mit er­beu­te­ten Mars­schif­fen an­ge­grif­fen hat­ten. Da­her wa­ren die streng ge­hei­men Er­ken­nungs­sym­bo­le in un­end­lich kom­pli­zier­ter Ver­schlüs­se­lung ein­ge­führt wor­den.

Un­ser Schiffs­ge­hirn konn­te das al­te Ge­bot der Vor­sicht nicht igno­rie­ren!

»Kon­nat, wol­len Sie nicht mei­ne Fra­ge be­ant­wor­ten?« ver­nahm ich An­nes Stim­me wie im Traum.

»May­koft, si­chern Sie Ih­re Strahl­waf­fe«, sprach Han­ni­bal da­zwi­schen. Sei­ne Stim­me klang jetzt ganz an­ders. Aus dem klei­nen, un­schein­ba­ren Mann und Hu­mo­ris­ten war der GWA-Ma­jor MA-23 zur be­son­de­ren Ver­wen­dung ge­wor­den.

»Run­ter mit dem Ding, May­koft!« for­der­te der Klei­ne schär­fer. »Sie wol­len be­stimmt nicht von ei­nem Ro­bo­ter für när­risch ge­hal­ten wer­den. Er kann Ih­ren Strah­ler nie­mals als Be­dro­hung wer­ten, denn Sie tra­gen kei­nen In­di­vi­du­al­schutz­schirm! Sie wä­ren ge­ge­be­nen­falls tot, ehe Sie auf den Feu­er­knopf drücken könn­ten.«

»Be­fol­gen Sie das, May­koft«, rief ich zu ihm hin­über. »Sie kön­nen das Ge­hirn nur ver­un­si­chern, aber die­ser Ef­fekt ist un­er­wünscht.«

Er senk­te zö­gernd den Strah­ler. Do­gen­dal gab neue Or­tungs­mel­dun­gen durch. Ich for­der­te von un­se­rer Au­to­ma­tik noch­mals vol­len Ge­hor­sam.

Dr. Bur­ner brach­te sich in Er­in­ne­rung. Sie woll­te ih­re Fra­ge be­ant­wor­tet ha­ben.

»Be­ru­hi­gen Sie sich, An­ne, ich den­ke nicht dar­an, uns auf der Or­bit­bahn er­wi­schen zu las­sen. Gut, Do­gen­dal, ich se­he, daß die So­gh­mo­ler di­rek­ten Kurs auf uns hal­ten. Sie rea­gie­ren wie er­wünscht.«

»Ich wer­de all­mäh­lich wahn­sin­nig«, sag­te Al­li­son. »Was ha­ben Sie ei­gent­lich vor? Ich hal­te mich wirk­lich nicht für einen Schwach­kopf, aber hier kom­me ich nicht mehr mit.«

»Al­li­son, ge­hen Sie mir nicht wie­der auf die Ner­ven. In we­ni­gen Mi­nu­ten knallt es – und dann wer­den un­se­re Schutz­schir­me auf­flam­men.«

»Nach drei Wir­kungs­tref­fern bre­chen sie we­gen to­ta­ler Über­las­tung zu­sam­men. Die nächs­te Strahl­bahn durch­schlägt den Au­ßen­pan­zer und gibt min­des­tens fünf­zig Pro­zent ih­rer ther­mi­schen Ener­gie in­ner­halb der Schiffs­zel­le ab. Mein Bes­ter, ich ver­si­che­re Ih­nen als Fach­mann auf die­sem Ge­biet, daß wir gleich ei­ner Was­ser­stoff­bom­be von drei Mil­li­ar­den Ton­nen TNT Ener­gie­ent­wick­lung hoch­ge­hen wer­den. Un­se­re Kern­brenn­stof­fe dürf­ten näm­lich un­an­ge­nehm rea­gie­ren. Lobral – spre­chen die Schal­tun­gen über­haupt noch auf Ih­re Fin­ger­drücke an?«

»Tot!«

Mehr als die­ses ei­ne Wort hielt der bes­te Astro­pi­lot der GWA-Raum­gar­de nicht für nö­tig. Un­ser Steu­er­ge­hirn rea­gier­te noch im­mer nicht. Al­ler­dings, das sug­ge­rier­te ich mir stän­dig mit stei­gen­der In­ten­si­tät ein, war der KAS­HAT-Kreu­zer noch nicht auf Schuß­wei­te her­an­ge­kom­men.

Ich schloß den Druck­helm mei­ner Kampf­kom­bi­na­ti­on. Der Mar­ss­trah­ler hing über mei­ner rech­ten Schul­ter. Er war re­ak­ti­ons­klar, aber vor­erst ge­si­chert.

Je­der­mann an Bord folg­te mei­nem Bei­spiel. Von nun an un­ter­hiel­ten wir uns über Helm­sprech­funk. Do­gen­dal schal­te­te eben­falls um. Je­der­mann konn­te ihn hö­ren.

Die Mu­tan­tin Ki­ny Ed­wards konn­ten al­ler­dings nur Han­ni­bal und ich ver­ste­hen. Das Mäd­chen hat­te sich, wie üb­lich, zu­rück­ge­hal­ten und oh­ne je­des Auf­se­hen ih­re enor­men Psi-Kräf­te ein­ge­setzt. Jetzt mel­de­te sie sich.

»Ich spü­re die Wel­len­fron­ten des geg­ne­ri­schen Groß­ko­da­tors, Thor. Da­zu wird ei­ne Be­wußt­seins­front er­kenn­bar. Kla­re Ge­dan­ken­gän­ge sind nicht zu emp­fan­gen, aber die se­kun­däre Emo­tio­strah­lung vie­ler Ge­hir­ne be­sagt, daß man uns tö­ten will. Man greift an. Woll­ten Sie das?«

»Ja. Ru­he jetzt, Klei­nes. Nur ru­fen, wenn wirk­lich wich­ti­ge Din­ge klar wer­den.«

Ich rief den Ma­the­ma­ti­ker Dr. Ah­mid el Hai­fa­ra an. Noch hat­ten wir ge­nug Zeit.

Ei­ner der ka­bel­ge­bun­de­nen Bild­schir­me der von uns in­stal­lier­ten Not­ver­bin­dung leuch­te­te auf. Der Schiffs­ro­bo­ter hat­te auch die BzB-Ga­le­rie still­ge­legt.

El Hai­fa­ra knie­te auf ei­nem Ge­bets­tep­pich, den er in sei­ner klei­nen Re­chen­sta­ti­on aus­ge­brei­tet hat­te. Sein Kopf wies dort­hin, wo die Er­de stand.

»Ver­zei­hen Sie, Ah­mid, ich muß so un­höf­lich sein, Ih­re An­dacht zu un­ter­bre­chen. Kön­nen Sie das neue Lan­de­pro­gramm ein­spei­sen?«

Er er­hob sich, lä­chel­te und wink­te.

»Be­reits ge­sche­hen, Sir. Ich bin noch recht­zei­tig fer­tig ge­wor­den. Der Au­to­mat­pi­lot hat die Da­ten an­stands­los auf­ge­nom­men. Wie sein Haupt­rech­ner dar­auf rea­gie­ren wird, ist al­ler­dings un­klar. Mehr konn­te ich nicht tun. Ge­nügt Ih­nen das?«

»Ja, vie­len Dank. Ist Ih­re Bein­frak­tur gut ver­heilt?«

»Ta­del­los. Nichts mehr zu spü­ren. Ich kom­me in die Zen­tra­le.«

»Le­gen Sie Ih­ren Kampf­an­zug an. En­de.« Kenji Nis­hi­mu­ra lach­te lei­se und mein­te: »Sie hät­ten uns ein­wei­hen sol­len, Sir. Sie wol­len ein Ri­si­ko­ma­nö­ver star­ten, nicht wahr? Sie wuß­ten, daß wir dem Schwe­ren Kreu­zer viel­leicht ei­ni­ge Ma­le ent­kom­men könn­ten, aber ein­mal wür­de er uns fas­sen. Ganz da­von ab­ge­se­hen, be­fän­de sich die Er­de in stän­di­ger Ge­fahr. Er muß al­so aus­ge­schal­tet wer­den – und das kann nur ein mar­sia­ni­sches Ro­bot­ge­hirn mit Hil­fe sei­ner Bo­den­ge­schüt­ze oder un­ter Hin­zu­zie­hung ei­nes noch stär­ke­ren Kampfraum­schiffs aus der al­ten Sys­tem­flot­te er­rei­chen. Sie rech­nen mit dem Ve­nus­kom­man­deur. Ist das rich­tig?«

»Ex­akt, Dok­tor. Noch vor drei Stun­den hät­ten wir es nicht wa­gen kön­nen, na­he der Ve­nus­fes­tung zu lan­den. Jetzt wer­den wir bald be­schos­sen. Wir kön­nen nicht mehr flie­hen und sto­ßen hil­fe­su­chend in die At­mo­sphä­re vor. Und dies al­les mit ei­nem ehe­ma­li­gen Ku­rier­schiff des Kom­man­die­ren Mar­sad­mi­rals Sag­hon! Die ›1418‹ muß hier wohl­be­kannt sein. Ich ge­he je­de Wet­te ein, daß un­ser Schiffs­ro­bo­ter sei­ner­zeit Flücht­lin­ge zur Ve­nus brach­te; mäch­ti­ge Leu­te, die erst in letz­ter Mi­nu­te den bom­bar­dier­ten Mars ver­lie­ßen. Das Ve­nus­ge­hirn wird an­ders rea­gie­ren, als es die So­gh­mo­ler er­war­ten. Die Frem­den wer­den sich über­haupt wun­dern. Ich wer­de auf Grund el Hai­fa­ras neu­en Da­ten ge­nau vor den äu­ße­ren Ge­schütz­bun­kern der Fes­tung lan­den und fest­stel­len, wie der Groß­ro­bo­ter auf einen even­tu­el­len Be­schuß durch die nach­sto­ßen­den So­gh­mo­ler rea­giert. Okay, Freun­de, das ist mein Plan! Jetzt wis­sen Sie, warum ich die Lan­dung un­ter­sag­te.«

»Der GWA-Schat­ten HC-9 hat sei­nen Ein­satz-Be­zugs­punkt ge­fun­den. Wie schön!« spöt­tel­te Stea­mers. »Ein biß­chen zu wa­ge­mu­tig; ein biß­chen zu­viel Theo­rie, aber die noch ir­rea­len Ele­men­te kön­nen sich durch­aus zu ei­ner po­si­tiv ein­zu­stu­fen­den Men­ge ord­nen. Das ist ein teuf­li­sches Bild.«

»Wir­kungs­di­stanz er­reicht«, gab ei­ne Stim­me un­über­hör­bar durch. Es war un­ser Zen­tra­le-Haupt­rech­ner.

»Ich un­ter­stel­le mich nun Ih­rer Au­to­ri­tät, HC-9. Die ers­te Stu­fe der Sag­hon-Pha­se ist er­reicht. Zu Ih­rer In­for­ma­ti­on: Ei­ne Sag­hon-Pha­se ist iden­tisch mit dem Ein­flug un­be­kann­ter, je­doch selbst­ge­fer­tig­ter Kampfraum­schif­fe. Die Mög­lich­keit ei­ner Er­beu­tung durch den Geg­ner ist als ge­ge­ben an­zu­se­hen. Ein Ab­set­zungs­ma­nö­ver ist nur noch durch einen Kreis­bahn-Zen­tri­fu­gal­sturz mit pla­ne­ta­ri­scher De­ckungs­gleich­heit und Mas­sen­träg­heits-Ab­sorp­ti­on mög­lich. In die­sem Fall wird das Schiff gleich ei­nem Ele­mentar­teil­chen be­schleu­nigt und am En­de der Ver­har­rungs­pe­ri­ode aus dem End­stu­fen­punkt der Bahn­ro­ta­ti­on mit hal­ber Licht­ge­schwin­dig­keit in den frei­en Raum ge­schleu­dert. War­nung: Ma­nö­ver die­ser Art sind ma­te­ri­al­zer­mür­bend. Ei­ne Ga­ran­tie für das Ge­lin­gen kann nicht über­nom­men wer­den. Ei­ne Um­lauf-Ge­gen­be­schleu­ni­gung kurz vor dem Zer­reiß­punkt ist je­doch er­probt. Das be­deu­tet zwangs­läu­fig die Ge­fechts­auf­nah­me. Die Chan­cen­gleich­heit zur Of­fen­siv­kraft ei­nes Kreu­zers der KAS­HAT-Klas­se ist gleich Null. Ich er­war­te Ih­re An­wei­sun­gen; die Zeit läuft. Noch vierund­vier­zig Se­kun­den Oko­lar-III-Zeit bis zum not­wen­di­gen Ma­nö­ver­be­ginn.«

Das war die längs­te Re­de, die wir von un­se­rem Zen­tra­le-Haupt­rech­ner je­mals ge­hört hat­ten. Sei­ne Aus­füh­run­gen wa­ren un­se­rem tech­ni­schen Wis­sens­stand an­ge­paßt: ein Zei­chen da­für, wie ge­nau die ge­nia­le Ma­schi­ne die »Kön­ner« von Ter­ra ein­stuf­te.

Er woll­te die »1418« mit stei­gen­der Fahrt um den Pla­ne­ten Ve­nus her­um ja­gen und uns ge­wis­ser­ma­ßen ei­nem Teil­chen gleich­set­zen, das in ei­nem Syn­chro­tron auf Ge­schwin­dig­keit ge­bracht wird.

Wie er das voll­brin­gen woll­te, war nicht nur mir schlei­er­haft. Si­cher­lich spiel­te da­bei die Mas­se und die fünf­di­men­sio­na­le Gra­vi­ta­ti­ons­kon­stan­te der Ve­nus ei­ne Rol­le.

Ich hät­te es dar­auf an­kom­men las­sen, wenn wir durch ein Ver­se­hen oder Dumm­heit in die­se aus­weg­lo­se La­ge ge­kom­men wä­ren.

Das war aber nicht der Fall! Ich woll­te die So­gh­mo­ler zum Feu­er­über­fall ver­lei­ten; ich haß­te sie we­gen ih­rer letz­ten Un­ta­ten ab­grund­tief, daß ich al­les auf ei­ne Kar­te zu set­zen be­reit war.

»Der Kreis­bahn-Zen­tri­fu­gal­sturz wird ab­ge­lehnt«, sprach ich laut und deut­lich in den Ko­da­tor, ob­wohl ei­ne der­ar­ti­ge Be­fehl­ser­tei­lung nach der Un­ter­ord­nung des Groß­ro­bo­ters wahr­schein­lich nicht mehr not­wen­dig war.

»Ver­stan­den, HC-9. Ih­re Wün­sche? Noch acht­zehn Se­kun­den Oko­lar-III-Zeit.«

»Feu­e­r­er­öff­nung des Geg­ners ab­war­ten und über­licht­schnell an­mes­sen. Aus­weich­ma­nö­ver flie­gen, so­fort Fahrt dros­seln und in die At­mo­sphä­re vor­sto­ßen. Ein­ge­speis­te Lan­de­da­ten über­neh­men; Er­ken­nungs­kode an Ve­nus­kom­man­deur ab­strah­len. Hil­fe­ruf durch­ge­ben; Lan­de­er­laub­nis for­dern. Aus­füh­rung.«

Je­der­mann rann­te plötz­lich! Ich er­reich­te ge­ra­de noch mein An­druck­la­ger, ehe der Zen­tral­ro­bo­ter schal­te­te.

Er be­folg­te die An­wei­sun­gen pein­lich ge­nau, je­doch in et­was an­de­rer Form, als ich es mir vor­ge­stellt hat­te.

Selbst­ver­ständ­lich – wie hät­te es auch an­ders sein kön­nen – war der Po­sitro­nik »klar­ge­wor­den«, was ich mit dem Ma­nö­ver be­ab­sich­tig­te. In­fol­ge­des­sen rech­ne­te sie al­le denk­ba­ren Mög­lich­kei­ten durch, um das bes­te Er­geb­nis her­aus­zu­fin­den.

Der ers­te Schach­zug des wah­ren Herr­schers an Bord der »1418« rea­li­sier­te sich in ei­ner tech­nisch be­ding­ten De­fen­siv­maß­nah­me, von der wir bis­lang kei­ne Ah­nung ge­habt hat­ten.

Die »1418« hat­te kei­ne Chan­ce, den schwe­ren Ge­schüt­zen des KAS­HAT-Kreu­zers Wi­der­stand leis­ten zu kön­nen.

Ei­ne Flucht war in je­dem Fal­le ri­si­ko­voll, und die Ant­wort des an­ge­ru­fe­nen Ve­nus-Ro­bot­kom­man­deurs war si­cher­lich noch nicht ein­ge­lau­fen.

Was al­so hat­te ei­ne phan­tas­ti­sche Ma­schi­ne wie un­ser Zen­tral­rech­ner in die­ser ty­pisch ge­fechts­mä­ßi­gen Si­tua­ti­on zu tun?

Er ver­zich­te­te auf je­des, vom Geg­ner leicht zu be­rech­nen­de Ge­walt­ma­nö­ver und den Auf­bau über­star­ker Schutz­schir­me. Sie hät­ten un­se­re ge­sam­te Ener­gie­ka­pa­zi­tät be­nö­tigt und letz­ten En­des doch nicht stand­ge­hal­ten.

Ich be­merk­te an den Kon­trol­l­an­zei­gen, daß un­se­re Schir­me zwar ent­stan­den, aber nur bis zur Ab­wehr­gren­ze von Streif­schüs­sen oder se­kun­dären Ener­gie­ent­la­dun­gen.

Der ge­sam­te Rest­strom, er­zeugt von laut­los lau­fen­den Re­ak­to­ren und don­nernd hoch­fah­ren­den Um­for­mer­bän­ken, wur­de in ein Ge­rät ge­lei­tet, von des­sen Exis­tenz wir bis­her nichts ge­wußt hat­ten.

Wir be­merk­ten ein irr­lich­tern­des Glü­hen. Es preß­te uns auf die La­ger. Dann ge­sch­ah et­was, was wir auch bei dem Ge­walt­start vom Mond nicht er­lebt hat­ten; ein Be­weis da­für, wie ernst der Ro­bot die jet­zi­ge Si­tua­ti­on ein­stuf­te.

Rund um die Schiffs­zel­le ent­stand ein fi­li­gran­haf­ter Ener­gie­kä­fig, des­sen Be­deu­tung mir erst klar wur­de, als die ers­ten, von den Kreu­zer­ge­schüt­zen aus­ge­schick­ten Strahl­bah­nen in großer Ent­fer­nung vor­bei­zuck­ten.

Der­art ex­trem konn­ten mar­sia­ni­sche Ziel­au­to­ma­ti­ken über­haupt nicht vor­bei­schie­ßen; es sei denn, sie wur­den ge­stört.

Un­ser po­sitro­ni­scher Kom­man­dant schi­en sich auf die­se Kunst vor­züg­lich zu ver­ste­hen.

Er nahm die Fahrt aus dem Schiff, jag­te auf die leuch­ten­de At­mo­sphä­re der Ve­nus zu und bau­te zu­sätz­lich die bug­sei­ti­gen Prall­schir­me zur Ab­wehr der Gas­par­ti­kel auf. Die Mar­sia­ner schie­nen ge­nau ge­wußt zu ha­ben, wir man stär­ke­ren Schif­fen ein Schnipp­chen schla­gen konn­te.

»Her­vor­ra­gend!« gab Han­ni­bal te­le­pa­thisch durch. »So et­was lernt man in ei­nem hun­dert­jäh­ri­gen Welt­raum­krieg. Nichts för­dert tech­no­lo­gi­sche Ent­wick­lun­gen al­ler Art der­art schnell wie lan­gan­hal­ten­de Krie­ge.«

»Das ist für mei­nen Ge­schmack ein zu ho­her Preis, Klei­ner. Ir­gend­wie geht das im­mer ins Au­ge. Vor­sicht, un­ser po­sitro­ni­scher Freund scheint auch nur mit Was­ser zu ko­chen.«

»Irr­tum! Die Geg­ner ha­ben ein Ge­gen­mit­tel. So­eben neu­tra­li­sie­ren sie un­ser Stör­feld – und jetzt tref­fen sie auch! Großer Tu­madschin-Khan, wo blei­ben die Ret­ter?«

 

 

5.

 

Die Fra­ge, wie be­schä­mend es für einen Men­schen ist, sich hun­dert­pro­zen­tig der In­itia­ti­ve ei­nes Ro­bo­ters aus­zu­lie­fern, war für uns zweit­ran­gig ge­wor­den.

Der so­gh­mo­li­sche Be­fehls­ha­ber war nicht nur ein ent­schlos­sener und of­fen­sicht­lich in­tel­li­gen­ter Mann – er ris­kier­te auch we­sent­lich mehr als die bei­den an­de­ren Kom­man­dan­ten, die ich im Ver­lauf un­se­res groß­an­ge­leg­ten Un­ter­neh­mens ken­nen­ge­lernt hat­te.

Es wur­de im­mer deut­li­cher, daß die Re­gie­rung von So­gh­mol au­ßer drei erst­klas­si­gen Raum­schif­fen auch her­vor­ra­gen­de Be­sat­zun­gen auf den Weg zum Mars ge­schickt hat­te.

Das un­ver­hoff­te Auf­tau­chen die­ser In­tel­li­genz­we­sen hat­ten wir uns selbst zu­zu­schrei­ben.

Wir wa­ren ge­zwun­gen ge­we­sen, die hyp­no­sug­ge­s­tiv be­gab­ten Or­ghs zu be­ein­dru­cken und ein ga­lak­ti­sches Schau­spiel ab­lau­fen zu las­sen, das in sei­nen we­sent­li­chen Grund­zü­gen die Funk­ti­ons­be­reit­schaft des Ro­bot­gi­gan­ten NEW­TON in sich ein­ge­schlos­sen hat­te.

Da­durch war es zu ei­ner Fül­le von vor­ge­täusch­ten Hy­per­funk­sprü­chen ge­kom­men, die man nicht nur auf dem Pla­ne­ten So­gh­mol ge­hört und ein­ge­peilt hat­te.

Nach mensch­li­chem Er­mes­sen hat­ten wir wei­te­re Be­su­cher zu er­war­ten; aber vor­erst hat­ten wir es nur mit den So­gh­mo­lern zu tun.

Nach der Neu­tra­li­sie­rung un­se­res Stör­schirms hat­te sich der geg­ne­ri­sche Kom­man­dant zu ei­ner Maß­nah­me ent­schlos­sen, die mir trotz der da­mit ver­bun­de­nen Le­bens­ge­fahr Be­wun­de­rung ab­nö­tig­te.

Da­mit schi­en so­gar un­ser sonst un­fehl­ba­rer Zen­tra­lero­bo­ter nicht ge­rech­net zu ha­ben, denn der An­griff war un­kon­ven­tio­nell.

Die obers­ten Schich­ten der nor­ma­ler­wei­se mil­chig­wei­ßen, stark licht­re­flek­tie­ren­den Ve­nu­sat­mo­sphä­re wall­ten in Weiß­glut. Ein In­fer­no aus hoch­er­hitz­ten, hef­tig ex­pan­die­ren­den Ga­sen hat­te uns er­faßt und die in fla­chem Win­kel ein­tau­chen­de »1418« in den Raum zu­rück­ge­ris­sen. Der Ef­fekt war ver­gleich­bar mit dem Ab­pral­len ei­nes Raum­flug­kör­pers von der At­mo­sphä­re in­fol­ge ei­ner falsch be­rech­ne­ten Rück­kehr­bahn.

