Elftes Capitel.

Die erste Landung im malayischen Archipel.

Nach einer Fahrt von zweiundzwanzighundert Meilen oder vierzigtausend Kilometern kam der »Dolly-Hope« in Sicht des Gebirges Mouna-Kea, das sich fünfzehntausend Fuß hoch auf der Insel Hawaï, der südlichsten der Sandwichgruppe erhebt.

Diese Gruppe besteht außer fünf großen und drei kleinen Inseln noch aus einer Anzahl von Inselchen, wo man nach dem »Franklin« gar nicht erst zu suchen brauchte. Es war augenscheinlich, daß dieser Schiffbruch längst bekannt geworden wäre, wenn er an den zahlreichen Klippen dieses Archipels, wie an denen von Medo-Manou stattgefunden hätte, obwohl diese nur von zahlreichen Seevögeln bewohnt sind. In der That sind die Sandwichinseln dicht bevölkert – die Insel Hawaï hat allein hunderttausend Bewohner – und Dank den französischen, englischen und amerikanischen Matrosen, die sich auf diesen Inseln aufhalten, hätte die Nachricht von diesem Unglücke bald nach San-Diego gelangen müssen.

Außerdem trafen sich vor vier Jahren, wo der Capitän Ellis dem »Franklin« begegnete, die beiden Schiffe schon jenseits der Sandwichinseln. Der »Dolly-Hope« setzte daher seinen Weg gegen Südwesten durch jenen prächtigen Theil des Stillen Oceans fort, der während einiger Sommermonate hier wirklich seinen Namen verdient.

Sechs Tage später hatte der schnelle Dampfer die Linie überschritten, welche die Geographen vom Süden zum Norden zwischen Polynesien und Mikronesien ziehen. Auch in dem östlichen Theile der polynesischen Gewässer hatte der Capitän nichts zu thun; aber jenseits desselben, in den Gewässern von Mikronesien, wimmelte es von Inselchen, Felsen und Klippen, und hier fiel dem »Dolly-Hope« die gefährliche Aufgabe zu, nach einem Schiffbruche Ausschau zu halten.

Am 22. August legte man in Otia an, der wichtigsten Insel der Marschallgruppe, die im Jahre 1817 von Kotzebue und den Russen besucht wurde. Diese Gruppe, welche sich dreißig Meilen von Osten nach Westen und dreizehn Meilen von Norden nach Süden erstreckt, besteht aus nicht weniger als fünfundsechzig Inselchen.

Der »Dolly-Hope«, welcher mit Leichtigkeit seinen Wasservorrath in einigen Stunden an dieser Insel hätte aufnehmen können, hielt sich doch fünf Tage auf. Mit Hilfe seiner Dampfschaluppe konnte sich der Capitän Ellis überzeugen, ob in den letzten vier Jahren auf diesen Rissen ein Schiff gescheitert sei. Man stieß zwar entlang der Mulgraveinseln auf viele Trümmer, doch das waren nur Tannen-, Palmen-und Bambusstämme, welche die Strömung von Norden oder Süden hierhergetragen hatte und die von den Eingeborenen zu ihren Booten benutzt wurden. Der Capitän Ellis erfuhr von dem Gouverneur der Insel Otia, daß man seit dem Jahre 1872 nur von dem Untergange eines einzigen Schiffes gehört habe, und das war eine englische Brigg, deren Mannschaft auch später heimkehrte.

Als der »Dolly-Hope« den Marschall-Archipel verlassen hatte, nahm er seine Richtung gegen die Carolinen. Im Vorüberfahren landete die Schaluppe auf der Insel Oualam, deren Durchforschung von keinem Erfolge begleitet war. Am 3. September fuhr der Dampfer in den großen Archipel ein, der sich zwischen dem 12. Grade nördlicher Breite und dem 3. Grade südlicher Breite einerseits, und zwischen dem 29. Grade östlicher Länge und dem 170. Grade westlicher Länge andererseits, also zweihundertfünfundzwanzig Meilen nördlich und südlich von dem Aequator und tausend Meilen von Westen nach Osten ausdehnt.

Der »Dolly-Hope« blieb drei Monate in den Gewässern der Carolinen, die seit den Forschungen Lütke’s, des berühmten russischen Seefahrers, und denen der Franzosen Duperrey und Dumont d’Urville genügend bekannt sind. Man durchsuchte auch dann noch die hauptsächlichsten Gruppen, die diesen Archipel bilden, so die Peliou-, die Märtyrer-, die Matrosen-, die Saavedra-, die Sonsorol-, die Mariera-, die Anna-, die Lord-North-Inseln u. a. m.

Der Capitän Ellis hatte als Ausgangspunkt seiner Nachforschungen Yap oder Gouap gewählt, das zu den Carolinen im engeren Sinne gehört, welche ungefähr 500 Inseln umfassen. Von hier aus fuhr der Dampfer zu den entferntesten Punkten. Von wie viel Schiffbrüchen ist dieser Archipel der Schauplatz gewesen! So der »Antilope« im Jahre 1793 und des amerikanischen Capitäns Barnard bei den Mortz-und Lord-North-Inseln im Jahre 1832.

Während dieser ganzen Zeit war die Haltung der Matrosen eine musterhafte. Keiner von ihnen kümmerte sich weder um die Gefahren, noch um die Strapazen, die ihnen aus den Fahrten in diesen unheilvollen Gewässern erwuchsen. Dazu kam auch noch, daß jetzt die Jahreszeit anbrach, wo hier so häufig furchtbare Stürme wüthen.

Wenn die Matrosen ans Land gingen, so waren sie gut bewaffnet, denn es handelte sich hier nicht darum, Nachforschungen anzustellen, die denen glichen, die zur Auffindung des Admirals Franklin unternommen wurden, d. h. in öden Gegenden. Diese Inseln waren meistens bewohnt, und die Aufgabe des Capitäns Ellis bestand besonders darin, so vorzugehen, wie es Entrecasteaux that, als er die Inseln durchsuchte, wo man glaubte, daß Lapérouse verloren gegangen sei. Vor Allem war es wichtig, sich mit den Eingeborenen ins Einvernehmen

 

Wenn die Matrosen ans Land gingen, so waren sie gut bewaffnet. (S. 111.)

Wenn die Matrosen ans Land gingen, so waren sie gut bewaffnet. (S. 111.)

 

zu setzen. Die Mannschaft des »Dolly-Hope« wurde oft von Völkerschaften feindlich empfangen, die durchaus nicht in dem Rufe standen, gegen die Fremden gastfreundlich zu sein. Sie wurden angegriffen, und man mußte sich mit den Waffen vertheidigen. Zwei oder drei Matrosen wurden sogar verwundet, was aber glücklicherweise von keinen schlimmen Folgen begleitet war.

Aus dem Archipel der Carolinen konnte der Capitän Ellis die ersten Briefe an Mrs. Branican schicken, da von hier Schiffe nach Amerika fuhren. Aber sie enthielten nichts Positives über eine Spur des »Franklin« oder der Schiffbrüchigen.

Die Nachforschungen sollten dann noch im Westen vorgenommen werden, wo man auf den zahlreichen Inseln eher eine Spur zu finden hoffte.

Am 2. September erreichte der »Dolly-Hope« eine der großen Philippinen, die wichtigste der malayischen Gruppe. Diese Gruppe wurde im Jahre 1521 von Magellan entdeckt und erstreckt sich vom 5. bis zum 21. Grade nördlicher Breite und vom 114. bis zum 123. Grade östlicher Länge.

Der »Dolly-Hope« wollte sich nicht bei der Insel Luçon, die auch Manilla heißt, aufhalten. Wie konnte man annehmen, daß der »Franklin« so hoch hinauf in das Chinesische Meer gefahren sei, da er doch die Route nach Singapore hatte. Aus diesem Grunde fuhr der Capitän Ellis zur Insel Mindanao, südlich von genanntem Archipel, d. h. gerade auf den Weg, den John Branican nehmen mußte, um in das Javanische Meer zu kommen. Um diese Zeit lag der »Dolly-Hope« im südöstlichen Theile der Insel, in dem Hafen von Zamboanga, der Residenz des Gouverneurs, vor Anker.

 

Die Wogen brachen sich mit solcher Wuth, daß das Schiff furchtbare Stöße erhielt. (S. 116.)

Die Wogen brachen sich mit solcher Wuth, daß das Schiff furchtbare Stöße erhielt. (S. 116.)

 

Mindanao zerfällt in zwei Theile, in einen spanischen und in einen unabhängigen unter der Herrschaft eines Sultans, der Selangan zu seiner Hauptstadt gemacht hat.

Capitän Ellis zog zunächst bei dem Gouverneur und den Alcaden Erkundigungen ein, ob nicht in der Nähe von Mindanao ein Schiff gesunken sei. Die Behörden stellten sich ihm bereitwilligst zur Verfügung, aber in dem spanischen Theile von Mindanao war seit fünf Jahren nichts von einem Schiffsunfalle gehört worden.

Freilich konnte an den Küsten des unabhängigen Theiles der Insel, die von den Mindanaern, Caragos, Loutas, Soubanis und anderen, in dem Verdachte des Cannibalismus stehenden Völkern bewohnt waren, alles mögliche geschehen, ohne daß man etwas davon erfuhr. Unter jenen Malayen giebt es sogar viele, die in dem Rufe standen, Seeräuber zu sein. Diese machen mit ihren kleinen Kähnen Jagd auf die großen Handelsschiffe, die die Stürme gegen ihre Küste treiben, und wenn sie sich derselben bemächtigen, so zerstören sie dieselben. Wie leicht konnte ein solches Unglück auch dem »Franklin« zugestoßen sein, ohne daß der Gouverneur etwas davon wußte. Die wenigen Auskünfte, die er über den ihm unterstehenden Theil der Insel geben konnte, waren ganz ungenügend.

Der »Dolly-Hope« hatte in diesen Gewässern auch mit der rauhen Jahreszeit zu kämpfen. Manchmal landete man an mehreren Punkten und die Matrosen wagten sich dann in jene herrlichen Bambus-und Ebenholzwälder, die den Reichthum der Philippinen bilden. Inmitten der fruchtbaren Landschaften, wo sich die Erzeugnisse der gemäßigten Zone mit denen der tropischen mengen, besuchten Ellis und seine Leute verschiedene Dörfer, indem sie hofften, hier einige Anhaltspunkte, wie Schiffstrümmer oder Gefangene, zu finden; aber ihre Bemühungen waren fruchtlos und der Dampfer mußte wieder nach Zamboanga zurückkehren, nachdem er sehr unter der Ungunst der Witterung gelitten hatte und nur wie durch ein Wunder den Untiefen und Klippen entgangen war.

Die Durchsuchung der Philippinen dauerte nicht weniger als zwei Monate; hierauf fuhr man zu den Bassilaninseln, südlich von Zamboanga, und dann gegen den Archipel von Holo, wo man am 25. Februar 1880 ankam.

Da war ein förmliches Piratennest, dessen Eingeborne inmitten der zahlreichen mit Dschungeln dicht bedeckten Inseln umherschweifen, die zwischen der Südspitze Mindanaos und der Nordspitze Borneos zerstreut sind. Von hier fuhr man auf Bevouan zu, wo vielleicht der Sultan, der eine Bevölkerung von ungefähr sechstausend bis siebentausend Einwohnern beherrschte, einige Auskunft geben konnte. Ellis scheute keine Geschenke, weder in Geld, noch in Naturalien. Die Eingeborenen machten ihn dann auf verschiedene Schiffbrüche aufmerksam, deren Schauplatz diese korallenreichen Gewässer gewesen waren.

Aber unter all den Schiffstrümmern, welche gesammelt worden waren, fanden sich keine, die dem »Franklin« hätten gehören können. Uebrigens waren die betreffenden Schiffbrüchigen zu Grunde gegangen oder längst heimgekehrt.

Dem »Dolly-Hope« blieb, da Kohlenmangel eintrat, nun nichts weiter übrig, als nach den Maratoubasinseln zu fahren, um in den Hafen Bandger-Massing, im Süden von Borneo, zu kommen.

Der Capitän Ellis fuhr in dieses Meer, welches wie ein See von den großen Malayischen Inseln und einem Gürtel von Inselchen umgeben ist. Das Meer von Celebes ist trotz dieser natürlichen Hindernisse schlecht gegen die Wuth der Stürme geschützt, und wenn man auch die Farbenpracht seiner Gewässer rühmen kann, die von Zoophyten in den glänzendsten Farben und von tausenderlei Mollusken wimmeln, und die Phantasie der Seefahrer sie sogar mit einem Beete flüssiger Blumen verglichen hat, so werfen doch die Wirbelstürme, die hier hausen, einen Schatten auf das wunderbare Bild.

Der »Dolly-Hope« mußte diese Erfahrung in der Nacht vom 28. zum 29. September machen. Während des Tages war der Sturm nach und nach gestiegen, und obgleich er sich am Abend ein wenig gelegt hatte, so konnte man doch aus den mächtigen Wellen, die sich am Horizonte aufthürmten, auf eine sehr unruhige Nacht schließen.

Und wirklich brauste gegen elf Uhr der Orkan mit einer solchen Heftigkeit einher, daß sich das Meer in einer furchtbaren, selten dagewesenen Aufregung befand.

Der Capitän Ellis, mit Recht um die Maschine des »Dolly-Hope« besorgt, wollte jedem Unfalle, der seiner Fahrt verderblich werden konnte, vorbeugen. Er ließ daher die Schraube nur gerade so schnell in Bewegung setzen, als es nöthig war, damit das Schiff dem Steuer gehorchte.

Trotz dieser Vorsichtsmaßregeln brachen sich die Wogen mit einer solchen Wuth, daß das Schiff furchtbare Stöße erhielt. Mehrmals stürzten hunderte Tonnen Wassers auf das Verdeck und füllten alle Räumlichkeiten. Aber die fest geschlossenen Luken widerstanden dem furchtbaren Anpralle des Wassers und hielten es auf, in den Heiz-und Maschinenraum zu dringen. Das war ein Glück, denn wenn das Feuer erlosch, so war der »Dolly-Hope« waffenlos dem Wüthen der Elemente verfallen, und gehorchte er nicht mehr dem Steuer, so wurde er auch von der Seite her angegriffen und war dann verloren.

Die Mannschaft zeigte in dieser furchtbaren Lage ebensoviel Kaltblütigkeit wie Muth. Sie führte rasch die Befehle ihres Commandanten und ihrer Officiere aus und sie war würdig des Capitäns, der sie aus den besten Matrosen von San-Diego gewählt hatte. Das Schiff wurde durch die schnelle, geschickte Ausführung der einzelnen Befehle gerettet.

