Auf Sartelle sind die Meere rot und die Wüsten schwarz, der Himmel schimmert smaragdgrün, und der Regen fällt azurblau, wenn es überhaupt einmal regnet, was nur selten geschieht auf dieser Welt. Ein hübscher Ort zum Ausruhen, mit Riesenfischen in der See, mit einer Atmosphäre, die nach Blumen riecht - ein angenehmer Ferienort, den Commander Barry Scott in vollen Zügen genoß.

Er lag ausgestreckt im schwarzen Sand, und die Sonne brannte auf seinen fast nackten Körper. Er hatte die Augen geschlossen und lauschte auf das leise Gemurmel einer Gruppe junger Mädchen, die sich einige Meter entfernt niedergelassen hatten. Sie ahnten nicht, wie weit ihre Stimmen trugen, und ihre Kommentare über ihn fielen bald ein wenig zu dreist aus.

Er überlegte einen Augenblick, ob er aufstehen und hinübergehen solle, um ein paar Spekulationen im Keim zu ersticken, entschloß sich aber dagegen. Wer er war und was er tat, ging nur ihn etwas an. Und so jung und unschuldig die Mädchen auch aussahen - vielleicht steckte mehr dahinter.

Er drehte sich auf die Seite, als dicht neben ihm Schritte im Sand knirschten. Eine leise, wohlmodulierte Stimme flüsterte ihm ins Ohr. »Eine Nachricht für Sie, Commander. Äußerste Dringlichkeit. Soll ich melden, daß Sie draußen auf dem Meer sind?«

Service, überlegte er und öffnete die Augen. Diplomatisches Lügen und das Hinbiegen der Wahrheit, um Abgeschiedenheit zu garantieren. Hier gingen die Wünsche der Gäste über alles. Es wäre schön gewesen, den Service auszunutzen, aber Scott erlag der Versuchung nicht.

»Vielen Dank, lieber nicht.«

»Bestimmt?« Die Stimme wurde noch schmeichelnder. »Ein Boot fährt in Kürze ab. Ich hätte Sie verpassen können - um eine Minute oder so.«

Ein allgemeines Angebot war gut und schön, aber dieser konkrete Vorschlag stimmte Scott mißtrauisch. Er drehte den Kopf und starrte das Mädchen an, das ihm die Sonne verdeckte. Sie saß in der Hocke und offenbarte angenehm gerundete nackte Schenkel. Nacktheit war auf Sartelle nichts Ungewöhnliches, doch die Entblößung des Körpers stand hier im besonderen Kontrast zur Maske des bemalten Gesichts. Rote und purpurne Spiralen, Gold, verliefen von der Stirn bis zur vermengt mit Linien aus Silber und Schulter. Verkrustete Lider und Wimpern, mit winzigen Kügelchen verziert. Haar, in dem ein Dutzend Edelsteine schimmerte, mit metallischen Strähnen verwoben und verflochten. Die Aufmachung einer Hotelangestellten. Wenn ihre Kleidung auch der Norm entsprach, so ließ sich das von ihrem Gesichtsausdruck nicht sagen. Das Make-up verdeckte es zwar, die Maske verlieh ihren Zügen eine robothafte Ausdruckslosigkeit, doch da war eine seltsame Spannung um die Augen, eine Festigkeit um den Mund, etwas, das es eigentlich nicht geben durfte, wenn sie wirklich war, was sie zu sein vorgab.

»Die Nachricht«, sagte er heftig. »Von wem?«

»Armat Chan.«

Der terranische Agent auf Sartelle, der offenbar übertriebene Vorstellungen von seiner eigenen Wichtigkeit hatte, überlegte Scott wütend. Womöglich ließ Chan ihn testen - den Gerüchten zufolge hatte er ein Faible für solche Dinge. Nicht zum erstenmal verfluchte Scott die Rivalität zwischen den verschiedenen Dienststellen, die ihm das Leben unnötig erschwerte.

Er stand auf und klopfte sich den Staub von der glatten Haut. Er bemerkte die Reaktion der Gruppe, die ihn beobachtet hatte - ein Ausatmen, ein kaum unterdrückter leiser Schrei.

»Hab ich's dir nicht gesagt! Seht doch, wie groß er ist. Und die Brust!«

»Sie scheinen eine Eroberung gemacht zu haben«, sagte die Frau an seiner Seite. Auch sie hatte sich aufgerichtet, und obwohl sie ziemlich groß war, reichte sie Scott kaum bis zur Schulter. »Ist aber nicht weiter schwierig, wenn man die Konkurrenz besieht.« Sie starrte auf die Reihen hingestreckter Gestalten am Strand.

Tonlos fragte er: »Ihr Name?«

»Sharon Dale.« Die kleinen Kugeln an ihren Wimpern blitzten im Licht. als sie zu ihm aufschaute. »Sind Sie interessiert?«

»Nicht an Ihnen.« Er gab sich absichtlich kurz angebunden. »Vielleicht aber an Armat Chan. Wo finde ich ihn?«

Der Mann wartete in Scotts Hotelzimmer, ein höflicher, sorgfältig gekleideter Mann, der seinen Diplomatenkoffer neben sich auf dem Boden abgestellt hatte. Er erhob sich, als die beiden eintraten, und warf einen Blick auf das Mädchen. Scott sah die unmerkliche verneinende Kopfbewegung, als er zum Badezimmer ging.

Armat Chan sagte: »Die Angelegenheit ist äußerst wichtig, hat man Ihnen das nicht klar gemacht?«

»Wem?« fragte Scott laut. »Ihnen oder mir? Wenn Ihnen die Dringlichkeit so eingebleut wurde, warum dann der Unsinn am Strand?«

»Wir hielten es für notwendig«, sagte Chan. »Am Strand, wo Sie nur einer von vielen waren - wie konnten wir da wissen, daß Sie unser Mann sind?« Scott blieb auf der Schwelle zum Badezimmer stehen und sagte mit einem Blick auf das Mädchen: »Raus hier!«

»Was?« Sie wandte sich an Chan. »Sir?«

»Ich habe gesagt, Sie sollen verschwinden!« sagte Scott nachdrücklich. Als sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte, sagte er zu Chan: »Hören Sie, wenn Sie so unerfahren sind, daß Sie nicht mal einen Mann erkennen, den Sie sprechen wollen, rate ich Ihnen zum sofortigen Rücktritt. Und wo wir schon mal dabei sind - zeigen Sie mir mal Ihre Identifikation.«

»Also, ich muß doch sehr bitten!« sagte Chan gekränkt. »Darf ich Sie vielleicht daran erinnern, daß ich...«

»Ich möchte keine Erinnerungen. Ich möchte Ihre Identifizierung sehen.« Scott trat einen Schritt vor und ergriff die rechte Hand seines Gegenübers, ehe dieser protestieren konnte. Er schob den Ärmel hoch, drückte rücksichtslos das Fleisch zusammen und studierte in aller Ruhe das Muster, das sein Druck an der Innenseite des Arms zum Vorschein gebracht hatte. »Na, gut«, sagte er und ließ den Arm los. »Jetzt setzen Sie sich hin und warten, während ich dusche und mich anziehe.«

Er wusch sich ausgiebig und kam vollständig angezogen aus dem Baderaum; er trug enge Hosen und ein Hemd aus schimmerndem schwarzem Stoff mit Goldborte. Chan hatte seine Tasche auf einen Tisch gelegt und öffnete sie, als Scott sich setzte.

»Jetzt können wir vielleicht anfangen«, sagte er zurückhaltend, »falls Sie fertig sind.«

»Vielleicht.«

Chan seufzte. »Noch eine Verzögerung?«

»Sie haben sich überzeugt, daß ich wirklich der Mann bin, den Sie aufsuchen wollen?«

»0 ja. Sie sind Commander Scott von der FTA. Sie sind Freier Terranischer Agent. Meine höchste vorgesetzte Behörde hat mich beauftragt, Sie anzusprechen. Ich habe nicht um Ihre Identifikation gebeten, weil das nicht nötig ist. Ich habe bereits Ihre Körperausstrahlung anhand der Hauptaufzeichnung geprüft, und Ihr psychologisches Verhalten entspricht meinen Erwartungen. Mir ist außerdem klar, daß ich Sie in keiner Weise beeinflussen oder zwingen kann.« Mit einem Blick auf den Koffer sagte Scott: »Na, nachdem wir uns nun gesetzt haben, können Sie mir vielleicht sagen, worum es geht.«

»Hierum.« Chan nahm einen kleinen Apparat aus dem Koffer und stellte ihn auf den Tisch. »Hören Sie mal.«

Er drückte auf einen Knopf, und die Luft füllte sich mit Geräuschen.

Es waren dünne, unheimliche Töne, verwehte Piepser und Schrillaute, die fast in einem statischen Hintergrundrauschen untergingen. Die Geräusche brachten eine seltsame Kälte, ein Gefühl unendlicher Leere und hoffnungsloser Verzweiflung. Es war unheimlich, bedrückend, voller Schrecken. Scott wußte Bescheid.

Irgendwo im All war ein Raumschiff gestorben. Er lauschte wortlos, bis die Geräusche erstarben, gab dann Chan ein Zeichen, die Aufnahme noch einmal abzuspielen, wobei er diesmal mitstoppte. »Vierunddreißig Sekunden«, sagte er als die Töne aus dem Lautsprecher wieder verstummten. »Der Rest war wohl ähnlich, nicht wahr?«

»Nein - das war alles.«

»Begreife ich nicht«, bemerkte Scott. »Das Schiff ist irgendwie beschädigt worden und hat einen automatischen Notruf ausgestrahlt. Selbst wenn die gesamte Besatzung tot war, hätte das Gerät den Funkstrahl aufrechterhalten müssen. Die Anlage funktioniert völlig selbständig und hätte länger als vierunddreißig Sekunden arbeiten müssen, es sei denn...«

Es sei denn, die Maschinen wären in einem unkontrollierten Energieblitz untergegangen, dessen Atomglut auf viele Kilometer im Umkreis alles vernichtet hätte. Aber Raumschiffantriebe explodierten nicht so einfach. Sie mochten zwar versagen, wurden aber nie zur Bombe. Nicht, wenn man sie nicht absichtlich so eingestellt hatte. Er äußerte diese Ansicht, und Chan nickte. »Das ist die Schlußfolgerung, die man oben auch schon gezogen hat.«

»Also vermutet man Sabotage?«

»Das und mehr.« Chan beugte sich ein wenig vor. »Aber beides ist anhand des vorhandenen Materials nicht zu beweisen. Offenbar Sabotage: die Maschinen hätten unter normalen Arbeitsbedingungen nicht explodieren können, und es ist schwer vorstellbar, wie das Schiff bei normaler Funktion hätte versagen können. Aber das ist nicht alles. Das Signal wurde von einer Mobilen Labor- und Hilfseinheit aufgefangen. Kommandant Breson - Sie haben vielleicht von ihm gehört? Nein? Naja, ist unwichtig. Jedenfalls hat MOLUH 7 sofort Erkundungsschiffe zu den Koordinaten ausgeschickt, die in dem Notsignal genannt wurden. Vom Raumfahrzeug keine Spur.«

»Zeit?«

»Man war offenbar nur zwei Tage vom Katastrophengebiet entfernt. Der Kurs der WANKLE war bekannt. Man hat entlang dem vorhersehbaren Flugweg extrapoliert - aber trotzdem wurde nichts gefunden. Wenn das Schiff havariert wäre, hätte man es finden müssen. Bei einer Explosion müßte es aufspürbare Überreste geben. Doch es wurde nichts gefunden. Kein Raumschiff. Keine Wrackteile. Soweit wir feststellen können, hat die WANKLE einfach aufgehört zu existieren.«

»Was bedeuten könnte«, sagte Scott lauernd, »daß sie überhaupt nicht vorhanden war.«

»Das ist der zweite Umstand, den wir nicht beweisen können.« Chan lehnte sich zurück und machte eine Geste der Hilflosigkeit. »Bei einem normalen Unfall wäre das Notsignal fortgesetzt worden. Da der Funkspruch aber abbrach, kommen wir zu der Annahme, daß die Schiffsmaschinen wohl explodiert sind. Da dies normalerweise unmöglich ist, müssen wir als nächstes an Sabotage denken. Aber bei normaler Sabotage wären Wrackteile oder sonstige Überreste an den bekannten Koordinaten zu finden. Aber wir haben nichts gefunden, also...«

»Eine Irreführung.« Scott hob den Arm, drückte den Knopf und hörte sich die Aufnahme ein drittes Mal an. »Die Nachricht ist gefälscht worden. Aber warum? Warum wurde sie überhaupt ausgeschickt? Um das Buch zu schließen«, gab er sich selbst Antwort. »Um den Beweis zu liefern, daß das Schiff wirklich havariert ist. Trotzdem hätten man es bei genauer Suche finden müssen. Der Kurs war bekannt?«

»Ein Routineflug von Genghara nach Kran. Ja, der Kurs war bekannt.« , »Wenn das Schiff also nicht gefunden wurde, kann es dieser Route nicht gefolgt sein.« Berry Scott überlegte. »Es wäre vielleicht denkbar«, sagte er langsam, »daß der Kapitän oder vielleicht auch die Mannschaft einen verrückten Plan ausgeheckt haben. War die Ladung wertvoll?«

»Im wesentlichen Bergwerksausrüstungen, Krilliumstangen, mutierte Samen, Parfumkonzentrate, dehydrierte Fungi - das übliche. Die Ladung diente eigentlich nur als Ballast, denn die WANKLE war ein Passagierschiff. Geben Sie's auf - wegen der Ladung hat die Mannschaft da- Schiff bestimmt nicht gestohlen.«

»Dann vielleicht wegen Lösegeld?«

»Eine Gruppe Pilger, ein paar Touristen, einige Geschäftsleute, eine Tanzgruppe.« Chan zuckte die Achseln. »Die übliche Mischung. Sie greifen nach Strohhalmen, Kennedy.«

»Ich gehe alle Möglichkeiten durch, so unwahrscheinlich sie auch erscheinen«, berichtigte Scott. »Nach den Regeln der Logik hätte das Schiff nicht verschwinden können. Aber es ist nun mal fort, also müssen wir etwas übersehen. Meiner Meinung nach gibt's da nur noch eine Möglichkeit - äußere Kräfte haben auf das Schiff eingewirkt!«

»Haben es überfallen, geentert, ausgeschlachtet, eine falsche Nachricht abgesetzt und das Schiff dann auf eine ferne Welt entführt?« Chan nickte. »Daran haben wir auch schon gedacht. Aber wie? Und weshalb?«

Fragen, auf die er keine Antwort wußte. Aber im Universum geschah nichts ohne Grund. Ihm fehlten Daten, überlegte Scott, doch war das nicht alles. Seine Intuition sagte ihm, daß da noch etwas fehlte. Ein einziges Schiff, wie geheimnisvoll sein Verschwinden auch sein mochte, hätte Terra nicht so aufgescheucht.

Tonlos fragte er: »Was haben Sie mir bisher verschwiegen?«

»Über die WANKLE? Nichts.«

»Sie lügen, Chan. Soll das wieder einer Ihrer Tests werden?«

»Nein, ich...« Chan lenkte vor dem Ausdruck der Wut in den Augen des anderen ein, vor der kalten Entschlossenheit, die Scotts Gesicht seltsam verwandelte. »Kein Test«, sagte er hastig. »Ich wollte nur sehen, ob Sie vielleicht den Zwischenfall mit anderen Augen sehen, und ich...«

»War die WANKLE das erste Schiff...?«

»Nein.«

»Also sind' auch andere Schiffe verschwunden. Wie viele?«

»Drei.«

»Unter den gleichen Begleitumständen?«

»Ja, aber...«

»Kein aber, Sie Narr! Sie haben schon genug Zeit verschwendet. Berichten Sie.« Scott runzelte die Stirn, als sich die Geschichte wiederholte. »Ein Verschwinden könnte ein Unfall sein«, sagte er, »zwei ein Zufall. Drei sind zweifellos Sabotage. Vier...« Er unterbrach sich und runzelte die Stirn. »Alle im gleichen Gebiet?«

»Nein«, sagte Chan hastig. »Jedenfalls nicht genau. Jedes Schiff ist von einer anderen Welt gestartet und hatte einen anderen Bestimmungsort. Ein Bergwerksriese von Xand, eine private Yacht von Lisht, ein Pilgerschiff von Zangreb, und jetzt die WANKLE. Bei den ersten beiden haben wir uns nicht weiter aufgeregt; das Zeitelement zerschlug jede Hoffnung auf Rettung. Bei der dritten Katastrophe kam. uns ein Zufall zu Hilfe. Ein zweites Raumschiff lag auf gleichem Kurs und wurde später befragt, als wir den Notruf empfingen. Man hatte nichts gesehen.«

»Haben die Leute denn das Signal aufgefangen?«

»Nicht mehr als wir. Der Kapitän hat die Sache überprüft und ist dann zu dem Schluß gekommen, es müsse eine Fehlsendung sein. Ich kann ihm das nicht mal übel nehmen. Außerdem wissen Sie ja, wie diese Chenener sind; was sie nicht sehen, berühren, riechen oder schmecken können, existiert für sie einfach nicht.«

 

*

 

Die Stange war neunzig Kilo schwer. Scott bückte sich, griff zu und zog das Gewicht mit einer glatten Bewegung in die Höhe, hielt es hoch über den Kopf, während er auf einen niedrigen Zaun zulief. Er sprang darüber hinweg, gewann schnell das Gleichgewicht wieder und setzte die Stange ab. Penza Saratow schnaubte verächtlich durch die Nase.

»Das nennst du Kraft? Auf meiner Welt brächte das ein Kind fertig. Du bist schlapp, Berry. Du brauchst drei Monate in hoher Schwerkraft. Im nächsten Urlaub mußt du mal mit nach Droom kommen. Da bist du im Handumdrehen ein Mann.«

»Ein Mann oder eine Leiche?«

»Ein Mann, Berry. So wie ich.«

Saratow beugte sich vor, nahm die Stange mit einer, Hand auf, hob sie in die Höhe, setzte mit einem Riesensatz über den Zaun und schleuderte das Gewicht fort, das vielleicht zehn Meter entfernt zu Boden ging. Grinsend reckte er sich dann; seine Haut schimmerte im Licht der untergehenden Sonne.

»Körperliche Übungen tun gut«, sagte Saratow ernsthaft. »Das ist ja das Problem mit den meisten Zivilisationen. Die Leute wissen nicht mehr, wie sie ihre Muskeln benutzen sollen - sie setzen statt dessen Maschinen ein und werden faul. Sie werden weich und denken bald wie kranke Tiere. Ich sag dir eins, Berry, auf Droom kennen wir keinen Wahnsinn. Harte Arbeit, durchtrainierte Körper und ein klarer Geist. Darüber geht nichts.«

»Ein gesunder Geist in einem gesunden Körper. Die Leute, die deine Welt kolonisierten, müssen das als ihr Glaubensbekenntnis angesehen haben.« Scott sah sich um, betrachtete die Hütte, die kleine Lichtung und die Bäume, die ringsum die Hügel bedeckten und bis zum Horizont reichten, dem sich die smaragdgrüne Sonne näherte. Die Küste mit ihrem schwarzen Sand und den Wohlstandsmenschen schien eine halbe Galaxis entfernt zu sein. Saratow war auch dort gewesen, hatte doch nach dem ersten Tag die Geduld verloren und lieber das Training gesucht, das sein Körper verlangte. Jedem das seine, dachte Scott. Manche liebten die Einsamkeit und den engen Kontakt mit der Natur. Andere zogen das Gedränge einer bevölkerten Stadt vor. Wiederum anderen - und zu diesen gehörte Professor Jarl Luden - war es völlig egal, wo sie sich aufhielten, solange sie in Frieden arbeiten konnten.

Er saß in einem Zimmer der Hütte, eine ernste, fast ausgemergelte Gestalt; er trug eine Bluse mit hohem Kragen, Glockenhosen und um die Hüfte eine leuchtende Schärpe, die einen überraschenden Akzent von Fröhlichkeit setzte. Das dichte graue Haar war aus der hohen Stirn gekämmt, die tief liegenden Augen schimmerten blau und zeugten von Intelligenz. Die dünnen Lippen waren nach unten gezogen, als habe er das Universum erforscht und finde es nicht nach seinem Geschmack.

Als Scott und Saratow eintraten, drehte er sich um.

»Berry, wie gut, daß du kommst. Ich wollte dich eben holen. Bist du fertig, Jarl?«

»Ich habe meine Durchsicht Deiner Informationen beendet und gewisse Schlußfolgerungen gezogen. Weiß Saratow Bescheid?«

»Noch nicht.«

»Dann sollten wir ihn jetzt unterrichten. Auch Chemile, wenn wir ihn erwischen.« Der Professor runzelte die Stirn. »Ich scheine ihn nie finden zu können, wenn ich ihn brauche. Vielleicht suchst du mal nach ihm, Saratow. Es wäre sinnlos, alles zweimal zu erklären.«

Saratow zögerte. »Was meinst du, Berry?«

»Es ist sicher das beste, Penza.«

»Warum?« Der Riese von Droom war begierig zu erfahren, was hier los war. »Er kann sich doch später informieren. Wenn er nur etwas Pflichtgefühl hätte, wäre er jetzt hier. Mir gefällt es ganz und gar nicht, diesen Idioten zu umhätscheln!«

»Wie gut«, sagte eine scharfe Stimme, »daß ich das weiß!«

Ein Teil der Wand schien sich plötzlich aufzulösen und die Umrisse eines Menschen anzunehmen. Veem Chemile war groß und hager und hatte eine mächtige Haartolle und Augen, die im glatten Oval seines Gesichts wie winzige Punkte wirkten. Seine Ohren sahen wie Muscheln aus, die sich an seinen Schädel preßten, eingedreht und spitz wie die einer Katze. Er hatte überhaupt viel Ähnlichkeit mit einem Katzenwesen, seine Gangart, seine Lautlosigkeit, die Fähigkeit, sich überlange Zeiträume hin absolut reglos zu verhalten. Katze und Eidechse in einer Person, überlegte Scott, und beide hatten absolut nichts Menschliches. Was nicht überraschend war, wenn man bedachte, daß Chemile nicht der menschlichen Rasse angehörte. Er behauptete der Abkömmling einer alten Rasse zu sein, die bereits in der Galaxis herrschte, als es der Mensch noch gar nicht gelernt hatte, Feuer zu entzünden oder Felle zu tragen; eine uralte Rasse die aufgeblüht und wieder vergangen war und jetzt auf einer umweltfeindlichen Welt nur noch als ein Schatten ihrer selbst existierte.

Saratow sagte aufgebracht: »Wieder mal deine alten Tricks. Herumspionieren, Spitzeln, private Gespräche belauschen! Wenn's nach mir ginge, würde ich dich in Farbe tauchen, damit ich immer weiß, wo du steckst.«

»Ich habe geübt«, sagte Chemile förmlich. »Ein Talent wie das meine darf nicht brachliegen. Und wenn du es einfach findest, stundenlang stillzusitzen und keinen Laut zu sagen, versuch's doch selber mal!«

»Ich habe Besseres zu tun.«

»Ach ja - Felsbrocken herumschmeißen und harmlose Bäume umhauen!« höhnte Chemile. »Muskeln, mehr hast du doch nicht! Wenn es ums Können geht, bin ich Sieger. Stimmt's, Berry?«

»Laßt mich aus dem Spiel«, entgegnete Scott. Er war die Streiterei zwischen Saratow und Chemile gewöhnt, die in Wirklichkeit nur ein gutmütiges Gerangel war. »Wie lange stehst du schon hier?«

»Seit heute morgen. Ich wollte feststellen, ob der Professor mich entdeckt. Dann bist du gekommen - und da bin ich geblieben.«

Er vermochte seinen Körper in einen seltsamen Zustand zu versetzen, in dem sich die Lebensfunktionen verlangsamten; seine Haut, mit winzigen photosensitiven Pigmenten versehen, nahm dann die Farbe des Hintergrundes an, vor dem er stand. Ein mannsgroßes Chamäleon mit einem weitaus besseren Schutzmechanismus, wie er auf Chemiles gefährlicher Heimatwelt unerläßlich war.

Er sagte: »Ihr braucht mir nichts zu sagen. Ich weiß, was du dem Professor berichtet hast, Berry. Wir müssen das nicht noch einmal durchkauen.«

»Ja, ja, du weißt Bescheid«, knurrte Saratow. »Aber ich nicht! Nun verrate mir schon das große Geheimnis, ehe ich dich gegen die Wand knalle und rot anmale!« Er pfiff durch die Zähne, als Chemile von den vermißten Schiffen berichtete. »Was hältst du davon, Professor?«

Luden sagte bedächtig: »Ich bin zu dem Schluß gekommen, daß dies eine, Problem mit mehr als einer Variablen ist. Erstens, wir können die Möglichkeit eines Unfalls ausschließen. Zweitens auch die einer einfachen Sabotage. Sie ist natürlich denkbar, aber hier handelt es sich nicht um die Vernichtung von Raumschiffen aus persönlichen oder politischen Gründen. Schon allein die mögliche Fälschung der Notsignale schließt einen schlichten gewollten Akt der Vernichtung aus. Was die Botschaften selbst angeht, so bin ich mit den Vermutungen hier in den Unterlagen nicht einverstanden. Die Funksprüche könnten echt sein, und ich halte sie auch für echt.« Er hob eine schmale Hand, um Einwände abzuwehren. »Die Tatsache, daß an den bekannten Koordinaten kein Schiff und keine Vernichtungsspuren gefunden wurden, beeinträchtigt diese Schlußfolgerung nicht. Saratow, wie arbeitet ein Notfunkgerät?«

»Auf zwei Arten«, sagte der Riese. »Mit Handkontrolle oder automatisch. Bei manueller Bedienung speist der Kapitän - oder, falls er tot ist, sein höchster Offizier - eine Nachricht ein und schickt sie im komprimierten Signal aus. 'Das heißt, die eigentliche Nachricht wird beschleunigt und in einem kurzen Stoß unter Aufbietung aller verfügbaren Sendeenergie hinausgegeben. Dabei wird natürlich ein Kode benutzt, da bei den großen Entfernungen Worte zu leicht verzerrt werden.«

Luden drückte auf einen Kontrollknopf, und das unheimliche Piepen und Schrillen erfüllte den Raum.

»Manuell?«

Saratow schüttelte den Kopf. »Nein.«

»Wieso weißt du das so genau?«

»Dies ist die übersetzte Nachricht, stimmt's?« Als Luden nickte, fuhr er fort: »Die Signale entsprechen der automatischen Standardemission. Ein manuell aufgebautes Band würde Unterschiede aufweisen. Was immer mit den Schiffen geschah - es ist zu schnell passiert, als daß ein solches Band gemacht werden könnte. Worauf ich hinaus will: keine zwei Menschen im All könnten ein identisches Band besprechen. Und kein Mensch kann ein Band besprechen, das dem automatischen Relaissignal ähnelt.«

Scott fragte leise: »Nicht einmal absichtlich?«

»Einen automatischen Notruf nachmachen?« Saratow zuckte die Achseln.

Er sagte: »Wir machen uns zuviel Sorgen um die technischen Details. Sicher ist es wichtig zu wissen, wie die Sache passiert ist, aber wichtiger ist doch der Grund. Piraterie scheint nicht in Frage zu kommen, ebensowenig Lösegeldforderungen. Dann also Politik?«

Das Licht ging aus, als der Professor nach seinen Instrumenten griff. Hell leuchtete es an der Wand auf, rote und grüne Stellen, blaue Streifen. Grelle weiße Punkte entstanden, und dünne Linien bildeten ein Spinngewebe vor der übrigen Fläche, die in Schwarz getaucht blieb.