Trotz­dem stan­den wir noch dicht über der auf­ge­wühl­ten At­mo­sphä­re, in die im­mer wie­der son­nen­hei­ße Glut­bah­nen mar­sia­ni­scher Ge­schüt­ze ein­schlu­gen.

Der Zen­tra­le-Hauptro­bot hat­te die Kraft­wer­ke un­se­res Schif­fes auf die Schutz­schir­me zu­rück­ge­schal­tet. Wä­re das ver­säumt wor­den, hät­te es be­reits zu die­sem Zeit­punkt kei­ne »1418« mehr ge­ge­ben.

In­fol­ge des un­er­wünsch­ten Ma­nö­vers war es nun doch zu ei­nem Kreis­bahn-Zen­tri­fu­gal­sturz ge­kom­men, al­ler­dings un­ter nor­ma­ler­wei­se un­ge­fähr­li­chen Be­din­gun­gen.

Die Or­tung be­wies, daß der KAS­HAT-Kreu­zer hin­ter uns war. In­fol­ge un­se­rer nied­ri­gen Or­bit­bahn hat­te er uns je­doch aus der idea­len Vi­sier­li­nie ver­lo­ren.

Das nahm der geg­ne­ri­sche Kom­man­dant wahr­schein­lich zum An­laß, das Hoch­ener­gie­feu­er im spit­zen Win­kel ab­zu­strah­len. Sei­ne Au­to­ma­ti­ken schie­nen un­se­ren je­wei­li­gen Stand­ort ge­nau be­rech­nen zu kön­nen, denn das un­ter uns aus­bre­chen­de In­fer­no nahm kein En­de.

Un­se­re ei­ge­nen Ge­schüt­ze schwie­gen. Das Hin­der­nis »Luft­hül­le«, un­ter der in ei­ner als mi­ni­mal an­zu­se­hen­den Ent­fer­nung fes­ter pla­ne­ta­ri­scher Bo­den lag, schi­en un­se­rem Schiffs­ge­hirn ähn­li­che Maß­nah­men zu ver­bie­ten.

Die­ses Ver­hal­ten brach­te mich auf ei­ne Idee, die Al­li­son im glei­chen Au­gen­blick zu be­schäf­ti­gen schi­en.

Sei­ne Stim­me durch­drang das To­sen der An­druck­neu­tra­li­sa­to­ren.

»Al­li­son spricht. Kon­nat, der Ro­bot nimmt Fahrt auf, bleibt aber er­staun­li­cher­wei­se in dem en­gen Or­bit. Das be­deu­tet, daß er im­mer mehr Ener­gi­en auf­bie­ten muß, um den ein­tre­ten­den Zen­tri­fu­gal­ef­fekt ab­sor­bie­ren zu kön­nen. Das geht nicht lan­ge gut. Wenn wir end­gül­tig her­aus­ge­schleu­dert wer­den, ver­lie­ren wir die pla­ne­ta­ri­sche De­ckung. Wir müs­sen in die Gas­hül­le vor­sto­ßen, gleich­gül­tig, wie stark un­se­re Schir­me be­an­sprucht wer­den. Hal­lo – kön­nen Sie mich hö­ren?«

Ja, ich konn­te ihn gut hö­ren. Al­li­son hat­te nur einen Teil mei­nes Vor­ha­bens auf­ge­grif­fen. Einen wich­ti­gen Punkt hat­te er über­se­hen.

»HC-9 an Zen­tra­le-Haupt­rech­ner. Ich bin mit dem Ent­kom­mens­ma­nö­ver nicht ein­ver­stan­den. Der Lan­dungs­be­fehl bleibt be­ste­hen.«

»Zwei­te Sag­hon-Pha­se ist ein­ge­tre­ten«, mel­de­te sich der Rech­ner. »Das Schiff und die Be­sat­zung müs­sen in Si­cher­heit ge­bracht wer­den.«

»Ich an­nul­lie­re die Er­hal­tungs­pro­gram­mie­rung zu­guns­ten mei­ner Ein­satz­pla­nung. Die Lan­dung ist er­wünscht; die Hil­fe­leis­tung des Ve­nus­kom­man­deurs soll er­zwun­gen wer­den. Er­öff­ne das Feu­er auf die Nord­pol­re­gi­on.«

Ei­ne Si­gnal­ga­le­rie be­gann tiefrot zu leuch­ten. Ei­ne hal­be Se­kun­de spä­ter gab der Zen­tral­rech­ner oh­ne je­de Ent­geg­nung die Ma­nu­ell­kon­trol­len für die Feu­er­leit­zen­tra­le frei.

»Die Zie­ler­fas­sung ar­bei­tet wie­der«, gab Lis­ter­man, un­ser GWA-Ex­per­te für mar­sia­ni­sche Waf­fen, er­regt durch. »Gilt die An­wei­sung noch, Sir?«

Ich muß­te schrei­en, um das stän­dig lau­ter wer­den­de Ar­beits­ge­räusch der Ma­schi­nen über­tö­nen zu kön­nen. Un­se­re ka­bel­ge­bun­de­ne Sprech­an­la­ge wür­de bald nutz­los wer­den.

»Si­cher. Wir ra­sen auf den Nord­pol zu. Der Kreu­zer ist wei­ter in den Raum vor­ge­sto­ßen. Sein Er­fas­sungs­be­reich wird da­durch grö­ßer. Feu­ern Sie auf die Nord­re­gi­on. Sie taucht so­eben auf. Ar­bei­ten Ih­re Or­tungs­ge­rä­te ein­wand­frei?«

»Ja, sie rea­gie­ren wie­der.«

»Dann ge­hen Sie ins Ziel. Schie­ßen Sie mit al­lem, was uns zur Ver­fü­gung steht. Ent­we­der greift das Ve­nus­ge­hirn ein, oder wir ha­ben ver­lo­ren.«

»Do­gen­dal spricht«, ver­nahm ich die Stim­me un­se­res Or­ters. »Vor­sicht, Sir. Der Pol wird er­kenn­bar. Dort sind rie­si­ge Ab­wehr­schir­me ent­stan­den. Mei­ne Ska­len leuch­ten tiefrot. Sie …«

Ein fürch­ter­li­ches To­sen ließ sei­ne nächs­ten Wor­te un­hör­bar wer­den. Aus den Bild­schir­men der Au­ßen­bord­be­ob­ach­tung schie­nen Vul­ka­ne her­vor­zu­bre­chen.

»Der ers­te Tref­fer«, rief Han­ni­bal auf Psi-Ebe­ne. »Noch zwei von der Sor­te, und wir sind ein­mal ge­we­sen. Großer, dein Plän­chen läuft schief! Das Ve­nus­ge­hirn sorgt zu­erst für sei­ne ei­ge­ne Si­cher­heit.«

»Es kann die ›1418‹ nicht auf­ge­ben.«

»Das hoffst du! Auf der Ve­nus löst ein Or­kan den an­de­ren ab. Die obe­re Luft­hül­le kocht. Wenn der Groß­ro­bot die­se Ge­scheh­nis­se nicht zum An­laß nimmt, den So­gh­mo­lern Re­spekt bei­zu­brin­gen, läßt er sich durch nichts da­zu be­we­gen. Wi­der­ru­fe dei­nen Ko­da­tor­be­fehl. Der Zen­tra­le­rech­ner kann uns viel­leicht noch aus der Höl­le her­aus­brin­gen.«

Ein zwei­ter Tref­fer be­las­te­te die »1418« bis an die Gren­zen ih­rer Wi­der­stands­kraft. Wir wur­den trotz der so­fort schal­ten­den An­druck­neu­tra­li­sa­to­ren der­art hart ge­gen un­se­re Gur­te ge­ris­sen, daß wir fast die Be­sin­nung ver­lo­ren.

Ich heg­te noch ei­ne Hoff­nung – aber die konn­te in die­sem Sta­di­um nur Lis­ter­man er­fül­len. Wenn er jetzt nicht den Feu­er­über­fall auf den Fes­tungs­sek­tor ein­lei­te­te, wür­den wir den Groß­ro­bo­ter wahr­schein­lich nicht mehr zum Part­ner ge­win­nen kön­nen.

Aus mei­nem Un­ter­be­wußt­sein schäl­te sich ein Ge­dan­ke her­aus. Er ent­sprach ei­ner nicht­mensch­li­chen Kal­ku­la­ti­on – na­he­zu ei­ner ma­schi­nel­len Lo­gik, die aus­schließ­lich auf den Fak­to­ren Sein oder Nicht­sein auf­ge­baut war.

Das Ve­nus­ge­hirn konn­te auf Grund der Pro­gram­mie­run­gen oh­ne ei­ne rech­ne­risch be­wie­se­ne Ge­fähr­dung sei­ner Exis­tenz wahr­schein­lich gar nicht han­deln! Wir muß­ten ihm einen be­grün­de­ten An­laß ge­ben, der sei­nen »Ver­steck­spiel-Fak­tor« über­la­ger­te. Mir war klar­ge­wor­den, daß die ehe­ma­li­ge Flucht­fes­tung in ers­ter Li­nie de­fen­siv aus­ge­rich­tet ge­we­sen war!

Die hier­her ge­flo­he­nen Mar­sia­ner, Mit­glie­der der höchs­ten Ge­sell­schafts­schich­ten, konn­ten kei­nen Wert dar­auf ge­legt ha­ben, vom ers­ten Feind­auf­klä­rer ent­deckt zu wer­den! Es hat­te nicht ein ver­rä­te­risches Ober­flä­chen­bau­werk ge­ge­ben, bes­ten­falls aus­fahr­ba­re Kup­peln.

Wenn der Ve­nus­kom­man­deur jetzt schon sei­ne Grund­hal­tung um­ge­wor­fen hat­te und die Po­si­ti­on der Flucht­sied­lung durch den Auf­bau sei­ner Schutz­schir­me ver­riet, fühl­te er sich be­reits stark be­droht. Das muß­te mit sei­ner zwei­ten, wei­ter­rei­chen­den Grund­pro­gram­mie­rung iden­tisch sein, die ihm nach ei­ner un­ver­meid­bar ge­we­se­nen Ent­de­ckung ge­bot, we­nigs­tens je­de denk­ba­re Ab­wehr­maß­nah­me zu er­grei­fen.

Die­se Ge­dan­ken­gän­ge husch­ten in Se­kun­den­bruch­tei­len durch mein Ge­hirn.

»Wahn­sinn!« gab Han­ni­bal durch. »Das sind Wunsch­bil­der ei­nes Phan­tas­ten. Wi­der­ru­fe dei­ne An­wei­sung! Noch kön­nen wir ver­schwin­den. Es wer­den sich an­de­re Lö­sun­gen er­ge­ben.«

»Ich ken­ne nur noch ei­ne. Ich wer­de das Ge­hirn in Ver­le­gen­heit brin­gen. Au­ßer­dem, mein Freund, soll­test du das ab­schwel­len­de Dröh­nen be­mer­ken! Un­ser Zen­tra­le­rech­ner hat fest­ge­stellt, daß ein Ent­kom­men un­mög­lich ge­wor­den ist. Der KAS­HAT-Kreu­zer steht in ei­ner Po­si­ti­on, die man nicht mehr neu­tra­li­sie­ren kann.«

Als der drit­te Strahl­schuß des Geg­ners ein­schlug und wei­te­re Glut­bah­nen ne­ben uns in die At­mo­sphä­re peitsch­ten, hat­te Lis­ter­man sei­ne Ziel­au­to­ma­ti­ken jus­tiert. Es war höchs­te Zeit! Die Nord­pol­re­gi­on wür­de in we­ni­gen Mi­nu­ten über­flo­gen wer­den.

Das in­fer­na­li­sche Don­nern un­se­rer Breit­sei­te durch­drang so­gar den Ge­hör­schutz der Kampf­hel­me. Die Zen­tra­le­kon­trol­len ver­f­lim­mer­ten zu nicht mehr ab­les­ba­ren Leucht­bän­dern. Er­schüt­te­run­gen, die je­des ir­di­sche Raum­schiff in Stücke ge­ris­sen hät­ten, lie­ßen die Panzer­zel­le aus MA-Me­tall er­be­ben.

Vier weiß­glü­hen­de Kanä­le durch­bra­chen die At­mo­sphä­re. Sie er­reich­ten die leuch­ten­den Kup­peln und wur­den of­fen­bar mü­he­los ab­sor­biert.

Die zwei­te Sal­ve blieb eben­falls wir­kungs­los. Un­mit­tel­bar dar­auf trat ein an­de­rer, sehn­lichst er­hoff­ter Ef­fekt ein!

Un­ser Haupt­rech­ner schi­en zu dem lo­gi­schen Schluß ge­kom­men zu sein, daß ihm kei­ne Wahl blieb, als der Lan­de­an­wei­sung nach­zu­kom­men. Ob er mit dem Ve­nus­ge­hirn in Kon­takt stand, oder un­ter Um­stän­den be­stimm­te An­wei­sun­gen er­hal­ten hat­te, war mir un­klar.

Je­den­falls spie der Ring­wulst der »1418« plötz­lich lo­hen­de Im­puls­zun­gen aus. Wir brems­ten mit Höchst­wer­ten und ras­ten gleich­zei­tig auf die na­he Luft­hül­le zu, die wir bei ei­ner Bei­be­hal­tung der Wer­te in ei­nem ge­fähr­lich spit­zen Win­kel an­schnei­den muß­ten.

Lis­ter­man feu­er­te er­neut, wie­der­um oh­ne Wir­kung. Do­gen­dal mel­de­te sich. An­schei­nend hat­te er et­was da­zu zu sa­gen. Ich konn­te sei­ne Stim­me ei­ni­ger­ma­ßen ver­ste­hen.

»Ich se­he über mei­nen Kon­trol­len einen stark ge­wölb­ten Schirm fla­ckern. Die Far­be ist hell­gelb. Dar­in zeich­net sich in blau­er Far­be ei­ne Kreis­mar­kie­rung ab. Die … Vor­sicht!«

Die bei­den letz­ten Wor­te hat­te er in hel­ler Pa­nik her­vor­ge­sto­ßen. Ich schrie wahr­schein­lich eben­falls, konn­te mich aber spä­ter nicht mehr er­in­nern, zu wel­cher Re­ak­ti­on mich mein Selbs­t­er­hal­tungs­trieb tat­säch­lich ge­zwun­gen hat­te.

Weit un­ter uns bra­chen ul­trab­laue Feu­er­bäl­le aus dem Wüs­ten­sand her­vor. Ehe ich die Er­schei­nung ver­stan­des­ge­mäß ver­ar­bei­ten konn­te, zuck­ten Strahl­bah­nen von ge­wal­ti­gem Durch­mes­ser an uns vor­bei; viel zu weit ent­fernt, als daß sie der »1418« ge­gol­ten ha­ben könn­ten.

Die Au­to­ma­ti­ken der Kampf­an­zü­ge schal­te­ten die Schwarz­fil­ter vor die Sichtschei­ben. Die­se Glu­ten konn­te kein mensch­li­ches Au­ge er­tra­gen.

Es schi­en Ewig­kei­ten zu dau­ern, bis die wild durch­ge­schüt­tel­te »1418« wie­der zur Ru­he kam.

Als ich end­lich die Be­nom­men­heit über­wun­den hat­te, herrsch­te in dem Schiff Gra­bes­ru­he. Nein – doch nicht!

Mei­ne über­stra­pa­zier­ten Oh­ren ge­wöhn­ten sich nur lang­sam an die neu­en Ver­hält­nis­se.

Tat­säch­lich ru­mor­ten die aus­lau­fen­den Um­for­mer­bän­ke noch laut ge­nug, und das Knacken sich ent­span­nen­den Ma­te­ri­als glich Ge­wehr­schüs­sen.

Ein auf- und ab­schwel­len­der Pfeif­ton wur­de ver­nehm­bar. Gleich­zei­tig er­tön­te die Stim­me des Zen­tra­lero­bo­ters:

»An HC-9: Das an­grei­fen­de Fremd­schiff wird von mei­nem über­ge­ord­ne­ten Pro­gramm­ge­ber nicht als sys­tem­fremd ein­ge­stuft. Ich über­ge­be al­le Schalt­ein­hei­ten.«

Al­li­son rich­te­te sich zu­erst auf. Die brei­ten An­schnall­gur­te glit­ten in das Kon­tur­la­ger zu­rück.

Er klapp­te den Helm auf die Schul­tern und wisch­te sich mit dem Är­mel über die schweiß­be­deck­te Stirn.

Mein ers­ter Blick galt den auf­leuch­ten­den Bild­schir­men.

Die Hoch­ener­gie-Ab­wehr­glo­cken des Ve­nus­ge­hirns schie­nen greif­bar na­he, doch muß­ten sie weit ent­fernt sein.

Die »1418« stand auf ei­nem wei­ten, blau­leuch­ten­den Kreis­feld, auf dem trotz der heu­len­den Or­ka­ne kein Sand­körn­chen zu ent­de­cken war.

»Das ist der blaue Kreis«, mel­de­te sich Al­li­son. »Wir sind zwei­fel­los ein­ge­lenkt wor­den. Kann mir je­mand ver­ra­ten, was aus dem Kreu­zer ge­wor­den ist?«

»Ja«, mel­de­te sich Do­gen­dal über die wie­der­funk­tio­nie­ren­de BzB-Ver­bin­dung. »Ich wer­de Ih­nen die Ant­wort auf die Zen­tra­le­schir­me ge­ben. Na – wie ge­fällt Ih­nen das?«

Ich starr­te auf die große Ga­le­rie. Un­se­re Or­tung funk­tio­nier­te ein­wand­frei. Zwi­schen mei­nen Bei­nen husch­ten rat­ten­große War­tungs­ro­bo­ter hin­durch.

Sie ka­men aus jäh­lings ent­ste­hen­den Wan­d­öff­nun­gen her­vor und ver­schwan­den hin­ter eben­soschnell auf­glei­ten­den Klap­pen in den Haupt­schal­tun­gen. Dort schi­en al­ler­lei zu Bruch ge­gan­gen zu sein. Un­ser Haupt­rech­ner lei­te­te die not­wen­di­gen Re­pa­ra­tu­ren oh­ne Ver­zö­ge­rung ein.

Das war aber zur Zeit se­kun­där. Viel wich­ti­ger war der KAS­HAT-Kreu­zer, der in ver­schie­de­nen Ver­grö­ße­rungs­stu­fen auf un­se­ren Bild­schir­men er­schi­en.

Ich ver­nahm ei­ne hand­fes­te Ver­wün­schung. Sie stamm­te von Gra­ham May­koft. Sei­ne Ent­täu­schung war ver­ständ­lich. Er hat­te – eben­so wie wir – ge­hofft, das Schiff der So­gh­mo­ler wä­re von den Waf­fen­strah­len der Ve­nus­fes­tung ver­nich­tet wor­den.

Wir hat­ten uns ge­täuscht! Der Rie­sen­ro­bo­ter hat­te sich nicht da­zu hin­rei­ßen las­sen, die bläu­lich leuch­ten­de Stahl­ku­gel in Ato­me auf­zu­lö­sen. Trotz­dem schi­en er den So­gh­mo­lern Re­spekt ein­ge­flö­ßt zu ha­ben, denn sie stan­den weit drau­ßen im Raum. Do­gen­dal gab die Ent­fer­nung mit knapp zwei­hun­dert­tau­send Ki­lo­me­tern an.

Das be­deu­te­te für die Ge­schüt­ze des KAS­HAT-Rie­sen über­haupt nichts! So­gar wir hät­ten mit un­se­ren klei­ne­ren Ther­mo­ka­no­nen die­se Di­stanz über­brücken kön­nen.

Au­ßer­dem hat­te der geg­ne­ri­sche Kom­man­dant sei­ne An­griffs­fahrt auf­ge­ho­ben. Von sei­ner der­zei­ti­gen Po­si­ti­on aus konn­te er ei­ne Ku­gel­hälf­te der Ve­nus über­se­hen und or­tungs­tech­nisch ein­wand­frei er­fas­sen.

»Klick!« sag­te Han­ni­bal tro­cken. »Ver­zei­hung, das soll­te nur das Zu­schnap­pen ei­ner Fal­le ver­deut­li­chen. O nein, Al­li­son, fan­gen Sie nicht er­neut an zu do­zie­ren. Oder woll­ten Sie nach un­se­rem nicht­vor­han­de­nen Kaf­fee fra­gen?«

Ich rang mir ein Lä­cheln ab. In mei­nem Ge­hirn jag­te ei­ne Über­le­gung die an­de­re. Dies­mal war ich es, der Al­li­sons Re­de­fluß stopp­te.

»Fra­mus, wis­sen Sie auch, warum der Ve­nus­herr­scher den so­gh­mo­li­schen Kreu­zer nicht ab­ge­schos­sen hat? Das wä­re für ihn ei­ne Klei­nig­keit ge­we­sen.«

Sein La­chen klang ge­küns­telt.

»Da er­kun­di­gen Sie sich noch? Ich wun­de­re mich be­reits seit ei­ner Vier­tel­stun­de, daß wir kei­nen ki­lo­me­ter­di­cken Strahl­schuß ab­be­kom­men ha­ben! Ihr Feu­er auf die Schutz­schir­me der Fes­tung war wirk­lich ei­ne Frech­heit. Sie wer­den mir er­klä­ren müs­sen, wie­so Sie über­haupt auf die­se Idee ver­fie­len.«

»Ich ha­be es mir schon vor­ge­nom­men.«

»Ah …!«

Er wink­te hef­tig ab und beug­te sich zu Nis­hi­mu­ras Rech­ner hin­über.

»Ja, das stimmt«, fuhr er fort. »Ich mei­ne Kenjis Da­ten. Un­ser Schiffs­ro­bo­ter be­haup­tet, die So­gh­mo­ler wür­den nicht als ›sys­tem­fremd‹ ein­ge­stuft wer­den. Das ist rich­tig und über­dies der Grund da­für, daß sie nicht ver­nich­tet wur­den. Sie be­sit­zen zwei­fel­los einen star­ken Kom­man­do­ko­da­tor, der nach wie vor auf vol­len Tou­ren läuft. Das scheint für das Ve­nus­ge­hirn be­weis­kräf­tig ge­nug zu sein, das Schiff und sei­ne Be­sat­zung zu dul­den.«

»Trotz­dem konn­ten die So­gh­mo­ler nicht in die Fes­tung ein­drin­gen. Er­in­nern Sie sich an die Mel­dun­gen der Bar­stru­ler«, warf Dr. Bur­ner ein. »Wie ver­ein­bart sich das mit dem vor­sich­ti­gen Ver­weis? Mehr kön­nen die Ener­gie­schüs­se nicht be­deu­tet ha­ben. Die So­gh­mo­ler sind klug ge­nug ge­we­sen, den Un­wil­len des Fes­tungs­be­herr­schers rich­tig ein­zu­stu­fen. Sie zo­gen sich vor­erst zu­rück. Jetzt war­ten sie.«

»Auf uns! Rich­tig, schlau­es Mäd­chen«, er­klär­te Han­ni­bal. »Und was ge­denkt un­ser großer Meis­ter nun zu tun?«

Ich blick­te mich be­däch­tig in der Run­de um.

