Starr wie ein Toter blieb er auf dem Rücken liegen.

Er lauschte.

Nichts war zu hören.

Nein, das traf nicht zu. Er hörte doch etwas. Und zwar seinen eigenen Atem.

Der pumpte aus dem Mund und aus der Nase zugleich. Man konnte von einem schweren Geräusch sprechen, das die Stille des Zimmers zerstörte. Es klang auch nicht normal, sondern mehr angstvoll, und bei jedem Atemstoß spürte Pole auch den Druck, der in seinem Magen lag.

Ich bin wach!, sagte er sich. Aber wie geht es weiter? Warum bin ich wach geworden? Das war die große Frage. Er glaubte nicht daran, dass es einfach so passiert war. Dafür musste es einen Grund geben. Er konnte sich auch vorstellen, dass jemand Kontakt mit ihm aufnehmen wollte, und zwar ein Jemand, von dem er immer geträumt hatte.

Der Gedanke daran faszinierte ihn. Sollte er die Wirklichkeit erleben, die seinen Träumen sehr nahe kam, war das einfach wunderbar. Das wäre für ihn ein Fest gewesen. Lange genug hatte er darauf hin gearbeitet. Er hatte sich immer wieder vorgestellt, wie es sein könnte, wenn sein großer Traum in Erfüllung ging. Dass er sich irgendwann erfüllen würde, daran glaubte er fest.

Er lauschte.

Sein Atem setzte dabei aus. Er wollte die Stille haben, um fremde Geräusche hören zu können, aber da war nichts.

Gar nichts?

Nein, das stimmte auch nicht. Es war schon etwas vorhanden, aber es war nicht zu hören, sondern nur auf eine andere Art und Weise wahrnehmbar.

Er konnte es riechen – vielleicht auch schmecken …

Ja, genau, kein Irrtum. Es hatte sich in seinem Schlafzimmer ein anderer Geruch ausgebreitet. Das war ein Phänomen. Gerald wusste auch, dass ein Geruch nicht einfach nur so entstand, er musste eine Ursache haben. Es gab eine Quelle.

Und die lag in seinem Zimmer. Ganz bestimmt. Vielleicht in Höhe der Tür, die offen stand. Da war ein schattenhaftes graues Viereck zu sehen, aber nichts, was einen Geruch abgegeben hätte.

Und doch war er da …

Pole überlegte. Der Geruch war ihm suspekt, er konnte sich ihn nicht erklären, aber er konnte ihn auch nicht wegdiskutieren. Woher er kam, war ihm nach wie vor nicht klar, aber er war in der Lage, ihn zu bestimmen. So rochen Gasverbindungen. Leicht verbrannt, auch schweflig. Man konnte ihn durchaus als übel bezeichnen, doch das tat Gerald Pole nicht. Er dachte anders darüber. Dass der Geruch vorhanden war, kam ja nicht von ungefähr. Da wollte jemand etwas von ihm. Man hatte ihm den Geruch geschickt, damit er vorgewarnt war.

In den letzten Minuten hatte Gerald nichts getan. Und doch spürte er, dass er verschwitzt war. Sein Schlafzimmer glich mehr einer Kammer. Das winzige Fenster passte dazu. Auch wenn es offen stand, drang nicht viel Luft ein.

Der Geruch breitete sich in alle Richtungen aus. Das Haus lag neben einer Schule, von dort konnte der Geruch auch nicht stammen.

Also war jemand da!

Und dazu passte auch das Zischen, das jetzt an seine Ohren drang. Zuerst hatte er an das Zischen einer Schlange gedacht, doch das traf nicht zu. Etwas anderes hatte das Geräusch abgegeben.

Oder jemand?

Ja, ein Jemand. Einer, der sogar die Stimme eines Mannes hatte und Gerald nun begrüßte.

»Hallo, mein Lieber, ich bin es. Ich weiß, dass du dich nach mir gesehnt hast. Nun aber bin ich da, jetzt ist der Zeitpunkt gekommen.«

Gerald Pole sagte erst mal nichts. Er schnappte nur nach Luft. Schließlich hatte er sich gefasst und konnte eine Frage stellen.

»Wer bist du denn?«

»Ganz einfach. Ich bin dein Freund, der Teufel …«

***

Die Dunkelheit war da und sie schluckte die Gestalt auch. Gerald Pole sah sie nicht. Er war trotzdem davon überzeugt, Besuch bekommen zu haben. Wenn das alles so stimmte, dann war tatsächlich sein größter Traum in Erfüllung gegangen.

Wieder war die Hitze bei ihm. Und auch die Kälte. Beides wechselte sich bei ihm ab. Er hätte eigentlich vor Freude jubeln müssen, denn er war ganz wild darauf, dem Teufel zu begegnen. Allerdings jetzt, wo er endlich davor stand, seinen Traum erfüllt zu bekommen, dachte er anders darüber. Da verspürte er sogar eine gewisse Angst. Daher schien auch das Zittern zu kommen.

Auf seinem Körper lag eine dünne Decke. Auch sie war längst durchgeschwitzt. In seinem Kopf saß etwas zu. Sein Denken wurde behindert. Warum das so war, wusste er nicht. Es konnte an der Überraschung liegen.

Gerald Pole hätte längst das Licht einschalten können, das allerdings traute er sich nicht. Er wollte seinem für ihn nicht sichtbaren Besucher die Initiative überlassen.

Es schien, als hätte der andere seine Gedanken erraten, denn er sprach ihn an.

»Willst du mich nicht sehen?«

»Doch, ja …«

»Warum machst du dann kein Licht?«

Pole schluckte. Dabei suchte er nach einer Antwort, wurde verlegen und musste sogar lachen, was alles anders als echt klang. Schließlich traute er sich, das Licht der Nachttischleuchte einzuschalten. Es war kein unbedingt heller Schein, und die Lampe gehörte auch nicht zu den modernen Gerätschaften, aber es reichte aus, um in diesem kleinen Zimmer den größten Teil der Dunkelheit zu vertreiben.

Die Helligkeit war da, nur der Teufel nicht. Gerald Pole hatte so stark damit gerechnet. Er hatte sich sogar leicht aufgesetzt, starrte nach vorn, wo der Teufel eigentlich hätte stehen müssen – und sah nichts, wirklich gar nichts, was mit ihm in einen Zusammenhang hätte gebracht werden können.

Er wollte fluchen, was ihm aber auch nichts eingebracht hätte. Und so starrte er weiterhin auf das leere Viereck der offenen Schlafzimmertür. Aus dieser Richtung hatte ihn die Stimme erreicht.

Doch jetzt …?

Er wollte lachen, er wollte aufstehen, er wollte alles für einen Irrtum halten, aber nichts von dem tat er. Gerald Pole blieb im Bett sitzen und starrte nach vorn.

Da war nichts.

Ein Irrtum.

Man hatte ihn an der Nase herumgeführt. Aber derjenige, der dies getan hatte, der hatte sich bei ihm sehr gut ausgekannt, sonst hätte er sich mit diesem Thema gar nicht beschäftigt.

War er nicht doch da?

Pole traute sich nicht, aufzustehen. Er wollte zunächst abwarten.

Kam Zeit, kam Rat …

In diesem Fall kam etwas anderes. Nicht in seinem Schlafzimmer geschah es, sondern im Raum hinter der offenen Tür. Das Zimmer war doch nicht so leer, wie er gedacht hatte. Dort hielt sich jemand auf.

Er starrte auf die Tür. Da hinten im Raum, es war sein Arbeitszimmer, entstand eine Bewegung. Ein knappes Zucken nur, mehr nicht. Ausgerechnet dort, wo er seine Schätze aufbewahrte, die das Wichtigste in seinem Leben waren.

Die Bewegung blieb. Sie wurde sogar vor diesem anderen Hintergrund immer deutlicher. Dort stach sie wirklich vom Hintergrund ab, und genau das war Wasser auf Geralds Mühle.

Also doch.

Es gab jemanden.

Aber war es der Teufel?

Er hatte sich oft genug Gedanken über ihn gemacht, zudem lag es an seiner Berufung, sich über den Satan Gedanken zu machen.

Viele Menschen hatten sich ein Bild von ihm gemacht. Der Bocksbeinige mit dem Tierkörper, dem langen Schwanz am Rücken, dem dreieckigen Gesicht, den Hörnern, die aus der breiten Stirn wuchsen, so stellten sich die Menschen den Teufel vor, und ebenso hatte Pole gedacht, auch wenn er nicht ganz davon überzeugt gewesen war.

Und jetzt sollte er ihn zu Gesicht bekommen!

Bisher hatte ihn die Anspannung fast gelähmt. Das würde bald vorbei sein. Sie würde platzen wie eine dünne Blase, und nach drei, vier Sekunden erkannte er die Wahrheit.

Die Wahrheit?

Er wollte fast schreien, als er sah, was ihm da präsentiert wurde. Das sollte der Teufel sein? Diese für ihn fast lächerliche Gestalt? Nein, niemals, das war nicht der Teufel, denn diese Gestalt hatte mit ihm nichts zu tun!

Was er sah, konnte man eher mit einem Engel vergleichen, so lächerlich es sich anhörte.

Er sah eine recht helle Gestalt, die nur vor der Brust einen Streifen Stoff trug und dort, wo bei einem Menschen der Slip sitzt, ebenfalls. Lange Haare wuchsen um einen Kopf, dessen Gesicht sehr bleich war. Und es war nicht genau zu unterscheiden, ob die Gestalt nun eine Frau war oder ein Mann.

Aber sie war trotzdem etwas Besonderes, denn hinter ihrem Rücken schaute etwas über den Schultern hervor. Es waren zwei helle und sehr zart wirkende Gegenstände, die Pole erst beim zweiten Hinschauen richtig erkannte.

Sie hatten eine bestimmte Form. Die konnte nicht wegdiskutiert werden, auch wenn Gerald Pole es zunächst nicht glauben wollte, was er da sah.

Es waren zwei Flügel, die sich hinter dem Rücken ausgebreitet hatten.

Pole hielt den Atem an. In seinem Kopf bewegten sich zahlreiche Gedanken, die er erst mal sortieren musste. Was man ihm hier präsentierte, war ungeheuerlich, aber war es deshalb auch falsch?

Nein und nochmals nein, denn er wusste genau, wer der Teufel mal gewesen war. Ebenfalls ein Engel. Nur war er dann größenwahnsinnig geworden, er hatte so werden wollen wie Gott und war in die tiefsten Tiefen der Verdammnis gestoßen worden.

Hinzu kam noch etwas. Der Teufel war ein Meister der Täuschung und der Verkleidung. Er konnte jede Gestalt annehmen, das jedenfalls sagten die alten Legenden, und so hätte der Teufel auch leicht als Engel auftreten können.

War er das?

Obwohl die beiden Flügel ausgebreitet waren, hatte er Kontakt mit dem Boden gehabt und war nicht geflogen. Aber er hatte auch keinen Laut von sich gegeben. Man konnte davon ausgehen, dass er über den Boden hinweg geglitten war.

Und jetzt erwartete er etwas. Das stand für Gerald Pole fest. Ansonsten hätte er nicht zu erscheinen brauchen. Pole war plötzlich wichtig geworden, der Teufel hatte seine Bitten erhört, aber er fragte sich, ob er den Richtigen angerufen hatte.

Die Gestalt faltete ihre Flügel zusammen und ging noch einen Schritt nach vorn. Jetzt war auch Gerald Pole bereit, eine Frage zu stellen.

»Wer bist du?«

»Ich bin der, auf den du dich so gefreut hast.«

Pole lachte kehlig. »Nein, der bist du nicht. Der kannst du gar nicht sein. Du bist nicht der Teufel, denn der Teufel sieht anders aus. Du bist ein Engel oder du bist einer, der mir etwas Bestimmtes vorspielen will.«

»Nein, ich will dir nichts vorspielen, ich habe dich nur erhört, das ist alles.«

»Ach ja?«

»Du hast mich doch sehen wollen.«

»Ja, das ist richtig.«

»Und jetzt bin ich hier.«

Das war er auch, da biss keine Maus den Faden ab, aber nicht so. Der Teufel hätte ein anderer sein müssen, und das bekam der Ankömmling auch zu hören.

»Ich kann dir nicht glauben.«

»Ach ja? Was bedeutet das?«

»Ich weiß es nicht.«

»Dann willst du also Beweise.« Die Gestalt nickte. »Okay, du kannst sie haben. Aber zuvor will ich dir sagen, dass der Teufel ein Meister der Verwandlung ist. Er kann als grausamer Krieger erscheinen, aber auch als ein altes Mütterchen, das um Kleidung bittet, weil es so friert. Ich habe mich für diese Gestalt entschieden. Ich bin weder Mann noch Frau. Ich kann beides sein, und so habe ich mich jetzt dir gegenüber gezeigt. Aber ich kann auch anders.«

Ab jetzt hatte Gerald Pole das Gefühl, den Bogen überspannt zu haben. Er wollte den Teufel beschwichtigen, um zu retten, was noch zu retten war. Nur keine Feindschaft.

»Ja, ja, ja …« Er hob seine Arme. »Ich glaube dir ja. Sorry, dass ich gezweifelt habe.«

Die Gestalt winkte ab. Und bei dieser Bewegung veränderte sich auch ihr Aussehen. Plötzlich verschwand die helle Haut des Körpers. Blitzartig wuchs ein dunkles Fell und das Gesicht verwandelte sich in eine Fratze mit dreieckiger Form. Eine breite und hohe Stirn war zu sehen, aber auch die beiden krummen Dinger, die seitlich aus ihr hervor wuchsen.

Das waren die Hörner, und dann zeigte der Teufel ein offenes Maul mit seinen hellen Stiftzähnen. Zugleich stellte er eine Frage. »Na, gefalle ich dir so besser?«

Bei seiner Frage stieß er Rauch aus. Der quoll aus seinem Maul und den Nasenlöchern.

Gerald Pole blieb nichts anderes übrig, als seine Hände in die Höhe zu reißen. Er deckte damit sein Gesicht ab, denn er wollte nichts mehr sehen. Den Gestank nahm er noch wahr, dann war es vorbei, denn er hörte das glucksende Lachen.

Pole ließ die Arme sinken.

Er starrte nach vorn und sah den Teufel wieder in der Gestalt des Engels vor sich. Auf dem bleichen Gesicht lag ein faunisches Grinsen. Diese Gestalt wusste genau, was sie tat, das sah man ihr an.

»Und jetzt?«, fragte sie.

Pole nickte. »Ist schon okay. Ist alles wieder okay. Ich weiß jetzt Bescheid. Du bist es also doch.«

»Ja, und das müsste dich freuen.«

»Kann sein.«

Die Gestalt wurde wütend und trat mit dem Fuß auf. »Wolltest du nicht, dass ich dir erscheine?«

»Ja …«

»Hast du dich nicht nach mir gesehnt?«

Pole hatte einen trockenen Mund bekommen. Er nickte.

»Und ich habe deinen Wunsch gespürt. Ich habe dich erhört. Ich weiß auch, dass du es ehrlich meinst, und deshalb werde ich auch ehrlich zu dir sein.«

Es waren genau die Worte, die dem Zuhörer gefehlt hatten. So fiel Gerald Pole ein Stein vom Herzen. Die Angst zog sich zurück, und auch die Gänsehaut verschwand.

Jetzt war er in der Lage, sich nur auf seinen Besucher zu konzentrieren. Das allein zählte. Alles andere war unwichtig.

Er sah, dass dieser falsche Engel seine rechte Hand bewegte. Das Zeichen war klar. Er wollte, dass Pole aus seinem Bett aufstand.

Noch bewegte sich Gerald nicht. Er schaute erst. Sein Mund stand offen. Kurz und stoßweise ging sein Atem, und dann wurde er angesprochen, wobei die Stimme einen spöttischen Klang angenommen hatte.

»Was hast du dir nicht alles gedacht? Ich kann mich nur wundern.«

»Was meinst du denn?«

»Du siehst aus wie ein Feigling.«

Der Satz hatte Gerald Pole hart getroffen. Ein Feigling wollte er nicht gerade sein. Er riss sich zusammen und fragte mit neutral klingender Stimme: »Was soll ich tun?«

»Komm her!«

»Und dann?«

»Du sollst herkommen, verflucht! Oder hast du Angst davor, dein Arbeitszimmer zu betreten?«

»Nein, nicht.«

Der Besucher lachte breit. »Dabei warten sie auf dich. Ja, deine kleinen Lieblinge sind traurig, wenn sie dich nicht sehen. Ich an deiner Stelle würde nicht mehr zu lange warten.«

Gerald Pole schnaufte. Der andere hatte von seinen Lieblingen gesprochen, und damit konnte er nur die Puppen gemeint haben, denn Gerald Pole war ein hervorragender und auch bekannter Puppenspieler, der nicht wie seine beruflichen Vorfahren über Land zog, sondern in London ein festes Studio betrieb.

