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Vom Guten, Bösen und Katastrophalen,
Jonestown, Harrisburg,
und von Idealisten und Fanatikern
Fortsetzung der Sitzung 846, Mittwoch, den 4. April 1979
(22.20 Uhr.) Kapitel 7: »Vom Guten, Bösen und Katastrophalen, Jonestown, Harrisburg, und von Idealisten und Fanatikern«.
Geduldet euch einen Moment... (Lange Pause.) Das ist das Ende des Diktats.
(22.22 Uhr. Jetzt kam Seth mit einigem Material für Jane und mich durch, darunter - scharfsinnig wie immer - mit der Deutung dreier Träume, die ich kürzlich gehabt hatte. Ende um 22.41 Uhr.) Sitzung 848, Mittwoch, den 11. April 1979
(Wie der Titel des Kapitels 7 nahelegt, sind die Erörterungen der Vorfälle von Jonestown und Three Mile Island* noch keineswegs abgeschlossen.
* Einige Meilen südlich von Harrisburg räkelt sich Three Mile Island mit seinen beiden defekten beziehungsweise lahmgelegten Kernreaktoren auf seiner Insel wie ein verwundeter Behemoth. Die Ingenieure arbeiten fieberhaft, damit die Wassertemperatur im Kühlsystem des beschädigten Reaktors unter den Siedepunkt sinkt, der Druck nachläßt und das Risiko eines Durchschmelzens der Uraniumbrennstäbe im Reaktorkern nicht mehr besteht. Aber es wird monatelang, wenn nicht länger dauern, bis der äußerst radioaktive Bereich innerhalb des Sicherheitsmantels des Reaktorkerns für eine Bestandsaufnahme des Schadens betreten werden kann. Mittlerweile hat der Gouverneur von Pennsylvanien bekanntgegeben, daß Kinder und Schwangere in das Gebiet zurückkehren können.
Die Gravität des »Geschehens« von Three Mile Island hat in vielen Teilen des Landes Atomkraftgegner auf den Plan gerufen, und die sich häufenden Untersuchungen des Unfalls durch den Staat, den Bund und die Industrie werden voraussichtlich einen kollektiven Fallout erzeugen, der weit größere Auswirkungen auf die Atomindustrie und die Gesellschaft haben wird als alles, was bisher von dem beschädigten Kernkraftwerk selbst gekommen ist.
Jane und ich glauben, daß man diesen bisher schlimmsten Unfall schließlich als einen Glücksfall insofern betrachten wird, als er deutlich die großen Gefahren aufzeigt, die der weltweit zunehmenden Nutzung der Atomkraft innewohnen.
Wir verfolgen die ganze Affäre um Three Mile Island mit größtem Interesse, und mein Ordner mit Zeitungsausschnitten darüber wird täglich umfangreicher.
Jane hatte vor der 846sten Sitzung, die sie vor einer Woche abhielt, den Wunsch geäußert, Seth möge »sich auf das Buchdiktat zurückbesinnen«, und er hatte prompt am Ende der Sitzung die Überschrift für Kapitel 7 durchgegeben. Doch in der ausgelassenen Sitzung 847 vom Montag abend schweifte dieser »
Energiepersönlichkeitskern«, wie er sich selbst nennt, wieder einmal von der Arbeit an »Individuum und Massenschicksal« ab, um uns weiteres vorzügliches Material über das Bewußtsein von Pflanzen und Tieren zu geben. Auch erörterte er so unterschiedliche Themen wie die große Vielzahl unterschiedlicher Reaktionen, die das Seth-Material in Leserinnen und Lesern, die uns schreiben, hervorruft - Reaktionen, die, nebenbei gesagt, durchaus nicht immer die freundlichsten sind.
Wir hatten über das Wochenende im Zusammenhang mit der Herausgabe unserer Bücher eine Menge zu tun. Am Freitag erhielten wir vom Verlag Prentice-Hall die Korrekturabzüge des Registers zur »Natur der Psyche«, und am Samstag morgen trafen die Korrekturabzüge von »
Emir« ein, die uns Eleanor Friede vom Verlag Delacorte Press zusandte.
Wir verbrachten die ganze Zeit mit diesen Arbeiten.
Während all der Vorkommnisse, wie sie seit der 832sten Sitzung vom 29. Januar 1979 vermerkt wurden, hat Jane gelegentlich Lyrik geschrieben und regelmäßig an ihrem dritten »Seven« - Roman »
Oversoul Seven and the Museum of Time« gearbeitet.
Während des Abendessens sahen Jane und ich heute im Fernsehen die Berichte über eine Serie von verheerenden Tornados, von denen das nördliche Texas und das südliche Oklahoma - ein Gebiet, das als »
Tornado Alley« bekannt ist - gestern am späten Nachmittag heimgesucht worden waren. Über fünfzig Menschen wurden bisher als tot gemeldet; es gab Hunderte von Verletzten und Tausende Obdachlose. Wir sind durch einige der betroffenen Gemeinden gefahren. Wir fragten uns, aus welchem Grunde sich Menschen in einem Gebiet ansiedeln, von dem man weiß, daß solche Wirbelstürme praktisch jedes Jahr auftreten. Diese Frage kann natürlich hinsichtlich aller gefährdeten Wohngebiete auf dem Planeten gestellt werden.
(Flüsternd:) Guten Abend.
(»Guten Abend, Seth.«)
Diktat. (Laut:) Dies ist der Anfang des Kapitels 7, die Überschrift wurde schon durchgegeben. Die unterschiedlichen Formen politischer Herrschaft stellen die Aktualisierung verschiedener Bewußtseinsaspekte dar. (Pause).
Das amerikanische Experiment mit der Demokratie ist heroisch, kühn und innovativ. Alle Einwohner eines Landes gelten von Gesetzes wegen als gleichrangige Bürger. Das war und ist das angestrebte Ideal. In der Praktik des Ideals gibt es dennoch Ungleichheiten. Die Art, wie die Menschen auf der Straße und in der Gesellschaft miteinander umgehen, zeigt große Abweichungen von diesem erklärten nationalen Ideal. Doch ist der Traum ein unabdingbares Element des amerikanischen Lebens, und selbst die Skrupellosen müssen zumindest Lippendienst leisten oder ihre Pläne in seinem Licht schmieden.
(Nach langer Pause:) In der Vergangenheit wurden und in weiten Bereichen der Welt von heute werden noch immer viele wichtige Entscheidungen nicht vom Einzelmenschen getroffen, sondern vom Staat, der Religion oder der Gesellschaft. In diesem Jahrhundert wurden im Vordergrund der amerikanischen Kultur umwälzende Vorgänge deutlich wie die Veräußerlichung der organisierten Religion aller Konfessionen, die immer mehr gesellschaftliche statt spirituelle Aufgaben wahrnehmen, und die Verquickung der Wissenschaft mit der Technologie und Geldinteressen. Ruburts Buch über William James würde sich hier als Hintergrundmaterial gut eignen, insbesondere seine Ausführungen über Demokratie und Spiritualität. Auf jeden Fall sollte in den USA jedes Individuum frei und jedem anderen gegenüber gleichgestellt sein. Ehen zum Beispiel wurden nicht länger arrangiert. Ein Mann mußte nicht mehr den Beruf seines Vaters ergreifen. Junge Erwachsene fanden sich mit der Vielzahl von persönlichen Entscheidungen konfrontiert, die in vielen anderen Kulturen mehr oder weniger automatisch auferlegt werden. Der Ausbau des Kommunikationssystems und des Transportwesens erschloß das Land, so daß ein Individuum nicht länger an die Stadt oder Region seiner Geburt gebunden war. All dies war mit einer bedeutenden Erweiterung des menschlichen Bewußtseins verbunden. Das Land strömte über vor Idealismus - und tut es noch immer.
(Nach langer Pause um 21.37 Uhr:) Dieser Idealismus jedoch verirrte sich leider in den düstren Lehren des Freudianismus und Darwinismus. Wie könnte denn ein Land effizient regiert werden von Individuen, die schließlich bloß Amokläufer ihrer eigenen Körperchemie und mit von Kindheit an einprogrammierten Neurosen geschlagen sind, von Abkömmlingen einer verderbten Gattung, die (eindringlich) aufs Geratewohl von einem lieblosen Kosmos ins Dasein geworfen wurde, in dem kein Sinn zu finden ist?
Die etablierten Kirchen fühlten sich bedroht, und wenn sie schon nicht zu beweisen vermochten, daß der Mensch eine Seele hat, so konnten sie doch wenigstens dafür sorgen, daß durch angemessene Sozialarbeit für die Notdurft des Leibes gesorgt wurde, und so gaben sie etliche der Prinzipien auf, die zu ihrer Stärke hätten beitragen können.
Statt dessen begnügte man sich mit Platitüden, die Reinlichkeit (Pause) mit Tugend gleichsetzten - (amüsiert) von daher natürlich eure Deodorant-Werbung und so manche anderen Aspekte des Marktes.
Für die Geistes- und Gefühlshaltung der Öffentlichkeit war es ziemlich einerlei, ob nun der Teufel oder minderwertige Gene den Einzelmenschen zu einem Leben verdammten, in dem er anscheinend wenig ausrichten konnte. Er begann, sich ohnmächtig zu fühlen. Es kam ihm so vor, als sei soziales Handeln an und für sich von geringem Wert.
Wenn die menschliche Schlechtigkeit, aus welchem Grund auch immer, angeboren ist, wo gab es dann irgendeine Hoffnung?
Wenigstens ließ einige Hoffnung das Streben nach Verbesserung der persönlichen Lebensumstände und den Versuch zu, seine Zweifel zu vergessen, indem man so viel Zerstreuung wie möglich suchte.
Idealismus ist zäh und ausdauernd; ganz gleich, wie oft er dem Anschein nach begraben wird, er aufersteht in neuem Gewande immer wieder. So blickten diejenigen, die das Versagen ihrer Religion empfanden, wieder auf die Wissenschaft, da sie die größtmögliche Annäherung an den Himmel auf Erden - die Massenproduktion von Verbrauchsgütern, zwei Autos in jeder Garage, Heilmittel für jedes Leiden, Lösungen für jedes Problem - versprach... versprach! Und anfangs schien es wirklich so, daß die Wissenschaft ihr Versprechen hielt, denn die Welt wechselte in einem Augenblick vom Kerzenlicht über das elektrische zum Neonlicht über, und ein Mensch konnte nun innerhalb weniger Stunden Strecken zurücklegen, für die sein Vater oder Großvater Tage, Wochen, Monate gebraucht hatte.
Und während die Wissenschaft immer neue Bequemlichkeiten und Annehmlichkeiten bereitstellte, wurden nur wenige Fragen gestellt. Doch es gab keinen Zweifel: Die äußeren Lebensumstände hatten sich verbessert, aber der Mensch schien um nichts glücklicher zu sein als zuvor. Inzwischen dämmerte den Leuten allmählich auf, daß die Entdeckungen der Wissenschaft auch ihre Schattenseiten haben. Die äußeren Annehmlichkeiten des Lebens haben wenig Sinn, wenn die Kenntnisse der Wissenschaft dazu verwendet werden, die Grundlagen des Lebens selbst zu untergraben. (Pause.)
Bei den verschiedenen Medikamenten, die von Kranken und Gesunden vertrauensvoll eingenommen wurden, traten jetzt öfter verheerende Nebenwirkungen auf. Die zum Gedeihen der Landwirtschaft verwendeten Chemikalien wirkten sich schädlich auf die Gesundheit aus.
Diese Tatsachen beunruhigten den Einzelmenschen weit mehr als die Drohung einer atomaren Katastrophe, denn sie betrafen sein tägliches Leben: die Lebensmittel, die er einkaufte, die Medikamente, die er einnahm.
(21.55 Uhr.) Manche Menschen hielten - und halten - Ausschau nach Autorität, nach irgendeiner Autorität, die ihnen die Entscheidungen abnehmen könnte, denn die Welt erscheint zunehmend gefährlich, und sie fühlen sich aufgrund ihrer Glaubensüberzeugungen zunehmend hilflos.
Sie sehnen sich nach den alten Tagen zurück, als die Heiraten für sie arrangiert wurden, als sie unbesorgt in die Fußstapfen ihrer Väter treten konnten, als sie nichts von den Verlockungen ferner Länder wußten und notgedrungen zu Hause blieben. Sie fühlen sich zwischen Religion und Wissenschaft in die Enge getrieben. Ihr Idealismus findet keine geeignete Ausdrucksmöglichkeit mehr. Ihre Träume werden nicht wahr.
Diese Menschen wenden sich Kultgemeinden beliebiger Art zu, wo die Entscheidungen für sie getroffen werden, wo ihnen die Last einer Individualität abgenommen wird, die ihrer Entscheidungskraft durch konfliktgeladene Glaubensvorstellungen beraubt wird. Nicht wenige junge Männer gingen und gehen voll geheimen Jubels zum Militär als Schule vor dem vollständigen Erwachsensein - wo die Entscheidungen andere treffen, wo die Zeit abgedient wird und wo diejenigen, die sich mit dem Leben nicht im Einklang fühlen, es mit dem Gefühl von Ehre und Würde verlassen können.
In der Vergangenheit, ja selbst noch in eurem Jahrhundert gab und gibt es Nonnen- und Mönchsklöster für jene, die nicht wie andere Leute in der Welt leben wollen. Vielleicht verfolgen solche Menschen andere Ziele, aber die Entscheidungen darüber, wo sie wohnen, was sie tun, wohin sie gehen und wie sie leben sollen, werden für sie getroffen.
Gewöhnlich finden sie aufgrund eines gemeinsamen Interesses oder um höherer Werte willen zusammen, und sie haben in diesem Jahrhundert keine Vergeltung zu befürchten.
Bei Kultbewegungen jedoch geht es in erster Linie um Angst, die als treibender Faktor der Motivation eingesetzt wird. Systematisch wird die Autonomie des einzelnen Anhängers untergraben, so daß er bald auch Angst davor hat wegzugehen. Die Gruppe verfügt über Macht. Das Individuum ist machtlos, mit Ausnahme des Führers, den die Gruppe mit ihrer Macht ausgestattet hat. Die Menschen, die in Guyana starben, waren auf Selbstmord eingestellt. Sie hatten nichts, wofür sie leben konnten, weil ihr Idealismus so sehr von jeder Möglichkeit einer auch nur teilweisen Verwirklichung abgeschnitten wurde, daß ihnen nichts als Asche davon blieb.
Der Führer von Jonestown war im Grunde ein Idealist. Wann wird ein Idealist zum Fanatiker? (Lange Pause.) Wann kann das Streben nach dem Guten katastrophale Folgen zeitigen, und wann läuft der Idealismus der Wissenschaft auf eins heraus mit der Beinahe-Katastrophe von Three Mile Island und mit den potentiellen Katastrophen, die gemäß euren Begriffen in der Lagerung von Atommüll oder in der Herstellung von Atombomben liegen?
Macht Pause. (22.10 bis 22.29 Uhr.)
Nun: In Geist und Herz der Menschen, die in Tornadogebieten leben, bildet die Realität eines Tornados einen psychologischen Hintergrund.
Alles, was in ihrem Leben geschieht, vollzieht sich mehr oder minder interpunktiert oder akzentuiert von der Möglichkeit einer Katastrophe. Sie fühlen, daß sie jeden Augenblick mit der größten Herausforderung konfrontiert werden können, die ihre Kräfte bis zum äußersten mobilisieren und ihr Durchhaltevermögen auf die härteste Probe stellen wird. Sie nutzen - oder nutzten oft - einen solchen psychologischen und physischen Rückhalt, um diese Eigenschaften in sich wachzuerhalten, denn sie gehören zu der Art von Menschen, die sich gern vor eine Herausforderung gestellt sehen. Oft kommt es, indem man sich ganz bewußt bestimmten Wahrscheinlichkeiten stellt, zu einer äußeren Krisensituation, die individuell und en masse Symbol der Unabhängigkeit und der inneren Krise ist. Der Krise wird in der äußeren Situation begegnet, und indem die Menschen mit dieser Situation fertigwerden, bewältigen sie symbolisch ihre eigenen inneren Krisen. In gewisser Weise setzen diese Menschen Vertrauen in solche äußeren Konfrontationen; ja, (eindringlich) sie rechnen sogar mit einer ganzen Reihe derartiger mehr oder minder gravierender Vorkommnisse, aus denen sie solcherart ein Leben lang Gewinn ziehen.
Die Überlebenden fühlen ungeachtet aller äußeren Umstände, daß ihnen ein neues Leben geschenkt wurde: sie hätten den Tod finden können und sind ihm entgangen. Andere bedienen sich derselben Umstände als Vorwand dafür, daß der Lebenswille in ihnen erloschen ist; so hat es den Anschein, daß sie äußeren Umständen zum Opfer fallen, und sie haben das Gesicht gewahrt.
Ich wünsche euch herzlich einen vergnüglichen guten Abend.
(»Danke, Seth. Gute Nacht.«
22.42 Uhr. Jane konnte sich erinnern, daß Seth Tornados erwähnt hatte, was wir nicht erwartet hatten. Ihre Trancewiedergabe war gleichmäßig und oft sehr energisch gewesen.) Sitzung 850, Mittwoch, den 2. Mai 1979
(Am 20. April gelang es den in Three Mile Island arbeitenden Technikern, die Temperatur des Kühlwassers in dem schadhaften Atomreaktor unter den Siedepunkt zu senken; sie verzeichneten diesen Erfolg genau 24 Tage nachdem der Unfall ausgelöst worden war. Doch ist das Kühlwasser im Kreislauf noch nicht auf Normaldruck zurückgesunken; das wird erst in einigen Wochen der Fall sein, wenn ein zusätzliches Kühlsystem fertiggestellt sein wird.