Nach einem Kampfe von fünfzehn Stunden mit dem wüthend gepeitschten Meere legte sich der Sturm; man kann sagen, er fiel plötzlich in der Nähe der Insel Borneo, und das Schiff hatte am Morgen des 2. März die Maratoubainseln in Sicht. Diese Inseln, welche in geographischer Beziehung zu Borneo gehören, wurden in den ersten vierzehn Tagen des März mit einer außerordentlichen Genauigkeit durchforscht. Dank den Geschenken, welche nicht gescheut wurden, betheiligten sich die Eingeborenen an allen Nachforschungen. Aber es war unmöglich, nur den geringsten Anhaltspunkt über das Verschwinden des »Franklin« zu entdecken. Da diese malayischen Gewässer sehr oft von Piraten heimgesucht werden, so konnte man die Befürchtung hegen, daß John Branican und seine Leute ermordet worden seien.

Eines Tages sprach der Capitän Ellis mit seinem Officier über diese Möglichkeit und sagte.

»Es ist möglich, daß das Verschwinden des »Franklin« mit einem solchen Angriffe zusammenhängt. Deshalb würde es sich erklären, daß wir bisher nicht den geringsten Anhaltspunkt über den Schiffbruch erlangt haben. Diese Piraten rühmen sich eben nicht ihrer Thaten. Wenn ein Schiff verschwindet, so schreibt man es ganz einfach dem Typhon zu und Alles ist gut!

– Sie haben nur allzu recht, Capitän, bemerkte der zweite Officier. Die Piraten sind in diesen Gewässern sehr zahlreich und sogar wir müssen unsere Wachsamkeit verdoppeln, wenn wir die Meerenge von Mahkassar passiren werden.

– Ohne Zweifel, erwiderte der Capitän, aber wir sind in einer besseren Lage als John Branican und können ihnen leicht entrinnen. Mit so unregelmäßigen und wechselnden Winden hat ein Segelschiff immer viel zu thun; so lange aber unsere Maschine arbeitet, können uns diese Malayen nicht einholen. Nichtsdestoweniger empfehle ich die größte Vorsicht.«

Der »Dolly-Hope« fuhr in die Meerenge von Mahkassar ein, welche Borneo von Celebes trennt. Durch zwei Monate – vom 15. März bis zum 15. Mai – untersuchte der Capitän, nachdem er seinen Kohlenvorrath im Hafen von Damaring ergänzt hatte, alle Buchten und Einschnitte im Osten.

Die Insel Celebes, welche von Magellan entdeckt wurde, hat nicht weniger als hundertzweiundneunzig Meilen Länge und fünfundzwanzig Meilen Breite. Sie hat eine so eigenthümliche Gestalt, daß einige Geographen sie mit einer Tarantel verglichen haben, deren große Füße, welche Halbinseln bilden, ausgestreckt sind. Der landschaftliche Reiz, der Reichthum ihrer Producte, die glückliche Lage ihrer Gebirge wetteifern mit denen von Borneo.

Aber ihre zerklüftete Küste bietet den Piraten ausgezeichnete Schlupfwinkel, so daß hier den Schiffen die größten Gefahren erwachsen.

Trotzdem setzte Ellis mit peinlichster Genauigkeit seine Nachforschungen fort. Nachdem er seine Kessel ordentlich hatte heizen lassen, besichtigte er die Küste mit den Booten, immer bereit, bei der geringsten Gefahr sofort an Bord zurückzukehren.

Als das Schiff sich dem südlichen Theile dieser Meerenge näherte, war die Gefahr keine so große mehr. Dieser Theil von Celebes steht ja unter holländischer Herrschaft.

Die Hauptstadt dieser Besitzungen ist Mahkassar, früher Wlaardingen, die von dem Fort Rotterdam geschützt wird. Hier landete der Capitän Ellis am 17. Mai, um seiner Mannschaft ein wenig Ruhe zu gönnen. Wenn er hier auch nichts vernahm, was ihn auf die Spur des »Franklin« hätte führen können, so erhielt er doch in diesem Hafen eine höchst wichtige Nachricht: Am 3. Mai 1875 war dieses Schiff in einer Entfernung von zehn Meilen von Mahkassar in der Richtung nach dem Javanischen Meer gesehen worden. Es war daher mit Bestimmtheit anzunehmen, daß es nicht in den furchtbaren malayischen Gewässern gescheitert war. Also jenseits von Borneo und Celebes, d. h. im Javanischen Meere, mußte man die Nachforschungen fortsetzen, und zwar bis nach Singapore selbst.

In einem Briefe, den er über diese wichtige Nachricht sofort an Mrs. Branican absandte, erneuerte er sein Versprechen, sie von den Untersuchungen im Javanischen Meere und zwischen den Sundainseln auf dem Laufenden zu halten.

Und es war auch wirklich schon von vornherein bestimmt gewesen, daß der »Dolly-Hope« nicht den Meridian von Singapore überschreite, der also die äußerste Grenze nach Westen bilden sollte. Bei der Rückfahrt sollte er dann noch die südlichen Gestade des Javanischen Meeres durchsuchen und die Inselgruppe, welche hier die Grenze bildet, durchforschen; dann sollte er durch die Molukken wieder in den Stillen Ocean fahren und nach Amerika zurückkehren.

Der »Dolly-Hope« verließ am 23. Mai Mahkassar, fuhr den südlichen Küsten der Meerenge, welche die Insel Celebes von der Insel Borneo trennt, entlang und landete in Bandger-Massing. Hier residiert der Gouverneur von Borneo oder vielmehr von Kalematan, um schon den richtigen geographischen Namen zu nennen. Die Schiffsregister wurden hier mit der größten Genauigkeit durchgesehen, doch konnte man nirgends finden, daß der »Franklin« signalisiert worden wäre.

Zwei Tage später fuhr das Schiff südwestlich weiter und warf in dem Hafen von Batavia Anker, an der äußersten Spitze jener großen Javanischen Insel, die vulcanischen Ursprunges ist und fast noch immer thätige feuerspeiende Berge hat.

Einige Tage genügten der Mannschaft, die Vorräthe in dieser großen Stadt zu ergänzen, welche der Hauptort der holländischen Besitzungen in Oceanien ist. Auch der Generalgouverneur konnte nicht die geringste Mittheilung über das Schicksal des »Franklin« machen. In dieser Zeit ging die Meinung der Seeleute von Batavia dahin, daß der amerikanische Dreimaster in einen Wirbelsturm gerathen und mit Mann und Maus untergegangen sei. In den ersten sechs Monaten des Jahres 1875 ging eine große Anzahl von Schiffen verloren, von denen man nichts mehr gehört hatte, und die so verschwunden waren, daß nicht die geringsten Trümmer an die Küste gespült wurden.

Das Schiff verließ Batavia, ließ die Sunda-Meerenge, welche das Javanische Meer mit dem von Timor verbindet, backbord und fuhr dann auf die Inseln Billitow und Bangha zu. Ehemals war das Anlaufen der Schiffe, die hier Eisen und Zinn faßten, wegen der Piraten mit steten Angriffen verbunden, aber die Seepolizei vernichtete dieselben schließlich, und es war kein Grund vorhanden, zu denken, daß der »Franklin« und seine Mannschaft ihnen zum Opfer gefallen wären.

Der »Dolly-Hope« fuhr nun nordwestlich weiter, besuchte Sumatra, fuhr um die Spitze der Halbinsel Malakka herum und legte nach einer ziemlich stürmischen Fahrt am Morgen des 20. Juni in Singapore an.

Da einige Reparaturen an der Maschine vorgenommen werden mußten, so blieb der Capitän Ellis in dem Hafen, der im Süden der Insel liegt, volle vierzehn Tage. Obwohl sie nur einen Flächemnhalt von zweihundertsiebzig Quadratmeilen hat, so ist diese Besitzung doch durch den großen Handelsverkehr mit Europa und Amerika höchst wichtig und ist eine der reichsten Inseln des äußersten Asien geworden, seitdem die Engländer im Jahre 1818 ihre ersten Kontore dort errichtet haben.

In Singapore sollte, wie wir wissen, der »Franklin« einen Theil seiner Ladung für Rechnung des Hauses Andrew löschen, bevor er weiter nach Calcutta fuhr. Man weiß auch noch, daß der amerikanische Dreimaster nie in Singapore erschienen war. Trotzdem wollte Ellis seinen Aufenthalt dazu benutzen, um Erkundigungen über die Schiffsunfälle im Javanischen Meere in den letzten Jahren einzuziehen.

Da der »Franklin« einerseits auf der Höhe von Mahkassar gesehen worden und andererseits nicht nach Singapore gekommen war, so mußte der Schiffbruch zwischen diesen beiden Punkten stattgefunden haben, wenn nicht Capitän John Branican das Javanische Meer verlassen und durch eine jener Meerengen gefahren war, welche die Sundainseln trennen, und gegen die Timorsche See seine Richtung genommen hatte… Aber warum hätte er dies thun sollen, nachdem er doch die Bestimmung nach Singapore hatte? Das wäre unerklärlich, unwahrscheinlich gewesen.

Da die Erkundigungen zu einem negativen Resultate führten, so blieb dem Capitän Ellis nichts übrig, als sich von dem Gouverneur von Singapore zu empfehlen und nach Amerika zurückzukehren.

Am 25. August war ein ungemein gewitterreicher Tag. Die Hitze war erdrückend, wie sie es gewöhnlich um diese Zeit in jenen Tropengegenden ist, die nur einige Grade vom Aequator entfernt liegen.

Der »Dolly-Hope« mußte viel unter der schlechten Witterung leiden, welche die letzten Wochen dieses Monates ausfüllten. Unterdessen ließ er, während er die Sundainseln entlang fuhr, keinen Punkt undurchforscht zurück. So wurden der Reihe nach Madura, eine der zwanzig javanischen Regentschaften, Bâli, eine der wichtigsten Inseln für den Handel, besucht und auch Lombok und Sumbava, dessen Vulcan Tombovo damals diese Gegend mit einer ähnlichen Katastrophe bedrohte wie im Jahre 1815.

 

... die Vorräthe in dieser großen Stadt zu ergänzen. (S. 118.)

… die Vorräthe in dieser großen Stadt zu ergänzen. (S. 118.)

 

Zwischen diesen Inseln befinden sich eine Menge von Meerengen, die sich alle gegen die See von Timor öffnen. Der »Dolly-Hope« mußte in diesen klippenreichen Gegenden ungemein vorsichtig fahren, da gerade in den malayischen Gewässern die meisten Schiffbrüche vorkommen. Von der Insel Flores ab fuhr Capitän Ellis den anderen Inselketten, die im Süden das Meer der Molukken abschließen, entlang, ohne aber zu einem Erfolge zu kommen. Bei einem solchen Mißerfolge kann man sich nicht wundern, wenn die Mannschaft schließlich entmuthigt wurde.

 

... legte am Morgen des 20. Juni in Singapore an. (S. 119.)

… legte am Morgen des 20. Juni in Singapore an. (S. 119.)

 

Aber deswegen durfte man noch nicht die Hoffnung aufgeben, den »Franklin« doch noch zu finden, denn es war möglich, daß Capitän John, als er die Philippinen verließ, nicht durch die Meerenge von Mahkassar, sondern durch den Archipel der Molukken gefahren war, um das Javanische Meer zu erreichen, und sich dann entlang der Insel Celebes gehalten hatte.

Unterdessen floß die Zeit dahin. Weder auf Timor, noch auf den Molukken war es möglich, irgend eine Spur oder Nachricht über ein Schiff zu erhalten, das im Frühjahre 1875 in diesen Breitegraden gesunken wäre. Am 23. September kam der »Dolly-Hope« nach Timor, am 27. December nach Gilolo, und diese drei Monate flossen dahin, ohne einen Lichtstrahl in die Sache zu bringen. Das Schiff hatte seine Fahrt beendigt, denn bei der Insel Gilolo, der wichtigsten der Molukken, schloß sich jener Kreis, den Ellis um die malayischen Länder gefahren war. Die Mannschaft pflegte dann durch einige Tage der Ruhe, deren sie auch sehr bedurfte. Und doch, was hätten diese Leute nicht noch Alles gewagt, wenn sie auf eine Spur gekommen wären.

In Ternate, der Hauptstadt der Insel Gilolo, nahm der »Dolly-Hope« Lebensmittel und Kohlen für die Rückfahrt an Bord, und hier ging das Jahr 1881 zu Ende… das sechste seit dem Verschwinden des »Franklin«. Am 9. Januar wurden die Anker gelichtet und das Schiff schlug die Richtung nach Nordost ein.

Die Fahrt war wegen der vielen Stürme eine gefährliche und langwierige, so daß erst am 23. Januar das Schiff von den Semaphoren von San-Diego signalisirt wurde.

Die Fahrt hatte neunzehn Monate gedauert, und trotz der Anstrengungen des Capitäns Ellis, trotz der Todesverachtung seiner Mannschaft blieb das Verschwinden des »Franklin« in ein undurchdringliches Dunkel gehüllt.

Zwölftes Capitel.

Noch ein Jahr.

Die Briefe, welche Mrs. Branican über den Verlauf der Expedition erhalten hatte, ließen sie kaum noch hoffen, daß dieselbe von Erfolg gekrönt sein werde. Sobald sie erfahren hatte, daß der »Dolly-Hope« in Sicht sei, begab sie sich mit Mr. William Andrew sogleich an Bord desselben, nachdem er Anker geworfen hatte.

Man sah es sofort dem Capitän Ellis und seiner Mannschaft an, daß auch der zweite Theil der Expedition von keinem Erfolge begleitet gewesen war. Mrs. Branican reichte dem Capitän die Hand, trat dann auf die Matrosen zu, die so viel Strapazen erduldet hatten, und sagte:

»Ich danke Ihnen, Capitän Ellis, ich danke Euch, meine Freunde!… Sie haben Alles gethan, was ich von Ihrer Hingebung erwarten konnte! Sie haben keinen Erfolg gehabt und vielleicht verzweifeln Sie für immer an einem solchen… Ich verzweifle nie!… Nein! Ich verzweifle nicht, wir werden John und seine Leute wiederfinden!… Ich vertraue auf Gott… Er wird mein Gebet erhören!…« Diese Worte zeugten von einer seltenen Entschlossenheit und drückten so fest ihre Hoffnung auf Erfolg aus, daß ihre Ueberzeugung alle Herzen mit sich hätte reißen müssen, wenn nicht jeder fest an den Untergang des »Franklin« geglaubt hätte.