»Das Gebiet, in dem die Schiffe verschwunden sind«, sagte der Professor im Dunkeln. »Die umkreisten hellen Punkte sind die Abflugstellen, die Linien der Flugkurse, die die Schiffe hätten einhalten sollen.« Zwei violette Punkte entstanden. »Die Positionen der letzten beiden Schiffe, wie von ihren Notrufen angezeigt. Wie ihr seht, liegen die Punkte dicht zusammen.«

»Schlußfolgerungen?«

»Einen Augenblick, Berry.« Weitere Lichtpunkte erschienen an der Wand, orangefarbene Wirbel, ein purpurnes Gitterwerk. »Die Fläche in Orange ist das terranische Einflußgebiet. Dort seht ihr Kommandant Bresons Kräfte, MOLUH 7. Das Purpur kennzeichnet die deltanische Sphäre. Wie ihr seht, kreuzen die Kurse aller betroffenen Schiffe dieses Gebiet, das in unseren Bereich hineinragt wie eine Halbinsel in einen Ozean. Wir haben keinen Streit mit den Deltanern; tatsächlich arbeiten wir eng mit ihnen zusammen. Ihre Schiffe durchfliegen unseren Sektor und umgekehrt. Wäre jedoch einer anderen Macht daran gelegen, Unfrieden zu stiften, böte sich hier ein guter Ansatzpunkt - die Vernichtung von Schiffen, die fremdes Gebiet passieren. Mit' der Zeit würden Tatsachen und unvermeidliche Gerüchte dazu führen, daß die gesamte direkte Raumfahrt aufhört. Die Reisen müßten. länger werden, die Schiffe umständliche Umwege machen, die Frachtraten würden steigen - es gäbe Unruhe und Druck, die fremde Einwirkung zu beseitigen. Wenn unsere Streitkräfte vorrücken, würden die Deltaner natürlich Einwände erheben. Gibt dann niemand nach, ist die Möglichkeit eines Krieges gegeben.« Luden stockte und sagte: »Die Wahrscheinlichkeit ist sehr groß.

In diesen Gebieten ist Terra ziemlich schwach, und zu viele Welten sind kaum bevölkert. Wird einer dieser Planeten besetzt, könnte das eine Kettenreaktion der Vernichtung auslösen, die sich womöglich bis zur Erde selbst fortpflanzt.«

 

*

 

Die HEDLANDA war ein ganz gewöhnliches Raumschiff - mit tausend Tonnen Ladekapazität und Kojen für achtundsiebzig Passagiere und Mannschaften. Ein kleines Schiff, das sein Geld als Allround-Transporter machte, auf Kurzstrecken, die für die größeren Raumfahrzeuge unrentabel sind. Der Steward war sehr gesprächig.

»Sie haben diesmal Glück, Sir. Nicht viele Passagiere, also bekommen Sie eine Kabine ganz für sich.« Er hievte Commander Scotts Gepäck in den Schrank. »Kann ich noch etwas für Sie tun? Möchten Sie einen Drink, etwas zu essen, etwas fürs Amüsement?«

»Vielen Dank, nein.«

»Wir haben Sensibänder, falls Sie Interesse haben.« Der Steward kniff ein Auge zu. »Eine ziemliche Auswahl sogar. Volle Stimulation und komplette Sinneswiedergabe. Wenn Sie also einen Löwen bekämpfen oder einen Harem besitzen wollen... Geben Sie mir Bescheid, wenn Sie sich langweilen.«

»Bestimmt.« Scott schob einen Geldschein in die bereitgehaltene Hand. »Wann starten wir?«

»In einer Stunde.«

»Gibt es eine Möglichkeit, sich das Schiff anzusehen?«

Scott hielt eine zweite Note hoch. »Ich bin ehemaliger Pilot und würde mich freuen, wenn ich mal auf die Brücke dürfte«

Der Steward zögerte. Passagiere hatten im Kontrollraum eigentlich nichts verloren, aber dieser Mann hatte so etwas an sich, er strahlte Selbstsicherheit und Können aus, etwas, das ihn in die Klasse derjenigen erhob, die das All durchkreuzten. Entschlossen nahm er das Geld an.

»Ich kann Ihnen nichts versprechen, Sir, aber ich will mein Bestes versuchen. Kapitän Thromb nimmt es ziemlich genau, doch mit einem Offizierskollegen naja, ich kann ja wenigstens fragen.« Mehr wollte Scott auch nicht. Als der Mann die Kabine verließ, sah er sich die Unterkunft an. Wie erwartet.

Die HEDLANDA gehörte keineswegs in die Luxusklasse, wofür die Kabine der beste Beweis war. Kojenbetten, zwei Wandschränke, ein Stuhl, ein kleiner Tisch, verstellbare Beleuchtung. Das Essen wurde im Salon serviert; es gab auch Unterhaltung, Filme, Musik und das unvermeidliche Spiel.

Die Fracht bestand aus einer Vielzahl verschiedener Dinge ohne großen Wert. Die Passagiere waren ein bunter Haufen, meistens Durchreisende. Nichts was Piraten attraktiv finden würden, ganz zu schweigen von möglichen Meuterern. Aber es würde -wie Luden ermittelt hatte - dicht an der Stelle vorbeikommen, an der die WANKLE verschwunden war.

Ein Köder, dachte Scott grimmig. Wenn dieses Schiff das gleiche Schicksal erlitt, war er an Bord und flog mit. Wenn er am Leben blieb, war das Geheimnis gelöst.

Nach einer Stunde startete das Schiff. Die Maschinen schrillten auf, als das Feld aufgebaut wurde, unsichtbare Energien, gegen die Schwerkraft ankämpfend, die sie festhielt. Der Lärm nahm zu, als sie aufzusteigen begannen. Dann ein leises Rucken, ein seltsam verdrehtes Gefühl, und schon war die Lichtgeschwindigkeit erreicht und überschritten.

Penza Saratow saß im Salon und vergnügte sich. Er trug auffällig bunte Kleidung - einen schimmernden Umhang und funkelnde Juwelen - und wirkte wie ein fettleibiger Kaufmann mit mehr Geld als Menschenverstand.

»Mehr Wein! Den besten Jahrgang, den der Kahn hergibt! Beeilung!«

Er strahlte, als ein Steward losrannte, hob einen bis zum Rand gefüllten Weinkrug und leerte ihn in einem Zug.

»Auf das Leben!« dröhnte er. »Auf die Gesundheit. Auf eine schnelle Reise und eine sanfte Landung! Trinkt mit mir, meine Freunde! Trinkt!«

Innerhalb von Sekunden war Penzas Tisch von Leuten umringt, die seine Gastfreundschaft nicht ablehnten. Er gedachte ihnen Wein zu geben, bis sie sich wohlfühlten und sich entspannten. Und dann wollte er die Ohren offen halten und aufpassen, wollte auf eine ungewollte Äußerung warten, auf einen warnenden Blick, auf Anzeichen dafür, daß ein Passagier nicht das war, was er zu sein vorgab.

Berry Scott mischte sich unter die Menge, nahm ein Glas Wein und trat einige Schritte zur Seite. Hinter einem Tisch in der Ecke beschäftigte sich ein Spieler mit seinen Karten und wartete geduldig ab. Als Scott näher kam, lächelte er und deutete auf einen Stuhl.

»Ein kleines Spielchen?«

»Was schlagen Sie vor?«

»Was Sie wollen. Sternschnuppe, Hidalgo, Poker, Blenden.« Der Spieler zuckte die Achseln. »Ist mir gleich.«

»Dann spielen wir Poker.«

Scott legte Geld auf den Tisch und setzte sich, während der Spieler zu mischen begann. Der Mann spielte gut und verzichtete zu Anfang der Reise noch auf alle Tricks. Scott verlor zweimal, gewann dann in drei Spielen hintereinander und legte noch einmal zu.

Beiläufig fragte er: »Kommt Ihnen bei dieser Reise etwas anders vor?«

»Was meinen Sie?«

»Ich mache mir so meine Gedanken. Sie fliegen doch regelmäßig mit diesem Schiff, nicht wahr? Ich habe da unten auf dem Flughafen so ein Gerücht gehört.«

Der Spieler teilte drei Karten aus, zwei verdeckt, eine offen.

»Ihr König«, sagte er. »Sie sind dran.« Scott schob Geld in die Mitte des Tisches. »Gerücht? Wegen der vermißten Schiffe?«

»Stimmt.« Scott beobachtete den Mann, der neue Karten austeilte. »Sie haben davon gehört?«

»Es wird so allerlei gemunkelt.« Der Spieler konzentrierte sich auf seine Karten. »Nichts dran. Nur Gerede. Sie wissen ja, wie das ist. Ein Schiff verspätet sich, und schon wird gequatscht. Hat nichts zu besagen.« Er legte die letzte Karte verdeckt hin. »Zwanzig.«

»Machen wir fünfzig daraus.« Scott beugte sich über den Tisch. »Sind diesmal zusätzliche Leute an Bord? Ich meine, wenn Schiffe entführt werden, sollten doch ein paar Wächter eingesetzt werden.« Der Spieler runzelte die Stirn. »Keine Zusatzmannschaft - die wir auch nicht brauchen. Mit diesem Schiff passiert nichts, Mister. Alles ist ganz normal. Bis auf ihn natürlich.« Er nickte zu Penza hinüber, der seine Party feierte. »Einen Typ wie den erlebt man nicht oft. Sie wollen sehen?« Scott gewann, nahm sein Geld und wandte sich um. Ein Kabinensteward hatte ihm auf die Schulter geklopft. Der Mann flüsterte.

»Ich glaube, ich habe die Angelegenheit in Ihrem Sinne regeln können, Sir.

Wenn Sie so freundlich wären, mich zu begleiten?« Kapitän Thromb war ein Raumveteran von altem Schrot und Korn. Er hatte angegrautes Haar und ein zerfurchtes Gesicht. Eine alte Strahlungsverbrennung entstellte seinen Hals. Er streckte Commander Scott die Hand entgegen. »Wie ich höre, interessieren Sie sich für die HEDLANDA, Mister. Ich lasse normalerweise keine Passagiere hier heraufkommen, aber der Steward berichtet mir, daß Sie beruflich vorbelastet sind.«

»Das stimmt, Kapitän.« Berry Scott sah sich im Kontrollraum um, nahm die vertraute Einrichtung wahr. Die Hauptkontrollen lagen hinter breiten Abschirmungen, vor denen der Kontrollsessel stand, links und rechts daneben die Sitze der Unteroffiziere. Die Navigationsinstrumente befanden sich auf einer Seite, die Kommunikationseinrichtungen auf der anderen. »Wie ich sehe, haben Sie einen Larvik-Shaw Raumstörer Detektor. Finden Sie das Gerät praktisch?«

Thromb entspannte sich ein wenig, als sein Besucher so fachmännisch zu fragen begann. »Wurde erst kürzlich eingebaut. Ich habe meine Schiffe jahrelang ohne solche Apparate führen können, aber Sie wissen ja, wie das ist. Haben Sie Erfahrungen mit der Anlage?«

»Ein wenig.« Scott trat an das Gerät und verstellte einen Kontrollknopf. Auf dem Bildschirm erschienen durcheinander wirbelnde Linien, die sich zu einer gleichmäßigen Wellenbewegung beruhigten.

Vor dem Kontrollraum atmete der Steward erleichtert auf.

»Da haben Sie aber wirklich einen Freund gewonnen, Sir. Natürlich habe ich ein gutes Wort für Sie eingelegt.«

»Ich werd's nicht vergessen«, sagte Scott. »Haben Sie im Augenblick tun?«

Der Mann zögerte. »Also, wissen Sie...«

»Bitte verbreiten Sie die Nachricht, daß ich mich überall im Schiff frei bewegen kann.« Scott zog seine Geldrolle aus der Tasche und gab dem Mann zwei Scheine. »Ich möchte mir alles richtig ansehen. Klar?«

»Klar, Sir«, sagte der Steward strahlend.

Anschließend spazierte Scott allein in der HEDLANDA herum, verweilte ein wenig in der Reparaturwerkstatt und verbrachte lange Zeit im Maschinenraum. Es war spät, als er in seine Kabine zurückkehrte und sich ausgestreckt auf die obere Koje legte.

Ein leises Klopfen ließ ihn zusammenfahren. Penza Saratow schlüpfte wie ein unförmiger Aal herein. »Schon gut«, sagte er hastig, als Scott die Tür hinter ihm schloß. »Es hat mich niemand gesehen. Ich bewohne die Kabine auf der anderen Gangseite, und alle halten mich für völlig betrunken.« Er fuhr sich grinsend mit der Hand über den kahlen Kopf. »Hast du etwas erfahren?«

»Bis jetzt nicht«, sagte Penza. »Die Passagiere sind ziemlich besorgt, und es gehen auch Gerüchte um, aber die Leute scheinen echt zu sein. Was hast du festgestellt?«

»Nichts.« Scott öffnete den Wandschrank und nahm ein kleines Gerät aus seinem Koffer. Er stellte es auf den Tisch und legte einen Schalter um. Vorsichtig drehte er dann den Einstellknopf und lauschte. Doch es war nur ein leises Murmeln zu hören. »In den Kabinen links und rechts ist niemand. Aber in Kabine 14 hält sich eine Person auf, und zwei Leute sind in Kabine 8.«

»Eine alte Jungfer, die früh zu Bett gegangen ist, und ein junges Paar auf Hochzeitsreise«, sagte Penza sofort. »Wir haben niemand an Bord, der eigentlich überflüssig wäre.«

 

*

 

Die Zeit verging langsam. Penza Saratow setzte seine Maskerade fort, und Commander Scott überprüfte mehrfach jeden Winkel des Schiffes, während die HEDLANDA sich dem Gebiet der rätselhaften Vorfälle näherte. Beide Männer spürten die steigende Spannung, die unmerkliche Elektrisierung der Schiffsatmosphäre.

Scott sagte: »Der Kapitän weiß Bescheid. Der Larvik-Shaw-Detektor ist neu eingebaut worden. Und wenn Thromb informiert ist, gilt das auch für die Offiziere.«

»Und wenn die Offiziere eingeweiht sind, weiß auch die Mannschaft Bescheid.« Penza Saratow lehnte sich an die Wand. Er war in Scotts Kabine gekommen, wobei er zur Täuschung möglicher Beobachter beim Eintritt eine Flasche Wein geschwenkt und laut gebrüllt hatte. »Und ob es dir nun gefällt oder nicht - so etwas kann jeden fertigmachen. Ich wittere es auch bei den Passagieren - ein Hauch von Angst.«

»Und noch immer nichts?«

Saratow schüttelte den Kopf. »Und bei dir?«

»Auch nichts.« Scott erstarrte, als Klopfen ertönte. Hastig sagte er: »Den Wein!«

Der Korken knallte, und Flüssigkeit gluckerte, als der Riese die Flasche über zwei Gläser neigte. Er hob eines an, als Scott die Tür öffnete und dabeilachte, als sei er gerade mitten in einer lustigen Schilderung.

»... und ich schickte ihn mit seinen zerfressenen Fellen zum Teufel. Der Kerl nannte sich tatsächlich Händler. Ich habe in den Sümpfen von Aidelle bessere Händler gesehen - und auf der Welt gibt es nun wirklich nichts zu verkaufen...«

Ein Steward stand im Korridor. Er warf einen Blick auf den Riesen und sagte zu Scott: »Entschuldigen Sie, Sir. Kapitän Thromb läßt grüßen und fragt an, ob Sie wohl zu ihm in den Kontrollraum kommen könnten.«

»Aber sicher.« Scott blickte zu Penza hinüber, der seinen Wein trank. »Sobald ich hier...«

»Die Angelegenheit ist dringend, Sir«, unterbrach ihn der Steward. »Und der Kapitän wartet.«

»Was wird denn das?« Penza beugte sich vor und blinzelte langsam. Wein rann aus der Flasche und lief ihm über das Hemd. »Eine Party? Mein Freund soll zu einer Party gehen? Warum denn das? Wir haben hier doch gerade eine! Wollen Sie mitmachen? Dann kommen Sie herein und trinken Sie einen mit uns!«

Der Steward zögerte. »Sir?«

»Helfen Sie ihm«, sagte Scott. »Schaffen Sie ihn in seine Kabine, wenn das geht. Ich suche den Kapitän auf.«

Thromb war beunruhigt. Er stand vor der Kommunikationsanlage und starrte angestrengt auf eine Anzeige. Als Scott eintrat, sagte er zum Funker: »Versuchen Sie's noch einmal.«

Scott fragte: »Stimmt etwas nicht?«

»Ich weiß es nicht.« Thromb rieb seine Narbe. »Da draußen lauert irgend etwas - ich halte es für ein Schiff, aber man beantwortet unsere Signale nicht.«

»Ein Schiff?« Scott warf einen Blick auf die Schirme; vermochte jedoch außer dem üblichen Gewirr von Sternen im verwischten All des Hypantriebs nichts zu erkennen.

»Schauen Sie sich das einmal an.« Thromb deutete auf den Larvis-Shaw-Raumstörungs-Detektor. Der Schirm zeigte ein zusammenlaufendes Muster vibrierender Linien. »Was immer das ist - es hält Abstand. Ohne den Detektor hätte ich es gar nicht aufgespürt.«

Natürlich handelte es sich um die MORDAIN, die von Chemile zu nahe herangesteuert wurde. Und doch konnte man ihn nicht tadeln.

Scott sagte leise: »Warum gefällt Ihnen die Situation nicht, Kapitän? Liegt es daran, daß wir uns dem Gebiet nähern, in dem die anderen Schiffe verschwunden sind?«

»Sie wissen davon?«

»Ja, und sogar mehr als mir lieb ist, Kapitän.« Scott sah sich im Kontrollraum um. Außer ihm und Thromb waren nur der Funker und ein Navigator anwesend. Er sagte: »Können wir mal unter vier Augen sprechen?«

Einen Augenblick erwiderte Thromb seinen Blick und nickte dann, als wäre er zu einer Entscheidung gekommen.

»Fran, Elgar, lassen Sie uns einen Augenblick allein.« Als sich die Tür hinter den Männern schloß, sagte er: »Also, Mister, legen wir die Karten auf den Tisch. Ich habe Sie beobachtet. Ich kann verstehen, daß sich ein alter Raumfahrer für ein Schiff interessiert, aber eine so eingehende Untersuchung habe ich noch nie gesehen. Vielleicht können Sie mir mal eine Erklärung liefern.«

»Es gibt nichts zu erklären«, sagte Scott leichthin. »Gehen wir mal davon aus, daß ich eine Art Agent bin. Wenn dieses Schiff verschwindet, will ich wissen, wieso und wie. Wie ich Sie einschätze, möchten Sie auf keinen Fall Ihr Kommando verlieren. Deshalb wollte ich allein mit Ihnen sprechen.«

»Sie mißtrauen meinen Offizieren?«

»Das ist keine Frage des Mißtrauens«, sagte Scott heftig. »Es geht um das Leben aller - um Ihr Leben, um das meine und um das Leben der Mannschaft und der Passagiere. Und falls Sie sich jetzt Gedanken machen, kann ich Ihnen sagen, daß meine Ermittlungen offizieller Natur sind.« Er fügte leiser hinzu: »Machen Sie sich keine Sorgen, Kapitän. Wenn Schiffe anscheinend ohne Grund verschwinden, geht das uns alle an. Wie dicht stehen wir Vor dem Gebiet, aus dem die anderen Schiffe ihre Notrufe abgaben?«

»Ich weiß es nicht.« Thromb rieb wieder seine Narbe. »Ich habe nur Gerüchte gehört, wie ich Ihnen schon sagte. Wir könnten ganz in der Nähe sein oder noch weit entfernt. Vielleicht haben wir die Stelle auch schon passiert, aber das nehme ich nicht an.« Plötzlich brach es aus ihm heraus. »Verdammt! Das ist das Schlimmste. Nichts zu wissen. Im dunkeln zu tappen.«

Scott sagte: »Da kann ich Ihnen Erleichterung verschaffen. Wenn Sie gestatten, Kapitän?« Als der Kapitän nickte, trat er zum Kommunikationsstand, legte einige Hebel um und sagte laut: »Hier Commander Scott. Ihr seid uns viel zu nahe. Bleibt zurück und geht keine weiteren Risiken ein. Das ist ein Befehl.«

Nach kurzem Schweigen ertönte Chemiles Stimme: »Tut uns leid, Berry. Wir sind wohl ein wenig zu nervös geworden. Aber die HEDLANDA ist fast am Nullpunkt.«

»Bleibt sofort zurück!«

Ludens Stimme, trocken, präzise: Nachdem wir die Funkstille nun gebrochen haben, kannst du uns vielleicht etwas über die Lage auf der HEDLANDA berichten, Berry.«

»Nichts festzustellen. Schiff und Mannschaft einwandfrei. Die Passagiere haben nichts mit der Sache zu tun. Kann natürlich sein, daß auf diesem Flug gar nichts passiert; trotzdem setzt ihr die Überwachung fort. Verstanden?«

»Verstanden, Berry.«

»Wie weit noch bis zum Punkt Null?«

»Es gibt keinen Punkt Null«, sagte Luden aufgebracht. »Das war Chemiles Erfindung. In Wirklichkeit läßt sich das Gebiet nicht klar umreißen. Der Punkt der höchsten Wahrscheinlichkeit ist wahrscheinlich erreicht in eins Komma sieben Minuten ab -jetzt!«

»Gestoppt!« sagte Scott nach einem Blick auf seine Uhr. »Ende.«

Er unterbrach die Verbindung und wandte sich an Thromb. Der Kapitän blickte ihn nachdenklich an und rieb seine Narbe.

»Ich müßte Ihnen eigentlich ein paar Fragen stellen«, sagte er. »Aber das hat Zeit. Trotzdem möchte ich wissen, wie ein gewöhnlicher Agent zu einem Schiff kommt.« Er zuckte die Achseln, als Scott nicht auf die unausgesprochene Frage einging.. »Also haben wir noch etwa eine Minute Zeit. Richtig?«

»Eine Minute bis zum Augenblick der höchsten Wahrscheinlichkeit -aber das will nicht viel heißen. Wir müssen das ganze Gebiet durchfliegen, ehe wir wirklich in Sicherheit sind.«

»Und wie weit ist das noch?« fragte Thromb stirnrunzelnd. »Ein Viertel-Lichtjahr? Ein halbes? Bei unserer Geschwindigkeit würde das etwa...« Er unterbrach sich und riß die Augen auf. »Was, zum Teufel; ist das?«

Ein Lichtflackern entstand im Kontrollraum. Es raste über die Kontrollwand und richtete sich dann in der Mitte der Zentrale auf - ein unglaublicher Anblick. Es war riesig, schwankend, ein Gebilde aus wirbelndem Licht, zum grotesken. Abbild eines Mannes geformt.

Als die Erscheinung verschwand, atmete Thromb explosionsartig aus.

»Gespenster! Bei allen Raumgöttern! Gespenster!« Eine zweite Gestalt erschien, dann weitere Figuren, die in der Parodie eines Tanzes herumschwänzelten. Eine Erscheinung berührte den Kapitän, durchwanderte ihn, erreichte die Außenhülle und verschwand darin. An den Kontrollen blitzten Lampen, und der Larvik-ShawDetektor stieß einen hohen, schrillen Warnton aus. »Sehen Sie sich das an!« Thromb wandte sich verwirrt um. »Das Ding ist verrückt geworden! Auf dem Sehirm fällt das ganze Weltall auseinander!«

Scott warf, einen Blick hinüber und eilte blitzschnell zum Funkgerät. Es blieb keine Zeit, mit der MORDAIN Verbindung aufzunehmen, aber ein Schrei, irgendein Signal ließ sich vielleicht zum überwachenden Schiff durchbringen. Am Steuerpult starrte er auf die Instrumente, die sinnlose Werte anzeigten; Nadeln und Lichtanzeigen zuckten verwirrt. Um ihn sammelten sich die irrealen Lichtgestalten, schienen sich in drohender Entschlossenheit zu verdichten. Er wüßte, daß ihm nur Sekunden zum Handeln blieben.

Schon mußte das Durcheinander den Schiffscomputer zur Auslösung des Notsignals bewegt haben. Das Signal der WANKLE hatte nur vierunddreißig Sekunden gedauert. Um sicher zu gehen - dreißig. Über zwanzig waren bereits vergangen. In weniger als zehn Sekunden würden die HEDLANDA verschwinden, als hätte es sie nie gegeben.

»Scott«, Thromb warf sich vor die Kontrollen. »Mein Schiff! Lassen Sie mich...«

Scott stieß ihn zur Seite und fauchte: »Ans Funkgerät! Los!«

Er ließ sich in den gepolsterten Stuhl fallen, ergriff die Kontrollen mit beiden Händen. Ringsum bäumte sich das Schiff auf, schien sich zu verkanten, zu strecken und dabei einzuschrumpfen, schien völlig umgekrempelt zu werden, während es sich gleichzeitig bis in die Unendlichkeit ausdehnte. Er spürte einen unerträglichen Druck auf der Brust, eine zunehmende Schwärze vor den Augen, und dann schien das ganze Weltall ringsum in einem grellen Durcheinander wirbelnder Sonnen und flammender Kometen zu explodieren.

 

*

 

An Bord der MORDAIN sagte Chemile tonlos: »Jarl, sie ist verschwunden. Die HEDLANDA ist fort!«

»Drück dich präzise aus!« Die Sorge ließ Ludens Stimme schärfer als gewöhnlich klingen. »Was meinst du - fort?«

»Sie ist fort!« Chemile deutete auf den Bildschirm. »Jarl! Was ist passiert?«

»Weiß ich noch nicht. Hör den automatischen Empfänger nach Notrufsignalen ab. Der Computer soll . alle relevanten Daten auswerten, während ich die Instrumente überprüfe. Und sorge dafür, daß wir unsere relative Position im All beibehalten.« Die MORDAIN verfügte über automatische Vorrichtungen, die eine große Mannschaft überflüssig machten. Chemile ließ den Computer die volle Kontrolle übernehmen und machte sich dann an seine Überprüfungen und Feststellungen. Er vermochte sich kaum zu konzentrieren, denn sein Blick wanderte immer wieder zu den Bildschirmen. Die Gestirne starrten ihn an, als verspotteten sie die Bemühungen des Menschen, die unveränderlichen Funktionen des Universums zu erfassen.

Schließlich war die Arbeit getan, und er kehrte zu Luden zurück, der in seinem kompakten Labor saß. Der Professor war in seine Arbeit vertieft und studierte Aufzeichnungen, während er mit der rechten Hand die Tastatur eines kleinen Computers bediente.

Ohne aufzublicken fragte er: »Hast du die Kommunikationsbänder abgehört?«

»Ja.«

»Na und?« fragte Luden ungeduldig. »Sind Nachrichten darauf? Irgend etwas?«

Stumm schob Chemile eine 'Spule in ein Abspielgerät und schaltete es ein. über lautem statischem Rauschen waren zwei Stimmen zu hören.

»Berry!« Luden runzelte die Stirn. »Aber wer ist der andere Mann? Jedenfalls nicht Saratow. Dessen Brüllen ist unverkennbar. Vielleicht der Kapitän.« Er ließ das Band zurücklaufen und hörte sich die Aufnahme noch einmal an.