Geringfügige Mengen radioaktiver Gase treten noch immer aus, und regionale wie auch überregionale Gesundheitsbehörden haben Langzeitstudien über die Auswirkungen auf Mensch und Tier im näheren Umkreis angekündigt. Gleichzeitig lesen und hören Jane und ich widersprüchliche und verwirrende Berichte über die Vorfälle, und wir fragen uns: Was stimmt nun, und was stimmt nicht? Nun heißt es, die Gefahr, daß die radioaktive Gaswolke im Inneren des schadhaften Reaktors explodieren könnte, habe nie bestanden; die Gefahr, daß die Uraniumbrennstäbe im Zentrum durchschmelzen könnten, habe nie bestanden; ein Sabotageakt gegen das Kühlsystem des Reaktors habe die ganze Verkettung unheilvoller Umstände mit ihren Auswirkungen auf die Nation und die Welt in Gang gesetzt...
Seit Seth die 848ste Sitzung für »Individuum und Massenschicksal
« gab, hat er drei Sitzungen persönlichen Angelegenheiten gewidmet, die Jane und ich lange beiseitegeschoben hatten. Dann widmete er die »
reguläre« 849ste Sitzung von Montagabend Themen, die er in diesem Buch nicht behandelt.
Jane hielt die Sitzung heute abend später als gewöhnlich ab, weil wir uns ab 21.00 Uhr den Anfang eines Fernsehfilms anschauten, der über einen der Hauptsender ausgestrahlt wurde. Wir hatten heute -
gerade zur rechten Zeit - den Brief einer jungen Dame erhalten, die in diesem Film eine Nebenrolle spielte. Wir sahen sie in mehreren Szenen, und Jane wird ihr schreiben - 21.49 Uhr.)
(Flüsternd:) Guten Abend.
(»Guten Abend, Seth.«)
Diktat.
(»Prima.«)
Geduldet euch einen Moment... Betrachten wir einmal die vielfältigen Formen, die der Idealismus annehmen kann. Idealisten zu identifizieren fällt nicht immer leicht, denn sie kommen oft in so pessimistischem Gewand daher, daß man nichts weiter erkennt als Züge der Ironie oder einer sardonischen Natur. Andererseits verbergen sich unter der Oberfläche eines glühenden Idealismus oft die dunkelsten Aspekte des Pessimismus und der Verzweiflung.
Wenn ihr Idealisten seid und euch gleichzeitig relativ machtlos fühlt, wenn euer Idealismus unbestimmt und grandios und ohne Bezug auf irgendwelche praktischen Pläne ist, durch die er zum Ausdruck gebracht werden könnte, dann befindet ihr euch in einer schwierigen Lage. Ich will das an ein paar Beispielen deutlich machen.
Neulich abends hatten sich hier in diesem Wohnzimmer mehrere Menschen eingefunden. Einer der Besucher, ein Mann aus einer anderen Gegend des Landes, begann über den Zustand der Nation zu sprechen, wobei er seine Landsleute wegen ihrer Dummheit und Raffgier in Bausch und Bogen verurteilte. Es gebe nichts, was Menschen für Geld nicht tun würden, sagte er, und im Verlauf seines Monologs gab er der Meinung Ausdruck, die Menschheit selbst werde unausweichlich ihre eigene Vernichtung herbeiführen.
Er zählte eine ganze Reihe von Schandtaten auf, die um des Geldes willen begangen worden waren. Es folgte eine lebhafte Diskussion, doch blieb der Mann jedem gegenteiligen Argument gegenüber verschlossen.
Roger, so wollen wir ihn nennen, ist im Grunde ein Idealist, aber er glaubt, daß der einzelne Mensch nur wenig in der Welt ausrichten kann, und so hat er es unterlassen, seinen, persönlichen Idealismus in seinem eigenen Lebenszusammenhang zu verwirklichen. »Jeder ist ein Sklave des Systems.« Das ist der Tenor seines Glaubens. Er arbeitete in einem Routinejob und blieb dabei seit zwanzig Jahren, obwohl er, wie er sagte, die Arbeit haßte. Nie nahm er die Gelegenheit wahr, in andere, ihm offenstehende Tätigkeitsbereiche überzuwechseln - weil ihm der Mut dazu fehlte.
Er fühlt, daß er sich selbst verraten hat, und diesen Verrat projiziert er auf die Außenwelt, bis er in der gesellschaftlich-politischen Welt nichts anderes mehr sieht als Verrat. Hätte er die Mühe auf sich genommen, in seinem eigenen Leben an der Verwirklichung seiner Ideale zu arbeiten, so befände er sich nicht in einer solchen Situation. Es liegt Befriedigung darin, seinen Idealen zu praktischem Ausdruck zu verhelfen, und dieser Befriedigung entspringt ganz natürlich weiteres Handeln im Sinne eines praktizierten Idealismus.
Roger spricht stets in dieser Weise, wenn er in Gesellschaft ist, und so verbreitet er eine negative Ausstrahlung der Verzweiflung, wo immer er auftritt. Doch ist sein Leben nicht nur durch diese Haltungen gekennzeichnet, denn immer wenn er die tiefe Kluft zwischen seinem Idealismus und dem praktischen Leben vergißt und über andere Belange spricht, beweist er bestechende Energie. Mit dieser Energie hätte er es jedoch viel weiter bringen können, wäre er seinen natürlichen Neigungen und Interessen gefolgt und hätte er eine davon zu seiner Lebensaufgabe gemacht. Er hätte ein großartiger Lehrer werden können. Aber er ist so sehr von seiner Ohnmacht überzeugt, daß er nicht wagte, eine berufliche Veränderung herbeizuführen. Immerhin gibt es auch Annehmlichkeiten in seinem Leben, die ihn davor bewahren, daß sich sein Blickwinkel noch weiter verengt.
Wenn ihr die Welt verbessern wollt, dann seid ihr Idealisten. Wenn ihr die Welt verbessern wollt, andererseits aber glaubt, daß sich an ihr nicht das Geringste ändern läßt, dann seid ihr Pessimisten, und euer Idealismus wird euch nur zermürben. Wenn ihr die Welt verbessern wollt, aber glaubt, daß sich ungeachtet sämtlicher Bemühungen alles nur weiter verschlimmert, dann seid ihr wahrhaft kleinmütige, vielleicht irregeleitete Idealisten. Wenn ihr die Welt verbessern wollt, und zwar um jeden Preis, gleich, auf welche Gefahr hin, und gleich, was es euch und andere kosten wird, und wenn ihr glaubt, daß dieses Ziel jedes euch zur Verfügung stehende Mittel rechtfertigt, dann seid ihr Fanatiker.
(22.14 Uhr.) Fanatiker sind Idealisten besonderen Schlages. Sie nähren gewöhnlich verschwommene und grandiose Träume, und in ihren hochfliegenden Plänen werden die Kriterien des Alltagslebens völlig außer acht gelassen. Sie sind unerfüllte Idealisten, die sich nicht damit zufriedengeben, ihren Idealismus in kleinen Schritten zum Ausdruck zu bringen, geschweige denn die praktischen Auswirkungen solchen aktiven Ausdrucks abzuwarten. Sie fordern unverzügliches Handeln. Sie wollen (lauter) die Welt nach ihren eigenen Vorstellungen umgestalten. Den Ausdruck der Toleranz oder entgegengesetzter Ideen können sie nicht ertragen. Sie sind die Selbstgerechtesten der Selbstgerechten, bereit, praktisch alles aufzuopfern - ihr eigenes Leben und das Leben anderer.
Sie werden, um ihre Ziele zu erreichen, fast jedes Verbrechen rechtfertigen.
Ruburt erhielt kürzlich Besuch von zwei jungen Frauen, die lebensfroh, energiegeladen und von jugendlichem Enthusiasmus erfüllt sind. Sie wollen die Welt verändern. Als sie mit dem Ouija-Brett arbeiteten, wurde ihnen mitgeteilt, daß sie tatsächlich an einer großen Aufgabe mitwirken können. Eine der jungen Frauen beabsichtigt, ihren Job aufzugeben, um sich psychologischen Arbeiten zu widmen in der Hoffnung, auf diese Weise zur Veränderung der Welt beitragen zu können. Die andere wird als Bürohilfe mitarbeiten.
Nichts ist so anregend und nichts verdient so sehr die Verwirklichung wie der Wunsch, die Welt zum Besseren zu verändern.
Tatsächlich ist dies (nachdrücklich) die Aufgabe eines jeden Menschen.
Und ihr erfüllt sie in eurem eigenen Umkreis, genau dort, wo ihr lebt und wirkt. Ihr könnt damit im Winkel eines Büros oder am Fließband oder in einer Werbeagentur oder in der Küche beginnen. Ihr fangt dort an, wo ihr euch gerade befindet.
Hätte der früher erwähnte Roger dort angefangen, wo er sich befand, dann wäre er heute ein anderer, ein glücklicherer und erfüllter Mensch. Und sein Einfluß auf all die anderen Menschen, die ihm begegnen, wäre sehr viel segensreicher.
Wenn ihr euren eigenen Begabungen lebt und gerecht werdet, wenn ihr euren persönlichen Idealismus dadurch realisiert, daß ihr ihn nach Kräften in eurem täglichen Leben zum Ausdruck bringt, dann verbessert ihr die Welt tatsächlich.
Unsere heutige Sitzung begann später, weil Ruburt und Joseph den Anfang eines Films (im Fernsehen) sehen wollten, in dem eine junge Schauspielerin auftrat, die ich Sarah nennen will. Sarah hatte Ruburt einen Brief geschrieben, in dem sie ihm von dem Film erzählte. Sarah verfügt über Begabungen, die sie als ihr Kapital betrachtet und die sie in praktischer Weise fördert und pflegt. Sie glaubt an die Möglichkeit der Gestaltung ihrer eigenen Wirklichkeit. Aufkommende Zweifel, daß es bei ihr für den Erfolg nicht reichen würde oder daß es schwierig sei, im Showgeschäft voranzukommen, brachte sie zum Verstummen. Die Freude an der darstellerischen Leistung schuf neuen Spielraum für erweiterte Kreativität und bestärkte ihr persönliches Durchsetzungsvermögen. Indem sie diese Fähigkeiten in sich entwickelt, bringt sie anderen Menschen Freude. Sie ist eine Idealistin. So will sie beispielsweise versuchen, die Qualität der Sendungen anzuheben, und sie ist bereit, den dafür notwendigen Arbeitseinsatz zu leisten.
(22.30 Uhr.) Hol doch unserem Freund ein paar Zigaretten. Ist deine Hand müde?
(»Nein.«)
Kürzlich kam hier ein junger Mann aus einer nahegelegenen Stadt vorbei, ein hochbegabter, intelligenter junger Mensch. Zwar hat er nicht die Universität besucht, doch hat er eine Fachausbildung absolviert und arbeitet jetzt als Techniker in einer nahegelegenen Fabrik. Er ist ein Idealist, der sich großen Plänen zur Entwicklung mathematischer und technischer Systeme verschrieben hat, und er ist hochbegabt auf diesem Gebiet.
Im übrigen blickt er mit Abscheu und Widerwillen auf die älteren Männer, die dort seit Jahren arbeiten, »sich am Samstagabend betrinken und nichts außer der engen Welt ihrer Familie kennen«, und er hat beschlossen, daß ihm das nicht passieren wird. Er bekam mehrere »
Anpfiffe« für »Dinge, die alle anderen auch machen«, obwohl, wie er beteuert, niemand außer ihm erwischt wird. Er fühlte sich niedergeschlagen, doch den Gedanken, die Universität zu besuchen und ein Stipendium zu beantragen, um seine Fachkenntnisse zu vertiefen, zog er nicht in Betracht. Er mag nicht die Stadt verlassen, die sein Geburtsort ist, um eine bessere Arbeitsstelle zu finden, und es kommt ihm auch nicht in den Sinn zu versuchen, die Lebenserfahrung seiner Mitarbeiter besser zu verstehen. Er glaubt nicht, die Welt verändern zu können, indem er einfach dort anfängt, wo er sich gerade befindet; andererseits wagt er auch nicht, sich auf seine eigenen Begabungen zu verlassen, indem er sie in einer praktischen Form zum Ausdruck bringt.
Aber die Jugend ist voller Kraft, und so wird er wahrscheinlich einen Weg finden, um seine Fähigkeiten besser zur Geltung zu bringen und ein besseres Gespür für seine innere Kraft zu gewinnen. Vorläufig jedoch geht er durch Perioden tiefer Verzweiflung.
Idealismus setzt das Gute als Gegensatz zum Schlechten voraus; wie also kann das Streben nach dem Guten so oft sein genaues Gegenteil bewirken? Wir werden dieser Frage nachgehen.
Es gibt, praktisch gesehen, vor allem ein Gebot - ein christliches Gebot -, das als Maßstab dienen kann. Es ist deshalb so gut, weil ihr es ganz wörtlich verstehen könnt: »Du sollst nicht töten!« Das ist deutlich genug. In den meisten Fällen wißt ihr, wann ihr getötet habt. Das ist ein Weg, dem sich viel leichter folgen läßt als zum Beispiel: »Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!«, denn viele von euch lieben sich selbst ja gar nicht - wie also könnten sie dann ihren Nächsten lieben! Der tragende Gedanke ist, daß man seinen Nächsten nicht schlecht behandeln, geschweige denn töten wird, wenn man ihn liebt. Das Gebot »Du sollst nicht töten!« sagt, daß man seinen Nächsten ungeachtet aller Gefühle, die man ihm gegenüber hegen mag, nicht töten darf. Also setzt euch gleichsam ein neues Gebot: »Du sollst nicht töten, selbst nicht um deiner Ideale willen!«*
Was bedeutet das? Praktisch gesehen würde es bedeuten, daß ihr »
Um des Friedens willen« keinen Krieg mehr führen würdet. Es würde bedeuten, daß ihr nicht mehr in Tierversuchen anderen Geschöpfen das Leben raubt, um menschliches Leben zu erhalten. Das wäre die grundlegende Vorschrift: »Du sollst nicht töten, selbst nicht um deiner Ideale willen!« - denn um seiner Ideale willen hat der Mensch vermutlich mehr getötet, als er je aus Habgier oder Mordlust oder auch aus bloßem Machtstreben getötet hat.
Ihr seid Fanatiker, wenn ihr die Möglichkeit in Betracht
* Hier bezog sich Seth wahrscheinlich auf Material über die Anschauungen einer »radikalen« Philosophie der Veränderung, auf das Jane und ich kürzlich gestoßen waren. Da heißt es, Gewalt sei zulässig, um eine Revolution in Gang zu setzen, die ihrerseits zu einem neuen Zeitalter führen würde. In dieser utopischen Gesellschaft wäre der Mensch frei von Zwängen und könnte Intellekt und Intuition zur Übereinstimmung bringen. In den letzten Jahrzehnten haben viele Menschen solche modischen Ansichten gehegt. Viele hegen sie noch immer. Wir spekulierten über die unvermeidlichen Widersprüche, die auftauchen würden, falls es dem Menschen je gelänge, ein solches »ideales«
Staats- oder Gesellschaftswesen zu schaffen, denn aufgrund seines immer rastlosen und schöpferischen Naturells würde er sofort damit beginnen, sein kaum erreichtes Utopia zu ändern. Auch amüsierten wir uns beim Gedanken an die Reaktionen solcher Radikalen, sollten sie sich je persönlich durch die ihnen zufolge »vertretbare« Gewalt, der sie das Wort reden, bedroht oder angegriffen finden.
zieht, zur Verwirklichung eures Ideals zu töten. Zum Beispiel mag euer Ideal - es gibt ja alle möglichen Ideale - darin bestehen, zum Nutzen der Menschheit eine unerschöpfliche Energiequelle zu erschließen, und ihr glaubt vielleicht so glühend an dieses Ideal, an diesen weiteren Zuwachs an Lebenskomfort, daß ihr die hypothetische Möglichkeit in Betracht gezogen habt, euch dieser Annehmlichkeit selbst auf die Gefahr hin zu versichern, daß dabei einige Menschenleben zugrunde gehen. Das ist Fanatismus.
(22.53 Uhr.) Das würde beweisen, daß ihr nicht gewillt seid, die notwendigen Schritte zur Erreichung eures Ideals in der materiellen Wirklichkeit zu unternehmen, sondern daß ihr dem Glauben huldigt, der Zweck rechtfertige die Mittel. »Zwar werden unterwegs einige Menschen ums Leben kommen, aber die Menschheit im ganzen wird profitieren«, so lautet das übliche Argument. Aber es geht nicht an, daß die Unantastbarkeit des Lebens den Annehmlichkeiten des Lebens zum Opfer gebracht wird, soll nicht die Qualität des Lebens selbst Schaden nehmen.
Ein anderes Beispiel: Indem ihr ganze Generationen wehrloser Versuchstiere mit tödlichen Krankheiten infiziert, opfert ihr das Leben dieser Tiere eurem Ideal der prioritären Schutzwürdigkeit menschlichen Lebens.* Ganz gleich, ob eure Rechtfertigung nun lautet, daß Menschen Seelen haben, Tiere jedoch nicht, oder daß den Tieren eine geringere Lebensqualität eignet - sie ist Ausdruck von Fanatismus, und so kommt auch die menschliche Lebensqualität zu Schaden; denn diejenigen, (mit großem Nachdruck) die unterwegs in welcher Form auch immer Leben opfern, verlieren alle Achtung vor dem Leben, menschliches Leben mit eingeschlossen. Der Zweck rechtfertigt die Mittel nicht!
* Seth bezog sich auf die Art und Weise, in der Mäuse, Ratten, Kaninchen und andere Tiere in der Gefangenschaft der Laboratorien aufgezogen werden, um an wissenschaftliche Forscher verkauft zu werden, die mit ihnen Experimente durchführen, die an Menschen durchzuführen für »unethisch« erachtet würde.
Mäuse zum Beispiel werden über Generationen hinweg in einer sterilen Umgebung durch Inzucht vermehrt, bis man genetisch »reine« Arten erhält; diese idealen »Modelle« zur Erforschung menschlicher Defekte entwickeln oder leiden von Geburt an unter Fettleibigkeit, verschiedenen Formen von Krebs (darunter Leukämie), Epilepsie, verschiedenen Anämien, Muskelschwund und so weiter. Einige werden als Zwerge geboren oder haarlos oder mit deformierten oder fehlenden Gliedmaßen. Aus Inzucht hervorgegangene Mäuse werden jetzt auch verwendet, um die selbstgeschaffenen Umweltgefahren für den Menschen zu testen.
Macht einen Moment Pause.