Und wäre es doch nicht vielleicht besser gewesen, sich dem Ahnungsvermögen nicht zu verschließen, womit die Natur eine Frau so oft ausstattet? Während der Mann nur auf Thatsachen und deren Folgen sieht, so ist sicher, daß die Frau besser in die Zukunft blickt. Wer weiß, ob Mrs. Branican nicht eines Tages gegen die öffentliche Meinung Recht behalten würde?

Mr. William und sie stiegen dann in die Cajüte hinab, wo der Capitän Ellis ihnen einen genauen Bericht über die Fahrt gab. Die auf dem Tische ausgebreiteten Karten gestatteten, die Routen des Dampfers zu all den Inseln und Inselchen und die Nachforschungen in dem Innern der vielen Länder zu verfolgen. Zum Schlusse sagte er:

»Gestatten Sie mir, Mrs. Branican, Ihre Aufmerksamkeit auf Folgendes zu lenken: Der »Franklin« ist zum letztenmale auf der Südspitze von Celebes am 3. Mai 1875 gesehen worden, also sieben Wochen nach seiner Abfahrt von San-Diego, und seit diesem Tage ist er verschollen. Da er nun nicht nach Singapore gekommen ist, so hat die Katastrophe ohne Zweifel im Javanischen Meere stattgefunden. Auf welche Weise? Da giebt es zwei Muthmaßungen: Entweder ist der »Franklin« untergegangen oder er ist bei einem Zusammenstoße gesunken, ohne eine Spur zurückzulassen. Die zweite Muthmaßung ist, daß er an den Klippen zerschellte oder durch malayische Seeräuber zerstört wurde; in den beiden letzten Fällen wäre es wohl möglich gewesen, einige Trümmer zu finden.

Doch trotz der sorgfältigsten Nachforschungen gelang es uns nicht, einen Beweis von der Zerstörung des Schiffes zu erhalten. Aus alledem ergiebt sich logisch, daß wir nur einen Fall der ersten Hypothese ins Auge fassen müssen, nämlich, daß der »Franklin« einem jener furchtbaren Wirbelstürme zum Opfer gefallen ist, die in den malayischen Gewässern so häufig sind. Im zweiten Falle wäre doch früher oder später etwas über den Zusammenstoß zweier Schiffe bekannt geworden. Es bleibt also keine Hoffnung mehr übrig.«

Das sah auch Mr. William Andrew ein und er schlug vor den fragenden Blicken der Mrs. Branican traurig die Augen zu Boden.

»Nein, nein! sagte sie, nein!… Der »Franklin« ist nicht untergegangen!… Nein! John und seine Leute leben noch!…«

So mußte denn der Capitän Ellis die Einzelheiten seiner Expedition immer wieder erklären und auseinandersetzen. Nachdem diese Unterredung drei Stunden gedauert hatte, fragte Capitän Ellis, als sich Mrs. Branican verabschieden wollte, ob sie wünsche, daß man den »Dolly-Hope« abtakle.

»Nein, Herr Capitän, erwiderte sie, ich würde es mit Bedauern sehen, wenn Ihre Mannschaft und Sie die Absicht hätten, sich auszuschiffen. Können nicht neue Angaben uns veranlassen, noch eine zweite Expedition zu unternehmen? Wenn Sie daher gewillt wären, das Commando des »Dolly-Hope«…

– Sehr gern, Mrs. Branican, aber ich gehöre dem Hause Andrew, und es ist möglich, daß es meiner Dienste bedarf…

– Das soll Sie nicht abhalten, lieber Ellis, erwiderte Mr. William Andrew. Es freut mich, wenn Sie sich Mrs. Branican zur Verfügung stellen.

– Ich stehe zu Diensten, Herr Andrew. Meine Mannschaft und ich werden den »Dolly-Hope« nicht verlassen.

– Und ich bitte Sie, Herr Capitän, erwiderte Mrs. Branican, darauf zu achten, daß das Schiff stets bereit ist, in See zu stechen.«

Als William Andrew seine Zustimmung gab, da that er es nur, um Mrs. Branican einen Gefallen zu erweisen, denn sowohl er wie der Capitän Ellis zweifelte nicht, daß sie nach den Mißerfolgen der ersten Expedition auf eine zweite wohl verzichten werde. Wenn auch die Zeit nie in ihr die Erinnerung an die Katastrophe auslöschen würde, so würde sie wenigstens schließlich jede Hoffnung vernichten.

So wurde also nach den Befehlen der Mrs. Branican der »Dolly-Hope« nicht abgetakelt. Ellis und seine Leute blieben auf dem Schiffe und erhielten ihren Gehalt ebenso, als wenn sie auf der Fahrt begriffen wären. Uebrigens hatte das Schiff auch mehrfache Ausbesserungen nöthig, da es doch sehr gelitten hatte. Als diese Arbeiten beendigt waren, wurden Lebensmittel und Kohlen eingeschifft, so daß es bei dem ersten Befehle in See stechen konnte.

Mrs. Branican wohnte immer noch im Prospect-House, wo außer Ellis und Mr. William Andrew Niemand Zutritt hatte. Sie lebte ganz in der Erinnerung und Hoffnung, indem sie stets an ihr doppeltes Unglück dachte. Der kleine Wat wäre jetzt sieben Jahre alt, gerade die Zeit, wo das erste Licht den jungen Geist erleuchtet – und der kleine Wat war nicht mehr! Dann dachte sie an Zach Fren, der sie mit Lebensgefahr gerettet hatte und den sie so gerne kennen gelernt hätte, aber er war noch nicht von San-Francisco zurück. Doch das würde nicht mehr so lange dauern, da die Schiffszeitungen schon einigemale über den »Californian« Nachrichten brachten; gewiß würde er gegen Ende des Jahres 1881 zurück sein. Dann würde sie ihn sofort zu sich rufen und ihm ihre große Schuld abtragen.

Auch hörte Mrs. Branican nicht auf, die Familien, welche durch den Untergang des »Franklin« so schwer betroffen worden waren, zu unterstützen, und sie verließ nur ihr Haus, um sich in die armen Viertel der Stadt zu begeben.

Ihr Edelmuth zeigte sich bei den verschiedensten Angelegenheiten. Auch fragte sie Mr. William Andrew wegen der Gründung eines Waisenhauses in San Diego um Rath.

»Herr Andrew, sagte sie, ich will dasselbe zur Erinnerung an unser Kind errichten und es mit allen nothwendigen Hilfsmitteln ausstatten. Ich zweifle nicht, daß John bei seiner Rückkunft das billigen wird, denn welch’ besseren Gebrauch könnten wir von unserem Vermögen machen?«

Mr. William Andrew hatte keine Ursache, etwas dagegen einzuwenden und er stellte sich wegen Einleitung der nothwendigen Schritte Mrs. Branican zur Verfügung. Hundertfünfzigtausend Dollars sollten zur Erwerbung eines passenden Hauses und zur Ausführung der nothwendigen Einrichtungen verwendet werden.

Dieses Project ging, Dank dem Gemeinderathe der Stadt, bald seiner Ausführung entgegen. Es wurde ein großes Gebäude, welches in frischer Luft auf den Abhängen von San-Diego stand, gekauft und ein geschickter Baumeister richtete dasselbe für seine Bestimmung ein, indem fünfzig Kinder mit dem genügenden Personal zu ihrer Pflege und Erziehung darin Platz finden sollten. Da sich um dasselbe auch ein großer, schattiger Garten mit stets frischem Wasser befand, so entsprach dieses Haus vollkommen allen modernen Anforderungen.

Am 10. Mai wurde dieses Hospiz, welches den Namen Wat-House erhielt, unter dem Beifalle der ganzen Stadt, die bei dieser Gelegenheit der edlen Gründerin ihre Sympathie ausdrücken wollte, eröffnet. Aber Mrs. Branican erschien nicht zu dieser Feierlichkeit und wollte ihr Haus nicht verlassen. Sobald eine Anzahl Kinder in dem Wat-House aufgenommen waren, kam sie jeden Tag zu ihnen, als wenn sie ihre Mutter gewesen wäre. Die Kinder blieben in diesem Hause bis zu ihrem zwölften Jahre, lernten lesen, schreiben und rechnen und konnten sich ein beliebiges Handwerk wählen. Diejenigen, welche sich dem Seeleben widmen wollten, konnten sich als Schiffsjungen einschiffen, und gerade diese waren der Gründerin am liebsten, gewiß aus Erinnerung an ihren John.

Bis zum Ende des Jahres 1881 war noch immer keine Nachricht über den »Franklin« nach San Diego oder anderswohin gedrungen, obwohl die größten Belohnungen demjenigen in Aussicht gestellt wurden, der die kleinste Spur gefunden hätte. Und doch verzweifelte die Frau nicht. Was ihr das Jahr 1881 nicht gebracht hatte, würde ihr vielleicht das Jahr 1882 bringen….

Was war denn aus Mr. und Mrs. Burker geworden? Wohin hatte sich dieser Mann geflüchtet, um den Verfolgungen zu entgehen? Die Polizei gab ihre Nachforschungen schließlich auf, und Mrs. Branican mußte verzichten, jemals zu erfahren, was aus Jane geworden war.

Aber sie wunderte sich, daß sie nie von ihr einen Brief erhielt, den sie doch hätte schreiben können, ohne die Sicherheit ihres Mannes auf das Spiel zu setzen. Wußten sie denn Beide nicht, daß Dolly ihren Verstand wiedererlangt, daß sie ein Schiff zur Auffindung des »Franklin« ausgeschickt hatte, und daß diese Expedition ohne Erfolg geblieben war? Hatten denn nicht die Zeitungen beider Halbkugeln lange Artikel über diese Reise gebracht, und konnte man glauben, daß sie dies nie erfahren hätten? Sie mußten sogar von der großen Erbschaft gehört haben, die sie gemacht hatte, und daß sie im Stande war, ihnen zu helfen. Und doch hatte weder Len noch Jane gewagt, ihr zu schreiben, obwohl sie sich in einer traurigen Lage befinden mußten.

Die ersten drei Monate des Jahres 1882 waren verflossen; noch immer hörte man nichts über den »Franklin«. Schon glaubte man, daß auch dieses Jahr so vorüberfließen würde, als etwas eintrat, was ein wenig Licht auf das Verschwinden dieses Schiffes zu werfen schien.

Am 27. März kam der Dampfer »Californian«, auf welchem sich der Matrose Zach Fren befand, nach San-Francisco, nachdem er durch mehrere Jahre die Meere Europas befahren hatte. Sobald Mrs. Branican dies hörte, schrieb sie an Zach Fren, indem sie ihn einlud, sofort zu ihr nach San-Diego zu kommen. Da er selbst die Absicht hatte, seine Vaterstadt zu besuchen, um einige Monate hier auszuruhen, so antwortete er, daß er sich nach der Ausschiffung sofort nach San-Diego begeben und sein erster Besuch dem Prospect-House gelten werde.

In derselben Zeit aber verbreitete sich eine Nachricht, die in allen Zeitungen der Vereinigten Staaten widerhallte. Man erzählte nämlich, daß der »Californian« einen Balken aufgefischt hatte, welcher wahrscheinlich vom »Franklin« herrührte. Eine Zeitung von San-Francisco setzte hinzu, daß der »Californian« dieses Holz im Norden von Australien, in den Gewässern bei der Insel Melville, westlich von der Meerenge Torres, gefunden habe.

Als diese Nachricht nach San-Diego gelangte, eilten Mr. William Andrew und der Capitän Ellis sofort in das Prospect-House. Bei dem ersten Worte erbleichte Mrs. Branican, dann aber sagte sie in jenem Tone, der eine feste Ueberzeugung ausdrückt:

»Nach dem Stück Holze wird man den »Franklin« finden und nach dem »Franklin« John und seine Gefährten.«

In der That war das höchst bedeutungsvoll. Man besaß jetzt einen Ring jener Kette, die die Gegenwart mit der Vergangenheit verband.

Sofort ließ Mrs. Branican eine Karte von Australien bringen, und nun mußten Mr. William Andrew und der Capitän Ellis die Frage einer neuen Seereise studieren, denn sie wollte, daß dieser Entschluß sogleich gefaßt werde.

»So hat der »Franklin« nicht seinen Weg über Singapore genommen, bemerkte zuerst William Andrew.

– Aber das ist unmöglich… das ist unmöglich, erwiderte der Capitän Ellis.

– Doch, wenn er diesen Weg genommen hätte, wieso hätte man nördlich von der Insel Melville dieses Holz finden können?

– Das kann ich mir nicht erklären, Herr Andrew, erwiderte der Capitän. Ich weiß nur, daß der »Franklin« auf seiner Fahrt südwestlich von der Insel Celebes gesehen worden ist, nachdem er die Meerenge von Mahkassar verlassen hatte. Wenn er durch diese Meerenge gefahren ist, so konnte er nur von Norden und nicht von Osten gekommen sein; er hat daher nicht durch die Meerenge von Torres fahren können.«

Diese Frage wurde lange in Erwägung gezogen, und schließlich mußte William Andrew dem Capitän Recht geben.

 

... wo der Capitän Ellis einen genauen Bericht über seine Fahrt gab. (S. 123.)

… wo der Capitän Ellis einen genauen Bericht über seine Fahrt gab. (S. 123.)

 

Mrs. Branican hörte das Für und das Wider stillschweigend an, aber eine Falte auf ihrer Stirn zeigte, mit welcher Zähigkeit, mit welchem Eigensinn sie sich weigerte, den Untergang Johns und seiner Gefährten zuzugeben. Nein! Sie würde nicht daran glauben, so lange sie nicht einen wirklichen Beweis von ihrem Tode in den Händen hätte.

 

... kam sie jeden Tag zu ihnen, als wenn sie ihre Mutter wäre. (S. 126.)

… kam sie jeden Tag zu ihnen, als wenn sie ihre Mutter wäre. (S. 126.)

 

»Es sei, sagte Mr. William Andrew, ich bin Ihrer Meinung, lieber Ellis, daß der »Franklin« das Javanische Meer durchschneiden mußte, indem er gegen Singapore fuhr…

– Wenigstens theilweise, Herr Andrew, weil zwischen Singapore und der Insel Celebes der Schiffbruch hat stattfinden können.

– Gut, aber wie konnte das Holz bis nach Australien kommen, wenn der »Franklin« auf einer Klippe jenes Meeres gescheitert ist?