»Das ist gar nicht schwie­rig, Klei­ner! Wir ha­ben le­dig­lich so zu den­ken und zu über­le­gen, wie es ein Mensch nor­ma­ler­wei­se nie­mals tun wür­de.«

»Al­so schi­zo­phren, was?« mel­de­te sich Al­li­son.

»Si­cher, Fra­mus! Wenn ich von Leu­ten Ih­rer Art für irr­sin­nig ge­hal­ten wer­de, den­ke ich in rich­ti­gen Bah­nen; in ro­bo­ti­schen Bah­nen. Aber das soll­ten Sie doch wis­sen! Schau­en Sie sich ein­mal die nach­denk­li­che Mie­ne von Reg J. Stea­mers an.«

Der Ab­strakt­lo­gi­ker nick­te, oh­ne je­mand an­zu­se­hen. Er schi­en durch die stäh­ler­nen Wän­de hin­durch­zu­star­ren.

»Das Er­geb­nis be­stä­tigt die Aus­nah­me­re­gel. Wenn Sie auf ir­gend­ei­nen mensch­li­chen Fes­tungs­kom­man­deur das Feu­er er­öff­net hät­ten, wä­re er nicht nur tob­süch­tig ge­wor­den, son­dern er hät­te Sie zu­sam­men mit Ih­rem klei­nen Schiff in Asche ver­wan­delt. An­ders ver­hielt sich der Ro­bot­kom­man­deur der Ve­nus! Er re­gis­trier­te ver­schie­den­ar­ti­ge De­tails, die er nicht miß­ach­ten konn­te. Ein­mal gel­ten Sie, Utan und die ›1418‹ als au­to­ri­siert. Sie wur­den als Kom­pakt­men­ge an­ge­grif­fen, konn­ten nicht mehr ent­flie­hen und woll­ten lan­den; dies so­gar mög­lichst na­he den Ve­nus­schutz­schir­men. Da die ›1418‹ die rich­ti­gen Er­ken­nungs­im­pul­se ab­strahl­te, nahm das Ro­bot­ge­hirn Ihr Feu­er als ›un­ge­dul­di­ge Mah­nung‹ zur Kennt­nis. Sie wer­den mir den Ver­gleich ge­stat­ten.«

»Ger­ne«, lach­te ich ihn an. »Noch et­was, Stea­mers?«

Er mus­ter­te mich an­kla­gend.

»Ner­ven ha­ben Sie, das muß Ih­nen der Neid las­sen. Ich neh­me so­gar an, daß der Groß­ro­bo­ter auf ei­ne der­ar­ti­ge Hand­lung un­se­rer­seits war­te­te. Es ist si­cher, daß er oh­ne die­sen ›Rip­pen­stoß‹ gar nicht hät­te han­deln kön­nen. Über uns stand be­kannt­lich ein grö­ße­rer Kom­man­do­ko­da­tor, der die In­ak­ti­vi­tät der Ve­nus­fes­tung be­fahl. Da­mit, Mr. HC-9, sind wir in den Bah­nen der rei­nen Ab­strakt­lo­gik an­ge­kom­men. Mar­sia­ni­schen Ro­bo­tern muß man in be­stimm­ten Fäl­len auf das Haupt schla­gen, da­mit sie wunsch­ge­mäß rea­gie­ren. Darf man fra­gen, wo­her Sie die­se Kunst be­herr­schen? Oder hängt das mit Ih­rer mar­sia­ni­schen De­tek­tor-Auf­sto­ckung zu­sam­men?«

Ich schritt zu den Kon­trol­len hin­über. Sie zeig­ten ein­wand­freie Wer­te an.

»Viel­leicht, ich weiß es nicht. Je­den­falls hat­te ich plötz­lich das Ge­fühl, so und nicht an­ders han­deln zu müs­sen. Hier spie­len vie­le Fak­to­ren ei­ne Rol­le.«

»Kann man end­lich er­fah­ren, was Sie von nun an zu tun ge­den­ken?«

»Das hat­te ich wis­sen wol­len«, fuhr Han­ni­bal un­se­ren Hy­per­phy­si­ker an. Al­li­son zuck­te mit den Schul­tern.

»Dann er­fah­ren wir es eben ge­mein­schaft­lich. Al­so …?«

»Den be­reits mit ei­nem Fuß be­schrit­te­nen Weg wei­ter­ge­hen, bis es dem Groß­ro­bo­ter zu dumm wird. Dann wird er schie­ßen! Auf wen, wird sich spä­tes­tens im Au­gen­blick des ers­ten Atom­blit­zes her­aus­stel­len.«

»Wenn Sie noch Zeit ha­ben, den Blitz geis­tig zu ver­ar­bei­ten, pflich­te ich Ih­nen bei«, ent­geg­ne­te Al­li­son. »Gut, dann wol­len wir mit un­se­ren spe­zi­el­len Re­cher­chen an­fan­gen. Nis­hi­mu­ra, ha­ben Sie schon ei­ne Idee? Es kommt le­dig­lich dar­auf an, den Fes­tungs­kom­man­deur so ge­konnt zu schi­ka­nie­ren, daß er den KAS­HAT-Kreu­zer als ge­fähr­lich ein­stuft. Wirk­lich – mir ist schon al­ler­lei zu­ge­mu­tet wor­den, aber das geht fast zu weit!«

»Sie brau­chen nur wie üb­lich zu spin­nen, dann klappt es schon«, feix­te der Zwerg.

Ehe er hand­fes­te­re Ar­gu­men­te vor­brin­gen konn­te, mel­de­te sich un­ser Or­tungs­of­fi­zier.

Jim Do­gen­dal war of­fen­sicht­lich fas­sungs­los.

»Ich – äh – Sir, das kann zwar al­les nicht wahr sein, aber ge­ben kann es al­les! Sir, drau­ßen ste­hen drei hüb­sche Mäd­chen, die Sie spre­chen wol­len. Sie ha­ben rich­tig ge­hört, die Be­su­che­rin­nen fra­gen nach ei­nem ge­wis­sen Thor Kon­nat. Un­vor­stell­bar, mit­ten auf dem Ve­nus­nord­pol wird er von jun­gen Da­men ge­ru­fen. Ich füh­le mich ei­ner Ohn­macht na­he.«

Mein Ge­sicht muß­te Ver­ständ­nis­lo­sig­keit und Er­stau­nen zu­gleich aus­drücken. Wie war das ge­we­sen? Drei Mäd­chen?

»Eben glaubt der Lan­ge, an sei­nem Ver­stand zwei­feln zu müs­sen«, hör­te ich Han­ni­bal ora­keln. »Wenn er bei solch ei­ner Bot­schaft die Fas­sung ver­liert, se­he ich schwarz für ihn …«

 

 

6.

 

»Das ist falsch und un­ge­recht!« rief die Dun­kel­haa­ri­ge. Ih­re Au­gen fun­kel­ten wü­tend. Sie sprach mit sü­deng­li­schem Dia­lekt.

»Ich bin Dr. Mi­riam Gra­cand, Bio­che­mi­ke­rin, Be­sat­zungs­mit­glied des eu­ro­päi­schen For­schungs­schif­fes CA­PEL­LA, des­sen Trüm­mer Sie im Welt­raum fin­den. Rechts von mir steht mei­ne As­sis­ten­tin Ho­race Pil­gron und an mei­ner lin­ken Sei­te er­ken­nen Sie den weib­li­chen Fun­kof­fi­zier Loui­se Le­beau. Wir sind am 22. Ju­li 2010 mit ei­nem Lan­dungs­boot zur Ober­flä­che ge­kom­men, ha­ben die be­reits vor­her er­rich­te­te Druck­kup­pel be­zo­gen und we­nig spä­ter er­fah­ren, daß die CA­PEL­LA aus un­er­find­li­chen Grün­den ex­plo­dier­te. Die bei­den männ­li­chen Stütz­punkt­be­wa­cher, die In­ge­nieu­re Jan Vron­da­nen und Tör­ken Gun­nard­son, sind vor vier Wo­chen bei der ver­zwei­fel­ten Su­che nach Trink­was­ser ver­schol­len. Wir sind al­lein, mein Herr! Un­se­re Hoff­nung, in Ih­nen un­se­ren Ret­ter zu fin­den, scheint al­ler­dings trü­ge­risch zu sein.«

»Die An­ga­ben ent­spre­chen der Wahr­heit«, drang ei­ne Stim­me aus dem Mi­kro­laut­spre­cher mei­nes Arm­band­ge­räts. Ah­mid el Hai­fa­ra hat­te die Da­ten an Hand un­se­rer Un­ter­la­gen kon­trol­liert.

Die CA­PEL­LA, ein Spe­zi­al­schiff der Eu­ro­päi­schen Uni­on, war tat­säch­lich am 22. Ju­li 2010 im Ve­nus-Or­bit ex­plo­diert. Ob es ein Un­fall oder ein At­ten­tat ge­we­sen war, wuß­te nie­mand.

Die Na­mens­lis­te der Be­sat­zungs­mit­glie­der lag vor. In der Hin­sicht hat­te die GWA gut ge­ar­bei­tet. Wir kann­ten selbst­ver­ständ­lich je­des Raum­schiff, das in den letz­ten Jah­ren zu den so­la­ren Pla­ne­ten vor­ge­sto­ßen war.

»Bit­te, mel­den Sie sich end­lich«, bat Ho­race Pil­gron ver­zwei­felt.

Klein und un­schein­bar wir­kend, stand sie ne­ben der Bio­che­mi­ke­rin. »Un­se­re Atem­luft wird knapp. Der Stütz­punkt war noch nicht voll aus­ge­rüs­tet. Un­ser Was­ser­vor­rat ist ver­braucht. Die de­hy­drier­te Tro­cken­nah­rung kann nicht mehr zu­be­rei­tet wer­den. Sie sind mit der ›1418‹ ge­kom­men. Wir ken­nen das Schiff und wis­sen, daß es von der GWA flug­be­reit ge­macht wur­de. In­fol­ge­des­sen kön­nen wir wohl an­neh­men, daß wir mit ei­nem GWA-Of­fi­zier, zu­min­dest aber mit ei­nem Men­schen spre­chen.«

»Und wenn Sie der Teu­fel per­sön­lich wä­ren, hel­fen Sie uns«, bat die dun­kel­häu­ti­ge Loui­se Le­beau. Sie wein­te. Ih­re Wor­te wa­ren kaum zu ver­ste­hen. »Las­sen Sie uns das Schiff be­tre­ten. Jen­seits die­ses ei­gen­tüm­li­chen Lan­de­fel­des ist ein San­dor­kan aus­ge­bro­chen. Wir fin­den die Druck­kup­pel nicht mehr.«

»Mel­den Sie sich we­nigs­tens«, for­der­te die Bio­che­mi­ke­rin. »Mein Gott, das kann doch nicht wahr sein!«

Ich war noch nicht be­reit, un­se­re Ton­auf­nah­me an­zu­schal­ten. Um so bes­ser ar­bei­te­te die Au­ßen­bord-Bil­der­fas­sung.

Die drei Frau­en tru­gen Ve­nus-Druck­pan­zer mit halb­trans­pa­ren­ten Hel­men. Die Mon­tu­ren stamm­ten zwei­fel­los aus der eu­ro­päi­schen Fer­ti­gung. Die Helm­funk­ge­rä­te lie­fen ex­akt auf der EU­RO-Fre­quenz. Es stimm­te al­les!

Do­gen­dal mel­de­te sich. Er war al­so doch nicht »ohn­mäch­tig« ge­wor­den!

»Sir, ich ha­be die Kup­pel in der Nahor­tung. Die An­ga­ben sind eben­falls rich­tig. Die Un­ter­kunft ist ty­pisch für un­se­re Lan­de­kom­man­dos. Sie steht jen­seits des Lan­de­felds in der of­fe­nen Wüs­te. Lan­ge hält sie dem Or­kan nicht mehr stand. Es kann durch­aus sein, daß die Kup­pel von den CA­PEL­LA-Tech­ni­kern er­rich­tet wur­de, ehe das Schiff ex­plo­dier­te.«

»Das glau­be ich so­gar fel­sen­fest, Jim«, ent­geg­ne­te ich, die stei­gen­de Ner­vo­si­tät der an­we­sen­den Män­ner ge­flis­sent­lich über­se­hend. Ich wuß­te längst, daß mei­ne Ver­hal­tens­wei­se auf kei­ne Ge­gen­lie­be stieß.

Vor zwan­zig Mi­nu­ten, beim Auf­tau­chen der Frau­en, war die Stim­mung ge­gen­sätz­lich ge­we­sen. Man hat­te an einen Trick der So­gh­mo­ler ge­dacht oder an an­de­re, un­er­klär­ba­re Ef­fek­te; aber in­zwi­schen hat­te man sich über­zeu­gen las­sen.

Der Mei­nungs­um­schwung ging über­wie­gend zu Ki­nys Las­ten. Sie hat­te die Be­wußt­seins­in­hal­te der jun­gen Frau­en son­diert und fest­ge­stellt, daß de­ren Wün­sche aus­schließ­lich auf die Ret­tung aus­ge­rich­tet wa­ren.

Sie wa­ren ver­zwei­felt, wur­den von To­des­not ge­pei­nigt und sa­hen in der »1418« ein Raum­schiff, das al­lein ih­ret­we­gen von der GWA ge­st­ar­tet wor­den war.

»Soll ich nicht das un­te­re Mann­schott öff­nen, Ge­ne­ral?« er­kun­dig­te sich Ste­pan Tronss­kij.

Ich wand­te den Kopf.

Tronss­kij, Chef ei­nes rus­si­schen Raum­jagd­ver­ban­des, zu uns ab­ge­stellt als Ver­bin­dungs­of­fi­zier, hat­te sei­ne Strahl­waf­fe zur Sei­te ge­legt.

»In die­ser Auf­ma­chung schon gar nicht«, ent­geg­ne­te ich und sah be­zeich­nend auf sei­nen Kampf­an­zug. »War­ten Sie ab.«

»Aber sie er­sti­cken«, be­gehr­te er auf. Sein brei­tes Ge­sicht war lei­chen­blaß. »Sir, selbst wenn es sich um At­ten­tä­ter han­del­te, kämen sie nie­mals mit ei­ner Bom­be oder sons­ti­gen Din­gen ins Schiff. Dr. Bur­ner und Ki­ny kön­nen die Frau­en schließ­lich ein­ge­hend un­ter­su­chen.«

»Ab­war­ten, Ste­pan. May­koft …«

Der Cap­tain trat vor. Hin­ter ihm er­schie­nen drei Män­ner, un­ter ih­nen Die­go Co­ris­ta, den wir auf dem Mars aus der Höl­le her­aus­ge­holt hat­ten.

»May­koft, un­ter­su­chen Sie die Druck­kup­pel. Auf je­de Ein­zel­heit ach­ten. Ich möch­te wis­sen, was dort ge­sche­hen ist. Neh­men Sie einen Er­ken­nungs-Spätauf­zeich­ner mit und re­kon­stru­ie­ren Sie die Ge­scheh­nis­se vom 22. Ju­li. Be­nut­zen Sie einen mar­sia­ni­schen Ener­gie-Prall­feld­glei­ter. Kup­pel schlie­ßen, Ge­schütz aus­fah­ren. La­den Sie et­wa zwei Ki­lo­me­ter vom Schiff ent­fernt Was­ser­ka­nis­ter, Sau­er­stoff­fla­schen und fri­sche Kon­ser­ven­ver­pfle­gung ab. Auf kei­nen Fall die Frau­en auf­neh­men. Bei Un­klar­hei­ten je­der Art so­fort zu­rück­keh­ren.«

Er tipp­te wort­los an den Rand sei­nes Hel­mes und schloß ihn. Dann schul­ter­te er die Strahl­waf­fe und ver­schwand mit sei­nen drei Be­glei­tern.

Han­ni­bal lag in ei­nem Kon­tur­la­ger und lausch­te mit Hil­fe sei­ner Psi-Kräf­te. Ki­ny hat­te sich auf sei­nen Im­pulss­trom ein­gep­egelt und un­ter­stütz­te ihn.

Ich hat­te nur einen Bruch­teil mei­ner Ex­tra­sin­ne ak­ti­viert, um die Vi­deo­ru­fe der Frau­en auf­neh­men zu kön­nen.

»Sie ver­lie­ren die Be­herr­schung. Pa­nik kommt auf«, gab der Klei­ne te­le­pa­thisch durch. Ich ver­nahm die Nach­richt schwach. »Es sieht nicht nach ei­ner Ge­fahr aus. Al­ler­dings …«

»Was?« un­ter­brach ich ihn ner­vös.

»Wir fin­den kei­nen see­li­schen Tief­gang. Je­der Mensch hat Er­in­ne­run­gen, Emp­fin­dun­gen al­ler Art und was der Din­ge mehr sind. Die­se Frau­en den­ken aus­schließ­lich an die Ret­tung, an sonst nichts. Es kommt kein ein­zi­ger Im­puls an ver­gan­ge­ne Stun­den, El­tern, Ge­schwis­ter oder Freun­de durch. Ich se­he deut­lich die Lan­dung, den ab­bre­chen­den Funk­kon­takt mit der CA­PEL­LA und dann die drei Mo­na­te der Not und Ver­zweif­lung. Kann oder muß das et­was be­deu­ten?«

»Nicht mit Si­cher­heit«, warn­te Ki­ny. »Han­deln Sie nicht un­über­legt, Thor. Der Be­wußt­seins­in­halt liegt of­fen vor uns. Ich ge­be zu, daß ich an Stel­le der Frau­en nicht aus­schließ­lich an die ›1418‹ und die Ver­hal­tens­wei­se ih­rer Be­sat­zung den­ken wür­de, son­dern auch an an­de­re Din­ge. Es kann aber durch­aus mög­lich sein, daß die Frau­en so er­schöpft sind, daß sie zu kei­nen an­de­ren Re­gun­gen mehr fä­hig sind.«

Ob­wohl mein In­stinkt im­mer drin­gen­der warn­te, wur­de ich un­si­cher. Han­ni­bal, der in­fol­ge sei­ner gleich­ar­ti­gen Schu­lung auch zu ei­nem psi-emo­tio­nel­len Er­eig­ni­sah­ner ge­wor­den war, fühl­te sich eben­falls nicht wohl.

»Ab­war­ten, Großer«, riet er. »Zwei­fel­los sind die Frau­en in Not. Ich fra­ge mich je­doch, in wel­cher Not! Es wür­de mich in­ter­es­sie­ren, wie hoch der Sau­er­stoff­druck in ih­ren Le­bens­er­hal­tungs­sys­te­men ist und wie­viel Flüs­sig­keit sie tat­säch­lich mit sich füh­ren. Ich ge­he auf die Pa­ra­spur zu­rück, En­de.«

Als ich mei­ne Kon­zen­tra­ti­ons­pha­se auf­hob, be­fand sich nicht nur Tronss­kij am Ran­de der Meu­te­rei. So­gar Lobral, der stets be­herrscht und aus­ge­gli­chen war, warf mir vor­wurfs­vol­le Bli­cke zu.

Do­gen­dal war zum Ner­ven­bün­del ge­wor­den, und Al­li­son gab end­gül­tig sei­ne Aus­wer­tungs­ver­su­che auf.

Er schlug mit der Faust auf den Me­tall­rand des Rech­ners und kam nä­her.

»Be­en­den Sie die Pro­ze­dur, Kon­nat«, for­der­te er schroff. »Seit wann läßt man drei Frau­en in der Wüs­te um­kom­men? Ich fin­de über­haupt kei­ne Wor­te für Ihr Ver­hal­ten. Als sie plötz­lich er­schie­nen, war ich eben­falls ge­schockt, jetzt aber nicht mehr. Sie sind wirk­lich in To­des­not.«

Ich lausch­te mit hal­ber Auf­merk­sam­keit auf die im­mer drin­gen­der wer­den­den Ru­fe der Frau­en.

Al­li­son hat­te recht, wenn er be­haup­te­te, sie hät­ten nicht mehr viel Zeit.

Ich ent­schloß mich zu ei­ner Maß­nah­me, die je­der­mann so­fort be­ru­hig­te. Lobral at­me­te er­leich­tert auf, als ich zur gelb­leuch­ten­den Kon­takt­plat­te der Ton­auf­nah­me griff.

Vor­her gab ich an die Be­sat­zung durch:

»HC-9 an al­le: Ich wer­de die Frau­en an­ru­fen. Mei­ne Be­fürch­tun­gen schei­nen grund­los zu sein. Ma­schi­nen­leit­stand, bit­te mel­den …«

Dr. Ing. Sno­fer, GWA-Wis­sen­schaft­ler und Spe­zia­list für mar­sia­ni­sche Trieb­wer­ke und Ul­trastrom-Er­zeu­ger, er­schi­en au­gen­blick­lich auf ei­nem Bild­schirm.

»Doc, fah­ren Sie Ih­re Strom­re­ak­to­ren auf Not­leis­tung hoch. Schal­ten Sie auf Ener­gie­schirm­ver­sor­gung um. Ich möch­te, daß die Ab­wehr­fel­der not­falls im Bruch­teil ei­ner Se­kun­de ak­ti­viert sind.«

»Ver­stan­den. Ich tue Ih­nen den Ge­fal­len – wenn es Sie be­ru­higt!« ent­geg­ne­te er iro­nisch.

Das Don­nern der Um­for­mer­bän­ke be­ru­hig­te mich tat­säch­lich. Mei­ne Au­gen schie­nen sich an den Bild­schir­men fest­sau­gen zu wol­len.

Mein Ver­stand emp­fahl Maß­nah­men der Mensch­lich­keit; mein Ge­fah­renspür­sinn ru­mor­te un­ter­schwel­lig. Ich wur­de von ei­ner Ge­fühls­wo­ge in die an­de­re ge­ris­sen.

Als ich die Kon­takt­plat­te nie­der­drück­te, eil­ten die drei Frau­en be­reits wei­ter auf das Lan­de­feld hin­aus. Sie hat­ten das Don­nern ver­nom­men und pa­nik­ar­tig rea­giert.

»Sie den­ken an einen be­vor­ste­hen­den Start«, in­for­mier­te mich Ki­ny.

Ich nick­te un­will­kür­lich. Auch die­se Re­ak­ti­on er­schi­en ver­nünf­tig. Aber – hät­te ich an Stel­le der Hil­fe­su­chen­den eben­falls die Flucht er­grif­fen? Wä­re ich nicht ein­fach ste­hen­ge­blie­ben, um es dar­auf an­kom­men zu las­sen.

Wenn man dem Er­sti­ckungs­tod be­reits ins Au­ge sieht und glau­ben muß, daß die Ret­ter kei­ne Ret­ter sind – flieht man dann vor ei­nem ato­ma­ren Trieb­werkss­trom, der al­le Lei­den se­kun­den­schnell be­en­den wür­de?

»Ja, da­für sorgt der über­mäch­ti­ge Selbs­t­er­hal­tungs­trieb«, be­lehr­te mich Ki­ny. »Sir, die Frau­en ge­ben aber trotz­dem nicht auf. Sie blei­ben wie­der ste­hen.«

Ich be­ob­ach­te­te je­de Sze­ne auf den Bild­schir­men. Ei­ni­ge Din­ge fie­len mir auf, aber ich wuß­te nicht, wie­so sie mich be­un­ru­hig­ten.