»Mein Schiff! Lassen Sie mich...« Eine zweite Stimme, vertraut: »Ans Funkgerät! Los!«

»Das ist Berry!« sagte Chemile. Er verstummte, als eine lautere Stimme aus dem Sprecher dröhnte. »Gespenster! Wir werden von Gespenstern angegriffen. Sie bestehen aus Licht, und...« Stumm lief das Band weiter. Luden hob die Augenbrauen.

»Ist das alles?«

»Ja.«

»Interessant, aber nicht sehr informativ«, bemerkte der Professor. »Schade, daß nicht Berry ans Funkgerät gekommen ist. Dieser andere Mann - wahrscheinlich der Kapitän der HEDLANDA - war offensichtlich im Schockzustand. Er redet völlig sinnlos daher. Gespenst, ich bitte dich!

Lichtstrahlen! Warum muß im Streß immer der Aberglaube durchkommen?«

»Jetzt wollen wir keine Haarspalterei betreiben«, sagte Chemile. »Berry ist verschwunden, ebenso wie Penza -und du sitzt da und beklagst dich, weil so ein armer Teufel, vor Entsetzen halb außer sich, das Unbeschreibliche mit einfachen Worten beschreibt. Vielleicht hat er wirklich Gespenster, gesehen. Wie sehen Gespenster überhaupt aus?«

»Na, was immer man sich darunter vorstellt.« Luden lehnte sich nachdenklich in seinem Stuhl zurück. »Aber du hast gar nicht so unrecht, Veem. Ein Lichtmuster in menschenähnlicher Gestalt könnte einem entsetzten Mann schon wie eine Erscheinung aus seinen Kindheitsträumen vorkommen. Aber wodurch wurde die Erscheinung hervorgerufen? Handelt es sich um den Aufprall von Hochenergien auf die Netzhaut? Um den Filtereffekt der Schiffshülle auf einen interspatialen Energiestrahl, der sich zufällig in die beschriebenen Lichterscheinungen auflöste? Ich muß mich mit der Sache befassen!«

»Und wenn du dich schon mal befasst - was ist mit Berry?«

»Ich habe ihn nicht vergessen«, sagte Luden leise. Soweit ich feststellen kann, wurde an der Stelle; an der die HEDLANDA verschwand, das Gefüge des eigentlichen Alls völlig verändert. Versuch dir einmal ein Tuch vorzustellen, über das eine Kugel rollt. Das Tuch ist das All, die Kugel das Raumschiff. Und nun stell dir vor, das Tuch wird irgendwie eingerissen. Eine kleine Öffnung entsteht unmittelbar unter dem Ball. Der Ball verschwindet, und wird der Riß schnell geflickt, ist scheinbar alles wie zuvor.«

»Außer daß es keinen Ball mehr gib Kein Schiff.« Chemile runzelte die Stirn. »Aber es müßte doch irgendwohin verschwunden sein. Auf die andere Seite des Tuches.

»Mein Vergleich hinkt natürlich. Das All ist nicht zweidimensional - aber deine Vorstellung ist schon ganz richtig. Nun bleibt die Frage: Was hat das Weltall zum Aufreißen gebracht? Was liegt auf der anderen Seite? Kann man dafür sorgen, daß so etwas nicht wieder passiert?«

»Du hast etwas vergessen«, sagte Chemile gepreßt. »Wir haben noch ein Problem, ein viel dringlicheres. Wie holen wir Berry und Penza zurück?«

Leise sagte Luden: »Wenn sie noch leben.«

»Zweifelst du daran?«

Luden griff nach dem Abspielgerät. Er ließ die Bandrolle herausschnellen, die Chemile mitgebracht hatte, und schob eine' andere Aufzeichnung ein. Die vertrauten unheimlichen Pieptöne eines automatischen Notrufgebers erfüllten das kleine Laboratorium.

»Das Signal der HEDLANDA. Natürlich automatisch. Ich habe die Aufzeichnung verlangsamt und das Signal nach Frequenz und Harmonie sorgfältig gemessen. Meine Schlußfolgerung ist leider zwingend. Beide zeigen ein spürbares Abrutschen nach unten.«

Chemile atmete scharf ein. »Dopplereffekt.«

»Genau.« Luden schürzte die Lippen. »Signale, die von einer stationären Quelle ausgehen, hätten einen solchen Effekt nicht. Bewegt sich aber der Ausgangspunkt des Notrufs mit sehr hoher Geschwindigkeit von uns fort, müßte der Tonfall niedriger werden. Und natürlich höher, wenn das Schiff in unsere Richtung fliegt, aber das ist ja nicht der Fall. Der Zeitabstand zwi-schen den Signalen ist winzig, aber meßbar. Er verstärkt sich gegen Ende der Nachricht, was auf eine Beschleunigung unglaublichen Ausmaßes hindeutet. Aus einer relativ ruhigen Position wurde die HEDLANDA mit phantastischer Geschwindigkeit in ein unbekanntes Kontinuum entführt.«

Er hielt inne und fügte bedrückt hinzu: »Soweit sich aus dem Dopplereffekt der Nachricht schließen läßt, war die Beschleunigung groß genug, um jedes Lebewesen an Bord des Schiffes zu zerquetschen.«

 

*

 

Penza Saratow verstand im ersten Augenblick nicht, warum er noch lebte. Als die Lichterscheinungen auftauchten, hatte er sich in seiner Kabine 'aufgehalten. Er war sofort in den Gang gestürzt, den Klang entsetzter Schreie und das unangenehme Schrillen des Alarms in .den Ohren. Seinem festgesetzten Plan folgend, hatte er die Richtung zum Maschinenraum eingeschlagen. Nachdem er eine verschlossene Tür aus den Angeln gerissen hatte, erreichte er den Maschinenraum in dem Augenblick, als das Schiff zu bocken und zu kreiseln begann. Dann war das Universum explodiert.

Er stöhnte. Ein unerträgliches Gewicht lastete ihm auf Brust, Rücken und Schultern. Er bewegte die Beine und spürte, wie seine Stiefel gegen Metall stießen.

Wir sind abgestürzt, dachte er. Dieser Metallbrocken muß mich getroffen haben. Aber warum ist es so dunkel? Das Notlicht müßte noch funktionieren, und wenn nicht alle anderen tot sind, müßten Rettungsgeräusche zu hören sein. Instinkt zwang ihn, gegen das Gewicht anzukämpfen, das ihn niederzwang, Doch er blieb still liegen, wartete darauf, daß sich seine Gedanken beruhigten, daß der Schmerz nachließ. Er lag mit dem Gesicht nach unten auf einer Metallfläche. Seine Arme lagen eng am Körper an und waren ebenfalls eingeklemmt. Er vermutete, daß er mit dem Kopf etwa in einem Winkel zwischen Deck und Schiffszwischenwand lag, wobei die Metallmasse, die ihn gefangen hielt, die dritte Seite des Rechtecks bildete.

Vorsichtig zog er die Knie an, preßte sie mit aller Kraft gegen das Deck und bäumte sich auf. Er spürte, wie das nieder drückende Gewicht etwas nachließ, hörte ein metallisches Knirschen, und als er sich vorwärts bewegte, stieß etwas Hartes gegen seinen Kopf.

Die Außenwandung, überlegte er, die Ecke zur Zwischenwand. Er war in einem Winkel gefangen und hatte nur eine Rettungsmöglichkeit.

Einen Augenblick lang blieb Saratow ruhig liegen, atmete mehrmals tief ein, reicherte sein Blut mit Sauerstoff an. Sein Kopfschmerz war zu einem dumpfen Pochen geworden. Er wartete ab, schwer atmend, spürte den Schweiß auf seinem Gesicht, spürte das unerträgliche Gewicht, das ihn an jeder Bewegung hinderte.

Wieder zog er langsam die Knie an und rammte sie gegen das Deck.

Erneut das Quietschen von Metall, ein widerstrebendes Schwanken der Last über ihm. Er gewann etwas Raum drückte nun beide Arme unter sich, preßte die Hände gegen den Boden, und seine mächtigen Armmuskeln übernahmen das Gewicht. Über ihm protestierte das Metall, riß sich frei, polterte zur Seite, und mit einer letzten Anstrengung richtete er sich auf und lehnte schwer atmend an der Trennwand zum nächsten Raum. Jetzt konnte er auch sehen. Ein matter Schimmer drang durch eine Türöffnung, der schwache blaue Schein einer Kells-Notlampe, deren Birne trotz des Absturzes noch funktionierte. Saratow schritt darauf zu und wäre fast sofort gestürzt, als sein Fuß eine nasse Stelle berührte. Er fing sich im letzten Moment und entdeckte eine kaum erkennbare Gestalt vor sich auf dem Boden. Einer der Ingenieure lag dort in seinem Blute.

Der erste Tote, dachte Saratow grimmig. Und es gab bestimmt noch andere. Womöglich auch Berry. Besorgt setzte er sich in Bewegung und trottete durch das Schiff zum Kontrollraum.

Scott hing im großen Hauptstuhl in den Gurten. Die Klampen hatten nicht gehalten, und der Stuhl war schräg nach vorn gekippt. Scotts Augen waren geschlossen, und er atmete nur flach, aber offenbar war er unverletzt Saratow fand etwas Wasser und benetzte damit Scotts Gesicht. Dann massierte er mit sanften Fingern die Muskeln und Nervenenden des Halses. »Berry!« sagte er mit spürbarer Erleichterung, als Scott die Augen öffnete. »Ich hielt dich schon für tot. Kannst du dich bewegen?« Besorgt sah er zu, während Scott vorsichtig seine Arme und Beine betastete. Die Gurte fielen ab, und der große Mann stand auf.

»Was ist geschehen, Berry?«

»Seltsame Lichter tauchten auf - sie sahen wie Menschen aus. Sie brachten den Computer durcheinander, und dann...« Stirnrunzelnd hielt Scott inne. »Ich übernahm die Steuerung«, fuhr er langsam fort. »Alles schien durchzudrehen. Dann sah ich einen Raumflughafen - oder jedenfalls ein Gebiet, das von Lichtern und irgendwelchen Maschinen umgeben war. Wir stürzten in freiem Fall darauf zu. Es gelang mir, das Schiff auszurichten und in den Gleitflug zu bringen. Aber dann kamen Berge, irgendwelche Vorberge. Ich konnte eine Bruchlandung nicht verhindern.« Saratow runzelte die Stirn. »Ein Raumhafen, Berry? Bist du sicher?«

»Nein«, »sagte Scott. »Es war mehr ein Eindruck. Wichtiger war mir das Schiff. Hast du dich schon umgesehen?«

»Noch nicht, Berry.«

»Dann müssen wir uns darum kümmern. Vielleicht brauchen andere unsere Hilfe. Zum Beispiel der Kapitän. Er war hier in der Zentrale. Wir müssen ihn suchen.«

Es war nicht zu glauben, aber Thromb lebte und war unverletzt. Die schwachen Schutzverkleidungen des Kommunikationssystems hatten sich um ihn zusammen geschoben und den Aufprall für ihn abgemildert. Er bewegte sich, als Saratow die Metallreste zur Seite zerrte, richtete sich auf und betastete vorsichtig seine Schläfe und die Narbe am Hals.

Zusammenzuckend sagte er: »Mein Kopf! Hier muß irgendwo ein blauer Medikamentenkasten sein. Wenn Sie den vielleicht...«

Der Kasten war ziemlich verbeult, doch sein 'Inhalt ließ sich noch verwenden. Der Kapitän schluckte drei violette Pillen, trank etwas Wasser und erhob sich vorsichtig. Verständnislos sah er sich im Kontrollraum um.

»Das sieht ja fürchterlich aus! Haben noch andere überlebt?«

»Ich weiß nicht«, sagte Scott. »Wir müssen uns darum kümmern.«

Der Salon war völlig zerstört, ebenso wie der Maschinenraum und die meisten Kabinen - doch das Wunder war geschehen. Der Funker hatte überlebt, desgleichen ein Steward, der Spieler und einer der beiden Handelsvertreter. Sie alle kamen in der Zentrale zusammen.

»Ein Häuflein von sieben Überlebenden, das ist alles«, sagte Thromb niedergeschlagen. »Und es sieht gar nicht mal so aus, als hätte der Absturz alle anderen umgebracht. Einige Frauen lagen gesichert in ihren Kojen. Wie sind sie gestorben?«

»Durch den Aufprall«, sagte Saratow schnell. »Ich habe so etwas schon einmal gesehen. Äußerlich sind sie unverletzt, aber der Aufprall hat die inneren Organe zerdrückt.«

»Stimmt«, sagte Scott.

Der Spieler, der Jukan hieß, zuckte die Achseln. »Glück«, sagte er. »Einige haben überlebt, andere sind gestorben. Hätte auch anders herum sein können. Hier sitzen wir nun in einem Schiffswrack, Gott weiß wo gestrandet. Was tun wir also?«

»Richtig.« Der Handelsvertreter war hager und trug einen billigen Anzug. Er erschauderte 'und rieb sich die Hände. »Mir ist kalt«, klagte er. »Können wir die Heizung nicht anstellen?«

»Wir haben keine Energie mehr«, sagte der Funker. »Nur die Kells-Notlampen.«

»Aber die brauchen doch Strom, oder? Warum können wir den nicht zum Heizen benutzen?«

»Kells-Birnen arbeiten ohne Strom. Sie sind Praktisch ein durchsichtiger Behälter, auf der Innenseite mit einem fluoreszierenden Mittel besprüht, das von einem radioaktiven Isotop zum Leuchten gebracht wird. Verstehen Sie?« Er sprach geduldig, als hätte er es mit einem Kind zu tun. »Ich begreife gar nichts.« Der Handelsvertreter, blieb störrisch. »Diese Birnen müßten uns doch warmhalten können. Ich...«

Obwohl ihm seine angebrochenen Rippen große Schmerzen bereiten mußten, sagte der Steward heftig: »Hören Sie, Mister, warum halten Sie nicht endlich den Mund, und...«

»Genug, Troy!« schaltete sich Thromb scharf ein. Der Vertreter kannte sich nicht mit Raumschiffen aus, was man ihm nicht ankreiden durfte. Und es wurde tatsächlich kalt. Schon erzeugte jeder Atemzug kleine Dampfwolken in der Luft. Scott sagte: »Wir müssen uns organisieren. Offensichtlich können wir nicht im Schiff bleiben. Ich schlage also vor, daß wir alle warme Kleidung zusammensuchen, die an Bord zu finden ist. Dazu Wasserbehälter, Nahrungsmittel, andere Dinge, die wir brauchen.« Er wandte sich an den Funker. »Sie heißen doch Elgar, nicht war? Sehen Sie zu, was sich aus den Kommunikationsgeräten noch machen läßt. Vielleicht können Sie uns eine Art Empfänger bauen, oder auch einen Sender, wenn das irgend möglich ist.«

»Ohne Strom?«

»Für ein Kristallgerät brauchen Sie keinen Strom. Wenn irgend jemand funkt, fangen wir vielleicht ein Signal auf. Jukan, Sie nehmen unseren Freund hier unter die Fittiche. Sie heißen doch Vendelle, ja?«

Der Handelsvertreter nickte.

»Sie gehen mit Jukan los und organisieren warme Kleidung. Troy, ziehen Sie sich aus. Ich will mir mal Ihre Rippen ansehen.«

Die anderen setzten sich in Bewegung. Troy machte seinen Oberkörper frei und ließ sich untersuchen. Er atmete zischend ein, als Scott die, schmerzhafte Stelle abtastete.

»Schlimm«, sagte er. »Aber es könnte schlimmer sein. Die Lunge ist unverletzt, Penza, reiß mir mal ein paar Bandagen zurecht.«

Während der Riese Tücher zu zerreißen begann, beschäftigte sich Scott mit dem Inhalt des Medizinkastens. Er fand ein Fläschchen mit Tabletten und einen Behälter mit einer öligen Flüssigkeit. Hastig zog er damit eine Hypospritze auf und injizierte das Schnellheil-Mittel zwischen Troys Rippen. Die Tabletten waren schmerzstillend. Er gab dem Mann vier, während Saratow bereits die Tuchstreifen um den entblößten Brustkorb wickelte.

»Nicht so fest«, sagte er, als der Verwundete vor Schmerz aufstöhnte. Saratow lockerte seine Binden. »Besser?«

Troy nickte. »Ich glaube, das reicht Fühle mich jedenfalls schon viel besser. Vielen Dank.« Zu Saratow sagte Scott: »Wir gehen jetzt nach draußen. Es wird Zeit festzustellen, wir wir überhaupt sind.«

»Sie wollen, daß ich mitkomme?« Thromb machte einen Schritt und blieb stehen, als Scott den Kopf schüttelte.

»Nein. Sie bleiben hier und organisieren die Gruppe. Sie wissen, was zu tun ist.« Ernst fügte er hinzu: »Wir wissen nicht, was uns da draußen erwartet. Bleiben Sie in der Nähe der Schleuse. Vielleicht haben wir's auf dem Rückweg eilig. Fertig, Penza?«

»Klar, Berry, wenn du soweit bist.«

Gemeinsam verließen sie das Schiff. Die Umgebung war - fremdartig.

Es war eine Landschaft, wie sie sie noch nie zuvor gesehen hatten; Scott mußte an alte Gemälde denken, die er in den irdischen Museen betrachtet hatte - Arbeiten von Dali und Picas Brunet und dem wahnsinnigen Emmanuel Smith, dessen Visionen auf elektronische Weise verfremdet worden waren, so daß er schließlich überhaupt nichts mehr gesehen hatte, was für die. Augen anderer auch nur annähernd normal gewesen wäre. Neben ihm hörte er Saratow die Luft anhalten und pfeifend wieder ausatmen.

»Berry! Was...«

Sie beide kannten viele Welten.

Doch was sie hier erblickten, war ihnen völlig fremd.

Vor ihnen fiel der Boden leicht ab und verschmolz mit einer gewellten Ebene; er war von Erhebungen durchzogen, kantig und zackig; das Ganze wirkte wie die Oberfläche, einer riesigen Feile. Punkte, Spitzen, Vertiefungen, Kerben und Kurven schimmerten sanft, als wären sie mit winzigen Edelsteinen besetzt, und das Leuchten verschmolz mit Regenbogenfarben, die sich zu blinkenden Farbkaskaden vereinigten. Die Vegetation entwickelte eine phantastische Vielfalt; schlanke Schäfte, von dreieckigen Blättern gebeugt, Farnkräuter, die sich zu geometrischen Formen entfalteten, Zylinder, Pyramiden, Spiralen, gefurchte Säulen. Der Himmel war dunkel und von Lichtpunkten übersät; drei große Scheiben schwebten wie Silbermonde im Zenit, andere - rot, grün, gelb und blau - hingen in gleich großen Abständen dicht über dem Horizont.

Die bunten und silberfarbenen Scheiben, die Lichtpunkte, bei denen es sich um Sterne handeln mußte, und der Boden erzeugten eine gespenstische Helligkeit; und alles war von einem Gefühl der Verzerrung überlagert.

Und es war kalt.

Commander Scott spürte die Kälte durch seine Kleidung. Er hörte Saratow knurren, hörte das Klatschen von Händen, die gegen einen Leib schlugen.

»Wir sind nicht richtig angezogen, Berry. Ich friere.«

»Du wirst es schon einen Moment aushalten.«

»Trotzdem braucht's mir nicht zu gefallen.« Der riesige Mann schaute zum Himmel und warf einen Blick in die Runde. »So etwas habe ich noch nie gesehen. Was ist aus dem Schiff geworden, Berry? Was für eine Welt mag das sein?«

»Keine Ahnung.« Scott sah seinen Freund nachdenklich an. »Aber ich vermute, daß wir uns nicht mehr im normalen Universum aufhalten. Die Sterne sind völlig fremd. Und die Monde widersprechen jeder astronomischen Logik. Wenn es sich überhaupt um Monde handelt. Sie könnten ja auch etwas anderes sein. Vielleicht Satelliten oder Energiestationen oder sogar Festungen. Ich wünschte, wir hätten die MORDAIN hier! Ich würde gern einige Versuche anstellen, die ohne Spezialinstrumente leider unmöglich sind.«

»Ich schließe mich deinem Wunsch an«, sagte Saratow nachdrücklich. »An Bord der MORDAIN hätten wir es wenigstens warm.« Er fügte hinzu: »Und wir wären in Sicherheit. Die Leichen im Schiff, Berry. Hast du's gemerkt?«

»Ja. Nicht alle sind vor oder während des Absturzes gestorben. Thromb wurde schon mißtrauisch, aber du hast ihm schnell eine Erklärung geliefert.«

»Und etwas hat sie getötet.« Saratow starrte düster in alle Richtungen, die Schultern hochgezogen, die Muskeln kampfbereit angespannt. »Und dieses Etwas könnte noch in der Nähe sein, nicht war?«

»Möglich«, sagte Scott. Nachdenklich blickte er nach oben, und sein Atem gefror bizarr. »Und das ist nicht alles. Schau mal!« Er hob den Arm. »Da ob bewegt sich etwas. Ein Schiff!«

 

*

 

Auch das Schiff war völlig fremdartig - ein Polyeder, mit Kegelstümpfen besetzt, in ein schimmerndes Gitterwerk aus grünen Funken gehüllt Das Gebilde trieb über die Berge dahin, sank ab, stieg wieder auf, schier zu verschwinden, nur um an einer anderen Stelle plötzlich wieder aufzutauchen. Es stieß ein dünnes, schrilles Summen aus.

»Ein fremdes Schiff«, flüsterte Saratow. Er hatte die Augen zusammengekniffen und studierte das seltsame Gebilde. »Das grüne Schimmern muß ein Anti-Schwerkraft-Schirm sein. Man sucht vielleicht nach uns. Was meinst du, Berry?«

»Ins Schiff!« befahl Scott. »Schnell!«

»Du willst nicht, daß sie uns sehen?«

»Irgend etwas hat uns aus unserem Universum hierher verschleppt. Vielleicht die Leute da oben. Und wenn das stimmt, sind die uns sicher nicht freundlich gesonnen. Ins Schiff - los!«

Er sprang in die Schleuse und brüllte hastige Befehle. Der seltsame Flugkörper trieb dahin, als suche er nach etwas, und er glaubte zu ahnen, was.

»Bringt die Nahrungsmittel nach draußen. Das Wasser, Werft jeden Fetzen Kleidung heraus, alles, was Wert hat. Beeilt euch, verdammt! Schnell!« »Gibt's Ärger?« Thromb hielt Scott am Arm fest. »Haben Sie draußen etwas gesehen?«

»Allerdings. Und das Ding sucht nach uns. Hört mir mal zu - alle! Wir gehen jetzt nach draußen. Nehmt soviel Zeug wie möglich mit und lauft den Hang hinab. Weiter unten findet ihr hohe Vegetation, die wie ein Büschel abgehackter Säulen aussieht. Haltet darauf zu. Auf einer Seite ist eine flache Vertiefung. Dort geht ihr in Deckung - und behaltet. die Köpfe unten! Penza, du führst die Gruppe an.«

Elgar war mit seinen Geräten beschäftigt. »Einen Augenblick noch sagte er. »Ich muß den Apparat erst losmachen, und...«

»Vergessen Sie's!«

»Aber...«

»Tun Sie, was ich Ihnen sage!« Scott packte den Mann am Arm und schob ihn zur offenen Schleuse. »Raus! Rennt um euer Leben!«

Die Männer hasteten den unebenen Hang hinab und folgten dem riesigen Mann in die flache Mulde neben der seltsamen Pflanzenformation. Scott verließ das Schiff als letzter, wobei er noch den Medikamentenkasten und einige Reserveladungen für die Diones mitgehen ließ. Er duckte sich neben Saratow, und schon fegte das fremde Schiff im Tiefflug über die Berge und kam den Hang herab. Das dünne Summen wurde lauter und festigte sich, als das Fahrzeug wie eine smaragdgrüne Schneeflocke über der havarierten HEDLANDA stoppte.

Aus den schmalen Enden der abgeflachten Kugel zuckten wirbelnde grüne Flammenzungen. Sie berührten das Gestein des Berges, und wo sie auftrafen, stiegen ganze Schauer von zersprengten Brocken und riesige Staubwolken auf. Die Flammen näherten sich dem Schiffswrack, berührten es und vereinigten Metall und Steine zu einem gemeinsamen Wirbel. Minutenlang bewegte sich das fremde Schiff über der HEDLANDA hin und her und ließ seine grünen Flammen über dem Terrain tanzen.

Und dann stieg es seufzend und summend auf, neigte sich, gewann weiter Höhe und bewegte sich in gleichmäßigem Flug über die Ebene, auf einen smaragdgrünen Mond zu.

Thromb hob den Kopf und stieß einen dumpfen Laut aus.

»Sie ist verschwunden«, sagte er. »Die HEDLANDA ist fort! Es ist nichts mehr übrig.«

Nichts außer den Dingen, die sie gerettet hatten. Als sie mit klappernden Zähnen und vor Kälte bebenden Körpern in die zusätzliche Kleidung schlüpften, überprüfte Scott die Vorräte.

Nahrungsmittel, etwas Wasser, kaum Medizin, einige Waffen, ein dünnes kräftiges Seil, zwei Flaschen Brandy, ein Kasten mit Warenmustern. Er öffnete den Deckel und starrte die Reihen Parfumflaschen an.

Vendelle sagte: »Das sind meine Muster. Wenn ich die verliere, habe ich nichts mehr zu verkaufen.«

»Was, zum Teufel, wollen Sie hier verkaufen?« Troy war gestürzt, und seine gebrochenen Rippen schmerzten. »Was soll das Zeug? Wir können's nicht essen und nicht. trinken, und warm wird uns davon auch nicht.'

»Vielleicht doch«, sagte Scott. »Die Lösung kann vielleicht als Brennstoff dienen.«

Jukan, der Spieler, fragte unruhig: »Sollten wir nicht loswandern? Das Schiff kommt vielleicht zurück.«

»Wohin wollen wir denn?« Elgar rieb sich den Arm. »Sehen Sie sich doch um. Eine Eishölle wie sie im Buche steht, ein Alptraum! Hätten Sie mir Zeit gelassen, ein paar Sachen mitzunehmen, hätte ich vielleicht ein Radio bauen können.«

»Aber wir hatten keine Zeit.« Thromb blickte noch einmal zu der Stelle hinüber, an der sein Schiff gelegen hatte, doch es war nur noch ein besserer Müllhaufen zu sehen. »Es ist wohl sinnlos, nach verwertbaren Dingen zu suchen. Ich sehe kein einziges Stück Metall.« Seine Stimme war gebrochen. »Fragen Sie mich nicht, was wir jetzt tun sollen. Ich habe keine Ahnung.«

»Wir ziehen los«, sagte Scott. »Beim Absturz habe ich im Kontrollsitz gesessen und eine Art Raumflughafen gesehen. Von dort muß das Schiff gekommen sein, und es hat beim Rückflug auf den grünen Mond zugehalten. Ich vermute also, daß der Flughafen in dieser Richtung liegt. Wir werden ihn finden. Aber zuerst müssen wir essen. Und Nahrung läßt sich leichter im Magen als auf dem Rücken tragen.

Außerdem brauchen wir alle unsere Kräfte. Troy, Sie sind Steward. Können Sie kochen?«

»Mit Herd, Feuer und Geschirr.«

»Wir wollen ja keine raffinierten Sachen. Irgend etwas Heißes, Vitaminreiches. Sehen Sie zu, was Sie machen können. Jukan, Sie nehmen sich Vendelle und sammeln etwas von dem Grünzeug ein. Elgar, Sie begleiten den Kapitän und suchen nach einem flachen Felsbrocken und einigen kleineren Steinen.«

Die Pflanzen bestanden aus einer weichen Masse auf eisenharten inneren Skugeln. Saratow zertrat sie unter seinem Stiefel und schichtete einen Haufen auf, über den Scott einen Teil des Parfums schüttete. Dann trat er zurück, zog seine Dione und drückte ab. Die Energiesäule verließ die ausgeweitete Mündung und klatschte gegen den flachen Stein, den Thromb und Elgar gefunden hatten. Das Parfum fing Feuer und begann zischend zu brennen, entzündete auch die weichen Pflanzenstengel. Gleich darauf hockten die Männer um ein prasselndes Feuer.