(22.58 Uhr. Allerdings war die Pause nicht einmal so lang, daß ich meinen Kugelschreiber aus der Hand legen konnte. Seth brachte mehrere Abschnitte Material für Jane und mich und beendete die Sitzung um 23.05 Uhr.
Janes Vortrag war während der ganzen Sitzung gut, beinahe drängend gewesen und meistens so schnell, daß ich nur knapp zu folgen vermochte. »Ich bin so froh, daß ich wieder bei dem Buch bin«, sagte sie.
»Ich weiß, es geht mir so bei jedem Seth-Buch: ich frage mich, worüber er sprechen wird, wie er dies oder das behandeln wird... Ich erinnere mich an seine Beispiele über die Idealisten und das neue Gebot, das er formuliert hat. Mir war vor der Sitzung nichts davon bewußt gewesen -
aber an meinem Tisch erhielt ich heute abend tatsächlich ein paar Sachen von ihm, die er noch nie erwähnt hatte...«) Sitzung 852, Mittwoch, den 9. Mai 1979
(Einen Tag nach der letzten Sitzung, als Jane gerade an ihrem dritten Seven-Roman schrieb, trafen vom Verlag Prentice-Hall ein Dutzend Belegexemplare ihres zweiten Seven-Buches ein: »The Further Education of Oversoul Seven«. Das Buch ist gerade erschienen.
Es herrscht fast so etwas wie eine unausgesprochene Übereinkunft zwischen Jane-Seth und mir, daß Seth seit der 846sten Sitzung, die vor über einem Monat, nämlich am 4. April, stattfand, Material für »
Individuum und Massenschicksal« nur an Mittwochabenden diktiert. -
21.39 Uhr.)
Guten Abend.
(»Guten Abend, Seth.«)
Wenn ihr die Natur von Gut und Böse erörtert, dann bewegt ihr euch auf trügerischem Grund, denn viele - oder die meisten - Greuel, die Menschen an Menschen verübten, wurden im fehlgeleiteten Eifer für das
»Gute« verübt.
Wessen Gutes (Fragezeichen)? Ist »das Gute« etwas Absolutes (Fragezeichen)? Offenbar kann auf den Schauplätzen eures Lebensgeschehens das Wohl des einen des anderen Verderben sein.
Hitler verfolgte seine Version »des Guten« mit unbeirrbarem Fanatismus.
Er glaubte an die Überlegenheit und sittliche Lauterkeit der »arischen Rasse«. In seiner übersteigerten, idealisierten Version der Wirklichkeit sah er die arische Rasse als »von Natur aus« zur Herrschaft über die Menschheit bestimmt.*
Er glaubte an heroische Eigenschaften und war geblendet von der idealisierten Version eines arischen Übermenschen, der gesund und stark an Körper und Geist sein sollte. Um dieses Ziel zu erreichen, war Hitler bereit, die übrige Menschheit zu opfern. »Das Übel muß ausgerottet werden.« Diese unselige Litanei steht hinter dem Glauben zahlreicher -
wissenschaftlicher wie auch religiöser - Kulte, und Hitlers Arierreich war eine abstruse Verquickung der okkultesten Aspekte von Religion und Wissenschaft, in der den kultistischen Tendenzen beider nach Kräften Vorschub geleistet wurde.
In der politischen Arena sollten diese »Ideale« zur Verwirklichung kommen. Zweifellos war Hitlers Idee vom Guten weder richtig noch umfassend; und auch die verbrecherischsten Handlungsweisen waren gerechtfertigt.
Wie konnten Hitlers ursprünglich verschwommene Ideale von nationaler Größe sich zu der Weltkatastrophe bekannten Ausmaßes auswachsen? Die Schritte, die dorthin führten, entsprachen den bereits früher (in einer Reihe von in Teil 3 enthaltenen Sitzungen) erwähnten Kriterien, die jeder Kultbewegung anhaften. Hitlers Tagträume wurden zunehmend grandioser, und in ihrem Licht schien sich der Leidensweg seines Volkes mit jedem Tage zu verschlimmern. Immer wieder zählte er in Gedanken dessen Demütigungen auf, bis sein gefühlsgeladenes Denken sich nur noch in einer hermetisch abgeschlossenen Umwelt bewegte, in die nur ganz bestimmte Ideen Einlaß fanden.
Alles, was nicht arisch war, wurde zum Feind. Die Juden wurden zum erklärten Erzfeind vor allem wegen ihrer Rolle in der Finanzwelt und wegen ihres Zusammenhalts, ihres Einstehens für eine Kultur,
* Hitlers Kreuzzug für die deutsch-arische Superrasse ist ein eklatantes Beispiel dafür, wie ein politischer Führer Geschichte in den Dienst seiner eigenen Absichten verkehren kann. Die Anthropologie mißt dem Begriff »arisch« als Rassenmerkmal keinerlei Wert bei. In den Augen der Rassenfanatiker in Hitlers Gefolgschaft waren Arier die nichtjüdischen, »nordischen« Abkömmlinge der prähistorischen Völker, die ursprünglich der reichlich hypothetischen indogermanischen Sprachfamilie angehörten. Die Arier überschwemmten, aus Südrußland und Turkestan kommend Indien, den mittleren Osten und Europa.
Hitlers Gefolgsleute idealisierten deren Eroberungszüge und versuchten, die deutschen Ursprünge bis zu den arischen Vorfahren zurückzuverfolgen.
die nichtarisch war. Sie wurden Hitlers fanatischem Ideal von Deutschlands Heil zum Opfer gebracht.
In seinen Reden hob Hitler den Wert gemeinschaftlichen Handelns hervor und stellte es in Gegensatz zu individuellem Handeln. Er machte aus Kindern Denunzianten ihrer eigenen Eltern. Er verhielt sich im Rahmen des Nationalsozialismus, wie sich jeder kleinere Kultführer in kleinerem Rahmen auch verhält. Die Juden glaubten an ihr Märtyrertum.
(Pause.) Deutschland wurde das neue Ägypten, in dem man ihr Volk verfolgte. Ich möchte die Sache nicht ungebührlich vereinfachen, und ganz gewiß gibt es keine Entschuldigung für die Greuel, die den Juden in Deutschland und in den besetzten Ländern angetan worden sind. Doch (eindringlich) es schafft jeder einzelne von euch seine eigene Wirklichkeit, und en masse schafft ihr die Wirklichkeit eurer Völker und eurer Staaten. Damals sahen sich die Deutschen als Sieger und die Juden sich als Opfer.
(Nach einer Pause um 22.00 Uhr:) Beide reagierten im allgemeinen als Gruppen und nicht so sehr als Individuen. Bei all ihrem Idealismus hatten beide im Grunde eine pessimistische Sicht ihres individuellen Selbst. Es war Hitlers Glaube an das Böse in der individuellen Psyche, der ihn zu all seinen Gesetzen und Reglementierungen zur Förderung und Wahrung der »Reinheit der arischen Rasse« bewog. Und düster war auch das Weltbild der Juden, aus dem heraus sie ihrerseits Gesetze und Reglementierungen erließen, um die Reinheit der Seele vor den Kräften des Bösen zu bewahren. Und während den jüdischen Schriften des »Alten Testaments« zufolge Jahwe dann und wann mit großer Majestät einschritt, um sein erwähltes Volk zu retten, ließ er auch zu, daß es während langer Perioden große Demütigungen zu erdulden hatte, und er schien es oft erst im letzten Moment zu erretten - und diesmal, so schien es, ließ er es vollends im Stich. Was ging da vor?
(Nach langer Pause:) Hitler brachte unbeabsichtigt (lange Pause) eine ganz entscheidende Idee zur vollen Blüte, eine Idee, die eure Geschichte immer wieder verändert hat. (Pause.) All die krankhaft übersteigerten nationalistischen Phantasien, die jahrhundertelang gewuchert hatten, all die großsprecherischen Hymnen zum Lob des Krieges als des unveräußerlichen Rechts einer Nation, sich zum Herrscher über andere Nationen aufzuschwingen, konzentrierten sich schließlich in Hitlerdeutschland wie in einem Brennpunkt.
Diese Nation lieferte das Beispiel dafür, was in jedem Lande möglich wäre, wenn sich extremer Nationalismus unkontrolliert ausbreiten dürfte, wenn das Recht sich nach der Macht richtete und wenn irgendeine Nation es für gerechtfertigt hielte, die Vernichtung einer anderen in Betracht zu ziehen.
Ihr müßt euch in diesem Zusammenhang klarmachen, daß Hitler glaubte, jede Greueltat sei im Lichte dessen, was er für das einzig Wahre hielt, gerechtfertigt. Auch waren nicht wenige der von ihm vertretenen Ideen längst akzeptiertes Gedankengut auch in anderen Volksgemeinschaften, nur sind sie dort nicht so gründlich in die Tat umgesetzt worden. Die Nationen oder Völker der Welt sahen ihre eigenen schlimmsten Tendenzen in Hitlerdeutschland personifiziert und auf dem Sprung, sie anzugreifen. Die Juden verhielten sich aus verschiedenen Gründen - und noch einmal: dies ist nicht die ganze Geschichte - wie alle Opfer dieser Welt und stimmten mit den Deutschen prinzipiell in ihrer Ansicht über die »Verderbtheit der menschlichen Natur« überein. Zum erstenmal kam der modernen Welt ihre Verletzlichkeit infolge politischen Geschehens zum Bewußtsein, und Technologie und Kommunikation beschleunigten alle Schrecknisse des Krieges. Hitler brachte viele der niederträchtigsten Tendenzen des Menschen zum Vorschein. Zum erstenmal begriff daher die Menschheit, daß Macht nicht gleichbedeutend war mit Recht, und daß genaugenommen ein Weltkrieg keine Sieger im eigentlichen Sinne übrigließ. Es hat nicht viel gefehlt, und Hitler hätte die erste Atombombe der Welt gezündet.
Doch wußte Hitler auf eigentümliche Weise von Anfang an, daß er zum Untergang verurteilt war, und Deutschland ebenfalls, was seine Hoffnungen betraf. Es trieb ihn zur Zerstörung, denn in seinen lichteren Augenblicken erkannte selbst er die grotesken Entstellungen seiner früheren Ideale. Das führte dazu, daß er häufig seine eigenen Bemühungen sabotierte, und mehreren bedeutenden Siegen der Alliierten lag solche Sabotage zugrunde. Aus ebendiesen Gründen kam es auch nicht zur Bereitstellung der Atombombe in Deutschland.
Doch jetzt kommen wir zu Hiroshima, wo die erste vernichtende Bombe gezündet wurde (am 6. August 1945) - und aus welchem Grunde?
Um Leben zu retten, um das Leben von Amerikanern zu retten. Gewiß war es eine »gute« Absicht, Amerikanern das Leben zu retten - diesmal auf Kosten der Japaner. In dieser Hinsicht war das Heil Amerikas das Unheil Japans, und ein Akt »zur Rettung von Menschenleben« hatte die Vernichtung von Menschenleben zur Voraussetzung.
(22.27 Uhr.) Welchen Preis hat »das Gute« - und welche Idee des Guten soll als Kriterium dienen? Das menschliche Streben nach dem Guten führte auch zur Inquisition und zu den Hexenjagden von Salem.
Politisch denken heute viele, daß die Sowjetunion »der Feind« und daß daher jedes Mittel recht wäre, diesen Feind zu zerstören. Manche Menschen in den Vereinigten Staaten glauben, daß »das Establishment«
durch und durch korrupt und daher jedes Mittel recht wäre, es zu zerstören. Manche glauben auch, daß Homosexuelle und Lesbierinnen »
entartet« seien, es ihnen an menschlichem Wert fehle und daß sie daher keine Achtung verdienen. All dies sind Werturteile aufgrund eurer Glaubensüberzeugungen von dem, was gut und wahr sei. (Pause.) Nur sehr wenige Menschen legen es von Anfang an darauf an, so schlecht und gemein wie möglich zu sein. Zumindest haben zum Beispiel (bitte in Sperrschrift) manche Kriminelle das Gefühl, daß sie, indem sie stehlen oder töten, nur die Ungerechtigkeiten der Gesellschaft wieder ausgleichen. Ich will damit nicht sagen, daß dies ihr einziges Motiv sei, aber auf die eine oder andere Weise gelingt es ihre Handlungen vor sich selbst zu rechtfertigen, indem sie darin ihre eigene Version dessen, was gut und recht sei, erblicken.
Ihr müßt euch klarmachen, daß Fanatiker immer grandios übersteigerte Ideen hegen, während sie zugleich an die sündige Natur des Menschen und die Machtlosigkeit des Individuums glauben. Sie können dem Ausdruck des Selbst nicht vertrauen, da sie von seiner Verschlagenheit überzeugt sind. So erscheinen ihnen ihre Ideale noch unerreichbarer. Fanatiker rufen andere zu sozialem Handeln auf. Da sie nicht glauben, daß der einzelne etwas auszurichten vermag, sind ihre Gruppierungen nicht Zusammenschlüsse privater Einzelmenschen, die sich auf der Grundlage der Vernunft zusammenfinden, um auf individuelle Weise ihren sozialen Beitrag zu leisten; vielmehr sind es Zusammenschlüsse von Menschen, die sich davor fürchten, ihre Individualität zu behaupten, und die hoffen, sie in der Gruppe zu finden oder aber eine Art Gruppenindividualität zu entwickeln - und (nachdrücklich) das ist ein Unding.
Das Individuum kann durch soziales Handeln sehr viel erreichen, und der Mensch ist ein soziales, ein geselliges Wesen; doch werden Menschen, die die Eigenverantwortung scheuen, in der Gruppe nur ein Zerrbild der eigenen Machtlosigkeit, niemals aber ihre Individualität finden.
Ende des Diktats. Ich habe den Brief des Wissenschaftlers nicht vergessen. Wir werden ihn miteinbeziehen.
(22.41 Uhr. Jetzt kam Seth mit Informationen für Jane und mich durch und schloß dann die Sitzung um 22.45 Uhr. »Als die Sitzung begann, hatte ich keine Ahnung, daß er über Hitler und Deutschland sprechen würde«, sagte Jane. »Nicht im geringsten. Aber ich wußte, daß er auf Gut und Böse eingehen würde.«
Der Wissenschaftler, auf den sich Seth bezog, ist ein Professor für Physik, der sich Anfang des Monats bei Jane gemeldet hatte. Er hatte einige interessante Fragen in bezug auf Seths Ideen über die »wahre«
Natur des Universums gestellt, und in der nicht für dieses Buch bestimmten Sitzung vom 30. April, der 849sten, hatte Seth einige Abschnitte Material als teilweise Antwort durchgegeben.) Sitzung 853, Montag, den 14. Mai 1979
(Obwohl dies eine private Sitzung ist, deren Material Jane und ich gesondert vom »regulären« Material einordnen, legen wir sie doch in »
Individuum und Massenschicksal« vor wegen der vielen Einblicke sowohl in Geschehnisse des individuellen Lebens und des Lebens der Massen im allgemeinen wie auch in unsere persönlichen Wirklichkeiten im besonderen. Und tatsächlich bezweifle ich, daß ohne diese unsere Eigenschaften, die Seth an diesem Abend zur Sprache bringt, die Seth-Bücher oder auch nur die Sitzungen als solche existieren würden. In diesem Sinne also enthält diese Sitzung weitere Einsichten in das Wie und Warum des Seth-Materials, Einsichten, denen wir fortgesetzt nachgehen, wie ich schon zu den Sitzungen 840 und 841 anmerkte.
Der Inhalt der heutigen Sitzung erwuchs eigentlich aus mehreren Einsichten, die Jane seit letztem Mittwochabend in Worte gefaßt hatte.
Nach einigen solchen verbalen Zusammenfassungen empfand sie sehr angenehme Entspannungseffekte von der Art, wie ich sie in den einführenden Anmerkungen zur 829sten Sitzung beschrieb. »Aber eben jetzt warte ich bloß«, sagte sie ungeduldig um 21.45 Uhr. »Genauer gesagt: ich bin wütend. Nun hatte ich mich so darauf eingestellt, früher zu beginnen...« Dann berichtigte sie sich: »Es macht mich wütend, weil ich mich in einem so sonderbaren subjektiven Zwischenzustand befinde.
Das ist nicht angenehm. Ich möchte entweder Seth sein oder ich selbst -
eins oder das andere, denke ich...«
Dann, um 21.46 Uhr, ziemlich langsam, doch seltsamerweise mit Nachdruck:)
Guten Abend.
(»Guten Abend, Seth.«)
Buchdiktat gibt’s am Mittwoch.
Ich möchte jetzt ein paar Kommentare machen. Allgemein gesprochen hat Kreativität in eurer Gesellschaft feminine Konnotationen, wogegen Macht im Zusammenhang mit Männlichkeit gesehen und weitgehend als destruktiv betrachtet wird.
Eure Wissenschaftler sind im allgemeinen intellektuell orientiert; sie stellen die Vernunft höher als Intuition und Inspiration und halten es für selbstverständlich, daß es sich hierbei um gegensätzliche Qualitäten handelt. Sie können sich nicht (Pause) den schöpferischen Ursprung des Lebens vorstellen, denn ihren Begriffen zufolge würde sie das an die femininen Aspekte der Kreativität erinnern.
Schon im Bezugsrahmen dieser Diskussion erlebt ihr ein männliches Universum. Es ist ein Universum scheinbar rein männlicher Eigenschaften, entsprechend euren historisch überlieferten Kategorien dessen, was männlich und weiblich ist. Das Universum scheint sinnlos zu sein, weil der »männliche« Intellekt, da er nichts für gegeben nehmen darf, keinen Sinn erkennen kann. Und obwohl bestimmte Eigentümlichkeiten des Universums ganz offensichtlich sind, müssen sie ignoriert werden. (Pause.)