Die leuch­ten­de Spi­ra­le des mar­sia­ni­schen Mi­kro­phons schweb­te vor mei­nen Lip­pen. End­lich be­gann ich zu spre­chen.

»Bri­ga­de­ge­ne­ral HC-9, GWA-Schat­ten zur be­son­de­ren Ver­wen­dung, an Dr. Mi­riam Gra­cand: Ich ha­be Ih­re Er­klä­run­gen ver­nom­men und aus­wer­ten las­sen. Wir über­prü­fen Ih­re Druck­kup­pel, ver­sor­gen Sie je­doch vor­her mit Sau­er­stoff und Was­ser. Ach­ten Sie auf einen Bo­denglei­ter. Er wird so­eben aus­ge­schleust. Nun be­ru­hi­gen Sie sich erst ein­mal. Wir ha­ben vor­sich­tig zu sein. Auf dem mar­sia­ni­schen Lan­de­feld sind Sie vor dem Stau­bor­kan si­cher.«

Ho­race Pil­gron be­gann jetzt eben­falls zu wei­nen. Die Bio­che­mi­ke­rin schi­en die bes­ten Ner­ven zu ha­ben.

»Na end­lich«, ver­nahm ich ih­re Alt­stim­me. »Das wur­de aber höchs­te Zeit. Es ist al­so doch die ›1418‹ der GWA. Wir dach­ten schon, ei­nem Phan­tom nach­zu­ja­gen. Warum las­sen Sie uns nicht ein­stei­gen? Es ist nicht ein­fach, die neu­en Sau­er­stoff­pa­tro­nen in den Rück­en­tor­nis­tern ein­zu­set­zen.«

»Zwei Hand­grif­fe, Doc, nicht mehr. Das wer­den Sie be­stimmt schaf­fen. Ich will Sie selbst­ver­ständ­lich nicht um­kom­men las­sen, aber mei­ne Er­leb­nis­se mit Dr. Nang-Tai zwin­gen mich zu ex­tre­men Vor­sichts­maß­nah­men. Ich bit­te des­we­gen um Ihr Ver­ständ­nis. So­bald die Kup­pel durch­sucht wor­den ist, kön­nen Sie an Bord kom­men. Ei­ne Fra­ge, Doc: wes­halb ha­ben Sie nicht um Hil­fe ge­funkt? Sie ha­ben ei­ne Spe­zia­lis­tin in Ih­rer Mann­schaft.«

»Das Kup­pel­ge­rät diente le­dig­lich zur Ver­bin­dungs­auf­nah­me mit dem Mut­ter­schiff, Sir. Es wä­re auf al­le Fäl­le zu schwach ge­we­sen, um vom Bo­den aus die Er­de er­rei­chen zu kön­nen. Au­ßer­dem ist es un­brauch­bar ge­wor­den. Jan Vron­da­nen zer­trüm­mer­te es bei ei­nem sei­ner Tob­suchts­an­fäl­le. Das ge­sch­ah kurz vor der miß­glück­ten Was­ser­su­che, vor vier Wo­chen.«

Ich nick­te. Jan Vron­da­nen hat­te ich nie ken­nen­ge­lernt, aber ich wuß­te, wie Män­ner in Raum­not rea­gie­ren konn­ten. An­fäl­le die­ser Art tra­ten häu­fig auf.

»Ich ver­ste­he. So­eben er­reicht un­ser Glei­ter den Bo­den. Die Be­sat­zung wird sich nicht auf­hal­ten, son­dern gleich wei­ter­fah­ren. Wenn Sie Ih­re Was­ser- und Sau­er­stoff­pa­tro­nen ein­klin­ken, rich­ten Sie bit­te Ihr Au­gen­merk auf die Um­ge­bung. Über der Ve­nus steht ein Schwe­rer Kreu­zer der So­gh­mo­ler. Die Ver­hält­nis­se sind un­klar. Es ist mög­lich, daß ich von dem Kom­man­dan­ten für Dr. Nang-Tai ge­hal­ten wer­de. Ich hat­te noch kei­ne Ge­le­gen­heit, ihn per­sön­lich auf­zu­klä­ren. Sie pas­sen auf, ja? Not­falls schleu­se ich Sie ein, auch wenn die Kup­pel noch nicht durch­sucht wer­den konn­te.«

Ich ver­nahm die tie­fen, er­leich­ter­ten Atem­zü­ge der Kos­mo­nau­tin­nen.

»Vie­len Dank, Sir. Mir wird ei­ni­ges klar«, ant­wor­te­te die Wis­sen­schaft­le­rin. »Die letz­ten Ent­wick­lun­gen ken­nen wir na­tür­lich nicht, aber ich glau­be jetzt, daß wir vor knapp vier Ta­gen Erd­zeit die So­gh­mo­ler ge­hört ha­ben. Ein schwe­res Schiff er­schi­en über dem Nord­pol.«

»Da­zu kann ich nichts sa­gen, Doc.«

Sie lach­te plötz­lich. Der Ver­grö­ße­rungs­aus­schnitt zeig­te ihr Ge­sicht und einen Teil ih­rer schwar­zen Haa­re.

»Ich ver­ste­he. GWA-Schat­ten sind im­mer vor­sich­tig. Bit­te, ver­ste­hen Sie aber auch uns. Ich wer­de von Ih­nen be­stimmt kei­ne Le­gi­ti­ma­ti­on ver­lan­gen, selbst wenn Sie Dr. Nang-Tai wä­ren. In der Not frißt der Teu­fel Flie­gen, sagt man auf der Er­de.«

Ich ent­schul­dig­te mich, un­ter­brach die Vi­deo­ver­bin­dung und wand­te mich ei­nem an­de­ren Schirm zu, auf dem May­kofts Bo­denglei­ter zu se­hen war. Das klei­ne Atom­trieb­werk lief ge­ra­de an und er­zeug­te das ener­ge­ti­sche Prall­kis­sen.

Ich gab May­koft noch ei­ni­ge Richt­li­ni­en und er­kun­dig­te mich dann nach Lis­ter­mans Wün­schen.

»Waf­fen­leit­zen­tra­le, Sir«, mel­de­te er sich. »Mei­ne Au­to­ma­ter­fas­sung hat die An­kömm­lin­ge im­mer noch im Schuß­kreis. Die kann ich jetzt wohl ab­schal­ten, oder?«

Als ich ant­wor­te­te, kniff Kenji Nis­hi­mu­ra die Au­gen zu­sam­men. Sonst reg­te sich kein Mus­kel in dem brei­ten, kno­chi­gen Ge­sicht.

»Un­ter­las­sen Sie das vor­erst! War­ten Sie ge­fäl­ligst ab, bis die Über­prü­fung be­en­det ist. Ih­re Ka­no­nen wer­den ge­wiß nicht von al­lein los­ge­hen.«

»Wenn Sie nicht auf den Zen­tra­le-Not­schal­ter drücken, be­stimmt nicht. Okay, Sir. Die Zie­ler­fas­sung läuft wei­ter«, murr­te er.

Al­li­son lach­te lei­se.

»Freund­li­che Wor­te klin­gen aber an­ders. Wie lan­ge wol­len Sie den Un­sinn noch bei­be­hal­ten? Nor­ma­ler als die drei Frau­en kann sich kein Mensch ver­hal­ten. Kom­men Sie – las­sen Sie Lis­ter­man ab­schal­ten.«

»Wenn May­koft mit dem Glei­ter weit ge­nug ent­fernt ist. Ich ge­he kein Ri­si­ko ein.«

»Der Nach­schub für die Frau­en liegt be­reits auf dem Ge­län­de. Das Fahr­zeug ver­schwin­det hin­ter dem Prall­git­ter, das der Ve­nus­kom­man­deur of­fen­sicht­lich zur Ab­schir­mung des Lan­de­plat­zes auf­ge­baut hat. Ich fra­ge mich, wie­so May­koft un­an­ge­foch­ten durch­fah­ren kann! Er scheint schon drau­ßen im Or­kan zu sein.«

»Wirk­lich?« frag­te ich sprö­de, ob­wohl ich es mit ei­ge­nen Au­gen sah. May­kofts Vi­deo­be­richt klang eben­falls gut. Das Ener­gie­git­ter konn­te oh­ne wei­te­res durch­fah­ren wer­den. Dem­nach hat­ten es auch die Kos­mo­nau­tin­nen durch­schrei­ten kön­nen.

Sie lie­fen auf die weit ent­fern­ten Sau­er­stoff­fla­schen zu. Als sie sie er­reicht hat­ten, drück­te ich blitz­schnell auf den Haupt­schal­ter der Ein­mann-Kon­trol­len.

Ich starr­te di­rekt in Al­li­sons vor Ent­set­zen auf­ge­ris­se­nen Mund, ver­nahm aber kei­nen Schrei.

Je­der denk­ba­re Laut wur­de vom in­fer­na­li­schen Don­nern ei­nes Back­bord­ge­schüt­zes über­la­gert.

Al­li­son, Ste­pan Tronss­kij und al­le an­de­ren un­ge­schützt ste­hen­den Män­ner wur­den wie wel­ke Blät­ter durch die Zen­tra­le ge­wir­belt. Nur Kenji Nis­hi­mu­ra hat­te sich recht­zei­tig auf sein Kon­tur­la­ger ge­legt und an­ge­schnallt.

Der vio­let­te Glutstrom durch­peitsch­te die Luft und schlug et­wa zwei Me­ter ent­fernt an der Stel­le ein, wo sich die drei Frau­en so­eben nach dem ret­ten­den Sau­er­stoff bück­ten. Lis­ter­mans Au­to­ma­tik ar­bei­te­te wirk­lich vor­züg­lich.

Ehe die enor­me Druck­wel­le das Schiff er­rei­chen konn­te, stan­den die vor­ak­ti­vier­ten Schutz­schir­me. Ein Glutstrom um­heul­te uns, aber er wur­de von den E-Fel­dern ge­bro­chen und ab­ge­lenkt.

Weit drau­ßen ver­flüs­sig­te sich der Me­tall­be­lag des Lan­de­felds. Ei­ne Glut­säu­le stieg ki­lo­me­ter­hoch in den Him­mel, riß dort die trei­ben­den Sand­wol­ken auf und tauch­te sie in tief ro­tes Licht.

Der Ein­schlag glich ei­ner Ato­m­ex­plo­si­on. Sie hät­te die ›1418‹ oh­ne die ab­weh­ren­den Schutz­schir­me frag­los ver­nich­tet.

Ge­wal­ten, die einen Mar­s­kreu­zer ver­damp­fen konn­ten, wa­ren phä­no­me­nal. Trotz­dem wa­ren sie nicht stark ge­nug, um ei­ne an­de­re Waf­fe neu­tra­li­sie­ren zu kön­nen.

Wir ver­nah­men ein sin­gen­des Ge­räusch, das sich zum Krei­schen ei­ner über­be­an­spruch­ten Sä­ge stei­ger­te.

Gleich­zei­tig zuck­ten aus der Atom­glut drei grün­leuch­ten­de Ener­gie­spi­ra­len her­vor. Sie wieg­ten sich an­schei­nend un­an­ge­foch­ten in dem Gas­ball des Wir­kungs­tref­fers, eil­ten hin und her, bis sie schließ­lich lang­sam in sich zu­sam­mensan­ken und ver­lösch­ten.

Erst in dem Au­gen­blick ließ das Krei­schen nach. Kurz dar­auf trat Stil­le ein.

Ich dreh­te be­nom­men den Kopf. Mei­ne Hand schweb­te über dem Ma­nu­ell­schal­ter.

Al­li­son hat­te sich in­fol­ge sei­ner Bä­ren­kräf­te an mei­nem hoch­leh­ni­gen Ses­sel fest­klam­mern kön­nen. Sein Ge­sicht war ver­zerrt.

»Das tat sehr weh, nicht wahr?« er­kun­dig­te ich mich so laut, daß man mich ver­ste­hen konn­te. In mei­nem Kopf schie­nen Was­ser­fäl­le zu rau­schen. Den Ge­fähr­ten konn­te es nicht bes­ser er­ge­hen.

»Was den­ken Sie, wie sich das Ge­räusch an­ge­hört hät­te, wenn die drei mar­sia­ni­schen Hy­per­schall­bom­ben vor dem un­ge­schütz­ten Schiff oder in­ner­halb der ›1418‹ hoch­ge­gan­gen wä­ren? Mei­ne Her­ren – ich muß ge­ste­hen, un­ver­ant­wort­lich lan­ge ge­zö­gert zu ha­ben! Das pas­siert mir nicht wie­der.«

Es dau­er­te fast zehn Mi­nu­ten, bis sich die Er­re­gung ge­legt hat­te. Im­mer­hin war man sich ei­nig ge­wor­den, daß die weib­li­chen We­sen kei­ne Frau­en ge­we­sen wa­ren. Oder doch? Hat­te es sich un­ter Um­stän­den um sug­ge­s­tiv be­ein­fluß­te Über­le­ben­de der CA­PEL­LA ge­han­delt?

May­kofts Vi­deo­an­ruf er­lös­te mich von den letz­ten Zwei­feln.

»An Ex­pe­di­ti­ons­chef: Sir, wir ha­ben die Ex­plo­si­on und den Sand­sturm gut über­stan­den. Wir sind in der Kup­pel. Hier lie­gen fünf To­te, drei Frau­en und zwei Män­ner. Die Lei­chen sind mu­mi­fi­ziert, aber Dr. Ta­res­cu scheint so­eben ei­ne un­an­ge­neh­me Ent­de­ckung zu ma­chen. Mo­ment, ich schal­te um.«

Ich hör­te je­mand laut schlu­cken. Es war Han­ni­bal. Sein Kehl­kopf be­weg­te sich stän­dig. Der­art ver­stört hat­te ich den Klei­nen sel­ten er­lebt.

»Die­se Bes­ti­en!« flüs­ter­te er. »Das kann nicht wahr sein.«

»Dr. Phram Ta­res­cu spricht«, klang ei­ne Stim­me auf. Gleich­zei­tig sa­hen wir auf ei­nem Schirm die Auf­nah­me sei­ner Mi­kro­ka­me­ra.

»Die fünf Men­schen sind an Sau­er­stoff­man­gel ge­stor­ben. Die Män­ner schei­nen den Frei­tod ge­wählt zu ha­ben, als die La­ge aus­sichts­los wur­de. Die Schuß­ver­let­zun­gen wei­sen dar­auf hin. Die Frau­en glei­chen den Ge­schöp­fen, die sich uns als Dr. Gra­cand, Ho­race Pil­gron und Loui­se Le­beau vor­ge­stellt ha­ben. Die sterb­li­chen Über­res­te sind mu­mi­fi­ziert, je­doch müs­sen sie bis vor kur­z­er Zeit Ve­nus-Raum­an­zü­ge ge­tra­gen ha­ben. Den To­ten wur­den die Druck­pan­zer erst kürz­lich ab­ge­nom­men! Da ist aber noch et­was.«

»Was?« er­kun­dig­te ich mich mit schwe­rer Zun­ge. Das Grau­en droh­te mich zu über­man­nen.

»Es fällt mir nicht leicht, mei­nen Ver­dacht zu äu­ßern, aber ich ha­be in die­ser Hin­sicht ge­wis­se Er­fah­run­gen. Auch wir ver­wen­den bei ver­schie­de­nen Ver­su­chen ab­ge­stor­ben er­schei­nen­des Ge­we­be, um min­des­tens ei­ne Zel­le re­ak­ti­vie­ren zu kön­nen. In ihr sind al­le Cha­rak­te­ris­ti­ka als Mikro­bau­stei­ne ver­an­kert und un­ter Um­stän­den wie­der auf­bau­bar.«

»Was ha­ben Sie fest­ge­stellt, Doc?« un­ter­brach ich ihn schwer at­mend.

»Wahr­schein­lich des Rät­sels Lö­sung. Aus den Kör­pern der Frau­en wur­den grö­ße­re Ge­we­be­mas­sen her­aus­ge­trennt. Wenn es die so­gh­mo­li­sche Wis­sen­schaft ver­steht, dar­aus ei­ne bio­lo­gisch le­ben­de Nach­ah­mung her­zu­stel­len, ha­ben Sie tat­säch­lich auf drei ir­di­sche Frau­en ge­schos­sen; oder auf das, was von ih­nen stamm­te und syn­the­tisch auf­ge­stockt wur­de. Dar­über soll­ten Sie sich aber kei­ne Ge­dan­ken ma­chen.«

»Be­stat­ten Sie die sterb­li­chen Über­res­te«, bat ich ihn nie­der­ge­schla­gen.

»Da­für wird kei­ne Zeit mehr sein«, dröhn­te May­kofts Stim­me da­zwi­schen. »Hal­lo, Al­li­son, das wird Sie in­ter­es­sie­ren! Im Hin­ter­grund der Kup­pel steht ein Ge­rät, das ga­ran­tiert nicht auf der Er­de ge­baut wur­de. Se­hen Sie die pa­go­den­ar­ti­ge Spi­ra­le? Ja …? Gut, dann zeich­nen Sie das Bild auf, denn das Ding dürf­te bald ex­plo­die­ren. Es glüht im­mer stär­ker auf. Gent­le­men, wenn das nicht ei­ne Art Sen­der ist, mit dem die Bio­ko­pi­en An­wei­sun­gen und Er­in­ne­run­gen er­hiel­ten, will ich hier­blei­ben, bis das Ge­rät hoch­geht. Wir ver­schwin­den, En­de.«

Ich blick­te auf den Zeit­mes­ser. Es war 20:42 Uhr am 26. Ok­to­ber 2010.

Wir sa­hen May­kofts Glei­ter mit ho­her Fahrt das Ener­gie­gat­ter pas­sie­ren. Er um­fuhr die lang­sam ab­küh­len­de Ein­schlag­mul­de un­se­rer Strahl­bahn. Sie hat­te ei­ne einen Ki­lo­me­ter lan­ge Schnei­se in den Bo­den ge­schmol­zen. Ih­re Brei­te be­trug un­ge­fähr fünf­zig Me­ter.

Von dort droh­te kein Un­heil mehr. Ein fla­cher Ener­gie­schirm hat­te den Schuß­ka­nal ab­ge­rie­gelt. Das Ve­nus­ge­hirn ver­an­laß­te es oh­ne je­den Vor­wurf. Es mel­de­te sich nicht ein­mal.

May­kofts Bo­denglei­ter kam vor der großen Las­ten­schleu­se an und wur­de von den An­ti­gra­vi­ta­ti­ons­fel­dern an­ge­ho­ben. Wir konn­ten uns dar­auf ver­las­sen, daß die Ro­bot­kon­trol­len des Schif­fes je­de noch so klei­ne Ab­nor­mi­tät ent­de­cken wür­den.

Die Er­re­gung an Bord der »1418« hat­te sich ge­legt. Man wich mei­nen Bli­cken aus und gab sich den An­schein, als hät­te man die drei so weib­lich wir­ken­den Ge­schöp­fe von vorn­her­ein als un­heil­brin­gend an­ge­se­hen.

An­ne Bur­ner, von der ich wuß­te, daß sie vor sich selbst im­mer ab­so­lut auf­rich­tig war, konn­te den Zu­stand nicht lan­ge er­tra­gen.

Mit ei­ner Zi­ga­ret­te in der Hand kam sie nä­her.

»Ha­ben Sie et­was, was wirk­lich brennt und nicht nur leuch­tet? Of­fe­nes Feu­er ist hier ja ver­bo­ten, nicht wahr?«

Ich lach­te sie an. Al­li­son hat­te so­gar ein elek­tro­ni­sches Feu­er­zeug.

»Nur für den Not­fall«, brumm­te er un­deut­lich. »Be­leuch­tungs­aus­fall und so wei­ter.«

»Kon­nat!«

An­nes Stim­me klang plötz­lich scharf. Ihr Blick war zwin­gend.

»Hö­ren wir mit dem Spiel der Ver­le­gen­heit auf. Wo­her wuß­ten Sie, daß die Frau­en Syn­the­se­züch­tun­gen und le­ben­de Hy­per­schall­bom­ben wa­ren? Ki­ny hat­te nichts ge­spürt. Die In­di­vi­du­al­strah­lung war dem­nach in Ord­nung, und die Aus­drucks­wei­se über­zeug­te auch mich. Ich ha­be kei­nen ein­zi­gen Feh­ler ent­deckt. Mein Arg­wohn war groß, des­halb ha­be ich ex­trem ge­nau be­ob­ach­tet. Ich woll­te Ih­nen schließ­lich in der Ge­wis­sens­not bei­ste­hen, konn­te es aber nicht. Wo­her wuß­ten Sie es so ge­nau, daß Sie be­den­ken­los das Feu­er er­öff­ne­ten?«

Ich schau­te zu Han­ni­bal hin­über. Na­nu – der Klei­ne hat­te auch kei­ne Ah­nung! Konn­te das mög­lich sein?

»Re­de schon«, fuhr er mich an. »Ich weiß es nicht. Ich hat­te eben­falls auf­zu­pas­sen.«

Nis­hi­mu­ra lach­te. Er hat­te den Feh­ler er­kannt.

»Ich stell­te den Un­ge­heu­ern ei­ne Fal­le, das war al­les«, er­klär­te ich mü­de. »Sie woll­ten am 22. Ju­li 2010 auf der Ve­nus ge­lan­det sein. Das klei­ne Funk­ge­rät war vor vier Wo­chen zer­trüm­mert wor­den. Es war da­her ver­wun­der­lich, daß die Bio­che­mi­ke­rin, Dr. Mi­riam Gra­cand, über die So­gh­mo­ler und Dr. Nang-Tai so gut in­for­miert war. Wis­sen Sie – im Ju­li 2010 hat es näm­lich we­der Dr. Nang-Tai noch So­gh­mo­ler im Son­nen­sys­tem ge­ge­ben. Da­mals be­schäf­tig­te ich mich mit Pro­fes­sor Ho­ra­tio Bridge­man. Dr. Nang-Tai wur­de erst im Sep­tem­ber er­fun­den. Das hielt ich für einen be­acht­li­chen Schön­heits­feh­ler in den sonst ein­wand­frei­en Dar­stel­lun­gen.«

Han­ni­bal schlug sich ge­gen die Stirn. Nis­hi­mu­ra lach­te im­mer noch, wäh­rend Al­li­son mit ei­ner Hand im Kra­gen­stück sei­nes Kampf­an­zugs her­um­fuhr.

»Wenn Sie nicht ge­feu­ert hät­ten, wä­re ich einen Au­gen­blick spä­ter an die Kon­trol­len ge­sprun­gen«, er­klär­te der Ja­pa­ner. »Mir ist be­reits vor­her et­was auf­ge­fal­len! Die Frau­en zo­gen sich beim An­lau­fen der Strom­mei­ler sehr schnell zu­rück; aber nicht weit ge­nug, um bei ei­ner Zün­dung der Trieb­wer­ke wirk­lich in Si­cher­heit zu sein. Sie wuß­ten al­so, daß wir le­dig­lich die Schutz­schir­me vor­ak­ti­vier­ten. De­ren Fel­der rei­chen nur hun­dert Me­ter weit.«

Ich nick­te ihm an­er­ken­nend zu. Un­ser Elek­tro­ni­ker und Pro­gramm­lo­gist hat­te die er­wähn­te Tat­sa­che schnel­ler durch­schaut als je­der von uns. Mir war le­dig­lich der so­for­ti­ge Rück­zug auf­ge­fal­len. Über ein dump­fes Ge­fühl, das mir sag­te, et­was kön­ne nicht stim­men, war ich nicht hin­aus­ge­kom­men.