Troy deutete auf die kleineren Steine. »Was mache ich damit?«

»Erhitzen Sie sie in den Flammen. Wenn sie heiß sind, tun Sie sie in einen Behälter. Das Wasser ist längst gefroren, aber es wird wieder schmelzen.« Scott nahm zwei dickere Zweige auf. »Nehmt diese für die Behälter und die Steine. Wie lange dauert es noch mit dem Essen?«

Sie aßen mit Fingern und Steinbrocken und drängten sich dicht um die Flammen. In ihrer formlosen Kleidung boten sie einen komischen Anblick. Doch ihre Situation hatte absolut nichts Komisches. Scott verließ den Kreis der anderen und suchte den Himmel und das Gebiet hinter dem Feuer ab. Sofort tauchte Saratow neben ihm auf.

Mit einem Blick auf das Feuer sagte er: »Berry, die Fremden werden durch die Flammen vielleicht wieder angelockt.«

»Ich weiß - deshalb passe ich ja auf.«

»Du hoffst auf einen Angriff, Berry?«

»Mir gefallen Rätsel nicht. Wir haben schon genügend Sorgen - auch ohne Feind, der, im Hintergrund lauert. Vielleicht fürchten sich die Unbekannten aber vor dem Feuer.«

»Möglich wär's.« Saratow zuckte die Achseln. »Die Lage ist schlimm, nicht? Ich frage mich, welche Chancen uns Jukan einräumen würde, daß wir unser Abenteuer lebendig und in einem Stück überstehen.«

Vielleicht sollte ich ihn danach fragen, dachte Scott. Aber noch nicht. Erst wenn das Feuer und das heiße Essen ihre Wunderwirkung getan hatten. Wärme, Nahrung, ein Aktionsplan - dies alles machte den Unterschied. Er wünschte, sie könnten sich eine Weile ausruhen, aber das kam nicht in Frage.

Er kehrte zum Feuer zurück, stellte sich hinter die Männer, bis alle zu ihm aufblickten.

»Gut - ihr habt gegessen und euch aufgewärmt. Jetzt wird's Zeit zum losziehen. Soweit sich das überhaupt bestimmen läßt, wurden wir irgendwie aus unserem All in eine andere Dimension verschleppt. In ein anderes Universum. Etwas muß dafür verantwortlich sein, denn ich glaube nicht, daß es ein Unfall war - wir waren nicht die ersten. Ihr alle habt gesehen, was mit dem Schiff geschah; das fremde Flugboot hat es zerstört. Beim Rückflug hat es auf den grünen Mond zugehalten. Wie ich schon sagte, habe ich beim Absturz einen Raumflughafen gesehen, was bedeuten würde, daß es dort Schiffe gibt, und wenn wir Schiffe finden, haben wir vielleicht eine Chance, von dieser Welt zu fliehen. Es ist unsere einzige Chance, und wir müssen sie nützen.«

»Wir haben Waffen«, fuhr er fort. »Wir frieren nicht, sind gut genährt und haben unser Ziel. Wenn wir hier bleiben, macht uns die Kälte fertig. Wollt ihr erfrieren? Nein. Dann auf die Beine und los.« Scott übernahm die Führung. Hinter ihm flankierten Thromb und Troy den unbewaffneten Vertreter. Elgar, Jukan und Saratow bildeten die Nachhut. Die Gruppe, dick vermummt, um die beißende Kälte, abzuwehren, schwere Bündel auf dem Rücken, marschierte über eine exotische Ebene unter einem absolut fremdartigen Himmel. Sie kamen nur langsam voran. Der unebene Boden wies scharfe Kanten auf und war hart, so daß sie immer wieder stolperten und sich fluchend erhoben; der Atem gefror ihnen auf dem Gesicht und in der Kleidung. Stunden vergingen, und kaum etwas deutete darauf hin, daß sie vorankamen.

Vendelle stürzte, richtete sich Wimmernd auf und stürzte wieder. Mit dem Gesicht nach unten blieb er liegen.

Thromb kniete neben ihm nieder, drehte den Mann auf den Rücken und musterte das verzerrte Gesicht.

»Er ist am Ende«, verkündigte er. »Völlig erschöpft. Wenn er keine Ruhe bekommt, stirbt er.«

»Da ist er nicht der einzige.« Troy zuckte zusammen, als er sich auf den Boden kniete. »Meine Rippen brennen wie Feuer.«

»Die Brüder machen schlapp«, murmelte Saratow neben Scott. »Sie schaffen es nicht. Wir müssen pausieren, Berry.«

»Noch nicht.« Scott hob den Arm. »Weiter vorn ist hohe Vegetation -sieht fast wie eine Baumgruppe aus. Wir lagern dort. Wenn du Vendelle hilfst, kümmere ich mich um Troy.«

Sie lagerten viel zu früh, die zurückgelegte Entfernung war zu klein - aber es ließ sich nichts machen. Scott teilte Wachen ein und übernahm selbst eine Runde. Nachdem Saratow ihn abgelöst hatte, suchte er sich eine geschützte Stelle abseits des Feuers.

Als er erwachte, beugte sich Thromb besorgt über ihn.

»Elgar«, flüsterte der Kapitän. »Er ist tot.« Scott richtete sich sofort auf. »Wie?«

»Ich weiß es nicht. Ich war unruhig. Sie wissen ja, wie das ist. Wenn man das Wachestehen gewöhnt ist, ahnt man irgendwie die Zeit. Elgar hätte mich wecken müssen. Ich ging ihn suchen. Zuerst konnte ich ihn nicht finden, aber dann bin ich über etwas gestolpert.« Thromb schluckte. »Es war Elgar.«

»Wo ist er?« Scott folgte der hochgereckten Hand, »Wecken Sie Saratow und schicken. Sie ihn zu mir. Machen Sie auch Jukan wach - er soll die anderen bewachen.«

Elgar lag neben einem Baumstamm und starrte ausdruckslos zum schimmernden Himmel auf. Die Dione-Waffe lag einige Zentimeter von seiner ausgestreckten Hand entfernt.

»Die gleichen Symptome«, flüsterte Saratow nach der ersten Untersuchung. »Wie die anderen im Schiff. Keine äußere Verletzung - trotzdem ist er tot.«

»Er kann nicht einfach nur gestorben sein«, sagte Scott tonlos. »Irgend etwas muß ihn umgebracht haben.«

»Sicher - aber was?« Saratow sah sich hilflos um. »Vielleicht hat er sich hingesetzt«, mutmaßte Scott leise, »dann hingelegt und ist eingeschlafen. Irgendein Gas?« Er kniete sich nieder, brachte das Gesicht in Bodennähe und schnüffelte vorsichtig. »Nichts zu finden. Ist da etwas Besonderes an seinem Mund?« Er runzelte die Stirn, als Saratow den Kopf schüttelte. »Von den Pflanzen hat er also nicht gegessen. Und warum liegt die Waffe neben ihm?«

»Er hat sie vielleicht losgelassen, als er stürzte«, bemerkte Saratow. »So etwas kommt vor, und...« Er unterbrach sich und starrte zwischen die Bäume. »Berry! Was, zum Teufel, ist das?« Es war ein Schimmer, ein Lichtfleck, der anzuschwellen schien. Ein Ball, ein Oval, eine abgeflachte Scheibe. Sie bewegte sich, als sei sie irgendwo in der Luft aufgehängt.

Und das Ding strahlte eine tödliche Drohung aus. Scotts Hand zuckte herab, brachte die Dione hoch. Donner grollte, die befreiten Energien tobten sich aus, das unheimliche Licht verblaßte neben dem grellen Strahl. Er zuckte zwischen die Bäume, traf die schwankende Gestalt, griff hindurch und ließ Feuer aus einem Baumstamm knistern.

Saratow brüllte: »Berry! Paß auf!«

Das. Ding glühte. Offenbar unbeschädigt flackerte es hell auf. Ehe Scott einen zweiten Schuß abgeben konnte, hing das Ding wie ein Vorhang über der zusammengesunkenen Gestalt Vendelles. Der nächste Schuß hätte den Tod des Handelsvertreters bedeutet.

Scott brüllte dem Spieler zu: »Der HetdyneProjektor! Schießen Sie, Mann! Schnell!«

Eine Lähmung war zwar schmerzhaft, aber nicht tödlich. Jukan fummelte mit seiner Waffe herum, hob sie halb und ergriff die Flucht, als das glühende Gebilde aufstieg und in seine Richtung zuckte. Saratow hielt ihn im Vorbeilaufen fest, entriß ihm die Waffe und feuerte. Das durchdringende schrille Summen verstärkte sich, und unsichtbare Energien griffen von der abgeflachten Waffenmündung auf das Wesen über, das neben dem Feuer schwebte. Es zuckte zur Seite und wich zurück.

Jetzt schossen Scott und Thromb gleichzeitig. Zwei Energielanzen fanden ihr Ziel, fuhren hindurch, überkreuzten sich wie die Finger einer Hand. Und wieder schaltete sich Saratow ein. Das komplizierte Wellenmuster des Hetdyne-Projektors schien die glühende Gestalt durcheinander zu bringen. Sie wand sich, schwoll an, und als Scott weiterschoß, platzte sie in plötzlichem Flammenschein auseinander.

Die Luft schien von Seufzen und Stöhnen und Flüsterstimmen erfüllt, von einer Woge komplexer Emotionen, die die Männer ungläubig erstarren ließ.

Thromb sagte heiser: »Haben Sie das Mitbekommen?«

»Es hat geweint«, flüsterte Jukan. »Es flehte und hat doch gleichzeitig gelacht, triumphierend. Was war das nur, um Gottes willen?«

»Das Ding, das Elgar umgebracht hat. Und auch Vendelle. Scott richtete sich neben dem Körper des Handelsvertreters auf. »Das auch die Menschen im Schiff tötete. Ein Lebenszehrer, der von psychischer Energie lebt. Wir haben seinen Metabolismus überladen, ihm zuviel Rohenergie zugeführt, und der Hetdyne-Projektor hat ihm dem Rest gegeben. Das Wesen ist einfach geplatzt, und dabei haben wir den Nachhall dessen aufgefangen, was es zuvor absorbiert hatte.«

»Aber warum hat es nicht angegriffen und uns alle getötet?« Saratow beantwortete seine Frage sofort selbst. »Wegen der Waffen. Wir alle hatten Metall bei uns - außer Vendelle. Elgar wurde angegriffen, als er seine Dione fallen ließ.«

»Es muß uns gefolgt sein«, sagte Troy vor Schmerzen keuchend. »Den ganzen Weg vom Schiff. Vielleicht hat es noch Artgenossen. Dann kommen wir nicht mehr weit.«

»Wir kommen so weit, wie wir müssen.«

Commander Scott blickte in die Runde. Das Feuer glimmte nur noch schwach. Die Männer waren wach. Es war Zeit weiterzuwandern.

 

*

 

Der Boden veränderte sich, das kantige und feilenscharfe Terrain glättete sich zu sanfteren Wellen. Die hohen Pflanzengruppen endeten und machten kuppelförmigen Gebilden Platz, von Spitzen bedeckt, die bei der leisesten Stiefelberührung zischend eingezogen wurden. Berry Scott fand einen schmalen Grat und folgte ihm einige Meter aufwärts. Dann stand er auf der kleinen Erhebung und starrte auf die bedrückende Landschaft. Die drei Silbermonde am Himmel standen in gleicher Position; auch die leuchtenden Scheiben über dem Horizont schienen sich seit Beginn der Expedition nicht verändert zu haben. Die Männer hatten bis jetzt keine Spur von einem Schiff gesehen.

Scott drehte sich um und verspürte eine leichte Übelkeit, als kämpften Augen und Gehirn gegeneinander. Die Verzerrung, überlegte er. Die unmerkliche Verfälschung aller Dinge ringsum. Die Ahnung, daß der Boden nicht so war, wie er, aussah, daß es sich bei den hier und dort aufragenden Kuppelpflanzen nicht um das Naturprodukt einer fremden Umgebung handelte - sondern um etwas anderes, Unheimlicheres. Nur die Kälte war real, die kräftezehrende Betäubung; die Temperatur, die ihre Lippen mit Eis bedeckte und jede Sekunde zum Alptraum werden ließ.

Er wartete, daß die anderen ihn einholten. Thromb marschierte an der Spitze, und Jukan bildete das Schlußlicht; Saratow zwischen ihnen wirkte grotesk, hockte doch Troy wie ein Kind auf seinen massigen Schultern. Der Steward war krank; die gebrochenen Rippen und die Anstrengungen hatten ihren Tribut gefordert; jetzt ritt er im Halbdelirium auf Saratows Rücken, und sein Fieber schützte ihn vor der Kälte.

Er schwankte und wäre fast hinuntergefallen; im letzten Augenblick hielt Saratow ihn mit sicherem Griff fest. »Tut mir leid«, murmelte Troy. »Mann, bin ich durstig!«

»Setz ihn ab«, befahl Scott.

Saratow knurrte: »Mach dir keine Sorgen um mich, Berry. Ich könnte noch fünf von der Sorte tragen.«

»Setz ihn ab.«

Scott trug einen kleinen Wasserbehälter auf der Haut, dessen Inhalt von seiner Körperwärme flüssig gehalten wurde. Er nahm den Behälter, schob eine der letzten schmerzstillenden Tabletten in Troys verkrusteten Mund und träufelte den Wasserrest hinein.

»Mehr!« keuchte der Kranke. »Mehr!«

»Es gibt nicht mehr.« Scott brach Eis von seiner Gesichtshaut, schüttelte die Stücke in den Behälter und drückte ihn wieder gegen seinen Körper. In aufgetautem Zustand würden die Stücke etwas Flüssigkeit ergeben »Wie fühlen Sie sich jetzt, Troy?«

»Schlecht.« Das Mittel tat seine Wirkung; das Delirium verging. »In meiner Brust brennt es, und es ist mir kalt und heiß zugleich. Wie weit müssen wir noch gehen?«

»Nicht mehr weit.«

»Je eher wir ankommen, desto besser. Ich könnte ein heißes Bad vertragen - und ein weiches Bett und eine Riesenmahlzeit. Wie ich sie mal serviert habe bei dem Bankett des Prinzen von Pealair. Mann! Das hättet ihr sehen sollen!« Troy fuhr sich mit der trockenen Zunge über die aufgesprungenen Lippen.

Wieder war er abwesend, verloren in seinen angenehmen Erinnerungen, die ihm nun eine Art Schutz boten.

Als Saratow den Mann wieder auf seine Schultern hievte, sagte Jukan: »Er muß sterben - da sind die Überlebenschancen eines Schneeballs in der Hölle schon besser.«

Scott folgte seinem Freund, ohne etwas zu sagen. »Hören Sie doch mal!« sagte der Spieler. »Er ist ja schon ganz durchgedreht.« Er stolperte, gewann fluchend sein Gleichgewicht zurück. »Warum schleppen wir uns mit einem Mann ab, der schon tot ist?«

»Er bekommt seine Chance.«

»Was für eine Chance? Die Chance, daß er uns mit in den Tod reißt?« Jukan rieb sich die blutunterlaufenen Augen, massierte seine Gesichtshaut. »Warum ergeben wir uns nicht einfach in unser Schicksal?«

»Weil wir Menschen sind«, sagte Scott nachdrücklich. »Weil wir jede Möglichkeit nutzen müssen, so gering die Chance auch ist.« Eine Philosophie, die der Spieler begriff. Leise sagte er: »Sie haben wohl recht. Dieser Trip geht mir an die Nerven.« Er deutete in die Runde. »Das ganze fühlt sich irgendwie seltsam an. Ich habe den Eindruck, daß uns etwas beobachtet und verfolgt. Und die Dinge scheinen sich zu verändern. Sehen Sie sich den Boden an. Und diese verdammte Kälte. Wann machen wir endlich Rast, um etwas zu essen?«

»Überhaupt nicht mehr«, sagte Spott brutal. »Die Nahrungsmittel sind aufgebraucht. Wir haben auch keinen Brennstoff mehr. Wir können kein Feuer machen.«

»Sie haben Troy gesagt, unser Weg wäre nicht weit.«

»Stimmt.« Scott hatte nicht gelogen. Wie auch immer - die Reise war bald zu Ende. Dafür würde schon die Kälte sorgen.

»Der letzte Akt«, sagte Jukan und atmete langsam ein. »Na, es mußte ja passieren. Wenn wir nun schneller gingen oder vielleicht liefen?«

Geduldig erklärte Scott: »Wenn wir rennen, schwitzen wir. Bei diesen Wetterverhältnissen wäre das reiner Wahnsinn. Der Schweiß würde gefrieren, und wir wären mit Eis bedeckt. Wir gehen schon so schnell es geht.«

Aber nicht schnell genug. Scott drängte vorwärts, und seine Augen suchten etwas Brennbares, etwas, das wenigstens die Hitze halten würde. Die Kuppelpflanzen zischten und verschwanden, und nirgendwo lagen Steine. Er passierte ein schmales Tal und kam zu einer niedrigen Erhebung. Hinter sich hörte er Thrombs verblüfften Ausruf. Saratows Stimme dröhnte: »Berry! Es schneit!«

Es war der seltsamste Schneefall, den er je erlebt hatte. Dicke, helle Flocken tauchten aus dem Nichts auf, drehten sich im Fallen. Der Schnee fiel dichter, von einem Punkt etwa drei Meter über dem Boden ausgehend, eine licht dämmernde Decke, die sich auf Kopf und Schultern legte, den Aufprall ihrer Stiefel milderte und die Luft zu verdicken schien, so daß das Atmen schwer fiel und man sich kaum noch orientieren konnte.

»Berry!« Saratow war stehen geblieben. »Hier herüber, Berry! Hier!«

Scott folgte den gedämpften Lauten, prallte gegen etwas, das sich bewegte und einen Schmerzensschrei ausstieß. Es war Thromb, der geblendet im Nichts herumirrte.

»Folgen Sie mir.« Er nahm den Kapitän am Arm und führte die Hand des Mannes zu seinem Gürtel. »Halten Sie sich fest.«

»Wo ist Jukan?«

»Bei Saratow Penza?«

Ein Flammenfinger durchschnitt die Dunkelheit, das Dröhnen einer Dione ertönte. Der riesige Mann feuerte in die Luft. Die kleine Gruppe fand im Schneegestöber wieder zusammen.

»Berry?« Im Schnee sah Saratow riesiger aus denn je. »Hocken wir uns hin und warten, bis alles vorbei ist?«

»Nein. Wir müssen in Bewegung bleiben. Haltet Linie und laßt euren Vordermann nicht mehr los. Ich habe weiter rechts eine Gruppe Kuppelpflanzen gesehen, die uns vielleicht etwas Schutz geben. Vielleicht gibt es Wind - dann wären wir hilflos. Haltet euch fest und folgt mir.«

Das Schneetreiben wurde noch dichter; die Flocken senkten sich jetzt in kompakten Wolken herab, die Schneedecke nahm zu, so daß sie immer wieder ausglitten und sich mühsam aufraffen mußten. Minuten später bewahrheitete sich Scotts Vermutung: heftiger Wind kam auf, ein dünnes, schrilles Pfeifen ertönte, es kamen Luftstöße, die ihnen den Schnee ins Gesicht trieben.

Scott rutschte aus, ging zu Boden, rollte gegen etwas Glattes, Hartes. Er stand auf, streckte die geschützten Hände vor und betastete das Hindernis, ohne etwas zu sehen. Das seltsame Objekt war hoch und erstreckte sich zu beiden Seiten. Scott riß die Waffe aus dem Gürtel und feuerte. Der glühende Energiestrahl traf das Hindernis, strahlte eine Hitzewelle zurück. Schnee verdampfte und enthüllte das Geheimnis.

»Metall!« Thromb riß ungläubig die Augen auf. »Das ist ja Metall!«

»Ein Schiff!« brüllte Saratow, als seine DionePistole noch mehr Schnee zur Seite blies. »Berry! Wir haben ein Schiff gefunden!«

Es war klein und lag in einer Erdspalte verborgen. Nur der Zufall hatte sie herführen können. Scott bewegte sich suchend an der Außenwand entlang. Die Schleuse stand offen, der Vorraum war mit Schnee gefüllt, der dem konzentrierten Ansturm dreier Energiestrahlen nicht standhielt. Ein säuerlicher Geruch stieg auf, als sie sich in die feuchte Schleust drängten. Saratow legte den verwundeten Steward auf den Boden und ruckelte an der Außentür. Sie rutschte zu und schnitt den kalten Wind und den wirbelnden Schnee ab. Scott riß die Innentür auf und ging voran.

Im Inneren des Raumschiffes war es dämmrig; ersterbende Kells-Birnen verbreiteten ein vages Licht. Die Luft was atembar, wenn auch muffig. Der Fußboden war mit Unrat bedeckt -Teile von elektronischen Geräten, leere Nahrungsmittelbehälter, Kleidungsstücke. Die Tür zum Maschinenraum stand offen. Vor den Kontrollen starrte ein Skelett ins Leere.

Es hockte im Hauptsessel, eine knochige Hand auf die Steueranlage gelegt. Kleiderfetzen bedeckten die Knochen, die Reste einer Uniform, blau mit rotem Rand, der Kragen mit den Insignien eines Zweiten Offiziers. Als _ Scott die Gestalt berührte, fiel sie zur Seite. Der Schädel polterte zu Boden und rollte in eine Ecke.

»Ein Hilfsschiff.« Saratows Stimme ließ die Wände erzittern. »Ein Landefahrzeug von einem größeren Raumschiff. Aber was macht das Ding hier?« Thromb sagte: »Der Ingenieur da hat vielleicht gerade an Bord gearbeitet, als es das größere Schiff erwischte - wie die HEDLANDA. Er hat sich vielleicht vom Hauptschiff getrennt, um zu fliehen. Gibt es ein Logbuch?«

»Darum können wir uns später kümmern.« Scott musterte Jukan und den Steward. Troy war wieder im Delirium, während der Spieler an der Wand zum Maschinenraum stand, von Kopf bis Fuß zitternd. »Wir brauchen Wärme. Gibt's hier noch Energie?«

Saratow trat an die Kontrollen, prüfte sie durch. Dann schüttelte er den Kopf.

»Die Maschinen?«

»Weiß ich nicht, Berry. Es kostet Zeit, sie zu testen.«

Zeit hatten sie nicht. Das Unwetter hatte ihre Kräfte aufgezehrt. Schon begann Jukan in ein Koma zu sinken, und Thromb schien auch nicht mehr weit davon entfernt zu sein. Scott sah sich um. Die Schottwand, überlegte er. Wenn er die erhitzte, wurde das ganze Schiff erwärmt. »Hier zu den Kontrollen«, befahl er »Ihr alle.« Er hob die Waffe. Nach fünf Schüssen glühte ein Teil der Zwischenwand kirschrot auf. Nach fünf weiteren Schüssen begann bereits in der Hitze das Eis zu schmelzen, und Wasser tropfte von ihrer Kleidung.

»Also«, sagte Scott. »Jetzt sehen wir mal nach, ob es etwas Eßbares gibt.«

Sie fanden ein wenig Wasser, abgestanden und verfärbt, aber trinkbar, nachdem sie es mit der Energie ihrer Waffen zum Kochen gebracht hatten. Auch stießen sie auf ein Konzentrat, mit dem sie aus dem Wasser Suppe machen konnten. Scott tat einige Vitamine aus dem Medikamentkasten hinzu, dann aßen sie. Jukan schlief sofort ein, den Kopf auf die verschränkten Arme gelegt. Thromb tat es ihm nach. Troy murmelte etwas, drehte sich um und murmelte vor sich hin.

»Du solltest dich auch 'ausruhen, Berry«, meinte Saratow besorgt. »Du siehst fast schon so aus wie er.« Er deutete mit 'einer Kopfbewegung auf den Schädel. »Wir sind hier in Sicherheit.«

»Aber wie lange?« Scott hatte im . Logbuch gelesen. »Ohne Nahrungsmittel verhungern wir, und wir können das Schiff nicht ewig beheizen.«

»Stimmt.« Saratow schürzte die Lippen. »Hast du etwas Interessantes gefunden?«

»Wie schon vermutet - wir sind in einem Landungsfahrzeug, und es ist , wie wir in dieses Universum gerissen worden. Der einzige Unterschied ist nur, daß der Offizier irgendwie eine sanfte Landung hingekriegt hat. Aber es gibt keine Energie mehr. Der arme Teufel da drüben hat alles getan, um das Schiff wieder in Gang zu bringen, aber er hat es nicht geschafft. Da blieb ihm nur noch übrig, sich hinzusetzen und auf eine Rettungsexpedition zu warten, die natürlich nicht gekommen ist. Er wurde des Wartens schließlich überdrüssig.«

»Ja. Er hatte keine Heizenergie mehr und nur noch einen Bissen zu essen. Er war allein. Ein paarmal ist er nach draußen gegangen, aber die Umgebung hat ihn erschreckt. Er hat immer wieder seltsame Erscheinungen gesehen und war sicher; daß sie es auf ihn abgesehen hatten. Also schloß er die Innenschleuse und wartete.« Saratow fragte: »Sonst noch etwas, Berry?«

»über den, Raumflughafen, den wir suchen? Nein.«

»Die Dinge, die er sah. Waren die identisch mit dem Ding, das wir getötet haben? Mit dem Lebenszehrer?«

»Ich glaube nicht. Er hat sich nicht genau ausgedrückt und beschreibt die Erscheinungen irgendwie anders. Als riesige Schatten, als Dinge, die sich wie Würmer über den Boden bewegten, ein dahinhuschendes Wesen, das er für eine Riesenspinne hielt.« Scott zuckte die Achseln. »Vielleicht auch Einbildung, aber ich glaube es eigentlich nicht. Er hat vielleicht wirklich Dinge gesehen, vermochte sie aber nicht als das zu erkennen, was sie waren. Das Schiff ist schon sehr lange hier. Es erscheint mir möglich, daß es auf dieser Welt eine Folge von Jahreszeiten gibt. Daß zu verschiedenen Zeiten auch unterschiedliche Lebensformen aktiv sind. Er könnte zu einer solchen Zeit gelandet sein.«

»Nur gut, daß wir eine andere Zeit erwischt haben«, sagte der Mann von Droom nachdrücklich. »Die Kälte ist schon schlimm genug, und wir hätten es gut ohne diesen Lebenszehrer ausgehalten. Dazu noch ein paar von den Dingen, die er erlebt hat, und wir hätten keinen Tag überlebt.« Er erschauerte und griff nach seiner Dione. »Es wird wieder kalt. Ich wärme uns mal ein wenig auf.«

»Nein.« Saratow musterte die Schlafenden. »Hast du Angst, daß ich sie wecke, Berry? Sie sind zu erschöpft.«

»Nein«, sagte Scott nach einmal, als sein Freund die Waffe hob. »Es geht nicht darum, daß sie nicht aufwachen sollen, sondern daß wir es uns nicht zu gemütlich machen dürfen. Wir haben keine Nahrung. Bleiben wir zu lange im Warmen, werden wir schlapp und wollen nicht mehr weiter. Und wenn wir dann doch losziehen, finden wir die Kälte draußen um so schneidender.«

»Wir, Berry?«

»Wir alle. Du bist zwar kräftig, Penza, aber die anderen nicht. Sie sind nicht so widerstandsfähig wie wir -und ich bin gar nicht so sicher, daß ich noch viel mehr aushalte.«

Scott lehnte sich mit geschlossenen Augen zurück. Ihm schwindelte vor Müdigkeit. Er und Saratow hatten zu lange gewacht, hatten die anderen immer möglichst lange schlafen lassen, hatten weniger gegessen, damit ihre Begleiter auf den Beinen blieben. Der riesige Mann mit seinen unglaublichen Körperkräften war dabei ungemein im Vorteil, etwas, das Scott höchstens durch seinen Überlebenswillen ausgleichen konnte. »Berry?« Er spürte die großen, doch sanften Hände auf den Schultern. »Du mußt dich ausruhen.«

»Wir alle müssen das. Sieh mal nach, ob es Troy bequem hat.«

Saratow zögerte. »Du machst mir Sorgen, Berry, wenn du so redest. Verdammt, wir haben schon oft in der Klemme gesteckt. Du hältst durch!« Scott zwang sich zu einem Lächeln.