»Komm her …«

»Ja, schon gut.« Er kam sich gedemütigt vor, als er auf das Fußende des Betts zu kroch und es dann verließ. Jetzt stand er mit beiden Füßen auf dem Boden, und in seinem Schlafanzug kam er sich lächerlich vor.

Darauf achtete der Teufel nicht. Er holte Gerald dicht zu sich heran und strich mit seinen Fingerkuppen über die glänzenden Wangen des Mannes.

Es verstrich Zeit, ohne dass der eine oder andere etwas dagegen tat. Gerald Pole nahm den Teufel aus der nächsten Nähe wahr, aber er spürte keine Angst in sich hochsteigen. Ein anderes Gefühl hatte sich seiner bemächtigt. Es war jetzt eine gewisse Anspannung, die ihn erfasst hatte, gepaart mit einer Erwartung.

Der Teufel sprach ihn an. »Du weißt jetzt, wer ich bin?«

»Ja, jetzt schon.«

»Und was weißt du noch?«

»Ich erkenne deine Macht, ich spüre, dass du sehr mächtig bist. Mächtiger als jeder Mensch.« Pole wusste genau, wie man einem Menschen schmeichelte, und auch der Teufel war für derartige Worte empfänglich, denn er verzog seine Lippen zu einem breiten Grinsen.

»Sehr gut, mein Freund. Ja, du hast sehr gut gesprochen. Ich erkenne es an, und ich verspreche dir, dass du unter meinem Schutz stehst. Ich hoffe, es wird dich freuen. Ich bin ab nun dein Beschützer. Was immer du tust, wird von mir abgesegnet sein. Ist das nicht eine Freude?«

»Ja.«

»Du brauchst keine Furcht mehr zu haben. Es werden sich für dich völlig neue Dimensionen eröffnen. Du wirst den Menschen zeigen können, wer Herr über Leben und Tod ist.«

Gerald Pole hatte jedes Wort verstanden. Allein, es war zu unwahrscheinlich. Er konnte es kaum glauben. Plötzlich fühlte er sich wie jemand, der unsterblich ist.

»Ich soll das sein?«

»Ja.«

»Und wie?«, hauchte der Puppenspieler, auf dessen Stirn sich immer mehr Schweißperlen bildeten.

Der Teufel schüttelte den Kopf. »Das spielt keine Rolle, nimm es einfach hin. Genieße deine neue Macht, und du wirst erleben, wozu deine Puppen fähig sind.«

Pole hatte nichts begriffen. Was meinte der Teufel mit seinen Puppen? Er wollte eine Frage stellen und hatte den Mund schon geöffnet. Nur kam er nicht mehr dazu, auch nur ein Wort hervorzubringen. Der Teufel hatte ihm genug gesagt. Er drehte sich vor ihm um, sodass Pole auf seinen Rücken schaute. Er sah die beiden Flügel, das war auch alles, was bei dieser Gestalt sonderbar war. Sie verließ das Schlafzimmer und betrat den anderen Raum, in dem sie noch kurz zu sehen war, dann aber nicht mehr.

Es schien, als hätte sich der unheimliche Besucher aufgelöst …

***

Ja, was tun?

Der Puppenspieler stand auf der Stelle und bewegte sich nicht. Er wusste, dass er allein war. Nur kam es ihm unheimlich vor, dass er den Überblick verloren hatte. Das passte nicht zu ihm. Eigentlich war er der Mensch, der andere Personen beherrschte. Und was war jetzt?

Er kam sich verloren vor. Eine andere Macht hatte von ihm Besitz ergriffen. Er stand da, er schaute nach vorn und zugleich ins Leere, während über seinen Rücken kalte Schauer rieselten und sich nach dem letzten Wirbel verliefen.

Was war das gewesen?

Ein Besuch? Ein Traum? So etwas Ähnliches wie ein Wachtraum? Plötzlich konnte er sich alles vorstellen, auch das Hineingleiten in eine ganz andere Welt, von der er bisher noch nichts Konkretes gesehen hatte, die er aber trotzdem kannte.

Ja, sie war ihm nicht unbekannt. Er brauchte sie. Außerdem gehörte sie zu seinem Leben. Es war die Welt des Bösen, des Grausamen, der schlechten Personen, auch die des Teufels, der dort immer wieder erschien und das Böse manifestierte.

Dafür gab es nur einen Begriff. Es war der Teufel, der mitspielen musste, um letztendlich von dem Guten besiegt zu werden. Bei den Kindern war es der Kasper. Bei den Erwachsenen irgendjemand anderer.

Aber im echten Leben gab es keinen Kasper. Da waren die Menschen auf sich gestellt, doch es gab im echten Leben auch den Teufel, und er hatte Gerald besucht.

Einer, der den Wahnsinn bringen konnte, der aber auch wahnsinnig machte. Ein Ungeist. Grausam und heimtückisch, aber auch von falscher Freundlichkeit, wie er wusste.

Und er hatte Gerald besucht.

Es war eine Tatsache, doch sie zu akzeptieren fiel ihm jetzt schwer. Pole fragte sich, ob er nicht einen Traum erlebt hatte, aber nach einigem Nachdenken schüttelte er den Kopf. Das war kein Traum gewesen. Er hatte hier die raue Wirklichkeit erlebt, auch wenn sie kaum zu fassen war. Der Teufel war keine Puppe mehr, er war eine existente Person, das musste Gerald akzeptieren.

Als ihm dies klar geworden war, strich er über seine hohe Stirn und gab ein leises Stöhnen von sich. In seinem Hinterkopf tuckerte es. Er spürte wieder den Film aus Schweiß, der sich auf seine Haut gelegt hatte.

Dann zuckte er noch mal zusammen.

Er hatte etwas gehört.

Was es genau war, das wusste er nicht. Ein Ton, der von einem Menschen, aber auch von einem Tier stammen konnte.

Mensch oder Tier?

Das spielte bei ihm keine Rolle. Er wusste nur, dass er sich nicht geirrt hatte. Die Neugierde war in ihm erwacht. Zugleich mahnte ihn ein Gefühl der Vorsicht, nichts zu überstürzen.

Es war wieder still geworden. Er hörte nur seinen eigenen Atem und wusste nicht, ob er sich darüber freuen sollte oder nicht. Etwas war nicht mehr so wie immer. In seinem dunklen Arbeitszimmer musste sich jemand eingenistet haben. Es gab für ihn keine andere Erklärung.

War es der Teufel?

Bei diesem Gedanken, der so nahe lag, fing Pole an zu zittern. Der Teufel bereitete ihm auch jetzt noch Probleme, aber er wollte nicht näher darüber nachdenken.

Er wischte über seine Stirn. Der Handrücken war nass geworden. In seiner eigenen Wohnung fühlte er sich nicht mehr wohl. Das konnte nicht so bleiben, das musste geändert werden. Er wollte sehen, was sich im Nebenzimmer tat, und wollte auch herausfinden, ob er sich nicht geirrt hatte.

Gerald Pole gab sich einen Ruck, bevor er sich langsam in Bewegung setzte. Im Schlafzimmer brannte nicht viel Licht, in seinem Arbeitszimmer jedoch war es stockfinster. Und aus dieser Dunkelheit heraus war das Geräusch erklungen.

Wer hatte es abgegeben?

Die Antwort auf diese Frage drängte sich ihm immer stärker auf. In der Dunkelheit sah er nichts. Also musste er Licht machen, was ihm nicht leicht fiel. Irgendwo tief in seinem Innern steckte eine heilige Furcht.

Aber es ging nicht anders, und so schaltete Gerald Pole das Licht ein.

Zwei Lampen brannten unter der Decke. Die flachen Leuchten erhellten einen Raum, der für Gerald Pole das Zentrum seiner Wohnung war.

Es war sein Arbeitszimmer. Ein Raum, an dessen Seiten die Regale standen, die nicht leer waren. Die meisten Reihen hatte Pole mit seinen Lieblingen gefüllt.

Es waren die Puppen. Seine Kinder. Seine Figuren, die für ihn mehr waren, die sogar eine Seele besaßen, obwohl sie aus Holz geschnitzt waren, die meisten zumindest.

Jede Puppe besaß eine Seele.

Die war ihnen von Gerald Pole eingegeben worden. Das zumindest sagte er sich, denn diese Seele entstand automatisch, weil jede einzelne Puppe ihm so viel bedeutete. Jede von ihnen war ein kleines Meisterwerk, auf das er stolz sein konnte.

Er hatte nicht alle selbst geschaffen. Einige waren hinzugekauft worden, andere hatte er von verstorbenen Puppenspielern geerbt und war darüber sehr froh gewesen.

In der Mitte des Raumes blieb er stehen. Seine Blicke ließ er wandern.

Er schaute in die Regalreihen und suchte nach Unregelmäßigkeiten, die ihm bei ersten Hinschauen nicht auffielen.

Alle Puppen standen, saßen oder lagen dort wie immer. Die Guten als auch die Bösen.

Da war der Kasper in verschiedenen Variationen zu sehen. Mal mit langer, mal mit kürzerer Nase. Mal mit Zipfelmütze, dann wieder ohne, und ein Kasper stammte aus Frankreich. Er trug sogar eine Baskenmütze.

Hexen in verschiedenen Ausführungen waren zu sehen. Mal stumpf, mal lackiert, aber immer mit bösen Gesichtern und funkelnden Augen.

Der Teufel durfte auch nicht fehlen. Er sah irgendwie immer gleich aus. Das konnte an seinem feuerroten Gesicht liegen und den Augen mit dem bösen Blick.

Andere Figuren gab es auch. Besonders die schönen jungen Frauen, fast noch Mädchen. Sie waren diejenigen, die der Kasper mochte, die er dann auch aus gefährlichen Lagen rettete. Frauen mit netten Gesichtern, rosigen Wangen und strahlenden Augen. Immer waren die Lippen zu einem erwartungsvollen Lächeln verzogen.

Es gab auch andere Personen, die standen in einem Regal neben der Tür. Bösewichte, Polizisten, Kinder, auch ältere Menschen und welche, die vom Alter her dazwischen lagen und auch Eltern sein konnten.

Ein paar Kulissen gab es auch. Es waren die bemalten Hintergründe, die hier ebenfalls lagerten.

Und es war noch etwas vorhanden.

In der Mitte des Raumes stand ein Schreibtisch. Davor gab es einen Stuhl. Auf der Platte des Schreibtisches stand ein Laptop. Und rechts neben ihm lagen zwei Vampirpuppen. Sie sahen auf der einen Seite lächerlich aus, auf der anderen aber zum Fürchten. Aus ihren fast lippenlosen Mäulern ragten zwei Vampirzähne hervor wie die Spitzen von Bleistiften. Schwarz umrandete Augen, lange Nasen und dünne Finger.

Gerald Pole blieb neben dem Schreibtisch stehen. Er war nachdenklich geworden und dachte jetzt darüber nach, ob er die Puppen dort hingelegt hatte. Daran erinnern konnte er sich nicht mehr. Und jetzt wollte er sich auch keine weiteren Gedanken darüber machen.

Das hier war seine Welt. Und doch kam sie ihm anders vor. Irgendwas stimmte nicht mehr. Es hatte sich nichts verändert, und dennoch war etwas anders geworden. Es war schlecht zu beschreiben, nur eben zu fühlen, aber es war vorhanden und keine Einbildung.

Gerald Pole fing wieder zu schwitzen. Er musste an den Teufel denken und bekam daraufhin noch feuchtere Hände. In seinem Kopf tuckerte es. Der Schweiß breitete sich nicht nur auf der Stirn aus, auch sein Herz schlug schneller.

Gerald Pole verspürte das Bedürfnis, zu flüchten. Er tat es nicht. Er drehte sich nur halb um – und schaute in einen Spiegel, der länglich und schmal war und in einer Lücke zwischen zwei Regalen hing.

Pole sah sich selbst.

Seine Farbe war schwarz. Sogar in dieser Nacht. Er trug einen schwarzen Schlafanzug, den er fast bis zum Hals geschlossen hatte.

Seine Haut im Gesicht war recht bleich. Ein Zeichen, dass er den Keller lieber mochte als die Sonne. Dunkle Augen, deren Pupillen aussahen wie schwarze Perlen. Ein stechender Blick, lange Koteletten, die in einen Bart mündeten, der den Mund umgab und erst unter dem Kinn aufhörte.

Man konnte bei ihm auch vor einer hohen Stirn sprechen. Die ebenfalls schwarzen Haare bedeckten nicht den gesamten Kopf. Er war ein Mensch, der seinen Zuschauern und Zuhörern Angst einjagen konnte, aber bei Kindern einfach genau das Gegenteil davon erreichte. In seiner Brust befanden sich zwei Seelen.

Recht lange betrachtete er sich selbst. Er wollte nachdenken, und zwar auch darüber, warum er so lange vor dem Spiegel stand. Das gelang ihm nicht. Da gab es etwas, was sein Denken blockierte. Er konnte sich selbst keine Antwort auf die Frage geben, aber es war eben vorhanden, und das kannte er nicht. Es war ihm neu, und plötzlich kam ihm der Gedanke, dass er die Kontrolle über sich selbst verlieren könnte und eine andere Macht die Regie übernahm.

Er sagte nichts. Er starrte nur. Aber er sah, dass sich sein Mund wie von allein öffnete, denn er selbst hatte nichts dazu getan. Dass er so schaute, das hatte seinen Grund, denn in der Spiegelfläche erlebte er die Veränderung. Er sah sie plötzlich nicht mehr zweidimensional. Sie hatte eine gewisse Tiefe bekommen, sodass er direkt in den Spiegel hineinschauen konnte.

Tiefe schon, aber nicht leer.

Genau das stellte er mit Erstaunen fest. Es war eigentlich unmöglich, aber der Spiegel hatte sich tatsächlich verändert, und da war bei ihm das große Staunen angesagt.

Gerald Pole hatte den Eindruck, dass der Spiegel zu einer Tür geworden war, die sich für ihn geöffnet hatte. Das war nicht zu fassen, und doch sah er es mit seinen eigenen Augen.

Warum?

Er wusste es nicht, aber er spürte das Zucken in seiner linken Hand. Jemand, der unsichtbar war, schien sie angefasst zu haben und dafür zu sorgen, dass sie von allein – nein, nicht von allein – zuckte.

Pole hob sie an.

Es war eine Bewegung, die ihm normal leicht fiel. Eigentlich war es wie immer, und doch war es anders, denn als er die Spiegelfläche berührte, da traute er seinen Augen nicht.

Die Hand war da. Und er sah, dass sie in die Fläche eindrang. Sie hatte sich aufgelöst, sie war weich geworden, sodass er in den Spiegel hineingreifen konnte.

»Nein«, flüsterte er, »nein, das gibt es nicht. Das kann nicht sein …«

Und doch war es so. Er hatte sich nicht geirrt. Es gab keine harte Fläche mehr, und seine Hand steckte bis zum Knöchel drin.

Das wurde ihm erst jetzt so richtig bewusst. Sein Erschrecken war gewaltig. Er riss den Mund auf, stand für einen Moment unbeweglich, gab sich einen Ruck und zog die Hand wieder zurück.

Ja, das war zu schaffen!

Er schaute auf sie nieder.

Es war seine Hand, und sie hatte sich auch nicht verändert. Das ließ ihn schon aufatmen. Nur die Tatsache, dass sie in einer Spiegelfläche gesteckt hatte, die wollte ihm nicht in den Kopf. Das war für ihn auch nicht erklärbar.

Was tun?

Es war irrational gewesen, was er da erlebt hatte, aber das hatte es gegeben, darüber musste er sich klar werden. Er hatte sich nichts eingebildet, und dass diese Spiegelfläche aufgeweicht war, das musste einen Grund haben.

Aber welchen?

Musste man sich vor ihm fürchten oder war der Grund genau auf ihn zugeschnitten?