Die Begriffe »männlich« und »weiblich« sind hier ganz generell zu verstehen und beziehen sich nicht auf die grundlegenden Eigenschaften der beiden Geschlechter. Diesen Begriffen zufolge will der männlich orientierte Intellekt das Universum ordnen, kategorisieren und klassifizieren und so weiter. Er will jedoch die kreativen Aspekte des Universums, die überall in die Augen springen, ignorieren, und vor allem glaubt er, keinerlei Gefühl zeigen zu dürfen. Ihr habt somit in eurer Geschichte einen männlichen Gott der Macht und der Vergeltung, der eure Feinde für euch schlug. Ihr habt einen voreingenommenen Gott, der beispielsweise die Ägypter und die Hälfte der Juden tötet, um frühere ägyptische Grausamkeiten zu rächen. Der männliche Gott ist ein Gott der Macht. Er ist kein Gott des Schöpferischen.
Nun aber ist die schöpferische Gestaltungskraft seit jeher des Menschen innigste Verbindung zu seinem Ursprung, zur Natur des eigenen Seins. Dank ihrer Schöpferkraft empfindet die Menschheit das All-Eine. Doch Kreativität folgt ihren eigenen Gesetzen. Sie trotzt aller Kategorisierung, und sie hält auf Gefühle. Sie ist eine Quelle der Offenbarung und Inspiration - doch ursprünglich haben Offenbarung und Inspiration nicht mit Macht zu tun, sondern mit Wissen. Und was geschieht so oft in eurer Gesellschaft, wenn Frauen und Männer schöpferische Begabungen erkennen lassen und zu alledem noch gescheit sind?
(22.03 Uhr.) Die katholische Kirche lehrte, daß Offenbarung gefährlich sei. Der Gehorsam von Geist und Gemüt war der weitaus sicherere Weg, und selbst die Heiligen waren irgendwie verdächtig.
Frauen waren minderwertig, besonders wo es um Religion oder Philosophie ging, denn dort vor allem hätte ihre Kreativität unruhestiftend gewirkt. Frauen wurden als hysterisch betrachtet, bar der Vernunft intellektuellen Denkens und statt dessen von unbegreiflicher weiblicher Emotionalität beherrscht. Frauen konnten nur im Zaum gehalten werden, indem sie ihre Energien im Kinderkriegen erschöpften.
Ruburt (Jane) war überaus kreativ, und den Glaubensüberzeugungen seiner Zeit entsprechend glaubte er, mit seiner Kreativität behutsam umgehen zu müssen, denn er war fest entschlossen, sie zu nutzen. Er hatte sich früh dafür entschieden, kinderlos zu bleiben, und dies nicht zuletzt auch um jeden Zug schlüssiger Weiblichkeit zu vermeiden, der sein Werk nur beeinträchtigen oder ihn von seiner Hingabe an dieses ablenken könnte. Er liebte dich, Joseph, tief und liebt dich unvermindert, doch hatte er stets das Gefühl, äußerst behutsam vorgehen zu müssen, um all den unterschiedlichen Überzeugungen und Bedürfnissen - sowohl euren eigenen als auch jenen, die euch mit der Gesellschaft verknüpften - gerecht zu werden. Er war und ist kreativ.
Doch er fühlte, daß Frauen als minderwertig erachtet wurden und daß er gerade wegen seiner besonderen Fähigkeiten sehr verletzlich war; er fürchtete, von anderen lächerlich gemacht und wie andere Frauen als profunder Denker oder philosophischer Neuerer nicht ernstgenommen zu werden.
Der Trance selbst haftet ja ein Flair von Weiblichkeit an, wobei er zweckmäßigerweise übersah, daß es auch ausgezeichnete männliche Trancemedien gibt. Und doch scheute er gleichzeitig davor zurück, Macht auszuüben, den Vorwurf befürchtend, sich eines Übergriffs auf männliche Vorrechte schuldig zu machen.
Nun (zu mir): Du bist kreativ, aber du bist ein Mann. Dennoch sah ein Teil deiner selbst die Kreativität als eine gewissermaßen weibliche Eigenschaft. Ginge sie nun, wie das früher der Fall war, mit Gelderwerb einher, dann wäre die Malerei ein Machtgewinn und von daher für deine amerikanische Männlichkeit annehmbar. Ich verkenne nicht, daß ihr beide im Hinblick auf die herrschende Meinung eurer Zeit durchaus liberal dachtet - nun, um so schlimmer! Du wolltest, nachdem du deinen Brotberuf aufgegeben hattest, deine Kunst nicht vermarkten, weil du das gewissermaßen als Prostitution empfunden hättest - denn dein »feminines Gefühlsleben«, dem du deine Bilder zu verdanken glaubtest, wäre dann im Zeichen der »Rolle des Mannes als Erzeuger und Träger der Macht«
verkauft worden.
Die Kunst der alten Meister war weitgehend frei von solchem Nebensinn, weil sie viel praktische Arbeit voraussetzte - die Herstellung der Farben, der Leinwände, der Rahmen und so weiter. Diese Arbeit, die der Vorbereitung des Kunstschaffens diente, leistet nun der Fabrikant, ein Vertreter der männlichen Welt, siehst du, und so bleibt dem Künstler als Mann in eurer Gesellschaft oft nur das, was er als die weibliche Grundlage der Kunst ansieht, auf der er sich ihr natürlich stellen muß.
(22.20 Uhr.) Ich möchte hier klar und deutlich sagen, daß solche Ideen in der Gesellschaft wie Unkraut wuchern und die Ursache zahlloser persönlicher und nationaler Probleme sind. Sie liegen schwerwiegenden Sachverhalten zugrunde und spielen beispielsweise bei dem atomaren Fiasko [von Three Mile Island] und in den Vorstellungen der Wissenschaftler von Machbarkeit und Macht ihre Rolle. Ihr, die ihr beide außerordentlich kreativ seid, erfahrt eure Kreativität - sowohl privat wie auch im Hinblick auf die Welt - im Konflikt mit euren Vorstellungen von Sexualität. Viel davon hängt mit den bedauerlichen Mythen über den schöpferischen Menschen zusammen, von dem erwartet wird, daß er mit der Welt nicht so gut zurechtkommt wie der Durchschnitt der Menschen, der seine Vorlieben und Abneigungen maßlos übertreibt und der, wie bisweilen behauptet wird, von seiner Kreativität geradewegs in den Selbstmord oder in Depressionen getrieben wird. Kaum verwunderlich, wen angesichts solcher Glaubensüberzeugungen nur wenige kreative Menschen den Mut nicht verlieren und nicht aufgeben!
Dies sind in der Tat einige der Gründe, weswegen Ruburt seinem spontanen Selbst mißtraute: weil er es für weiblich und daher für irgendwie minderwertiger als das spontane Selbst des Mannes hielt.
Ihr stoßt da auf eine Menge Widersprüche. Gott gilt als männlich.
Die Seele gilt als weiblich. Die Engel sollen männlich sein. Betrachten wir doch einmal den Garten Eden. Der Legende zufolge führte Eva den Mann in Versuchung und ließ ihn vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse essen. (Pause.) Damit wird ein Bewußtseinszustand am Punkt der Entwicklung dargestellt, an dem die Menschheit für sich zu denken und zu fühlen begann, an dem sie sich einem fortgeschrittenen Bewußtsein annäherte, in dem sie es wagte, ihre eigenen schöpferischen Kräfte zu entfalten und zu nutzen. (Pause.)
Es ist schwierig, das in Worte zu fassen. (Pause.) Es war ein Zustand, in dem die Gattung ihrer eigenen Gedanken als ihrer eigenen Gedanken gewahr wurde und ein Bewußtsein vom denkenden Selbst gewann. Dieser Punkt setzte die Schöpferkraft des Menschen frei. Nach euren Begriffen war sie das Ergebnis der Intuition Evas (obwohl Intuitionen, wie ihr wißt, auch Männer haben). Zur Zeit der Niederschrift der diesbezüglichen [biblischen] Schriften hatten die Menschen jenes Kulturkreises bestimmte Zustände der Ordnung, der Machtverhältnisse und Organisationsformen erreicht, und sie wollten den Status quo beibehalten. Intuitive Visionen und Veränderungen als deren Folge waren nun nicht mehr erwünscht. Die Kreativität hatte bestimmten vorgeschriebenen Bahnen zu folgen. So wurde die Frau zum Übeltäter.
Ich habe schon früher Material darüber gebracht (in persönlichen Sitzungen). Bis zu einem gewissen Grade bekam Ruburt Angst vor seiner eigenen Kreativität, und dir erging es ebenso. In Ruburts Fall war die Angst größer, bis es ihm manchmal so vorkam, als würdest du, Joseph, wenn er mit seiner Arbeit erfolgreich ist, in ein falsches Licht kommen oder als könnte er zum Fanatiker werden und die bekannten verächtlichen weiblichen Eigenschaften der Hysterie an den Tag legen.
(Mit viel Humor:) Ich hoffe, ihr beiden lernt etwas aus dieser Sitzung. Ende der Sitzung und herzlich einen guten Abend.
(»Danke, Seth. Gute Nacht.«)
(22.35 Uhr. - »Mir war nicht klar, daß er auf all das zu sprechen kommen würde«, meinte Jane, nachdem ich ihr versichert hatte, die Sitzung sei ausgezeichnet gewesen. »Vielleicht habe ich mich deshalb vor der Sitzung so unbehaglich gefühlt: etwas in mir wußte, daß Seth über uns sprechen würde. Jetzt fühle ich mich erschöpft. Ich könnte umgehend zu Bett gehen, aber ich will nicht...«
Sie könne es jetzt nicht wirklich beschreiben, meinte Jane, aber sie habe »ein köstliches Gefühl großer Erheiterung« empfunden, als sie den Teil der Sitzung über meine Vorstellungen brachte, daß der Verkauf von Bildern mich zur Prostituierten mache. »Ein gargantueskes Gefühl war das, einfach urkomisch«, fügte sie hinzu.
Sie lachte. »Du bist schon seltsam«, sagte sie. »Einerseits willst du nichts von dir zu Markte tragen, andererseits aber gedenkst du, all diese persönlichen Sitzungen für die Nachwelt zu sammeln, um sie eines Tages der Welt zu unterbreiten. Du bist sehr verschwiegen; du quasselst nicht über unsere Privatangelegenheiten, das aber würdest du tun... Ich hingegen sehe uns, wenn ich Achtzig bin und du Neunzig bist, draußen im Hof den ganzen Zauber verbrennen.«
Jedenfalls waren wir darin einig, daß die heutige Sitzung, privat oder nicht, sehr viel Licht auf das Seth-Material in seiner Gesamtheit geworfen, neue Tiefen des Verständnisses erschlossen und wertvolles Hintergrundmaterial geliefert hat. Übrigens habe ich, ungeachtet meiner Abneigung gegen den Markt, in den letzten Jahren eine ganze Reihe von Bilder verkauft...)
Sitzung 854, Mittwoch, den 16. Mai 1979
(Jane hat heute ein neues Buch angefangen, und sie ist ganz begeistert, ja beseligt über diese Fortentwicklung ihrer schöpferischen Fähigkeiten.
Anlaß dazu war eine scheinbar unbedeutende Begebenheit, doch ein Vorkommnis, das kaum zufällig gewesen sein dürfte.
Heute morgen, als sie am achten Kapitel von »Oversoul Seven and the Museum of Time« schrieb, verspürte sie auf einmal den Impuls, den Raum zu wechseln, um dem grellen Sonnenlicht zu entkommen, das die dünnen Vorhänge vor den gläsernen Schiebetüren ihres Arbeitszimmers im rückwärtigen Teil des Hauses durchflutete. Beim Hinausgehen ergriff sie ein Notizbuch, das, wie sie meinte, ihre Tagebucheintragungen enthielt. Im Wohnzimmer stellte sie dann fest, daß sie statt dessen ihr Notizbuch für »Heroics« in der Hand hatte. Es enthält viele der Anmerkungen zum heroischen Selbst und zu heroischen Impulsen, die sie in den Kapiteln 25 bis 27 ihres 1976 erschienenen Buches »Psychic Politics« erörtert hatte. Außerdem enthält es eine Reihe von Einfällen zur Idee des Heroischen, die sie nach Fertigstellung des Buches niedergeschrieben hatte. »Als ich mir diese Notizen anschaute, wurde mir plötzlich klar, daß ich dieses Buch machen muß - ›Heroics‹ - und daß ich weiter Ausschau halten soll nach dem heroischen Selbst, über das ich in Politics, geschrieben habe«, sagte sie zu mir beim Mittagessen. »Jetzt ist die Zeit dafür reif.«
Doch ist ihr nicht ganz klar, warum sie »Heroics« gerade jetzt schreiben will. Wir mutmaßten, ihr schöpferisches Selbst wünsche im Hinblick auf den bevorstehenden Abschluß von »Seven«, daß sie ein neues Vorhaben beginnt. Doch vertraut sie einfach ihrer Absicht, und sie hat auch schon ein paar Zeilen für das neue Buch geschrieben. Die Ironie der Sache ist, daß sie mit »Seven« sehr gut im Zuge ist; gestern erst bemerkte sie, daß sie mit der Reinschrift der bisher abgeschlossenen Kapitel beginnen wolle. Aber jetzt hat sie »Seven« beiseitegelegt - für wer weiß wie lange?
Über den Aufbau des neuen Buches ist sie sich noch nicht im klaren, und ob »Heroics« der endgültige Titel sein wird, steht noch nicht fest. »Jedenfalls werde ich eine Menge Lyrik darin unterbringen, Sachen, die sich seit Jahren bei mir angesammelt haben. Mein Gott, der ganze Vormittag war wie verwandelt, als mir die Idee kam ! Alles sieht ganz neu aus, wie mit Energie geladen oder so...«
Ich habe die korrigierten Druckabzüge des »Emir« vor fünfeinhalb Wochen an den Verlag Delacorte Press zurückgeschickt und seither die neuen Sitzungsprotokolle sowohl für »Individuum und Massenschicksal«
als auch diejenigen über andere, allgemeine Themen sowie die für uns selbst bestimmten überarbeitet. Zudem habe ich täglich mehrere Stunden gemalt, Träume notiert, ausführende Anmerkungen zu einer Reihe verschiedener Themen geschrieben, Materialien zur Thematik unserer Bücher, die sich angesammelt hatten, in Ordnern untergebracht und neuerdings täglich im Hof unseres Hügelhauses gearbeitet. Beginn der Sitzung um 21.35 Uhr.)
Guten Abend.
(»Guten Abend, Seth.«)
Diktat: Im Grunde (Pause) glaubt ein Fanatiker, daß er machtlos ist.
Er hat kein Vertrauen in seine eigene Wesenskraft und in seine Fähigkeit, erfolgreich zu handeln. Die gemeinsame Aktion erscheint als der einzig erfolgversprechende Weg, eine gemeinsame Aktion jedoch, in der jeder einzelne zum Handeln gezwungen werden muß, getrieben von Angst oder Haß, die provoziert und geschürt werden, denn sonst, so fürchtet der Fanatiker, würde nicht ein Schritt in Richtung auf »das Ideal
« unternommen werden.
Durch solche Methoden und durch so geschürte Gruppenhysterie wird dem einzelnen Gesinnungsgenossen die Verantwortung für individuelles Handeln abgenommen und an die Gruppe delegiert, wo sie aufgelöst und verallgemeinert wird. Die Sache, was immer diese ist, kann dann jede Menge Verbrechen rechtfertigen, und kein Individuum muß die Schuld allein tragen. Fanatiker haben den Scheuklappenblick, so daß alle Anschauungen, die ihren Absichten nicht förderlich sind, ignoriert werden. Diejenigen jedoch, die ihre Überzeugungen in Frage stellen, werden augenblicklich zu Zielscheiben der Verachtung und der Aggression. (Pause.) Ganz allgemein wird in eurer Gesellschaft Macht als ein Attribut des Mannes betrachtet. Kultbewegungen haben öfter männliche als weibliche Führer, und die Frauen bilden meistens das Gefolge, denn man hat sie gelehrt, daß es ihnen nicht ansteht, Macht auszuüben, wohl aber, den Mächtigen zu folgen.
Ich sagte (in Sitzung 846), daß es religiöse und wissenschaftliche Kulte gibt und daß die von Männern kontrollierte Korporation der Wissenschaftler ihre Macht in gleicher Weise gebraucht, wie der männliche Jahwe seine Macht auf einem anderen Schauplatz ausübte, um seine Freunde zu beschützen und seine Feinde zu vernichten. In meinem letzten Buch (»Die Natur der Psyche«) sprach ich ziemlich ausführlich über die Sexualität eurer Gattung; hier nun möchte ich näher ausführen, wie einige eurer die Sexualität betreffenden Glaubensüberzeugungen euer Verhalten beeinflussen.
(Amüsiert:) Der männliche Wissenschaftler betrachtet die Rakete als sein persönliches Symbol sexueller Potenz. (Pause.) Seinem Gefühl zufolge hat er das Vorrecht, über Macht beliebig zu verfügen. Nun sind viele Wissenschaftler »Idealisten«. (Pause.) Sie glauben, daß ihre Suche nach Antworten nahezu jedes Mittel oder Opfer nicht nur ihrerseits, sondern auch seitens anderer rechtfertigt. Sie werden zu Fanatikern, wenn sie die Rechte anderer Menschen gering achten und wenn sie das Leben schänden in dem fehlgeleiteten Versuch, es zu verstehen.*
* Vergleichen Sie die Ausführungen der Sitzung 850 und insbesondere auch die Fußnote Seite 251.
Die Frauen begehen einen schwerwiegenden Fehler, wenn sie ihre
»Gleichheit« mit den Männern dadurch zu beweisen suchen, daß sie den nationalen Streitkräften beitreten oder (amüsiert) ins Schlachtgetümmel ziehen wie irgendein Mann. Die Menschheit wird durch den Krieg allemal herabgewürdigt. Die Frauen haben ein ungewöhnliches Maß an gesundem Menschenverstand dadurch bewiesen, daß sie es unterließen, in den Krieg zu ziehen, und einen auffälligen Mangel an gutem Menschenverstand dadurch, daß sie es zuließen, daß ihre Söhne und Liebhaber in den Krieg zogen. Noch einmal: Das Töten für den Frieden macht euch gerade nur zu besseren Totschlägern; ihr könnt es drehen und wenden, wie ihr wollt. In jedem Krieg entspricht der Fanatismus beider Seiten ihrem Engagement. Mir ist durchaus bewußt, daß der Krieg oft die einzige Lösung zu sein scheint, und zwar wegen jener unglückseligen Glaubensüberzeugungen, die mehr oder weniger weltweit verbreitet sind.