»Sicher schaff ich's«, sagte er. »Wir alle ertragen weitaus mehr, als wir uns vorstellen. Jetzt sieh aber nach Troy, du Menschenaffe, sonst vergesse ich mich noch.«

Der Steward lag bequem auf einem Kleiderbündel. Zum erstenmal seit Tagen schlief er ruhig. Das Fieber war abgeklungen, und er murmelte nicht mehr vor sich hin. Scott überzeugte sich, daß das Schott dicht war, machte einen schnellen Rundgang durch das Schiff und legte sich dann auf den Boden.

Der Schlaf kam nur langsam, und als er schließlich schlummerte, quälten ihn fürchterliche Träume. Schimmernde Lebensformen, geheimnisvolle Schiffe, die grüne Flammen ausspien. Etwas das meckerte und wimmerte und schreiend seine Aufmerksamkeit forderte.. Eine glockenähnliche Stimme, die durch seinen Kopf dröhnte.

Du hast nur eine Chance, Scott. Du mußt den Raumflughafen finden oder sterben. Finde ihn oder stirb.

Er erwachte und begegnete dem leeren Grinsen des Schädels.

Es war kalt, die Hitze war längst verflogen, eine dünne Eisschicht bedeckte den Boden. Saratow war auf den Beinen und stapfte herum. Seine großer Hände zerrten die anderen hoch. Jukan beklagte sich zitternd.

»Können wir's nicht heiß machen?«

»Keine Hitze. Bewegt euch wie ich.« Saratow machte es den anderen vor. »Bringt euren Blutkreislauf in Gang. Dann ist euch bald warm. Alles in Ordnung, Kapitän?«

»Ich schaff's schon.« Thromb schlug die Arme vor dem Leib zusammen. »Marschieren wir weiter? Wollen Sie deshalb nicht mehr heizen?«

»Genau«, sagte Scott.

»Ist das Schneetreiben vorbei?«

»Wenn nicht, bleiben wir noch hier. Fertig, Penza?«

»Jederzeit, Berry.«

»Alles klar«, sagte der Steward. »Ich kann jetzt wieder selbst laufen.«

»Sie werden getragen.« Scott riß die Innentür auf, trat in die Schleuse und warf sich mit seinem ganzen Gewicht gegen die Außentür. Das Luk fiel auf, und er starrte nach draußen.

Der Wind hatte nachgelassen, das Unwetter war vorüber. Zu Scotts Verblüffung war der Schnee verschwunden, und der Boden sah aus wir zuvor. Ein weiteres Geheimnis dieser Welt - wie hatte der Schnee verschwinden können ohne Wärme, bei einem gefrorenen Boden.

Scott sagte: »Unsere letzte Chance. Wir marschieren wieder auf den grünen Mond zu. Dabei machen wir keine Rast mehr. Wir wandern weiter, was auch passiert. Wir marschieren - oder wir sterben.«

Jukan fragte: »Und wie steht's mit Schlafen?«

»Sie haben geschlafen.«

»Und was ist, wenn wir Ihren Raumhafen finden? Wie können wir wissen, daß es dort Nahrungsmittel und eine Unterkunft gibt?«

»Wissen tun wir nichts«, sagte Scott heftig. »Aber wir sind verdammt sicher, daß wir kein anderes denkbares Ziel haben!«

Saratow bildete die Nachhut. Als er sich Troy auf die Schultern hievte, wandte er sich um und warf einen letzten Blick auf das Schiffswrack. Er bedauerte, daß er keine Gelegenheit gehabt hatte, die Maschinen zu überprüfen und festzustellen, was sie, in träge Metallmassen verwandelt hatte. Und er verspürte ein wenig Heimweh, denn das Schiff hatte ihn sehr an die MORDAIN erinnert.

 

*

 

Kommandant Breson lehnte sich in seinem Stuhl zurück und sagte: »Ich verstehe Ihre Besorgnis durchaus, Professor, und teile sie auch, aber wir haben stets auch die politischen Konsequenzen zu bedenken. Der Punkt des Verschwindens liegt im deltanischen Bereich. Sie und wir wissen, daß die Gefahr für die interstellare Raumfahrt ernst zu nehmen und real ist. Wenn ich weitere Streitkräfte in diesen Sektor verlege, ließe sich das als Aggressionsakt gegen die Deltaner oder als Folge eines Geheimpakts gegen andere auslegen.«

»Lächerlich!« schnaubte Chemile ungeduldig. »Kein intelligentes Wesen könnte sich so etwas vorstellen.«

Breson gab ihm innerlich recht, doch Intelligenz und Politik gingen nicht immer Hand in Hand. Er selbst war militärischer Diplomat und kommandierte Streitkräfte, die ganze Welt ten vernichten konnten; trotzdem mußte er stets vorsichtig taktieren. Eine einzige falsche Bewegung konnte dazu führen, daß in einem Dutzend Systemen mit den Säbeln gerasselt wurde. Es würde zu Eifersüchteleien kommen, die den Status Quo in Frage stellten.

Er sagte: »Die Sache gefällt mir ebenso wenig wie Ihnen, Veem, aber wir kommen nicht um die Tatsachen herum. Das Gebiet, in dem die Schiffe verschwunden sind, ist fest umrissen und stellt für den Bereich unter Terranischer Kontrolle keine Gefahr dar. Es gäbe keinen Grund für ein Vorrücken von MOLUH 7 in den deltanischen Sektor. Läge das Gebiet in der Terranischen Sphäre, hätten wir kein Problem. Wie die Dinge aber stehen...«

Er schwieg vielsagend und zuckte die Achseln. »Sie werden die Situation verstehen, Professor.«

»Allerdings«, sagte Luden leise. »Ich bin mir der Anfälligkeit der politischen Atmosphäre durchaus bewußt, aber ich weiß auch, daß das Störgebiet durchaus nicht so örtlich beschränkt zu bleiben braucht, wie Sie annehmen. Tatsächlich besteht die sehr reale Gefahr, daß die Erscheinung sich ausbreitet und dabei auch die Terranische Sphäre erfaßt. Unbestreitbar ist, daß mehrere Schiffe verschwunden sind und daß Berry und Saratow an Bord des letzten entführten Raumfahrzeugs waren.«

»Ich weiß, und wenn ich Ihnen helfen könnte...«

»Können Sie.«

Luden griff in eine Tasche und nahm einen Stapel Papiere zur Hand. Er saß mit Chemile und dem Kommandanten in einem Raum des riesigen Mutterschiffes von MOLUH 7. Jenseits der dicken Außenhülle hing die Masse der Hilfsfahrzeuge, darunter auch die MORDAIN. Eine gewaltige Armada zur Verteidigung oder Rettung verstreuter Systeme bereit, die die Welten der Terranischen Sphäre ausmachten. Ihre Aufgabe war es, Hilfe zu spenden und Maschinen einzusetzen, um wirtschaftlich schwachen Welten über die ersten Hürden zu helfen.

»Ich habe die Leistungsfähigkeit meiner Instrumente an Bord der MORDAIN erschöpft«, sagte Luden. »Ich brauche jetzt die Mitarbeit der Wissenschaftsoffiziere und den Einsatz von Großcomputern, um meine Schlußfolgerungen zu bestätigen. Ich möchte auch zwanzig oder dreißig Überwachungsbojen und ein kleines Raumfahrzeug, das ich als Sonde losschikken kann. Ich brauche ferner ein kleines taktisches Atomgeschoß; die X3718 wäre ideal.«

Breson runzelte die Stirn. »Warum ausgerechnet die X3718?«

»Die Ladung ist klein und sauber. Auch ist das spektroskopische Muster scharf und gestattet eine eingehende Analyse. Auch benötige ich ein komplettes Überwachungssystem an Bord der Sonde, zusammen mit einer Fernsteuereinrichtung.« Er fügte trocken hinzu: »Ich nehme nicht an, daß Sie etwas dagegen haben, mir das alles zur Verfügung zu stellen.«

Der Sarkasmus blieb nicht ohne Wirkung auf Breson. Die MOLUHs waren verpflichtet, einem Agenten der FTA auf Verlangen jede Hilfe zukommen zu lassen. Nur wenn einem Einsatz durchgreifender Mittel politische Erwägungen entgegenstanden, hatte er ein Einspruchsrecht. Er sagte: »Sie können alles von mir bekommen, Jarl, das wissen Sie. Wenn es darum ginge, Berrys Leben zu retten, würde ich tausend Männer in Kostüme stecken und die Konsequenzen vergessen, aber Sie haben selbst gesagt, daß er nicht mehr lebt. Ebenso wenig wie Saratow.«

»Logisch kann ich mir nicht vorstellen, daß sie überlebt haben können«, sagte Luden präzise. »Aber in der Wissenschaft steckt stets ein unbekannter Faktor. Auf jeden Fall muß das Problem gelöst werden, mit dem Berry sich herumschlug.«

»Und Sie können das schaffen?«

»Die Bojen sollen die genauen Grenzen des Störgebietes bestimmen«, erklärte Luden. »Sie werden auch andere Schiffe aus der Gefahrenzone verscheuchen, die übrigens kugelförmig, aber nicht homogen ist. Stellen Sie sich einen dreidimensionalen Strudel vor. Jedes Schiff, das in die Zone kommt, wird in den Mittelpunkt gezogen, die Durchbruchstelle. Es ist wichtig, das genaue Zentrum festzustellen, den eigentlichen Riß im Randinnern, wie ich ihn nenne. Sind die Bojen erst einmal in Position, ist die Sache relativ einfach.«

»Und dann?«

»Dann setzen wir die Sonde ein.« Luden stand auf. »Wenn Sie bitte für die Lieferung der Ausrüstung zur MORDAIN sorgen würden? Sie gestatten, Kommandant?«

 

*

 

Nichts hatte sich verändert. Im Kontrollraum der MORDAIN starrte Chemile auf die Bildschirme. Auf einer Seite kennzeichneten zwanzig Schirme die Positionen der Bojen; wirbelnde Linien bildeten ein regelmäßiges Muster. Auf der anderen Seite außerhalb der MORDAIN, hing die Sonde, und er überprüfte die Fernkontrollen. Schirme gaben Aufschluß über das Innere, zeigten den kleinen Kasten der Atomladung. Chemile fragte sich, was Luden wohl plante. Wie immer gab sich der Professor schweigsam und sprach ungern über die Erfolgschancen.

»Fertig, Veem?« Die Stimme des Professors tönte aus den Lautsprechern.

»Mehr als fertig.« Chemile ging in das Labor hinüber, das nun noch mit zusätzlichen Geräten voll gepackt war.

Luden, hager vor Müdigkeit, deutete auf seine Unterlagen.

»Ich möchte eine vorzügliche Navigation, Veem. Die Sonde muß direkt in das Zentrum des Wirbels gelenkt werden. Wahrscheinlich kommt es zu einer gewaltigen zentrifugalen Verzerrung. Wenn du das kleine Schiff auf die Linie zwischen Boje 9 und Boje 15 bringst und dann weiterfliegen läßt, hast du den besten Kurs.«

»Verstanden, Jarl. Willst du hierbleiben?«

»Nein. Ich komme zu dir in die Zen- trale. Die Ladung muß genau im richtigen Augenblick hochgejagt werden.« Luden nahm einige letzte Einstellungen an seinen Instrumenten vor. »Was möchtest du beweisen, Jarl?«

»Ich kann nur eine Bestätigung meiner bisherigen Feststellungen erhoffen«, sagte Luden. »Ehe wir an eine Lösung des Problems gehen können, müssen wir zunächst alle verfügbaren Daten sammeln. Deshalb werde ich den gesamten Ablauf sowohl elektronisch als auch visuell aufzeichnen lassen. Wir haben zwanzig Sekunden, Veem. Ich 'schlage vor, daß wir keine Zeit mehr verschwenden.«

»Halte ich dich auf?«

»Fünfzehn Sekunden, Veem.«

In die Zentrale zurückgekehrt, setzte sich Chemile an die Fernsteuerung und löste die Sonde aus ihrer Position neben der MORDAIN. Boje 9 war ein winziger Fleck auf einem Bildschirm, Boje 15 ein zweiter Punkt. Er brachte die Sonde auf Kurs und erhöhte die Geschwindigkeit, ohne den Blick von den Bildschirmen zu nehmen. Unter seinen Händen ruckten und zitterten die Kontrollen, von unsichtbaren Energien attackiert.

Luden sagte leise: »Sachte, Veem.«

»Ich gebe mir ja alle Mühe. Was...«

Lichtmuster erschienen auf den Überwachungsschirmen, hin und her schwankend, tanzend, Wände durchschwebend, Menschen ähnelnd. »Gespenster! Die Dinger, die der Kapitän beschrieben hat. Jarl!«

Luden zählte. Als sich die Sonde dem Punkt im Zentrum näherte, drückte, er auf den Detonationsknopf. Draußen im All strahlte eine Blume. Sie erblühte mit einer intensiven Lichtausstrahlung, rot, mit blau durchsetzt, ein greller Punkt, der sich ausbreitete und die Sterne ringsum verblassen ließ. Der Atomsprengkopf, der seine Energien in Sekundenbruchteilen verstreute. Chemile verfolgte den Vorgang. Eine Sekunde lang schwebte der helle Punkt vor dem sternenübersäten Hintergrund des Alls, dann verschwand er abrupt.

»Das ist alles, Veem«, sagte Luden leise. »Jetzt wollen wir mal sehen, was wir haben.«

»Haben wir ihn geschlossen? Haben wir den Riß im Kontinuum zugemacht?«

»Das wäre unwahrscheinlich.«

»Aber wenn wir's nun doch geschafft haben? Verdammt, Jarl. Berry und Penza sind irgendwo dort drüben.«

Geduldig setzte Luden zu einer Erklärung an. »Wir haben den Riß nicht geschlossen. Ich habe das Geschoß am Rande des absoluten Zentrums gezündet. Ich wäre sehr überrascht, wenn der Schock die Öffnung geschlossen hätte.«

»Du wärst überrascht, und Berry und Penza wären gestrandet. Sie sind verloren, haben keinen Weg zurück, verlassen sich auf unsere Hilfe!«

Chemile marschierte auf und ab. Bunte Flecken bedeckten seine Haut, verwandelten ihn in die Parodie eines surrealistischen Gemäldes. Die Erregung hatte seinen Schutzmechanismus aus dem, Gleichgewicht gebracht.

Luden sagte heftig: »Reiß dich zusammen, Veem! Und es gibt keinen Anlaß zu der Vermutung, daß Berry und Penza noch leben Das ist gegen jede Logik!«

»Zum Teufel mit der Logik. Ich halte sie nicht für tot. Du etwa?«

»Mir widerstrebt der Gedanke«, sagte Luden langsam. »Wenn sie irgendwo doch noch leben, hätte ihnen unser Versuch eben nicht schaden können. Sind sie aber tot, kommt es auf unser Vorgehen nicht an. Jetzt müssen wir aber unsere Ergebnisse feststellen.«

Eine Stunde später starrten sie eine Serie Bilder an, die an eine Wand projiziert wurde. Die Photos, mit zwanzigtausend Bildern in der Sekunde aufgenommen, hatten Zeit und Bewegung verlangsamt.

»Wie schon vermutet - die menschenähnlichen Lichtgestalten sind das Ergebnis verschiedener Energieabstrahlungen«, bemerkte Luden. »Sie existieren und sind offensichtlich ein Nebenprodukt der Energien, die den Raumwirbel umgeben. Ein Leitmechanismus? Wenn wir den Strahl eines Scheinwerfers in einen luftlosen Raum schicken, sehen wir erst etwas, wenn er auf eine reflektierende Oberfläche trifft, die im Licht erglänzt. Besteht der Strahl nun nicht aus Licht, sondern aus irgendeiner Energieform, die beim Aufprall auf ihr Ziel eine Art Anziehungskraft auslöst, würde das Ding, das er getroffen hat, in Richtung Energiequelle gezogen. Du verstehst, was ich meine, Veem?«

»0 ja«, sagte Chemile grimmig. »Du willst sagen, daß der Riß im All kein Zufall ist, kein Naturereignis.«

»Nicht unbedingt. Den Zufall können wir nicht völlig ausschließen. Allerdings will ich zugeben, daß die Wahrscheinlichkeit eines Naturphänomens sehr gering ist.«

Neue Bilder erschienen auf dem Bildschirm. Sie sahen den Sprengkopf, das plötzliche Aufblühen der Energie, eine momentane Dunkelheit und dann wieder Licht, als andere Kameras die in der Sonde zersprengten Geräte ersetzten. Luden ließ den Film zweimal, dreimal, viermal durchlaufen.

Chemile fragte ungeduldig: »Was ist denn? Wir haben doch schon oft Atomexplosionen gesehen.«

»Aber keine wie die, Veem. Siehst du, wie sich der ganze Detonationsbereich in Grenzen hält und am Ende sogar wieder schrumpft?«

»Ein Dämpffeld?«

»Möglich, aber ich bin nicht sicher.« Luden erhob sich entschlossen. »Ich muß eine eingehende Analyse erstellen. Halte Position, Veem. Wir wollen hier bleiben.«

»Und dann? Kann ich dir irgendwie helfen?«

»Ja. Ich möchte Vergrößerungen dieser Photos - sowohl von den Lichtgestalten als auch von der Explosion.« Nachdenklich fügte Luden hinzu: »Der Kapitän hatte recht. Die Dinger sehen wirklich wie Gespenster aus.«

Chemile fragte: »Hast du einen Hinweis, daß Berry und Penza vielleicht doch noch leben? Daß sie nicht unbedingt bei der hohen Beschleunigung umgekommen sind?«

»Bis jetzt noch nicht.«

»Und wann bist du absolut sicher?«

»Wenn ich meine Analyse beendet habe«, sagte Luden knapp. »Wie oft muß ich dich darauf hinweisen, daß für Emotionen in der Wissenschaft kein Platz ist? Ich werde keine Hoffnung suchen, wo es sie logischerweise nicht geben kann. Und doch...«

»Was?«

Luden schüttelte den Kopf. »Später, Veem. Und jetzt tu, was ich dir gesagt habe.

Es dauerte fünf Stunden, bis Luden Tabellen, Vergrößerungen und Daten zur Seite schob, aus denen er eine Handvoll Gleichungen zusammengetragen hatte.

Bei einer Tasse Kaffee sagte er: »Ich kann dir keine Hoffnung machen, Veem, aber wir wissen nun einiges mehr. Der Vergleich mit dem Scheinwerferstrahl ist richtig. Irgendwo strahlt ein Mechanismus eine Energiesäule aus, die ihren Zielpunkt in unserem Universum hat. Ihre Außenbezirke erzeugen den Wirbel, der die Mitte umgibt. Ich glaube, daß nur ein Spurstrahl ständig aktiviert ist und daß der Kern nur ausgelöst wird, wenn der Strahl auf ein festes Objekt trifft. Wie du vielleicht geahnt hast, sollte die Atomexplosion zur Bestimmung des Dopplereffekts und eines eventuellen Dämpffeldes dienen. Auch hatte ich gehofft, die Richtung festzustellen, in die die Sonde gezogen wurde. Die Explosion hätte einen Strahlungsschweif hinterlassen, von dem wir die Flugrichtung hätten ableiten können.«

»Und hat das geklappt?«

Aber Luden ließ sich nicht drängen.

»Erstens - der Dopplereffekt bestätigt meine ersten Feststellungen. Der Explosionskern wurde mit unglaublicher Geschwindigkeit von seinem Ursprungspunkt fortgeführt. Zweitens -es gab kein Dämpffeld. Drittens - die Bewegungsrichtung war nicht in die Ferne gerichtet, sondern nach innen Es war, als würden die Sonde und ihr Inhalt plötzlich unendlich verkleinert. Die Explosion hatte natürlich das Metall aufgelöst, aber die Masse insgesamt blieb erhalten. Und diese Masse wurde in sich selbst komprimiert. In der Theorie hätte die Masse bei hoher Komprimierung keine erkennbare Fortbewegung haben können. Doch war der Dopplereffekt unbestreitbar. Ein scheinbarer Widerspruch, der nur durch Anwendung der Heimannschen Interdimensionalen Mathematik erklärt werden kann.«

»Moment, das will ich richtig mitbekommen«, schaltete sich Chemile ein. »Ein Schiff tritt in den Strudel ein und wird augenblicklich in seiner Größe reduziert. Wenn alles im gleichen Tempo reduziert wurde, könnte sich für die Leute im Schiff äußerlich nichts verändern.«

»Es ist alles relativ«, bejahte Luden. »Aber in einem solchen Fall gibt es natürlich einen Grenzfaktor. Elektronen würden zusammenprallen, und wir hätten schließlich nur einen winzigen Brocken Neutronen übrig. Das hätte kein Lebewesen überstehen können. Wie ich aber sagte, scheint da ein Widerspruch zu bestehen. Die Schiffe bewegten sich, aber in eine Richtung, wie es sie in unserem Universum nicht gibt. Sie wurden in eine andere Region gezogen, in der normale Naturgesetze vielleicht gar nicht gelten.«

»Der Riß im Kontinuum«, sagte Chemile. »Aber das hatten wir ja schon vermutet.«

»Vermuten ist nicht wissen«, bemerkte Luden tonlos. »Wir wissen, was geschehen ist, wie es geschehen ist, und kennen die genaue Position Und doch wissen wir den Grund nicht. Auch haben wir keine Ahnung von der wahren Natur der beteiligten Geräte. Es könnte sich um eine Maschine unter Kontrolle einer fremden Intelligenz handeln, vielleicht aber auch um das Ergebnis eines interdimensionalen Unfalls. Und wir wissen nicht, was aus den verschwundenen Schiffen geworden ist. Sie sind vielleicht völlig zerstört worden oder treiben womöglich in diesem Augenblick in einem unheimlichen All herum, das wir nicht sehen und nicht erreichen können.«

»Berry und Penza! Sie könnten also noch leben!«

»Die Möglichkeit ist gering, aber nicht von der Hand zu weisen. Ja, Veem, sie leben vielleicht noch. Geschwindigkeit allein tötet nicht, nur Beschleunigung hat diese Wirkung, und in einem völlig anderen Universum mit anderen Naturgesetzen...« Luden schürzte die dünnen Lippen. »Ich weiß es nicht...«

»Aber es besteht doch Hoffnung!«

»Ja«, sagte Luden. Sein Gesicht verdunkelte sich. »Sie leben vielleicht noch, Veem - aber Gott allein weiß, wo.«

 

*

 

Troy sah es zuerst. Auf Saratows Schultern sitzend konnte er weiter blicken als die anderen. Er hob den Arm und deutete nach vorn, seine Stimme erklang dumpf unter dem Stoff, der sein Gesicht vor der Kälte schützte.

»Da! Ein grüner Schimmer. Ganz schwach zu erkennen.«

»Essen«, sagte Jukan. »Wärme, eine Unterkunft.« Er stolperte, als er schneller zu gehen versuchte und taumelte gegen Scott, der ihn im letzten Moment auffing.

Thromb atmete zischend ein. »Essen«, echote er. »Schiffsvorräte. Die Läger anderer Schiffe. So etwas suchen wir doch, Scott?«

»Wenn es da vorn so etwas gibt.«

»Es muß.« Thromb weigerte sich, an eine Alternative zu denken. »Die Schiffe müssen gelandet sein. Selbst wenn sie havariert sind, enthalten sie Dinge, die wir verwenden können. Die Waffen können uns Wärme spenden. Und es gibt Nahrungsmittel, heiße Mahlzeiten, Suppen.« Er fügte jammernd hinzu: »Warum haben wir den Schnee nicht getrunken?«

»Ihr habt ihn doch gerochen, als wir die Schleuse ausbrannten«, sagte Scott mahnend. »Er stank nach Säure.«

»Ja«, sagte der Kapitän. »Sie haben wohl recht. Ich kann nur nicht mehr richtig denken. Fällt mir immer schwerer.« Er entfernte ein Eisstück von seinem Mund und schob es sich zwischen die Lippen. Es war kalt, würde aber schmelzen und ihm Flüssigkeit spenden. Aber wie lange konnte ein Mensch von seinen eigenen Ausscheidungen leben?

Seit dem Abmarsch vom Schiffswrack waren dreizehn Stunden vergangen, und sie hatten keine Rast gemacht. Sie waren wie Maschinen über die Ebene marschiert. Es war kaum zu Gesprächen gekommen - einzig wichtig war das Vorankommen durch diese unheimliche wellige Landschaft mit ihren Silbermonden.

Der Schimmer wurde kräftiger, ein leichter Nebel, der fast im Schein der smaragdgrünen Monde unterging. Er entpuppte sich als eine breite, von hohen Pylonen umringte Anlage, deren Spitzen in parabolischen Schalen ausliefen, die konkaven Seiten nach innen und nach oben gerichtet. Gebäude scharten sich in regelmäßiger Anordnung um die Pylone, lange, niedrige Gebilde, die sich nach oben hin verbreiterten. Dächer und Wände waren in schrägen Winkeln zueinander gesetzt wie kristalline Formen. Ein Gebäude, größer als die übrigen, endete in einem Turm aus verlängerten Pyramiden; eine facettierte Kugel auf seiner Spitze war mit Antennen bespickt.

Das Licht ging von den Mauern der Gebäude aus und auch von den Pylonen und vom Landefeld. Es pulsierte wie im Takt eines primitiven Herzschlags. Commander Scott blieb stehen. Die seltsame Anlage nahm den Grund eines ausgedehnten flachen Tales ein; eine Untertasse, in den welligen Boden gepreßt, an den Rändern wie mit einem Messer abgetrennt. Weiter unten war Vegetation zu erkennen, massige Büsche, Kugelpflanzen, dreieckige Blätter. Der Bewuchs nahm in der Nähe des Landefelds zu, endete aber hundert Meter vor den Gebäuden -abrupt, restlos.