Er hatte keine Ahnung. Er sah nur ein, dass es nicht normal war und dass dieser veränderte Spiegel möglicherweise die Tür zu etwas ganz Neuem war.

Ja, das konnte stimmen.

Etwas tat sich vor ihm. In der Tiefe des Spiegels war es zu sehen. Dort gab es eine Bewegung. Es war ein heller Fleck zu sehen, der nicht auf der Stelle blieb, sondern sich bewegte und dabei nach vorn drängte.

Gerald Pole wusste nicht, was sich dort ankündigte. Es blieb bei einem Licht, das allerdings nicht starr stand, sondern sich bewegte, und das nur in eine Richtung, nach vorn nämlich.

Wer oder was kam dort?

Plötzlich spürte Gerald Pole wieder den eigenen Herzschlag. Er war zu einem dumpfen Trommeln geworden, das in seinem Kopf dröhnte.

Und es gab noch den Spiegel.

Dort und nur dort schaute er hinein, denn da spielte die Musik. Woanders wollte er gar nicht hinschauen. Er sah das Helle, er sah es funkeln, und es kam immer näher. Wenn er seine Seite des Spiegels als Ausgang betrachtete, dann huschte das Licht dort lautlos hin. Und es nahm seinen weiteren Weg, ohne dass es seine Richtung veränderte.

Er war jetzt in der Lage, etwas mehr zu erkennen. Das war nicht nur ein Licht. Das war sehr wohl vorhanden, aber es umgab etwas anderes wie einen Schleier. Man konnte beinahe von einem Papier sprechen, das einen Gegenstand schützen sollte.

Aber welchen?

Er war hell, das sah Gerald Pole schon. Und er war nicht nur hell, es gab noch etwas ganz anderes, womit er in seinem Leben nie hatte rechnen können.

Das Licht fächerte auseinander. Innerhalb des Spiegels breitete es sich aus. Dabei gab es für das Licht keine Grenzen. Es war nicht zu stoppen, aber auch nicht mehr so zu sehen wie sonst.

Es hatte sich verändert oder verwandelt.

Aus ihm waren Gestalten geworden, die allerdings von einer Lichtglocke umgeben waren.

Gestalten, aber keine Menschen. Denn jetzt schaute Gerald Pole auf die wahre Botschaft.

Was ihm da entgegenschwebte, waren Skelette!

***

Knochenmänner im Licht!

Eine andere Bezeichnung fand er für sie nicht. Pole hatte kaum mitbekommen, dass er zurückgewichen war. Das Bild hatte ihn erschreckt. Er streckte die Arme nach vorn, als wäre es ihm so möglich, die Skelette aufzuhalten.

Nein, er hielt sie nicht auf. Und als sie den Spiegel verließen, da stand für ihn fest, dass er keiner Täuschung erlegen war. Es gab diese Geschöpfe wirklich, die aus sehr hellen Knochen bestanden, als hätten diese in irgendeinem Licht gebadet.

Es war für ihn nicht zu fassen. Er wollte lachen. Das schaffte er nicht. Er wischte über seine Augen und musste sich selbst gegenüber zugeben, dass dieses Bild blieb.

Keine Täuschung. Sie waren wirklich vorhanden. Und sie reagierten wie nach einem Plan, denn sie hatten die Spiegelfläche kaum verlassen, da fingen sie damit an, sich zu verteilen. Sie bauten sich überall im Raum auf und gaben dabei eine Helligkeit ab, die dem Zuschauer mehr als ungewöhnlich vorkam.

Vier Skelette zählte er. Und er sah noch mehr, denn das Licht schien zwischen ihren langen Knochenfingern hin und her zu springen. Da war es nicht mehr starr, sondern hatte sich in Funken verwandelt, die an den Knochen entlang liefen.

Aus den Funken wurde wieder Licht, und der Puppenspieler konnte nur groß schauen, als er sah, was da passierte. Das Licht hatte sich von seinen Gestalten gelöst und sich quasi selbstständig gemacht.

Es ging auf die Suche nach neuen Zielen.

Und es fand welche.

Keine Knöchernen mehr, sondern die Regale an den Wänden seines Arbeitszimmers.

Als Gerald Pole das sah, konnte er nur lachen, auch wenn es nicht sehr herzhaft oder nett klang, sah er doch den Erfolg des Lichts.

Es war mit seinen Skeletten gekommen, um etwas Neues zu finden. Das war auch jetzt der Fall, denn das Licht umfing jede der in den Regalen liegenden Puppen …

***

Das glaube ich nicht!, dachte der einsame Beobachter.

Und doch war es eine Tatsache, mit der er sich auseinandersetzen musste. Das war keine Einbildung, was er sah, denn hier tat sich etwas völlig Neues.

Das Licht und die Skelette waren gekommen, um etwas zu erobern. Sie schickten ihre Botschaft in eine neue Welt hinein, und das sah auch der Puppenspieler, der weiterhin auf der Stelle stand und sich nicht bewegte.

Er schien erstarrt zu sein. Sein Blick ging nur in eine Richtung. Er sah das helle Licht, wurde davon nicht geblendet und wurde Zeuge, wozu das Licht in der Lage war.

Es kroch hinein in das, was es übernommen hatte, und das waren tatsächlich die Puppen. Die helle Flut breitete sich auf den Regalen aus und erfasste dort jede Puppe. Es gab keinen Unterschied, ob es sich dabei um einen Kasper, eine Hexe, einen Teufel oder um ein schönes Mädchen handelte.

Das Licht schwemmte darüber hinweg, doch dabei blieb es nicht, denn Gerald Pole hatte das Gefühl, dass jede Figur noch mal extra bedacht wurde und dabei den Schein in sich aufsaugte, als sollte aus ihr etwas Besonderes werden.

Der Puppenspieler verstand die Welt nicht mehr. So etwas hatte er in seinem bewegten Leben noch nie erlebt. Das war der wahr gewordene Wahnsinn. Das konnte man keinem Menschen erzählen, denn so etwas musste man mit eigenen Augen erlebt haben.

Das war bei ihm der Fall. Und er sah, dass es noch nicht beendet war. Hier ging etwas vor sich, was noch auf sein Ende wartete. Es war noch nicht zu sehen, aber zu spüren. Das Licht war etwas Besonderes, und es hatte erst einen Teil seiner Pflicht beendet.

Licht war gleich Leben. Licht ist Leben. Das wusste auch der zuschauende Puppenspieler, doch er hatte den Begriff Leben nicht mit seinen Puppen in Verbindung gebracht. War das jetzt anders? Musste er umdenken?

Gerald Pole wusste es nicht. Er stellte sich allerdings auf ein Umdenken ein und dachte daran, dass seine Puppen eine immer wichtigere Rolle spielten.

Sie hockten in ihren Regalen. Manche wirkten wie kleine Monster. Es glühten keine Augen. Es bewegten sich auch keine Lippen, und trotzdem glaubte Pole, dass die Puppen zu etwas Besonderem geworden waren. Der Teufel hatte sie bestimmt nicht ignoriert, und es kam ihm der Gedanke, dass er seine Wesen ihretwegen geschickt hatte.

Er wartete. Sekunden verstrichen. Eigentlich hätte er gehen können, genau das traute er sich nicht. Er hatte einfach das Gefühl, bleiben zu müssen.

Und dann sah er etwas, das ihm den Atem raubte. Einige der Puppen begannen sich zu bewegen. Das geschah auf verschiedenen Regalbrettern. Da blieben die Bösen ebenso wenig ruhig wie die Guten.

Pole schüttelte den Kopf. Aus seinem Mund drang ein Ton, der ein Lachen hätte sein können. Als er atmete, hörte es sich an wie ein Pfeifen, und er wischte über seine Augen, als wollte er ein böses Bild verscheuchen.

Es blieb. Er blieb auch, aber er fühlte sich von Sekunde zu Sekunde immer unwohler. Das Zimmer war eigentlich sein liebster Ort hier in der Wohnung, nun aber hatte er sich in eine Brutstätte der Furcht verwandelt, denn sie war plötzlich über ihn gekommen.

Es ging um die Puppen. Um ihre Veränderung. Das war kein Irrtum, denn sie bewegten sich wirklich. Bei manchen zuckten die Beine, bei anderen waren es die Arme, und es gab auch welche, die sich aus liegender Haltung aufrichteten.

Das war so fremd für ihn. Das konnte er nicht begreifen. So etwas war unmöglich. Eine Erklärung dafür hatte er nicht, und er wartete weiterhin ab.

Dabei schaute er sich um und stellte fest, dass die Besucher verschwunden waren. Möglicherweise waren sie durch die Spiegelfläche wieder zurück in ihr Reich gelangt. Er brauchte sie nicht. Ihr Erscheinen reichte ihm eigentlich. Und eben das, was sie zurückgelassen hatten. Die Puppen hatten sich nicht von allein bewegt. Ihnen musste etwas gegeben worden sein, eine neue oder auch eine alte Kraft, die sie nun voll ausspielten.

Es gab ihn, es gab die Puppen!

Nur das zählte im Moment. Und als er wieder hinschaute, da sah er, dass die Puppen allesamt eine Veränderung durchgemacht hatten. Es waren keine hektischen Bewegungen, die sie vollführten. Sie sahen normal aus und blieben es auch fast.

Ich muss mich daran gewöhnen!, dachte Gerald Pole. Ich muss mich daran gewöhnen, dass unter Umständen andere Zeiten auf mich zukommen. Es hat sich etwas verändert. Ich habe das andere nicht festhalten können, und nun stehe ich da und habe das Gefühl, verlassen zu sein.

Er war der Mann, der mit den Puppen gespielt hatte, nun kam es ihm vor, als würden sie mit ihm spielen.

Er schaute hin.

Wohin er auch blickte, er sah die Puppen, und er sah vor allen Dingen die Augen der Puppen, die bei keiner geschlossen waren. Ihre Blicke waren auf ihn gerichtet. Sie hatten ihn gesucht, ihn auch gefunden, und sie ließen ihn nicht mehr los.

Das konnte Pole nicht gefallen. Er hatte sie als seine Kinder, als seine Freunde eingestuft, nun schien das nicht mehr zu stimmen. Sie waren nicht seine Freunde, denn von jeder Puppe ging etwas Bösartiges aus, das ihm nicht gefallen konnte.

Er konzentrierte sich erneut. Dabei drehte er sich auch halb herum, sodass sein Blick auf den Schreibtisch fiel.

Dort hatten auch zwei Puppen gelegen. Zwei Vampirpuppen, wenn er sich recht erinnerte. Auch jetzt waren sie noch da – aber sie hatten sich verändert und ihre Starre verloren.

In ihnen war ebenfalls Leben.

Als der Puppenspieler dies sah, da saugte er tief die Luft ein. In seinen Augen lag plötzlich ein Funkeln. Seine Hände bildeten Fäuste und Pole hatte seine Ruhe verloren.

Er blieb zwar auf der Stelle stehen, aber er drehte sich um seine Achse, denn er wollte alles sehen. Er fühlte sich als Mittelpunkt, aber er fühlte sich nicht als einer, der diese Szene beherrschte.

Er war da, okay. Aber die anderen hatten hier die Kontrolle übernommen. Er hörte die geheimnisvoll klingenden Geräusche, wenn sich die Figuren bewegten. Da war mal ein Knarren zu hören, dann wieder ein leises Schaben oder Rascheln, wenn Stoffe aneinander rieben. Es war verrückt.

Es war eine völlig neue Lage, die den Puppenspieler überforderte. Er wusste nicht, was er unternehmen sollte. Vielleicht wäre eine Flucht besser gewesen, doch das traute er sich nicht. Pole befürchtete, etwas falsch zu machen.

Es war zwar nicht still im Zimmer, aber auch nicht laut. Die Puppen hatten jetzt das Kommando übernommen, sie waren zu sehen und auch zu hören, wenn sie es auf ihren Plätzen nicht mehr aushielten und von den Regalbrettern sprangen.

Ob ein Kasper, ein Dämon oder ein Teufel. Selbst die weiblichen Puppen machten mit. Sie wollten nicht dort bleiben, wo er sie hingelegt hatte.

Sie ließen sich fallen und landeten auf dem Boden. Und wenn Pole den Kopf senkte, um sie anzuschauen, dann sah er, dass sie ihre Köpfe in den Nacken gelegt hatten, weil sie ihn – den Größeren – anschauen wollten.

Er war das Ziel, er war der Mittelpunkt. So sehr er seine Puppen auch mochte, als ihren Mittelpunkt sah er sich nicht unbedingt an. Sie waren ihm suspekt, wenn nicht schon unheimlich geworden. Er konnte sich jetzt vorstellen, dass für ihn und die Puppen eine andere Zeit begann, die er den unheimlichen Besuchern zu verdanken hatte.

Das hier war nicht von dieser Welt. Hier lauerte ein anderer im Hintergrund, der auch Regie führte.

Hinter sich hörte er ein Geräusch. Es war harmlos, doch in diesem Fall erschreckte ihn alles, und so fuhr er auf dem Absatz herum und sah, was passiert war.

Die beiden Vampirpuppen hatten ihren Platz verlassen, nachdem sie ebenfalls mit Leben erfüllt worden waren. Es war ihnen nicht anderes übrig geblieben, als zu Boden zu springen, und dort lauerten sie jetzt. Sie starrten zu ihm hoch, und Gerald Pole schaute in die flachen Gesichter mit den beiden Blutzähnen, die aus dem geschlossenen Maul ragten.

Was hatten sie vor?

Die Erklärung war einfach. Sie hatten sich ihn als Ziel ausgesucht und kamen auf ihn zu. Sie gingen nebeneinander her und glichen dabei Figuren, die auch aus dem Wunderland der Alice hätten stammen können.

Der Puppenspieler war so überrascht, dass er nichts tun konnte. Er stand einfach nur da, schaute zu, fing an zu lachen – es war mehr ein verlegenes Kichern –, und dann verstummte auch dieses Geräusch, denn die beiden Vampirpuppen hatten ihren Meister erreicht.

Dicht vor seinen Füßen blieben sie stehen.

Sie schauten zu ihm hoch.

Er sah auf sie nieder!

Ihre Blicke begegneten sich, und Gerald Pole dachte über ein neues Phänomen nach. Er hatte in den Augen der Vampirpuppen einen Ausdruck entdeckt oder so etwas wie eine Botschaft. Die Blicke waren nicht mehr leer und leblos.

Die Augen funkelten ihn an.

Er schüttelte den Kopf, weil er es nicht fassen konnte. Hier musste er sich mit etwas Lebendigem auseinandersetzen, aber das hier war kein normales Leben für ihn.

Darauf nahmen die Vampire keine Rücksicht. Sie waren nicht erschienen, um nichts zu tun. Sie bewegten sich. Sie streckten die Arme und die Hände in die Höhe, dann sackten sie kurz in den Knien ein und stießen sich ab.

Der Sprung brachte sie ein Stück höher, sodass sich ihre Hände in Kniehöhe in den Stoff seiner Hose krallen konnten.

Genau das war ihre nächste Startposition, die beiden schafften es, sich im Stoff des Schlafanzugs festzuklammern. Der gab ihnen den nötigen Halt, den sie brauchten, um an der Vorderseite in die Höhe klettern zu können. Es war klar, wohin sie wollten. Vampire brauchten Blut, und ihre Lieblingsbissstellen waren die Hälse der Opfer.

Gerald Pole tat nichts. Er ließ sie einfach klettern. Er reagierte nicht aus Faulheit. Er war einfach noch zu sehr überrascht von den Aktivitäten. Und so kletterten sie weiter. Sehr bald spürte Pole, dass ihre Finger an den Enden sehr spitz waren. Der dünne Stoff bot ihnen nur wenig Widerstand.

Sie hatten längst seine Körpermitte überwunden und kletterten an seiner Brust hoch. Pole hätte sie nur zu packen und abzupflücken brauchen, doch das schaffte er nicht.

Er schaute zu, wie sie weiterkletterten und sich kurz vor seinem Hals teilten. Da nahmen sie den direkten Weg zu den Schultern, um dort ihre Plätze zu finden.

Sie hockten sich nieder.

Jetzt war sein Hals nicht mehr weit von ihren Mäulern entfernt, aber der Puppenspieler konnte sich immer noch nicht vorstellen, dass sie zubeißen und ihre Zähne in seinen Hals hacken würden.