– Das ist mir nur auf eine Weise verständlich, indem nämlich dieses Holz durch die Meerenge der Sundainseln oder eine der anderen Meerengen getrieben wurde, welche diese Inseln von der Timor-See trennen.

– Geht die Strömung nach dieser Seite?

– Ja, Herr Andrew, ich sage sogar, daß, wenn der »Franklin« durch einen Sturm verschlagen worden war, er leicht bis an die nördliche Küste Australiens getrieben werden konnte.

– Wirklich, lieber Ellis, das ist die einzige plausible Hypothese, und wenn ein Stück Holz des Schiffes bei der Insel Melville sechs Jahre nach dem Schiffbruche gefunden wurde, so kann es sich nur von den Klippen losgemacht haben, an denen der »Franklin« gescheitert ist.«

Auf diese Erklärung eines so tüchtigen Seemannes war nichts zu erwidern.

Mrs. Branican, die keinen Blick von der Karte gewendet hatte, sagte dann:

»Da der »Franklin« wahrscheinlich an die Küste von Australien geworfen wurde und die Schiffbrüchigen nicht zurückgekehrt sind, so werden sie bei den Eingeborenen gefangen gehalten…

– Dolly, das ist nicht unmöglich… und doch…« erwiderte Mr. William Andrew.

Mrs. Branican wollte eben gegen jeden Zweifel energisch protestiren, als der Capitän Ellis sagte:

»Jetzt handelt es sich vor Allem darum, ob das aufgefischte Holz wirklich zu dem »Franklin« gehörte.

– Zweifeln Sie daran? fragte Dolly.

– Das werden wir bald wissen, erwiderte Mr. William Andrew, denn ich habe Befehl gegeben, uns diesen Fund zu senden.

– Und ich, fügte Mrs. Branican bei, gebe den Befehl, daß der »Dolly-Hope« sich bereit halte, in See zu stechen.«

Drei Tage später kam der Hochbootsmann Zach Fren, der soeben in San-Diego angelangt war, in das Prospect-House.

Er war ungefähr siebenunddreißig Jahre alt, von kräftiger Gestalt, und hatte in dem wettergebräunten Gesichte jenen offenen Zug, der sofort Vertrauen einflößt.

Mrs. Branican nahm ihn mit so großer Dankbarkeit auf, daß er nicht wußte, was er sagen sollte.

»Mein Freund… Sie… Sie haben mir das Leben gerettet… Sie… der Alles gethan hat, um mein Kind zu retten… was kann ich für Sie thun?«

Der Hochbootsmann erklärte, daß er nur seine Pflicht gethan habe… Ein Matrose, der nicht so handeln würde, wäre kein Matrose… Er bedauere nur, daß er nicht auch das Kind hätte retten können… Aber er verdiene dafür nichts… Er dankte Mrs. Branican für ihre Aufmerksamkeit… Wenn sie es ihm erlaube… so würde er sie besuchen, so lange er am Lande wäre…

»Seit vielen Jahren, Zach Fren, sehe ich Ihrer Rückkehr entgegen und ich hoffe, daß Sie an meiner Seite sein werden, wenn der Capitän John wiederkehren wird…

– Wenn der Capitän John wiederkehren wird!

– Zach Fren, glauben Sie?…

– Daß der Capitän John todt ist?… Nein!… Nein!…

– O… Sie haben auch noch Hoffnung?

– Mehr als Hoffnung, Mrs. Branican… eine schöne, gute Gewißheit.. Geht ein solcher Capitän, wie Capitän John, in einem Windstoße wie eine Landratte unter?… Nein!… So etwas ist noch nicht dagewesen!«

Die Worte des Matrosen regten Mrs. Branican ungemein auf, denn sie sah, daß sie nicht die einzige war, zu glauben, daß John wiedergefunden würde… Noch ein Mensch theilte ihre Ueberzeugung… und dieser andere war ihr Lebensretter… Sie sah dies für ein Zeichen der Vorsehung an.

»Ich danke, Zach Fren, ich danke!… Sie wissen nicht, wie wohl mir diese Worte thun… Sagen Sie noch einmal… sagen Sie noch einmal… daß der Capitän John den Schiffbruch überlebt hat.

– Allerdings… allerdings, Mrs. Branican! Der Beweis ist doch da… und wenn dies noch kein Beweis ist… so wird man noch einen anderen finden…«

Dann erzählte Zach Fren, auf welche Weise jenes Stück Holz von dem »Californian« aufgefischt worden war. Endlich sagte Mrs. Branican:

»Ich bin entschlossen, Zach Fren, sofort neue Nachforschungen anstellen zu lassen…

– Gut… und diesmal werden Sie Erfolg haben… und wenn Sie mir erlauben, so fahre ich mit.

– Sie wollen sich dem Capitän Ellis anschließen?…

– Von Herzen gern!

– Ich danke, Zach Fren!… Ich glaube, wenn Sie an Bord des Schiffes sein werden, wird das von guter Vorbedeutung sein.

– Ich glaube es auch, Mrs. Branican, sagte Zach Fren, indem er mit den Augen zwinkerte… ja, ich glaube es auch… und ich fahre mit.«

Dolly nahm ihn bei der Hand und drückte sie wie die eines Freundes. Die Hoffnung riß sie mit sich – verwirrte sie. Sie wollte glauben, daß der Matrose dort Glück haben würde, wo die Andern Mißerfolg hatten. Aber man wollte doch, wie dies auch der Capitän Ellis bemerkt hatte – obwohl Mrs. Branican fest überzeugt war – die Gewißheit haben, daß das Holz dem »Franklin« gehöre. Dieses Bruchstück, welches ungefähr zehn Meilen von der Küste der Insel Melville aufgefischt worden war, war ein Stück des vorderen Steven oder vielmehr jener Verzierung, der Gallion, die sich gewöhnlich am Vordertheile der Segelschiffe befindet. Dieses Holzstück war schon sehr verwittert, nicht weil es lange im Wasser gelegen hatte, sondern weil es den Einwirkungen der Luft ausgesetzt gewesen war. Daraus konnte man also schließen, daß es lange Zeit auf den Klippen lag, an denen das Schiff scheiterte, und daß es durch irgend eine Ursache – wahrscheinlich durch einen Sturm – losgerissen und mehrere Monate oder Wochen herumgeschwommen war, als es von dem »Californian« aufgefischt wurde. Was nun das Schiff anbelangt, war das wirklich der »Franklin«?… Ja, denn die Schnitzerei, die auf diesem Holze gefunden wurde, sah der ähnlich, die sich am Vordertheile des »Franklin« befand. Und wirklich verhielt es sich so. Das Stück Holz wurde nach San-Diego gebracht und man erkannte bald, daß es dem verschollenen Schiffe angehörte.

Jetzt konnte man auch der Ansicht des Capitän Ellis zustimmen: Da der »Franklin« im Südwesten von Celebes gesehen wurde, so mußte er einige Tage später durch die Meerenge der Sundainseln oder anderer, die sich gegen die See von Timor öffneten, schwimmen und so an die Küste von Australien gelangen.

Es war daher ganz gerechtfertigt, ein Schiff zur Erforschung der Sundainseln und der Nordküste von Australien auszusenden. Würde diese Fahrt von mehr Erfolg begleitet sein, als die zwischen den Philippinen und den Molukken? Man konnte es wohl hoffen.

Diesmal wollte Mrs. Branican selbst an der Fahrt theilnehmen, aber Mr. William Andrew, der Capitän Ellis und auch Zach Fren überzeugten sie schließlich – wenn auch mit Mühe – daß diese Fahrt sehr lange dauern und die Anwesenheit einer Frau nur störend einwirken würde.

Es ist selbstverständlich, daß Zach Fren als Hochbootsmann aufgenommen wurde, und der Capitän traf nun die letzten Anstalten, um sobald wie möglich abzufahren.

Dreizehntes Capitel.

Die Fahrt in die See von Timor.

Der »Dolly-Hope« verließ am 3. April 1882 den Hafen von San-Diego, und der Capitän nahm mehr eine Richtung nach Südwest, denn er wollte auf dem kürzesten Wege durch die Meerenge von Torres in die See von Arafoura kommen, jenseits deren das Bruchstück des »Franklin« gefunden worden war.

Am 26. April hatte man die Gilbertinseln in Sicht, welche in jenen Breitegraden zerstreut liegen, wo die Windstillen des Großen Oceans den Segelschiffen so lästig sind. Nachdem Capitän Ellis die zwei Inselgruppen Scarborough und Kingsmill seitwärts gelassen hatte, durchschnitt er die Inselgruppe Vanikoro.

Zweihundert Meilen weiter durchkreuzte der »Dolly-Hope« den Salomon-Archipel, der aus ungefähr einem Dutzend großer Inseln besteht. Er fuhr weiter und beeilte sich in die Meerenge von Torres zu kommen, da der Capitän nicht weniger ungeduldig war als Zach Fren, den Theil des Meeres von Arafoura zu erreichen, wo das Stück Holz gefunden wurde. Von hier aus sollten dann mit unermüdlicher Ausdauer die sorgfältigsten Nachforschungen angestellt werden, die vielleicht von Erfolg begleitet sein würden.

Einige Tage später, nachdem sie den Salomon-Archipel durchfahren hatten, gelangten sie an den Inseln Rossel, Trobriand und einer großen Anzahl Inselchen vorüber.

Nach dreiwöchentlicher Fahrt hatten sie Neu-Guinea in Sicht, dann das Cap York, die nördliche und südliche Grenze der Meerenge von Torres.

Letztere ist ungemein gefährlich für die Schifffahrt, und kein Capitän wagt es, dieselbe zu durchsegeln, weil die Versicherungsgesellschaften der Schiffe für diese Gegend keine Garantie übernehmen.

Fortwährende Sturzwellen, welche von Osten nach Westen gehen, schleudern die Gewässer des Stillen Oceans in den Indischen. Man kann sich nur durch einige Stunden des Tages, wo die Stellung der Sonne das Brechen der Wogen an den Klippen erkennen läßt, dorthin wagen.

Als man diese Meerenge vor sich hatte, fragte der Capitän seinen Hochbootsmann Zach Fren:

»Also auf der Höhe von Melville hat der »Californian« das Stück Holz aufgefischt?

– Ja.

– Man kann also sagen, ungefähr fünfhundert Meilen von hier?

– Ja, Capitän, und ich verstehe Sie: Da die Strömung regelmäßig von Osten nach Westen geht und dieses Holz auf der Höhe von Melville aufgefangen wurde, so muß der »Franklin« am Eingange der Meerenge von Torres gescheitert sein.

 

... und die Eingeborenen in Respect zu halten. (S. 138.)

… und die Eingeborenen in Respect zu halten. (S. 138.)

 

– Ohne Zweifel, Zach Fren, und man müßte daraus schließen, daß Capitän John diesen gefährlichen Weg nach Singapore eingeschlagen hat. Das werde ich nie glauben. Im Gegentheil, er hat das Malayische Meer durchfahren, weil er das letztemal auf der Anhöhe von Celebes gesehen worden ist.

– Und da dies feststeht, bemerkte der Obersteuermann, so folgt daraus, daß der Capitän Branican, wenn er in die See von Timor vorgedrungen ist, nur durch eine der Meerengen dahin gelangen konnte, welche die Sundainseln trennen.

– Das ist unbestreitbar, erwiderte der Capitän.

– Und ich verstehe nicht mehr, warum der »Franklin« nach Osten getrieben werden konnte, versetzte der Obersteuermann.

– Ich kann mir nur denken, daß nach dem Holze, welches in dem Indischen Meere gefunden wurde, der Schiffbruch in der Nähe der Sundainseln oder an der westlichen Küste von Australien stattgefunden hat.

– Da das Holz auf der Höhe von Melville aufgefischt wurde, erwiderte der Capitän, so glaube ich, daß der »Franklin« in dem Theile des Meeres von Arasoura, der an die Meerenge von Torres grenzt, oder in dieser selbst gescheitert ist.

– Vielleicht, bemerkte Zach Fren, sind entlang der Küste Australiens Strömungen, welche den »Franklin« gegen die Meerenge getrieben haben. In diesem Falle müßte der Schiffbruch im Westen von dem Meere von Arafoura stattgefunden haben.

– Wir werden’s ja sehen, sagte der Capitän. Unterdessen aber fahren wir so, als wenn der »Franklin« an den Klippen von Torres gescheitert wäre..

– Und wenn wir gut fahren, wiederholte Zach Fren, so werden wir den Capitän John auch finden.«

 

 »Das ist sonderbar«, bemerkte Zach Fren. (S. 140.)

»Das ist sonderbar«, bemerkte Zach Fren. (S. 140.)

 

So war es im Ganzen das Beste und so wurde es auch durchgeführt.

Die Breite der Meerenge von Torres beträgt ungefähr dreißig Meilen. Man kann sich schwer einen Begriff von den Inselchen und Klippen in diesem Wasser machen, die auf den besten Karten nicht richtig dargestellt sind.

Man zählt deren ungefähr neunhundert, deren bedeutendste kaum einen Flächeninhalt von drei bis vier Meilen haben. Ihre Bewohner sind die Andamenenstämme, die den Schiffen, welche in ihre Hände fallen, sehr gefährlich werden können, wie dies die Ermordung der Matrosen des »Chesterfield« und »Hormuzier« beweist.

In ihren leichten Booten können diese Eingeborenen ohne Mühe von Neu-Guinea nach Australien und von Australien nach Neu-Guinea fahren. Wenn sich daher John und seine Gefährten auf eine dieser Inselchen geflüchtet hatten, so wäre es ihnen etwas Leichtes gewesen, die australische Küste, dann irgend einen Vorsprung des Golfes von Carpentaria oder der Halbinsel York zu erreichen und ihre Rückkehr wäre nicht mehr schwierig gewesen. Da aber Alle verschollen waren, so waren sie wahrscheinlich in die Hände jener Eingeborenen gefallen, von denen sie dann nicht viel Schonung erwarten konnten. Diese Wilden tödten ihre Gefangenen und fressen sie. Wo hätte man dann eine Spur von solchen blutigen Katastrophen finden können?

So dachte es sich der Capitän Ellis, so sagten es die Matrosen vom »Dolly-Hope«. Ein solches Schicksal mußten die Ueberlebenden des »Franklin« gefunden haben, wenn sie in die Meerenge von Torres gerathen waren… Zwar blieb noch die Möglichkeit, daß sie eben nicht durch diese Meerenge gefahren waren; aber wie kam dann das Stück Holz zur Insel Melville?