Saratow fragte: »Hast du dies von oben gesehen, Berry? Beim Absturz?«

»Ja.«

»Der seltsamste Raumhafen, den ich je gesehen habe.«

»Eben eine außerirdische Anlage«, sagte Scott. »Wie alles hier.«

»Niemand da«, sagte Thromb verblüfft. »Ich kann keine Bewegung ausmachen.« Er kniff die Augen zusammen. »Sind das Schiffe da auf dem Feld?«

»Es sind Wracks«, sagte Scott. »Wir sind zu weit entfernt, um Einzelheiten zu erkennen, aber soweit ist alles klar.« Er wandte sich an Troy und fragte: »Können Sie wieder gehen?«

»Nicht nötig«, knurrte Saratow. »Ich schaffe die paar Meter auch noch.«

»Sie haben mich weit genug geschleppt.« Der Steward ließ sich von Saratows breiten Schultern gleiten und reckte sich. »Bilde ich mir das nur ein, oder ist es wirklich wärmer geworden?«

»Ja, es ist wärmer«, sagte Scott. »Das muß auch so sein, allein wegen der Pflanzen hier. Ich würde wetten. daß der Flughafen eine gehörige Hitze ausstrahlt.«

»Gut.« Jukan rieb sich die Hände. »Dann nichts wie hin.« Er runzelte die Stirn, als Scott zögerte. »Kommen Sie schon, warum sollen wir hier rasten? So etwas haben wir doch gesucht, nicht wahr?« Saratow fragte leise: »Stimmt etwas nicht, Berry?«

»Ich weiß es nicht.« Scott wandte sich um und schaute in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Wieder nach vorn blickend, sagte er: »Ein warmer Fleck in der Wildnis. Licht und Wärme und mehr Vegetation. Wenn ihr Eingeborene wärt, wohin würde es euch ziehen?«

»Genau hierhin«, sagte der große Mann sofort. »Vielleicht haben wir deshalb unterwegs nichts gesehen. Rechnest du mit Schwierigkeiten, Berry?«

»Wir bleiben dicht zusammen«, befahl Scott. »Haltet die Waffen schußbereit. Es wird nicht gesprochen. Schießt nur, wenn es unbedingt nötig ist. Und verlaßt die Gruppe nicht. Falls wir doch getrennt werden, treffen wir uns am Gebäude mit dem Turm.«

Er führte die Männer den Hang hinab. Der Boden wurde mit zunehmender Temperatur weicher. Er erreichte die ersten Pflanzen, niedrige Gewächse, vereinzelt aufragend, unter seinen Sohlen knirschend. Bald wurde der Bewuchs dichter und höher und überragte sie schließlich völlig. Scott folgte einer Art Weg, von dem er erst abwich, als er nach links abschwenkte. Ein dornenbesetzter Ast verfing sich an seinem Arm, zerriß den Stoff, ohne zum Fleisch durchzudringen. Ein Büschel Riesenfarne stieß plötzlich eine Staubwolke aus, und er brüllte eine Warnung.

»Lauft! Und haltet den Atem an!« Er hörte die anderen hinter sich keuchen. Jukan kippte nach vorn und hustete röchelnd. Saratow riß ihn hoch und lief zu Scott herüber, der unter anderen Farngewächsen stehen geblieben war.

»Alles in Ordnung mit ihm?«

»Er atmete gerade ein, als deine Warnung kam, Berry.« Der riesige Mann klopfte dem Spieler auf den Rücken. »Ich glaube nicht, daß er eine gefährliche Dosis abbekommen hat.«

Jukan hustete noch einmal und richtete sich auf. »Es war, als hätte ich Glassplitter eingeatmet«, sagte er. »Als würde ich Säure trinken.«

»Ich habe Ihnen doch gesagt, Sie sollen vorsichtig sein«, sagte Scott heftig. »Halten Sie sich ein Tuch 'vor den Mund. Ihr anderen auch.« Er starrte Troy an. »Was ist denn mit Ihnen los?«

»Die Hitze.« Der Steward zupfte an der Kleidung, die seinen Hals bedeckte. Er schwitzte. »Können wir uns nicht ausziehen?«

»Nein.« Scott hielt seinen Arm hoch, zeigte den Riß am Ärmel. »Die Sachen schützen uns. Alles klar bei Ihnen, Kapitän?«

»Ich schaffe es schon.« Auch Thromb schwitzte. Scott sagte: »Wir sind alle erschöpft, aber hier ist nicht der richtige Ruheplatz. Wir können rasten, wenn wir das Flugfeld erreichen. Bleibt dicht zusammen und paßt auf.«

Der Pflanzenwuchs wurde noch dichter; Ranken und Äste schienen förmlich nach ihnen zu greifen, Lianen wickelten sich um ihre Beine, staubtragende Wedel schnellten auf Hände und Gesichter zu. Scott blieb stehen, als sie eine kleine Lichtung erreichten.

Jukan hatte den Kopf gesenkt und lief gegen seinen Rücken.

»Was ist denn jetzt schon wieder?« fragte der Spieler.

»Berry?« Saratow drängte sich an den drei anderen Männern vorbei. Er atmete tief ein, roch den trockenen, modrigen Duft. »Stimmt etwas nicht?« Scott schwieg und ließ seinen Blick über die Lichtung wandern. Sie war absolut rund und völlig frei von Vegetation. Eine offene Fläche, von Mensch oder Tier mühelos zu überqueren. Eine Fläche, die in ihrer Harmlosigkeit verlockend war. Zu verlockend.

»Geht zurück«, befahl Scott. »Wir machen einen Umweg.«

»Zum Teufel!« sagte Jukan müde und ungeduldig. »Kommt, wir wollen zum Flughafen!«

Ehe Scott ihn aufhalten konnte, marschierte er auf die Lichtung. Er legte ein Viertel des Weges zurück -und schrie auf, als sich eine Riesenklaue um seine Hüfte schloß.

Sie gehörte zu einem Ding, das aus dem Boden geschnellt war, ein Alptraum aus Klauen und Stacheln und gummiartigen Tentakeln. Es hatte in einer Vertiefung gelauert und mit verblüffender Geschwindigkeit sein Opfer gefunden.

Scott hörte den Schrei, das Knirschen von Knochen, ein reißendes Geräusch, und er feuerte, ehe der erste Blutstropfen den Boden berührte. Im zuckenden Schein der Dione sah er eine Klaue auf sich zukommen und eine zweite, die sich Saratows Kopf näherte.

»Penza!«

Aber Saratow feuerte bereits, durchtrennte den Tentakel, so daß die Klaue zuckend zu Boden fiel. Wieder aktivierte er seine Waffe, und sein Schuß vermengte sich mit Scotts Energiestrahl zu einer tosenden Flammenhölle. Das Wesen richtete sich in seinem Versteck auf und bildete eine monströse Silhouette vor dem Himmel.

Seine Kampfkraft war unglaublich.

angeschossen, halb verbrannt, sterbend - so ging es zum Angriff über.

Eine dritte Waffe schaltete sich in den Kampf ein, schließlich eine vierte.

Thromb feuerte mit kühler Überlegung, Troy in verzweifelter Hast. Das Fauchen der Waffen steigerte sich zu einem ohrenbetäubenden Donnern.

»Mein Gott!". Erschüttert starrte Troy auf den glühenden, zuckenden Haufen. »Was, zum Teufel, war das?«

»Etwas, das vielleicht noch Artgenossen hat.« Scott wich vor den immer noch zuckenden Tentakeln zurück. Ein Wesen, überlegte er, das vielleicht den Raumflughafen bewachen sollte. »Der Gestank lockt vielleicht andere an. Wir sollten sofort verschwinden.«

»Und Jukan?«

»Der ist tot. Sie haben den Schrei gehört.« Scott legte dem Steward eine Hand auf die Schulter. »Ich hatte ihm gesagt, er soll vorsichtig sein. Wenn Sie nicht das gleiche Schicksal erleiden wollen, passen Sie auf, wohin Sie treten.«

»So sterben?« Troy war vom Schock gezeichnet. »Eben war er noch am Leben, ungeduldig, erschöpft. Dann...« Er erschauderte.

Scott versetzte dem Steward eine heftige Ohrfeige. »Sie haben von Anfang an gewußt, daß wir hier keinen Vergnügungsausflug machen. Reißen Sie sich zusammen. Wir müssen weiter, ehe hier noch andere Ungeheuer erscheinen.«

»Schon da!« Thromb trat nach etwas, das neben ihm raschelte und schnappte. »Der ganze Boden ist in Bewegung.«

Aastiere; vom Tod angelockt. Ein Wesen endete unter Scotts Stiefel, als er seine Gruppe von der Lichtung fortführte. Er blickte nicht nach unten, sondern konzentrierte sich auf die hoch aufragenden Pflanzen ringsum.

Saratow sagte: »Unsere Waffen haben einen höllischen Lärm gemacht. Wenn bei den Gebäuden Leute sind, wissen sie jetzt Bescheid.«

»Das weiß ich auch.« Scott blieb stehen und lauschte. »Hörst du etwas?«

Der riesige Mann blieb stehen und schüttelte den Kopf. »Nein.«

»Aber ich.« Troy hob nervös seine Waffe. »Es kommt von hinten.« Er machte eine Bewegung mit seiner Pistole.

»Das sind Ihre Nerven«, sagte Saratow. »Sie bilden sich etwas ein.«

»Nein!« sagte Scott heftig. »Sei still und sperr die Ohren auf.«

Sie verharrten gespannt und hörten ein leises Rascheln. Vor der Helligkeit des Silbermondes bewegte sich ein großer Farnwedel, schnappte zurück und stieß eine Staubwolke aus; er stand links von der Lichtung, auf der sie das Ungeheuer getötet hatten. Gleich darauf bewegte sich eine Gruppe verdrehter Spiralen und schlug mit trockenem Geräusch zusammen.

»Irgend etwas Großes«, sagte Saratow leise. »Glaube ich nicht. Aastiere sind gewöhnlich klein. Ein Wesen dieser Größe müßte schon ein Raubtier sein.«

»Das sind aber mindestens zwei«, flüsterte Thromb. Er hatte den rubinroten Mond im Auge behalten. »Seht ihr - dort?«

Die runde Scheibe zeigte eine Einbuchtung, die im nächsten Augenblick verschwand und vom Umriß eines abgeflachten Dreiecks abgelöst wurde. »Heb Troy in die Höhe«, flüsterte Scott. »Laß ihn auf deinen Schultern stehen, Penza.« Und er wandte sich an den Steward: »Berichten Sie, was Sie sehen.«

»Nichts«, rief der Mann herab. »Nur Schwärze, das ist alles. Ich kann keine Einzelheiten ausmachen.«

»Und in der anderen Richtung?«

»Dasselbe.« Troy fuhr zusammen, als irgendwo ein saugendes Geräusch ertönte. »Lassen Sie mich runter.« Er wischte sich über das Gesicht, als Saratow ihn absetzte. »Wir müssen hier weg,« Scott bekämpfte den Instinkt zu fliehen. Er blieb stehen und überlegte. Dann sagte er: »Wir marschieren zwischen den beiden hindurch und schlagen einen Bogen. Folgt mir.«

Er ließ den Männern keine Zeit zum Nachdenken. Wie ein Schatten glitt er zwischen dicht stehenden und staubwerfenden Wedeln hindurch. Ein breiter Pfad öffnete sich vor ihnen, abgeknickte Pflanzen sonderten Säfte ab. Scott blieb einen Augenblick stehen, ging dann an dem Weg entlang, huschte hinüber, brach sich zwischen den Pflanzen eine Bahn. Der grüne Schimmer des Feldes war jetzt links von ihm, und er hielt darauf zu. Er verließ sich nun auf seine scharfen Augen und das Glück, das sie hoffentlich an der Gefahr vorbeiführte. Jenseits des Pflanzengürtels winkte die Sicherheit. »Berry!«

Saratow war gestürzt. Er sprang wieder auf und riß sich dabei dünne Fasern von Armen und Beinen. Über ihm bewegte sich etwas und wurde zu einem Flammenbündel, als Scott seine Dione auslöste. Thromb stieß einen Schrei aus und feuerte ebenfalls; das Röhren seiner Waffe erstickte Troys verzweifelten Ruf.

»Die Bäume! Die verdammten Dinger sind überall!« Die Freßwerkzeuge schnappten wie Kastagnetten. Sie flammten auf, als die vier Männer schließlich losrannten, wurden zu flackernden Säulen. Vor ihnen lag ,der grüne Schimmer.

»Zusammen!« brüllte Scott. müssen zusammen schießen. Uns einen Weg frei brennen!«

Äste verschwanden, Körper qualmten und stürzten zur Seite, Pflanzen flammten auf und wurden zu Asche. In enger Formation drängten die vier Männer ins Freie und starrten düster auf die Szene vor ihnen.

»Verdammt«, sagte Saratow. »Das Empfangskomitee!«

 

*

 

Es waren drei, je zweieinhalb Meter groß, abgestumpfte Kegel mit langen, beweglichen Tentakeln, die in verschiedenartigen Enden ausliefen. Ihre Grundflächen glitten wenige Zentimeter über dem Boden dahin und waren ständig in Bewegung. Sie kümmerten sich nicht um die vier Männer, sondern näherten sich dem Rand der Vegetation, bewegten sich daran entlang, und unter den hin und her geschwenkten Tentakeln zerfielen Pflanzen zu Staub.

Einige Wesen standen im Hintergrund, eine Gruppe goldener Kegel, die im Licht grünlich schimmerten, »Roboter«, sagte Scott. »Maschinen, die den Pflanzenwuchs eindämmen sollen. Aber warum gibt es keine Wächter? Wenn die Wesen im Dschungel unerwünschte Besucher fernhalten sollten, warum sind dann hier im Freien keine Wächter?«

»Sie dienen aber als Wächter.« Saratow deutete auf einen Roboter, der sich mit einer unangenehm vertrauten Gestalt eingelassen hatte. Ein Tentakel zuckte vor, drückte das Wesen zu Boden. Die Basis des Kegels fuhr darüber hinweg, machte Staub daraus. »Die Dinger sorgen dafür, daß hier keine Pflanze wächst und kein Wesen am Leben bleibt.«

Thromb sagte: »Sie haben uns bemerkt Sie kommen.«

»Das sind nicht nur Gartenroboter, Berry.« Saratow beobachtete zwei Gestalten, die langsam näher kamen. »Seht ihr die Greifwerkzeuge? Das sind eindeutig Vielzweckinstrumente. Sie müssen eine Art Anti-Schwerkraft-Antrieb haben, der sie sehr beweglich macht.«

Die neugierigen Roboter kamen viel zu nahe, und Scott vermutete, daß sie sich auf verbotenem Gebiet befanden. »Auf dem Flughafen müßte es mehr davon geben, und vielleicht sehen sie uns nicht als Invasoren an, die vernichtet werden müssen.«

Er führte seine Gruppe zu den Gebäuden, die wie Hangars aussahen. Die Pylone ragten wie Wolkenkratzer in den Himmel. Nun traten auch andere Einzelheiten hervor. In regelmäßigen Abständen umgaben gewaltige Spiralen auf Stützen das Feld, massige Spulen aus goldenem Metall, deren Innenraum groß genug war, um ein Schiff aufzunehmen.

Saratow sagte entschieden: »Wir sind hier nicht auf einem gewöhnlichen Raumflughafen, Berry. Das sind Energiespulen, wenn ich mich nicht sehr irre, und die Pylone müssen eine Art Sigmalmechanismus tragen. Das Gebäude mit dem Turm enthält wahrscheinlich die Kontrollen - aber wozu all die Antennen?«

»Seht!« Thromb hob den Arm. »Das muß ein Frachter aus dem Duay-System sein! Und das Schiff dort kann nur aus Trang kommen. Und das ist ein Newman-Pendler - und das?« Er runzelte die Stirn. »Ich kenne den Typ nicht.«

Es war ein Gebilde aus flügelartigen Auswüchsen, ausschwingenden Rundungen, schlanken Stützen und gedrungenen Ovalen in einem schimmernd schwarzen Metall. Roboter drängten sich darum, und kleine Feuerzungen zuckten aus ihren Tentakeln. Metallbrocken fielen zu Boden, wurden von anderen goldenen Kegeln aufgefangen und davongetragen. Die Roboterkette führte zu einer riesigen Grube, über der ein pulsierender grüner Schimmer hing.

»Halte dich von dem. Ding fern«, sagte Scott warnend, als sich Saratow neugierig in Bewegung setzte. »In der Grube muß eine Art Konverter sein. Ein Mittel, um Abfallprodukte in nützliche Energie umzuwandeln.« Er ließ seine Blicke über das weite Feld wandern. Bei jedem Schiff standen Roboter, die eifrig arbeiteten. Einige Wracks waren nur noch blanke Gerüste, andere trugen noch ihre Außenwandungen, die allerdings riesige Löcher aufwiesen. Ein Schiff, weniger beschädigt als die übrigen, stand dicht neben einer der rätselhaften Spulen.

»Die WANKLE!« rief Thromb. »Bei Gott, es ist die WANKLE!«

Das Raumschiff sah aus wie eine Melone, die jemand aus großer Höhe hatte fallen lassen; ihre Grundfläche war abgeflacht, die Außenhülle von Rissen durchzogen, die Schleuse aufgesprungen. An einer Flanke gähnte ein riesiges Loch. Das Landefeld war hellgrün und diamanthart; der gewaltige Aufprall hatte keinerlei Spuren hinterlassen. Scott schaute zu der Spule hinüber und wieder zum Schiff und versuchte sich vorzustellen, was hier geschehen war. Das Schiff, führerlos, auf den Raumflughafen zustürzend. Was hatte es genau hier landen lassen? War irgendeine Energie aus der Spule geströmt und hatte das Raumfahrzeug gelenkt? Die gleiche Energie vielleicht, die es zuvor aus dem normalen Universum gerissen hatte?

Troy sagte: »Die Roboter! Sie nehmen das Schiff auseinander!«

Ein Dutzend Gestalten verschwand zielstrebig im Schiff und kehrte mit allerlei Gegenständen in den Tentakeln zurück, Streben, Bündel, ein Koffer, der Teil einer Konsole - und alles wanderte in die schimmernde Grube.

»Nahrungsmittel«, sagte Thromb. »Die Vorräte!« Vielleicht kamen sie schon zu spät. Scott erreichte die Öffnung, trat ein und wich zur Seite, als ein Roboter mit einem Stück Metallwand vorbeischwebte. Eine zweite Gestalt näherte sich. Der Kegel schleppte eine Schachtel mit Konzentraten. Als er das Schiff verließ, griff Saratow nach dem Kasten und zog daran.

Aber die Tentakel ließen nicht los.

Wieder zerrte der große Mann, in dem er sich an der Schachtel festhielt, die Füße hochnahm und sie gegen die nach unten ausschwingende Flanke des Roboters stemmte. Muskeln wölbten sich, die Packung zerbrach, und er ging in einem Regen von kleinen Paketen zu Boden. Verwirrt drehte sich der Roboter um, seine Tentakel fuhren hoch, und Pakete wurden zu Staub, als seine Bodenplatte darüber hinfuhr. »Die Vorräte!« Troy sprang vor, um möglichst viele Nahrungspäckchen zu retten. Ein Tentakel berührte ihn, gefolgt von einem zweiten, der sich fest um seinen Körper wickelte und ihn anhob. Nun machte der Roboter kehrt und glitt auf die glühende Grube zu.

»Penza!« Scott rannte hinter der goIdenen Gestalt her. »Thromb! Wir müssen en das Ding aufhalten!« Der Steward war ohnmächtig geworden. Scott erreichte den Roboter, griff nach einem Tentakel und zog daran, doch seine Stiefel glitten über den glatten Boden. Er ließ los und duckte sich, da andere Tentakel in seine Richtung zuckten. Vielleicht ließ sich die Maschine mit einem Seil stoppen, das man irgendwo festmachte, aber sie hatten weder ein Seil noch einen sicheren Fixpunkt dafür.

Saratow sagte langsam: »Wenn wir das Ding nun umkippen... Haltet mich an der Hüfte fest, ihr beiden.«

Er sprang vor. Mit den breiten Händen umklammerte er einen Tentakel und knallte die Stiefel etwas über der Grundplatte gegen den Kegel. Nun stemmte er sich nach rückwärts und versuchte den Roboter herumzuziehen. Der Kegel neigte sich, bewegte sich schräg weiter und zerrte Scott und Thromb mit über das Landefeld. Aber sie waren zu schwach; die Hebelwirkung reichte nicht aus, um die goldene Gestalt umzuwerfen. »Penza, laß los!« brüllte Scott warnend, als andere Tentakel herumschwenkten. »Verdammt, laß los!« Stoff zerriß, als sich Klauen in Saratows Ärmel versenkten, als sich Metallfinger schlossen und knapp das Fleisch verfehlten. Aus einer der schwankenden Tentakelspitzen zuckte ein Flammenstrahl. Saratow bäumte sich auf, fuhr herum und ließ mit brennendem Ärmel los, rollte über das Flugfeld und richtete sich hastig wieder auf. Mit fliegenden Fingern entfernte er den glimmenden Stoff.

»Ich hab' das Ding nicht halten können«, sagte er atemlos. »Es ist zu stark, wir können es nicht umwerfen.«

»Troy!« Thromb starrte zu der Grube hinüber und fummelte an seiner Waffe herum.

Er gedachte den Mann zu töten, wollte ihm einen leichten Tod verschaffen. Scott riß ihm die Waffe aus der Hand.

»Letzte Chance«, sagte er gepreßt. »Ich brenne dem Ding die Tentakel ab. Ihr müßt Troy fangen, wenn er stürzt.«

Er hob die Waffe, stützte sie auf seinen linken Unterarm. Mit kühlem Blick starrte er über den gerippten Lauf. Die Dione war keine Präzisionspistole, aber eine andere Bewaffnung hatte er nicht. Er zielte auf den Austritt des Tentakels aus dem Kegel. Sein Finger schloß sich um den Abzug. Metall schmolz, begann golden zu tropfen. Als der Steward zu Boden fiel, stürzte Saratow vor, zog ihn mit schnellem Griff zurück, brachte ihn und sich in Sicherheit. Ratlos drehte sich der Roboter um.

»Das Schiff!« sagte Scott. »Schafft ihn an Bord der WANKLE. Wir verbarrikadieren uns dort.«

»Und die Roboter?«

»Wir warten, bis alle draußen sind.«

Die Einrichtung war noch nicht völlig demontiert, so daß Scott den Bewußtlosen auf eine Couch legen konnte. Er pellte ihm die dicke Kleidung ab, während Thromb auf Wassersuche ging und Saratow die Außenwandung dichtmachte. Dabei riß er Türen aus den Scharnieren und hievte Kojen, Ballen und eine Masse anderen Unrats vor die Öffnung. Methodisch attackierten die Roboter die Barriere dem vorgeschriebenen Programm folgend, das das Schiffsinnere sicher machte, solange es keinen Eingang für die goldenen Kegel gab.

»Wir haben ausreichend Wasser«, sagte Thromb bei seiner Rückkehr. »Ein ganzer Tank, der unversehrt geblieben ist. Und auch Nahrungsmittel und für Troy etwas Brandy.« Er hob eine Metallflasche in die Höhe.

Der Steward hustete, als Scott ihm etwas Alkohol einflößte. Er versuchte sich ' aufzurichten, zuckte jedoch zusammen und entspannte, sich in Scotts Armen.

»Was ist passiert? Dieser Roboter...«

»Sie haben sich zu nahe herangewagt«, sagte Scott. »Sie haben ihn berührt und bei der Arbeit gestört. Er hat Sie wahrscheinlich für ein Stück Abfall gehalten.«

Wieder verzog Troy schmerzhaft das Gesicht. »So fühle ich mich auch. Meine Brust!«

»Das bekommen wir schon wieder hin. Ob wir wohl noch Medizin an Bord haben, Kapitän?

Schmerzstillende Mittel, Schnellheiler, Bandagen?«

»Ich sehe mich mal um«, sagte Thromb. »Und ich setze gleich etwas zu essen auf. Ich kann nicht versprechen, daß es gut schmeckt, aber es wird jedenfalls heiß.«

Saratow erschien hinter Scott, der den Steward versorgte.

»Die Barrikade ist fertig«, verkündete er. Wir können notfalls auch durch ein kleines Loch auf der Hinterseite verschwinden. Wie geht es Troy?«

»Er wird es überstehen.«

»Keine Verbrennungen?«

»Nein. Reines Glück. Er hatte gerade das Gesicht abgewandt, und die dicke Kleidung hat ihn geschützt.« Scott legte die letzte Bandage an. »Aber wir sollten uns deinen Arm mal ansehen, Penza.« »Nicht nötig.« Der große Mann entledigte sich seiner Kleidung und seufzte erleichtert. »Ich könnte jetzt ein hübsches eiskaltes Bad vertragen.«

»Geht leider nicht«, sagte Scott. »Aber es gibt genug zu essen, wenn Thromb nicht alles verschmort hat.«

Sie aßen im Salon. In leichter Kleidung fühlten sie sich angenehm frisch und erleichtert. Thromb sank der Kopf auf die Brust, und er ruckte hoch. »Sie sind müde«, sagte Scott. »Schlafen Sie.«

»Wir alle sind müde.« Der Kapitän rieb sich die Augen. »Wie geht es Troy?«

Der Steward schlief, einen halb gefüllten Teller im Schoß. Saratow stellte ihn zur Seite und legte Arme und Kopf des Mannes zurecht, damit er keine Krämpfe bekam, und schob seine Decke hoch.

»Er kommt durch.«

»Aber wie lange?« fragte Thromb bitter. »Sehen Sie sich mal um. Ich kenne die WANKLE. Jetzt ist sie ein Wrack. Von der HEDLANDA ist noch ein Staubhaufen übrig.« Nach kurzem Schweigen fügte er hinzu: »Und wo sind die Toten? Ich habe jeden Zentimeter abgesucht, und es ist keine Menschenseele zu finden.«

»Ich weiß«, sagte Scott. »Ich habe auch nachgesehen.«

»Na - wo sind sie?«

»Wahrscheinlich in der Grube. Die Roboter müssen sie eingesammelt haben«, sagte Scott bitter. »Unsaubere Objekte, die sofort auszuräumen waren. Die Logik eines klaren, mechanischen Geistes.«

»Na, und wie lange halten wir durch, bis wir an der Reihe sind?« fragte Thromb stirnrunzelnd und fuhr sich mit der Hand über die Narbe. »Selbst wenn wir fliehen - wohin wollen wir uns wenden? Die Nahrungsmittel reichen nicht ewig. Vielleicht hätten wir Troy nicht helfen sollen. Dann hätte er dieses Schicksal nicht mehr erfahren »

»Er lebt«, sagte Scott. »Und solange jemand lebt, hat er noch Hoffnung.«

»Hoffnung«, sagte Thromb, als habe das Wort einen üblen Beigeschmack.

»Finden wir mit Hoffnung einen Ausweg aus dieser Hölle - zurück in die Heimat, wohin wir gehören?« Er fror und war am Ende seiner Kräfte. Die Schiffswracks hatten ihn deprimiert, hinzu -kamen die Mühen des Marsches. Er wäre kein Mensch gewesen, wenn ihn nicht Verzweiflung überkommen hätte. Scott sagte: »Sie sind müde, Kapitän. Wir haben jetzt einen Stützpunkt, an dem wir eine Zeitlang sicher sind. Wir haben Wasser, Nahrungsmittel. Es ist warm, und wir können uns ausruhen und wieder zu Kräften kommen. Und wir sind auf einem Raumflughafen. Sicher, die Anlage ist fremd und unheimlich, aber sie ist ein Raumflughafen. Wir sind nicht so weit marschiert und haben uns so angestrengt, um jetzt einfach aufzugeben. Wir haben unser Wissen und Instrumente, mit denen wir arbeiten können. Vielleicht schaffen wir den Rückweg in unser Universum nicht, aber versuchen werden wir's jedenfalls.«

»Ja«, sagte Thromb und rieb sich die ' Augen. »Sie haben sicher recht. Ich bin nur so verdammt müde.« Er schloß die Augen. »Schlaf«, murmelte er. »Aber es geht nicht. Wir müssen aufpassen, aufpa...«

Saratow fing ihn auf, ehe er umfallen konnte. »Der ist für eine Weile hinüber«, sagte er und gähnte. »Ich fühle mich selbst nicht so ganz frisch.«

»Es gibt Aufputschmittel im Medikamentenschrank. Wir nehmen ein paar und wachen, bis die anderen wieder munter sind. Dann schlafen wir.« Scott betrachtete den Kapitän. »Leg ihn am besten neben Troy. Dann sehen wir uns mal den Kontrollraum an.«

Das Schiff war tatsächlich ein Wrack. Der Aufprall hatte den Bug eingedrückt und ihn nach hinten getrieben, wobei ein Durcheinander von Bauteilen, verbogenen Streben, Drähten und zerplatzten Plastikwandungen entstanden war. Jemand hatte ein Loch in das Durcheinander geschnitten, eine Passage, an deren Ende das Deck einen braunen Fleck aufwies.