Er spürte die Bewegung auf seinen Schultern und versuchte, einen Blick auf die Puppen zu erhaschen.

Das gelang ihm nur schwer, aber er bekam mit, dass die Puppen ihre Mäuler geöffnet hatten. Die Zähne stachen besonders weit hervor. Sie hatten ihre Beißer nicht grundlos gezeigt, das wusste Gerald Pole. Sie wollten an sein Blut. Sie würden …

Nein, das war verrückt. So etwas konnte nicht sein. Auch wenn sich die Figuren bewegten, waren es noch immer Puppen.

Oder doch nicht?

Sekunden später gab es das Erschrecken und das Grübeln zugleich für ihn, denn da hörte er zwei Stimmen, die wie eine klangen.

»Bisher haben wir dir gehört. Jetzt ist es umgekehrt. Ab nun gehörst du uns, Gerald Pole …«

***

Der Puppenspieler stand auf der Stelle wie jemand, der aus eigener Kraft nichts mehr tun konnte. Er hatte etwas Unglaubliches gehört und auch erlebt. Da hatte jemand zu ihm gesprochen, der dazu eigentlich nicht in der Lage sein konnte.

Seine Puppen!

Von der Seite her hatten ihn die Stimmen erreicht, die wie eine klangen. Die Vampirpuppen hatten gemeinsam gesprochen, und nun wusste Gerald Pole endgültig Bescheid.

Wieso?

Warum hatten sie plötzlich Stimmen? Wer hatte ihnen das Reden beigebracht?

Er kannte die Antwort, auch wenn sie ihm schwerfiel. Es gab nur eine Alternative. Beigebracht worden war es ihnen von den Mächten, die ihn ebenfalls besucht hatten. Die Kräfte der Hölle waren sehr mächtig und brauchten sich um vieles nicht zu kümmern.

Ja, und er war ihnen auf den Leim gegangen!

Es war schwer für ihn, einen Blick auf die beiden Puppen zu werfen. Er konnte den Kopf nicht so weit drehen, wie er es gern gehabt hätte. An einem gewissen Punkt war Schluss. Und doch tat er es.

Einmal nach rechts, dann nach links.

Ja, es gab etwas zu sehen, aber er bekam seine Figuren nur nicht als Ganzes zu Gesicht. Dafür sah er ihre Bewegungen und hörte auch ihre Stimmen.

»Hast du alles verstanden?«

»Ja, das habe ich.«

»Dann ist es gut. Dann wirst du jetzt auf das hören, was wir dir sagen. Ist das klar?«

»Ja.«

»Sehr schön.«

»Und weiter?«

»Ach, nicht mehr viel. Das andere wird sich regeln lassen. Du bist jetzt unser Lakai, und das wirst du auch bleiben. Denk immer an deine Figuren. Ihnen darf nichts zustoßen, aber sei auch nicht zu wehleidig und geh deine Feinde an.«

Es waren völlig neue Töne, die er da hörte. Gerald Pole wollte eine Antwort geben, war dazu aber nicht mehr in der Lage. Ihm hatte es die Sprache verschlagen. Er musste erst einige Sekunden warten, bis er sich wieder erholt hatte.

»Welche Feinde?«, flüsterte er.

»Das wirst du schon sehen.«

Die Antworten hatten noch immer die Vampire gegeben. Sie waren im Moment die Sprecher, obwohl die anderen Puppen sicherlich auch würden reden können.

Sie hockten vor dem Mann im dunklen Schlafanzug. Sie schauten zu ihm hoch. Da saß der Kasper neben dem Teufel und das unschuldige Mädchen bei einem Dämon.

Sie alle verstanden sich, denn sie alle gehörten einer Gemeinschaft an. Sie mochten sich, sie liebten sich plötzlich, und sie mussten Gerald Pole eines klarmachen.

»Jetzt sind wir deine Herren, nur wir …«

***

Er wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Am besten gar nichts, denn dann konnte er auch nichts verkehrt machen.

Noch immer stand Pole auf dem Fleck und gab keine Antworten. Er hatte das Gefühl, ein anderer Mensch geworden zu sein. Er kam sich so fremd vor, er schaute ins Nichts, er fror, er zitterte manchmal und ließ seine Blicke über die Regale schweifen, die nicht mehr leer waren.

Die Puppen hatten sich zurück auf ihre Plätze verzogen, das war so wundersam geschehen, zumindest für Pole. Dass sie sich jetzt bewegen konnten, glich für ihn noch immer einem kleinen Wunder, aber er musste es nun mal hinnehmen.

Er fragte sich allerdings nicht mehr, wie es dazu hatte kommen können. Das war ihm jetzt klar geworden. Die Besucher hatten dafür gesorgt. Sie hatten ihre Macht auf die Puppen übertragen. Nicht mehr und nicht weniger.

Irgendwann konnte sich der Puppenspieler wieder bewegen, und er tat genau das, was er sich vorgenommen hatte. Er ging in die Küche und öffnete dort den Kühlschrank. Eine Flasche Wasser stand bereit.

Pole hatte auch das Licht eingeschaltet. In seinem Schein sah er sich in dem schmalen Wandspiegel.

Oh, ich sehe scheiße aus! Der Satz schoss ihm durch den Kopf, als er sich betrachtete. Seine Haut war sehr bleich geworden, kam ihm auch dünner vor als sonst. Unter den Augen lagen dunkle Ringe und ein paar restliche rote Flecken waren auf seinem Gesicht zurückgeblieben.

Das alles störte ihn. Auf der anderen Seite war er froh, noch zu leben. Doch das war auch nicht garantiert. Die andere Seite würde kein Pardon kennen.

Manchmal ging nichts mehr im Leben. So aber durfte er nicht denken. Es würde etwas Neues in seinem Leben geben, und jetzt fragte er sich, auf welcher Seite er dann stand.

Gern auf Seiten der Gewinner. Aber darauf hoffen konnte er beim besten Willen nicht …

***

Es hatte schon lange Zeit gedauert, bis ich wieder einen direkten Angriff des Teufels erlebt hatte.

Vergessen hatte er nichts, und er hatte mich mit der Hoffnung der Hölle konfrontiert. Es waren seine Helfer, seine kleine Armee, und es waren Engel gewesen.

Wie passte das zusammen? Der Teufel auf der einen und die Engel auf der anderen Seite.

Eigentlich nicht, aber dem Teufel war es gelungen, sich diese Helfer zu holen. Engel, die schwach waren, die kein seelisches Fundament gebaut hatten, waren ihm in die Hände gefallen, und wenn sie als Skelette auftraten, waren sie von einem menschlichen Knochenkörper nicht zu unterscheiden.

Der Plan des Teufels war recht schlicht gewesen, was bei ihm des Öfteren vorkam. Er wollte seine umfunktionierten Engel zu bestimmten Personen schicken, die dann durch sie sterben sollten. Personen, die er besonders tief hasste und verachtete.

Dazu gehörte ich, John Sinclair, ebenso wie meine Freunde. Er gab einfach nicht auf, und selbst bei Glenda Perkins hatte er es versucht, sich aber von ihr eine Abfuhr geholt. Trotz der Gefahr, in der sie geschwebt hatte, war sie cool geblieben.

Die andere Seite hatte es nicht geschafft, sie an sich zu binden. Darauf konnte sie stolz sein, das hatte ich ihr auch gesagt.

Aber Glenda hatte nur abgewinkt. Sie sah die Ereignisse stets gelassen und war auch nicht überheblich.

Aber es war noch nichts erreicht.

Wir mussten Asmodis stoppen!

Nicht töten, das wäre zu einfach gewesen, falls ich ihn überhaupt in die Finger bekam. Ich musste ihm den Plan ausreden, denn ich ging davon aus, dass er seinen Angriff noch nicht abgeblasen hatte.

Er würde weiterhin auf seine Streitmacht setzen. Dazu kannte ich den Teufel, der sich bei mir gern Asmodis nannte, gut genug. Er und ich waren so verschieden wie Zucker und Salz, aber in einer Hinsicht waren wir uns einig.

Keiner gab nach. Es würde immer Streit sein, und wenn es eben möglich war, würde der eine versuchen, seinen Gegenpart zu vernichten.

Den Teufel aus der Welt zu schaffen wäre eine große Tat gewesen. Die war mir bisher nicht gelungen und ich glaubte auch nicht daran, dass ich es je schaffen würde. Er war zu stark und äußerst trickreich, das musste ich leider zugeben.

So war es bei unseren direkten Auseinandersetzungen immer auf ein Unentschieden hinausgelaufen. Aber Asmodis unternahm stets einen neuen Anlauf, und er brachte auch immer neue Gegner ins Spiel. Momentan waren es seine Engel, die er aus ihrer eigentlichen Welt herausgeholt und zu seinen Dienern gemacht hatte.

Die ersten Angriffe waren gestartet worden, aber ohne Erfolg auf seiner Seite. Ich lebte noch immer und wollte dafür sorgen, dass es auch noch lange so blieb.

Asmodis hatte sich zurückgezogen, da es ihm nicht gelungen war, Glenda Perkins zu vernichten. Allerdings glaubte ich nicht daran, dass er aufgegeben hatte. Einer wie er machte weiter, und einer wie er dachte sich immer wieder neue Tricks aus.

Damit musste ich rechnen. Dass ich jetzt drei Tage nichts von ihm gehört hatte, musste nicht heißen, dass er aufgegeben hatte. Einer wie er zog sich zurück und nutzte die Zeit, um neue Pläne zu schmieden. Da konnte noch viel an Bösartigkeiten herauskommen, wie ich aus Erfahrung wusste.

Verrückt machen ließ ich mich von ihm nicht. Ich ging weiterhin meinem Job nach, der allerdings in diesen Tagen keine großen Aufregungen brachte.

Es war reine Schreibtischarbeit. Zwischendurch ging ich zum Training, und dort war man mit meinen Werten recht zufrieden. Dann konnte ich darüber nachdenken, dass das Jahr in zwei Monaten vorbei war, und ich fragte mich mal wieder, wo die Zeit geblieben war.

Dahin, verschwunden, weg …

Ich konnte froh sein, dass es mich in den letzten Monaten nicht erwischt hatte, obwohl die Gegenseite alles daran gesetzt hatte, dies zu ändern.

Und jetzt auch wieder.

Wann schlug Asmodis zu? Oder hatte er vielleicht doch schon aufgegeben? Das wäre zu schön gewesen, um wahr zu sein, aber er war einfach jemand, der sich rächen musste, wenn eine Niederlage auf seiner Rechnung stand, deshalb stellte ich mich darauf ein, dass noch etwas passieren würde.

Auch andere Personen waren neugierig. Die Conollys, zum Beispiel, die ich ebenfalls eingeweiht hatte. Sie gehörten zu meinen besten Freunden, und es war durchaus möglich, dass sich Asmodis an ihnen schadlos hielt. Denn diese Familie war ihm ebenfalls ein Dorn im Auge.

Geschehen war nichts.

Keine Warnung, kein Anruf. Weder bei mir noch bei meinen anderen Freunden, aber das sah ich nicht als beruhigend an. Nicht bei Asmodis. Er hatte keine Engel zu mir geschickt, die mich killen sollten, und er selbst hatte sich auch zurückgehalten.

Ein Freund aus der Engelwelt, Raniel, hatte mich ebenfalls aufgesucht und mich gewarnt. Dabei war er es gewesen, von dem ich den ersten Hinweis erhalten hatte.

Und jetzt?

Tote Hose. Ein Zustand, der auch Langeweile bringen konnte. Zumindest bei mir, denn ich war einfach kein Typ fürs Büro. Ich saß schon den dritten Tag hier, und das wurde mir wirklich zu schroff.

Ich wollte aus dem Büro, ich musste raus, und ich suchte nur nach einem Grund.

Den gab es leider nicht. Meine Feinde schienen sich auf mich eingestellt zu haben und ließen mich in Ruhe. Als wüssten sie, dass mein Ärger dann ansteigen würde.

Suko saß auch im Büro mir gegenüber und hatte schon einige Male den Vorschlag gemacht, dass ich in Urlaub gehen sollte. Oder in Urlaub auf Abruf. Dann konnte er mich immer schnell holen, wenn etwas passierte.

Dazu hatte ich auch keinen Bock. Außerdem war ich der Ansicht, dass etwas passieren würde, und das wiederholte ich mehrmals am Tag.

Suko winkte ab. »Ja, ja, alles klar. Du sitzt hier und wartest auf den richtigen Zeitpunkt.«

»Genau.«

»Und wann wird der da sein? Hast du schon einen Verdacht?«

»Nein, den habe ich nicht. Kann mir jedoch vorstellen, dass es nicht mehr lange dauert.«

»Aha. Hellseher?«

»Nein, Hellhoffer.«

Im Nebenraum saß unsere Assistentin Glenda Perkins. Sie telefonierte mal wieder. So einige Wortfetzen bekamen wir mit. Glenda erkundigte sich, ob alles in Ordnung war und man eine Untersuchung vorgenommen hatte. Das war der Fall, und nachdem Glenda dies erfahren hatte, rief sie meinen Namen.

»John?«

»Was ist denn?«

»Du bekommst ein Päckchen.«

»Sag nur. Weißt du denn schon, was drin ist?«

»Nein, aber keine Bombe. Man hat es durchleuchtet. Es ist wohl okay.«

»Hast du nach dem Absender gefragt?«

»Habe ich.«

»Und?«

»Es gibt wohl einen Absender, aber er ist unleserlich geschrieben.«

»Das kann bewusst so gemacht sein.«

»Glaube ich auch, John. Jedenfalls habe ich veranlasst, dass es in unser Büro gebracht wird.«

»Das hast du gut gemacht. Eine Fuhre Lob.«

»Fährt man in einer Fuhre nicht auch Mist?«

»Schon.« Ich lachte. »Es kommt ganz darauf an.«

»Dann kann ich auf die Fuhre verzichten«, sagte Glenda, »und jetzt müsste der Knabe gleich da sein.«

Glenda hatte sich nicht geirrt. Sekunden später erhielt sie Besuch, und Suko wandte sich an mich.

»Wer schickt dir denn ein Päckchen?«, fragte er beinahe entrüstet.

»Jemand, der mich zum Fressen gern hat.«

»Aha, dann rechnest du mit einem Anschlag?«

»Eine Bombe wird es nicht enthalten. Das haben die Kollegen ja gecheckt.«

»Was dann?«

»Wir lassen uns überraschen.«

»Geht auch in Ordnung.«

Nicht der Bote tauchte in der offenen Tür auf, sondern Glenda Perkins. Sie hatte sich das kleine Paket geben lassen und trug es so behutsam wie ein kostbares Geschenk.

»Bitte, da ist das wundersame Präsent für den Geisterjäger, den wohl viele lieben.«

»Haha, darauf kannst du dich verlassen.« Suko nahm ihr das Päckchen ab, wog es in den Händen und reichte es dann an mich weiter. »Schwer ist es nicht eben.«

»Habe ich mir auch gedacht«, meinte Glenda und rieb ihre Nasenspitze. »Ich glaube, der Inhalt besteht aus Stoff.«

»Da kannst du recht haben«, sagte Suko

Ich beteiligte mich nicht an der Unterhaltung, sondern knotete die Verschnürung auf.

Ein Schuhkarton kam zum Vorschein. Überrascht war ich nicht. Ein Karton für Schuhe ist wunderbar neutral.

Der Deckel war auf das Unterteil geklebt worden. Ich konnte ihn nicht so leicht anheben.

Glenda und Suko schauten mir zu. Der Klebestreifen war rasch zerschnitten.

Endlich ließ sich der Deckel anheben. Ich war vorsichtig und hob das obere Teil nur ganz langsam ab. So dauerte es etwas, bis wir von zwei verschiedenen Seiten in den Karton schauen konnten.

Ein Knäuel aus Stoff. Es handelte sich dabei um ein braunes Material. Ich griff hinein und zog den Gegenstand hoch, wobei ich Glendas Frage hörte.

»Was ist das denn?«

Noch hatte ich keine Ahnung. Der Stoff war zusammengeknüllt. Ich musste ihn erst ausschütteln und breitete ihn auf dem Schreibtisch aus. Jetzt sah ich, dass der Stoff auch ein schwereres Teil hatte. Es bestand aus Holz und war ein Kopf. Sogar ein Gesicht. Und das Kleidungsstück glich einer Kutte.

Da war die Antwort nicht schwer.