Solange ihr diese Glaubenssätze nicht ändert, scheint der Krieg einen gewissen praktischen Wert zu haben - einen illusionären Wert, der durch und durch falsch ist.
Fanatiker machen gern große Worte und sprechen in den höchsten Tönen von Wahrheit, von Gut und Böse und ganz besonders von Vergeltung. Die Todesstrafe ist weitgehend ein Vergeltungsakt einer fanatischen Gesellschaft: Indem man dem Mörder das Leben nimmt, gewinnt weder das Opfer sein Leben zurück, noch werden andere Menschen von solchen Verbrechen abgehalten. Mir ist bewußt, daß die Todesstrafe oft eine praktische Lösung zu sein scheint; auch wollen viele Mörder tatsächlich sterben, und sie werden gefaßt, weil sie die Bestrafung suchen. Viele von ihnen sind - ganz allgemein gesprochen - in die unhaltbare Situation des Verbrechers gekommen, weil sie zutiefst überzeugt sind - wovon ja ihr alle mehr oder minder überzeugt seid -, befleckte Kreaturen zu sein, Zufallsprodukte eines sinnlosen Universums oder von der Erbsünde gezeichnete Geschöpfe eines rachsüchtigen Gottes.
Kriminelle bestätigen diese Glaubensüberzeugungen durchweg in ihrem Verhalten. Ihre »Neigungen« sind genau diejenigen, die ihr alle insgeheim zu haben fürchtet. Wissenschaft und Religion sagen euch, daß ihr, euch selbst überlassen, augenblicklich in primitives Verhalten zurückfallen würdet, von zügellosen Lüsten und Begierden übermannt.
Freud und Jahwe haben euch diese Botschaft übermittelt. Der arme Darwin versuchte, das ganze in ein vernünftiges System zu bringen, ist aber kläglich gescheitert.
Fanatiker können keine Toleranz ertragen. Sie erwarten Gehorsam.
Eine echt demokratische Gesellschaft stellt das Individuum und die Menschheit vor die größten Herausforderungen und die größten Möglichkeiten, denn sie gestattet den freien Austausch aller Ideen. Sie stellt jedoch wesentlich höhere Anforderungen an ihre Bekenner, denn jeder einzelne muß aus einer Vielfalt möglicher Sicht- und Lebensweisen seine eigene Auswahl treffen, die dann die Grundlage für sein tägliches Leben und Handeln darstellt.
(22.08 Uhr.) Es gibt Verhältnisse und Zeiten, in denen es manchen gewiß so vorkommt, als ob alle Ordnungen hinfällig geworden wären, und so wird der Wunsch nach Rückkehr der alten Obrigkeiten laut. Und es gibt immer Fanatiker, die als Vertreter der endgültigen Wahrheit auftreten und sich einbilden, dem Einzelmenschen die Mühe persönlicher Leistung und Verantwortung abzunehmen. (Sehr nachdrücklich:) Individuen können - sie können - ohne Organisation überleben.
Organisationen können jedoch nicht ohne Individuen überleben, und die effektivsten Organisationen sind Gruppierungen von Individuen, deren eigene persönliche Macht in einer Gruppe zum Tragen kommt und die nicht versuchen, in der Gruppe unterzutauchen.
Organisiertes Handeln ist eine vorzügliche Methode, um Einfluß auszuüben, allerdings nur dann, wenn jedes Mitglied Eigeninitiative entwickeln und durch die Gruppenaktivität seine eigene Individualität erweitern kann, nicht aber gedankenlos bloß den Diktaten anderer Gefolgschaft leistet. (Pause.)
Fanatiker bedienen sich immer der riesigen Kluft zwischen einem idealisierten Heil und einer übertriebenen Version seines Gegenteils. Das idealisierte Heil wird in die Zukunft projiziert, während sein übertriebenes Gegenteil die Gegenwart zu verderben scheint. Das Individuum wird für ohnmächtig gehalten, aus eigenen Kräften erfolgreich auf jenes Ideal hinzuarbeiten.
Solcherart von der eigenen Machtlosigkeit überzeugt, maßt sich der Fanatiker an, sämtliche Mittel seien gerechtfertigt, um sein Ziel zu erreichen. Hinter alledem steht der Glaube, daß das Ideal auf spontane Weise nie und nimmer erreicht werden kann und daß der Mensch, sich selbst überlassen, tatsächlich in jeder Hinsicht nur Schlechtes zustandebringt. Wie denn könnte auch ein verdorbenes Selbst jemals hoffen, spontan irgend etwas Gutes zu bewerkstelligen?
Wir werden sehen. Punkt. Ende das Kapitels. Ende des Diktats.
(Dann lauter:) Ja, Ruburt hat sich wieder aufgemacht. Er ist auf der richtigen Spur. Er hat sein Projekt [für ein neues Buch], und du machst deine Sache gut, und ich wünsche euch beiden einen schönen guten Abend.
(»Gute Nacht, Seth.«)
(22.20 Uhr. »Ich fühle mich richtig gut, und Seth hat gut daran getan, dieses Material abzuschließen«, sagte Jane. »Vor der Sitzung hab’ ich mir Sorgen gemacht, was wir wohl Gutes erhalten würden und ob es sich in dieses Buch einfügen ließe oder ob es bloß jahrelang herumliegen würde. Aber dann sagtest du etwas Hilfreiches...«
»Daß ich mir wegen solcher Befürchtungen nicht mehr den Kopf zerbreche«, wiederholte ich. »Mir ging auf, daß ich nicht die ganze Zeit in Sorgen leben will, also habe ich meine Glaubensüberzeugungen geändert. Ich kann das einfach nicht mehr machen.« Worauf hin Jane lautstark und humorvoll als Seth zurückkam, nach vorn gebeugt und mit weitoffenen, dunklen Augen:)
Du hättest dir Sorgen sowieso nie machen sollen, und er (Jane) auch nicht. In den Buchsitzungen wird alles zur Sprache kommen, was zum Thema gehört.
(»Das weiß ich«, sagte ich, als Seth mich durch Janes Augen anstarrte. Dann war er fort.
22.23 Uhr. Aber dieses Wissen, so erklärte ich nun meinerseits ganz vergnügt Jane, würde mich nicht davon abhalten, gelegentlich eine nicht für das Buch bestimmte Sitzung, die ich für besonders gelungen und geeignet halte, in das jeweilige Buchmanuskript einzufügen, das Seth gerade in der Mache hat. Sie lachte.)
Sitzung 855, Montag, den 21. Mai 1979
(Am letzten Donnerstag erhielten Jane und ich vom Verlag Prentice-Hall die Belegexemplare der »Gespräche mit Seth«, der deutschen Übersetzung von »Seth Speaks«. Die Prentice-Hall hatte vor etwas mehr als einem Jahr die deutschsprachigen Rechte an diesem Titel dem Ariston Verlag in Genf, der das Buch im amerikanischen Original entdeckt hatte, überlassen. Doch kannten wir nicht den genauen Zeitpunkt, zu dem das Buch innerhalb der vereinbarten Zweijahresfrist erscheinen würde.
Damit liegt nun die erste Veröffentlichung eines Seth-Buches in einer Fremdsprache vor, und wir sind glücklich, feststellen zu können, daß die Übersetzerin, mit der übrigens Jane einige Briefe gewechselt hat, und das Lektorat des Ariston Verlages eine vorzügliche, sorgfältige Arbeit geleistet haben.
Außerdem erwarten wir, daß schon im nächsten Jahr »Seth Speaks
« auch in einer holländischen Übersetzung erscheinen wird, wann wissen wir ebenfalls noch nicht genau. Wir hoffen, daß diese beiden Ausgaben zur Veröffentlichung dieses und anderer Seth-Bücher in weiteren Sprachen führen werden.
Beim Abschluß der letzten Sitzung hatte Seth uns gesagt, daß in seinen Büchern »alles zur Sprache kommen wird, was zum Thema gehört
«, und ich sagte Jane, daß ich mir vorbehalten würde, besonders gut zu einem Buch passendes Material, auch wenn es nicht einer »regulären«
Buchsitzung entstammte, einzufügen, ganz gleich, welches Buch er gerade produziere. Die Gelegenheit, auf solche Weise meine Selbständigkeit unter Beweis zu stellen, ergab sich viel rascher, als ich vermutet hatte, nämlich in der Sitzung von heute abend! So verschiebt das Einfügen dieses Materials Seths erste Sitzung für Kapitel 8 dieses Buches um mindestens eine Sitzung.
Am Ende der 852sten Sitzung erwähnte ich einen Brief den Jane letzten Monat von einem Professor für Physik erhalten hatte, und daß Seth kürzlich in einer nicht für das Buch bestimmten Sitzung mit einer teilweisen Antwort auf einige der Fragen des Professors durchgekommen war. Heute nachmittag las Jane diesen Brief noch einmal durch und fragte sich, ob sie dazu wohl weiteres Material erhalten würde. Mein hauptsächlicher Grund, die folgenden Auszüge vorzulegen, ist derselbe wie schon bei anderen Gelegenheiten: Seths Material paßt sehr gut zu »
Individuum und Massenschicksal«. Auch will ich nicht unabsehbar lange Zeit warten, bis er ähnliche Informationen in ein Buch, und sei es in das vorliegende, einfügt; Jane übrigens auch nicht.
Im allgemeinen erörtert Seth in dieser Sitzung Fragen, die in mehreren Zuschriften zur Sprache kamen. In erster Linie aber ist sein Material die Fortsetzung seiner Antworten auf einige der Fragen des Professors. Und irgendwann werde ich dem Herrn alles, was uns Seth hier an Einsichten vermittelt, per Post zuschicken.
(Flüsternd um 21.15 Uhr:) Mittwoch-Diktat.
Nun: Ruburt hat sich heute gefragt, ob ich mit weiteren Antworten auf den Brief des Wissenschaftlers zurückkommen würde. Während er noch darüber nachdachte, bedeutete ich ihm, daß es tatsächlich schwierig sei, eurem Wissenschaftler eine wirklich umfassende Antwort, wie ich sie verstehe, zu geben, da wir von so unterschiedlichen Sichtweisen herkommen. Zwar könnte ich eine Erwiderung diktieren, die ihn durchaus befriedigen würde, aber sie würde (Pause) um so verzerrter sein, je mehr sie auf sein Verständnis zugeschnitten wäre.
Es ist kein Zufall, daß Ruburt nicht über das gängige wissenschaftliche Vokabular verfügt, obwohl ihm intellektuelle Fähigkeiten, auf die sich alle Wissenschaft stützt, nicht minder als seine intuitiven zu Gebote stehen. Schon der Versuch, die Wirklichkeit in wissenschaftlichen Begriffen der heute herrschenden Lehrmeinungen zu beschreiben, hieße, lieber Freund Joseph, ungebührlichen Tribut entrichten an ein Vokabular, das umfassendere Konzepte zwangsläufig verkleinert, um sie seinen engen Kategorien anzupassen. Anders gesagt, solche Versuche vergrößern eigentlich nur die Schwierigkeit des Problems, ein scheinbar objektives Universum zu betrachten und es objektiv zu beschreiben.
Das Universum ist - und ihr könnt euch den Begriff auswählen, der euch am meisten zusagt - eine spirituelle oder geistige oder psychische Manifestation und nicht, wie euer übliches Vokabular nahelegt, eine objektive Manifestation.
Es gibt zur Zeit keine Wissenschaft - keine Natur- oder Geisteswissenschaft - und auch keine Religion, die auch nur annäherungsweise einen begrifflichen Rahmen bereitstellt, der die Dimensionen dieser Art Universum zu erklären oder auch nur indirekt zu beschreiben vermöchte. (Pause.) Seine Qualitäten sind psychischer Natur und folgen der Logik der Psyche, und all die physischen Eigenschaften, denen ihr nachforscht, sind nur Reflexe dieser tieferen Gegebenheiten.
Auch eignet jedem Atom und Molekül - und jedem nur vorstellbaren Partikel - Bewußtsein. Wenn ihr diese Aussage nicht zumindest als theoretische Grundlage akzeptiert, auf der man weiter aufbauen kann, wird euch mein Material weitgehend bedeutungslos erscheinen.
Diese Feststellung muß tatsächlich die Grundlage für jegliche wissenschaftliche Theorie bilden, die zum Erwerb echten Wissens etwas beizutragen hoffen kann.
(21.30 Uhr.) Da ich ein objektives Vokabular benutzen muß, suche ich ständig nach Analogien. Mit »objektivem Vokabular« beziehe ich mich auf den Gebrauch einer Sprache, der englischen Sprache mit ihren eigenen Wahrnehmungsabschirmfunktionen, die automatisch funktionieren - wie das bei einer Sprache gar nicht anders sein kann.
Das Universum dehnt sich, wie ich früher sagte, so aus, wie sich eine Idee ausbreitet, und wie in eurer Sicht Sätze aus Wörtern und Abschnitte aus Sätzen aufgebaut werden und wieder jedes Wort, jeder Satz seine eigene Logik und Kontinuität und Evidenz innerhalb dieses Rahmens wahrt, so erscheinen euch alle Teile oder Komponenten des Universums in gleichermaßen zusammenhängender Weise (Gedankenstrich) - das heißt in Kontinuität und Ordnung. Jeder Satz hat eine Bedeutung. Er scheint ganz von selbst eine Ordnung zu bilden, während ihr ihn aussprecht. Seine Ordnung ist offensichtlich. Dieser eine Satz (bitte in Sperrschrift) ist sinnvoll wegen seiner Organisation von Buchstaben und Wörtern oder, wenn er gesprochen wird, wegen seiner Organisation von Vokalen und Silben. Er ist sinnvoll jedoch nicht nur wegen der Buchstaben und Wörter oder wegen der Vokale und Silben, die in ihm verwendet werden, sondern auch wegen all der Buchstaben, Wörter, Vokale und Silben, die er ausschließt.
Ebenso verhält es sich mit eurem Universum. Ihm eignet Sinn, Kohärenz und Ordnung nicht nur wegen der für euch sichtbaren Wirklichkeiten, die offenkundig sind, sondern auch wegen jener inneren Wirklichkeiten, die »unausgesprochen« oder verborgen sind. Ich spreche nicht nur von verborgenen Variablen, wie Wissenschaftler sagen würden, noch sage ich, daß das Universum eine Illusion sei, es ist vielmehr eine psychische Realität, in welcher »Objektivität« das Ergebnis psychischer Kreativität ist. (Pause.)
Es ist nicht nur so, daß eure Sicht der Wirklichkeit sich relativ zu eurer Position innerhalb des Universums verhält; es ist auch so, daß das Universum sich tatsächlich entsprechend eurer Position in ihm verändert und daß hier spirituelle oder psychologische Gesetze gelten. Das Universum bringt unterschiedliche Arten der Wahrnehmung, der Organisation und Ordnung hervor, die, obwohl untereinander abhängig, eine jede in ihrer eigenen Domäne gesondert ihre Geltung haben. (Pause.) In eurem Wirklichkeitsbereich gibt es keine eigentliche Freiheit (nachdrücklich) außer der Freiheit der Ideen, denn eure Ideen gestalten eure persönliche Wirklichkeit wie auch die Wirklichkeit der Massen. Ihr wollt das Universum von außen her erforschen, wollt eure Gesellschaften von außen her untersuchen. Ihr denkt noch immer, daß die innere Welt irgendwie bloß symbolisch und nur die äußere Welt wirklich sei - daß zum Beispiel Kriege sich selbst ausfechten oder mit Bomben ausgefochten werden. Aber immer ist es die psychische Realität, die als die primäre innere Wirklichkeit alles Umweltgeschehen hervorbringt.
Das soll nicht heißen, daß ihr die Natur des Universums nicht bis zu einem gewissen Grade verstehen könnt. Ihr müßt aber wissen: Die Antworten liegen in der Natur eures Geistes, eurer Seele, in der Natur individueller schöpferischer Prozesse, in der Richtung eines Forschens, das Fragen stellt wie: Woher kam dieser Gedanke? Wohin geht er?
Welche Auswirkungen hat er auf mich und andere? Wie kommt es, daß ich träumen kann, obwohl es mich niemand gelehrt hat? Wie kommt es, daß ich spreche, ohne die zugrunde liegenden Mechanismen zu kennen?
Warum fühle ich, daß ich eine ewige Wirklichkeit habe, nachdem ich doch offensichtlich körperlich geboren bin und körperlich sterben werde?
Unwissenschaftliche Fragen? Ich sage euch, daß dies die wissenschaftlichsten von allen sind. Ein Versuch der Wissenschaft, solches Material in Betracht zu ziehen, könnte Qualitäten echter Intuition zutage fördern, die der Wissenschaft helfen würden, die scheinbar unüberbrückbare Kluft divergenter Ansichten, die uns trennt, zu überschreiten.
(Pause um 21.53 Uhr. Dies war das Ende der Sitzung. Doch kam Seth noch mit einer ganzen Menge persönlicher Informationen für Jane und mich durch und sagte dann, um 22.15 Uhr, gute Nacht.) 8
Von Menschen und Molekülen,
von der Macht und dem freien Willen
Sitzung 856, Donnerstag, den 24. Mai 1979
(Fast zwei Monate sind vergangen, seit Unit Nummer 2, einer der beiden Reaktoren des Atomkraftwerks Three Mile Island in Pennsylvanien überhitzt wurde und dicht vor einem katastrophalen Durchschmelzen seiner Uraniumbrennstäbe stand. Die Situation ist so ungeklärt wie eh und je. Das massive Behältergebäude des schadhaften Reaktors ist versiegelt und enthält große Mengen an Gasen, festem Material und Wasser, die hochradioaktiv sind. Das verseuchte Wasser, ungefähr eine Million Liter, steht mindestens zwei Meter hoch im Keller des Gebäudes.