Unerschrocken fuhr der Capitän Ellis in diese gefährlichen Gewässer ein, indem er alle von der Klugheit gebotenen Maßregeln traf. Da er ein gutes Dampfschiff, wachsame Officiere und eine muthige und kaltblütige Mannschaft hatte, so hoffte er glücklich durch dieses Klippenlabyrinth zu kommen und die Eingeborenen, die einen Angriff versuchen würden, in Respect zu halten.

Die Schiffe, welche in die Meerenge von Torres eindringen, deren Oeffnung auf der Seite gegen den Stillen Ocean reich an Korallenbänken ist, fahren mit Vorliebe der australischen Küste entlang. Da sich aber im Süden von Papouasien eine ziemlich große Insel, Namens Murray, befindet, so fuhr der »Dolly-Hope« zwischen den zwei berühmten Riffen Castern-Fields und Boot-Reef hindurch. Letzteres machte durch die eigenthümliche Gestalt seiner Felsen den Eindruck, als läge ein Schiff auf denselben. Die Schaluppe wurde rasch ausgesetzt, doch wurde man ebenso schnell gewahr, daß man sich getäuscht hatte.

Manchmal umkreisten mehrere einfache Boote der Eingeborenen das Schiff, doch dieses konnte ganz um die Insel herumfahren, ohne von ihnen angegriffen zu werden.

Nachdem der »Dolly-Hope« in Sommerset, einem Hafen von Nordaustralien, seine Vorräthe ergänzt hatte, durchsuchte der Capitän sorgfältig die Inseln zwischen dem Golfe von Carpentaria und Neu-Guinea.

Nach mehreren Versuchen gelang es dem Capitän, mit einigen Mados oder Häuptlingen auf diesen Inseln in Verbindung zu treten. Da man sich aber sehr schwer verständlich machen konnte, so gelang es nicht zu erfahren, ob diese Andamenen von einem Schiffbruche Kenntniß hatten, der mit der Zeit des Verschwindens des »Franklin« übereinstimmte. In jedem Falle schien es nicht, daß sie Gegenstände amerikanischer Abkunft besaßen, denn man fand bei ihnen weder Eisen noch Leinenstücke, oder Holztheile von Raaen-und Mastbäumen, die von einem Schiffe herrühren konnten. Als nun Ellis die Inseln der Meerenge von Torres verließ, da konnte er sich sagen, daß er keine Spur von dem Untergange des »Franklin« gefunden habe, wenn es sich auch nicht ganz bestimmt behaupten ließ, daß er hier nicht gescheitert sei.

Es handelte sich jetzt nun darum, das Meer von Arafoura, eine Fortsetzung dessen von Timor, zu durchforschen, das sich zwischen den kleinen Sundainseln im Norden und der australischen Küste im Süden ausdehnt. Hier wollte er zuerst das »Arnheimland« und dann die zahlreichen Inseldurchgänge durchforschen. Auch hier sachte man mit einem Eifer und einer Kühnheit, die nichts entmuthigen konnte. Aber man fand nirgends die Spur eines gescheiterten Schiffes, und weder die Eingeborenen, noch die Chinesen, welche in diesen Gewässern lebhaften Handel treiben, wußten etwas von einem Schiffbruche. Ueberdies, wäre die Bemannung des »Franklin« hier von den australischen Stämmen gefangen genommen worden, so wäre Keiner diesen Cannibalen entkommen.

Am 11. Juli begann Ellis die Inseln Melville und Bathurst, die nur durch einen schmalen Streifen getrennt sind, zu durchforschen. Da zehn Meilen von dieser Inselgruppe das Holz vom »Franklin« gefunden wurde und es nicht mehr weiter nach Westen getrieben worden war, so mußten die Wellen es erst kurz vor der Ankunft des »Californian« von den Klippen weggespült haben.

Es war daher möglich, daß der Schauplatz der Katastrophe nicht sehr weit entfernt war.

Diese Durchforschung dauerte ungefähr vier Monate, denn sie umfaßte nicht nur die beiden Inseln, sondern auch die Küsten des »Arnheimlandes« bis zum Queens-Canal und sogar bis zur Mündung des Victoria-River.

Es war sehr schwer, auch das Innere zu durchsuchen, da die Eingeborenen Cannibalen sind und sie stets ihre Gefangenen fressen. Wenn Ellis daher auch verzichten mußte zu erfahren, wo und wann die Bemannung des »Franklin« in die Hände der Wilden gefallen war, so würde es ihm vielleicht doch gelingen, eine Spur von dem Schiffbruche zu finden. Das konnte er umsomehr hoffen, als erst acht Monate seit der Auffischung des Holzes durch den »Californian« verflossen waren, doch trotz der eifrigsten Nachforschungen wurde nichts entdeckt.

Was sollte nun Ellis jetzt beginnen? Sah er seine Fahrt als abgeschlossen an, wenigstens was die australische Küste und die dazugehörigen Inseln anbelangte? Sollte er an die Rückkehr denken, nachdem er noch die kleinen Sundainseln durchforscht haben würde? Kurz, konnte er mit gutem Gewissen sagen, daß er Alles gethan habe, was in seiner Macht stand? Der brave Seemann zögerte, sich zu sagen, daß er Alles gethan habe, obwohl er bis zu den Küsten Australiens vorgedrungen war.

Ein Ereigniß machte diesem Zögern ein plötzliches Ende.

Am Morgen des 4. November ging der Capitän mit Zach Fren auf dem Hinterdeck des Dampfers umher, als der Hochbootsmann ihn auf einige Gegenstände aufmerksam machte, die in der Entfernung von einer halben Meile herumschwammen. Es waren keine Holzstücke oder Baumstämme, sondern ungeheure Haufen Gräser, gelbliche Tange, die aus der Tiefe des Meeres emporgerissen worden waren.

»Das ist sonderbar, bemerkte Zach Fren. Ich will nicht Zach Fren heißen, wenn diese Gräser nicht aus dem Westen oder sogar aus dem Südwesten kommen! Da ist gewiß eine Strömung, die sie von der Seite der Meerenge dahertreibt.

– Ja, erwiderte der Capitän, und das muß eine locale Strömung sein, die nach Osten geht, wenigstens, wenn keine Fluth ist.

– Das glaube ich nicht, erwiderte Zach Fren, denn ich erinnere mich ganz genau – ich sah schon zeitlich früh eine Menge dieser Tange dahintreiben.

– Das ist wirklich wahr?

– So wahr, als wir schließlich den Capitän John finden werden!

– Nun, wenn die Strömung da ist, so könnte es möglich sein, daß das Holz des »Franklin« aus dem Westen kam und entlang der australischen Küste schwamm.

– Das ist auch meine Meinung, versetzte Zach Fren.

– Dann haben wir nicht zu zögern. Wir müssen noch die Küsten an dem Meere von Timor bis zu der äußersten Spitze von West-Australien durchsuchen.

– Ich war nie mehr davon überzeugt, da außer allem Zweifel eine Strömung, deren Lauf deutlich wahrzunehmen ist, die Insel Melville berührt. Wenn daher Capitän Branican in den westlichen Gewässern verschollen ist, so würde es sich deutlich daraus ergeben, daß ein Stück Holz seines Schiffes in die Gegenden getrieben wurde, wo es von dem »Californian« aufgefischt wurde.«

Der Capitän ließ seinen Obersteuermann rufen und fragte ihn, ob sie die Fahrt mehr nach Westen fortsetzen sollten. Dieser war der Meinung, man sollte jene locale Strömung wenigstens bis zu ihrem Anfang verfolgen.

»Gut, fahren wir nach Westen, erwiderte der Capitän. Jetzt müssen wir keinen Zweifel, sondern Gewißheit nach San-Diego bringen. Die Gewißheit, daß von dem »Franklin«, wenn er an der australischen Küste gescheitert ist, nichts übrig geblieben ist.«

So fuhr denn der »Dolly-Hope« bis zur Spitze der Insel Timor, um seine Kohlen zu erneuern. Nach einem Aufenthalte von vierundzwanzig Stunden fuhr er auf das Cap von Londonderry zu, das sich an der Westspitze von Australien befindet. Bei dem Verlassen des Queens-Canals fuhr der Capitän so weit wie möglich dem Festland entlang und bemerkte von Turtle Point aus genau, wie die Strömung von Westen nach Osten hin verlief.

Das war keine jener Strömungen, die von der Ebbe und Fluth abhängig war, sondern ein steter Zufluß von Wasser in den südlichen Theil des Meeres von Timor. Nun konnte man die Risse und Klippen durchsuchen, so lange sich das Schiff an der Grenze des Indischen Oceans nicht auf hoher See befand.

Im Golf von Cambridge eingetroffen, erklärte Ellis, daß es sehr unvorsichtig wäre, sich mit seinem Schiffe in diese klippenreiche und von wilden Stämmen bewohnte Gegend zu wagen. Es wurde daher die Dampfschaluppe von einem halben Dutzend wohlbewaffneter Matrosen bestiegen, um unter dem Befehle Zach Fren’s das Innere zu untersuchen.

»Wenn John Branican in die Hände der Eingeborenen dieser Gegenden gefallen ist, bemerkte Ellis ihm gegenüber, so werden die Armen kaum am Leben geblieben sein. Aber uns handelt es sich darum zu wissen, ob einige Trümmer von dem »Franklin« noch vorhanden sind, im Fall die Australier ihn hier angegriffen haben…

– Das würde mich von diesen Schurken gar nicht wundern,« erwiderte Zach Fren.

Die Vorsicht des Hochbootsmannes war ganz gerechtfertigt und er hielt stets gut Umschau. Er fuhr mit der Schaluppe bis zur Insel Adolphus, dann um sie herum, ohne etwas zu entdecken, was ihn zu weiteren Nachforschungen veranlaßt hätte.

Der »Dolly-Hope« fuhr nun jenseits des Golfes von Cambridge weiter, umschiffte das Cap Dusséjour und fuhr dann gegen Nordwesten der Küste von Westaustralien entlang. Auch hier wurde die unermüdliche Mannschaft durch keinen Erfolg belohnt. Die Anstrengungen und Gefahren wurden jetzt in diesen Gegenden viel größer, weil das Schiff an dieser Küste direct von den heftigen Wirbelstürmen des Indischen Oceans belästigt wurde und es wenig Zufluchtsstellen für ein Segelschiff gab. Ein Dampfer ist immer von seiner Maschine abhängig, welche ihm aber nicht helfen kann, wenn das Meer so furchtbar aufgewühlt wird. Man fuhr nun an Hunderten von kleinen Inseln vorüber, durchsuchte sie… Alles vergebens.

Gegen Ende des Monats Januar 1883 wurde die Dampfschaluppe an der Mündung des Fitz-Roy im Kingsund von den Eingeborenen angegriffen, wobei zwei Matrosen leicht verletzt wurden. Dank der Kaltblütigkeit des Capitäns war dieser Angriff von keinen weiteren unheilvollen Folgen begleitet.

Der »Dolly-Hope« legte nun auf der Höhe von Lévêque an und der Capitän hielt mit seinem Steuermann und Hochbootsmann eine Besprechung ab, in der man nach sorgfältigem Studium der Karten zu dem Resultate kam, hier an der Grenze des 18. Breitegrades der südlichen Hemisphäre die Expedition zu beendigen. Jenseits des Kingsund ist die Küste ziemlich frei von Inseln und dieser Theil von Tasmanien, der an das Indische Meer grenzt, ist noch immer auf der Karte ein weißer Fleck.

Da dem »Dolly-Hope« auch die Kohlen bald ausgingen, wollte man direct nach Batavia fahren, hier dieselben ergänzen und durch die See von Timor, entlang der Sundainseln, wieder in den Stillen Ocean zurückkehren.

Vierzehntes Capitel.

Die Insel Browse.

Die Strecke zwischen der nordwestlichen Küste von Australien und dem westlichen Theile der See von Timor enthält keine wichtigen Inseln und man findet dort nur jene eigenthümlichen Formationen von Korallenbänken, die »Felsen, Schalen oder Bänke« genannt werden. Da diese sich oft unter der Oberfläche des Meeres befinden, so ist die Fahrt in diesem Gebiete mit großen Gefahren verbunden.

Das Wetter war schön, das Meer ziemlich ruhig und die ausgezeichnete Maschine des »Dolly-Hope« hatte seit der Abfahrt von San-Diego noch gar nicht gelitten. So kam Alles zusammen, um eine günstige Fahrt zwischen dem Cap Lévêque und der Insel Java zu erwarten. Aber in Wirklichkeit war dies schon die Heimkehr, und der Capitän wollte gerade nur noch die kleinen Sundainseln durchsuchen.

In den ersten Tagen nach der Abfahrt auf der Höhe von Lévêque ereignete sich nichts Besonderes. Den Wachen wurde die strengste Aufmerksamkeit anempfohlen, und sie mußten aus den Mastkörben herab schon von weitem die Risse und Bänke und Schalen signalisiren, die sich oft kaum über die Oberfläche des Meeres erheben.

Am 7. Februar, gegen neun Uhr Morgens, rief ein Matrose von den Raaen herab:

»Riff in Sicht! Backbordseite!«

 

... so stieg Zach Fren selbst die Wanten hinauf. (S. 143.)

… so stieg Zach Fren selbst die Wanten hinauf. (S. 143.)

 

Da dasselbe von der Brücke aus nicht gesehen werden konnte, so stieg Zach Fren selbst an den Wanten hinauf und bemerkte ziemlich deutlich ein felsiges Plateau in einer Entfernung von ungefähr sechs Meilen. In Wirklichkeit war es weder ein Felsen noch ein Riff, sondern eine kleine Insel, welche die Form eines Eselrückens hatte, so daß sie vielleicht noch größer war, als sie sich auf diese Entfernung ausnahm.

Nach einigen Minuten stieg Zach Fren wieder hinab und meldete dies dem Capitän, der sofort den Befehl gab, um ein Quart anzuluven, um sich der Insel zu nähern. Sie befanden sich jetzt 14 Grad 7 Minuten südlicher Breite und 133 Grad 13 Minuten östlicher Länge, und diese kleine Insel hieß auf den neuesten Karten Browse und lag ungefähr zweihundertfünfzig Meilen vom Yorksund der australischen Küste entfernt.

Da diese Insel fast in seiner Route lag, so beschloß der Capitän, sie zu umfahren, ohne sich aber dort aufzuhalten. Nach einer Stunde lag die Insel Browse nur noch eine Meile entfernt, und das Meer brach sich an einem Vorgebirge im Nordwesten mit donnerndem Geräusch. Da sie schief vor den Blicken lag, konnte man sich von ihrer Größe keinen Begriff machen.