»Getrocknetes Blut«, sagte Scott. »Die Roboter haben die Leichen gefunden und entfernt.«

»Das ist aber nicht logisch«, wandte Saratow ein. »Für eine Maschine müßte Fleisch und Metall identisch sein -Unrat, der fortzuschaffen ist. Warum sollten sie zunächst direkt auf die Toten zuhalten?«

»Hab ich doch schon gesagt.«

»Verderbliche Güter, die zuerst fortgeschafft werden müssen?« Saratow runzelte die Stirn. »Das hast du dem Kapitän erzählt - aber würde eine Maschine wirklich so arbeiten?«

»Das weißt du doch ganz genau, Penza; du hast so etwas selbst oft genug gebaut.« Scott war kurz angebunden; das Aufputschmittel verdrängte zwar den Wunsch nach Schlaf, trug aber nicht zu seiner Geduld bei. Und doch hatte sein Freund recht. Nachdenklich sagte er: »Oder die Roboter arbeiten womöglich nach einem Programm, das auf die Rettung von Überlebenden ausgerichtet ist. Wenn ein Schiff auf einem normalen Raumflughafen abstürzt, was würde passieren?«

»Ambulanz- und Katastrophenfahrzeuge würden losrasen«, sagte Saratow sofort. »Männer und Maschinen, um die Maschinen einzudämmen und Mannschaften zu retten. Berry! Ist das die Funktion der Roboter?«

Maschinen, die ihre Wartezeiten mit dem Unterhalt des Landefeldes verbrachten. Die in ein Wrack vordrangen, jedes Lebewesen darin retteten, die Toten herausholten und sich dann mangels spezifischer anderer Befehle daran machten, die Wrackreste zu entfernen.

»Nein, Berry«, beantwortete Saratow seine Frage selbst. »Der Roboter draußen wollte Troy in die Grube werfen. Wenn du recht hättest, wäre er mit ihm in ein Krankenhaus marschiert.«

»Vielleicht aber nicht, wenn Troy nicht einer programmierten Beschreibung entsprochen hat. Würde ein menschliches Rettungsteam aus einem Wrack eine Wanze retten? Er mag nicht dem Schema entsprochen haben, das dem Robotergehirn eingegeben ist.«

»Eine Wanze - sehen wir für die Roboter so aus?« fragte Saratow stirnrunzelnd.

»Möglich, Penza. Die Größe ist nur relativ. Die Anlage hier ist riesig. Die Wesen, die das alles gebaut haben, könnten ebenfalls riesig sein.« Scott zuckte die Achseln. »Jetzt wollen wir erst mal sehen, was sich noch verwenden läßt.«

Sie arbeiteten stundenlang und trugen schließlich einen kleinen Haufen Bauteile zusammen, den Saratow kopfschüttelnd betrachtete.

»Ganz nützlich«, sagte er. »Wir können ein paar Stromkreise zusammenschließen, wenn wir Energie finden. Und ein paar Detektoren bauen, die gar keine Energie brauchen - aber das wär's auch schon.«

»Bis jetzt«, sagte Scott nachdrücklich. »Sehen wir mal im Maschinenraum nach.«

Dort hatten sie mehr Glück. Einen SheemarWellenleiter, drei funktionsfähige Kells, einige Werkzeuge, eine magnetische Testsonde, die Saratow spöttisch betrachtete, aber sorgfältig zur Seite legte.

»Alt«, bemerkte er. »Wahrscheinlich sehr unpräzise, aber besser als gar nichts.«

»Und die Maschinen?«

»Hinüber, Berry. Ausgebrannt. Nicht mehr zu gebrauchen.«

Saratow knurrte, als er den Energiemeiler überprüfte. »Völlig ausgelaugt. Die Notakkumulatoren sind auch leer.« Er trat mit dem Fuß gegen eine der kompakten Treibstoffzellen. »Müll, Abfall - der ganze Haufen.«

»Keine Chance, etwas auszubauen?«

»Absolut keine. Wenn ich eine Werkstatt und Material hätte, könnte ich neue Spulen machen. Ich könnte sie sogar abstimmen. Aber ohne Treibstoff, um die Energiestation in Gang zu bringen, bekommen wir den Antrieb nie hin.«

»Wir haben Energie draußen«, sagte Scott. »In der Grube. Die könnten wir vielleicht anzapfen, womöglich sogar speichern.«

»Nicht hiermit.« Wieder trat Saratow gegen die toten Maschinen. »Die Zellen können nicht mehr geladen werden, also müßte man sie völlig neu bauen. Ich könnte einige Bauteile wieder verwenden, aber wir haben einfach die Werkzeuge nicht. Unsere größte Hoffnung wäre es vielleicht, eine Anti-Schwerkraft-Einheit zu konstruieren. Die könnte uns etwas anheben, aber weiter nichts. Und auch das hinge von der Energie aus der Grube ab.« Ein wenig hilflos fügte er hinzu: »Tut mir leid, Berry. Aber so sieht es nun mal aus. Wir sitzen hier fest.«

 

*

 

Scott erwachte und richtete sich sofort auf. Laute Geräusche klangen durch die WANKLE. Thromb flüsterte ihm zu: »Die Roboter. Sie sind im Schiff.«

»Aber wie denn? Die Barriere ist doch...«

»Sie haben sich eine neue Öffnung geschaffen. Im Bug. Die Barriere ist noch intakt, aber schon ziemlich dünn. Troy ist schon dabei, Nahrungsmittel zusammenzusuchen, und Saratow kümmert sich um seine Ausrüstungsgegenstände.« Er fügte tonlos hinzu: »Ich weiß aber nicht, wohin wir das alles schaffen wollen.«

»In das Gebäude mit dem Turm«, sagte Scott. »Dafür haben wir uns entschieden, als Sie schliefen.«

»Ich hätte arbeiten Sollen.«

»Du brauchst deinen Schlaf.« Saratow wandte sich an Troy.

Er kletterte als erster nach draußen, wo bereits einige Bündel und Geräte lagen. Hastig belud er seinen Freund, wobei er Tuchstreifen benutzte, um die Einzelteile zusammenzubinden. Anschließend schnürte er sich auch ein Bündel. Taumelnd liefen die beiden Männer dann auf das Gebäude mit dem Turm zu.

Die Tür stand auf; ein leerer Flur schimmerte dahinter. Türen mit Rundbogen, sechs Meter hoch, flankierten den Vorraum; sie waren geschlossen. Saratow drückte gegen eine Tür, die ein wenig nachgab, dann klemmte und schließlich unter dem Ansturm seines Gewichts aufflog. Drinnen ragten ein hoher Tisch auf, Regale, Dinge, bei denen es sich um Stühle handeln mochte. Eine Kugel strahlte ein milchig-helles Leuchten aus; ihre Oberfläche wies verschiedene Tönungen auf. Eine Himmelssphäre oder der Aufriß einer Welt. Die Türflügel knirschten hinter ihnen zu, als sie zum Schiff zurückliefen. Wieder schafften sie Vorräte in den Raum mit dem Tisch. Bei ihrer Rückkehr warteten bereits die anderen.

»Mehr bekommen wir nicht zusammen.« Thromb deutete auf den kleinen Haufen Pakete vor sich, auf die wassergefüllten Beutel. Er war am Arm verletzt und blutete. »Einer dieser verdammten Roboter hätte mich fast erwischt. Ich konnte mich losreißen.«

Scott betrachtete die Pakete, hauptsächlich Wasser, wenig Nahrung. Beim ersten Vorstoß hatte Saratow seine Werkzeuge und sonstigen Geräte hinübergeschafft. Zu essen hatten sie wenig genug, aber das war nicht zu ändern.

Sie brauchten nun nicht mehr verzweifelt zu hasten und hatten Zeit zu näherer Orientierung. Scott blieb stehen und betrachtete die hoch aufragende Fassade, den Turm, die facettierte Kugel mit ihren zahlreichen Antennen. Das Gebäude schien wie alle anderen aus einen Stück zu bestehen; nur die große offene Tür durchbrach die äußere Einheitlichkeit.

»Warum Wurde das nicht flach gebaut?« fragte Troy. »Warum all die schrägen Flächen wie Facetten?«

Außerirdische Schönheitsideale -oder die Bauweise. Insektenähnliche Wesen waren vielleicht dem Vorbild ihrer Natur gefolgt, der Honigwabe einer Biene, dem komplizierten Äußeren eines Kokon. Vielleicht hatte diese Architektur auch technische Gründe.

Saratow sagte ruhig: »Schau mal, Berry über der Tür.«

Im goldenen Metall über dem Türbogen schimmerte ein vertrautes Muster aus verschlungenen Kreisen.

»Das Siegel der Zheltyana!« Scott schüttelte ungläubig den Kopf. »Das begreife ich nicht.« Die Zheltyana, die geheimnisvolle, uralte Rasse, die ihre Spuren überall in der Galaxis hinterlassen hatte. Intelligente Wesen, die bereits die Raumfahrt beherrschten, als der Mensch das Meer noch gar nicht verlassen hatte. Die zu großer Bedeutung aufgestiegen und ohne ersichtlichen Grund wieder verschwunden waren. Deren Symbol ein Rätsel darstellte, hinter das kein planetarischer oder interstellarer Archäologe bisher gekommen war. Thromb sagte ausdruckslos: »Ich habe das Zeichen schon einmal gesehen. Auf alten Töpferarbeiten im Museum von Aadopolis. Und auf einer Säule, die am Raumflughafen von Weem gefunden wurde. Das Zeichen der Urahnen. Ich kenne einen Mann, der es auf einem Medaillon um den Hals trug. Er schwor, es brächte ihm Glück. Vielleicht...« Er schüttelte den Kopf.»Nein, unmöglich. Zwischen dieser Welt und unserem Universum kann es keine Handelsbeziehungen geben. Aber wenn nun doch?«

»Dann könnten wir eine Passage belegen«, lachte Troy. Sein Tonfall war sarkastisch. »Träume! Wir kommen hier nie wieder weg. Wenn Nahrungsmittel und Wasser verbraucht sind, ist es aus.«

»Noch sind wir nicht am Ende«, sagte Scott. Er wandte den Blick von dem Symbol. Er sah zu dem fremden Schiff hinüber, das nur noch ein Haufen zerbrochener Metallplatten war. Gehörte es in dieses Universum oder war es - wie sie - aus einem anderen Kontinuum verschleppt worden? Aber solche Spekulationen waren müßig; zuerst kam das überleben.

»Wir suchen uns einen Raum, in dem wir es uns bequem machen«, entschied er. »Sie kümmern sich um das Essen, Troy. Teilen Sie unsere Vorräte auf. Vielleicht können wir noch mehr aus dem Schiff holen. Sie beobachten die Roboter, \Kapitän. Die Dinger folgen sicher einem bestimmten Plan. Vielleicht müssen sie zwischendurch mal fort, um wieder aufgeladen zu werden.«

Er führte die Männer in das Gebäude - und blieb abrupt stehen. Neben ihm begann Saratow laut zu fluchen.

»Die verdammten Roboter! Da ist schon wieder einer!«

Der Kegel glitt stumm über den Boden und säuberte ihn, einem uralten Befehl folgend. Als sie sich dem Zimmer näherten, in dem sie ihre Vorräte aufbewahrten, folgte die Maschine ihnen mit erhobenen Tentakeln.

Troy sagte nervös: »Das Ding kommt uns nach.«

»Nicht uns«, sagte Scott. »Es will in den Raum. Vielleicht spürt es, daß sich da Abfall befindet. »Unsere Vorräte und das Wasser«, knurrte Saratow. »Solange sich der Bursche hier herumtreibt, können wir nicht arbeiten, Berry. Wie schütteln wir ihn ab?«

»Einfach.« Scott griff in ein Bündel und nahm ein Paket Konzentrate heraus. Er zerbröckelte den Inhalt der Packung und verstreute die Körner vor dem Roboter in einer Linie, die zur offenen Tür führte. Die Maschine folgte der Spur, wobei die Nahrung unter ihrem Bodenbrett verschwand. Scott führte sie nach draußen, streute das Konzentrat in weitem Bogen aus und kehrte zurück, während der Kegel fort glitt.

»Gut.« Saratow strahlte. »Die Dinger sind wie Hunde. Ich wünschte, wir könnten ein Exemplar mit nach Hause nehmen. Dem Professor würde das gefallen. Er könnte es trainieren, damit es sich an Bord der MORDAIN nützlich macht. Chemile ist manchmal verdammt unordentlich.« Er verstummte.

»Die MORDAIN«, sagte er nachdenklich. »Wo sie jetzt wohl steckt?«

»Sie wartet sicher auf uns.«

»Meinst du, Berry?«

»Ich bin sicher. Was hättest du getan, Penza, wenn der Professor und Veem verschwunden wären wie wir? Wärst du einfach fort geflogen? Hättest du sie als tot abgeschrieben?« Scott blickte durch die offene Tür zum Himmel auf. »Ich nehme an, daß sie irgendwo dort oben sind. In unserem Heimatuniversum, dicht bei der Stelle, wo wir verschwunden sind. Hoffen wir, daß sie sich nicht zu nahe heranwagen.«

»Sie sollten lieber die Finger davon lassen«, sagte Saratow. »Ich glaube nicht, daß der Professor gern so etwas durchmachen würde - und Veem schon gar nicht.«

»Sie würden's überstehen, wenn es nicht anders ginge«, sagte Scott. »Aber falls die MORDAIN so durchkommt wie wir, ist sie ein Wrack. Wenn wir Jarl nur warnen könnten, wenn wir berichten könnten, was wir entdeckt haben: Das ZheltyanaSymbol allein ist eine wertvolle Information. Vielleicht ein Zufall - aber nicht unbedingt.« Er schüttelte den Kopf und dachte an die unmittelbar vor ihnen liegenden Aufgaben. »Naja, wie dem auch sei. Um diesen Flughafen richtig zu erforschen, müßte ein ganzes Expertenteam sicher zehn Jahre arbeiten. Und soviel Zeit haben wir nicht.« Ihnen blieben höchstens zwei Wochen, wie Troy anhand der Vorräte feststellte.

»Wir können natürlich hungern«, sagte er, »aber ohne Wasser halten wir es in dieser Hitze nicht lange aus. Wie sehr man die Rationen auch verkleinert, das Wasser reicht nur ein paar Tage. Und noch weniger, wenn man währenddessen aktiv bleibt. In dieser Hitze brauchen wir mindestens einen Liter pro Tag. Wir sind vier - das macht also vier Liter am Tag. Wir haben insgesamt rund dreißig Liter. Vermindert man die Ration, verlängert sich das Ganze um ein paar elende Tage - also etwa vierzehn, das ist das Maximum. Arbeitet man aber schwer, reicht ein Liter pro Tag nicht. Man lebt zwar weiter, endet aber völlig ausgetrocknet und als Leiche. So enden wir in jedem Falle«, fügte er hinzu. »Höchstens zwei Wochen - dann fällt der Vorhang.«

»Vielleicht läßt sich mehr beschaffen«, sagte Thromb stirnrunzelnd. »Der Trick mit dem Roboter. Wir könnten dasselbe mit den anderen Kegeln am Schiff versuchen - einfach Konzentrate ausstreuen, und während sie sich damit beschäftigen, hineinschleichen und noch ein paar Plastikbeutel füllen.«

»Versuchen können wir's.« Schon verspürte Saratow die ersten Vorboten des Durstes. »Noch besser - wir könnten Unrat hinauswerfen zum Wegtragen. Den müßten sie zur Grube schaffen. Geben wir den Burschen genug Arbeit, haben wir freie Bahn.«

Die Chance, mehr Geräte und Werkzeuge zu besorgen war das Risiko wert.

Scott führte seine Gruppe an. Das Schiff lag hinter einer der Riesenspiralen, und als sie das Gebäude verließen, ging von der Spule plötzlich ein dünnes, vibrierendes Summen aus. Das Geräusch wurde schriller, schmerzte in den Ohren, wurde schnell unhörbar. Licht begann über dem gebogenen Metall zu schimmern, ein smaragdgrüner Schein, der sich zu greller Glut steigerte.

»Runter!« brüllte Scott. »Alle runter!«

Als er zu Boden ging, stieß die Spirale ein schrilles Singen aus, als sei sie von einem festen Gegenstand getroffen worden. Im nächsten Augenblick hing ein Raumschiff über der kreisförmigen Anlage.

Es war ein Schiff, wie sie es schon einmal gesehen hatten, ein Polyeder, von abgeflachten Kegeln übersät. Das Gebilde stieg auf und raste davon. Innerhalb der Spule erlosch das Licht.

»Das Schiff.« Thromb starrte auf die Stelle, an der es verschwunden war. »Das ist das Schiff, das die HEDLANDA vernichtet hat!«

»Das oder ein anderes, das genau so aussah.« Scott betrachtete die Pylone und die Parabolspiegel. »Hast du gesehen, ob sich etwas bewegt hat, Penza?«

»Keine Bewegung, Berry - ich habe aufgepaßt.«

»Aber woher kam das Ding?« Thromb starrte immer noch in den Himmel. Das Licht der Energiegrube erhellte sein Gesicht. »Eben noch war da nichts, und schon schwebte es über uns.«

»Gefällt mir nicht.« Troy rieb sich nervös den Schweiß aus dem Gesicht. »Die Wesen da in dem Schiff - was immer sie sind - mögen uns nicht. Das wissen wir. Wenn sie den Raumflughafen hier leiten und uns entdecken, sind wir so gut wie tot.«

»Niemand hat uns gesehen«, sagte Scott heftig. »Und wir leben noch. Was hältst du davon, Penza?«

»Eine Energiespirale«, sagte Saratow nachdenklich. »Ich hatte recht, Berry. Das Ding hat eine Menge Energie entwickelt. Und doch war die Hitzeentwicklung minimal. Das heißt, daß es hier Abschirmeinrichtungen geben muß. Aber wie ließe sich das steuern? Ah, natürlich die Pylone. Sie müssen eine Art Energievortex ausstrahlen, vielleicht eine Resonanz, die auf eine ferne Energiequelle eingestellt ist. Was meinst du, Berry?«

»Offensichtlich ist die Anlage hier nicht nur ein Landefeld, sondern auch eine Art Transportmittel. Aber ich glaube nicht, daß die Insassen der grünen Schiffe irgend etwas damit zu tun haben. Das Schiff, das wir vorhin sahen, wirkte dazu viel zu unruhig. Es hüpfte und schwankte, als werde es gar nicht richtig gesteuert. Ein anderes Zeit- oder visuelles Empfinden wäre eine Erklärung.«

»Oder eine Verzögerung, hervorgerufen durch Transitionsschock«, sagte Thromb. »Woher das Schiff auch kam, die Reise war sehr schnell. Keine Sekunde lang. Logisch wäre also eine leichte Verzögerung, ehe der Pilot sich orientieren kann.« Scott nickte und stand langsam auf. Nachdenklich starrte er auf die Facettenkugel, auf die unzähligen Antennen.

»Vielleicht hat das Schiff oder ein anderes eine der Antennen berührt oder verdreht. In dem Fall...« In Gedanken versunken, brach er ab. »Ich begreife nur nicht, wieso es die HEDLANDA angegriffen hat«, sagte Thromb. »Wir lagen hilflos in der Gegend, havariert - das müssen die Leute doch gesehen haben! Warum wollten sie das Schiff zerstören?« Scott zuckte die Achseln. »Die HEDLANDA war am falschen Ort gelandet. Ein Wrack hier auf dem Landefeld ist ganz schön und gut; die Roboter können sich darum kümmern. Da draußen ist die Lage aber anders. Vielleicht hat man uns für eine mögliche Gefahrenquelle gehalten, für etwas, das einfach nicht dorthin gehörte.«

»Stimmt sogar - auf dieser Welt«, sagte der Kapitän. »Aber wie ist das mit den Leuten in den grünen Schiffen - gehören die hierher? Sind die hier zu Hause?«

»Möglich wär's schon. Das Schiff hatte ein Ziel, vielleicht flog es zu einem anderen Landefeld auf der entgegen gesetzten Seite dieser Welt oder zu einer Stadt. Oder vielleicht hält man diese Anlage auch nur für Privatbesitz, auf dem Fremde nicht willkommen sind.« Scott runzelte gereizt die Stirn; zu viele Fragen blieben offen. Aber eine wenigstens konnte geklärt werden. »Überprüfe bitte mal die Antennen, Penza. Sieh nach, ob seine vielleicht beschädigt ist. Die anderen bitte auch. Seht ihr etwas?«

Saratow kniff die Augen zusammen und schirmte die Energieglut der Grube mit den Händen ab. »Ich glaube, du hast recht, Berry. Zähl mal von unten - sieben. Eine lange Antenne. Hast du sie?« Scott trat einige Schritte zurück. Das Licht da oben war schlecht; die Antennen waren vor dem Himmel kaum zu erkennen. Noch einmal bewegte er sich, versuchte sie vor dem grünen Mond zu sehen. »Richtig, Penza. Sehen Sie's auch, Troy? Kapitän? Die siebente von unten, die dritte rechts von der Mitte der Tür. Sie ist ein wenig verbogen.« Er senkte den Blick und musterte den Turm. »Wenn wir nur dort hinaufklettern könnten, um uns näher umzusehen! Wir brauchen eine Art Fernglas. Sehen wir nach, ob es noch Linsen im Schiff gibt.«

»Und Wasser«, erinnerte Troy an den Zweck der Expedition. »Vergessen wir das Wasser nicht.« Aber sie kamen zu spät. Das Wasser war fort, war aus den zerstörten Behältern geflossen. Und die Roboter waren überall.

 

*

 

Saratow ächzte, und seine Muskeln spielten, als er sich mit voller Kraft gegen die Türflügel warf und sie zuknallen ließ. Vom Dach schimmerten Lichter, erfüllten die Dunkelheit mit bleichem Schimmer, eine Erleichterung nach dem ständigen Grün. »Müßte reichen, Berry. Wir sind zwar eingeschlossen, aber die verdammten Roboter kommen auch nicht an uns heran. Woher kommen die nur alle?«

»Von den anderen Schiffen«, mutmaßte Scott. »Die WANKLE stellte eine Gefahr dar. Sie lag zu dicht an der Spirale und mußte entfernt werden.« Saratow runzelte die Stirn. »Die Roboter haben einen Einsatzbefehl bekommen? Berry - das bedeutet, daß sie von irgendwo gesteuert werden.«

»Ja - von einem Computer aus. Es gibt hier keine Leute, kein intelligentes Leben. Andernfalls hätte man sich längst mit uns in Verbindung gesetzt.« Scott blickte sich in dem riesigen Flur um. Im Raum mit den Vorräten waren Troy und der Kapitän mit dem Sortieren der Pakete- und Beutel beschäftigt. Auch Türen standen nun offen. Die meisten Räumlichkeiten enthielten nur die notwendigste Einrichtung, Tische und Regale, einige wiesen auch schimmernde Kugeln auf, bei denen es sich um Karten handeln mochte, andere hatten große schimmernde Metallplatten an den Wänden, in die Bauzeichnungen und rätselhafte Symbole eingraviert waren. In einem anderen Zimmer entdeckten sie eine breite Spirale, die sich nach oben kurvte. Und schließlich stießen sie auf ein Modell des Gebäudes, in dem sie sich befanden.

Scott beschäftigte sich damit. Es bestand aus durchsichtigem Material, das einen Blick ins Innere gestattete; Zimmer und Passagen und Spiralrampen waren mit verschiedenen Farben gekennzeichnet. In den oberen Stockwerken standen geheimnisvolle Maschinen in Reihen; dünne Leitungen führten in den Turm und zu der Facettenkugel. Die Miniaturantennen wirkten wie Haarbüschel. Vor dem Modell erhob sich eine Phalanx von Knöpfen, jeweils mit einem undefinierbaren Symbol gekennzeichnet. Das Dach des Raumes bildete eine weiße Halbkugel.

»Die Hauptkontrollen?« fragte Saratow stirnrunzelnd. »Nein«, sagte er schließlich. »Sieht eher wie ein Ausstellungsstück aus. Was meinst du, Berry?«

Scott berührte einen der Knöpfe, und eine haarfeine Antenne glühte rubinrot auf, strahlte einen winzigen Lichtschaft aus, der am Kuppeldach einen Punkt erstehen ließ. Ein Lichtkreis erschien, der weitere Symbole der gleichen Schrift enthielt. Scott pro- Werte einen zweiten und einen dritten Knopf, jeweils mit dem gleichen Ergebnis. »Die Symbole sind jeweils anders«, sagte Saratow. Er drückte seinerseits einen Knopf. »Seht euch das an. Und nun das.« Wieder wurde ein Knopf betätigt. »Seht ihr?«

»Koordinaten«, sagte Scott.

»Was?«

»Stell dir vor, du bist Raumschiffkapitän. Du bist hier gelandet, und während dein Schiff versorgt oder deine Ladung gelöscht wird, suchst du diesen Raum auf. Du willst vielleicht dein Gedächtnis auffrischen oder die Koordinaten bestimmter Orte erfragen. Du weißt nicht, wie du dorthin kommst, aber du kennst den Namen. Also drückst du auf den Knopf, und die gewünschte Information erscheint an der Wand.«

»Moment mal«, wandte Saratow ein. »Du redest, als wären die Leute Menschen.«

»Möglich ist das schon«, sagte Scott nachdenklich. »Wie immer sie ausgesehen haben - sie hätten nach einem vertrauten Verhaltensmuster gehandelt. Landefelder werden nicht so zum Spaß gebaut. Schiffe reisen nicht ohne Grund. Und Welten mit Weltraumfahrt setzen diese unweigerlich für Handelszwecke ein. Ich meine, die ganze Anlage ist eine Art Zwischenstation. Jede der Antennen ist auf einen anderen Raumflughafen ausgerichtet, diesem vielleicht ähnlich. Vielleicht fliegen Schiffe zwischen diesen Anlaufpunkten und benutzen dabei die Spiralen, wie wir's eben gesehen haben. Eine Art Materialtransmission - völlig automatisch.«

Saratow runzelte die Stirn und überlegte. Seine Phantasie war nicht besonders ausgeprägt, und ihm fehlte Scotts Intuition, doch sein technischer Verstand vermochte die Einzelheiten nachzutragen, sobald das Bild in großen Umrissen feststand.

Er sagte ehrfürchtig: »Aber wer hat das alles gebaut, Berry? Das System, meine ich. Die Zheltyana?«

»Ihr Symbol prangt über der Tür«, sagte Scott langsam. »Vielleicht liegt diese Welt am Rande des ganzen Systems. Ein praktisch verlassener Raumflughafen, nur von dem Schiff benutzt, das wir gesehen haben.« Er schwieg einen Augenblick und dachte an die gewaltige Zivilisation, die hier existiert haben mußte und vielleicht auf anderen Welten dieses fremden Universums noch bestand. Lag hier die Heimat der Alten Rasse? War sie hier geboren worden, um später in das terranische Universum vorzudringen? Oder war dieser Vorgang umgekehrt verlaufen?