»Ein Mönch«, flüsterte Glenda. »Ein Mönch aus einem Puppentheater. Oder siehst du das anders?«

»Nein.«

Suko nickte nur.

Wir alle schauten uns die Puppe an. Sie machte einen harmlosen Eindruck. Es gab auch einen Körper. Der aber war unter der Kutte verborgen.

Ich betrachtete das Gesicht. Ein breiter Mund, eine knubbelige Nase und zwei Augen, die aussahen wie Knöpfe. Hinzu kam, dass die Haut einen leicht rosigen Anstrich zeigte und das Lächeln des Mundes eine gewisse Seligkeit ausdrückte.

Der Mönch hatte auch Arme. Sie waren nur nicht zu sehen, weil der Stoff sie verdeckte. Das Gleiche war auch mit den Händen passiert. Sie waren in irgendwelchen Taschen verschwunden.

Der kleine Mönch lag auf dem Rücken. Drei Augenpaare schauten ihn von oben herab an. Mir fiel nichts ein, Glenda und Suko sagten auch kein Wort, bis Glenda das Schweigen schließlich brach und leise fragte: »Was soll das, John? Weshalb schickt man dir oder uns einen Mönch aus einem Puppentheater?«

»Ich weiß es nicht.«

Jetzt mischte sich Suko ein. »Glaubst du denn, dass dieses Geschenk etwas mit deinem letzten Fall zu tun hat?«

»Keine Ahnung.«

»Er ist ja nicht abgeschlossen, John. Das hast du selbst gesagt.« Glenda nickte mir zu.

»Schon. Aber der letzte Fall lief in eine ganz andere Richtung. Das hier ist eine Puppe, nicht mal ein besonderes Kunstwerk, sondern recht grob geschnitzt. Ich für meinen Teil …«

Und dann war es vorbei. Von einem Augenblick zum anderen. Als hätte die Puppe einen Stoß erhalten, zuckte sie plötzlich in die Höhe. An den Seiten zuckte es ebenfalls, und plötzlich lagen die beiden Arme frei. Da waren die Hände aus den Taschen gerutscht. So klein sie waren, so gefährlich waren sie auch, denn die Finger umklammerten jeweils ein Messer.

Das war kein Spaß mehr.

Und auch nicht die Bewegungen des Mönchs. Er huschte von mir weg, aber er stieß zugleich mit beiden Messern zu, weil er meine Arme erwischen wollte.

Er hätte sie auch getroffen, wenn ich nicht so schnell zur Seite gezuckt wäre. So hackten die Messerspitzen in das Holz des Schreibtischs.

Das war ein Hammer!

Mit einem derartig hinterlistigen Angriff hätte ich niemals gerechnet. Mit den kleinen Messern hätte man mich nicht unbedingt töten können, aber verletzen, doch dem Schicksal war ich mit Glück entwischt.

Entwischt aber war auch der Mönch. Auf dem Schreibtisch war er nicht mehr zu finden, er hatte es mit einem Sprung geschafft, den Boden zu erreichen.

Bevor ich von meinem Stuhl in die Höhe schießen konnte, hatte Glenda Perkins bereits reagiert. Ihr war nicht entgangen, wohin der Mönch gelaufen war. Er huschte auf die offene Tür zu, um im anderen Raum zu verschwinden.

Das verhinderte Glenda. Noch vor der Tür erwischte sie die kleine Gestalt mit einem gezielten Tritt, der den Mönch quer durch das Zimmer und gegen die Wand schleuderte, die sich hinter mir befand.

Der Mönch rutschte noch ein Stück über den glatten Boden, überschlug sich dabei und blieb schließlich liegen.

Er war dabei wieder ein Stück in Richtung Tür gerutscht. Hindurch konnte er nicht, denn dort stand Glenda Perkins wie ein weiblicher Wachtposten, der alles im Griff hatte.

Wir schauten auf den leblosen Mönch. Geheuer war uns das nicht, das war unseren Gesichtern anzusehen. Ich spürte das harte Klopfen meines Herzens und musste zugeben, dass mich dieser Angriff schon leicht mitgenommen hatte.

Tief durchatmen, was auch Glenda und Suko taten. Danach schauten sie sich an.

»Wer hat denn jetzt die beste Erklärung?«, fragte Glenda.

Suko schüttelte den Kopf.

»Und was ist mit dir, John?«

Ich knetete mein Kinn und ließ dabei den Blick nicht von der Puppe. Der Angriff hatte mich schon beeindruckt, und ich sprach meine Gedanken aus.

»Lebt sie?«

Sofort gab Glenda Perkins die Antwort. »Nein, sie lebt nicht. Sie lebt auf keinen Fall.«

»Was macht dich so sicher?«

Glenda lachte knapp. »Der Tritt, John, der macht mich sicher. Ich habe sie voll erwischt und kann dabei von einem harten Körper sprechen.«

»Du meinst, dass sich unter der Kutte Holz befindet?«

»Genau das meine ich. Oder noch etwas Härteres.«

»Dann sollten wir nachschauen.«

»Willst du den Mönch anheben, John?«

»Ja. Er wurde ja mir zugeschickt.«

»Und die Messer?«

»Auf die werde ich schon achten.«

»Dann gehst du davon aus, dass er nur bewusstlos ist?« Sie lachte. »Fast unmöglich bei einem Holzkörper – oder?«

»Du sagst es, Glenda.«

Ich wollte mir den Mönch holen und würde dabei aufpassen müssen. Er war an mich geschickt worden, ich war gemeint, und ich traute dem Frieden nicht.

Der Mönch war auf den Rücken gefallen und lag noch immer dort. Die kleinen, aber spitzen Messer hielt er in seinen Händen, und zwar so gedreht, dass die Enden nach oben zeigten. Er würde sie blitzschnell bewegen können, wenn ich ihm zu nahe kam. Das Metall schimmerte, und diesem Schimmern beugte ich mich entgegen.

In meiner Nähe stand Glenda. Ich hörte ihren Kommentar, wusste aber nicht, was sie sagte. Allein auf die Puppe konzentrierte ich mich. Dabei fragte ich mich, woher sie kam, und es wunderte mich auch, dass jemand einen Mönch in sein Programm aufgenommen hatte. Vielleicht gab es einen Puppenspieler, der im Hintergrund die Fäden zog.

Zu tief wollte ich mich nicht bücken. Ich ging auf die Knie nieder und hatte mir so einen besseren Halt verschafft. Den brauchte ich, weil ich immer mit einem Angriff rechnete.

Der Mönch lag vor mir. Er tat nichts. Er rührte sich nicht. Er war einfach nur da, und das war mir zu wenig. Was er getan hatte, das entsprach keiner normalen Reaktion.

Ich fasste die Puppe nicht an. Ich tat überhaupt nichts, was nach einem Angriff oder Ähnlichem aussah, ich blieb vorsichtig, aber einen Test wollte ich schon durchziehen.

Dazu brauchte ich mein Kreuz.

Es war schon gar nicht mehr zu zählen, wie oft ich einen solchen Test durchgezogen hatte. Einen besseren Indikator als das Kreuz, um etwas herauszufinden, gab es nicht.

Nach wie vor blieb ich vor der Puppe knien. Dabei bewegte ich mich kaum, ich schaute nur nach unten und achtete dort auf jede einzelne Bewegung. Sie kam nicht.

Dafür hielt ich sehr bald das Kreuz in der Hand. Durch die Faust war es fremden Blicken verborgen.

Über der kleinen Gestalt kam meine Faust zur Ruhe.

Einen Herzschlag später öffnete ich sie.

Das Kreuz fiel nach unten. Das Ende der Kette hielt ich fest, verfolgte aber den Fall des Kreuzes, der aufhörte, als der wertvolle Gegenstand das hölzerne Gesicht der Puppe berührte. Das genau hatte ich gewollt.

Ich bekam den leisen Laut des Aufpralls mit – und erlebte genau die Reaktion, die ich erwartet hatte.

Der Mönch war das Böse, und mein Kreuz hielt dagegen!

***

Ich glaubte, dass ein leises Knistern zu hören war. Das Geräusch hing noch in der Luft, als ich ein Fauchen vernahm und auf der Stelle mit dem Kopf zurückzuckte, was mein Glück war. Das Kreuz hatte das Gesicht getroffen, und aus dem Gesicht war die dunkelrote Flamme hervorgezuckt, die auch mich erwischt hätte, wäre ich nicht so schnell zur Seite gezuckt.

Das Gesicht brannte. Nein, nicht nur das. Die gesamte Figur stand in Flammen, denn das Feuer hatte sich blitzschnell ausgebreitet. Über seine Kutte hinweg war es an die Substanz gegangen, und ich war ein wenig nach hinten gerutscht, um nicht noch in den Bereich der Flammen zu geraten.

Es war nicht nur ein Brennen, ich hörte auch ein regelrechtes Zischen wie kurz vor dem Start eines Feuerwerkskörpers, und einen Moment später zerplatzte die Puppe. Die Kleidung war längst verbrannt, und der Körper zerfiel, wobei nur dunkle Asche zurückblieb. Die konnte uns nicht mehr gefährlich werden.

Ich stand auf und drehte mich um. Zwei Augenpaare starrten mich an. Glenda nickte und sagte mit leiser Stimme: »Das ist wirklich ein Hammer gewesen. Irgendwie habe ich es schon geahnt.«

»Womit wir mal wieder beim Thema wären«, sagte Suko. »Irgendeine Macht will was von uns.«

Ich schüttelte den Kopf. »Und das tatsächlich mit einer Puppe?«

»Sieht so aus«, meinte Glenda.

»Und weiter?«

»Wo eine Puppe ist, kann es auch noch mehr von ihnen geben«, meinte sie. »Oder sehe ich das zu eng?«

»Nein, bestimmt nicht«, mischte ich mich ein.

»Dann hätten wir es ja mit Puppen als Gegner zu tun. Oder mit einem Puppenspieler.« Sie schüttelte den Kopf. »Das kann ich mir nicht vorstellen. Oder kannst du dich daran erinnern, John, dass du mal einem Puppenspieler auf die Zehen getreten bist?«

»Im Moment nicht.«

»Das meine ich doch.«

»Aber warum werden wir dann angegriffen?«, fragte Suko. »Und wie ist es möglich, dass diese Puppe ein Eigenleben führt?«

»Indem sie mehr ist als eine normale Puppe«, erklärte ich. »Man hat sie dazu gemacht. Sie ist auf eine magische Art und Weise verändert worden.«

»Super. Und wer steckt dahinter?«

Da hatte Glenda eine gute Frage gestellt, auf die wir ihr keine Antwort geben konnten. Noch nicht, aber wir waren davon überzeugt, dass wir das Rätsel lösen würden …

***

Gerald Pole war mit seinem Van in die Tiefgarage gefahren, die nicht weit vom Yard Building entfernt lag. Dort wollte er warten und herausfinden, ob sein Plan Erfolg gehabt hatte.

Die andere Seite hatte es ihm versprochen. Einen ersten Test hatte er durchführen sollen. Der Test lag hinter ihm. Er hatte einem Scotland-Yard-Mann ein Geschenk geschickt und war nun gespannt auf dessen Reaktion.

Der mächtige Engel hatte ihm versprochen, dass er es herausfinden würde, denn es war eine Verbindung zwischen ihm und der anderen Seite hergestellt worden.

Pole hatte seinen Ring hergeholt und ihn übergestreift. Es war ein besonderes Schmuckstück mit einem besonderen Motiv. In der dunklen Ringplatte war eine Fratze eingraviert, die das Gesicht eines Dämons darstellte. Es konnte durchaus der Teufel sein, da kam es immer auf die Vorstellungskraft der Menschen an. Die Gravur hob sich vom dunkleren Hintergrund in einer schmutziggrauen Farbe ab.

Pole liebte den Ring. Er hatte ihn vor Jahren bei einem etwas seltsamen Menschen gekauft, einem, der einen Stand auf einem der modern gewordenen Mittelaltermärkte hatte. Von ihm hatte er den Ring erworben, und Pole erinnerte sich oft daran, dass der Mann lange gezögerte hatte, bevor er seine Zustimmung gab.

Er hatte den Käufer angeschaut, seine Blicke in die Augen des anderen gebohrt, als wollte er bis auf die Seele schauen. Dieser Test hatte recht lange gedauert, und dann hatte der Verkäufer zuerst gelächelt, danach genickt und anschließend gesprochen.

Er war der Meinung gewesen, dass er in Pole einen würdigen Kunden vor sich hatte.

Über die Bemerkung hatte der Puppenspieler nicht groß nachgedacht. Ihm war es nur darauf angekommen, den Ring zu besitzen, und das war ihm gelungen. Von Beginn an hatte er gewusst, dass etwas völlig anderes hinter dem Ring steckte. So etwas wie eine schlafende Macht, die erst noch geweckt werden musste.

Er hatte sie geweckt. Er wusste jetzt, wer dahintersteckte, wer diesen Ring geweiht hatte. Es war der Teufel gewesen, das hatte Pole erst vor Kurzem erfahren, und dieser Ring war in der Lage, eine Brücke zwischen ihm und seinen Puppen zu bauen.

Das empfand er als ein Phänomen, und er war dankbar dafür, dass es so etwas gab.

Und nun würde ihm der Ring den größten Gefallen erweisen, das hatte er erfahren. Dieses Schmuckstück war das Verbindungsglied zwischen ihm und dem Mönch. Er würde sich melden, er würde unter Umständen ein Zeichen setzen, so genau wusste der Puppenspieler das nicht. Man hatte ihm geraten, einfach abzuwarten. Nicht zu weit von einem bestimmten Ziel entfernt und an einer neutralen Stelle.

Das war eben die Tiefgarage, in der Gerald Pole jetzt wartete und lauerte, dass etwas passierte. Er wusste nicht genau, ob es gelingen würde, aber er vertraute dem Teufel. Der würde es schon richten.

Warten. Nichtstun. Das war nicht seine Art. Er tat immer wieder etwas, auch wenn er keine Stücke mit seinen Puppen aufführte. Untätig blieb er nie, und das war auch in seinem Van der Fall.

Er warf dem Ring ständig einen Blick zu, tastete die Oberfläche ab und war gespannt, wie der Kontakt zu ihm aufgenommen werden würde.

Noch war es nicht so weit. Aber er hatte sich ungefähr ausgerechnet, wann die Post beim Yard eintreffen würde. Das war bestimmt am Vormittag, zwar nicht in aller Frühe, aber dass er Stunden warten musste, daran glaubte er nicht.

Zwei Stunden vielleicht. Möglicherweise auch mehr, doch irgendwann würde der Kontakt hergestellt sein.

Er sah andere Wagen in die Garage fahren und sie auch wieder verlassen. Es war das übliche Kommen und Gehen.

Er hatte noch die Chance gehabt, sich an einen guten Platz zu stellen. Wenn er die Garage verlassen musste, brauchte er nicht groß zu wenden und auch nicht mehrere Etagen in die Höhe zu fahren.

Alles war glatt gelaufen. Jetzt kam es auf das Finale an, und das rückte immer näher.

Immer öfter schaute Pole auf die Oberfläche des Rings. Er wartete darauf, dass sich dort etwas tat. Ob das überhaupt passierte, das war die große Frage, doch auf etwas musste er sich einfach verlassen.

Und es trat ein.

Plötzlich meldete sich der Ring. Er spürte so etwas wie einen Wärmestoß, der nicht nur auf eine Stelle beschränkt blieb, sondern sich durch den gesamten Finger zog und sogar noch bis ins Handgelenk glitt.

Über Poles Lippen drang ein leiser Fluch. Er hob seinen linken Arm an und schüttelte ihn, bevor er die Hand wieder nach unten sinken ließ und auf seinen Oberschenkel legte.

Und dann tat sich etwas an dem Ring. Und zwar auf der Oberfläche. Bisher war sie starr gewesen. Sie bestand eben aus diesem dunklen Stein, und dort eingraviert war eben diese Fratze.

Ein Gesicht, das mit keinem Ähnlichkeit hatte, das er kannte. Aber in ihm steckte schon etwas Teuflisches, und das beruhigte den Mann.

Die Oberfläche bewegte sich, soweit es ihr möglich war. In ihrer Enge kamen plötzlich andere Motive zum Vorschein. Das eine Gesicht löste sich auf, ein zweites erschien, ebenfalls eine Fratze, die fast nur aus einem aufgerissenen Maul bestand.

