Den nächsten Tag erlebte Steffi wie durch einen Schleier. Sie war gar nicht sie selbst, alles was sie machte verlief völlig automatisch, wie bei einem Roboter. Ständig kreisten zwei Gedanken durch ihren Kopf, die abwechselnd die Oberhand hatten: Verfilmung – Katrin, Verfilmung – Katrin, Katrin – Verfilmung.

Als sie gegen Mittag auf dem Sofa erwachte, lag sie mit brummendem Schädel da, starrte an die Decke und fragte sich, warum sie denn nicht im Bett war? Ganz langsam fiel ihr dann die letzte Nacht ein, wie sie mit Luca unterwegs war und heftig gefeiert hatte. Und ganz langsam kam auch die Erinnerung daran, warum sie so gefeiert hatten.

Die Verfilmung!

Oder hatte sie das alles nur geträumt?

Ächzend setzte sie sich hin. Die Welt um sie herum drehte sich, und Steffi musste sich heftig an den Lehnen des Sofas festkrallen, aus Angst, runter zu fallen. Als sich ihr Privatkarussell so einigermaßen beruhigt hatte, dachte sie noch einmal angestrengt nach, um den vorigen Tag rekonstruieren zu können.

Da war die Verabredung mit Luca zum Shoppen, sie hatte verschlafen und Luca holte sie ab. Das Shoppen konnte aber nicht stattfinden, da Luca einen wichtigen Anruf bekam und in die Agentur musste.

Richtig! Der Anruf!

Dann kamen Nadine und Katrin zu Besuch.

Katrin, die reizende Frau die ihr zum Abschied einen Kuss gab, und die am heutigen Abend noch einmal vorbeikommen würde.

Und dann das Essen mit Luca, und die bombastische Nachricht! Die Verfilmung ihres Romans.

Nun konnte sich Steffi auch wieder an alles erinnern. Jubelnd sprang sie auf, mit der Absicht, einen Freudentanz aufzuführen, was allerdings keine allzu gute Idee war. Sie hatte ihre körperliche Verfassung etwas überschätzt und landete ziemlich unsanft mit dem Hintern auf dem Boden. Um sie herum drehte sich alles, doch das war jetzt Scheißegal. Auf dem Boden sitzend streckte sie die Arme in die Höhe und jauchzte vor Freude.

Im Bruchteil einer Sekunde schossen ihr alle Namen derer durch den Kopf, denen sie diese Neuigkeit unbedingt mitteilen musste. Aber, bevor sie jemanden anrufen konnte, wäre es durchaus angebracht, erst einmal einen halbwegs klaren Verstand zu bekommen. Mit einer kalten Dusche, starkem Kaffee und einem kräftigen Frühstück fühlte sie sich auch schon fast wie neugeboren.

Als erste rief sie ihre Eltern an.

Die versicherten ihr immer wieder gewusst zu haben, dass sie es einmal zu etwas bringen würde.

(Komisch, genau dasselbe hatten sie auch bei der Veröffentlichung ihres ersten Buches gesagt, wo sich Steffi schon gefragt hatte, warum sie ihre Tochter in die Ausbildung zur Arzthelferin drängen wollten, wenn sie doch gewusst hatten, das aus ihr mal was werden würde. Eltern! Sie gehen oftmals unerklärliche Wege!).

Als nächstes versuchte sie ihren Bruder zu erreichen, hatte aber nur seinen Anrufbeantworter an der Strippe. Der sollte die Neuigkeiten also erst später erfahren.

Dann rief sie Nadine über deren Handy an und erwischte sie auf irgendeiner Baustelle. Nadine flippte völlig aus, konnte es kaum fassen, schrie immer wieder hysterisch ins Handy (was mögen wohl die armen Bauarbeiter gedacht haben? Ihren guten Ruf hatte sie jetzt bei denen bestimmt versaut) und gratulierte und schrie und gratulierte und so weiter.

Mark, ihr Sandkastenkumpel, nahm diese Nachricht völlig gelassen auf und war ein bisschen enttäuscht, weil nicht Julia Roberts die Hauptrolle spielen sollte.

Schließlich waren alle Telefonate erledigt, und Steffi legte sich wieder auf das Sofa, um ihrer Phantasie freien Lauf zu lassen. Erneut kreisten ihre Gedanken nur um die Verfilmung und um Katrin, die sie in wenigen Stunden sehen würde. Ein wohliges Kribbeln machte sich in ihrem Bauch bemerkbar, als sie Katrins Gesicht vor Augen hatte. So träumend und furchtbar faul blieb sie auch liegen, bis es Zeit wurde sich fertig zu machen.

Katrin kam pünktlich auf die Minute und überraschte Steffi mit einer Tasche voller Videofilme, Knabberzeugs und Champagner.

Oh, nein, seufzte Steffi innerlich, als sie die Champagnerflaschen sah und an ihren noch immer ramponierten Schädel dachte. Nicht schon wieder dieses Zeugs.

„Ich hoffe, du hast nichts gegen einen Videoabend einzuwenden bevor wir noch auf die Piste gehen?“, fragte Katrin schnell, als sie Steffis besorgtes Gesicht sah. „Also, wenn du lieber irgendwo was essen möchtest, oder zu was anderem Lust hast, kein Thema, können wir auch machen.“

Steffi hatte absolut nichts dagegen. Keinesfalls. Sie war sogar ziemlich angetan von dem Gedanken, neben Katrin auf dem Sofa zu sitzen und sie hin und wieder unbemerkt zu beobachten.