Doch tut sich eine Menge auch außerhalb von Three Mile Island, wo Untersuchungen des Unfalls entweder schon im Gange oder geplant sind. Es wimmelt nur so von Gruselgeschichten über Nuklearpannen im Lande, und die Berichte reichen von unzulänglicher Planung und Kontrolle der Kraftwerke aber die angeblich unterbliebene Meldung potentiell gefährlicher Pannen bis hin zu der Tatsache, daß es 1978 in jedem einzelnen der über siebzig Atomkraftwerke in den USA zu mindestens einer unvorhergesehenen längeren Stillegung wegen Betriebsfehlern, wegen mechanischer Ausfälle oder beidem kam. Die zunehmende Abhängigkeit unseres Landes von der Atomenergie wird in Frage gestellt, obwohl diese Energie unsere wachsende Abhängigkeit von ausländischem Erdöl verringern sollte. Man sorgt sich über die fortwährenden radioaktiven Emissionen der Kraftwerke, ihre Anfälligkeit für Sabotageakte, Erdbeben und - was wahrscheinlicher ist - über die mögliche Gefährdung aus der Luft und durch Feuer. Es wird darüber debattiert, wer im Fall teurer atomarer Unfälle zu zahlen hat, wo Prozesse und Gegenprozesse zu führen sind und so weiter. Es wird eine strengere Reglementierung, verschärfte Sicherheitsvorkehrungen und Sanktionen für die Industrie geben. Und die Ironie bei all diesen Bemühungen um erhöhte Sicherheit liegt darin, daß Three Mile Island und die Bevölkerung des östlichen Pennsylvanien nicht etwa durch die für Notfälle vorgesehenen Kühlsysteme gerettet wurden, sondern durch reichlich improvisierte Maßnahmen, zu denen die Techniker des Kraftwerks in extremis Zuflucht nahmen, um die Abkühlung des überhitzten Reaktorkerns herbeizuführen.
Was aber Jane und mich zutiefst beschäftigt, ist, abgesehen von der durch die Vorkommnisse von Jonestown und Harrisburg ausgelösten Erschütterung, deren tiefere Bedeutung. Denn diese Ereignisse stehen für die großen Herausforderungen, denen sich die Menschheit in diesem Jahrhundert und weit darüber hinaus gegenübersteht. Wissenschaft und Religion müssen schließlich miteinander zur Aussöhnung kommen, wenn wir fortbestehen und uns weiterentwickeln wollen. Wir begegnen diesen Herausforderungen natürlich nicht nur im nationalen, sondern im weltweiten Maßstab: Das wissenschaftliche Weltbild, das in Three Mile Island seinen Niederschlag fand, steht im Widerspruch nicht nur zum Anspruch der Menschen auf Lebensqualität, sondern auch zur Abhängigkeit der westlichen Welt von den Energiereserven der Länder stark religiöser Prägung, die aus ihrer Antipathie gegenüber anders orientierten Gesellschaftsordnungen kein Hehl machen. Jane und ich hoffen, die ersten Ansätze zu einer Versöhnung von Wissenschaft und Religion in unserer Welt noch mitzuerleben.
Die planmäßige Buchsitzung von gestern abend fiel aus. Wir hatten wie üblich Platz genommen, doch wurde unsere Aufmerksamkeit durch die letzte Episode einer Kurzserie des Fernsehens über die Folgen des Watergate-Einbruchs in Anspruch genommen.* Während wir den Film verfolgten, erzählte mir Jane von Kommentaren, die Seth zu dieser Affäre lieferte, wobei er sich sehr zu amüsieren schien. Auch schnappte sie von ihm die Überschrift für Kapitel 8 dieses Buches auf: »Von Menschen und Molekülen, von der Macht und dem freien Willen«. Wir beschlossen, die Sitzung auf heute abend zu verschieben.
* Am frühen Morgen des 17. Juni 1972 wurden fünf Männer im Hauptquartier des Demokratischen Nationalen Komitees in Washington D. C., einem als Watergate bekannten Apartment-Hotel-Büro-Komplex, verhaftet. Die Männer standen im Auftrag der »Plumbers«, einer Geheimgruppe, die für das Komitee zur Wiederwahl des republikanischen Präsidenten Richard Nixon arbeitete. Sie hatten den Auftrag, Akten zu fotografieren und die Abhörgeräte zu überprüfen, die im Zuge schon eines früheren illegalen Eindringens im Mai desselben Jahres in den Büros angebracht worden waren. Die Entdeckung dieses Einbruchs führte zu der bekannten Watergate-Affäre, die mit der Abdankung des Präsidenten am 9. August 1974 endete.
Nach dem heutigen Abendessen jedoch beschloß Jane, die Sitzung nicht abzuhalten, weil sie sich so frei und gelöst fühlte. Ein wenig später dann kündigte sie spontan an, daß sie sie doch halten werde - sogar früher. »Ich weiß allerdings nicht, wie lange ich durchhalten werde«, sagte sie. »Seth überschüttet mich geradezu mit allen möglichen Themen...« Sie beschrieb mir einige davon, doch blieb mir keine Zeit, etwas aufzuschreiben, und ich konnte sie nicht behalten. Sie lachte. Sie war sehr entspannt. Und unversehens, um 20.23 Uhr, hatte sie, mühelos wie nur je, die Sitzung begonnen; ich mußte zügig schreiben, um mit ihrem Vortrag Schritt zu halten.)
Diktat: Nächstes Kapitel, das achte. Ruburt empfing es neulich (gestern) abends korrekt: »Von Menschen und Molekülen, von der Macht und dem freien Willen«.
Bevor wir den dritten Teil dieses Buches beenden, der von »
Menschen, die Angst vor sich selbst haben«, von Idealismus und Fanatismus und Interpretationen von Gut und Böse handelt, möchte ich noch ein anderes Beispiel erörtern, nämlich die Watergate-Affäre.
Gestern abend sahen Ruburt und Joseph eine Verfilmung der Ereignisse von Watergate. Normalerweise wäre eine Sitzung abgehalten worden, aber Ruburt interessierte sich für den Film, und mich interessierten Ruburts und Josephs Reaktionen auf denselben.
Ich sah mir gewissermaßen die Sendung zusammen mit euch beiden an. Genauer gesagt, ich habe mir gestattet, vor allem Ruburts Reaktionen wahrzunehmen, während er den Film anschaute. Aufgrund eines dieser sonderbaren Zufälle, die keineswegs Zufälle sind, wurde zur gleichen Zeit eine weitere Verfilmung derselben Watergate-Saga von einem anderen Sender ausgestrahlt, und zwar die Schilderung der spirituellen Wiedergeburt eines der getreuesten Gefolgsleute des Präsidenten.
Laßt uns kurz die ganze Affäre betrachten und dabei an einige schon früher gestellte Fragen erinnern: Wann wird ein Idealist zum Fanatiker, und wie? Und wie kann der Wunsch, gut zu sein, unheilvolle Folgen zeitigen?
Im Grunde war der Präsident zu dem betreffenden Zeitpunkt und eigentlich zeit seines Lebens ein strenger, unterdrückter Idealist von ziemlich konservativer Religiosität. Er glaubte an das idealisierte Gute, (laut) war aber zugleich zutiefst überzeugt von der heillosen Verderbnis des Menschen, einer Kreatur voll Bosheit und Arglist, die von Natur aus mehr dem Schlechten als dem Guten zugeneigt ist. Er glaubte an die absolute Notwendigkeit der Macht, wobei er zugleich überzeugt war, sie nicht zu besitzen. Außerdem glaubte er, das Individuum sei grundsätzlich außerstande, dem Übel und der Korruption, deren verheerenden Vormarsch er im eigenen Lande und in allen Ländern der Welt sah, entgegenzuwirken. Gleichgültig, wie viel Macht er gewann, ihm schien es, daß andere über noch mehr Macht verfügten - andere Menschen, andere Gruppen, andere Länder -, doch sah er deren Macht als böse an.
Denn während er an die Existenz eines idealisierten Guten glaubte, hatte er das Gefühl, daß die Bösen mächtig und die Guten schwach und kraftlos waren.
(20.38 Uhr.) Er konzentrierte sich auf die tiefe Kluft, die zwischen dem idealisierten Guten und dem konkreten, alles durchdringenden Bösen, das in seinen Augen sprunghaft anwuchs, zu bestehen schien. Er sah sich selber als Gerechten und betrachtete diejenigen, die nicht mit ihm übereinstimmten, als Erzfeinde; bis er schließlich das Gefühl hatte, von Korruption umzingelt zu sein und daß jedes ihm verfügbare Mittel gerechtfertigt sei, um diejenigen zu Fall zu bringen, die in seinen Augen eine Bedrohung für seine Präsidentschaft oder den Staat darstellten.
Er war so paranoid wie nur irgendein armer, dem Wahn verfallener Mensch, der allem Augenschein zum Trotz in dem Gefühl lebt, von Kreaturen aus dem Weltraum, irdischen Feinden oder okkulten Kräften des Bösen verfolgt zu werden. Solche armen Menschen sind imstande, in der harmlosesten Begegnung eine furchteinflößende Bedrohung auszumachen. Dieses Gefühl der Bedrohung projizieren sie nach außen, bis es ihnen, in jedem Menschen entgegentritt, dem sie begegnen.
Für die Mehrheit der anderen Menschen ist es offensichtlich, daß solche paranoiden Sichtweisen in der realen Massenwirklichkeit keine Grundlage haben. (Pause.) Euer Präsident jedoch erhielt damals von allen Seiten Unmengen an Informationen, so daß er von vielen Gruppen und Organisationen Kenntnis hatte, die mit seiner Politik nicht einverstanden waren. Er nahm sie zum Vorwand, wie unter anderen Umständen ein Paranoider den Anblick eines Polizeiautos zum Vorwand des Beweises nähme, daß er von der Polizei oder vom FBI oder von wem auch immer verfolgt werde. Der Präsident fühlte sich bedroht - und nicht nur persönlich bedroht, (eindringlich) denn er glaubte das Gute, das er seiner eigenen Vorstellung nach vertrat, gefährdet. Und wieder einmal war, da das idealisierte Gute allzuweit entrückt und schwer erreichbar zu sein schien, jegliches Mittel gerechtfertigt. Seinen Gefolgsleuten im Kabinett und anderswo hafteten mehr oder minder die gleichen Züge an. (Pause.) Niemand ist fanatischer und niemand kann grausamer sein als selbstgerechte Menschen. Ihnen fällt es auch leicht, sich nach derartigen Verirrungen (wie Watergate) [religiös] »zu bekehren« und sich auf der Suche nach der »Macht der Gemeinschaft« von neuem auf die Seite der Guten zu schlagen, sich anstelle der Regierung der Kirche zuzuwenden und auf die eine oder andere Weise die Stimme Gottes zu vernehmen.
Wie können denn nun solche von guter Absicht beseelten Idealisten wissen, zu welcher Verwirklichung ihre gute Absicht führt? Wie können sie wissen, ob ihre gute Absicht nicht in der Tat heillose Folgen zeitigt?
Und schließlich: Wann wird ein Idealist zum Fanatiker?
Schauen wir es einmal so an: Wenn euch gesagt wird, daß Vergnügen schlecht und Toleranz Schwäche sei und ihr dieser oder jener Heilslehre in blindem Gehorsam folgen müßt, weil sie der einzige Weg sei, der euch zum Heil hinführt, dann habt ihr es höchstwahrscheinlich mit Fanatikern zu tun. Wenn euch gesagt wird, der Zweck rechtfertige jedes Mittel, dann habt ihr es ganz sicher mit Fanatikern zu tun. Wenn euch jemand befiehlt, um der Sache des Friedens willen zu töten, dann habt ihr es mit jemandem zu tun, der von Frieden und Gerechtigkeit nichts weiß. Wenn euch jemand auffordert, euren freien Willen aufzugeben, dann meidet diesen Fanatiker.
Sowohl Menschen als auch Moleküle existieren in einem Feld von Wahrscheinlichkeiten, und ihre Wege sind nicht vorbestimmt. Erst die weitmaschige Wirklichkeit der Wahrscheinlichkeiten bietet die Grundlage zur Entfaltung des freien Willens. Wenn es keine Wahrscheinlichkeiten gäbe und wenn ihr nicht bis zu einem gewissen Grade wahrscheinliches Handeln und Geschehen wahrzunehmen vermöchtet, dann wäret ihr (eindringlich) nicht nur außerstande, zwischen ihnen eure Wahl zu treffen, sondern ihr würdet auch die Möglichkeiten freier Entscheidung gar nicht erkennen. Die Frage käme euch gar nicht zum Bewußtsein.
(21.03 Uhr. ) Durch eure bewußten Entscheidungen beeinflußt ihr alles Geschehen in eurer Welt. Jedes Massenschicksal - zum Beispiel einer Gruppe, eines Volkes - ist das Ergebnis zahlreicher individueller Entscheidungen. Ihr hättet überhaupt keine Möglichkeit der Wahl, würdet ihr nicht Impulse verspüren, dies oder das zu tun, so daß eine Wahl euch gewöhnlich dazu nötigt, Entscheidungen zwischen verschiedenen Impulsen zu treffen. Impulse sind Anregungen zum Handeln. Manche werden bewußt, andere bleiben unbewußt. Jede Zelle in eurem Körper (in Sperrschrift) verspürt den Handlungsimpuls sowie die darauf folgende Reaktion und Kommunikation. Man hat euch beigebracht, euren Impulsen nicht zu vertrauen. Eure Impulse helfen euch jedoch, euer natürliches Potential zu entwickeln. Kinder lernen durch ihre Impulse, ihre Muskeln und ihre Verstandes- und Gemütskräfte zu entwickeln, beide in ihrer jeweils einmaligen Art und Weise. Und wie ihr sehen werdet, haben diese Impulse persönlicher Natur doch auch zugleich ihre Grundlage in der allgemeinen Situation der Gattung und des Planeten, so daß »im Idealfall« die persönliche Erfüllung des Individuums automatisch zum Besten der Menschheit beiträgt.
(21.10 Uhr. Jetzt griff Seth anderes Material auf und beendete dann die Sitzung um 21.I9 Uhr.
Ich schrieb noch an meinen einführenden Anmerkungen zu dieser Sitzung, als Jane den Raum verließ. Bei ihrer Rückkehr sagte sie, daß Sie mir etwas mitzuteilen habe. »Ich denke, es begann mit Seth, aber dann kam ich in einen anderen, veränderten eigenen Bewußtseinszustand wie damals, als ich dieses Traummaterial am Küchentisch auffing - wann war das, letzten März?«*
Jane begann zu diktieren, was sie gerade empfangen hatte. Es war ganz bestimmt nicht Seth, der hier durchkam. Ihre Stimme hielt sich im Konversationston, war jedoch gleichzeitig von einer Bedachtsamkeit, die sich deutlich von ihrer üblichen Sprechweise unterschied. Ich begann um 21.47 Uhr zu schreiben:
»In dem Maße, in dem ihr lernt, euren natürlichen Impulsen zu vertrauen, wecken sie in euch das Gefühl für die Bedeutung eures individuellen Handelns. Euch geht auf, daß euer Handeln tatsächlich von Bedeutung ist, daß ihr auf das, was geschieht, Einfluß nehmt und daß ihr an ganz bestimmten Zeichen erkennen könnt, ob ihr erfolgreich seid. Das Idealziel wird also nicht als nahezu unerreichbar gesehen, weil die Möglichkeit, es zu erreichen, zum Ausdruck gebracht wird. Selbst wenn sich diese Verwirklichung nur Schritt für Schritt vollzieht, könnt ihr doch auf sie als Leistung hinweisen. Früher mißtrauten
* Vergleichen Sie die Sitzung 44 vom April 1979.
wir unseren eigenen Impulsen in solchem Maße, daß sie oft in ganz verzerrter Form auftraten.«
Jane sagte: »Bis dahin bin ich gekommen. Jedenfalls geht es darum, daß jeder Mensch versucht, das idealisierte Gute nach besten Kräften in seinem täglichen Leben zu verwirklichen - in seiner Arbeit, seinen mitmenschlichen Beziehungen und so weiter -, und sich dabei an bestimmte Maßstäbe hält, aufgrund deren er selber beurteilen kann, ob seine Handlungen wirklich mit seinen Idealen übereinstimmen oder nicht.
Die maßgebenden Kriterien sind diesem Kapitel zu entnehmen. Das ist alles. Eine ganze Menge ist mir zugekommen. Ich weiß nicht einmal ob alles stimmt, was ich sage.
Oh, da fällt mir etwas ein«, fuhr sie fort. »Erinnerst du dich an den Brief, den wir heute von einem Leser über Umweltverschmutzung erhielten? Ich habe auch darüber etwas aufgefangen: Die eigentliche Frage läuft nicht auf die planetare Umweltverschmutzung oder die nuklearen Abfälle hinaus. Die eigentliche Frage ist die der Glaubensüberzeugungen, die derartige Frevel überhaupt erst aufkommen lassen und die Einstellungen zur Folge haben, die ein idealisiertes Heil, das derartige Risiken wert ist, rechtfertigen. Das heißt, die Menschen verschmutzen die Welt nicht nur aus Profitgier, sondern für den wirtschaftlichen Wohlstand aller. Nur ist es eben so, daß die Mittel, die sie dabei verwenden, sich mit dem Zweck nicht rechtfertigen lassen...«) Sitzung 857, Mittwoch, den 30. Mai 1979
(Am Montag abend hatten wir eine persönliche Sitzung. In den einführenden Anmerkungen zur 852sten Sitzung schrieb ich, daß Seth seit der 846sten Sitzung vom 4. April nur an Mittwochabenden Material für dieses Buch diktiert habe. Acht Wochen später hält er sich noch immer an diese »stillschweigende Abmachung«. Sogar die Sitzung letzten Donnerstag abend war vom vorangehenden Abend verschoben worden.
Ich legte in eigener Regie Material von zwei Montagabendsitzungen -
853 und 855 - vor.
Jane hatte heute am früheren Abend einiges von Seths Material aufgefangen für den Fall, daß sie die Sitzung abhalten wollte, die dann auch prompt, um 21.28 Uhr, ihren Anfang nahm.) Guten Abend.