Der Puppenspieler schaute fasziniert zu. Er wusste nur nicht, ob er sich über dieses Geschehen freuen sollte oder nicht. Das war ihm alles ein wenig suspekt. Dieses Gesicht, diese neue Fratze zeigte nicht die Sicherheit, die ihn gefreut hätte. Das war etwas anderes, und er konnte nicht genau sagen, was ihn da beunruhigte.

Es gab keine Sicherheit. Ja, das war es. Die Fratze auf der Ringplatte strömte etwas aus, das nicht eben mit dem Begriff Sicherheit umschrieben werden konnte. Es war etwas völlig anderes. Und da fingen die Probleme des Mannes an.

Er konnte sich plötzlich nicht mehr vorstellen, dass er der Sieger sein würde. Denn Sieger wurden von anderen Gefühlen geleitet.

Bei ihm war das ganz und gar nicht so. Das Gegenteil war eingetreten.

Er verspürte eine innere Angst. Es war ein regelrechter Druck, der ihn erfasste und dafür sorgte, dass ihm der Schweiß aus allen Poren drang. Im Nu war sein Gesicht nass, und auch an anderen Stellen des Körpers begann er zu schwitzen.

Warum diese Angst? Er konnte sich selbst keine Antwort darauf geben. Sie machte ihm zu schaffen. Sie sorgte dafür, dass er genau das Gegenteil von dem erlebte, was er sich erhofft hatte. Die Angst war der große Druck, der ihn nicht loslassen wollte. Sein Optimismus war dahin und er hatte das Gefühl, etwas Fremdes zu erleben. Dass die Furcht eines anderen ihn erreicht hatte.

Eines anderen?

Er kannte den Plan des Teufels. Gemeinsam hatten sie ihn geschmiedet. Dieser Feind sollte eine kleine Überraschung geschickt bekommen, eine Figur, die so harmlos aussah, es aber nicht war, denn der Teufel hatte sie infiziert. Einiges von seiner Macht steckte in ihr, und sie sollte es ausspielen.

Beide setzten auf die kleinen Messer. Die würden einen Gegner zwar nicht töten, aber sie sollten dafür sorgen, dass er Angst bekam. Es sollte so etwas wie ein harmloser Anfang sein, und Pole hatte nichts dagegen einzuwenden gehabt. Er vertraute dem Teufel und natürlich auch dessen Plänen.

Aber dass sie so verlaufen würden, damit hatte Pole nicht gerechnet. Er spürte keinen Siegeswillen. In seinem Innern brodelte es, und er hatte den Eindruck, selbst von irgendwelchen Feinden umgeben zu sein. Deshalb schaute er sich um.

Es war niemand zu sehen. Der Betrieb in der Garage lief völlig normal ab.

Und er starrte wieder den Ring an.

Von ihm ging etwas aus. Etwas, das nicht unbedingt positiv war. Er fühlte die Botschaft. Er merkte, dass sie in ihm eingedrungen war und dort auch blieb.

So war die Angst entstanden. Nur so. Und am liebsten hätte er den Ring vom Finger gezogen und ihn weggeschleudert. Das aber traute er sich nicht. Er wäre sich wie ein Verräter dem Teufel gegenüber vorgekommen, also ließ er ihn stecken.

Der Ring meldete sich.

Urplötzlich erlebte Pole dort den Schmerz, wo er auf seinem linken Ringfinger steckte. Ein scharfes Stechen brachte den Mann dazu, einen Schrei auszustoßen. Für einen Moment hatte er das Gefühl, dass sein Finger anfing zu glühen, so scharf war der Schmerz, der ihn durchzog. Er schaute hin und erkannte, dass er sich geirrt hatte. Dem Finger war nichts passiert.

Und der Ring?

Für einen Moment hielt er den Atem an. Was er da zu sehen bekam, war unwahrscheinlich und auch ungeheuerlich. Er schaute auf die Fratze, die keine mehr war. Auf der Oberfläche des Rings war etwas zusammengelaufen, nachdem der Schmelzvorgang begonnen hatte. Die Fratze war nicht mehr zu sehen, dafür schaute er dem dünnen Rauchfaden nach, der langsam in die Höhe stieg. Der Finger war noch dran. Die Hand schmerzte auch nicht mehr, dass es unangenehm gewesen wäre. Das war alles in Ordnung. Aber das große Ganze war nicht okay. Das hatte er sich anders vorgestellt, und es war ihm auch anders gesagt worden.

Er schüttelte den Kopf und hatte den Eindruck, eine große Niederlage erlitten zu haben …

***

Die linke Hand lag schlaff auf seinem Oberschenkel, mit der Fläche nach unten, sodass er auf den Ring schaute und das Bild nicht mehr sah, das er so gemocht hatte.

Das Motiv war verändert worden. Es gab die Fratze zwar noch, weil sie sich nicht aufgelöst hatte, aber es gab sie nicht mehr so, wie er sie gemocht hatte.

Etwas hatte den Ring verändert!

Aber was war es gewesen? Diese Frage beschäftigte ihn, und er suchte nach einer Erklärung. Er kannte sie leider nicht, nichts fiel ihm dazu ein. Pole war nur klar, dass es eine Kraft geben musste, die sich ihm entgegengestellt hatte.

Aber wer war sie? Wer stemmte sich gegen den Teufel?

Er drehte den Kopf und schaute sich um. Einen ungetrübten Blick nach draußen zu werfen war nicht mehr drin. Die Scheiben waren von innen beschlagen. Es lag an ihm. Er hatte in der letzten Zeit zu viel Feuchtigkeit ausgedünstet.

Gerald Pole fühlte sich allein. Verlassen. Wie in einem Knast. Ohne Hilfe, eben der große Loser.

Etwas stach an seinem linken Ringfinger. Pole senkte den Blick und schaute hin.

Er zuckte zusammen, als er die Veränderung betrachtete. Ein leises Stöhnen stieg aus seiner Kehle, als er die neue alte Fratze sah.

Sie gehörte dem Teufel. Sie war sein Abbild. Ein böses Dreieck mit zwei Hörnern an der Stirn. Das alles war auch auf der kleinen Fläche zu sehen, und Gerald Pole fragte sich, was das zu bedeuten hatte. Er konnte es nicht sagen, er hoffte nur, dass die andere Seite nicht erschienen war, um mit ihm abzurechnen.

In der letzten Zeit hatte er einfach nur da gesessen und an nichts denken können. Das war jetzt anders. Die blanke Furcht stieg in ihm hoch. Er spürte wieder den Schweiß auf seinen Handflächen und auch im Gesicht. Sein Herz schlug schneller und durch sein Inneres schoss so etwas wie ein heißer Strahl, der sein Ziel in seinem Kopf fand.

Es war der Teufel, der den Kontakt mit ihm aufnahm. Er kannte die Stimme und hörte sie jetzt wieder in seinem Kopf.

»Du hast die Niederlage mitbekommen, wie ich weiß.«

»Ja.«

»Und?«

»Es war schlimm. Mein Ring war nicht stark genug. Eine andere Kraft war stärker und hat ihn manipuliert. Aber das muss ich dir ja nicht extra sagen, das hast du schon gesehen, wenn du so mächtig bist.«

»Das bin ich.«

»Schön. Warum hast du dann nicht eingegriffen? Du hättest es tun können, wenn du der Teufel bist, aber du hast es nicht getan. Ich kenne den Grund nicht. Oder ist die andere Seite stärker als du? Kann es das gewesen sein?«

»Ja, schon, es gibt eine andere Seite. Sie hat eingegriffen.«

»Wer ist sie?«

»Ach, das weißt du. Es ist dieser Sinclair, dem wir die Puppe geschickt haben. Der Mönch ist leider nicht dazu gekommen, seine kleinen Messer einzusetzen. Sinclair war schneller und besser als er.«

»Sinclair«, murmelte Gerald Pole. »Warum gerade dieser Mann?«

»Er ist dein Feind.«

»Warum?«

»Weil er auch mein Feind ist.« Asmodis lachte. »Das ist so. Daran ändert sich nichts.«

»Könnte sich überhaupt etwas ändern? Wir haben doch verloren, verflucht noch mal.«

Asmodis lachte. »Wer sagt das?«

»Ich.«

»Unsinn.«

Pole regte sich auf. Der andere hatte gut reden.

»Das ist kein Unsinn. Ich weiß es besser.«

»Nein, mein Freund. Wenn jemand etwas weiß, dann bin ich es. Und das solltest du dir hinter die Ohren schreiben. Es war vielleicht eine kleine Niederlage, nicht mehr.«

»Das muss ich anders sehen. Du hast keine Qualen erlitten. Ich allerdings schon.«

»Auch das ist mir bekannt. Ich gehe aber davon aus, dass es keinen Grund gibt, aufzugeben, denn ab jetzt bist du an der Reihe. Deine große Zeit ist da.«

»Tatsächlich?«

»Ja.«

»Kannst du mir das auch näher erklären?«

»Deshalb habe ich mit dir Kontakt aufgenommen. Die große Show fängt noch an.«

»Wie denn? Welche Show? Und wer ist der Showmaster?«

»Du natürlich.«

Der Puppenspieler war nicht auf den Mund gefallen, das hatte er in den letzten Minuten bewiesen. In diesem Moment allerdings war er sprachlos geworden.

»Was ist?«, fragte Asmodis, der sich noch immer nicht blicken ließ.

»Ich kann dir nicht folgen, denn …«

Die Stimme unterbrach ihn. »Warum nicht? Was ist so schwer daran zu begreifen?«

»Ich habe soeben eine Niederlage einstecken müssen …«

»Ja, aber was ist heute Abend mit deiner Show?«

»Was soll da schon sein? Ich lasse sie ausfallen.«

»Sie ist ausverkauft.«

»Das interessiert mich einen Dreck.«

Der Teufel lachte. »Das sollte es nicht, mein Lieber, ich bin da anderer Meinung.«

»Wieso?«

»Du wirst deine Show durchziehen.«

»Nein!«

Der Teufel reagierte, und er bewies damit seine Macht. Er stand in Verbindung mit dem Ring, und diese Tatsache spielte er auch aus.

Der Angriff erfolgte ohne Vorwarnung. Pole hatte den Eindruck, als würde ihm der Finger abgerissen. Er brüllte auf, und in seine Augen stiegen Tränen. Er schnappte nach Luft und sackte in sich zusammen, doch der Schmerz war ebenso schnell vorbei, wie er ihn erwischt hatte. Es gab auch keine Folgeerscheinungen.

»Nun …?«

Gerald Pole keuchte. »Ja, verflucht, ich bin noch da. Was willst du denn?«

»Ich will, dass alles so weitergeht. Das mit Sinclair war ein Test, das habe ich irgendwie tun müssen, daran kam ich nicht vorbei, aber heute Abend wird es anders zur Sache gehen. Sinclair hatte es nur mit einer Puppe zu tun, die Menschen in deiner Show aber werden viele deiner Kinder erleben.«

»Das weiß ich«, flüsterte Pole. »Und weiter?«

Asmodis lachte. »Wie kannst du so etwas fragen? Wir werden deine Show zu einem Ereignis machen.«

»Und wie?«

»Denk nach. Das ist einfach. Zu einem tödlichen Ereignis. Du kannst deine Puppen laufen lassen, sie alle sind selbstständig geworden, das kann ich dir jetzt schon versprechen.«

Pole schwieg. Er überlegte. Noch mal ließ er sich das Gehörte durch den Kopf gehen. Ja, der Teufel hatte recht. Es gab seine veränderten Puppen, und sie würden keine Gnade kennen. Sie waren durch die Hölle beeinflusst worden, nur das allein zählte, und er würde sich auf die Kraft des Teufels verlassen können.

Asmodis nahm wieder Kontakt zu Pole auf. Er spürte das Zucken am Ringfinger, dann hörte er die lauernde Stimme.

»Nun? Alles klar?«

»Ja.«

Der Teufel lachte im Hintergrund. »Und denk daran, ich werde immer in deiner Nähe sein.«

»Ach, du vertraust mir nicht?«

»Du wirst mich nicht unbedingt sehen, aber mein Geist wird dich beflügeln.«

Gerald Pole wollte noch etwas erwidern, doch das schaffte er nicht. Er spürte, dass der Teufel ihn verließ. Etwas, das er nicht sah, huschte an ihm vorbei – es konnte auch eine Einbildung sein, aber dann war er wirklich allein.

Gerald Pole saß in seinem Van und schüttelte zunächst den Kopf. Die Scheiben waren noch immer von innen beschlagen. Er beugte sich vor und schuf mit den Fingern eine freie Stelle, durch die er in die Garage schauen konnte.

Da war alles wie immer. Es gab keine Veränderungen. Er fühlte sich nach einigen Sekunden besser. Er war beruhigt, dass sein Umfeld hier normal geblieben war.

Und dann?

Nichts mehr. Keine Botschaft, die an ihn gerichtet wäre. Er musste passen oder genau das tun, was ihm der Teufel vorgeschlagen hatte. Wenn er das Spiel durchzog, dann konnte er nur jubeln, dann hatte er gewonnen, auch wenn es zu einem Blutbad kommen konnte.

Es war seltsam. Der Gedanke daran machte ihm kaum etwas aus. Im Gegenteil, er verleitete ihn zu einem leichten Grinsen …

***

Ein Puppenspieler!

Wir mussten also einen Puppenspieler finden, davon gingen wir aus. Der Mönch war eine Puppe gewesen, die man nicht als normal ansehen konnte. Sie war anders, auch wenn sie nicht so aussah. Sie war manipuliert worden und das von einer Kraft, vor der wir uns vorsehen mussten.

Ich ging davon aus, dass mein Freund Asmodis die Hand im Spiel hatte. Mir den veränderten Mönch zu schicken, das war nur ein Test gewesen, davon ging ich aus. Ich glaubte mehr daran, dass die andere Seite noch zu einem großen Schlag ausholen würde, und dem mussten wir zuvorkommen, deshalb saß uns auch die Zeit im Nacken.

Glenda und Suko waren dabei, nach einem Puppenspieler oder Puppentheater im Internet zu suchen. Ich hing meinen Gedanken nach und dachte an die Hoffnung der Hölle, die ich vor einigen Tagen erlebt hatte. Da war mir Asmodis als bleicher, fast nackter Engel mit Flügeln erschienen. Er schien sich irgendwie lustig über mich gemacht zu haben, und ich wusste, dass er noch etwas am Kochen hatte.

Ob das mit der neuen Sache zu tun hatte?

»Bestimmt«, sprach ich vor mich hin. »Das hat es. Asmodis hat sich wieder etwas ausgedacht.«

Es würde auch zu ihm passen, denn er mochte es, wenn er Dinge verändern konnte. Dabei spielte es keine Rolle, ob es organische Dinge waren wie Menschen und Tiere oder einfach nur Gegenstände, zu denen ich auch Puppen zählte.

Im Prinzip waren sie harmlos. Aber sie konnten auch anders, das wusste ich. Vor Jahren hatte ich es mit den teuflischen Puppen zu tun gehabt, und das war kein Fall gewesen, den man als harmlos einstufen konnte.

Es ging also weiter.

Wieder mit Puppen.

Und diesmal konnten es welche sein, die aus einem Puppentheater stammten, danach forschten Glenda und Suko. Im Zeitalter des Internets standen die Chancen sogar günstig, denn wer etwas erfahren wollte, der ging ins Netz.

Glenda und Suko befanden sich nebenan im Vorzimmer. Mir gingen die Engel nicht aus dem Kopf. Die Skelette, die in helles Licht eingebettet waren und die der Teufel auf seine Seite gezogen hatte.

Was war das Licht?

Auch das war eine Frage, die beantwortet werden musste. Das Licht um die Engelskelette herum war nicht nur Helligkeit, sondern zugleich auch eine Kraft, und sie konnte weitergegeben werden.

An wen?

An einige. An viele. An Menschen, an Tiere oder auch an Gegenstände, die aus Holz bestanden. Hinter dem Geheimnis der Puppen steckte wahrscheinlich die Macht der Hölle, und damit sich hatte Asmodis wieder gemeldet.

Überzeugt war ich von diesem Gedanken nicht, ich schob ihn aber auch nicht zur Seite.

Wichtig war, dass wir eine Spur fanden, die zu einem Puppenspieler führte.