Unterdessen war keine Zeit zu verlieren, und der Capitän, der bisher etwas langsamer fahren ließ, rief in den Heizraum den Befehl hinab, wieder schneller zu fahren, als Zach Fren seine Aufmerksamkeit erweckte, indem er sagte:

 

Die Einschiffung erfolgte über die Durchfahrt hinüber. (S. 148.)

Die Einschiffung erfolgte über die Durchfahrt hinüber. (S. 148.)

 

»Herr Capitän… Sehen Sie… dort… unten… Steht dort nicht ein Mast auf dem Cap?«

Dabei zeigte er nach Nordosten hin.

»Ein Mast?… Nein!… Es scheint nur ein Baum zu sein,« erwiderte Ellis.

Er nahm dann das Fernrohr und sah aufmerksam hin.

»Es ist richtig, sagte er, Sie täuschen sich nicht, Hochbootsmann!… Es ist ein Mast… und ich glaube, es hängt auch der Fetzen einer Fahne daran… Ja!… Ja!… Das muß ein Signal sein!…

– Da wäre es vielleicht besser, wir fahren hin.

– Das ist auch meine Meinung,« erwiderte der Capitän.

Sofort gab er den Befehl, auf die Insel zuzuhalten. Der »Dolly-Hope« näherte sich nun vorsichtig den Rissen, welche die Insel wie einen Gürtel umgaben, an dem sich das Meer donnernd brach.

Bald konnte man die Küste mit freiem Auge wahrnehmen. Sie sah wild und öde aus, ohne das geringste Grün, und war ziemlich zerklüftet; an manchen Stellen durchschnitt ein Vorsprung die Felsenreihen, über denen Scharen von Seevögeln flogen.

Auf dieser Seite sah man keine Schiffstrümmer. Der Mast, welcher auf der äußersten Spitze des Vorgebirges stand, mußte von einem Bugspriet herstammen, aber aus dem Fetzen, der sich am Ende desselben befand, konnte man nicht mehr die Farben der Fahne erkennen.

»Dort sind Schiffbrüchige… rief Zach Fren.

– Oder gewesen! erwiderte der zweite Officier.

– Es läßt sich nicht bezweifeln, daß hier ein Schiff gescheitert ist.

– Ebenso bestimmt ist es, daß die Schiffbrüchigen dort einen Zufluchtsort gefunden haben; vielleicht haben sie die Insel noch nicht verlassen, weil die nach Indien oder Australien fahrenden Schiffe selten hier vorüberkommen.

– Wollen Sie diese Insel durchsuchen, Herr Capitän? fragte Zach Fren.

– Gewiß, aber bis jetzt habe ich noch keine Stelle gefunden, wo wir landen könnten. Fahren wir also zuerst herum. Wenn sie noch von den unglücklichen Schiffbrüchigen bewohnt ist, so müssen sie uns ja bemerken und ein Zeichen geben.

– Und wenn wir Niemand sehen, was wollen Sie dann thun? fragte Zach Fren.

– Wir werden landen. Wenn diese Insel nicht bewohnt ist, so können sich doch Spuren eines Schiffbruches vorfinden, was für uns von gleichem Interesse ist.

– Und wer weiß?…

– Wer weiß? Wollen Sie damit sagen, daß der »Franklin« hier an der Insel Browse gescheitert ist, die doch gar nicht auf seiner Route lag?

– Warum nicht?

– Obgleich das sehr unwahrscheinlich ist, so werden wir doch landen.«

Man fuhr also um die Insel herum, die auf allen Seiten gleich felsig und zerklüftet war. Im Hintergrunde standen auf einem Plateau, das weiter keine Spuren von Cultur zeigte, einige Gruppen von Cocosbäumen. Von Bewohnern keine Spur. Keine Schaluppe, kein Fischerboot. So öde wie das Meer, so war es auch die Insel.

Wenn diese Insel Schiffbrüchigen auch keinen genügenden Lebensunterhalt bieten konnte, so doch wenigstens einen Zufluchtsort.

Die Insel Browse hat einen Umfang von etwa sieben bis acht Meilen, was durch den »Dolly-Hope« constatirt wurde, als er um dieselbe herumfuhr. Vergebens spähten die Matrosen nach einem Hafen oder wenigstens einem Einschnitt in die Felsen aus, wo der Dampfer einige Stunden geschützt sein könnte. Sie sahen bald ein, daß eine Landung unmöglich war, und daß sie nur mit den Booten eine Durchfahrt suchen konnten.

Es war ungefähr ein Uhr Nachmittags, als der »Dolly-Hope« sich unter der Windseite der Insel befand. Da der Wind von Nordwesten kam, schlugen die Wogen weniger heftig an die Felsen. Weil die Küste hier einen großen Bogen bildete, wo ein Schiff mit weniger Gefahr hätte vor Anker gehen können, sollte der Dampfer, wenn auch nicht Anker werfen, so doch mit geringerer Geschwindigkeit fahren, während die Dampfschaluppe ans Land ging.

Als Ellis mit dem Fernrohre die Küste untersuchte, entdeckte er schließlich eine Art Kluft in den Felsen, aus der sich ein Bach ins Meer ergoß. Zach Fren glaubte, nachdem er diese Stelle ins Auge gefaßt hatte, daß dort eine passende Landungsstelle wäre.

Der Capitän befahl also, die Dampfschaluppe in Bereitschaft zu setzen, was in einer halben Stunde geschehen war. Dann schiffte er sich mit Zach Fren und vier anderen Matrosen ein, indem sie aus Vorsicht zwei Gewehre, zwei Hacken und mehrere Revolver mitnahmen. Während der Abwesenheit des Capitäns übernahm der Obersteuermann den Befehl des Schiffes, indem er langsam hin-und herfahren und auf etwaige Signale achten sollte.

Um halb zwei fuhr die Schaluppe ab und landete in einigen Minuten an einem sandigen, da und dort von Felskanten durchbrochenen Strande. Ellis, Zach Fren und zwei Matrosen stiegen sofort aus, während die zwei anderen als Wache in der Schaluppe blieben. Die Vier kletterten nun den Felseneinschnitt hinauf und erreichten das Plateau.

Da sich in einer Entfernung von ungefähr hundert Metern ein sonderbar geformter Felsen erhob und dessen Gipfel einen Ausblick zu gewähren schien, so stiegen sie, nicht ohne Schwierigkeiten, hinauf, von wo sie die Insel in ihrer ganzen Ausdehnung überblicken konnten. Sie hatte eine ovale Gestalt, die einer Schildkröte nicht unähnlich aussah, deren Schweif das Vorgebirge bildete. Theilweise von fruchtbarer Erde bedeckt, hatte sie keine madreporische Formation wie die Koralleninseln in der Meerenge von Torres. Hier und da leuchtete das Grün zwischen den Granitfelsen, das aber mehr von Moos als von Gras, mehr von Steinen als Wurzeln, mehr von Gestrüpp als Strauchwerk herrührte. Woher kam denn dieser Bach? Wurde er vielleicht durch eine unterirdische Quelle gespeist? Das war nicht leicht zu erkennen, obwohl sie bis zu dem Mastsignale blicken konnten.

Von dem Felsen sahen sie nun nach allen Richtungen hin, ob sie nicht einen aufsteigenden Rauch oder ein menschliches Wesen erblicken könnten. Vergebens! Die Insel konnte wohl einmal bewohnt gewesen sein, aber sie war es nicht mehr.

»Ein trauriger Zufluchtsort für Schiffbrüchige! sagte der Capitän Ellis. Wenn sie sich hier haben lange aufhalten müssen, so möchte ich wohl wissen, wovon sie gelebt haben!

– Ja, erwiderte Zach Fren, es ist nur ein ödes Plateau. Hier und da einige Bäume… Der Felsen ist kaum mit fruchtbarer Erde bedeckt… Aber es ist doch nicht zu verschmähen, wenn man Schiffbruch gelitten hat!… Ein Stück Felsen unter den Füßen ist immer noch besser als zu ertrinken!

– Für den ersten Augenblick schon, erwiderte der Capitän, später dann…

– Uebrigens ist es möglich, daß die Schiffbrüchigen, die sich auf diese Insel gerettet hatten, von irgend einem Schiffe aufgenommen worden sind…

– Wie es auch möglich ist, daß sie den Entbehrungen unterlegen sind…

– Was bringt Sie auf diesen Gedanken, Herr Capitän?

– Weil sie doch sicher das Mastsignal entfernt hätten, wenn sie auf diese oder jene Weise die Insel verlassen haben würden. Es ist auch zu befürchten, daß der letzte dieser Unglücklichen gestorben ist, bevor man ihm Hilfe bringen konnte. Nun, gehen wir auf diesen Mast zu; vielleicht finden wir ein Anzeichen über die Nationalität des Schiffes, das in diesen Graden gescheitert ist.«

Die Seeleute stiegen nun den Felsen wieder hinab und gingen auf das Vorgebirge zu, das sich gegen Norden ausdehnte. Aber kaum waren sie weiter gegangen, als einer von ihnen mit dem Fuße an einen Gegenstand stieß.

»Da… was ist denn das?… rief er.

– Gieb her!« erwiderte Zach Fren.

Es war eine Messerklinge nach Art jener, welche die Matrosen in ihrem Gürtel in einem ledernen Futteral tragen. Diese Klinge mochte vom Griff abgebrochen und als unnütz weggeworfen worden sein.

»Nun? fragte der Capitän.

– Ich suchte nach einer Fabriksmarke,« erwiderte Zach Fren.

Die Klinge mochte auch eine solche Marke haben, aber sie war so verrostet, daß sie zuerst abgekratzt werden mußte. Dies that nun Zach Fren und er konnte, wenn auch mit Mühe, die Worte »Sheffield – England« lesen.

So war also die Klinge englisches Fabrikat, aber daraus zu schließen, daß die Schiffbrüchigen der Insel Browse Engländer waren, wäre zu gewagt gewesen. Warum hätte dieses Instrument nicht auch einem Matrosen einer anderen Nationalität gehören können, da die Erzeugnisse von Sheffield ja in der ganzen Welt verbreitet sind? Nur wenn man noch andere Gegenstände fände, konnte diese Hypothese zur Gewißheit werden.

Die Seeleute setzten nun ihren Weg gegen das Vorgebirge fort, der aus Mangel eines jeden Pfades ziemlich beschwerlich war. Nach einem Marsche von ungefähr zwei Meilen blieb der Capitän Ellis bei einer Gruppe von Cocosbäumen stehen, deren Nüsse vor langer Zeit herabgefallen und nur noch Staub und Moder waren. Bis jetzt war noch nichts weiter gefunden worden, aber einige Schritte von diesen Bäumen entfernt, konnte man deutlich einige Spuren von Bebauung in den mit Gestrüpp ausgefüllten Furchen bemerken. Unter dem dichten Gestrüpp fand ein Matrose eine Hacke, die nach der Bearbeitung des Eisens, das mit dickem Roste überzogen war, wohl amerikanisches Fabrikat sein konnte.

»Was denken Sie davon, Capitän? fragte Zach Fren.

– Ich denke, daß sich jetzt gar nichts darüber sagen läßt, erwiderte dieser.

– Gut, gehen wir weiter,« versetzte Zach Fren, indem er den übrigen Matrosen ein Zeichen gab.

Sie stiegen nun die Abhänge des Plateaus hinab und kamen auf eine Ebene, an der sich nördlich das Vorgebirge anschloß. Dieser Platz war ungefähr einen Acker groß, sandig und von Felsen umgeben. Hier lagen nun verschiedene Gegenstände herum, ein Zeichen, daß Menschen sich daselbst länger aufgehalten hatten, so Glas-und Thonstücke, Conservenbüchsen, deren amerikanisches Fabrikat nicht bezweifelt werden konnte, dann verschiedene andere Werkzeuge, die bei der Marine verwendet wurden: Stücke von Ketten, gebrochene Ringe, eine Spritzenspitze, Eisenblechstücke, über deren Herkunft die Matrosen sich kaum mehr täuschen konnten.

»Das ist kein englisches Schiff, welches hier gescheitert ist, sagte der Capitän Ellis, das ist ein Schiff der Vereinigten Staaten…

– Und man könnte behaupten, daß es in einem unserer Häfen des Stillen Oceans erbaut worden ist,« antwortete Zach Fren, dessen Meinung auch die anderen beiden Matrosen theilten.

Aber nichts konnte noch zu dem Glauben führen, daß dieses Schiff der »Franklin« gewesen war.

In jedem Falle drängte sich die Frage auf, ob dieses Schiff auf hoher See gescheitert wäre, da sich keine Trümmer von demselben vorfanden, und ob die Bemannung sich auf Booten auf diese Insel retten konnte.

Nein! Der Capitän fand bald den Beweis, daß das Schiff an den Klippen der Insel selbst gescheitert war. In einer kleinen Bucht, umgeben von spitzigen Felsen und Korallenriffen, erblickte man den Rumpf eines Schiffes, an welches die Wogen mit furchtbarer Gewalt anschlugen. Nicht ohne tiefe Bewegung sahen die Seeleute auf diese Reste hin. Es war nicht ein Stück mehr ganz und man konnte sich leicht vorstellen, daß das Schiff an diese Felsen geworfen worden war.

»Suchen wir, sagte der Capitän, vielleicht finden wir einen Namen, einen Buchstaben, ein Zeichen, welches uns die Nationalität des Schiffes erkennen läßt.

– Ja, und gebe Gott, daß es nicht der »Franklin« ist, der so furchtbar zugerichtet erscheint,« erwiderte Zach Fren.

Aber existirte wirklich ein solches Zeichen? Angenommen, der Theil der Schiffswand, worauf gewöhnlich der Name des Schiffes steht, war erhalten, konnten nicht die Buchstaben durch Regen und Meereswogen ganz verwischt sein?

Es zeigte sich jedoch nichts, und die Nachforschungen blieben erfolglos. Wenn wirklich einige von den gefundenen Gegenständen am Strande amerikanisches Fabrikat waren, konnte man da behaupten, daß sie dem »Franklin« gehörten?

Zugegeben, die Schiffbrüchigen hatten auf dieser Insel eine Zufluchtsstätte gefunden – was der aufgestellte Mast deutlich bewies – zugegeben, daß sie während einer unbestimmbaren Zeit dort gelebt hatten, so mußten sie sicher in einer Felsenhöhle, wahrscheinlich in der Nähe des Strandes, Schutz gesucht haben, um die Trümmer des Schiffes, die sich zwischen den Felsen aufgespeichert hatten, benutzen zu können.