(»Guten Abend, Seth.«)
Diktat: Impulse liefern jeglichen Bewegungsantrieb und motivieren den physischen Körper und die psychische Wesenheit zum Einsatz körperlicher und geistig-seelischer Energie. (Pause.) Sie ermöglichen es dem Individuum, der Welt seinen Stempel aufzudrücken, das heißt in effizienter Weise auf sie einzuwirken und in ihr zu handeln. Impulse eröffnen auch Möglichkeiten der Wahl, die vorher vielleicht nicht ins Bewußtsein gedrungen und daher auch nicht verfügbar waren. Ich habe oft gesagt, daß (bitte skandiert) die Z-e-l-l-e-n künftiges Geschehen vorauswissen und daß der Körper auf der Zellebene eine Fülle von Informationen wahrnimmt, die nicht bewußt erkannt und verwertet werden. Das Universum und alles, was darin enthalten ist, sind eine Komposition zahlloser »Informationen«, die allerdings eigener Bewußtheit fähige Energie sind, und diese Informationen sind - in einer Weise, die sich äußerst schwierig erklären läßt - im ganzen Universum jederzeit latent vorhanden und in jedem einzelnen seiner Teile enthalten.
Die Antriebskraft des Universums und jeden Teilchens oder jeder Welle und somit auch jeden Individuums drückt sich in dem großartigen Drall hin zu schöpferischen Wahrscheinlichkeiten und in der Spannung aus, der überschwenglichen Spannung, die »zwischen« wahrscheinlichen Möglichkeiten der Wahl und wahrscheinlichen Geschehnissen besteht.
Das gilt für Menschen wie auch für Moleküle und für all jene hypothetisch postulierten infinitesimal kleinen Teilchen oder Einheiten, von denen sich die Wissenschaftler so gern in Erstaunen versetzen lassen.
Oder um es in Worten landläufiger Umgangssprache zu sagen: Impulse kommen oft aus unbewußtem Wissen. Dieses Wissen wird spontan und automatisch von der Energie, die euren Körper bildet und ihm innewohnt, aufgenommen und so verarbeitet, daß ihr diesem Wissen für euch nützliche Informationen entnehmen und nutzen könnt.
Idealerweise entsprechen eure Impulse stets euren ureigensten Interessen
- und ebenso den ureigensten Interessen eurer Welt. Offensichtlich herrscht jedoch in eurer Welt ein tiefes, verhängnisvolles Mißtrauen gegenüber inneren Antrieben oder Impulsen vor. Dieses Mißtrauen beherrschte auch schon eure Vergangenheit. (Pause.) Impulse sind etwas Spontanes, und man hat euch gelehrt, der eigenen Spontaneität mit Mißtrauen zu begegnen und statt dessen auf Verstand und Intellekt zu bauen - die, nebenbei gesagt, (amüsiert) völlig spontan funktionieren.
Wenn ihr euch selbst nicht stört, seid ihr spontan vernünftig; aufgrund eurer Glaubensüberzeugungen hat es aber den Anschein, daß Vernunft und Spontaneität kein gutes Gespann ausmachen.
In psychologischer Hinsicht sind eure Impulse ebenso lebenswichtig für euer Sein wie eure Körperorgane. Sie sind (eindringlich) genau so uneigennützig oder selbstlos, wie es eure Organe sind, und es wäre mir lieb, wenn diese Feststellung mehrmals gelesen würde! Und doch ist jeder ankommende Impuls dem Individuum vollkommen angemessen. Im Idealfall würdet ihr, euren Impulsen folgend, der Gestalt - der, wie Ruburt sagt, impulsiven Gestalt - eures Lebens gewahr. Ihr würdet keine Zeit mit der Frage vertun, worin denn eigentlich eure Lebensaufgabe bestehe; denn sie würde sich euch von selbst zu erkennen geben, folgtet ihr nur der Richtung, die euch von euren natürlichen Antrieben gewiesen wird, um aktiv handelnd in der Welt aus eigener Kraft zum Besseren beizutragen. Impulse sind Torwege zu Aktivität und Lebensfreude, zur Entfaltung der geistigen und körperlichen Kräfte, sie sind der Weg eures persönlichen Ausdrucks - der Weg, auf dem euer persönlicher Ausdruck sich mit den Erscheinungen der materiellen Welt überschneidet und ihr diesen euren Stempel aufprägt.
(21.49 Uhr.) Viele Kultbewegungen und viele Fanatiker trachten danach, euch von euren natürlichen Regungen abzuschneiden und deren Ausdruck zu unterbinden. Sie versuchen, das Vertrauen in euer spontanes Sein zu kappen und so eure impulsive Kraft lahmzulegen. Offenstehende Wege, Zugänge zu Wahrscheinlichkeiten werden, einer um den anderen, versperrt, bis ihr - sofern ihr ihren Geboten und Vorschriften folgt -
tatsächlich in einer geistig-seelisch geschlossenen Umwelt lebt, in der ihr scheinbar machtlos seid. Scheinbar und schließlich allem Anschein nach habt ihr keinerlei Einfluß auf die Welt, ist euer Streben nach Verwirklichung eurer Ideale von vornherein zum Scheitern verurteilt.
Einiges hiervon haben wir in diesem Buch schon besprochen. Im Fall der Tragödie von Jonestown zum Beispiel schienen die Menschen jeglicher Möglichkeit sinnvollen Handelns beraubt. Die Anhänger der Sekte hatten gelernt, ihre natürlichen Regungen Familienangehörigen gegenüber zu unterdrücken. Sie hatten gelernt, der Außenwelt mit Mißtrauen zu begegnen. Und mehr und mehr wurden infolge der Kluft zwischen fehlgeleitetem Idealismus und einer übertriebenen Version der Schlechtigkeit der Welt alle Möglichkeiten zum Handeln abgeschnitten -
alle Möglichkeiten außer einer. Der Suizidwunsch ist oft die letzte Zuflucht verängstigter Menschen, deren natürliche Handlungsimpulse eingedämmt wurden - einerseits angestachelt und andererseits jeder eigenpersönlichen Ausdrucksmöglichkeit beraubt.
Es gibt bei Menschen und Tieren einen natürlichen Impuls zu sterben. Doch unter solchen [wie den hier erörterten] Umständen wird der Wunsch zu sterben zum einzigen Impuls, den das Individuum zum Ausdruck zu bringen vermag, denn dem Anschein nach sind ihm alle anderen Wege des Ausdrucks verschlossen. Es herrscht viel Unverständnis hinsichtlich der Natur der Antriebe oder Impulse, daher werden diese hier ziemlich ausführlich erörtert. Ich bin immer wieder bestrebt, die Bedeutung individuellen Handelns hervorzuheben. Nur das Individuum, jedes einzelne für sich, kann dazu beitragen, daß (eindringlich) Organisationen die Verwirklichung von Idealen herbeiführen können. Nur Menschen, die ihrem spontanen Wesen vertrauen und sich der gemeinnützigen Natur ihrer inneren Antriebe sicher sind, können weise genug sein, aus einer Myriade wahrscheinlicher Zukunftsmöglichkeiten bewußt die meistversprechende Zukunft auszuwählen. Die natürlichen Impulse fördern, um es noch einmal zu sagen, nicht nur die ureigensten Interessen der Menschen, sondern auch die Interessen aller anderen Gattungen.
(Nach einer Pause um 22.04 Uhr:) Ich verwende den Begriff »
Impulse« dem allgemeinen Sprachgebrauch folgend, und in diesem Sinne haben Moleküle und Protonen Impulse. Kein Bewußtsein reagiert einfach auf Reize, vielmehr folgt es seinem eigenen Impuls, der es zu Wachstum und Selbstverwirklichung drängt. Viele von euch scheinen in Impulsen nichts weiter zu sehen als unberechenbare und vernunftlose Zufallsprodukte einer blindwaltenden Körperchemie, die - die Impulse -
in ebenso mörderischer Absicht bekämpft werden müssen wie die Stechmücken, die ihr mit Insektenspray einnebelt.
Durch den Sprühnebel aus dem Insektenspray stirbt oft mehr als nur eine Mücke; er kann weitreichende Auswirkungen und möglicherweise verheerende Folgen haben. Wie dem auch sei: Impulse für chaotisch, sinnlos oder - noch schlimmer - für Beeinträchtigungen einer geordneten Lebensweise zu halten, ist eine wahrhaft gefährliche Einstellung. Es ist eine Fehlhaltung, die viele eurer anders gelagerten Probleme verursacht. Jeder Mensch ist beseelt von dem Wunsch zu handeln, gemeinnützig, (eindringlich) uneigennützig zu handeln und so der Welt das Siegel des Menschen aufzudrücken. Wenn solche natürlichen Handlungsimpulse über längere Zeit abgelehnt oder unterdrückt werden, wenn sie immer nur auf Argwohn stoßen, wenn ein Individuum im Widerstreit mit seinen eigenen Impulsen lebt und sich deshalb alle Zugänge zu den Möglichkeiten wahrscheinlichen Handelns verbaut, dann kann es geschehen, daß sich die aufgestaute Intensität in einer Explosion den letzten Ausweg bahnt.
Ich spreche hier nicht von (Pause) »Repression« im Sinne der Psychologen, sondern von etwas viel Schwerwiegenderem, von einer inneren Grundhaltung, die dem eigenen Sein so wenig Vertrauen entgegenbringt, daß alle natürlichen Impulse nur mehr Verdacht erregen.
Das trifft auf viele von euch zu. Ihr versucht, euch gegen euch selbst zu wappnen; natürlich ist das eine nahezu unmögliche Situation. Ihr verdächtigt euch eigensüchtiger Motive, weil man euch gelehrt hat, euren Impulsen zu mißtrauen, und wenn ihr euch dann bei einer unfreundlichen Regung ertappt, fühlt ihr euch geradezu erleichtert, weil ihr euch wenigstens, so scheint es, ganz normal benehmt.
Fühlt ihr euch von guten Absichten motiviert, so schöpft ihr sogleich Verdacht. Bestimmt verbergen sich, so denkt ihr, unter diesem Anschein von Selbstlosigkeit irgendwelche niederträchtigen oder zumindest egoistischen Motive, die ich nur nicht erkenne! Als Volk übt ihr euch darin, eure Impulse ständiger Überprüfung zu unterziehen; doch überprüft ihr nur selten die Früchte eures Intellekts.
Es mag wohl (bitte in Sperrschrift) so scheinen, daß triebhaftimpulsives Handeln in der Gesellschaft überhandnimmt: im Verhalten so mancher Kultanhänger, bedenkenloser Krimineller oder sogar auch vieler Jugendlicher. In Wirklichkeit aber äußert sich in solchem Verhalten die Macht verdrängter Impulse. Ihrer natürlichen Ausdrucksmöglichkeiten beraubt, treten sie einerseits in ritualisierten Verhaltensmustern geballt zutage; andererseits bleibt ihnen in vielen Bereichen jeglicher Ausdruck verwehrt. (Pause.) So mag dieser oder jener Idealist davon überzeugt sein, daß die Welt auf eine Katastrophe zusteuert und daß er nichts tun kann, dies zu verhindern. Da er seine Handlungsimpulse als verwerflich ablehnt und sich somit seiner Fähigkeit, auf andere einzuwirken, selbst beraubt, könnte es beispielsweise geschehen. daß er »die Stimme Gottes vernimmt
«. Diese Stimme wird ihm möglicherweise befehlen, eine Reihe von Schandtaten zu begehen und die Widersacher, die seinem großen Ideal im Wege stehen, zu beseitigen - und es mag ihm und anderen so vorkommen, als folge er einem natürlichen Impuls zu töten und überdies einem inneren göttlichen Gebot.
Ein solcher Mensch könnte beispielsweise Mitglied einer kleinen Kultgemeinde oder Führer einer großen Nation sein, er kann ein Krimineller sein oder ein Nationalheld, der in göttlichem Auftrag zu handeln behauptet. Und noch einmal: Der Drang und der Wunsch zu handeln sind in jedem Menschen so stark, daß sie sich nicht verleugnen lassen, und wenn sie verleugnet werden, dann können sie in pervertierter Form zum Ausdruck kommen. Der Mensch muß nicht nur handeln, er muß auch konstruktiv handeln, und er muß das Gefühl haben, daß sein Handeln im Dienste einer guten Sache steht.
Wenn dieser natürliche Impuls jedoch ständig auf Ablehnung stößt, dann wird jeder Idealist zum Fanatiker. Jeder Mensch aber ist auf seine Weise ein Idealist.
(Nach einer Pause um 22.28 Uhr:) Macht ist etwas Natürliches. Sie tritt zutage im natürlichen Vermögen des Muskels, sich zu bewegen, oder des Auges zu sehen oder des Verstandes zu denken oder in euren Emotionen. In alledem äußert sich die eigentliche Macht, und weder die Anhäufung von Reichtum noch Berühmtheit kann diese natürliche innere Vollmacht dort, wo sie fehlt, ersetzen. Die Macht liegt stets beim Individuum, und vom Individuum muß daher auch alle politische Macht ausgehen. (Pause.)
Die Demokratie ist ein äußerst interessantes Regierungssystem und von großer Bedeutung, weil es dem individuellen Bewußtsein so viel abfordert und weil es sich vornehmlich auf den Glauben an die Macht des Einzelmenschen gründen muß. Es spricht für diesen Glauben, daß er sich in eurem Lande gehalten und angesichts der völlig entgegengesetzten Glaubensüberzeugungen von Wissenschaft und Religion soviel Lebenskraft bewiesen hat.
Die Idee [der Demokratie] bringt einen hohen Idealismus zum Ausdruck - (mit Nachdruck) einen Idealismus, der zu seiner praktischen Verwirklichung auf politische und soziale Organisationen angewiesen ist, die einigermaßen effizient sein müssen. Versagen diese Organisationen und wird die Kluft zwischen Ideal und Wirklichkeit zu groß, dann tragen solche Umstände dazu bei, daß aus Idealisten Fanatiker werden. (Lange Pause.) Menschen, die strikt dem Diktat der Wissenschaft oder der Religion folgen, können von einem Moment auf den anderen die Fronten wechseln. Der Wissenschaftler verlegt sich aufs Tischerücken oder dergleichen; der Grenzen wissenschaftlicher Erkenntnisse plötzlich überdrüssig geworden, widmet er sich nun mit Hingabe dem, was er für deren Gegenteil oder rein intuitives Wissen hält. So blockiert er nun seine Vernunft ebenso fanatisch, wie er früher seine Intuitionen blockiert hat.
Der harte Geschäftsmann, der an die darwinistischen Prinzipien und den Kampf ums Überleben glaubte, der in einer Welt des Wettbewerbs das Recht des Stärkeren zu seinem Ideal des Überlebens erhoben hatte und auch vor Betrug nicht zurückscheute, wird plötzlich zum religiösen Fundamentalisten und versucht, sich jetzt seines inneren Kräftepotentials zu vergewissern, indem er seine zusammengerafften Reichtümer fortschenkt in dem undeutlichen Bestreben, einen natürlichen Idealismus in einer praktischen Welt zum Ausdruck zu bringen.
Wie könnt ihr euren Impulsen Vertrauen schenken, wenn ihr zum Beispiel lest, daß jemand einen Mord beging, weil er einen starken Impuls dazu verspürte oder weil es ihm eine innere Stimme befahl?
Würden einige von euch in diesem Augenblick einfach ihren Impulsen folgen - ihren ersten natürlichen Impulsen -, so könnten diese wohl den Anschein erwecken, sie wären grausam oder zerstörerisch.
Wie beeinflussen eure Impulse eure zukünftige Erfahrung? Und wie tragen sie zur Herausbildung der für eine ganze Masse von Menschen maßgebenden Wirklichkeit dieser Welt bei?
(Laut, unvermittelt:) Ende des Diktats.
(22.42 Uhr. Jetzt beginnt Seth mit der Analyse eines sehr lebhaften Traums, den Jane vor kurzem gehabt hatte und in dem ihre verstorbene Mutter vorkam. Er beendete die Sitzung um 22.56 Uhr.
Als ich Jane sagte, sie habe eine großartige, oft leidenschaftliche Sitzung abgehalten, erwiderte sie, daß sie heute morgen eine halbe Seite ganz ähnlichen Inhalts wie Seths Material geschrieben habe.) Sitzung 859, Mittwoch, den 6. Juni 1979
(Jane hat sich sehr bemüht, ihre Impulse auszumachen, ihnen nachzugehen und sie zu befolgen, seit Seth so nachdrücklich auf diese hingewiesen hat. Sie nimmt vor allem dann Impulse wahr, wenn sie an ihrem neuen Buch »Heroics« arbeitet, wobei sie sich seltsamerweise mit einer Reihe scheinbar widersprüchlicher Impulse bedrängt fühlt. Sie verbrachte den Montag und Dienstag mit dem Lesen von Lyriktexten, die sie geschrieben hatte, noch bevor Sitzungen stattfanden, die wir im Jahre 1963 aufgenommen hatten und fragte sich, warum sie statt dessen nicht an ihrem Buch zu arbeiten sich gedrängt fühlte. Und gestern abend entdeckte sie dann den intuitiven Zusammenhang: sie hatte die ganze Zeit an dem Buch gearbeitet! In »Heroics« wird es nicht darum gehen, wie man irgendein verstiegenes Überselbst erreicht, sondern um die Hemmnisse, die der praktischen Selbstverwirklichung im Wege stehen.
Und in dieser alten Lyrik ging es um solche Hemmnisse. »Du kannst dein heroisches Selbst nicht finden, wenn du dem Selbst nicht vertraust, das du hast«, sagte sie zu mir. »Seth hat uns aufgefordert auf negative Glaubensüberzeugungen zu achten - und plötzlich finde ich mich allenthalben von meinen eigenen umstellt. Und all diese Überzeugungen stehen dem Vertrauen in meine Impulse im Wege. Endlich sehe ich, worauf das Buch abzielt. Ich werde diese Glaubensüberzeugungen für mich und für alle, die dieses Buch lesen, durcharbeiten.« - Beginn der Sitzung um 21.14 Uhr.)
Diktat.
Noch einmal: Man hat euch beigebracht, daß Impulse etwas Verdächtiges sind, Botschaften eines dubiosen Unterbewußtseins, in denen dunkle Anwandlungen und Begierden zum Ausdruck kommen.