Ich stand auf. Mein Mund war trocken. Ich brauchte mal wieder einen kräftigen Schluck und dachte an Glendas wunderbaren Kaffee. Auf den musste ich zunächst verzichten, denn als ich das Vorzimmer betrat, winkte sie mir zu.

»Habt ihr was?«, fragte ich.

»Kann sein.«

»Und?«

Sie winkte mich noch näher heran. »Komm her und schau es dir selbst an.«

Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Ich trat dicht an Glenda heran, nachdem Suko mir Platz gemacht hatte. Jetzt fiel mein Blick auf den Bildschirm und auf das, was Glenda im Netz gefunden hatte.

Ich las und flüsterte den Text mit. »Besuchen Sie Poles Puppentheater. Erleben Sie das Alte, das Echte. Baden Sie in Nostalgie und entdecken Sie wieder das, was auch Ihren Eltern und Großeltern schon Spaß gemacht hat. Sie werden es nicht bereuen.«

Es folgten die Anfangszeiten der Puppenspiele. Für Kinder war der Nachmittag vorgesehen, der Abend für Erwachsene.

»Was sagst du, John?«

»Nicht schlecht.«

»Danke. Und weiter?«

Ich hatte mich nicht so direkt um den Spielplan gekümmert und fragte deshalb: »Wird auch heute gespielt?«

»Ja, nur heute Abend.«

»Wie heißt der Titel?«

»Böse Zeiten.«

»Aha«, sagte ich. »Nomen est omen.«

»Klar. Und was machen wir?«

Ich schaute Glenda an und lächelte. »Hast du heute Abend schon was vor?«

»Hm …« Sie wiegte den Kopf. »Kommt darauf an, was man mir vorschlägt.«

»Dann würde ich sagen, dass wir uns mal das Stück aus der Nähe ansehen …«

»Die bösen Zeiten?«

»Was sonst?«

»Ich bin dabei.«

Das hatte ich mir gedacht. Glenda war immer versessen darauf, mitzumischen, auch in dem letzten Fall mit Asmodis’ Skeletten war sie mit von der Partie gewesen.

»Gut«, sagte ich. »Da wären wir schon mal zu zweit.« Ich schaute Suko an. »Was ist mit dir?«

Er nickte. »Keine schlechte Idee.«

»Dann bist du dabei?«

»Ja.«

»Super.«

Er hob seinen Arm. »Moment, John, nicht so eilig. Ich möchte dazu noch was sagen.«

»Tu es.«

Suko verengte für einen Moment die Augen. »Ja, ich gehe auch hin«, sagte er, »aber nicht mit euch. Ich nehme Shao mit und wir werden so tun, als würden wir uns nicht kennen. Ist das eine Idee?«

Glenda gab die Antwort noch vor mir. »Die ist sogar super, Suko. Einverstanden. Du bist zusammen mit Shao die Macht im Hintergrund. Da kann dann nichts mehr schiefgehen.« Glenda drehte sich zu mir um. »Oder was meinst du?«

»Schiefgehen kann immer etwas.«

»Sei doch kein Spielverderber.«

»Das bin ich auch nicht. Ich sehe die Dinge nur eben realistischer.«

»Kann ich ja verstehen.«

Für mich war das Thema erledigt. Ich würde gleich ein paar Schritte weitergehen und mir noch einen Kaffee machen. Glenda wollte noch weiter im Internet suchen, ob sie vielleicht neue Hinweise fand, die uns helfen konnten.

Böse Zeiten, so hieß das Stück. Den Inhalt kannte ich nicht, aber ich musste nicht viel Fantasie haben, um mir vorstellen zu können, dass dahinter wirklich etwas Böses steckte. Und dann konnte es verdammt hart werden …

***

Gerald Pole hatte es in der Tiefgarage nicht länger ausgehalten. Er musste dort weg, weil er den Eindruck hatte, lebendig begraben zu sein. In der Oberwelt ging es ihm besser. Er wusste auch, was er tun musste. Der Tag hatte bei ihm eine Struktur. Ohne diese wäre er längst verloren gewesen. Die Abfolge war nicht so wichtig, aber wenn er am Abend eine Vorstellung gab, dann interessierte ihn nicht viel anderes. Da musste er sein Ding durchziehen.

Er wollte zu seiner Wohnung fahren und dort noch einiges richten, bis er sich für den Abend vorbereitete, denn das musste er tun. Heute stand auf dem Programm eine Vorführung für Erwachsene, und die war so gut wie ausverkauft. Das hatte ihm seine Mitarbeiterin gesagt. Sie war praktisch Mädchen für alles und sprang auch ein, wenn es das Stück erforderte. In diesem Fall war es nicht nötig, doch Emma Hill war stets bereit.

Das würde auch an diesem Abend so sein. Bereits am frühen Nachmittag war sie im Büro zu finden, nahm Anrufe entgegen und erledigte auch den Schreibkram.

Gerald Pole konnte sich auf Emma Hill verlassen. Sie war eine Frau, die für die Puppen und das Theater lebte.

Gerald Pole fuhr zuerst zu seiner Wohnung. Er wollte dort die Puppen holen, die er für den heutigen Abend brauchte.

Gerald Pole war von einer inneren Unruhe erfüllt. Wenn es nach ihm gegangen wäre, dann hätte er die Zeit um einen Tag weiter geschoben. Dann hätte er zumindest schon das hinter sich, was ihn am Abend hinter der Bühne erwartete.

Dort, wo er wohnte, gab es nicht nur die Schule, sondern auch einen schmalen Hof. Für ihn war er ideal, denn dort konnte er sein Auto parken. Bisher hatte sich auch noch niemand beschwert.

Auch jetzt ließ er den Wagen in die Lücke rollen, bremste ihn ab und stieg aus. Wieder dachte er an seine Sicherheit. Er ging den Weg zurück und schaute um die Ecke, weil er nach Verfolgern Ausschau halten wollte.

Da waren nur keine.

Pole lächelte. Er war sehr zufrieden und konnte jetzt in aller Ruhe darangehen, sich um die Vorstellung am Abend zu kümmern.

Wenig später ging er drei Stufen hoch und schloss die Haustür auf. Das Schulgebäude erhob sich im Hintergrund. Hier in dem Nebenhaus lebten zwei Mieter. Zum einen der Hausmeister, zum anderen er. Den Hausmeister kannte er kaum, denn der Mann war immer unterwegs, und so hatte Gerald Pole seine Ruhe.

Er erreichte die Wohnungstür und blieb abrupt vor ihr stehen. Er wusste selbst nicht, warum er das tat und nicht den Schlüssel aus der Tasche holte. Er lauschte an der Tür.

Es war nichts zu hören, was ihm verdächtig vorgekommen wäre. Pole hoffte nicht, dass es die Ruhe vor dem Sturm war. Er lauschte weiter. Schloss die Tür auf, machte aber noch kein Licht. Dann fuhr seine Hand über die Tapete, und kurze Zeit später wurde es in seiner Umgebung hell.

Über seine Lippen huschte ein Lächeln, denn es war nichts zu sehen, was ihn beunruhigt hätte.

Die nächste Untersuchung galt dem Arbeitszimmer. Dort war alles okay. Seine Lieblinge lagen in den Regalen und bewegten sich nicht. Er war froh darüber, denn es hätte auch anders sein können, aber daran wollte er nicht denken. Schon wenn andere Personen seine Puppen anfassten, wurde er nervös.

Aber eine Puppe fehlte. Es war der Mönch, und der würde auch nie mehr zurückkehren, er war vernichtet worden, das hatte Gerald Pole indirekt mitbekommen.

Er dachte an das Stück, das er am Abend spielen wollte.

Böse Zeiten.

Ein toller Titel war ihm da eingefallen. Er war vor allen Dingen vielsagend. Da brauchte er sich nicht an einen Inhalt zu halten. Er konnte variieren und das Böse auf verschiedenen Ebenen auftreten lassen.

Und er konnte dabei brutal werden. Die Menschen schocken oder schreien lassen, das alles schoss ihm durch den Kopf, aber er wusste noch nicht, welchen Inhalt er sich vornehmen sollte. Deshalb musste er auch mehr Puppen mitnehmen und konnte sich nicht auf eine kleine Zahl beschränken.

Er trat näher an die Regale heran. Da suchte er sich die schrecklichsten Puppen aus und legte sie erst auf den Schreibtisch in der Mitte des Raumes. Einmal kicherte er, als er eine besonders hässliche Hexe in der Hand hielt. Die schaute er sich genauer an.

Pole erkannte, dass sie sich verändert hatte. Nicht vom Körperbau her, nein, er musste nur einen Blick in die Augen werfen, um zu erkennen, dass die andere Seite sie manipuliert hatte.

Da war etwas in ihr.

Und genau das spiegelte sich in den Augen wider. Er hatte das Gefühl, eine Puppe in der Hand zu halten, die lebte. Mit einem Menschen war sie nicht zu vergleichen, aber sie war am Leben, und ihr Körper gab auch eine gewisse Wärme ab.

»Ja, du kommst auch mit. Du wirst dich an den bösen Zeiten erfreuen. Du wirst dann zwischen die Menschen gehen und sie fragen, ob sie mir von ihrem Blut geben. Sie werden es nicht tun wollen, doch du wirst nicht locker lassen und es mir holen. Du musst sie verletzen. Du kannst ihnen sogar die Augen ausstechen, und niemand wird dich daran hindern. Die bösen Zeiten warten auf euch und die Zuschauer.«

Nach diesen Worten musste er lachen. Er freute sich wie verrückt. Er rieb seine Handflächen gegeneinander und stellte sich vor, wie das Blut bei seinen Zuschauern floss. Nur nicht zu viel. Zu einer Panik sollte es nicht kommen, und auch nicht zu einer Massenflucht.

Er wollte ihre Angst erleben. Sie aus den Menschen hervorlocken und die kalte Furcht spüren, die die Herzen der Menschen zusammenpresste.

»Alles wird so werden, wie ich es will. Es hat nie bösere Zeiten gegeben. Weg mit den Märchen, die sind lächerlich. Das wahre Böse ist es, was zählt.«

Und nach diesen Worten griff er zur nächsten Puppe, die er behutsam aus dem Regal holte. Auch die fand ihren Platz auf dem Schreibtisch. Pole hatte sie schon mal als böse Stiefmutter eingesetzt. Sie war abgebrüht und brutal. Sie liebte heimtückische Waffen wie Gift oder den tödlichen Trank. Das natürlich im Spiel, doch in dieser Nacht sollte aus dem Spiel Wirklichkeit werden.

Pole holte noch einige Puppen aus dem Regal, und ganz zum Schluss griff Gerald nach der Figur, die er besonders liebte. Es war der Kasper, dem er tief in die Augen schaute. Er hatte eigentlich lustige Augen, in diesem Fall aber waren sie verschwunden. In den Höhlen lagen kalte Kugeln.

Er sagte nichts. Er tat seine Pflicht. Puppe für Puppe holte er aus dem Regal. Sie legte er nicht mehr auf den Schreibtisch, sondern verstaute sie in einen dafür vorgesehenen Koffer.

Behutsam schloss er den Deckel. Seine Augen leuchteten. Er hatte wieder ein Stück des Wegs hinter sich gebracht.

Einen zweiten Koffer brauchte er nicht. Seine Lieblinge passten alle in einen.

Als er fertig war, hob er den Koffer an und ging mit ihm davon. Niemand sah ihm an, welchen tödlichen Inhalt dieser so harmlos aussehende Mann mit sich herumschleppte. Und genau das hatte er auch so haben wollen …

***

Emma Hill war mittlerweile über fünfzig Jahre alt geworden, und seit sie sich erinnern konnte, hatte sie schon für Puppen geschwärmt. Als junges Mädchen für die verschiedenen Sorten und Arten, wie sie es immer sagte, aber sie hatte keine Puppen gesammelt. Da hätten ihr die strengen Eltern schon etwas anderes erzählt. Es konnte sein, dass sie so etwas als Teufelszeug betrachteten, und da sie sehr fromm waren, mochten sie solche Spielsachen nicht. Puppen, die wie Engel aussahen, schon, aber keine, die auch Böses tun konnten.

An diesem Tag war Emma Hill wieder im Dienst. Sie saß auf ihrem Lieblingsplatz und schaute sich einen Puppenrock an, der an der Seite einen Riss hatte. Ihn wollte Emma flicken. Vielleicht sogar einen gelben Stoffstreifen über den Riss nähen. In der heutigen Abendvorstellung musste sich die Arbeit bewähren.

Sie freute sich auf das Stück. Es war so etwas wie eine Premiere. Gerald hatte ihr nichts über den Inhalt verraten und nur mit seiner sonoren Stimme gesagt: »Lass dich überraschen.«

Darauf wartete sie jetzt. Und natürlich auch auf Pole, der sich mal wieder verspätete. Das kam des Öfteren vor, war aber nie so schlimm, als dass eine Vorstellung ausgefallen wäre.

Die heutige sollte besonders spannend und gruselig werden, mehr hatte der Chef nicht verraten, und jetzt fieberte Emma Hill dem Abend entgegen.

Die Vorstellung war bis auf den letzten Platz ausverkauft. Wer trotzdem noch kam, der musste stehen und zahlte dafür eben weniger Eintritt.

Sie hatte den Rock fertig, zog ihn der Puppe wieder an und stellte sie auf eine Fensterbank. Die Scheibe dahinter war recht klein. Nur wenig Licht sickerte in das Zimmer. Da war es wichtig, dass künstliches von der Decke leuchtete.

Emma hatte sich ziemlich lange in der trockenen Luft aufgehalten. Das machte sich jetzt bemerkbar, denn sie hatte das Gefühl, einen Stein im Mund zu haben. Sie brauchte unbedingt einen Schluck Wasser.

Der Kühlschrank stand nicht weit vom Fenster entfernt. Mineralwasser gab es dort immer, auch jetzt konnte sie unter verschieden großen Flaschen wählen. Sie entschied sich für die kleinste Flasche, öffnete sie und setzte sie an. Das Zeug lief kalt in ihre Kehle. Es erfrischte, es war eine Wohltat, und als sie die Flasche wieder wegstellte, da war sie fast bis zur Hälfte leer getrunken.

Der erste große Durst war gelöscht. Sie würde auch einen zweiten Schluck nehmen, aber später, denn als sie durch das Fenster schaute, sah sie den Van mit Gerald Pole auf den kleinen Parkplatz hinter dem Gebäude fahren.

Hier parkten die Autos der Nachbarn, und jeder hatte seinen Platz. Das war untereinander abgesprochen worden.

Sie schaute zu, wie Gerald Pole ausstieg. Danach holte er seinen großen Puppenkoffer aus dem Wagen. Es gab noch einen kleinen, aber heute hatte er sich für den großen entschieden, und da würden in seinem Stück sicherlich zahlreiche Personen mitspielen. Die Puppen bewahrte er zum größten Teil in seiner Wohnung auf. Dort erschienen sie ihm sicherer.

Jetzt hatte er es eilig. Das entnahm Emma Hill seiner Haltung. Er ging mit langen Schritten und schleppte den Koffer schleifend hinter sich her. Sein Gesicht war von der Anstrengung gezeichnet, das konnte sogar Emma Hill erkennen, die ihren Platz erst verließ, als Pole schon in der Nähe der Haustür stand.

Sie befand sich an der Hinterseite des Gebäudes. Vorn war der Eingang für die Zuschauer. Das kleine Theater war vor vielen Jahren einmal ein Kino gewesen.

Emma Hill wartete in der Diele. Von dort konnte man direkt auf die Bühne gehen. Sie stand neben einem Spiegel und konnte sich sehen, wenn sie die Augen verdrehte.

Sie sah eine Frau mit langen grauen Haaren, die aber gepflegt nach hinten gekämmt waren und dort in einem Pferdeschwanz endeten. Das Gesicht hatte in all den Jahren so gut wie keine Schminke gesehen und sah trotzdem noch recht jugendlich aus. Oder gerade deshalb.

Sie öffnete die Tür, bevor Pole sie erreichte.

»Grüß dich.«

Gerald nickte nur. Er pustete, als er den Koffer über die Schwelle schleppte.