Einer der Matrosen entdeckte auch bald diese Höhle, welche sich in einem ungeheuren Felsen befand. Der Capitän und Zach Fren wurden von dem Matrosen gerufen. Vielleicht enthielt diese Höhle das Geheimniß? Vielleicht enthüllte sie den Namen des Schiffes?

Vor dem schmalen Eingang erblickten sie die Ueberreste eines Feuers, dessen Rauch die Felsenwand geschwärzt hatte. Die Höhle selbst war ungefähr zehn Fuß hoch, zwanzig Fuß tief und fünfzehn Fuß breit, so daß bequem ein Dutzend Menschen darin wohnen konnten. Die Einrichtungsstücke bestanden aus einer Streu von trockenem Grase, bedeckt mit einem Stück Segel, einer Bank, die aus Schiffstrümmern gebaut zu sein schien, einem Tisch und mehreren Stühlen; außerdem aus einigen Tellern und blechernen Schüsseln, drei Gabeln, zwei Löffeln, einem Messer, drei Bechern; in einer Ecke ein Wasserbehälter; auf dem Tische stand eine Schiffslampe. Sonst lagen verschiedene Küchengegenstände umher, auf der Streu mehrere Kleider.

»Die Unglücklichen, rief Zach Fren aus, was müssen Sie auf dieser Insel gelitten haben?

– Sie konnten kaum etwas von ihrem Schiffe retten, erwiderte der Capitän, woraus man ersieht, mit welcher Heftigkeit das Schiff an die Küste geschleudert wurde. Alles wurde vernichtet. Wie konnten diese Armen leben?

– Ohne Zweifel säeten sie ein wenig Korn, hatten ein bischen gesalzenes Fleisch und Conserven, die sie bis auf die letzte Büchse geleert haben… Aber welches Leben, welche Leiden!

– Höchstens durch den Fischfang konnten sie ihren Bedürfnissen noch genügen.«

Was nun die Frage anbelangt, ob diese Leute noch auf der Insel wären, so mußte sie wohl verneint werden; übrigens würde man ja die Ueberreste des letzten Ueberlebenden finden… Man durchsuchte sorgfältig die ganze Höhle, aber ohne Erfolg.

 

Sie stiegen nun die Abhänge des Plateaus hinab. (S. 150.)

Sie stiegen nun die Abhänge des Plateaus hinab. (S. 150.)

 

»Das bringt mich zu dem Glauben, bemerkte Zach Fren, daß die Schiffbrüchigen heimgekehrt sind.

– Und auf welche Weise? fragte der Capitän. Konnten sie sich denn aus den Trümmern ihres Schiffes ein seetüchtiges Boot bauen?

 

 »Die Unglücklichen!« rief Zach Fren aus. (S. 151.)

»Die Unglücklichen!« rief Zach Fren aus. (S. 151.)

 

– Nein, denn sie hatten nicht einmal genug Holz für einen Kahn. Ich glaube eher, daß ihre Signale von einem vorüberfahrenden Schiffe bemerkt worden sind.

– Das glaube ich nicht.

– Und warum nicht, Herr Capitän?

– Weil, wenn sie ein Schiff aufgenommen haben würde, sich dies in der ganzen Welt verbreitet hätte, vorausgesetzt, daß dieses Schiff nicht mit Mann und Maus untergegangen ist. Ich bezweifle daher, daß diese Schiffbrüchigen auf solche Weise gerettet worden sind.

– Gut, sagte Zach Fren, der sich nicht leicht von seiner Meinung abbringen ließ, wenn es ihnen unmöglich war, eine Schaluppe zu bauen, so kann ihnen doch aus dem Schiffbruche ein Boot übrig geblieben sein und in diesem Falle…

– Nun, selbst in diesem Falle, erwiderte der Capitän, glaube ich, da man seit Jahren nichts gehört hat, daß in diesen Gegenden Schiffbrüchige aufgenommen worden wären, daß dieses Boot während seiner Fahrt von mehreren hundert Meilen zwischen der Insel Browse und der Küste Australiens zu Grunde gegangen ist.«

Es wäre schwer gewesen, darauf etwas zu erwidern. Zach Fren sah es ein, aber er wollte doch gern wissen, was aus den Schiffbrüchigen geworden sei, und er sagte:

»Herr Capitän, Sie haben doch die Absicht, alle Theile der Insel zu durchsuchen?

– Ja… um mir keine Gewissensbisse zu machen. Aber zuerst wollen wir diesen Signalmast niederlegen, damit er nicht mehr die vorüberfahrenden Schiffe herbeilockt, da doch Niemand zu retten ist.«

Die Seeleute verließen die Höhle und untersuchten noch einmal den Strand, dann gingen sie dem Vorgebirge zu. Sie mußten ein tiefes Becken, eine Art steinernen Teiches umgehen, in welchem sich das Regenwasser sammelte und dann weiter floß. Plötzlich blieb der Capitän stehen. An dieser Stelle zeigte der Boden vier Erhöhungen, und wahrscheinlich hätten diese keine Aufmerksamkeit erregt, wenn auf denselben nicht kleine hölzerne Kreuze, halb verfault, gestanden hätten. Das waren Gräber. Hier war der Friedhof der Schiffbrüchigen.

»Nun endlich, rief der Capitän aus, werden wir vielleicht etwas erfahren können!«

Es war sicher nicht Mangel an Achtung vor den Todten, als man beschloß, die Gräber zu öffnen, um vielleicht ein Anzeichen ihrer Nationalität zu finden.

Die zwei Matrosen machten sich sofort an die Arbeit. Aber es mußten seit der Bestattung dieser Leichen Jahre verflossen sein, denn die Gräber enthielten nur Knochen. Der Capitän ließ sie wieder zumachen und die Kreuze daraufsetzen.

Wenn die vier Menschen hier begraben wurden, was war denn aus dem geworden, der ihnen den letzten Liebesdienst erwiesen hatte? Und als ihn der Tod erreichte, wo mag er zusammengebrochen sein? Würde man sein Skelet nicht auf einem andern Punkte der Insel finden?

Der Capitän hoffte es nicht.

»Es wird uns nicht gelingen, rief er aus, den Namen des Schiffes kennen zu lernen… Sollen wir denn nach San-Diego zurückkehren, ohne die Trümmer des »Franklin« gefunden zu haben, ohne zu wissen, was aus John Branican und seinen Gefährten geworden ist?

– Warum könnte das Schiff hier nicht der »Franklin« sein? fragte ein Matrose.

– Und warum könnte er es sein?« erwiderte Zach Feen.

In der That konnte nichts die Annahme rechtfertigen, daß die Schiffstrümmer an dieser Insel dem »Franklin« angehörten, und so schien denn auch die zweite Expedition keinen besseren Erfolg zu haben als die erste.

Der Capitän blickte schweigend auf die Gräber, wo die Armen mit dem Ende des Lebens auch das ihrer Leiden gefunden hatten. Waren das Landsleute, Amerikaner, wie er?… Waren das Diejenigen, welche sie suchten?

»Nach dem Signalmaste!« sagte er.

Zach Fren und seine Matrosen folgten ihm. Die halbe Meile, welche sie von diesem trennte, wurde in zwanzig Minuten zurückgelegt, denn der Boden war felsig. Als sie neben dem Maste standen, sahen sie, daß er tief in den Felsen eingerammt war. Nur deshalb konnte er so lange stehen. Wie man schon durch das Fernrohr erkannt hatte, rührte dieser Mast – die äußerste Spitze des Bugspriets – von den Trümmern des Schiffes her. Der Fetzen, der an demselben hing, war nur ein Stück Segeltuch, ohne jedes Anzeichen der Nationalität. Auf Befehl des Capitäns schickten sich die beiden Matrosen an, den Mast zu fällen, als Zach Fren plötzlich ausrief: »Herr Capitän… Da… da sehen Sie!

– Was denn?

– Diese Glocke!«

An einem noch ziemlich festen Gerüste hing eine Glocke, deren Metall ganz mit Rost überzogen war. So hatten sich die Schiffbrüchigen nicht allein damit begnügt, den Mast zu errichten und die Fahne daran zu befestigen, sondern sie hatten an diesen Ort auch die Schiffsglocke gebracht, da sie hofften, sie könnte von einem vorüberfahrenden Schiffe gehört werden. Doch trug denn diese Glocke nach dem allgemeinen Gebrauche nicht den Namen des Schiffes?

Der Capitän trat auf das Gerüst zu, als er plötzlich erstarrt stehen blieb. Am Fuße desselben lagen die Reste eines Skelettes, oder, um besser zu sagen, ein Hause von Knochen, an denen nur noch einige Lumpen klebten. So waren also fünf Schiffbrüchige dagewesen. Vier waren gestorben und der fünfte war allein zurückgeblieben…

Dann hatte er eines Tages die Grotte verlassen, sich zur äußersten Spitze des Vorgebirges geschleppt, die Glocke geläutet, um sich einem Schiffe in der Ferne bemerkbar zu machen… er fiel aber wohl an diesem Platze nieder, um nicht mehr aufzustehen… Nachdem der Capitän den Matrosen befohlen hatte, ein Grab für die Gebeine auszuheben, gab er Zach Fren ein Zeichen, ihm zu folgen, um die Glocke zu prüfen..

Auf dem Metalle las man deutlich folgenden Namen und folgende Ziffern:

 

Franklin

1875.

Fünfzehntes Capitel.

Ein Lebender.

Während der »Dolly-Hope« seine zweite Expedition durch die See von Timor unternahm und sie unter den geschilderten Umständen beendigte, brachten Mrs. Branican, ihre Freunde und die Familien der verschwundenen Mannschaft lange Wochen ängstlicher Erwartung zu. Wie viel Hoffnungen wurden dem von dem »Californian« aufgefischten Holzstücke beigelegt, das sicher dem »Franklin« gehörte! Würde es dem Capitän Ellis gelingen, die Trümmer des Schiffes auf einer der Inseln oder einem Punkte der australischen Küste zu finden? Würde er John Branican, Harry Felton und die zwölf eingeschifften Matrosen finden? Würde er endlich einen oder mehrere der Ueberlebenden nach San-Diego zurückbringen?

Seit der Abfahrt des »Dolly-Hope« waren zwei Briefe des Capitäns eingetroffen. In dem ersten theilte er die vergebliche Durchforschung der Gewässer von Timor bis zu der äußersten Grenze des Meeres von Arafoura mit; in dem zweiten, daß die Inseln Melville und Bathurst besucht wurden, ohne die geringste Spur von dem »Franklin« zu finden. Zu gleicher Zeit wurde Mrs. Branican mitgetheilt, daß die Fahrt noch bis zu dem westlichen Theile von Australien durch die verschiedensten umliegenden Inselgruppen fortgesetzt werde. Dann würde, wenn auch die kleinen Sundainseln besucht worden wären, das Schiff wieder heimkehren und damit wäre jede Hoffnung geschwunden.

Seitdem traf monatelang kein weiteres Schreiben ein und nun hoffte man täglich in San-Diego, daß die Ankunft des Schiffes werde signalisirt werden. Unterdessen ging das Jahr 1882 vorüber. Obwohl Mrs. Branican keine weiteren Nachrichten von dem Capitän Ellis erhalten hatte, so beunruhigte sie sich doch nicht über das Schicksal des »Dolly-Hope«, weil die Postverbindungen, besonders im Stillen Ocean, sehr schlecht sind.

Als auch schon der Februar herankam, da fand denn auch Mr. William Andrew diese Expedition sehr lang dauernd. Jeden Tag begaben sich einige Personen auf die Islandspitze, indem sie hofften, das Schiff in Sicht zu bekommen, denn die Seeleute von San-Diego hätten es gleich an seinem Gange erkannt.

Am Morgen, den 27. März, erschien endlich der »Dolly-Hope« auf der Höhe und legte nach einer Stunde im Hafen von San-Diego an. Diese Neuigkeit hatte sich schnell in der Stadt verbreitet und die Leute eilten von allen Seiten dem Hafen zu.

Mrs. Branican, Mr. William Andrew und einige andere Freunde begaben sich sofort an Bord des »Dolly-Hope«. In einigen Augenblicken hatten sie Alle den Erfolg der Expedition erfahren: An der westlichen Grenze der See von Timor, auf der Insel Browse war der »Franklin« gescheitert… Hier hatten die Schiffbrüchigen einen Zufluchtsort gefunden… Hier waren sie gestorben…

»Alle? fragte Mrs. Branican.

– Alle!« erwiderte Ellis.

Die Bestürzung war eine allgemeine, als der »Dolly-Hope« mit halb gehißter Flagge – zum Zeichen der Trauer für die Schiffbrüchigen des »Franklin« – in die Bucht von San-Diego einfuhr.

Die zweite Fahrt hatte ungefähr ein Jahr gedauert und trotz der Anstrengungen der Bemannung hatte sie keinen anderen Erfolg, als daß sie alle Hoffnungen zerstörte. In der kurzen Zeit, welche Mrs. Branican und Mr. William Andrew an Bord des Schiffes verweilten, theilte ihnen Ellis seine Erlebnisse auf der Insel Browse mit. Obgleich Mrs. Branican erfuhr, daß kein Zweifel über den Untergang Johns und seiner Gefährten bestehen konnte, so bewahrte sie doch ihre Fassung. Sie weinte keine Thräne, sie stellte keine Frage. Da die Trümmer des »Franklin« auf dieser Insel gefunden wurden und keiner der Schiffbrüchigen am Leben geblieben war, was hätte sie noch zu fragen gehabt? Man würde ihr die ganze Fahrt später näher beschreiben; nachdem sie den Capitän Ellis und Zach Fren die Hand gedrückt hatte, setzte sie sich auf das Hintertheil des Schiffes und versank in tiefes Nachdenken; trotz so vieler Beweise wollte sie es nicht glauben, daß sie Witwe sei.

Sie lud für Nachmittag den Capitän Ellis, Zach Fren und Mr. William Andrew in das Prospect-House ein, um einen ganz genauen Bericht über die Fahrt zu erhalten.

Als ein Boot Mrs. Branican wieder ans Land setzte, machte die dicht gedrängte Menge der schwer geprüften Frau ehrerbietigst Platz.

Gegen drei Uhr Nachmittags begaben sich Mr. William Andrew, Zach Fren und Ellis in das Prospect-House, wo sie sofort in den Salon geführt wurden, auf dessen Tisch eine große Karte der Gewässer von Nordaustralien ausgebreitet lag.