Saratow drückte weitere Knöpfe und sagte: »Vielleicht finden wir die beschädigte Antenne und können feststellen, wohin sie führt, Berry.« Lichtkreise verschiedener Größe erschienen in schneller Folge an den Wänden. Sie flackerten auf und verlöschten wieder, als er hastig Knöpfe drückte und wieder losließ und dabei die aufglühenden Antennen im Auge behielt. »Da!« Er drückte ein zweitesmal auf den Knopf. »Die Antenne glüht, aber wir haben keinen Lichtkreis.«

»Zeig mal.« Scott drückte auf einen länglichen Knopf. Licht flammte auf und verschwand, als er wieder drückte. Ein zweiter Knopf, und der Lichtkreis verschwand. »Drück noch ein mal, Penza.« Die Wand blieb dunkel.

»Die beiden nebenan, die Antennen, meine ich.« Scott nickte, als das Licht aufblitzte. Wieder löschte er alle Anzeigen. »Noch einmal, Penza.«

»Immer noch nichts«, sagte der große Mann. »Warum nicht, Berry?«

»Die Antenne ist nicht im Brennpunkt. Das von hier ausgeschickte Signal erreicht sein richtiges Ziel nicht. Würde die Anlage ordnungsgemäß arbeiten, hätten die Techniker den Fehler längst repariert. Ein weiterer Hinweis dafür, daß der Raumflughafen von seinen Erbauern verlassen wurde.«

Scott starrte auf das Modell. Er stellte sich das Signal vor, das ins All hinausstrahlte, den Strahl, der seinen Kontaktpunkt verloren hatte. Die Kräfte hier. losgeschickter Energien mußten erheblich sein und auf einer Ebene arbeiten, die es in seinem Heimatuniversum mit seinen anderen Naturgesetzen nicht gab. Ein fehlgeleiteter Strahl, der das Gefüge des fremden Kontinuums antastete und womöglich sogar zerriß.

Er sagte: »Hier haben wir den Grund für das Verschwinden unserer Schiffe, Penza. Wir wissen nun endlich, warum die HEDLANDA in dieses Universum gezogen wurde. Die beschädigte Antenne ist dafür verantwortlich. Deshalb sind wir auch hier über dem Raumflughafen herausgekommen.«

»Von der gleichen Energie angezogen, die die Schiffe von einer Stelle des Systems zum nächsten transportiert.« Saratow runzelte die Stirn. »Aber was ist mit dem Schiff draußen auf dem Landefeld - das Wrack, das nicht aus unserem All stammen kann?«

»Vielleicht stößt der Energiestrahl auf seinem Wege durch mehr als ein Universum«, mutmaßte Scott. »Oder vielleicht handelt es sich um ein Schiff von hier, das havariert ist. Wichtig ist allein, daß wir endlich die Ursache für den Riß im All gefunden haben und etwas dagegen tun können.«

»Wir müßten die Antenne vernichten«, sagte Saratow langsam. »Aber wie, Berry? Wir können nicht in den Turm steigen. Es wäre viel zu gefährlich. Die Antennen müssen enorme Energien durchleiten. Die Strahlung allein würde uns umbringen.«

»Es gibt eine Möglichkeit.« Scott deutete auf das Modell. »Irgendwo über uns müssen sich die Kontrollen befinden. Wir können vielleicht die Zuleitung herausfinden und durchtrennen oder ausschalten. Geht so etwas nicht, müssen wir die Anlage eben irgendwie vernichten.«

»Vernichten?«

Scott sagte tonlos: »Wir haben keine andere Wahl, Penza. Es darf keine weiteren Schiffskatastrophen geben.«

»Aber Berry - der Energiestrahl ist der einzige Kontakt, den wir mit unserem Heimatuniversum haben. Wenn wir ihn vernichten, gibt es überhaupt keine Rettungschance mehr.«

»Wir haben zwei Wochen Zeit, nach einer anderen Lösung zu suchen.«

Scott drehte sich um, als von nebenan ein Schrei ertönte. »Was ist das, zum Teufel?«

Es war Thromb. Der Kapitän taumelte die Rampe herab; er trug Troy auf den Armen.

»Da oben ist eine Tür«, sagte er atemlos.

»Verschlossen. Troy hat sie berührt und ist umgekippt. Ich stand dicht hinter ihm und habe den Schock gespürt.«

»Elektrizität?«

»Ja.« Thromb legte den Steward auf den Boden. »Ich glaube, er ist verletzt.«

Scott kniete neben dem Bewußtlosen nieder. Er konnte keinen Puls und keine Atmung feststellen; klinisch war der Steward tot. Er legte die Handflächen auf den unteren Teil des Brustkastens und drückte zu, ließ los, drückte erneut zu.

»Beatmung, Penza«, befahl er. »Aber sei vorsichtig, damit seine Lungen nicht platzen.«

Der große Mann kniete nieder, holte tief Atem und zwang die Luft in Troys reglose Lungen. Sie strömte heraus, als Scott wieder zudrückte, und erneut blies Saratow. Herzmassage und künstliche Beatmung waren die einzige Hoffnung, die Troy noch hatte. Nach einigen Minuten begann er sich zu bewegen, unsicher flatterte sein Atem, sein Herz pochte zögernd, wurde stärker, schlug bald kräftig und regelmäßig.

»Er wird's überstehen«, sagte Scott und stand auf. »Halten Sie ihn warm, Kapitän. Penza und ich sehen uns mal oben um.«

Die Tür bestand aus solidem grauem Metall und aus klobigen Griffen in der Mitte. Ein Kombinationsschloß, das sicherlich von der eigentlichen Tür isoliert war, von der Ladung, die jedem unvorsichtigen Eindringling den Tod brachte. Penza untersuchte die Vorrichtung sorgsam und ging schließlich die magnetische Testsonde holen, die er aus dem Schiff mitgebracht hatte.

»Das funktioniert vielleicht nicht, Berry. Dann müssen wir einen anderen Weg nach oben finden.«

»Es gibt keinen anderen Weg, Penza, das war am Modell zu erkennen. Sei also vorsichtig.«

Eine unnötige Warnung. Der Ingenieur war den Umgang mit »heißen« Dingen gewohnt und ging mit instinktiver Umsicht vor. Langsam führte er die Sonde an das Schloß heran, wobei er das Anzeigeinstrument im Auge behielt; dann bewegte er die Spitze etwas.

»Ausbalancierte Felder«, murmelte er. »Wenn man sie in der richtigen Reihenfolge gegeneinander setzt, öffnet sich die Tür.« Wieder bewegte er die Sonde und legte dann die Fingerspitzen leicht auf den Knopf. »Los geht's.«

Die Tür schwang auf und gab den Blick auf einen Saal mit gedrungenen Maschinen frei. Licht flammte auf, als sie über die Schwelle traten, und wurde heller, je mehr sie sich den geheimnisvollen Apparaten näherten. Kein Geräusch war zu hören. »Keine beweglichen Teile«, flüsterte Scott. »War auch nicht zu erwarten.

Sind bestimmt alles Festkörperanlagen, die mit Magnetfeldern verschiedener Dichte arbeiten. Erinnerst du dich an die Anordnung der Schaltkreise, Penza?«

»Nicht nötig.« Saratow deutete auf eine Reihe gravierter Platten an der Wand. »Da haben wir alles. Ich schätze, die Dinger sollen im Notfall eine Reparatur beschleunigen.«

»Logisch«, sagte Scott. »Maschinen können versagen, Penza. Die Leute, die diese Anlage bauten, wußten das. Machen wir uns an die Arbeit.«

Ohne die Diagramme wäre die Lösung des Problems in der kurzen Zeit nicht möglich gewesen. Sie hatten ohnehin nur wenige Tage Zeit, um hinter die Geheimnisse außerirdischer Elektronikexperten zu kommen. Auch mit den vorhandenen Hilfsmitteln kamen sie nur mit zäher Energie ans Ziel - eine Arbeit, die Scotts ganze Geschicklichkeit und Penzas umfassendes technisches Wissen erforderte.

Thromb half aus wo er konnte, nahm Abdeckungen von Maschinen, forschte Schaltkreisen nach, testete Felder mit den groben Instrumenten, die aus den Geräteresten von der WANKLE zusammengebaut worden e waren.

Troy sorgte für die Verpflegung. Er war bleich; den letzten Schock hatte er noch nicht überwunden. »Sie haben mir das Leben gerettet«, sagte er. »Der Kapitän hat mir alles erzählt. Ohne Ihre medizinischen Kenntnisse wäre ich jetzt tot.«

»Sie leben noch«, sagte Scott. »Also vergessen Sie die Sache. Auf eine Weise haben Sie uns sogar einen Gefallen getan. Vielleicht hätte ich die Tür angefaßt - oder ein anderer; Sie haben für uns herausgefunden, daß sie gefährlich ist« Er betrachtete seine Wasserration, die zusammengeschrumpft war. »Wie lange haben wir noch?«

»Ein paar Tage. Etwa vier. Ich vermindere die Rationen, damit wir noch etwas länger auskommen.« Er fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen. »Ich habe nachgedacht. Vielleicht gibt es in einem der anderen Gebäude Wasser. Ich könnte ja mal losgehen und mich umsehen.«

»Später.« Die Chancen waren zu gering. »Wir müssen zuerst hier fertig sein. Tun Sie Ihr Möglichstes mit dem, was wir haben.«

Schließlich war es geschafft. Scott starrte auf einen Block aus durchsichtigem Material, der winzige Punkte aus rubinrotem Kristall enthielt. Goldfäden verbanden die einzelnen Gebilde, führten zu einer grünen Stange und einem grellblauen Kegel. »Das wär's«, sagte er. »Die Verbindung zur beschädigten Antenne. Wenn wir sie unterbrechen, schließt sich der Riß.«

»Und wir verlieren unsere letzte Rückkehrmöglichkeit.«

Thromb zuckte die Achseln. »Na, die Chance ist ja sowieso zu gering, als daß man sich Gedanken darüber machen sollte. Trennen Sie die Verbindung sofort, Commander, ehe ein anderes Schiff der HEDLANDA folgt.«

Saratow sagte: »Das passiert bestimmt nicht. Die MORDAIN treibt sich da draußen herum und wird andere Schiffe warnen.«

»Die MORDAIN!« Scott betrachtete den Kontakt und sah dann zu seinem Freund hinüber. »Wir haben noch Zeit«, sagte er langsam. »Vielleicht können wir eine Botschaft absetzen -

irgendwie. Wie ich Luden kenne, überwacht er den Sektor mit jedem nur denkbaren Instrument. Er dürfte das genaue Zentrum des Vortex inzwischen bestimmt haben. Wenn wir den Signalstrahl irgendwie modulieren, kann er das vielleicht messen. Wenigstens könnten wir ihm unsere Abenteuer beschreiben.« Nach kurzer Pause fügte er hinzu: »Und wir könnten ihm sagen, daß der Riß bald geschlossen wird. Daß es für ihn und Chemile keinen Sinn mehr hat, zu warten.«

»Wir müßten den intergalaktischen Kode benutzen«, sagte Saratow. »Ein Mikrofon für akustische Modulation bekommen wir nicht zusammen. Außerdem wäre die Verzerrung zu stark. Also Kode. Wenn wir einen Schalter hinbekommen und ihn hier und hier anbringen, müßte das genügen. Wir müßten das Ding mit der Hand betätigen. Kommt, denkt euch die Nachricht aus, während ich den Unterbrecher zusammenbaue.«

Scott, Saratow und Thromb wechselten sich ab. Troy, der den Kode nicht kannte, wurde nicht eingeschaltet. Zwei Tage später teilte er die letzte Wasserration aus.

»Das wär's. Wir halten vielleicht noch ein paar Tage durch, aber angenehm wird das nicht. Wir haben zu lange von gekürzten Rationen gelebt.«

»Kein Saft mehr bei den anderen Vorräten?«

»Nein. Alles aufgebraucht. Auch der Brandy. Wir haben keine Flüssigkeit mehr.«

Scott blickte zu Thromb hinüber, der die Funktaste bediente und Einzelheiten über die Anlage, das Zheltyana-Zeichen und das Schicksal der verschwundenen Schiffe funkte. Sie hatten getan, was sie könnten. Wenn sie nicht noch in einem anderen Gebäude Wasser fanden, mußten sie bald sterben. Doch ehe das geschah, musste der Energiestrahl unterbrochen werden.

Aber noch hatten sie Zeit. Sie mußten Luden Gelegenheit geben, die Botschaft aufzufangen, wenn das überhaupt möglich war. Die mühsam erkämpften Tatsachen und Informationen mußten weitergegeben werden.

»Wir versuchen es jetzt mal in den anderen Gebäuden«, entschied Scott. »Sie bleiben hier, Kapitän. Wenn wir nicht zurückkommen, wissen Sie, was Sie tun müssen. Los, Penza, sehen wir mal nach, was wir finden.«

Ohne Mithilfe des kräftigen Mannes waren die schweren Türen nicht zu öffnen. Er stemmte sich gegen einen der riesigen Flügel, zerrte ihn auf und trat nach draußen, wo sich die Roboter langsam auf der Landefläche bewegten.

Vor ihnen flammte die Spirale auf. Von oben ertönte ein Donnerschlag. Der Laut durchfuhr die Atmosphäre wie mit einer Messerklinge, ein dröhnendes Rollen ertönte, und komprimierte Luft traf sie mit unvorstellbarer Gewalt. Hoch über ihnen erschien etwas, stürzte herab, schwenkte flammend aus, drehte sich herum, wirbelte, verlangsamte seine Fahrt und kam auf dem diamantharten Feld zum Stillstand.

 

*

 

»Die MORDAIN!« Saratows Ruf hallte über das Feld. Berry! Die MORDAIN!«

Chemile kam ihnen an der Schleuse entgegen. Er strahlte und tanzte fast vor Freude. In seinen Augen stand ein feuchter Schimmer, als er die Hände ausstreckte.

»Berry! Penza! Gott sei Dank, daß ihr noch lebt!« Luden war weniger überschwenglich.

»Also wirklich, Veem, mußt du solche selbstverständlichen Dinge beschreiben? Die Tatsache, daß sie noch leben, ging doch aus ihrer Nachricht hervor! Trotzdem freue ich mich, daß es euch offenbar gut geht.« Er blinzelte, als täte ihm ein Auge weh. »Ja, ich freue mich sehr.«

»Nicht so sehr wie wir!« Scott preßte seine schmalen Schultern zusammen und quetschte Chemiles ausgestreckte Hand. Er kannte Ludens eiserne Selbstbeherrschung und wußte, daß der Mann nicht so gefühllos war wie er sich gab. »Aber ich wünschte, ihr wärt nicht hier. Wieso habt ihr euch von dem Vortex einfangen lassen?«

Luden sagte förmlich: »Ich versichere dir, Berry, daß das ganz absichtlich geschehen ist. Seid ihr allein?«

»Wir haben noch zwei Mann im Gebäude mit dem Turm.«

»Nur zwei?« Luden schürzte die Lippen. »Dann holt sie. »Unser Aufenthalt hier ist begrenzt. .Ihr habt doch die Verbindung noch nicht unterbrochen?«

»Nein.«

»Gut, denn dann säßen auch wir hier fest. Der Strahl ist unsere einzige Rettungsmöglichkeit. Er muß natürlich abgeschaltet werden, aber erst wenn wir unterwegs sind. Sorgst du dafür, Penza? Wir haben Sprengstoff im Schiff - damit kennst du dich ja aus.«

Saratow runzelte die Stirn. »Müssen wir die Energie wirklich unterbrechen? Ich meine, bei uns ließe sich doch das betroffene Gebiet mit Bojen abstecken. Vielleicht könnten wir später sogar zurückkehren. Ich möchte mir die Anlagen hier gern einmal näher ansehen. Und wir haben uns noch immer nicht um die Gebäude gekümmert!«

»Wir haben keine andere Möglichkeit, als den Vortex zu vernichten«, sagte Luden. »Meine Forschungen haben ergeben, daß er in Bezug auf unser Universum nicht stationär ist. Die galaktische Drift läßt ein Planetensystem darauf zutreiben, und wenn er nicht vernichtet wird, trifft der Strahl vielleicht eine bewohnte Welt.«

»Wir bauen eine Zeitbombe«, sagte Scott hastig. »Wie viel Zeit haben wir?«

»Nur Minuten. Stellt den Zünder auf zehn Minuten ein. Das läßt uns Zeit, die anderen zu holen und den Rückflug zu beenden.« Luden fügte bedauernd hinzu: »Ich würde gern mitkommen, aber das wäre nicht klug.«

»Aber ich kann mit!« Chemile sprang auf. »Komm, Penza. Wir laufen um die Wette.«

Als sie das Schiff verlassen hatten, wobei der große Mann den Sprengstoff im Arm trug, fragte Scott: »Wie habt ihr das nur geschafft, Jarl?«

»Eure Nachricht hat mir den letzter Hinweis gegeben. Die Modulation basierte auf einer normalen Funkgeschwindigkeit aus unserem All, aber es ,gab da eine interessante Variation. Ich hatte die wahre Natur des Vortex bereits geahnt und eine vorläufige Methode zur Vermeidung des abrupten Beschleunigungsdrucks ausgearbeitet. In eurer Nachricht war von einem völligen Abzug der Energien die Rede, und das brachte mich auf die Lösung. Ich entwarf ein Überlagerungsfeld, das uns die ständige und völlige Kontrolle der MORDAIN sicherte. Ich gebe zu, daß unsere Ankunft ein wenig plötzlich kam. Ohne Veem hätten wir leicht abstürzen können. Aber es ist ja nun mal gut gegangen, und wir haben noch alle Energien.«

»Aufgrund des Feldes.«

»Ja. Zu den Nebenwirkungen des Vortex gehört es, alle elektronischen Energien abzusaugen. Nach deiner Meldung handelt es sich ja um den Teil eines Transportsystems. Energiemäßig wird ein Schiff dabei negativ gemacht. Es wird verschickt und wieder aufgeladen, wenn es über einer der Spiralen eintrifft. Dies würde ihm nur begrenzte Energien lassen, die aber für lokale Flüge und den Unterhalt der lebensversorgenden Systeme ausreichen. Das hieße natürlich auch, daß die Schiffe eine weitaus größere Frachtkapazität haben als unsere. Tatsächlich ist das System sehr vorteilhaft.«

Scott sagte geduldig: »Du hast von einer Zeitgrenze gesprochen. Dein Feld baut also langsam ab, ja?«

»Leider. Bei mehr Zeit hätte ich eine Art Rückkoppelung bauen können, die unsere Aufenthaltsdauer in diesem Universum verlängert hätte. Du wirst begreifen, warum ich soviel Zeit nicht hatte.«

Ein Understatement, dachte Scott. Er konnte sich die Hektik vorstellen, die an Bord der MORDAIN geherrscht hatte. Dann die Nachricht, und das Risiko mit den unerprobten Geräten. Der Sturz ins Unbekannte.

»Wo ist Penza?« fragte Luden nervös. »Ich hätte ihn nicht mit Veem losschicken sollen. Die beiden sind wahrscheinlich auf Souvernirjagd.«

»Sie kommen bestimmt gleich.«

»Manchmal benehmen sie sich wie Kinder.« Luden schüttelte den Kopf, als verzweifle er an dem unlogischen Verhalten seiner Freunde. »Ich kann zwar Neugier verstehen, doch nicht am falschen Ort. So geheimnisvoll Alpha-Null auch ist...«

»Alpha-Null?«

»Ja, der Name, den ich dieser Region gegeben habe. Es gibt ja womöglich noch andere Universen, aber dies ist das erste, das wir entdeckt haben. Wo bleiben die beiden denn?«

»Sie kommen ja schon.« Scott sah die Gestalten aus dem Gebäude eilen.

Troy, der Kapitän, die anderen dichtauf. Der große Mann trug Metallplatten in den Armen, Schaltkreise und Diagramme, die er im Maschinenraum von den Wänden gerissen hatte. Scott lächelte; Ludens Verdacht war richtig gewesen.

Sein Lächeln erstarb allerdings, als er in die Höhe blickte. Dort zeichnete sich plötzlich vör dem schimmernden Feuer des Himmels ein Schiff ab. »Beeilung!« brüllte er. »Veem! Penza! Lauft!«

»Das Schiff?« Luden starrte den Polyeder an, die stumpfen Kegel. »Ein außerirdisches Schiff?«

»Ja, und höchst gefährlich. Mach dich bereit, die Schleuse zu schließen. Veem soll die Kanonen bemannen. Nein!« Scott überlegte. Das Schiff war umgebaut worden; es gab vielleicht Kontrollen, die neu waren und die er in der kurzen Zeit nicht meistern konnte. »Ich schließe die Schleuse. Du übernimmst die Kontrollen. Bring uns hoch so schnell es geht!«

Troy kam als letzter an Bord. Er sank atemlos zu Boden, als Scott bereits die Schleuse dicht machte lind dem Kontrollraum das Klar-Zeichen gab. Als das Schiff aufstieg, rannte Berry zum Waffenturm. Die MORDAIN war mit Kanonen und Geschoßwerfern ausgerüstet. Der Geschützturm enthielt eine Groß-Dione und eine Schnellfeuerkanone. Er ließ sich in den Sitz fallen, aktivierte die Kontrollen und zielte auf das fremde Schiff, so daß es in die Mitte der Bildschirme rückte.

Es kam näher, schwenkte hoch, gewann an Höhe, und wie zuvor strömte grünes Feuer aus den Kegelstümpfen. Scott spürte eine gewaltige Erschütterung. Die MORDAIN zuckte zusammen, wie von einem riesigen Hammer getroffen. Er feuerte Raketengeschosse ab – ein Flammenfaden, der den Kanonenlauf verlängerte und gleich darauf das fremde Raumfahrzeug erreichte. Rote Flecke erblühten inmitten des Grüns, die Energie der Geschosse, die beim Aufprall explodierten, ohne allerdings die Außenwandung zu durchschlagen. Bei dem grünen Schimmer mußte es sich um eine Art Schirm halten.

»Veem!« Er hörte die Stimme des Professors über Bordlautsprecher. »übernimm hier! Ich muß mich um das Überlagerungsfeld kümmern!«

Ein denkbar schlechter Augenblick, um die Kontrollen abzugeben, aber Luden hatte sicher seine Gründe. Wieder erbebte die MORDAIN, scherte aus, behäbig, als werde ihr die Energie entzogen. Erneut feuerte Scott, diesmal mit der Dione.

Eine Handwaffe konnte ein Tier von der Größe eines Pferdes töten und einen Mann zu einem ‚glühenden Aschehaufen machen. Die Kanone der MORDAIN vermochte mit einem einzigen Schuß ein ganzes Haus niederzulegen.

Frische Flammen zuckten drüben auf. Ein immer größer werdender Fleck, der am Metall fraß und es zu Schmelzbächen zerfließen ließ. In die Wunde schickte Scott neue Explosivgeschosse und' ließ einen zweiten Schuß der Dione nachfolgen. Auf dem Schirm wurde das andere Schiff plötzlich größer, verging in einer schimmernden Dampfwolke, ' wurde ein Fleck vor den Silbermonden des Himmels.

»Erwischt!« brüllte Penza. Er hatte den Kampf am Wachschirm des Geschoßwerfers beobachtet, ohne auf diese kurze Entfernung Atomwaffen einsetzen zu können. »Eins zu Null für uns, Berry! Die HEDLANDA ist gerächt!«

»Veem!« Ludens Stimme war gepreßt und voller Angst. »Volle Kraft, Mann! Schnell wieder in den Strahl! Beeil dich!«

Die Zeit wurde knapp. Der Kampf hatte zu lange gedauert und zuviel Energie gekostet. Scott ließ sich aus dem Geschützturm fallen und eilte zu Luden, der vor einer komplizierten Kontrollkonsole stand. Die Installation war grob zusammengeschustert, die Schaltkreise lagen offen, zeugten von verzweifelter Eile.

»Gibt es Ärger, Jarl?«

»Das Feld bricht zusammen, und wir fliegen noch nicht schnell genug. Wenn die Bombe explodiert, ehe wir unser eigenes Universum erreichen, fallen wir vielleicht wieder nach Alpha-Null zurück.«

»Kann ich irgendwie helfen?«

»Nein. Wir können nur abwarten.« Luden starrte auf die Zeiger seines Chronometers, auf die Nadeln verschiedener Instrumente. »Wir hatten einen Sicherheitsfaktor eingeplant, den uns das andere Schiff aber genommen hat. Der Angriff hat uns nicht nur Energie gekostet, sondern auch eine Disharmonie im Resonanzfeld hervorgerufen.« Luden atmete tief ein. »Jetzt!«

Es wurde dunkel im Schiff.

Es war ein plötzliches und absolutes Fehlen von Licht.

Und mit dem Licht erstarben auch alle Geräusche. Scott stand im Nichts, blind, taub, völlig von der MORDAIN und ihrem Mikrokosmos gelöst. Er spürte nichts mehr unter den Stiefeln, unter den vorgestreckten Händen, falls er überhaupt Stiefel oder Hände hatte. Plötzlich wußte er das nicht mehr sicher. Er spürte überhaupt nichts mehr, nicht mehr das Gewicht seiner Kleider am Leibe, das Pulsieren seines Blutes oder den Lufthauch in seinen Lungen. Auch sein Herz schlug nicht mehr. Er atmete nicht. Nur sein Gehirn blieb bei vollem Bewußtsein.

Das Ganze dauerte eine Sekunde lang oder eine Ewigkeit - er wußte es nicht.

Und dann kehrte das Licht zurück, ein sanfter Schimmer, der schnell heller, normaler wurde. Zugleich waren wieder leise Geräusche zu hören, sein Herzschlag, sein Atem. Er spürte das Hemd am Leib, den Druck des Decks unter seinen Füßen. Luden neben ihm hatte sich nicht bewegt. »Das Nichts«, hauchte er, »Jarl, wir waren im Nichts.«

»In der Region zwischen den Universen«, sagte der Professor. Er schluckte langsam. Sein Gesicht war hager, ausgezehrt, seine Augen schienen unsagbare Schrecken gesehen zu haben. »Ein Ort, in dem logischerweise nichts existieren kann. Wir hätten dort eine Ewigkeit treiben können, erstarrt, ohne Gefühl, ohne Bewußtsein.«

Scott hörte Stimmen - Penza, Troy den Kapitän, Veems erleichterten Ruf.

»Sterne! Unser Heimatuniversum! Wir sind durch, Berry. Wir sind zu Hause!«

»Gott sei Dank«, sagte Luden und schüttelte den Kopf. Schnell gewann er seine Beherrschung wieder. »Es hätte auch leicht andersherum sein können. Weniger Bewegungsmoment, und AlphaNull hätte uns zurückgeholt. Aber wir gehören nun mal in dieses Universum und wurden herübergezogen. Und wie Veem schon sagte -jetzt sind wir zu Hause.«

Zu Hause zwischen vertrauten Sternen, zu Hause in einer Galaxis, in der sich leben ließ und die zu erforschen war. Zu Hause mit einem Frieden, der erhalten werden mußte, mit Terra, das der Verteidigung bedurfte. Und mit zahlreichen Fragen, die noch offen waren, mit Problemen, die auf eine Lösung warteten.

Und eines Tages würde es diese Lösung geben.

 

Ende

Commander Scott 01 - Galaxis der Verlorenen
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