Zum Beispiel: Viele von euch schenken der grundlegenden Freudschen These Glauben, der zufolge der Sohn von Natur aus den Vater aus der Liebe der Mutter zu verdrängen trachtet und sich unter der Sohnesliebe für den Vater der mörderische Todeswunsch regt. Das ist abstrus!
Ruburt hat eigene, vor Jahren geschriebene Lyrik gelesen und war entsetzt, Überzeugungen ähnlichen Inhalts in seinen eigenen Schriften zu begegnen. Ehe unsere Sitzungen begannen, folgte er der herrschenden Denkweise, und obgleich ihn deren Grundsätze zum Widerspruch reizten, fand er keine bessere Lösung. Das Selbst in all seiner spektakulären Lebendigkeit war, wie es schien, nur mit Vernunft begabt, um die unabänderliche Tatsache seines eigenen sicheren Untergangs zu erkennen. Eine solche Tragödie auf die lebende Persönlichkeit zu projizieren - welch ein Verhängnis!
Doch werdet ihr zu einer wahren Psychologie erst dann finden, wenn ihr das Selbst in größerem Zusammenhang seht - größer seine Motive, seine Zielsetzungen, seine Bedeutung -, als ihr ihm jetzt zugesteht oder als ihr der Natur und ihren Geschöpfen zugesteht. Viele Handlungsimpulse habt ihr einfach abgewehrt, und andere habt ihr so programmiert, daß sie nur im vorgeschriebenen Rahmen zum Ausdruck kommen dürfen. Solange jemand von euch noch der Freudschen oder Darwinschen Interpretation des Selbst Glauben schenkt, so lange wird er etwaigen Impulsen, sein eigenes Innere zu erforschen, mit Argwohn begegnen, und zwar aus Angst vor dem mörderischen Chaos, das er da möglicherweise aufdecken würde. Das meine ich nicht nur hypothetisch.
Zum Beispiel erinnere ich an die Frau, die kürzlich Ruburts Rat erbat. Sie machte sich Sorgen wegen ihres Übergewichts und war deprimiert über ihren, wie sie meinte, Mangel an Disziplin beim Befolgen der Diätvorschriften. Sie hatte einen Psychologen aufgesucht, der ihr sagte, möglicherweise spiele ihre Ehe bei diesem Problem eine Rolle. Die Frau erzählte, daß sie seitdem nicht mehr zu ihm gegangen sei aus Angst, verborgene Impulse, etwa ihren Mann umzubringen oder der Ehe ein Ende zu setzen, in sich zu entdecken; jedenfalls war sie sicher, daß hinter ihrem Gewichtsproblem verhängnisvolle Impulse lauerten. (Pause.) In Wirklichkeit steckte hinter ihrem Problem ein primärer Impuls ganz anderer Art: mit ihrem Mann ins Gespräch zu kommen, ihn um deutliche Zeichen seiner Liebe zu bitten. Warum liebte er sie nicht so sehr, wie sie ihn liebte? Sie konnte sagen, das liege an ihrem Übergewicht, denn schließlich ließ er es an abfälligen Bemerkungen über ihre Körperfülle nicht fehlen - wobei er sich freilich weniger freundlich ausdrückte.
Er konnte seiner Liebe für sie nicht in der Weise Ausdruck geben, nach der sie sich sehnte, da er glaubte, daß Frauen dem Mann die Freiheit rauben, wenn man sie gewähren läßt, und er interpretierte das natürliche Liebesbedürfnis seiner Frau als lästige emotionale Zumutung. Beide glaubten an die Minderwertigkeit der Frau und folgten, ohne es zu wissen, einem der Freudschen Dogmen.
(21.35 Uhr.) Die besprochenen Überzeugungen sind also innig mit eurem Leben verwoben. Der erwähnte Mann verschließt sich seinen Impulsen; meist nimmt er sie, wenn sie ihn zum Ausdruck von Zuneigung oder Liebe zu seiner Frau drängen, nicht einmal wahr.
In Bereichen, in denen ihr eure Impulse abwehrt, bringt ihr euch um Wahrscheinlichkeiten und versäumt es, neue sinnvolle Verhaltensweisen zu entwickeln, die euch ganz von selbst aus euren Schwierigkeiten herausführen würden. Ihr steht der Veränderung im Wege. Doch scheuen viele Menschen vor jeder Veränderung zurück, hat man sie doch gelehrt, daß ihr Körper, ihr Geist und ihr Gemüt oder auch ihre menschlichen Beziehungen, sich selbst überlassen, todsicher zu Schaden kommen werden. Deshalb reagieren Menschen oft auf das Lebensgeschehen, als fehle ihnen jeglicher Antrieb, sich aktiv damit auseinanderzusetzen. Sie leben ihr Leben, als wären sie tatsächlich nicht nur auf ein kurzes, sondern, schlimmer noch, auf ein Leben beschränkt, in dem sie hilflos ihrer Körperchemie ausgeliefert sind zufällig entstandene Exemplare einer gezeichneten, zutiefst mörderischen Gattung.
Eine andere [befreundete] Frau entdeckte eine kleine wunde Stelle an ihrer Brust. Eingedenk des Trommelfeuers negativer Suggestion der Bekanntmachungen des Gesundheitsdienstes zur Krebsvorsorge -, das sich als Präventivmedizin ausgibt, ging sie von bösen Vorahnungen erfüllt zum Arzt. Der konnte nichts Besonderes finden, schlug jedoch eine Durchleuchtung vor, »nur um völlig sicherzugehen«, und so wurde ihr Körper im Namen der medizinischen Vorsorge einer unnötigen Strahlenbelastung ausgesetzt.
(Unsere Bekannte hatte keinen Krebs.)
Ich will damit nicht sagen, daß ihr unter solchen Umständen nicht zum Arzt gehen solltet, denn das Gewicht eurer negativen Anschauungen über euren Körper würde euch zu sehr belasten, um eine solche Ungewißheit allein zu ertragen. Doch spricht ein solches Verhalten sehr deutlich von euren en masse gehegten Überzeugungen in bezug auf die Verletzlichkeit des Selbst und seiner leiblichen Hülle. (Pause.) Für mich ist es nahezu unvorstellbar, daß irgend jemand von euch ernsthaft den Standpunkt beziehen kann, daß die Existenz eures erlesenen Bewußtseins sich einem Konglomerat von Chemikalien und Elementen verdanken könnte, das von einem zufällig entstandenen und demnächst zum Untergang bestimmten Universum »zusammengewürfelt« wurde.
Der Augenschein spricht doch eine ganz andere Sprache: die Ordnung in der Natur; das schöpferische Schauspiel eurer Träume, die euer Bewußtsein in andere Zeiten und Räume projizieren; die Genauigkeit und Zuverlässigkeit eures spontanen Körperwachstums vom Fetus zum Erwachsenen; das Vorhandensein heroischer Züge und die Suche nach Idealen, die sich durch das Leben auch noch des schlimmsten Halunken ziehen - all dies zeugt von dem größeren Zusammenhang, in dem ihr euer Sein habt.
(Pause um 21.51 Uhr, dann laut:) Wenn das Universum so existierte, wie man es euch gelehrt hat, dann würde ich nicht dieses Buch schreibe.
Dann gäbe es keine psychischen Verbindungslinien, die meine Welt und die eure miteinander verknüpfen. Dann gäbe es keine Ausdehnungen des Selbst, die euch erlauben, eine so große psychologische Distanz zu überwinden bis hin zu den Schwellen der Wirklichkeit, die meine geistige Umwelt bilden. Wäre das Universum so strukturiert, wie man es euch gesagt hat, dann wäre die Wahrscheinlichkeit meiner Existenz gleich Null, was euch betrifft. Dann hätte es keine inoffiziellen Wege gegeben, die Ruburt begehen konnte und die ihn von den offiziellen Glaubensüberzeugungen seiner Zeit wegführten. Er wäre niemals dem ursprünglichen Impuls, für mich zu sprechen, gefolgt, und meine Stimme wäre in eurer Welt ungehört geblieben. (Pause.)
Die Wahrscheinlichkeit der Existenz des vorliegenden Buches wäre unverwirklicht geblieben. Niemand von euch würde es lesen. Die Welt der Massenwirklichkeit entsteht aus individuellen Impulsen. Sie begegnen einander und gehen ineinander auf und bilden Handlungsebenen.
Ende des Diktats.
(21.57 Uhr. Nun brachte Seth auf meine Bitte hin eine, wie mir scheint, äußerst treffende Interpretation eines Traumes, den ich letzte Nacht gehabt hatte. Wie ich heute morgen zu Jane gesagt hatte, war mir schon klar, daß der Traum im Zusammenhang mit unserer Arbeit am Seth-Material von einiger Bedeutung war, doch gelang es mir nicht, ihn korrekt zu deuten. Ende um 22.15 Uhr.)
Sitzung 860, Mittwoch, den 13. Juni 1979
(Am Montag abend hielten wir eine private Sitzung ab. Gestern abend sagte Jane, daß sie den endgültigen und sehr originellen Titel für ihr neues Buch, nach dem sie so lange gesucht hatte, gefunden habe: »The God of Jane: A Psychic Manifesto«. »Ist das zu gewagt, zu ausgefallen?«
fragte sie mich. Ich fand, das sei ein ausgezeichneter Titel, der genau aussagt, worum es geht.*
* Jane fand den Titel für ihr neues Buch am frühen Morgen des vergangenen Sonntags, als sie um vier Uhr früh aufgestanden war, um zu frühstücken und einige Notizen für ihr Buch zu machen. Durch den offenen Innenhof lauschte sie den ersten Vogelrufen, die sie ins Freie lockten, um den nebelverschleierten Sonnenaufgang mitzuerleben. Sie war wie verzaubert.
»Niemand außer mir sah, was ich von meinem persönlichen Gesichtspunkt aus an diesem Morgen erblickte«, schrieb sie eine Stunde später.
Ich fühlte mich wie privilegiert, einem Neubeginn der Welt -, oder doch meines Zipfels dieser Welt - beizuwohnen. Oder es war, so dachte ich plötzlich, als täte sich mir ein neuer Bereich meiner Psyche auf, umgewandelt in Bäume, Gras, Blumen, Himmel und Nebel... Mir war, als blickte ich auf den Teil meiner selbst, dem ich unablässig auf der Spur bin - den Teil, der so klaräugig ist wie ein Kind und eins mit seinem eigenen Wissen. Dieser Teil existiert jenseits unserer Sorge über Karriere, Geld oder Ruhm, jenseits aller von Familie, Freunden oder der Welt ganz allgemein gehegten Ansichten und Meinungen. Er ist unsere direkte Verbindung zum Universum... aus dem wir in jedem Augenblick unseres Lebens entstehen.
So nannte ich diesen Teil meiner selbst in jenem Augenblick › The God of Jane‹ - Janes Gott -, und mir erscheint dies als eine sinnvolle Bezeichnung.
So verstanden hat jeder von uns seinen persönlichen ›Gott‹, und ich bin der festen Überzeugung, daß uns das Universum kennt, ganz gleich, wer oder wo oder was wir sind. Ich denke, daß es einen Gott für Mitzi und einen Gott für Billy, für jede unserer Katzen, gibt und daß jeglichem Bewußtsein, ungeachtet seiner jeweiligen Entwicklungsstufe, diese innige Verbindung mit dem Kosmos eignet...«
Wieder einmal war Jane, wie schon fast den ganzen Tag über, völlig entspannt, und zur Abendbrotzeit hatte sie sogar erwogen, die Sitzung zu überspringen. Die Situation hatte aber einen humoristischen Aspekt, denn Seth selbst schien sehr daran gelegen zu sein: Als wir für die Sitzung Platz nahmen, sagte Jane, daß sie von ihm Material zu mehreren Themen erhielt. »Da drüben - links von mir - spricht er über die Beschränktheiten unserer Persönlichkeit. Weshalb würden wir uns denn als beschränkt bezeichnen, wenn wir nicht fühlten, daß mehr im Dasein steckt, als wir für gewöhnlich annehmen?« Das war wieder eine dieser Ideen, die, einmal geäußert, auf der Hand zu liegen scheinen. Jane fing auch etwas von Seths Diktat für heute abend auf. »Aber mir ist ganz gleich, worüber er spricht«, sagte sie, »solange er nur den Anfang macht und mich in Gang hält.«)
(Um 21.19 Uhr flüsternd:) Guten Abend.
(»Guten Abend, Seth.«)
Diktat: Kehren wir nun wieder zu unserer Erörterung der Impulse zurück, im Zusammenhang mit wahrscheinlichen Handlungsweisen.
(Pause.)
Ihr lebt inmitten von Impulsen. Ihr müßt unzählige Entscheidungen in eurem Leben treffen, müßt eure berufliche Laufbahn, euren Partner, euren Wohnort wählen. Die Erfahrung kann euch beim Treffen solcher Entscheidungen helfen, doch müßt ihr auch dann schon Entscheidungen treffen, wenn ihr noch keine jahrelangen Erfahrungen hinter euch habt.
Im großen ganzen, ob ihr euch dessen nun bewußt seid oder nicht -
denn einige von euch sind es und andere wiederum nicht -, hat euer Leben eine bestimmte psychologische Gestalt. Diese Gestalt wird durch eure Entscheidungen bestimmt. Ihr trefft Entscheidungen aufgrund gefühlsmäßiger Impulse, dies oder jenes zu tun, auf die eine oder die andere Weise aktiv zu werden, motiviert sowohl durch persönliche Impulse als auch aufgrund von Forderungen, die dem Anschein nach von anderen an euch gestellt werden. Dem weiten Feld der zahllosen euch offenstehenden Wahrscheinlichkeiten seid ihr natürlich nicht ohne ein paar Richtlinien ausgesetzt. Andernfalls wärt ihr immer in einem Zustand der Unentschlossenheit. Eure persönlichen Impulse geben euch diese Richtlinien, indem sie euch anzeigen wie ihr Wahrscheinlichkeiten am besten nutzt, so daß die in euch an gelegten Möglichkeiten am vorteilhaftesten zur Geltung kommen und dadurch konstruktiv auch zum Besten der Gesellschaft beitragen.
Wenn man euch lehrt, euren Impulsen nicht zu vertrauen, und ihr glaubt das, so büßt ihr euer Entscheidungsvermögen ein, und ungeachtet der jeweiligen Lebensumstände beschleicht euch ein Gefühl der Machtlosigkeit, weil ihr davor zurückscheut, aktiv zu werden und zu handeln.
Ruburt erhält viel Post von Menschen, die in Entscheidungsnöten sind. So jammert eine solche Schreiberin zum Beispiel. »Ich weiß nicht, was ich tun soll, welche Laufbahn ich einschlagen soll. Ich könnte die Musik zu meinem Beruf machen, da ich musikalisch begabt bin.
Andererseits (Pause) fühle ich mich zur Psychologie hingezogen. In letzter Zeit habe ich meine Musik vernachlässigt, weil ich so verwirrt bin.
Manchmal denke ich auch, ich könnte Lehrerin werden. Mittlerweile meditiere ich und hoffe, daß die Antwort kommen wird.« (Pause.) Ein solcher Mensch kann seinen Impulsen nicht genügend vertrauen, um danach zu handeln. Es bleibt bei lauter dem Gewicht nach gleichen Wahrscheinlichkeiten. Die Meditation muß vom Handeln gefolgt werden
- und wahre Meditation (bitte in Sperrschrift) ist Handeln. Solche Menschen fürchten sich, Entscheidungen zu treffen, weil sie ihre eigenen Impulse fürchten - und einige von ihnen können durch falsch angelegte Meditation ihre Impulse abstumpfen und konstruktives Handeln geradezu unterbinden.
(21.35 Uhr.) Impulse äußern sich in natürlicher, spontaner, konstruktiver Entsprechung zu den Fähigkeiten, Potentialen und Bedürfnissen der Persönlichkeit. Es sind richtungweisende Kräfte.
Glücklicherweise haben Kinder im allgemeinen zu gehen gelernt, bevor man ihnen beibringen kann, ihre Handlungsimpulse seien etwas Schlechtes. Und glücklicherweise sind die natürlichen Impulse des Kindes, zu forschen, zu wachsen, Erfüllung zu suchen, zu handeln und Macht auszuüben, stark genug, daß sie ihm als das nötige Sprungbrett dienen, bevor noch eure Glaubenssysteme sein Selbstvertrauen zu untergraben beginnen. Ihr habt, da ihr erwachsen seid, den Körper von Erwachsenen. Doch das Muster für jeden Erwachsenenkörper war bereits im Fetus angelegt - der allerdings glücklicherweise den von seinen Impulsen ausgehenden Richtlinien folgte.
(Mit milder Ironie:) Niemand sagte ihm, daß es unmöglich sei, aus einer winzigen Zelle zu wachsen, diese zu einem winzigen Organismus umzuwandeln - und schließlich zu dem komplizierten Wunderwerk eines Erwachsenenkörpers. Was für winzige, spindeldürre, fadenartige, schwache Beinchen ihr alle einmal im Mutterschoß hattet! Jetzt ersteigen diese Beine Berge und schreiten Boulevards entlang, einfach (sehr eindringlich und gefühlsbetont) weil sie formbildenden Impulsen folgten!
Selbst die Atome und Moleküle eurer Beine wählten sich ihre günstigsten Wahrscheinlichkeiten aus. Ja, diese Atome und Moleküle trafen in einem Sinne, den ihr nicht verstehen könnt, ihre eigenen Entscheidungen insofern, als sie all den zündenden Funken der Handlungsimpulse folgten, die jeglichem Bewußtsein - ganz gleich, wie hoch oder gering ihr es in eurem Denken bewertet - innewohnen.
Bewußtsein ist darauf angelegt, seiner eigenen idealen Entfaltung entgegenzuwachsen, die zugleich der idealen Entfaltung all der Organisationen dient, an denen es beteiligt ist.
Wir kommen also wieder auf das Thema des Ideals und seiner Verwirklichung zurück. Wann und wie wirken sich unsere Handlungsimpulse auf die Welt aus? Worin besteht eigentlich das Ideal, von dem hier die Rede ist, und wie kommt es, daß eure tatsächliche Erfahrung diesem Ideal so wenig zu entsprechen scheint, daß sie euch als schlecht vorkommt?
Ende des Kapitels, und geduldet euch einen Moment.