»Herr Capitän, sagte Dolly, ich bitte mir über Ihre Fahrt zu berichten.«

Und nun schilderte Ellis die ganze Reise, als wenn er sie aus dem Tagebuche läse, indem er nichts vergaß, nichts wegließ und sich manchmal an Zach Fren wendete, damit dieser seine Worte bestätige. Als er nun auf die Insel Browse zu sprechen kam, da mußte er Alles erzählen, was von Stunde zu Stunde, von Minute zu Minute vorgefallen war; und Mrs. Branican, stets unbeweglich und nur leicht mit den Händen zitternd, sah Alles vor ihren Augen, als wenn sie es selbst erlebt hätte: Die Landung des Capitäns und seiner Leute, die Besteigung des Felsens, die Auffindung der Messerklinge, die Spuren des Feldbaues, die Schiffstrümmer an den Klippen, die Höhle, welche die Ueberlebenden bewohnt hatten, die Entdeckung der vier Gräber, das Skelet des letzten dieser Unglücklichen am Fuße des Signalmastes, die Alarmglocke… in diesem Augenblicke erhob sich Dolly, als wenn sie diese Glocke in ihrem einsamen Hause gehört hätte…

Der Capitän Ellis nahm aus seiner Tasche ein Medaillon, das durch Nässe sehr gelitten hatte und reichte es ihr. Eine halb verwischte Photographie Dollys enthielt dies Medaillon, welches sie John bei der Abfahrt des »Franklin« gegeben hatte und das in einem dunklen Winkel der Höhle gefunden wurde. Wenn dieses Medaillon bewies, daß John sich unter den fünf Schiffbrüchigen auf dieser Insel befand, folgte daraus, daß er auch einer jener war, die der Noth und den Entbehrungen zum Opfer gefallen waren?

Die Karte der australischen Meere lag ausgebreitet auf dem Tische, jene Karte, vor welcher Dolly seit sieben Jahren so oft die Erinnerung an John wachgerufen hatte. Sie ersuchte den Capitän, ihr die Insel Browse zu zeigen, jenen kaum sichtbaren Punkt, den die Wirbelstürme des Indischen Meeres umbrausen.

»Wäre man einige Jahre früher gekommen, fügte der Capitän hinzu, so hätte man vielleicht John und seine Gefährten noch lebend angetroffen…

– Ja, vielleicht, sagte Mr. William Andrew, und dorthin hätte der »Dolly-Hope« auf seiner ersten Reise fahren sollen!… Aber wer hätte glauben können, daß der »Franklin« auf einer Insel des Indischen Oceans scheitern würde?

– Das konnte man nicht, erwiderte der Capitän, nach der Route, welche er nehmen mußte, und er auch wirklich genommen hat, weil das Schiff im Süden der Insel Celebes gesehen worden ist… Der Capitän John, der seines Schiffes nicht mehr Herr war, wurde jedenfalls durch die Meerengen der Sundainseln in die See von Timor und bis zur Insel Browse getrieben.

– Ja, und so mag es sich auch verhalten, sagte Zach Fren.

– Herr Capitän, sagte dann Mrs. Branican, indem Sie den »Franklin« in dem malayischen Meere suchten, haben Sie gehandelt, wie Sie handeln mußten… aber Sie hätten zuerst zur Insel Browse fahren sollen… Ja!… dorthin!«

Dann betheiligte sie sich an dem Gespräche und wollte, gestützt auf gewisse Ziffern, noch einen Hoffnungsstrahl bewahren.

»An Bord des »Franklin«, sagte sie, befanden sich der Capitän John, der Obersteuermann Harry Felton und zwölf Matrosen. Sie haben auf der Insel die Ueberreste von vier Menschen gefunden und der letzte lag todt am Fuße des Signalmastes, was ist denn aus den anderen neun geworden?

– Das wissen wir nicht, erwiderte der Capitän.

– Das weiß ich, erwiderte Mrs. Branican, aber ich frage Sie, was konnte aus ihnen werden?

– Vielleicht sind sie zugrunde gegangen, als der »Franklin« an die Klippen der Insel geworfen wurde.

– Sie glauben also, daß nur Fünf den Schiffbruch überlebt haben?

– Das ist unglücklicherweise die nächstliegende Erklärung, fügte Mr. William Andrew hinzu.

– Dieser Ansicht bin ich nicht, erwiderte Mrs. Branican. Warum hätte nicht die ganze Bemannung die Insel gesund erreichen können?… Warum hätte es neun von ihnen nicht gelingen können, sie zu verlassen?«

– Und auf welche Weise, Mrs. Branican? erwiderte lebhaft der Capitän.

– Indem sie sich auf einer Schaluppe einschifften, die sie sich aus den Trümmern des Schiffes erbauten…

– Mrs. Branican, versetzte Ellis, Zach Fren und ich können Ihnen sagen, daß das unmöglich gewesen wäre, da sich die Trümmer des Schiffes in einem elenden Zustande befanden.

– Aber… auf eines ihrer Boote.

– Die Boote des »Franklin« konnten, wenn sie nicht zerschmettert wurden, sich nicht bis nach den Küsten von Australien oder den Sundainseln wagen.

– Und wenn neun Schiffbrüchige die Insel verlassen konnten, bemerkte Mr. William Andrew, warum blieben die fünf anderen dort zurück?

– Dann will ich nur noch erwähnen, hub Ellis von neuem an, daß, wenn sie sich wirklich auf einem Boote aufs Meer gewagt haben, sie entweder untergegangen oder den Eingeborenen Australiens zum Opfer gefallen sind, weil sie nie zurückkehrten.«

Mrs. Branican wandte sich an den Hochbootsmann:

»Zach Fren, sagte sie, sind Sie ganz derselben Meinung wie der Capitän Ellis?

– Ich denke,… erwiderte Zach Fren, ich denke, daß, wenn die Dinge so sein konnten,… sie auch möglicherweise hätten anders sein können.

– Auch ich glaube, erwiderte Mrs. Branican, daß wir nicht die absolute Gewißheit über das Schicksal der neun Menschen haben, deren Ueberreste nicht auf der Insel gefunden worden sind. Was Sie und Ihre Mannschaft

anbelangt, Herr Capitän, so haben Sie Alles gethan, was ein Mensch zu thun im Stande ist.

– Ich hätte mir nur besseren Erfolg gewünscht, Mrs. Branican!

– Wir wollen uns zurückziehen, liebe Dolly, sagte Mr. William Andrew, da er glaubte, daß die Sitzungschon zu lange gedauert habe.

 

... las man deutlich folgenden Namen und folgende Jahreszahl: Franklin 1875. (S. 156)

… las man deutlich folgenden Namen und folgende Jahreszahl: Franklin 1875. (S. 156)

 

– Ja, lieber Freund, erwiderte Mrs. Branican, ich fühle das Bedürfniß allein zu sein…. Aber so oft Capitän Ellis mich besuchen wird, werde ich glücklich sein, wenn ich mit ihm von John und seinen Gefährten werde sprechen können.

– Ich stehe stets zu Ihrer Verfügung, antwortete Ellis.

– Und auch Sie, Zach Fren, fügte Mrs. Branican hinzu, vergessen Sie nicht, daß mein Haus das Ihrige ist.

– Dasmeinige?… fragte der Hochbootsmann. Aber was soll aus »Dolly-Hope« werden?

– Der »Dolly-Hope«? sagte Mrs. Branican, als ob diese Frage ihr ganz unnöthig erschien.

– Sie werden doch nicht die Absicht haben, bemerkte Mr. William Andrew, ihn zu verkaufen, wenn sich eine Gelegenheit fände….

– Ihn zu verkaufen?… versetzte Mrs. Branican lebhaft, ihn zu verkaufen?… Nein, Herr Andrew, niemals!«

Mrs. Branican und Zach Fren sahen sich an und sie hatten sich verstanden.

Von jenem Tage an lebte Dolly sehr zurückgezogen im Prospect-House. wohin sie alle Dinge vom Schiffe bringen ließ, die man auf der Insel Browse gefunden hatte.

Der »Dolly-Hope« wurde nun abgetakelt und der Aufsicht Zach Fren’s unterstellt. Die Bemannung wurde reichlich belohnt entlassen. Aber wenn jemals das Schiff wieder in See stechen sollte, so konnte man auf sie rechnen.

So oft Zach Fren in das Prospect-House kam, sprach Mrs. Branican über die Einzelheiten der letzten Fahrt mit ihm. Eines Tages sagte sie zu ihm:

»Zach Fren, weder John noch seine acht Gefährten sind todt!

– Die acht?… Das weiß ich nicht. Aber das weiß ich, daß Capitän John lebt.

– Ja… Er lebt! Aber wo ihn suchen, Zach Fren?… Wo ist mein armer John?

– Er ist dort, wo er ist, und sicher irgendwo… Und wenn wir nicht zu ihm fahren… so werden wir doch von ihm Nachricht erhalten!… Ich sage nicht in einem frankirten Briefe… aber wir werden doch von ihm Nachricht erhalten!

– John lebt, Zach Fren!«

So hatten denn Mrs. Branican und Zach Fren immer noch Hoffnungen, die Mr. William Andrew, der Capitän Ellis und Jeder in San-Diego schon verloren hatten.

Das Jahr 1883 brachte nichts, was die Angelegenheit hätte in Fluß bringen können. Der Capitän Ellis war für sein Haus Andrew wieder in die See gestochen. Mr. William Andrew und Zach Fren waren die einzigen Besucher im Prospect-House. Was Mrs. Branican anbelangt, so widmete sie sich ganz dem Waisenhause Wat-House. Außerdem hörte sie nicht auf, die Armen zu unterstützen. Nicht Einer klopfte vergebens an ihre Thüre, und mit den bedeutenden Einkünften aus ihrem Vermögen, das Mr. William Andrew verwaltete, stand sie stets den armen Matrosenfamilien zur Seite, deren Angehörige sich auf dem »Franklin« befunden hatten. Hoffte sie nicht, daß einige von ihnen einmal zurückkehren würden?

Das bildete immer den Gegenstand des Gespräches mit Zach Fren. Welches Schicksal hatten die Schiffbrüchigen gehabt, von denen man keine Spur auf der Insel Browse gefunden hatte?… Warum hätten sie die Insel nicht auf einem Boote verlassen können, das sie sich gebaut hatten?… Freilich waren jetzt schon so viele Jahre verflossen, daß es thöricht erschien, noch weiter zu hoffen.

Dolly sah im Traume stets John… Er hatte sich aus dem Schiffbruche gerettet… Das Schiff, das ihn heimbringen sollte, war in Sicht… John war nach San-Diego zurückgekehrt… Diese Träume faßte Dolly immer wieder als ein Zeichen auf, daß Alles so kommen werde.

Es verflossen wieder einige Jahre und 1890 waren es schon vierzehn Jahre, daß der »Franklin« San-Diego verlassen hatte. Mrs. Branican war damals siebenunddreißig Jahre alt. Wenn auch ihr Haar schon zu bleichen begann und ihr Teint blässer wurde, so hatte doch ihr Auge das frühere Feuer bewahrt. Es schien, als habe sie nichts von jener Energie verloren, die ihr stets eigenthümlich war und die sie bei einer passenden Gelegenheit wieder beweisen sollte.

In diesen langen Jahren, die kein Licht über die geheimnißvolle Katastrophe brachten, hatte Mrs. Branican nicht aufgehört, Nachforschungen nach Len und Jane Burker anzustellen. Da gar kein Brief nach San-Diego kam, so mußte Len Burker Amerika ganz verlassen haben und wohl unter falschem Namen in einem fernen Lande wohnen. Das war ein großer Schmerz für Mrs. Branican, denn wie glücklich wäre sie in ihrer Einsamkeit gewesen, wenn sie Jane bei sich gehabt hätte!… Jane wäre eine hingebende Gefährtin gewesen… Aber sie war weit weg und für Dolly ebenso verschollen wie John.

Die Hälfte des Jahres 1890 war schon verflossen, als eine Zeitung in San-Diego in ihrer Nummer vom 26. Juli eine Nachricht brachte, die eine ungeheuere Sensation auf beiden Continenten hervorrief. Diese Nachricht wurde aus dem »Morning Herald«, einer Zeitung in Sydney, abgedruckt und lautete ungefähr folgendermaßen:

»Man erinnert sich, daß die vor sieben Jahren angestellten Nachforschungen des »Dolly-Hope« nach dem »Franklin« aufgegeben wurden. Man mußte annehmen, daß alle Schiffbrüchigen umgekommen seien, entweder bevor sie die Insel Browse erreichten, oder, nachdem sie dieselbe verlassen hatten.

Jetzt ist die Frage in ein neues Stadium getreten. Einer der Officiere des »Franklin« ist soeben in Sydney angekommen, nämlich Harry Felton, der Steuermann des Capitäns John Branican. Er wurde an den Ufern des Parrn, einem Nebenflusse des Darling, nahe der Grenze des südlichen Neu-Südwales und Queensland gefunden und nach Sydney gebracht. Aber er ist so schwach, daß er keine Auskunft geben kann und man befürchtet täglich seinen Tod. Es wird gebeten, dies denen, die sich für die Katastrophe des »Franklin« interessiren, mitzutheilen.«

Mr. William Andrew erhielt diese Nachricht auf telegraphischem Wege und eilte sofort in das Prospect-House, wo sich gerade Zach Fren befand.

Als Mrs. Branican dies hörte, antwortete sie nur:

»Ich fahre nach Sydney.

– Nach Sydney?… fragte Mr. William Andrew.

– Ja, nach Sydney! Wollen Sie mich begleiten, Zach Fren?

– Ich gehe überallhin mit, Mrs. Branican.

– Ist der »Dolly-Hope« segelfertig?

– Nein, erwiderte Mr. William Andrew, und man brauchte drei Wochen.

– Ich muß in weniger als drei Wochen in Sydney sein! Fährt kein Postdampfer nach Australien?

– Der »Oregon« verläßt noch heute Nacht San-Francisco.

– Zach Fren und ich werden heute Abend in San-Francisco sein.

– Liebe Dolly, sagte Mr. William Andrew, möge Gott Sie mit Ihrem John vereinigen!

– Er wird uns vereinigen!« erwiderte Mrs. Branican.

Um elf Uhr Abends fuhren Mrs. Branican und Zach Fren mit einem Extrazuge nach der Hauptstadt Californiens

Um ein Uhr Nachts verließ der »Oregon« San-Francisco in der Richtung nach Sydney.