Al­li­son fand die Spra­che wie­der. Er räus­per­te sich laut­stark.

»Wie dem auch sei – ich weiß jetzt we­nigs­tens, warum sich die So­gh­mo­ler drei­ein­halb Ta­ge lang auf der Ve­nus auf­ge­hal­ten ha­ben, ob­wohl sie von dem Kom­man­do­ge­hirn ab­ge­wie­sen wur­den. Sie bau­ten für uns die Fal­le auf! Un­se­re To­ten müs­sen sie auf die Idee ge­bracht ha­ben. Dar­aus ist zu fol­gern, daß der Kreu­zer­kom­man­dant mit ei­ner Lan­dung der ›1418‹ rech­ne­te. Das ist ein teuf­lisch schlau­er Bur­sche. Dar­über soll­ten sich die Her­ren der GWA ei­ni­ge Ge­dan­ken ma­chen.«

»Dar­an den­ke ich seit ei­ner hal­b­en Stun­de«, er­klär­te ich.

Un­ser wei­te­res Vor­ge­hen zeich­ne­te sich im­mer kla­rer ab. Es war wie ei­ne Vi­si­on. Jetzt kann­te ich die Ängs­te des Geg­ners. Von nun an war er be­re­chen­bar, gleich­gül­tig auf wel­cher Ba­sis. Mir wur­de auch klar, warum er sich nach dem miß­glück­ten An­griff so­fort in den frei­en Raum zu­rück­ge­zo­gen hat­te. Sei­ne Mons­tren hat­ten un­ten schon ge­war­tet, und zwar ge­nau dort, wo wir nach den Be­rech­nun­gen lan­den muß­ten!

Ich war über­zeugt, daß sein Schwe­rer Kreu­zer eben­falls auf die­sem blaumar­kier­ten Lan­de­feld ge­stan­den hat­te. Auch er war vom Ve­nus­ge­hirn au­ßer­halb der mäch­ti­gen Ener­gie­kup­peln »ab­ge­stellt« wor­den.

Von dort aus hat­te er die Un­ter­kunft der CA­PEL­LA-Be­sat­zung und die To­ten ent­deckt.

Ich hielt es für selbst­ver­ständ­lich, daß je­mand Auf­zeich­nun­gen hin­ter­las­sen hat­te. Dar­aus hat­ten die So­gh­mo­ler je­de Ein­zel­heit ent­neh­men und sich auf die kor­rek­te Ver­hal­tens­wei­se ih­rer Bio­mons­tren ein­stel­len kön­nen.

Dann hat­ten wir nur noch zu lan­den brau­chen. Die Fra­ge, ob der so­gh­mo­li­sche Kom­man­dant über Han­ni­bals und mei­ne Te­le­pa­thie­fä­hig­keit in­for­miert war, be­jah­te sich von selbst. Der von uns auf dem Mars ge­schla­ge­ne Kom­man­deur hat­te es ge­wußt, denn er war selbst ein schwa­cher Te­le­path ge­we­sen. Si­cher­lich war der Kom­man­dant des Schwe­ren Kreu­zers so­fort in­for­miert wor­den, viel­leicht hat­te er so­gar fern­bild­lich an dem Ver­hör teil­ge­nom­men.

Aus den zahl­rei­chen De­tails schäl­te sich ein fast vollen­de­tes Ge­samt­bild her­aus.

Der Geg­ner setz­te al­les auf ei­ne Kar­te, um die ge­fähr­li­che »1418« – in ers­ter Li­nie aber Han­ni­bal und mich – un­schäd­lich zu ma­chen. Wir wa­ren quo­ti­en­ten­auf­ge­stock­te Be­fehls­be­rech­tig­te, und ich be­saß über­dies einen Kom­man­do­ko­da­tor.

Die­se Fak­to­ren wa­ren der­art wich­tig, daß kein So­gh­mo­ler dar­über hin­weg­se­hen konn­te.

Bei der Über­le­gung an­ge­kom­men, war ich über­zeugt, daß sich der So­gh­mo­ler in ir­gend­ei­ner Form be­merk­bar ma­chen wür­de. Auf kei­nen Fall wür­de er sich je­doch da­zu hin­rei­ßen las­sen, sich und sei­nen un­er­setz­ba­ren KAS­HAT-Kreu­zer in aku­te Ge­fahr zu brin­gen.

Es lag an uns, ihn auf den »rich­ti­gen« Weg zu lei­ten.

Stea­mers leg­te mir ei­ne Be­rech­nung vor. Ich schau­te mir die Da­ten an.

Wenn die drei Mons­tren un­an­ge­foch­ten bis auf ei­ne Ent­fer­nung von hun­dert­fünf­zig Me­ter an das Schiff her­an­ge­kom­men wä­ren, hät­ten sie mit ih­ren mar­sia­ni­schen Waf­fen einen vol­len Er­folg er­zie­len kön­nen.

Ki­ny hat­te auch ei­ne Er­klä­rung. Sie war nie­der­ge­schla­gen und ließ sich von An­ne Bur­ger trös­ten.

»Als vor ei­ni­gen Mi­nu­ten die­ser Sen­der zer­strahl­te, er­fuhr ich, was mir bei der Te­le­pa­thie­über­wa­chung ent­gan­gen war. Ich ver­nahm einen stän­di­gen Im­pulss­trom, den ich aber auf die über­ak­ti­vier­ten Ge­hir­ne der Frau­en zu­rück­führ­te. Tat­säch­lich war es die Spi­ra­le ge­we­sen. Sie diente als Über­mitt­ler ei­ner nor­mal­di­men­sio­na­len Sen­dung, die sie al­ler­dings in Psi-Im­pul­se um­wan­del­te und als Ver­stän­di­gungs­bau­stei­ne wei­ter­strahl­te. Die Züch­tun­gen be­sa­ßen kein ei­ge­nes Ge­hirn, nur einen funk­tio­nie­ren­den Kör­per. Hät­ten sie ei­gen­stän­dig ge­dacht, wä­re mir die Über­schnei­dung auf­ge­fal­len. Au­ßer­dem kam es zu ei­nem scharf ab­ge­grenz­ten Richt­strahl, der auf die nor­ma­len Sen­de­an­la­gen der Bi­os ein­jus­tiert war. Des­halb konn­ten wir ihn nicht ein­pei­len. Dar­über lief das Fra­ge- und Ant­wort­spiel. Oben im Schiff gab es dem­nach drei Per­so­nen mit tech­ni­schen Mo­du­la­ti­ons­um­for­mern, die an Stel­le der Frau­en spra­chen. Ei­nem un­ter­lief der Feh­ler, auf Dr. Nang-Tai ein­zu­ge­hen. Ob er be­straft wur­de?«

Das war mir ziem­lich gleich­gül­tig. Was in mir haf­ten blieb, war le­dig­lich ein Ge­fühl des Un­be­ha­gens.

Un­be­ha­gen ver­spür­te ich des­halb, weil der frem­de Kom­man­dant er­staun­li­che Qua­li­tä­ten be­wie­sen hat­te. So wie er hat­ten die bei­den an­de­ren So­gh­mo­ler nie­mals die Re­gis­ter ge­zo­gen.

 

 

7.

 

Die Fra­ge, wer das Ge­duld­spiel ge­won­nen hat­te, war bis­her un­be­ant­wor­tet.

Vor zwei Ta­gen um die­se Zeit, es war jetzt 20:04 Uhr am 28. Ok­to­ber 2010, hat­te der Frem­de sei­ne Syn­the­se­züch­tun­gen auf uns an­ge­setzt.

An­schlie­ßend hat­ten wir es für rat­sam ge­hal­ten, die kom­men­den Er­eig­nis­se ab­zu­war­ten. Wir glaub­ten zu wis­sen, daß der So­gh­mo­ler nicht locker­las­sen wür­de.

Tat­säch­lich hat­te er nicht dar­an ge­dacht, die Ve­nus-Um­lauf­bahn zu ver­las­sen.

Wir da­ge­gen konn­ten nicht mehr star­ten. Der KAS­HAT-Kreu­zer hät­te uns im frei­en Raum leicht ab­fan­gen und ver­nich­ten kön­nen.

Ein Ri­si­ko­ma­nö­ver schied in­fol­ge­des­sen aus. Es lag au­ßer­dem nicht in mei­ner Ab­sicht, den Ort der Ge­scheh­nis­se er­geb­nis­los zu ver­las­sen. Wir wa­ren in ers­ter Li­nie an der Aus­schal­tung des ge­fähr­li­chen und sys­tem­be­herr­schen­den Kampfraum­schif­fes in­ter­es­siert. Ge­lang das, muß­te es sich zei­gen, wie die großen Ro­bot­ge­hir­ne von Mond und Ve­nus auf mein Ko­da­tor­ge­rät rea­gie­ren wür­den.

Der Ve­nus­kom­man­deur ver­hielt sich im­mer rät­sel­haf­ter. Er hat­te sich trotz zahl­rei­cher An­ru­fe über Nor­mal­funk, Hy­per­dim­sen­der und Ko­da­tor­fre­quenz we­der ge­mel­det noch Maß­nah­men zur Er­leich­te­rung un­se­rer La­ge ein­ge­lei­tet.

Das rät­sel­haf­tes­te Ge­hirn un­ter al­len mar­sia­ni­schen Ro­bot­kom­man­deu­ren schi­en die Er­eig­nis­se ab­war­ten zu wol­len. Al­li­son und Nis­hi­mu­ra be­haup­te­ten ein­stim­mig, es kön­ne sich um ei­ne Art Test han­deln.

Je­den­falls hat­te es der Ro­bo­ter für rat­sam ge­hal­ten, sei­ne Ener­gie­schutz­schir­me nicht ab­zu­schal­ten.

Sie rag­ten seit über zwei Ta­gen Erd­zeit in die Ve­nu­sat­mo­sphä­re hin­ein, lie­ßen sich von den Stür­men und Or­ka­nen um­we­hen und er­hell­ten das düs­te­re Land bis zum Ho­ri­zont mit ver­schie­den­far­bi­gen Licht­kas­ka­den.

Auf den Bild­schir­men der Ga­le­rie bot sich ein atem­be­rau­bend schö­ner An­blick. Den­noch barg er den Tod in sich.

Die hef­ti­gen Win­de wa­ren nicht nur heiß und zun­der­tro­cken, son­dern auch für Men­schen gif­tig. In die­sen Re­gio­nen konn­te kei­ne Spur von Sau­er­stoff fest­ge­stellt wer­den.

Der trü­be Him­mel riß kein ein­zi­ges Mal auf. Au­ßer grau­en bis mil­chig­wei­ßen Wol­ken­bän­ken oder aus­ge­dehn­ten Sand­schlei­ern war nichts zu se­hen.

Der Pla­net Ve­nus, den wir frü­her für ei­ne feucht­hei­ße Dschun­gel­welt ge­hal­ten hat­ten, of­fen­bar­te sich uns von sei­ner un­an­ge­nehms­ten Sei­te. Nie­mand war dar­an in­ter­es­siert, die Ein­öde zu er­kun­den, nach Was­ser zu su­chen oder Ver­mes­sun­gen an­zu­stel­len.

Oh­ne die mar­sia­ni­sche Or­tung, die so­gar die all­ge­gen­wär­ti­gen Sand- und Staub­for­ma­tio­nen durch­drang und stö­rungs­freie Fern­bil­der lie­fer­te, hät­ten wir von der Ve­nus nichts se­hen kön­nen.

Die nord­po­la­re Re­gi­on war von zahl­rei­chen Hö­hen­zü­gen durch­setzt, aber auch dort ge­dieh kei­ne Pflan­ze. Tie­ri­sches Le­ben hat­ten wir nicht ent­deckt.

Trotz­dem stand es fest, daß die Ve­nus nicht im­mer ein glüh­hei­ßer Öd­pla­net mit ei­ner gif­ti­gen At­mo­sphä­re aus Was­ser­stoff- und Koh­len­di­oxyd­ga­sen ge­we­sen war. Alt­mar­sia­ni­sche Be­rich­te spra­chen von ei­ner zwar hei­ßen aber er­träg­li­chen Welt, die vor über zwei­hun­dert­tau­send Jah­ren an­schei­nend wei­ter von der Son­ne ent­fernt ge­stan­den hat­te.

Auch an der Ve­nus war der Krieg nicht spur­los vor­über­ge­gan­gen. His­to­ri­sche Fil­me zeig­ten weit­läu­fi­ge An­sied­lun­gen mar­sia­ni­scher Ko­lo­nis­ten.

Sie wa­ren ver­schwun­den; un­ter­ge­gan­gen im Bom­ben­ha­gel und Strahl­be­schuß der an­grei­fen­den De­ne­ber, die auch den ehe­ma­li­gen Sau­er­stoff­be­stand­teil der At­mo­sphä­re durch ein kom­pli­zier­tes Kern­um­wand­lungs­ver­fah­ren ver­nich­tet hat­ten.

Nur die Nord­pol­fes­tung schi­en die Kriegs­er­eig­nis­se über­dau­ert zu ha­ben. Sie war von vorn­her­ein un­ter größ­ter Ge­heim­hal­tung tief un­ter den Ber­gen des nörd­li­chen Po­les an­ge­legt wor­den. Es war si­cher, daß sie von den De­ne­bern nicht an­ge­grif­fen wor­den war. Sie hat­ten sie nicht ent­deckt.

Wir ver­mu­te­ten, daß die Ober­flä­chen­groß­städ­te aus­schließ­lich zu dem Zweck ge­baut wor­den wa­ren, die In­va­so­ren ab­zu­len­ken.

Die Mäch­ti­gen in den Tie­fen der Nord­pol­bun­ker hat­ten mit ho­her Wahr­schein­lich­keit Mil­lio­nen an­de­re Mar­sia­ner ge­op­fert, um selbst un­ent­deckt zu blei­ben.

Um so zwin­gen­der warf sich für uns die Fra­ge auf, was aus den da­mals Über­le­ben­den ge­wor­den war.

Der so­gh­mo­li­sche Kreu­zer­kom­man­dant schi­en sich dar­über we­nig Ge­dan­ken zu ma­chen. Wenn er sie für er­wä­gens­wert hielt, dann nur des­halb, um die Si­tua­ti­on in­ner­halb der Fes­tung ab­schät­zen zu kön­nen.

In die­ser Hin­sicht war ich bes­ser in­for­miert. Han­ni­bal und ich wa­ren be­reits ein­mal jen­seits der ge­wal­ti­gen Schutz­schir­me ge­we­sen. Dort hat­ten wir kein or­ga­ni­sches Le­ben mehr vor­ge­fun­den. Al­ler­dings hat­ten wir nur einen Bruch­teil der un­ter­ve­n­u­si­schen An­la­gen ge­se­hen.

Acht­zehn Stun­den nach un­se­rer Lan­dung hat­te der So­gh­mo­ler erst­mals die Ge­duld ver­lo­ren und von sei­ner Or­bit­stel­lung aus das Wir­kungs­feu­er auf die »1418« er­öff­net.

Der Punkt­be­schuß war ziel­genau ge­we­sen. Kei­ner der nie­der­peit­schen­den Waf­fen­strah­len hat­te die Schutz­schir­me des Ge­hirns be­rührt.

Der blaumar­kier­te Lan­de­platz hat­te sich in ei­ne Land­schaft mit aus­bre­chen­den Vul­ka­nen ver­wan­delt.

Als un­se­re Schutz­schir­me zu zer­bre­chen droh­ten und ich so­eben auf gut Glück star­ten woll­te, hat­te der Ve­nus­kom­man­deur ein zwei­tes Mal ein­ge­grif­fen.

Sei­ne Strahl­schüs­se hat­ten die Schir­me des Schwe­ren Kreu­zers ge­streift. Die­se War­nung war we­sent­lich erns­ter ge­we­sen als die ers­te.

Der Frem­de hat­te sein Feu­er so­fort ein­ge­stellt und war wei­ter in den Raum aus­ge­wi­chen. Von da an war Ru­he ge­we­sen.

Die Fol­gen des Über­falls wa­ren für uns äu­ßerst un­an­ge­nehm ge­we­sen. Plötz­lich hat­te die »1418« wie ein ein­sa­mer Ge­birgs­gip­fel aus den nur lang­sam ab­küh­len­den Kra­tern her­aus­ge­ragt.

We­ni­ge Mi­nu­ten spä­ter wa­ren wir von ei­nem der ro­sa­far­be­nen Zug- oder Ro­ta­tor­fel­der er­faßt wor­den, wie wir sie schon auf dem Mars ken­nen­ge­lernt hat­ten.

Der Ve­nus­kom­man­deur hat­te ein­ge­grif­fen und das Schiff mehr als hun­dert Ki­lo­me­ter weit nach Os­ten ver­setzt. Dort stan­den wir jetzt auf ei­nem gleich­ar­ti­gen Lan­de­feld, das im Ge­gen­satz zum ers­ten hell­rot mar­kiert war.

Vor et­wa vier Stun­den hat­te der so­gh­mo­li­sche Kom­man­dant mit uns Kon­takt auf­ge­nom­men. Jetzt war er so­weit, wie ich ihn hat­te ha­ben wol­len; näm­lich ver­hand­lungs­be­reit.

Han­ni­bal mein­te da­zu, ihm wä­ren die Fel­le weg­ge­schwom­men. Die­se Auf­fas­sung teil­te ich nicht hun­dert­pro­zen­tig, aber grund­sätz­lich ge­se­hen hat­te der Klei­ne recht.

Der So­gh­mo­ler hat­te ei­ne Nie­der­la­ge nach der an­de­ren er­lit­ten. Nun woll­te er zu ei­nem greif­ba­ren Er­geb­nis kom­men.

So­lan­ge wir na­he der Fes­tung stan­den, nutz­te ihm sein star­kes Schiff nichts. Der Feu­er­über­fall war der letz­te Ver­such ge­we­sen, die An­ge­le­gen­heit »Nang-Tai ali­as HC-9« ge­walt­sam zu be­rei­ni­gen.

Wä­re ihm der An­schlag ge­lun­gen, wä­re er be­reits der Herr­scher des Son­nen­sys­tems ge­we­sen. Mein stö­ren­der Ko­da­tor wä­re ver­nich­tet wor­den, und das Ve­nus­ge­hirn hät­te kei­ne »mo­ra­li­sche Rücken­de­ckung« mehr ge­habt.

Stun­den spä­ter hat­te er sich noch zwei­mal ge­mel­det. Nun war­te­te ich auf die vier­te Un­ter­re­dung, die den An­fang vom En­de oder den Sieg brin­gen muß­te.

Mei­ne Pla­nung stand fest. Wie sein Vor­ha­ben aus­sah, wür­de sich her­aus­stel­len.

 

Er nann­te sich »Mae­rec-Taarl«, war für einen So­gh­mo­ler mit et­was über 1,80 Me­ter Kör­per­län­ge über­ra­schend hoch­ge­wach­sen und auch nicht so breit und mus­ku­lös ge­baut wie an­de­re An­ge­hö­ri­ge sei­nes Vol­kes.

Sein Ge­sicht war al­ler­dings eben­so aus­drucks­los, wie es die der bei­den an­de­ren Be­fehls­ha­ber ge­we­sen wa­ren.

Ich hielt dem Blick sei­ner win­zi­gen, in tie­fen Kno­chen­höh­len ein­ge­bet­te­ten Au­gen stand und un­ter­nahm nicht mehr den Ver­such, sei­ne see­li­sche Ver­fas­sung dar­in ab­le­sen zu wol­len.

Das war bei Le­be­we­sen sei­ner Art ein zweck­lo­ses Un­ter­fan­gen.

Han­ni­bal nann­te sie »die Erb­sen­äu­gi­gen«; ei­ne tref­fen­de Be­zeich­nung für In­tel­li­gen­zen, de­ren Son­ne so heiß und grell auf ih­ren Pla­ne­ten nie­der­schi­en, daß die Na­tur durch die Bu­ckelstirn für einen na­tür­li­chen Sichtschutz ge­sorgt hat­te.

Sonst glich er durch­aus ei­nem Men­schen. Oh­ne den über­großen, haar­lo­sen Kopf mit den cha­rak­te­ris­ti­schen Au­gen hät­te man ihn für einen mus­ku­lö­sen Asia­ten hal­ten kön­nen.

Sei­ne tie­fe, rauh klin­gen­de Stim­me konn­te mei­ne Auf­merk­sam­keit auch nicht mehr ab­len­ken. Wir kann­ten die So­gh­mo­ler un­ter­des­sen fast so gut, wie sie uns Men­schen zu ken­nen glaub­ten.

»Ich grü­ße Sie, Kom­man­dant«, sprach ich ihn an. »Sind Sie eben­falls zu dem Er­geb­nis ge­kom­men, daß un­se­re bis­he­ri­gen Maß­nah­men we­der Ih­re noch mei­ne Wün­sche be­frie­di­gen kön­nen?«

Er war ein klu­ger Mann und Tak­ti­ker. Wenn ihm Feh­ler un­ter­lau­fen soll­ten, konn­ten sie ih­re Ur­sa­che nur in ei­ner Über­schät­zung sei­ner Fä­hig­kei­ten ha­ben.

»Wo­her wol­len Sie das ge­nau wis­sen, HC-9?«

Ich lausch­te den Wor­ten nach. Sie wur­den von ei­nem mar­sia­ni­schen Mi­kro­trans­la­tor über­setzt, aber die Mo­du­la­ti­on wur­de un­ver­än­dert über­nom­men.

Wie­so hat­te er sich nicht der Mü­he un­ter­zo­gen, eben­so wie sei­ne bei­den um­ge­kom­me­nen Kol­le­gen Eng­lisch zu ler­nen? Bei sei­nem NO-Quo­ti­en­ten hät­te es nicht pro­ble­ma­tisch sein kön­nen. Soll­te das ei­ne ge­wis­se Miß­ach­tung aus­drücken?

Ich brauch­te mei­ne aus­ge­gli­che­ne Hal­tung nicht zu schau­spie­lern. Sei­ne Wün­sche wa­ren be­kannt.

»Das soll­te als ge­klärt gel­ten. Üb­ri­gens ha­be ich die ir­di­schen Te­le­vi­si­ons­sen­dun­gen ab­ge­hört. Der Kom­man­dant der ver­nich­te­ten Ter­ra­kreu­zer scheint tat­säch­lich zur Er­de be­rich­tet zu ha­ben, Dr. Nang-Tai wä­re von dem GWA-Schat­ten HC-9 er­schos­sen wor­den.«

»Stimmt«, sag­te er. »Wir ver­fol­gen die Nach­rich­ten sehr ge­nau. Sie be­gin­gen einen Feh­ler, dem Ge­ne­ral oh­ne Mas­ke ge­gen­über­zu­tre­ten. Es schwächt Ih­re bis­he­ri­ge Po­si­ti­on ge­gen­über den ir­di­schen Macht­ha­bern.«

Ich lehn­te mich weit in dem Ses­sel zu­rück und schau­te un­auf­fäl­lig zu Bo­ris Pe­tron­ko hin­über.

Er hat­te sich na­he der mar­sia­ni­schen Weit­win­ke­ler­fas­sung pos­tiert. Je­der­mann an Bord des KAS­HAT-Kreu­zers muß­te sei­ne mons­trö­se Er­schei­nung se­hen kön­nen.