„Aber, erst einmal Herzlichen Glückwunsch.“ Katrin gab der immer noch völlig überraschten Steffi einen erstaunlich langen Kuss auf die Wange. „Nadine hat mir von der Verfilmung erzählt. Da haben wir ja richtig was zu feiern.“ Noch bevor Steffi etwas erwidern konnte packte Katrin schon die Tasche aus. Verwundert sah Steffi zu, wie selbstverständlich sich Katrin in dieser, ihr bisher noch fremden Wohnung, bewegte. Sie setzte sich auch nicht auf das Sofa, sondern davor und klopfte mit der flachen Hand auf den Platz neben sich.

„Komm mal her. Ich habe von allem etwas mitgebracht. Weil ich ja nicht wusste, was du gerne siehst. Wozu hast du Lust. Action, Thriller, Lovestory …” „Welche Lovestory hast du denn da?“

„When night is falling und Desert Hearts.”

Steffi schmolz dahin. Das waren ihre allerliebsten lesbischen Lieblingsfilme. Katrin hatte eindeutig Geschmack.

„Wie wäre es mit „When night is falling“? Das ist doch ein wunderbar erotischer Schmachtfetzen. Genau das richtige für heute Abend.“ Ups, Steffi wurde rot. Was hatte sie da gesagt? Die beiden kannten sich doch kaum, und ihre Gedanken pendelten schon in eine eindeutig zweideutige Richtung. Was sollte Katrin von ihr denken? Katrin jedoch blieb cool und legte den Film ohne jeglichen Kommentar ein. Dann setzte sie sich unmittelbar neben Steffi. Ihre Armen berührten sich. Mit Absicht? Konnte Steffi nicht sagen, aber sie genoss diese Berührung. So nah neben Katrin kam Steffi ganz schön in Wallungen. Doch aus ihrem anfangs vorgenommenen, heimlichen Beobachten, wurde nichts. Katrin nämlich drehte ganz frech den Spieß um und beobachtete sie immer wieder ganz ungeniert. Es schien ihr auch gar nichts auszumachen, dass Steffi das bemerkte. Ganz im Gegenteil. So wie es aussah, gefiel es ihr sogar. Steffi wusste überhaupt nicht wohin mit ihrer Nervosität. Diese Katrin verfügte wirklich über ein ausgesprochen ausgeprägtes Selbstbewusstsein, was Steffi irgendwie sehr anziehend fand.

Also gut, dachte sie sich. Jetzt kannst du was erleben. Mich so in Verlegenheit zu bringen. Bei passender Gelegenheit sah sie Katrin provokant in die Augen und schmiss ihr grinsend und mit hochgezogenen Augenbrauen eine Ladung Chips ins Gesicht. Katrins überraschtes Gesicht war Gold wert. Regungslos saß sie da, und Steffi dachte schon, sie wäre jetzt vielleicht doch etwas zu weit gegangen und Katrin sei sauer. Sie wollte sich gerade bei ihr entschuldigen, als Katrin die Gummibärentüte über Steffis Kopf ausschüttete und wild zu kichern anfing.

Der Film war vergessen, und eine unglaubliche aber ziemlich lustige Schlacht im Gange, bei der auch vor randgefüllten Wassergläsern - hektisch aus Küche und Bad geholt - nicht Halt gemacht wurde.

Als sie beide nach einigen Minuten lachend auf dem Fußboden saßen, sah Steffi skeptisch an sich und an Katrin hinunter.

„Ich schätze, so können wir beide aber nicht weggehen. Es sei denn, wir bringen glaubwürdig rüber, dieser Wet and Chips Look sei trendy und der letzte Schrei.“

„Ob uns das gelingen wird? Ich wage es zu bezweifeln.“

„Ja, ich auch. Und nun?“

„Wenn du für mich vielleicht was zum Anziehen hättest, und ich mich bei dir etwas waschen könnte, könnten wir hier zumindest einigermaßen zivilisiert zusammen sitzen. Na ja, und wenn ich meine Klamotten ein wenig auswasche und sie eine Weile trockne, könnten wir später auch noch zusammen weggehen.“

„Da vorne ist das Schlafzimmer, also ich meine, da steht der Kleiderschrank. Bedien dich einfach! Wo das Bad ist weißt du ja noch, oder?“

Steffi war hin und weg, als Katrin sauber und in Steffis blauem Schlabberpulli wieder rauskam. Sie sah aber auch zum Anknabbern süß aus. Zum Videogucken hatten sie nun allerdings keine Lust mehr.

Sie setzten sich auf einen einigermaßen trockenen Platz auf den Teppich und unterhielten sich angeregt bei einer weiteren Flasche Champagner. Dort blieben sie dann auch, bis tief in die Nacht. Keine von beiden dachte noch daran, dass sie ja eigentlich weggehen wollten.

„Himmel, es ist schon fast 3 Uhr“, rief Katrin plötzlich aus.

„Musst du nach Hause?“

„Nein, das nicht! Aber vielleicht möchtest du ja schlafen gehen. Es war gerade so nett mit dir, deshalb habe ich gar nicht auf die Zeit geachtet. Wenn du schlafen gehen möchtest, sag es, dann gehe ich sofort nach Hause. Meine Klamotten sind bestimmt auch schon lange trocken.“

Steffi schüttelte den Kopf.

„Ins Bett möchte ich noch nicht, und ich würde es echt nett finden, wenn du noch bleibst. Es ist schön, so mit dir zusammen zu sein und zu reden.“

Katrin sah Steffi intensiv in die Augen.

„Ja, das finde ich auch.“ Ihr Flüstern war kaum zu hören. Steffi wurde ganz schwindelig als Katrin sich vorbeugte und ihr einen vorsichtigen Kuss gab. Als sie merkte, dass Steffi ihren Kuss erwiderte, öffnete sie leicht ihre Lippen und wurde fordernder. Mit einem Seufzer ließen sie sich auf den Teppich zurückfallen.

In dieser Nacht ging Katrin nicht mehr nach Hause.