»Ich bin an­de­rer Auf­fas­sung, Mae­rec-Taarl. Die Ge­pflo­gen­hei­ten ir­di­scher Be­fehls­ha­ber sind ein wich­ti­ger Bau­stein in mei­ner Pla­nung. Sie soll­ten sich dar­über kei­ne Ge­dan­ken ma­chen. Die Er­de steht hin­ter mir. Ich gel­te als Ret­ter der Mensch­heit.«

»Die Hil­fe­leis­tung durch die Mensch­heit ist für uns be­deu­tungs­los.«

»Das soll­ten Sie nicht un­ter­schät­zen«, warn­te ich. »Der Ro­bot­kom­man­deur ZON­TA ge­horcht mei­nen Be­feh­len. Er ist an­ge­wie­sen wor­den, die ir­di­schen Trup­pen­ein­hei­ten nicht nur zu dul­den, son­dern sie tat­kräf­tig zu un­ter­stüt­zen. Hin­sicht­lich der Schwie­rig­kei­ten, die Sie mit dem Mars­ge­hirn und in ver­stärk­tem Ma­ße mit dem hie­si­gen Ve­nus­be­fehls­ha­ber hat­ten und ha­ben, wür­de ich Ih­nen zu ei­nem schnel­len Ent­schluß ra­ten. Kom­man­dant – ge­ben Sie das Schach­spiel auf. Klä­ren Sie end­lich die Fron­ten! Ich bin be­reit, Ih­nen einen Teil der mar­sia­ni­schen Hin­ter­las­sen­schaft zu über­las­sen. Auf kei­nen Fall wer­de ich je­doch so­gh­mo­li­sche Kom­man­dos in mei­nem Hei­mat­sys­tem dul­den.«

»Frü­her wa­ren Sie an­de­rer An­sicht«, ent­geg­ne­te er leb­haf­ter. Mir schi­en, als wä­re er er­regt. »Mei­nem Ex­pe­di­ti­ons­lei­ter, To­erc-Ci­vre, bo­ten Sie den Mars, die Ur­sprungs­welt mei­ner Vor­fah­ren, als stän­di­gen Stütz­punkt an. Sie selbst be­an­spruch­ten die Herr­schaft über die Er­de und den ir­di­schen Mond.«

»Nicht nach­ge­ben!« warn­te Han­ni­bal te­le­pa­thisch. »Der Kna­be hat kei­ne Ah­nung, zu wel­chen Zu­ge­ständ­nis­sen wir sonst noch be­reit­ge­we­sen wä­ren.«

Ich muß­te mei­ne frü­he­re Aus­sa­ge kor­ri­gie­ren. Er war gut in­for­miert. Ich hat­te kei­ne an­de­re Wahl, als die kom­pro­miß­lo­se Hal­tung ei­nes sich mäch­tig füh­len­den Man­nes ein­zu­neh­men. Das konn­te den er­hoff­ten Er­folg einen­gen, oder so­gar un­mög­lich ma­chen.

»Das ist rich­tig. Ihr Kom­man­deur hät­te sich schon auf dem Mars mit mir ei­ni­gen sol­len. Statt des­sen woll­te er mich be­sei­ti­gen. NEW­TONS Ein­grei­fen zu mei­nen Guns­ten gab nicht nur mir zu den­ken, son­dern si­cher­lich auch Ih­nen, Kom­man­dant. Sie glau­ben doch wohl nicht ernst­haft, ich lie­ße mich mit ei­ner sol­chen Rücken­de­ckung auf mehr Zu­ge­ständ­nis­se ein als not­wen­dig? Wenn wir nicht zu ei­ner Ei­ni­gung ge­lan­gen, las­se ich es end­gül­tig auf die ge­walt­sa­me Ent­schei­dung zwi­schen Ih­nen und mir an­kom­men. In die­sem Fall wer­de ich die Nut­zung der Mars­hin­ter­las­sen­schaf­ten ver­wei­gern. Ich wür­de mir das an Ih­rer Stel­le über­le­gen.«

Aus sei­nem Schwei­gen ging her­vor, daß er in zwei Ver­hand­lungs­punk­ten am kür­ze­ren He­bel­arm saß. Ein­mal hielt er mich tat­säch­lich für einen macht­lüs­ter­nen, ver­rä­te­risch ein­ge­stell­ten GWA-Schat­ten, und zum an­de­ren konn­te er sich noch im­mer nicht vor­stel­len, durch wel­che Um­stän­de das MARS­HU-Schlacht­schiff tat­säch­lich ver­nich­tet wor­den war.

Er muß­te an der Wirk­sam­keit sei­nes Groß­ko­da­tors zwei­feln. Das hät­te er na­tür­lich nicht ge­tan, wenn er ge­wußt hät­te, daß NEW­TON nicht ak­tiv an­ge­grif­fen hat­te.

»Sie soll­ten nicht mehr lan­ge über­le­gen, Mae­rec-Taarl«, dräng­te ich. »Das ist un­ser vier­tes Ge­spräch. Al­le De­tails sind be­spro­chen wor­den. Ich schla­ge Ih­nen er­neut vor, die Ver­hält­nis­se auf die­sem Pla­ne­ten mit mir ge­mein­sam zu klä­ren. Oder muß ich Ih­nen noch­mals ver­si­chern, daß al­lein kei­ner von uns den po­sitro­ni­schen Ve­nus­kom­man­deur zur Dienst­leis­tung her­an­zie­hen kann? Das ge­lingt uns nur ge­mein­schaft­lich. Ich bin nicht dar­an in­ter­es­siert, die letz­te Bas­ti­on der Mar­sia­ner un­er­forscht zu las­sen. Sie doch auch nicht, oder?«

Er schwieg be­harr­lich. Jetzt hät­te ich et­was da­für ge­ge­ben, einen Blick in sei­ne Au­gen wer­fen zu kön­nen. Viel­leicht wa­ren sie doch ein Re­flek­tor sei­ner Ge­füh­le; aber ich konn­te au­ßer ei­nem kris­tall­ar­ti­gen Glit­zern tief un­ter den Kno­chen­wüls­ten kei­ne Re­gung er­ken­nen.

»Er beißt an«, teil­te Han­ni­bal mit. »Ki­ny und ich kön­nen zwar kei­nen Ge­dan­ken auf­fan­gen, all­mäh­lich be­kom­men wir aber einen Über­blick über die Emo­ti­onss­trö­me sei­nes Ge­hirns. Das ist ei­ne in­di­rek­te Aus­wer­tung. Au­gen­blick­lich zö­gert er noch. Ge­ne­rell scheint er aber ent­schlos­sen zu sein, der Sa­che auf den Grund zu ge­hen. Na­tür­lich will er uns her­ein­le­gen. Paß auf! Er hat einen be­stimm­ten Plan.«

»Wem sagst du das! Weiß er, daß wir Klein­pro­jek­to­ren zum Auf­bau ei­nes In­di­vi­du­al­schutz­schirms be­sit­zen?«

»Ich kann nichts fest­stel­len, Sir«, mel­de­te sich Ki­ny. »Die­se So­gh­mo­ler sind von Na­tur aus der­art pa­ra­taub, daß Han­ni­bals In­di­rek­t­aus­wer­tung be­reits mit Vor­sicht zu be­wer­ten ist. Ich bin nicht si­cher, ob Mae­rec-Taarl ge­willt ist, auf Ih­re Vor­schlä­ge ein­zu­ge­hen. En­de – er spricht wie­der.«

Ich kon­zen­trier­te mich auf die Stim­me und das drei­di­men­sio­na­le Farb­bild der mar­sia­ni­schen Vi­deo­ver­bin­dung. Sie war aus­ge­zeich­net.

»Ein­ver­stan­den, HC-9, wir wol­len es ver­su­chen. Mei­ne Be­din­gun­gen sind Ih­nen be­kannt. Falls der Ve­nus­ro­bo­ter an­spricht, ha­ben Sie mir auch bei der Nutz­bar­ma­chung des Mars­ge­hirns be­hilf­lich zu sein.«

Ich hat­te auf ei­ne sol­che Ent­schei­dung ge­hofft, doch nun woll­te ich es nicht wahr­ha­ben.

May­koft, der hin­ter mir stand, at­me­te so hef­tig aus, daß ich einen Pfeif­ton ver­nahm.

Ich sah, was ihn zu die­ser Re­gung hin­riß! Der So­gh­mo­ler lä­chel­te plötz­lich. Nie­mals zu­vor hat­te ich bei ei­nem In­tel­li­genz­we­sen sei­ner Art die­se mensch­li­che Re­gung be­ob­ach­tet.

Sei­ne mes­ser­schar­fen Lip­pen wa­ren nicht in die Brei­te ge­zo­gen, son­dern et­was vor­ge­wölbt. Der Cha­rak­ter des Lä­chelns war aber nicht zu ver­ken­nen.

Wenn mir bis da­hin un­be­kannt ge­we­sen wä­re, daß er einen für uns töd­lich ver­lau­fen­den Be­trug plan­te, hät­te ich es jetzt ge­ahnt. Al­ler­dings wuß­ten wir nicht, in wel­cher Wei­se er uns un­schäd­lich ma­chen woll­te.

Selbst­ver­ständ­lich war er nicht be­reit, sich von uns be­vor­mun­den zu las­sen. Er woll­te nicht einen Teil des Mar­ser­bes – er woll­te al­les!

»Und noch et­was, Herr Ge­ne­ral«, ver­nahm ich sei­ne Stim­me. Sie klang hel­ler, bei­na­he hei­ter.

»Ich wer­de mit ei­nem Bei­boot lan­den. Der Kreu­zer bleibt mit – wie sa­gen Sie zu dem Ge­rät? – dem Su­per­ko­da­tor im Welt­raum zu­rück. Die Ak­ti­vi­tät des Mars­ge­hirns NEW­TON gibt mir zu den­ken. Könn­te es nicht sein, daß Sie das Be­fehls­ge­rät mei­nes Ex­pe­di­ti­ons­lei­ters zer­stört ha­ben? Viel­leicht in ei­nem Au­gen­blick der Un­acht­sam­keit? Da­durch wä­re NEW­TONS feind­se­li­ge Hal­tung zu er­klä­ren. Ich grü­ße Sie, Sir.«

Er schal­te­te ab. Einen Au­gen­blick herrsch­te an Bord der »1418« Schwei­gen der Ver­blüf­fung, bis es von Al­li­son ge­bro­chen wur­de.

»Don­ner­wet­ter – un­ser ver­ehr­ter Freund wird aber vor­sich­tig! Er über­schätzt Sie, Kon­nat. Er weißt doch be­stimmt, daß Sie und Utan bis auf die Haut ent­klei­det wur­den. Wie kann er un­ter Be­rück­sich­ti­gung die­ser Tat­sa­chen auf die Idee kom­men, Sie hät­ten sei­nem Kom­man­deur den Su­per­ko­da­tor zer­trüm­mert? Mit den blo­ßen Hän­den wä­re das schlecht mög­lich ge­we­sen.«

Mein Auf­la­chen ver­moch­te er nicht rich­tig zu deu­ten. Han­ni­bal, Nis­hi­mu­ra und vor al­lem An­ne Bur­ner sa­hen kla­rer.

»Über­schätzt zu wer­den, ist im vor­lie­gen­den Fal­le bes­ser als un­ter­schätzt zu wer­den«, sag­te ich ge­dehnt. »Sie ha­ben doch hof­fent­lich nicht da­mit ge­rech­net, er wür­de sein kost­ba­res Raum­schiff dicht ne­ben der ›1418‹ lan­den?«

Nein, da­mit hat­te ich nicht ge­rech­net, aber stän­dig dar­auf hin­ge­ar­bei­tet, da­mit er kei­nes­falls auf die Idee kam, ich wür­de kei­nen Wert dar­auf le­gen.

An­ne nick­te und such­te in ih­ren Ta­schen ver­geb­lich nach ei­ner Zi­ga­ret­te.

Ich stand auf und schau­te auf die Uhr.

»Könn­te man De­tails er­fah­ren?« er­kun­dig­te sich Al­li­son wü­tend. »Ich darf Ih­nen ver­ra­ten, daß wir nur durch ei­ne Zer­stö­rung des Fremd­ge­räts ge­win­nen kön­nen. So­lan­ge des­sen Im­puls­fron­ten auf un­se­ren pri­vi­le­gier­ten Ve­nus­geist ein­häm­mern, ha­ben Sie mit dem Ta­schen­ko­da­tor kei­ne Chan­ce.«

Ich schau­te ihn amü­siert an.

»Na­nu, Fra­mus, Sie zei­gen ja Ta­lent. Mei­nen Sie da­mit den Ro­bot­kom­man­deur?«

»Wen sonst. Er ist der Geist der Ve­nus; al­ler­dings ei­ner von der Sor­te, der sich nur durch hand­fes­te Ar­gu­men­te der po­sitro­ni­schen Tech­nik über­zeu­gen läßt. Dann wird er dienst­bar, vor­her nicht.«

»Fra­mus, Sie sind ein groß­ar­ti­ger Wis­sen­schaft­ler, aber über sol­che Din­ge soll­ten Sie nicht zu lan­ge nach­den­ken. Mae­rec-Taarl schätzt ei­ni­ge Ge­ge­ben­hei­ten falsch ein. Dar­aus re­sul­tie­ren wei­te­re Feh­ler.«

Er wink­te un­wirsch ab und such­te nach sei­nem durch­weich­ten Ta­schen­tuch.

»Be­nut­zen Sie ei­ne der Luft­du­schen«, riet May­koft. »Wo­her neh­men Sie ei­gent­lich die­se Schweiß­fül­le?«

Al­li­son be­ach­te­te ihn nicht. Er ging auf den Kom­pakt­rech­ner zu und be­gann Da­ten ein­zu­spei­chern.

»Oh­ne die Zer­stö­rung des Groß­ko­da­tors ge­lingt nichts!« be­haup­te­te er stör­risch. »Sie kön­nen aus­tüf­teln, was Sie wol­len. Hö­ren Sie, ich bin doch kein Schwach­kopf! Wenn Sie mir ver­ra­ten, wie Sie an das Ge­rät her­an­kom­men wol­len, kann ich Ih­nen ga­ran­tiert wei­ter­hel­fen. Al­so, wie wol­len Sie in den Schwe­ren Kreu­zer vor­drin­gen? Per Trans­mit­ter? Soll ich mich zu­sam­men mit Nis­hi­mu­ra um un­ser Klein­ge­rät küm­mern? Wol­len Sie einen Sprung ris­kie­ren?«

»Wirk­lich nicht. Las­sen Sie die Fin­ger da­von. Der Trans­mit­ter wür­de uns mit­samt der ›1418‹ um die Oh­ren flie­gen.«

»Aber – wie wol­len Sie in den Kreu­zer hin­ein­kom­men? Mae­rec-Taarl denkt nicht dar­an, Sie ein­zu­la­den. Den Feh­ler sei­ner bei­den Kol­le­gen wird er auf kei­nen Fall wie­der­ho­len.«

Ich nick­te ihm zu, leg­te mich auf ein Kon­tur­la­ger und schloß die Au­gen.

»Das will ich hof­fen. Al­li­son, müs­sen Sie ei­gent­lich im­mer so laut sein? Wir könn­ten ei­ne Stun­de Schlaf ge­brau­chen, Bo­ris, sor­gen Sie bit­te für Ru­he an Bord.«

 

 

8.

 

Das Bei­boot des KAS­HAT-Kreu­zers war fast so groß wie un­se­re »1418«, be­saß al­ler­dings kei­nen ku­gel­för­mi­gen Rumpf.

Es glich eher ei­ner Flun­der und war da­her an Bord ei­nes großen Schif­fes gut mit­zu­füh­ren. Die Han­gars wa­ren wahr­schein­lich platz­spa­rend flach, und die Aus­schleu­sungs­to­re brauch­ten auch nicht über­mä­ßig groß zu sein.

Han­ni­bal, Ki­ny und ich hat­ten einen Pa­ra-Ver­bund­block ge­bil­det und er­neut ver­sucht, den Be­wußt­seins­in­halt der ge­lan­de­ten So­gh­mo­ler zu er­fas­sen. Es war ver­geb­lich.

Da­ge­gen konn­ten emo­tio­nel­le Emp­fin­dun­gen schwach ge­or­tet und – wie es schi­en – durch die ge­won­ne­nen Er­fah­run­gen auch an­nä­hernd aus­ge­wer­tet wer­den.

Mae­rec-Taarl war ge­kom­men, um zu be­trü­gen; mehr noch – er woll­te tö­ten! Sei­ne un­ter­schwel­li­ge Emp­fin­dungs­front lag vor uns. Er be­herrsch­te sich mü­he­voll und emp­fand es als un­faß­bar, daß er uns und un­ser Schiff nicht be­zwin­gen konn­te. Fer­ner schi­en er in­ten­siv dar­über nach­zu­grü­beln, warum ihm ein Fehl­schlag nach dem an­de­ren un­ter­lau­fen war.

Ki­ny saß schwei­gend im Hin­ter­grund der Zen­tra­le. Sie trug eben­falls einen Kampf­an­zug, aber sie soll­te in der »1418« zu­rück­blei­ben. Wir brauch­ten sie drin­gend als Nach­rich­ten­über­mitt­le­rin.

Ih­re großen, dunklen Au­gen schim­mer­ten wie un­er­gründ­li­che Seen. Sie kon­zen­trier­te sich voll­kom­men auf ih­re Auf­ga­be.

Wir hat­ten mit dem So­gh­mo­ler ab­ge­spro­chen, uns na­he der Ener­gie­mau­er zu tref­fen. Je­de Grup­pe soll­te aus drei Teil­neh­mern be­ste­hen.

Ich hat­te lan­ge über­legt, wen ich als drit­ten Mann mit­neh­men soll­te. Han­ni­bal zähl­te selbst­ver­ständ­lich zum Kom­man­do. Schließ­lich war un­se­re Wahl auf den star­ken, hoch­trai­nier­ten Ja­pa­ner ge­fal­len, der au­ßer sei­nem Fach­wis­sen be­acht­li­che kämp­fe­ri­sche Qua­li­tä­ten zu bie­ten hat­te. Kenji Nis­hi­mu­ra war Welt­meis­ter im olym­pi­schen Schnell­feu­er­schie­ßen und Welt­meis­ter im Ju­do. Sein schar­fer Ver­stand war eben­so wich­tig wie sei­ne großen me­di­zi­ni­schen Fä­hig­kei­ten. Wenn je­mand ver­letzt wur­de, war es vor­teil­haft, einen Arzt in der Nä­he zu ha­ben.

Mae­rec-Taarl hat­te sich sei­ne bei­den Be­glei­ter eben­falls gut aus­ge­sucht. Wahr­schein­lich hat­te er bei der Aus­wahl grö­ße­re Schwie­rig­kei­ten ge­habt als wir.

Bo­ris Pe­tron­ko hat­te das Kom­man­do über die »1418« über­nom­men. Er soll­te wei­ter­hin das In­tel­li­genz­we­sen vom Pla­ne­ten Moohr­ko spie­len und al­le Vi­deo­an­ru­fe ent­ge­gen­neh­men.

Sein Auf­tritt war ein klei­nes Schau­spiel. Wir plan­ten es ein, um den So­gh­mo­ler mög­lichst weit­ge­hend zu ver­un­si­chern und ihm stän­dig vor Au­gen zu hal­ten, daß wir nicht zu un­ter­schät­zen wa­ren.

Wir be­ga­ben uns in die en­gen Han­gar­räu­me und be­stie­gen den Bo­denglei­ter, den May­koft schon ein­mal be­nutzt hat­te. Han­ni­bal schloß die Druck­kup­pel, und Nis­hi­mu­ra über­prüf­te die Ge­schütz­kon­trol­len. Auf den klei­nen Bild­schir­men war die Zen­tra­le un­se­res Schif­fes zu se­hen.

Die Trieb­wer­ke lie­fen; al­le Schutz­schir­me wa­ren auf­ge­baut. Das so­gh­mo­li­sche Boot stand et­wa vier Ki­lo­me­ter ent­fernt am En­de des großen Lan­de­fel­des. Auch dort hat­te man die Schutz­schir­me auf­ge­baut.

»Ich kom­me zu kei­nen neu­en Er­geb­nis­sen, Sir«, mel­de­te sich Ki­ny. »Von ei­nem hyp­no­sug­ge­s­tiv wirk­sa­men Ge­rät ist nichts zu spü­ren. Ich neh­me al­ler­dings an, daß die So­gh­mo­ler über ei­ne sol­che Ma­schi­ne ver­fü­gen. Vor­sicht!«

Vor uns glit­ten die Schleu­sen­to­re auf. Das An­ti­gra­vi­ta­ti­ons­feld er­faß­te uns und senk­te den Glei­ter auf den Bo­den her­un­ter. Kaum hör­bar sprang das Trieb­werk an.

Nis­hi­mu­ra steu­er­te den schüs­sel­för­mi­gen Wa­gen. Wir um­run­de­ten die »1418«, be­nutz­ten sie we­gen ei­nes even­tu­el­len Feu­er­über­falls als De­ckung und fuh­ren auf den Punkt in der Ener­gie­mau­er zu, die ich Mae­rec-Taarl be­schrie­ben hat­te.

»Okay, gut so«, drang Al­li­sons Stim­me aus dem Vi­deo­ge­rät. »Ich ha­be das Er­geb­nis über den Lan­de­platz. Die hell­ro­te Fär­bung gibt mir zu den­ken. Ich bin si­cher, daß un­ser Ve­nus­geist sei­ne vor­ge­la­ger­ten Ha­fen­an­la­gen je nach Wich­tig­keit mar­kiert. Die ro­te Far­be war für den Mars die be­deut­sams­te. Ent­we­der ste­hen wir auf ei­nem be­son­ders ge­fähr­de­ten Platz, was ich nicht an­neh­me, oder auf dem Ge­län­de für be­vor­zug­te Be­su­cher. Sie soll­ten sich dar­auf ein­rich­ten.«

Ich wink­te ihm zu.

»Ver­stan­den, Doc. Kom­men un­se­re Freun­de be­reits?«

»Sie ver­las­sen so­eben das Boot. Sie woll­ten es nach der Aus­schleu­sung üb­ri­gens ab­he­ben.«

»Aha! Was ha­be ich ge­sagt?«

»Na ja, Sie schei­nen rich­tig ver­mu­tet zu ha­ben. Wenn es Mae­rec-Taarl ge­lun­gen wä­re, Sie mit­samt dem schwach­ge­schütz­ten Glei­ter in Asche zu ver­wan­deln, dann …«

»… dann hät­te er jetzt schon ge­won­nen«, vollen­de­te ich den Satz. »Er weiß mit Si­cher­heit, daß ich den Ko­da­tor am Kör­per tra­ge. Al­li­son, die Ge­fahr ha­ben wir über­wun­den. Konn­ten Sie fremd­ar­ti­ge Im­pul­se fest­stel­len?«

»Ja, ich«, mel­de­te sich Do­gen­dal. Er er­schi­en auf ei­nem an­de­ren Bild­schirm. »Das Lan­dungs­boot wur­de ge­walt­sam am Start ge­hin­dert. Es sieht da­nach aus, als hät­te der Groß­ro­bo­ter das so­gh­mo­li­sche Vor­ha­ben er­kannt. Das scheint er nicht zu dul­den.«

Han­ni­bal nick­te der­art hef­tig, daß er mit der Stirn ge­gen die in­ne­re Pols­ter­kan­te sei­nes Druck­helms schlug. Er un­ter­drück­te ei­ne Ver­wün­schung.

»Da­durch ist Ih­nen und an­de­ren schlau­en Her­ren hof­fent­lich klar­ge­wor­den, warum wir nicht auf Ih­re Vor­schlä­ge ein­ge­gan­gen sind. Wenn wir das Boot an­ge­grif­fen hät­ten, wä­re es uns ähn­lich er­gan­gen. Vor­sicht, Kenji, Sie ra­sen in die Ener­gie­mau­er hin­ein.«

Ich dach­te über Han­ni­bals Wor­te nach. Tat­säch­lich war der Plan er­wo­gen wor­den, das Bei­boot zu zer­stö­ren. Es wä­re uns nicht ge­lun­gen. Au­ßer­dem wä­re der Er­folg frag­wür­dig ge­we­sen.

Nis­hi­mu­ra stopp­te den Wa­gen. Wir wa­ren jetzt so weit von der »1418« ent­fernt, daß sie als De­ckung nicht mehr in Fra­ge kam. Das so­gh­mo­li­sche Bei­boot wur­de von un­se­rer Or­tung ein­wand­frei er­faßt.

Man ver­zich­te­te je­doch auf einen Be­schuß; al­ler­dings nicht frei­wil­lig! Der Ro­bot­kom­man­deur schi­en Ord­nung in die An­ge­le­gen­heit brin­gen zu wol­len. Dicht ne­ben un­se­rem Fahr­zeug war ei­ne flim­mern­de Mau­er ent­stan­den.

»Man ach­tet auf un­ser Wohl«, spöt­tel­te Han­ni­bal. »Sieh dir das an! Die So­gh­mo­ler wer­den auf der an­de­ren Sei­te an­ge­hal­ten. Jetzt stei­gen sie aus. Ich bin neu­gie­rig, was sich Mae­rec-Taarl noch ein­fal­len läßt. Bis jetzt hat­te er nur Pech.«

Wir si­cher­ten den Wa­gen, stell­ten den Druck­aus­gleich her und kon­trol­lier­ten un­se­re Kampf­an­zü­ge, die gleich­zei­tig erst­klas­si­ge Raum­mon­tu­ren dar­stell­ten.

Die Frem­den tru­gen an­de­re Kom­bi­na­tio­nen. Auf den Brust­stücken er­kann­ten wir das Son­nen­sym­bol des Mars.

Kom­bi­na­tio­nen die­ser Art hat­ten wir in der Mond­stadt Zon­ta in vie­ler­lei Aus­füh­run­gen ge­fun­den und stu­diert. Sie wa­ren für un­se­re Zwe­cke viel zu klein ge­we­sen, sonst hät­ten wir sie al­lein we­gen der groß­ar­ti­gen Le­bens­er­hal­tungs­sys­te­me ge­gen un­se­re Kon­struk­tio­nen aus­ge­tauscht. Wie wa­ren die fast men­schen­großen So­gh­mo­ler zu ih­ren Aus­rüs­tun­gen ge­kom­men?

Nis­hi­mu­ra schi­en mei­ne Ge­dan­ken zu ah­nen.

»Die Raum­an­zü­ge sind Nach­bau­ten nach mar­sia­ni­schem Vor­bild. Wahr­schein­lich hat man die Sys­te­me von ech­ten Aus­rüs­tun­gen über­nom­men. Ob das ein­wand­frei funk­tio­niert? Auf die Idee wa­ren un­se­re Ex­per­ten auch ge­kom­men, aber wir hat­ten Schwie­rig­kei­ten mit dem Ma­te­ri­al­ver­bund. Die mar­sia­ni­schen Le­gie­run­gen ha­ben sich nicht ein­mal dau­er­haft kle­ben las­sen. Wie ha­ben die So­gh­mo­ler das ge­macht?«

Ich ver­zich­te­te auf ei­ne Ant­wort. Wäh­rend wir aus­stie­gen, jag­ten zahl­rei­che neue Ide­en und Mög­lich­kei­ten durch mein Ge­hirn.

»Kenji, sitzt Ihr An­ti­tron­helm rich­tig?« er­kun­dig­te ich mich be­un­ru­higt. Aus dem Wa­gen der So­gh­mo­ler fuhr ei­ne an­ten­nen­ar­ti­ge Kon­struk­ti­on her­vor.

Er nick­te be­ru­hi­gend. Hin­ter der Breit­sichtschei­be sei­ner Kopf­um­hül­lung be­merk­te ich den eng­an­lie­gen­den An­ti­tron­helm. Die Elek­tro­den wa­ren mit sei­ner Schä­del­haut ver­bun­den und auf sei­ne in­di­vi­du­el­len Schwin­gun­gen jus­tiert.

Wir schrit­ten vor­sich­tig auf den Ener­gie­schirm des »Ve­nus­geis­tes« zu. Die vor uns auf­ra­gen­de Wand wur­de im­mer ge­wal­ti­ger. Wir konn­ten sie längst nicht mehr mit den Bli­cken er­fas­sen.

Hin­ter der durch­sich­ti­gen, tür­kis­far­be­nen Mau­er ent­deck­ten wir die glei­che Land­schaft wie über­all auf der Ve­nus.

Ki­ny rief an.

»Mae­rec-Taarl steht mit sei­nem Schiff in Hy­per­dim­ver­bin­dung. Wir kön­nen nur den Ener­gie­ge­halt an­mes­sen. Die Sen­dung selbst ist so haar­scharf ge­bün­delt, daß sie nicht auf­ge­fan­gen oder ge­stört wer­den kann. Das läßt Do­gen­dal aus­rich­ten.«

Ich nick­te un­will­kür­lich. In dem Au­gen­blick war ich si­cher, ei­ne wei­te­re Schlacht ge­won­nen zu ha­ben.

Sei­nen Groß­ko­da­tor hat­te Mae­rec-Taarl na­tür­lich auf dem Schwe­ren Kreu­zer zu­rück­las­sen müs­sen; aber er muß­te ihn ir­gend­wie be­die­nen! Da­zu war zwangs­läu­fig ein Nach­rich­ten­ge­rät auf Hy­per­dim­ba­sis er­for­der­lich. Auf nor­ma­le Fre­quen­zen hät­te der Ko­da­tor be­stimmt nicht rea­giert.

Das war auf­schluß­reich! Ich konn­te mei­nen Be­fehls­ge­ber in die Hand neh­men oder in der Ta­sche auf­be­wah­ren. Al­ler­dings be­saß er bei wei­tem nicht die ho­he Leis­tung. Was war güns­ti­ger? Die ve­nus­be­ein­flus­sen­de Kom­man­do­strah­lung aus dem frei­en Raum oder mei­ne Be­fehl­sim­pul­se aus un­mit­tel­ba­rer Nä­he? Konn­te es da­durch zu ei­nem Patt-Ver­hält­nis kom­men? Soll­te das zu­tref­fen, kam es dar­auf an, die »per­sön­li­che No­te« aus­zu­spie­len. Al­li­son war oh­ne­hin der Auf­fas­sung, der Ve­nus­geist hät­te uns Men­schen »lie­ber« als die So­gh­mo­ler. Was bei ei­nem Ro­bot­ge­hirn un­ter »lie­ber mö­gen« zu ver­ste­hen war, hat­te er al­ler­dings nur mit hoch­kom­pli­zier­ten Fach­be­grif­fen aus­drücken kön­nen. Ich ver­ließ mich bes­ser nicht dar­auf.

Als wir auf die drei So­gh­mo­ler zu­gin­gen, stei­ger­te sich die in­ne­re Span­nung. Han­ni­bal und ich hat­ten un­se­re ball­ar­ti­gen Schutz­schirm­pro­jek­to­ren un­auf­fäl­lig un­ter den schwe­ren Kampf­an­zü­gen ver­ber­gen kön­nen. Die Ge­rä­te wa­ren vor­ak­ti­viert und konn­ten durch einen Druck auf den Gür­tel­kon­takt voll ein­ge­schal­tet wer­den.

Die Fra­ge, ob Mae­rec-Taarl dar­über in­for­miert war, be­weg­te mich un­un­ter­bro­chen. Wuß­te er et­was, hät­te er ei­gent­lich ei­ne Be­mer­kung ma­chen oder so­gar die Aus­lie­fe­rung ver­lan­gen müs­sen.

Die von den Pro­jek­to­ren er­zeug­ten Schutz­schir­me wi­der­stan­den selbst star­ken Ro­boter­waf­fen. Mit den üb­li­chen Hand­strah­lern wa­ren sie auf kei­nen Fall zu durch­schie­ßen.

Die So­gh­mo­ler schal­te­ten ih­re Helm­sen­der ein. Die Vi­deo­fre­quenz war fest­ge­legt wor­den.

»Will­kom­men, Kom­man­dant«, sprach ich den Frem­den an.

Mae­rec-Taarl war we­sent­lich grö­ßer als sei­ne bei­den Be­glei­ter. Sie wa­ren kaum 1,70 Me­ter groß, aber ath­le­tisch ge­baut.

»Ich grü­ße Sie«, ver­nahm ich sei­ne Stim­me.

Ich mus­ter­te ihn auf­merk­sam. Han­ni­bal sprach kein Wort. Sei­ne Auf­ga­be be­stand in ei­ner stän­di­gen Über­prü­fung der Emo­tioim­pul­se. Je­ne von Mae­rec-Taarl wa­ren be­son­ders ver­nehm­bar, al­ler­dings nur in der Form ei­nes un­ver­ständ­li­chen Auf- und Ab­wal­lens.

»Wir soll­ten uns nicht un­nö­tig auf­hal­ten«, schlug ich vor. »Kön­nen Sie Ih­ren Ko­da­tor von hier aus be­die­nen? Ich mei­ne fol­ge­rich­tig?«

In sei­nem hin­ter der Pan­zer­schei­be gut er­kenn­ba­ren Ge­sicht zuck­te kein Mus­kel.

»An­dern­falls wä­re ich nicht hier.«

Ich be­trach­te­te das auf sei­ner Brust hän­gen­de Ge­rät. Es war un­ge­fähr hand­lang und halb so dick. Ein ge­pan­zer­ter Ka­bel­strang führ­te zu sei­nem Viel­zweck­gür­tel hin­un­ter, in dem auch das nor­ma­le Vi­deo­ge­rät ein­ge­baut war. Wir tru­gen un­se­re An­la­gen in den sta­bi­len Kunst­stoff­ge­häu­sen der Rück­en­tor­nis­ter.

Han­ni­bal mel­de­te sich auf Psi-Ebe­ne. Die Nach­rich­ten­über­mitt­lung war für Mae­rec-Taarl un­hör­bar, weil er im Ge­gen­satz zu sei­nen bei­den ver­stor­be­nen Kol­le­gen nicht über Te­le­pa­thie­kräf­te ver­füg­te. To­erc-Ci­vre, der ehe­ma­li­ge Ex­pe­di­ti­ons­kom­man­deur, hat­te un­se­re be­son­de­ren Fä­hig­kei­ten so­fort be­merkt und ge­gen ih­re An­wen­dung Ein­spruch er­ho­ben. Mae­rec-Taarl rea­gier­te nicht.

Ob er ahn­te, daß er wie­der ein Ge­fecht ver­lo­ren hat­te? Wahr­schein­lich nicht! Noch schi­en er sehr selbst­si­cher zu sein.

»Ich ha­be mich wei­sungs­ge­mäß in Nis­hi­mu­ras Über­le­gungs­vor­gän­ge ein­ge­schal­tet«, be­rich­te­te Han­ni­bal. »Er hält die An­ord­nung des Hy­per­dim­sen­ders dicht über dem Kom­bi­gür­tel für ein schnell er­dach­tes Pro­vi­so­ri­um. Das Ka­bel ist höchs­tens fün­fa­d­rig und in ei­ne Pan­zer­hül­le ein­ge­zo­gen. Der Sen­der wird da­durch mit Ener­gie ver­sorgt. Ei­ne Sprech­ver­bin­dung zwi­schen Helm­mi­kro­phon und Au­ßen­bord­ge­rät muß eben­falls vor­han­den sein. Die­se Schnur dürf­te di­rekt hin­ter dem Kas­ten durch den Brust­pan­zer lau­fen. Er spricht al­so über sei­ne nor­ma­le Helm-Ton­auf­nah­me, be­zieht aber den Sen­der-Hoch­strom aus der star­ken Speicher­bank an der hin­te­ren Gür­tel­run­dung. Großer – wenn ich jetzt blitz­ar­tig zie­he und ihm das Ka­bel durch­schie­ße, wird der Kon­takt zu sei­nem Groß­ko­da­tor un­ter­bro­chen. Dann bist du der Be­fehls­ge­ben­de!«

Ich muß­te mich be­herr­schen, um ihn nicht mit mei­ner nor­ma­lakus­ti­schen Stim­me zu­recht­zu­wei­sen.

»Irr­tum!« ent­geg­ne­te ich hef­tig. »Laß die Fin­ger von der Waf­fe, Klei­ner! Dar­an ha­be ich längst ge­dacht. Theo­re­tisch wä­re es mög­lich, wenn wir nicht die Wach­sam­keit des Ve­nus­ge­hirns ein­kal­ku­lie­ren müß­ten. Es wür­de dich pa­ra­ly­sie­ren oder tö­ten, ehe du durch­zie­hen könn­test. Sei­ne Schwie­rig­kei­ten sind auch un­se­re Schwie­rig­kei­ten! Er kann nicht schie­ßen, wir aber auch nicht.«

Han­ni­bal schwieg zwar, konn­te es je­doch nicht un­ter­las­sen, die Pro­be aufs Ex­em­pel zu ma­chen.

Der schwe­re Mars-Ener­gie­strah­ler hing mit der Mün­dung nach vorn über sei­ner Schul­ter. Ihn rühr­te er nicht an!

Da­für ließ er die rech­te Hand ab­sin­ken. Als sie sich dem Gür­tel­half­ter mit der of­fen dar­in ste­cken­den Ther­mo­rak-Pis­to­le nä­her­te, mel­de­te sich so­fort der Ve­nus­geist.

»Ich hei­ße Sie will­kom­men, un­ter­sa­ge je­doch strikt je­de ag­gres­si­ve Hand­lung. Die An­wei­sun­gen der bei­den Be­fehls­be­rech­tig­ten wer­de ich bis zur Gren­ze mei­ner Grund­pro­gram­mie­rung be­fol­gen.«

Han­ni­bals Hand zuck­te plötz­lich nach oben. Ich be­merk­te ei­ne hel­le Leucht­er­schei­nung.

Er stieß ei­ne un­hör­ba­re Ver­wün­schung aus und be­weg­te in­ner­halb der druck­fes­ten Hand­schu­he die Fin­ger.

Mae­rec-Taarl mel­de­te sich in iro­ni­scher Form.

»Woll­ten Sie mich er­schie­ßen, MA-23? Sie soll­ten wis­sen, daß ich nie­mals ge­lan­det wä­re, wenn der Ve­nus­be­herr­scher nicht für mein Wohl­er­ge­hen ga­ran­tiert hät­te. Die Strah­ler sind für Sie le­dig­lich ei­ne Be­las­tung.«

Dies­mal hat­ten wir ein Ge­fecht ver­lo­ren. Als das Ge­hirn an­schlie­ßend for­der­te, al­le Waf­fen ab­zu­le­gen, gra­tu­lier­te ich mir selbst zu dem Ent­schluß, auf die Mit­nah­me ei­ner GWA-Aus­rüs­tung ver­zich­tet zu ha­ben. Es wä­re äu­ßerst pein­lich und an­ge­sichts der zu­se­hen­den So­gh­mo­ler de­pri­mie­rend ge­we­sen, Stück für Stück aus zahl­rei­chen Näh­ten und Ver­tie­fun­gen her­vor­ho­len zu müs­sen.

»Ist das al­les?« er­kun­dig­te sich Mae­rec-Taarl. »Wir wis­sen, wel­che Mi­kro­waf­fen von GWA-Schat­ten be­nutzt wer­den.«

»Über­prü­fen Sie sich lie­ber selbst«, sag­te Han­ni­bal wü­tend. Sei­ne Hand schi­en zu schmer­zen.

Wei­te­re Dis­kus­sio­nen wa­ren je­doch über­flüs­sig. Die Gi­gant­ma­schi­ne, die wir Ve­nus­geist nann­ten, ließ sich auf kein Ri­si­ko ein.

Noch au­ßer­halb der Ener­gieglo­cken wur­den wir so sorg­fäl­tig über­prüft, wie es nur ein mar­sia­ni­scher Groß­ro­bo­ter mit all sei­nen phan­tas­ti­schen Mög­lich­kei­ten durch­füh­ren konn­te.

Han­ni­bal ver­lor sei­ne Kom­bi­uhr mit dem ein­ge­bau­ten Säu­re­strah­ler. Mae­rec-Taarls Be­glei­ter wur­den eben­falls gründ­lich un­ter die Lu­pe ge­nom­men. Sie be­sa­ßen win­zi­ge Ex­plo­siv­n­ad­ler, die in den Be­die­nungs­knöp­fen der Funk­ge­rä­te in­stal­liert wa­ren.

Die Si­tua­ti­on wur­de tra­gi­ko­misch. Zu­letzt blie­ben nur Mae­rec-Taarl und ich üb­rig. Ich trau­te es die­sem in­tel­li­gen­ten Mann durch­aus zu, die Aus­rüs­tung sei­ner Un­ter­ge­be­nen be­wußt ge­op­fert zu ha­ben. Wenn er selbst ei­ne »Lie­bens­wür­dig­keit« am Kör­per trug, han­del­te es sich ga­ran­tiert um einen Ge­gen­stand, den so­gar ein ge­nia­ler Ro­bo­ter kaum er­ken­nen konn­te.

Al­ler­dings – des­sen konn­te der So­gh­mo­ler si­cher sein – wa­ren ihm die GWA-Ex­per­ten in die­ser Hin­sicht be­stimmt über­le­gen.

Han­ni­bal hüs­tel­te. Ich zeig­te mein bes­tes Po­ker­ge­sicht. Der Frem­de gab sich nicht an­ders.

Wenn ich je­doch ge­dacht hat­te, er wür­de den für ihn ka­ta­stro­pha­len Feh­ler be­ge­hen, mit­samt sei­nem Hy­per­dim­sen­der un­ter die Ener­gieglo­cke zu schrei­ten, hat­te ich mich ge­täuscht. Ich hat­te es auch nicht ernst­haft an­ge­nom­men, im­mer­hin aber dar­auf ge­hofft. Es hät­te mög­lich sein kön­nen!

»Un­ter­stüt­zen Sie mei­ne For­de­rung mit Ih­rem Ko­da­tor«, sprach er mich an. »Al­le Fes­tungs­sek­to­ren, die ich be­tre­te, dür­fen von kei­ner­lei Schutz­schir­men über­spannt sein. Das wür­de die Be­fehls­ge­bung zu mei­nem Groß­ge­rät stö­ren. Sie wol­len die Macht doch nicht al­lein ha­ben, HC-9! Es wä­re un­ge­recht.«

Dies­mal war ich nicht über­rascht, als er die Lip­pen zu ei­nem »La­chen« ver­zog.

Ich lä­chel­te eben­falls.

 

 

9.

 

Die bei­den Bo­denglei­ter hiel­ten an. Wir be­fan­den uns in ei­ner Hal­le, die wie hun­dert an­de­re aus­sah; al­ler­dings mit dem Un­ter­schied, daß es hier ei­ne Ne­ben­schalt­sta­ti­on des Ve­nus­ge­hirns gab. Die tech­ni­schen An­la­gen hat­ten frü­her zur Ein­spei­sung von Son­der­be­feh­len ge­dient.

Si­cher­lich hat­te es sich um kei­ne grund­le­gen­den An­wei­sun­gen ge­han­delt, son­dern aus­schließ­lich um sol­che der Schiffs­aus­rüs­tung und -War­tung.

Hin­ter uns la­gen zahl­rei­che Werf­ten, Han­gars und De­pots, die al­le einen gu­ter­hal­te­nen Ein­druck ge­macht hat­ten. Das po­sitro­ni­sche Mon­s­trum schi­en über die Jahr­zehn­tau­sen­de hin­weg ta­del­los funk­tio­niert und die ihm an­ver­trau­te Fes­tung vor­bild­lich in Ord­nung ge­hal­ten zu ha­ben.

Han­ni­bal und Kenji Nis­hi­mu­ra wa­ren de­pri­miert. Nach dem von Mae­rec-Taarl ver­lang­ten Ab­schal­ten der Ener­gieglo­cke hat­te man uns auch noch die bei­den Schutz­schirm­pro­jek­to­ren ab­ver­langt. Der So­gh­mo­ler war ent­setzt zu­rück­ge­wi­chen, als er die Be­deu­tung der ku­gel­för­mi­gen Ge­rä­te er­kannt hat­te.

Un­se­re Kampf­an­zü­ge hat­ten wir in der ers­ten Bun­ker­schleu­se zu­rück­las­sen müs­sen. Man hat­te uns gut tem­pe­rier­te und atem­ba­re Luft zu­ge­si­chert.

Beim Ab­strei­fen mei­nes Pan­zers hat­te der Groß­ro­bo­ter mei­ne letz­te Ein­satz­waf­fe ent­deckt. Da­mit hat­ten wir nicht ge­rech­net!

Mei­ne me­tal­le­ne Är­mel­man­schet­te ent­hielt ei­ne win­zi­ge, kaum her­vor­ste­hen­de Schnei­de. Das an ihr haf­ten­de Ner­ven­gift hät­te zehn So­gh­mo­ler ins Jen­seits be­för­dern kön­nen. Mit wel­cher Me­tho­de die Über­prü­fungs­ge­rä­te die­se Not­wehr­waf­fe er­kannt hat­ten, war mir rät­sel­haft.

Mae­rec-Taarl hat­te sei­nen künst­li­chen Fin­ger ver­lo­ren! Als das Glied samt dem dar­in ein­ge­bau­ten Preß­luft­n­ad­ler von ei­nem mar­sia­ni­schen Ro­bo­ter ent­fernt wur­de, hat­te ich stoß­ar­tig ge­lacht.

Der frem­de Kom­man­dant und ich hat­ten uns als er­tapp­te Sün­der ge­gen­über­stan­den. Kei­ner hat­te in dem Au­gen­blick ge­wußt, was er sa­gen soll­te.

Han­ni­bal hat­te sei­ne auf­ge­stör­ten Ge­füh­le in hand­fes­te Ver­wün­schun­gen ge­klei­det. Mae­rec-Taarl wa­ren ei­ni­ge Lau­te über die Lip­pen ge­kom­men, die sich wie ein ver­le­ge­nes Ge­läch­ter an­ge­hört hat­ten.

An­schlie­ßend wa­ren die ent­larv­ten Hel­den die­ser Missi­on auf zwei ge­trenn­te Prall­feld­glei­ter ge­be­ten wor­den, zwi­schen de­nen der Ro­bot­kom­man­deur zu­sätz­lich ei­ne mo­bi­le Ener­gie­wand auf­ge­baut hat­te. So wa­ren wir schließ­lich im Ne­ben­schalt­bun­ker an­ge­kom­men.

Ich frag­te mich, ob das po­sitro­ni­sche Mon­s­trum ge­nug Ge­fühl be­saß, um sich amü­sie­ren zu kön­nen. Je­der von uns hat­te nicht nur den Geg­ner son­dern auch den Be­herr­scher der Ve­nus über­töl­peln wol­len.

Uns ging es um die Exis­tenz und Frei­heit der Mensch­heit; der So­gh­mo­ler dach­te na­tur­ge­mäß an sei­ne Auf­ga­be. Wahr­schein­lich wür­de er sich oh­ne ei­ne Er­folgs­mel­dung nicht nach Hau­se ge­trau­en.

Han­ni­bal und Nis­hi­mu­ra zer­mar­ter­ten sich die Ge­hir­ne nach ei­nem Aus­weg. Ich bil­de­te kei­ne Aus­nah­me. Wenn ich zu der leuch­ten­den Ener­gie­wand zwi­schen dem So­gh­mo­ler und mir hin­über­blick­te, gab ich den Ge­dan­ken, ihn an­zu­sprin­gen, schnell wie­der auf.

Kenji sah mich zwin­gend an. Er woll­te mir et­was mit­tei­len.

Ich tas­te­te pa­ra­psy­chisch nach sei­nem Be­wußt­seins­in­halt und er­faß­te sei­ne Ge­dan­ken. Er rief mich in­di­rekt an.

»Ich neh­me an, Sie hö­ren mich jetzt, Sir. Ich se­he kei­nen gang­ba­ren Weg mehr. Sie soll­ten ver­su­chen, die Fes­tung schnells­tens zu ver­las­sen, aber da­für zu sor­gen, daß Sie und der So­gh­mo­ler noch­mals ein­ge­las­sen wer­den. Wir könn­ten in der Zwi­schen­zeit ver­su­chen, ei­ne wirk­lich or­tungs­si­che­re Waf­fe an Ih­rem Kör­per an­zu­brin­gen.«

Han­ni­bal hat­te mit­ge­hört. Er nick­te Nis­hi­mu­ra flüch­tig zu und rief mich an.

»Das könn­te die Lö­sung sein. Wir ha­ben das Ziel er­reicht und doch nicht ge­won­nen.«

»Doch!« un­ter­brach ich ihn mit ei­nem kur­z­en Im­puls.

Er riß ver­ständ­nis­los die Au­gen auf. Kenji wur­de auf­merk­sam, al­ler­dings kam er dies­mal nicht auf die rich­ti­ge Idee.

Die So­gh­mo­ler be­ob­ach­te­ten uns arg­wöh­nisch. Das Ve­nus­ge­hirn mel­de­te sich noch nicht. Wor­auf war­te­te es? Hat­te es uns Men­schen wirk­lich »lie­ber«, wie Al­li­son mein­te? Woll­te mir der Ro­bot ei­ne Chan­ce ge­ben; ei­ne, die ihn auf Grund sei­ner Alt­pro­gram­mie­run­gen er­mäch­tig­te, uns bei­zu­ste­hen und den so­gh­mo­li­schen Quo­ti­en­ten­be­rech­tig­ten zu schä­di­gen?

Fast hat­te ich den Ein­druck, als wä­re der große Raum von ei­gen­tüm­li­chen Schwin­gun­gen er­füllt. Han­ni­bal spür­te es eben­falls.

»Es flüs­tert je­mand. Nein, das ist ein Rau­nen«, gab er durch. »Ver­stehst du das?«

»Ich hof­fe es. Ab­schal­ten, Klei­ner, auf kei­nen Fall te­le­pa­thisch ein­grei­fen.«

Ich faß­te in die Brust­ta­sche mei­ner leich­ten Bord­kom­bi­na­ti­on und zog den Ko­da­tor her­vor. Als ich ihn auf­klapp­te, rief mich Mae­rec-Taarl an.

»Was be­ab­sich­ti­gen Sie, HC-9? Die Zeit der Part­ner­schaft dürf­te ge­kom­men sein. Wir ha­ben bei­de ver­lo­ren.«

Die Stim­me drang aus mei­nem Arm­band-Viel­zweck­ge­rät. Wenn es dar­in ei­ne Not­wehr­waf­fe in Mi­kro­for­mat ge­ge­ben hät­te, wä­re es mir eben­falls ab­ge­nom­men wor­den.

Ich ant­wor­te­te, in­dem ich den lin­ken Arm an­win­kel­te und das Mi­kro­phon nä­her vor den Mund brach­te.

»Ich bin zu der glei­chen Auf­fas­sung ge­kom­men. Das Ve­nus­ge­hirn läßt sich Zeit. Wir soll­ten es ge­mein­sam an­ru­fen. Ein­ver­stan­den?«

Er er­hob be­stä­ti­gend die Hand und schal­te­te an sei­nem über dem Gür­tel hän­gen­den Hy­per­dim­sen­der. Er war un­ge­fähr­lich, sonst hät­te er ihn nicht be­hal­ten dür­fen.

Dies­mal sprach er in ein Mi­kro­phon, das er ei­ner Hal­te­rung au­ßer­halb der Ver­klei­dungs­ble­che ent­nahm.

Ich war­te­te nicht mehr län­ger.

Als Mae­rec-Taarl an­ge­strengt sprach und voll­kom­men ab­ge­lenkt war, kon­zen­trier­te ich mich auf Ki­ny. Ich be­merk­te noch, daß Han­ni­bal ei­ne be­tont le­ge­re Hal­tung ein­nahm. Ihm wa­ren mei­ne in der Kon­zen­tra­ti­ons­pha­se ver­gla­sen­den Au­gen nicht ent­gan­gen.

»Ki­ny, hörst du mich?«

Sie ant­wor­te­te au­gen­blick­lich.

»Aus­ge­zeich­net, Sir. Ich ha­be auch al­le Über­le­gun­gen mit­be­kom­men. Seit­dem der große Schutz­schirm über dem Ein­gangs­bun­ker er­lo­schen ist, gibt es nur noch Rand­stö­run­gen. Sie wer­den von den an­de­ren Schirm­glo­cken er­zeugt.«

»Die ste­hen al­so noch?«

»Ja, na­tür­lich! So un­vor­sich­tig, wie Sie den­ken, ist der Ve­nus­geist nicht. Er hält sich al­ler­dings an die Ge­mein­schafts­be­feh­le. Ih­ren Stand­ort kön­nen wir an ei­ner ener­gie­frei­en Schnei­se er­ken­nen. Sie be­fin­den sich min­des­tens zehn Ki­lo­me­ter vom Ein­gangs­bun­ker ent­fernt. Rechts und links des Weges, den Sie un­ter dem Bo­den zu­rück­ge­legt ha­ben, ra­gen die Ener­gie­mau­ern der an­de­ren Ab­wehr­glo­cken in den Him­mel.«

»Ki­ny – ge­nau zu­hö­ren, kei­ne Fra­gen stel­len und so­fort mei­ne An­wei­sun­gen be­fol­gen. Kei­ne Fra­gen, ist das klar?«

»Ja, Sir«, ent­geg­ne­te sie zö­gernd.

»Be­fehl an Ma­jor Lis­ter­man. Er hat mit zwei Ener­gie­ge­schüt­zen das Feu­er auf die Schnei­se zu er­öff­nen. Back­bord­ge­schütz eins auf den Ein­gangs­bun­ker rich­ten, Num­mer zwei auf den Ober­flä­chen­sek­tor, in dem wir uns zur Zeit auf­hal­ten. Aus­füh­rung, Feu­er frei …«

Ich zog mich schnells­tens aus dem Te­le­pa­thie­kon­takt zu­rück. Han­ni­bal starr­te mich mit vor Ent­set­zen ge­wei­te­ten Au­gen an. Der So­gh­mo­ler be­en­de­te ge­ra­de sei­ne Be­fehl­ser­tei­lung und häng­te das Mi­kro­phon zu­rück.

»Mei­ne An­wei­sun­gen wur­den ge­spei­chert und ab­ge­strahlt. Ge­ben Sie Ih­re Auf­for­de­rung durch. Ich möch­te die Ver­hält­nis­se ge­klärt wis­sen, HC-9.«

»Ich auch, mein Bes­ter!« er­wi­der­te ich sto­ckend.

Vor mei­nem geis­ti­gen Au­ge sah ich die her­um­schwen­ken­den Waf­fen­kup­peln der »1418«. Jetzt muß­te Lis­ter­man im Ziel sein – jetzt konn­te er den Feu­er­schlag aus­lö­sen – oder jetzt …

Ein Ru­mo­ren, erst schwach, dann lau­ter wer­dend, klang auf. Es stei­ger­te sich zu ei­nem To­sen, zu dem sich un­ver­mit­telt ein schril­ler Heul­ton ge­sell­te.

Die Wan­dun­gen be­gan­nen zu be­ben. Wei­ter vorn leuch­te­ten zwei halb­ku­ge­li­ge Kon­troll­schir­me blut­rot auf.

Ich sah, daß Mae­rec-Taarl ver­zwei­felt in sein Mi­kro­phon schrie. Sei­ne Be­glei­ter wa­ren im ers­ten Mo­ment zu­rück­ge­wi­chen. Jetzt ver­such­ten sie, die zwi­schen uns lie­gen­de Ener­gie­wand zu durch­drin­gen. Sie wur­den zu­rück­ge­schleu­dert.

Kenji und Han­ni­bal wa­ren in De­ckung ge­gan­gen. In­fol­ge­des­sen stand ich dem so­gh­mo­li­schen Kom­man­dan­ten al­lein ge­gen­über.

Ich drück­te den grü­nen »Über­nah­me-For­de­rungs­schal­ter« mei­nes Ko­da­tors nie­der. Im Ge­gen­satz zu dem so­gh­mo­li­schen Ge­rät be­fand er sich in­ner­halb der Ener­gieglo­cke, die das Ve­nus­ge­hirn auf Grund des hef­ti­gen Be­schus­ses so­fort wie­der auf­ge­baut hat­te; auf­ge­baut ha­ben muß­te, denn zu die­ser Wand­lung zwang ihn sei­ne al­les­über­la­gern­de Selbs­t­er­hal­tungs­pro­gram­mie­rung!

Den­noch durf­te es die sys­tem­be­rech­tig­te »1418« nicht an­grei­fen – es sei denn, de­ren Ka­no­nen hät­ten ei­ne ernst­haf­te Ge­fahr dar­ge­stellt. Da das nicht der Fall war, konn­te ich völ­lig be­ru­higt sein und wei­ter­hin in den Bah­nen der Ro­bo­ter­lo­gik den­ken.

Das hat­te Mae­rec-Taarl ver­säumt!

In mir herrsch­te ei­ne fie­ber­haf­te Span­nung. Noch war mein Plan nicht ge­lun­gen. Noch hat­te er ei­ne Chan­ce!

Als ich je­doch be­merk­te, mit wel­cher Ver­zweif­lung er in das Mi­kro­phon sei­nes Hy­per­dim­sen­ders schrie, sprach ich ihm die­se letz­te Chan­ce ab!

Kurz vor dem Be­tre­ten des Fes­tungs­ge­län­des hat­te er die Ab­schal­tung der einen Ener­gieglo­cke ver­langt. Das war sein schwers­ter Feh­ler ge­we­sen. Durch die­se Aus­sa­ge hat­te er mei­nen Ver­dacht un­ter­mau­ert, daß nur er ein quo­ti­en­ten­be­rech­tig­ter Be­fehls­ge­ben­der war. Er muß­te da­her un­ter al­len Um­stän­den den Funk­kon­takt zu sei­nem Su­per­ko­da­tor auf­recht­er­hal­ten, wenn er nicht je­de Ge­walt dar­über ver­lie­ren woll­te.

Mei­ne Rech­nung schi­en auf­zu­ge­hen. Mar­sia­ni­sche Ko­da­to­ren wa­ren hoch­emp­find­li­che Kon­struk­tio­nen. Ich hat­te es ge­tes­tet.

Wenn ich mei­nen Be­fehls­ge­ber nicht in der Hand hielt, rea­gier­te er nicht mehr auf mei­ne An­wei­sun­gen. Das große Schiffs­ge­rät war ge­nau­so fein­füh­lig. Es war über­haupt ein Wun­der ge­we­sen, daß es auf die Hy­per­dimsprü­che sei­nes Meis­ters an­ge­spro­chen hat­te.

Das war nun vor­bei!

Mae­rec-Taarl kam in­fol­ge der wie­der­auf­ge­bau­ten Schutz­schir­me nicht mehr mit sei­nen Sen­dun­gen durch. Die ener­gie­glei­chen Glo­cken ab­sor­bier­ten je­des 5-D-Si­gnal. Mae­rec-Taarl muß­te für den Groß­ko­da­tor im Sin­ne des Wor­tes ge­stor­ben sein.

Ich durf­te nicht län­ger zö­gern. Wenn es an Bord des KAS­HAT-Kreu­zers wi­der Er­war­ten einen zwei­ten So­gh­mo­ler mit ei­nem In­tel­li­gen­z­wert von über fünf­zig Neu-Orb­ton gab, konn­te er an Stel­le des Kom­man­dan­ten ein­sprin­gen. Das war die schwa­che Stel­le in mei­ner Pla­nung. Ich wuß­te nicht, ob nicht doch noch an­de­re Quo­ti­en­ten­be­rech­tig­te an Bord wa­ren!

Al­ler­dings hat­te ich da­mit ge­rech­net, daß ein macht­gie­ri­ger Mann wie Mae­rec-Taarl kei­nem sei­ner Un­ter­ge­be­nen so weit­ge­hen­de Be­fug­nis­se ein­ge­räumt hat­te. Das be­wies sich nun auf Grund sei­ner stei­gen­den Hek­tik.

Als ich mei­nen Ko­da­tor vor die Lip­pen führ­te, be­gann er zu schrei­en. Er er­hob die Hän­de, riß den Mund auf und wich zu sei­nen Ge­fähr­ten zu­rück. Er war wie irr­sin­nig vor Angst. Au­ßer­dem hat­te er sei­nen ent­schei­den­den Feh­ler be­merkt. Trotz sei­ner Pa­nik konn­te er noch so klar den­ken.

»Bri­ga­de­ge­ne­ral HC-9, quo­ti­en­ten­be­rech­tig­ter Erb­voll­stre­cker dei­ner Er­bau­er, Ver­tre­ter der von dei­nen Er­bau­ern ge­wür­dig­ten und hilf­reich un­ter­stütz­ten Mensch­heit auf dem Pla­ne­ten Oko­lar-III an den Ro­bo­therr­scher der Ve­nus, von uns Ve­nus­geist ge­nannt. Ich for­de­re Ge­hor­sam! Die hier an­we­sen­den So­gh­mo­ler wer­den von mir als sys­tem­feind­lich ein­ge­stuft. Sie sind Ver­bre­cher am Er­be des Mars und nicht be­reit, das Ver­mächt­nis des von mir an­er­kann­ten Ober­kom­man­die­ren­den der Flot­te, Ad­mi­ral Sag­hon, zu er­fül­len. Sie sind mit Ab­sich­ten, die ge­gen die In­ter­es­sen der in un­se­rem Hei­mat­sys­tem le­ben­den In­tel­li­genz­we­sen ge­rich­tet sind und mit er­beu­te­ten Raum­schif­fen der mar­sia­ni­schen Au­ßen­sek­tor­flot­te ge­kom­men. Tö­te sie! Ver­nich­te ihr im frei­en Raum krei­sen­des Raum­schiff!«

Auf dem Mi­kro­bild­schirm mei­nes ge­öff­ne­ten Ko­da­tors er­schi­en ein ne­bel­haf­tes Ge­bil­de, aus dem sich ein Ge­sicht her­aus­schäl­te. Es wirk­te alt und scharf ge­zeich­net. Die großen Au­gen do­mi­nier­ten.

So hat­te ich mir stets Ad­mi­ral Sag­hon vor­ge­stellt, aber die­ses Bild konn­te nur ein von dem Ve­nus­ge­hirn ver­wen­de­tes Ruf­sym­bol sein.

Die So­gh­mo­ler rann­ten ge­gen die Ener­gie­wand an. Als Mae­rec-Taarl fle­hend die Hän­de er­hob, dach­te ich an die Män­ner un­se­rer Plas­ma­kreu­zer.

Aus den Schalt­an­la­gen des Ge­hirns zuck­te ein blen­den­der Waf­fen­strahl her­vor. Als ich mei­ne Au­gen wie­der öff­ne­te, wa­ren die drei So­gh­mo­ler spur­los ver­schwun­den. Ei­ne Hit­ze­wel­le streif­te mich. Hin­ter dem Ener­gie­vor­hang leuch­te­te der Stahl­bo­den in hell­ro­ter Glut.

Kenji Nis­hi­mu­ra riß mich in die De­ckung ei­ner großen Ma­schi­ne. Dort blie­ben wir, bis das Don­nern wei­tent­fern­ter Rie­sen­ge­schüt­ze ver­klang.

Aus mei­nem Ko­da­tor drang plötz­lich die mitt­ler­wei­le ver­trau­te »Stim­me« des Ro­bot­kom­man­deurs. Er hat­te be­reits die von Al­li­son ge­präg­te Be­zeich­nung für sich selbst über­nom­men.

»Ve­nus­geist an HC-9, quo­ti­en­ten­be­rech­tig­ter Voll­stre­cker des Sag­hon-Ver­mächt­nis­ses. Ih­re An­ord­nun­gen wur­den aus­ge­führt. Mei­ne Schutz­schir­me er­lö­schen. Sie kön­nen mit Ih­rem Schiff Kon­takt auf­neh­men. Wei­te­re tak­ti­sche Maß­nah­men Ih­rer­seits wie Reiz­be­schuß und Be­drän­gungs­ru­fe sind nicht mehr er­for­der­lich. Ich er­su­che um Ver­nunft im In­ter­es­se des Rei­ches und Ih­rer Welt. Ich bin an­ge­wie­sen, Sie um et­was Ge­duld zu bit­ten.«

Es wur­de still. Nur hin­ter dem ver­stärkt leuch­ten­den Ener­gie­git­ter, das kei­ne Hit­ze­spur mehr durch­ließ, knis­ter­te sich ent­span­nen­des Ma­te­ri­al.

Ki­ny mel­de­te sich vol­ler Sor­ge. Ich be­ru­hig­te sie. Han­ni­bal klär­te sie aus­führ­lich auf.

»Der KAS­HAT-Kreu­zer ist ex­plo­diert«, be­rich­te­te sie er­regt. »Al­li­son be­trinkt sich. Er tobt und nennt sich einen Nar­ren. Kön­nen Sie ihm das nicht ver­bie­ten?«

»Bo­ris soll ihm die Hand um den Hals le­gen und freund­lich grin­sen«, hör­te ich den Klei­nen sa­gen. »Fra­mus soll sich be­ru­hi­gen. Wir wa­ren noch über­rasch­ter als er. Ich … Mo­ment, hier ge­schieht et­was. Hör mit. Ich blei­be auf Sen­dung.«

Ich rich­te­te mich auf und ging nach vorn. Das Ge­bil­de konn­te un­mög­lich feind­se­lig ein­ge­stellt sein.

Aus dem tan­zen­den Ne­bel schäl­te sich all­mäh­lich der über­le­bens­große Kopf ei­nes al­ten Man­nes her­aus.

Er be­saß einen mäch­ti­gen Schä­del, scharf ge­zeich­ne­te Zü­ge und zwin­gen­de Au­gen von un­er­gründ­li­cher Weis­heit.

Die Er­schei­nung sta­bi­li­sier­te sich. Er lä­chel­te. Die Stim­me klang so na­tür­lich, als stün­de er nicht als Vi­si­on, son­dern bio­lo­gisch le­bend vor mir.

»Wir be­glück­wün­schen Sie, Ge­ne­ral. Ih­re Maß­nah­men wa­ren au­ßer­or­dent­lich klug und sinn­voll. Bes­ser hät­ten wir es kaum ma­chen kön­nen. Un­ser Groß­ro­bo­ter be­saß für die­sen Fall nicht die fol­ge­rich­ti­gen Pro­gram­mie­run­gen. Oh­ne Ih­re ge­schick­te Tak­tik wä­ren Sie und Ihr Volk in ho­he Be­dräng­nis ge­kom­men. Wir müs­sen Sie lei­der er­su­chen, die­sen Stütz­punkt zu ver­las­sen, je­doch tra­gen wir Ih­nen auf, im In­ter­es­se un­se­res Son­nen­sys­tems al­les zu tun, wei­te­re Vor­komm­nis­se die­ser Art zu un­ter­bin­den. Wenn Sie uns hö­ren, wird ei­ne uns un­be­kann­te Zeit­span­ne ver­gan­gen sein. Wir kön­nen nur hof­fen, recht­zei­tig die rich­ti­gen Ent­schlüs­se ge­trof­fen zu ha­ben. Wür­den Sie nicht von Oko­lar-III stam­men, könn­ten Sie uns nicht hö­ren. Der Ro­bot ist an­ge­wie­sen, die­se Durch­sa­ge nur nach sorg­sa­mer Über­prü­fung des Fra­ge­stel­len­den oder For­dern­den ab­zu­spie­len. Er ist über al­le Vor­komm­nis­se, auch über frü­he­re, ein­ge­hend in­for­miert. Wir dür­fen Sie un­ter­rich­ten, daß die­ses Ge­hirn im Ge­gen­satz zu an­de­ren Steuerein­hei­ten un­se­res Rei­ches vol­le Be­fehls­ge­walt über al­le an­de­ren Au­to­ma­ti­ken be­sitzt. In­fol­ge­des­sen wur­den die Ro­bot­be­fehls­ha­ber NEW­TON und ZON­TA ent­spre­chend um­pro­gram­miert. Sie wer­den von bei­den Ein­hei­ten volls­te Un­ter­stüt­zung er­hal­ten.

Mel­den Sie sich auf Ve­nus nur dann, wenn Sie kei­nen an­de­ren Weg mehr se­hen. Im Ba­ga­tell­fall ist Ih­nen die Fes­tung ver­schlos­sen.

Wir grü­ßen Sie, HC-9.«

Die sche­men­haf­te Er­schei­nung ver­schwand. Die Ro­bo­ter­stim­me klang wie­der auf.

»Zur In­for­ma­ti­on: Na­men, Be­grif­fe und zur Zeit der Ein­spei­sung un­be­kann­te Da­ten wur­den von mir in die Mit­tei­lung ein­ge­fügt. Ver­las­sen Sie nun mei­nen Ak­ti­ons­be­reich.«

Wir gin­gen. Der Wa­gen war­te­te be­reits. Ich er­in­ner­te mich be­son­ders an einen Satz der Durch­sa­ge: … kön­nen nur hof­fen, recht­zei­tig die rich­ti­gen Ent­schlüs­se ge­trof­fen zu ha­ben …

Hat­te ich Ad­mi­ral Sag­hon ge­se­hen? War er nach 187.000 Jah­ren zu­rück­ge­kehrt, oder war er nur dar­ge­stellt wor­den?

Wir wuß­ten es nicht.

Als wir Stun­den spä­ter mit der »1418« star­te­ten, hat­ten wir noch im­mer kei­ne Lö­sung ge­fun­den. Si­cher war nur ei­nes:

Die Mar­sia­ner hat­ten es mit der jun­gen Mensch­heit gut­ge­meint!

 

 

EN­DE