»Was ist los?«

»Wie meinst du das?«

»Du hast so schwer zu tragen.«

»Ich weiß …«

»Und?«

»Es sind die Puppen.«

»Hatte ich mir fast gedacht.« Emma schloss die Tür. »Und was hast du mit ihnen vor?«

»Sie spielen mit heute Abend.«

»Was? Alle?«

»Ja, warum nicht? Es wird eine besondere Aufführung werden, das kann ich dir versprechen. Ich habe ein altes Stück verändert. Der Titel bleibt, und es wird ein Stück voller Überraschungen sein.« Er klatschte in die Hände. »Einmalig.«

Eine derartige Erklärung war für die Frau nicht neu. Es kam hin und wieder vor, dass Pole alles über den Haufen warf, weil ihm eine tolle Idee gekommen war. Dann wurde das Stück auch meistens besser als das, was er eigentlich hätte spielen sollen.

»Und was ist jetzt?«, fragte sie.

Gerald Pole hatte den Koffer nicht losgelassen. Er ging damit auf die Bühne zu. Sie war nicht so leicht zu betreten, weil die Rückseite eines dunklen Vorhangs sie abschirmte.

Er blieb davor stehen. »Ich werde meine Vorbereitungen treffen«, erklärte er.

»Und dann?«

»Werden wir auf die Zuschauer warten. Wie ich hörte, sind wir mal wieder ausverkauft.« Er kicherte. »Die bösen Zeiten ziehen eben viele Menschen an.«

»Da hast du recht.«

»Und die Zeiten werden böse sein«, versprach er. »Dafür werde ich schon Sorge tragen.«

Emma Hill wollte es kaum glauben. »Ist das Stück denn so gruselig geworden?«

»Ach, was heißt gruselig.« Er kicherte wieder. »Es ist gefährlich. Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter. Es ist sogar tödlich«, flüsterte er mit scharfer Stimme. »Ja, tödlich …«

Emma sagte nichts. Sie wollte nicht glauben, dass alles so zutraf, wie Gerald Pole gesagt hatte. Er war zudem ein guter Schauspieler, der Menschen schon Angst einjagen konnte. Das schaffte er normalerweise nicht bei Emma Hill. An diesem Tag sah es anders aus. Da hatte sie den Eindruck, dass mit Pole etwas geschehen war. Äußerlich war er zwar der Gleiche geblieben, aber von ihm strahlte etwas ab, das sich nur schwer beschreiben ließ. Eine gewisse Aggressivität, die er nur mühsam unterdrückte. So hatte ihn Emma Hill noch nie erlebt.

Sie sagte auch nichts mehr und ließ ihn gehen. Sein Ziel war der Durchlass in der Mitte des Vorhangs, und den nahm er, um auf die Bühne zu gelangen.

Emma Hill ging ihm nicht nach. Sie wollte ihn nicht stören. Zudem war er bei seinen Vorbereitungen gern allein.

Er stellte seinen Koffer auf einem Tisch ab. Das sah die Frau noch, dann zog sie sich wieder zurück. Sie war durcheinander. Was sie hier erlebte, das war ihr zwar nicht neu, aber irgendwie schon anders. Und damit hatte sie ihre Probleme.

So weitab vom Schuss wollte sie auch nicht sein. Eine gewisse Neugierde steckte schon in ihr. Es stand fest, dass der Abend etwas Besonderes werden würde, und daran wollte sie teilhaben, und zwar von Beginn an.

Deshalb betrat sie auch die Bühne. Dabei ging sie recht langsam, trat auch leise auf, denn sie wollte den Meister nicht stören, der vor dem recht langen Tisch stand, auf den er auch den Koffer abgestellt hatte. Der Deckel stand offen und der Mann war dabei, seine Puppen hervorzuholen.

Emma schaute zu und hielt dabei die Luft an. Sie schüttelte den Kopf, denn so etwas hatte sie nicht erwartet. Wie oft hatte sie zugesehen, wenn Pole die Puppen aus dem Koffer nahm und sie verteilte, aber so wie heute war es noch nie gewesen.

Er ging behutsam zu Werke. Er fasste seine Lieblinge vorsichtig an und wollte kein Risiko eingehen, dass sie ihm womöglich aus der Hand rutschten. Er legte sie auf den Tisch, und bevor sie das Holz berührten, wurden sie noch gestreichelt.

Emma sah das und schüttelte den Kopf. Sie wunderte sich über seine Handhabungen. Die waren ihr völlig neu. Das Streicheln glich Liebesbeweisen, und so etwas hatte sie bei Pole noch nie beobachtet. Dass er seine Puppen mochte, stand fest, doch nun sah es aus, als hätte er sich in sie verliebt. Dabei spielte es keine Rolle, ob es sich um den Kasper handelte, den Teufel oder Frau Holle.

Jede Puppe streichelte er. Er sprach sie sogar an und lächelte in deren Gesichter. Auch das war nicht normal. So fragte sich Emma, was mit ihm geschehen war.

Er stand hinter dem Vorhang auf der Bühne. Sie hielt sich noch in der Öffnung auf, deren Spalt breit genug war.

Nicht mehr lange. Emma wollte Bescheid wissen. Er sollte ihr die Wahrheit sagen, und nachdem sie diesen Vorsatz gefasst hatte, ging sie auf ihn zu.

Es war ihr gelungen, leise zu sein, und erst als sie den Tisch fast erreicht hatte, machte sie sich durch ein Räuspern bemerkbar.

Das hörte Gerald Pole und zuckte zusammen. Er richtete sich aus seiner halb gebückten Haltung auf – und konnte plötzlich lächeln, als er seine Mitarbeiterin sah.

»Ach, du bist es.«

»Ja, wer sonst?«

»Schon gut.«

Emma trat noch zwei Schritte näher an ihn heran. »Wie ich sehe, bist du schwer beschäftigt.«

»Ja, das muss so sein. Ich kümmere mich um meine Freunde.«

»Das tust du doch immer.«

»Klar, aber heute ist es etwas Besonderes.« Er nickte. »Es wird eine wundervolle Vorstellung werden, das kann ich dir versprechen. Eine, wie du sie noch nie gesehen hast.«

»Meinst du?«, fragte sie leicht spöttisch.

»Ja.«

»Und wieso?«

Er starrte sie für einen Moment an und sagte dann: »Weil sich viel geändert hat, denn jetzt leben meine Lieblinge …«

***

Emma Hill glaubte, sich verhört zu haben. Zuerst hatte sie lachen wollen, doch dann schüttelte sie den Kopf. Sie stand da und wusste nicht, was sie denken sollte. Auch ein Lachen wollte ihr nicht gelingen, dazu war die Sache zu ernst. Sie sah die Entschlossenheit in den Augen des Puppenspielers und musste schlucken. Erst dann konnte sie reden.

»Hast du gesagt, dass sie leben?«

»Ja.«

Emma räusperte sich. »Wir beide sprechen von den gleichen Gestalten? Von den Puppen?«

»So ist es.«

»Ha, und wie können sie leben?«

Gerald Pole verzog den Mund. Dann hob er eine Puppe an und streichelte sie. Es war eine der beiden Vampirpuppen mit ihrem breiten und bleichen Gesicht. Deutlich waren die Zähne zu sehen, die aus dem Oberkiefer ragten.

Emma Hill fiel ein, dass sie die meisten Puppen kannte. Diese aber hatte sie noch nicht gesehen. Und sie fürchtete sich zwar nicht davor, aber die Tatsache, dass sie leben sollte, die machte ihr schon zu schaffen.

Gerald Pole hielt sie ihr entgegen. »Schau sie dir an.«

»Ja, und?«

»Sie lebt.«

»Nein, das tut sie nicht. Das glaubst du doch selbst nicht. Leben ist etwas anderes.«

»Hm, meinst du?«

»Ja.«

»Dann fang sie auf!«

Nach diesem Satz ging alles blitzschnell. Die Puppe flog auf sie zu, und Emma wollte nicht, dass sie im Gesicht getroffen wurde. Rechtzeitig riss sie ihre Arme hoch und schaffte es, die Puppe abzuwehren. Nicht nur das. Bevor sie zu Boden fallen konnte, bekam sie noch einen Zipfel der schwarzen Kleidung zu fassen, und so war es ihr möglich, die Puppe zu halten.

»Schau sie dir an.«

»Das tue ich auch.«

Emma packte sie mit beiden Händen und hielt sie von sich weg. So konnte sie die Puppe am besten anschauen, um herauszufinden, ob Pole recht hatte.

»Sei vorsichtig, ich kann für nichts garantieren.«

»Ja, ja, schon gut.« Emma schüttelte den Kopf. Sie hatte schon eine lässige Antwort parat, als sie die Worte verschluckte, denn ihr war schon etwas aufgefallen.

Die Puppe ließ sich zwar anfassen wie normal, aber sie war es trotzdem nicht. Ihr Körper war wärmer, als würde sie eine gewisse Hitze abstrahlen.

Das war Emma neu.

Sie sprach auch nicht darüber, aber sie erlebte etwas anderes, das sie erschreckte. Noch immer streckte sie die Arme von sich und konnte so das Gesicht perfekt sehen.

Natürlich auch den Mund, und der klaffte plötzlich auf. Zugleich sah sie die beiden Zähne in voller Länge und hörte ein Geräusch, das wie ein Fauchen klang.

Sie hatte es nicht ausgestoßen und der Puppenspieler auch nicht. Es konnte nur eine Erklärung geben. Das Geräusch stammte von der Puppe, und da fiel ihr wieder ein, dass Pole von lebenden Puppen gesprochen hatte.

Jetzt bewegte sich der Vampir in ihrem Griff. Und das so hektisch und wild, dass sie loslassen musste. Darauf hatte der Blutsauger nur gewartet. Er hasste es, in der Klemme zu stecken. Er drehte sich in ihrem Griff, und dann konnte Emma ihn nicht mehr halten. Er glitt ihr aus der Hand und landete vor ihren Füßen auf dem Boden.

Sie war geschockt. Mit einer solchen Reaktion hatte sie nicht gerechnet. Sie hörte Pole lachen, kümmerte sich aber nicht darum, sondern schaute auf den Vampir.

Der blieb nicht liegen. Er reagierte blitzschnell und sprang die Frau an. Die Distanz war kein Problem für ihn. Er klammerte sich im Stoff der Hosenbeine für einen Moment fest und kletterte dann in die Höhe. Er war schnell. Er zog und zerrte am Stoff und hatte ihm Nu die Gürtelschnalle erreicht.

»Sei nur nicht unvorsichtig«, warnte Gerald Pole.

Da löste sich ihr Schock. Plötzlich wusste sie, mit wem sie es zu tun hatte. Ob echt oder nicht echt, das war ihr jetzt egal. Sie musste einfach handeln.

Das tat sie auch.

Sie schmetterte die Puppe zu Boden. Sie wollte, dass sie zerbrach, aber das geschah nicht. Es gab zwar ein komisch klingendes Geräusch, doch die Puppe blieb ganz.

Sie stand und schüttelte den Kopf. Sie riss ihr Maul auf. Die beiden langen Zähne waren gut zu sehen, und Emma Hill wusste nicht, was sie noch unternehmen sollte.

»Das kann doch nicht wahr sein!«, schrie sie Gerald Pole an. »Das ist verrückt!«

»Und auch wahr.«

»Aber wieso?«

»Frag nicht, nimm es hin. Der heutige Abend wird der Wichtigste in meinem ganzen Leben werden. Mich hat die Gnade der Hölle erreicht. Ich bin nicht mehr so wie gestern noch. Ich kann sehen, ich habe ein Wissen bekommen …«

»Aber wieso«, schrie sie dazwischen, »wieso ist es möglich, dass sich Puppen bewegen?«

»Magie, meine Liebe. Die Magie der Hölle. Der Teufel hat sich auf meine Seite geschlagen. Er hat das Potenzial in mir gesehen, und ich bin ihm dafür sehr dankbar.«

Emma Hill sagte nichts. Sie schwieg und schüttelte den Kopf. Aber ihre Augen waren in Bewegung. Sie suchte nach weiteren Beweisen, die sie nicht bekam.

Dennoch glaubte sie daran, dass Gerald Pole die Wahrheit gesagt hatte. Es konnte für dieses Phänomen keine andere Erklärung geben. Begriffe wie Magie und Teufel, die Pole benutzt hatte, schossen ihr durch den Kopf, und dann dachte sie daran, dass Gerald Pole schon immer einen Hang in diese Richtung gehabt hatte. Er hatte an die Hölle geglaubt und auch daran, dass sie in der Lage war, vieles möglich zu machen.

Nun hatte er den Beweis.

Und ich habe ihn auch!, dachte Emma und ging zugleich davon aus, dass sie in der Klemme saß. Sie konnte jetzt nicht weg. Außerdem würde Pole sie nicht weglassen. Sie war eine Zeugin, und bestimmt wurde sie noch gebraucht.

Beide schauten sich an.

Beide atmeten schwer.

Aber nur auf Poles Gesicht erschien ein faunisches Grinsen. »Du hast die Wahrheit gut erkannt, Emma. Auch schon sehr schnell. Und es gibt für dich kein Zurück. Du wirst bei mir bleiben.«

»Habe ich etwas anderes gesagt?«, flüsterte sie.

»Gedacht.«

»Aha, das weißt du?«

»Ja. Ich kann zwar keine Gedanken lesen, aber als Mensch muss man so reagieren. Heute Abend werde ich ein Zeichen setzen. Über meine heiß geliebten Puppen werde ich es tun …«

»Und wie soll das geschehen?«, fragte Emma Hill flüsternd.

Die Haltung des Puppenspielers versteifte sich. »Indem Blut fließen wird. Ja, das Blut der Menschen. Ich schicke meine Puppen unter sie. Schau sie dir an, wenn du willst …«

»Nein, nein, ich kenne sie schon.«

»Aber viele sind neu. Ich konnte ihnen Waffen geben, mit denen sie ein Zeichen setzen werden. Ich schicke meine Mörderpuppen los. Ich zeige den Menschen, wozu die Hölle fähig ist. Der Teufel hat mich eben erhört.«

Emma Hill hatte jedes Wort verstanden. Und plötzlich konnte sie es glauben. Ja, sie brauchte nur einen Blick auf die Puppen zu werfen, die Pole aus dem Koffer genommen hatte. Da stimmte dann alles, denn es gab keine unter ihnen, die sich nicht bewegte.

Manche lagen auf dem Rücken. Andere auf der Seite. Wieder andere Puppen saßen und bewegten dabei ihre Köpfe, als würden sie nach etwas suchen.

Emma Hill verstand die Welt nicht mehr. Sie wusste auch nicht, was sie noch sagen sollte. Innerlich kochte sie, aber ihr Körper selbst fühlte sich kalt an.

Sie wandte sich ab. Jetzt konnte sie in den Zuschauerraum sehen. Dort standen die zahlreichen Stühle in mehreren Reihen. Sie waren nicht fest am Boden verankert. Man konnte noch an den Seiten stehen, was auch bestimmt passieren würde.

Emma wollte nicht, dass Gerald Pole ihr Gesicht sah. Zu viel ging ihr durch den Kopf, und das spiegelte sich auch in ihrem Gesicht wider. Sie hatte nicht vergessen, was er ihr gesagt hatte. Und das war sehr schlimm gewesen. An diesem Abend sollte das Blut der Zuschauer fließen. Das hieß nichts anderes, als dass die Puppen auf die Zuschauer losgehen würden. Und zwar mit Waffen, die man ihnen gegeben hatte.

Keine Pistolen, die waren zu groß und zu schwer. Messer taten da besser ihre Pflicht.

Was tun? Was kann ich tun? Soll ich fliehen? Soll ich noch hier bleiben?

Eine Flucht zog sie zwar in Betracht, aber das würde ihr wohl kaum gelingen. Sie hatte Gerald Pole nicht als einen gewalttätigen Menschen erlebt, doch dazu würde er werden, wenn sie versuchte, von hier zu verschwinden.

Und so entschied sie sich zu bleiben. Auch aus Sorge um die Menschen, die bald hier eintreffen würden, um die kleine Show zu erleben.

Gerald Pole hatte jetzt auch die letzten Puppen aus dem Koffer geholt und sie auf dem Tisch verteilt. Dahinter stand ein Sessel mit hoher Lehne. Er war mit schwarzem Samt bezogen, und wenn jemand darin saß, machte er einen schon bedrohlichen Eindruck.

Gerald Pole war noch nicht fertig mit seinem Aufbau. Er trat nahe an die Vorderseite des Vorhangs heran, öffnete sich eine Lücke und winkte Emma zu.

»Hilf mir bei den Regalen.«

»Ist gut.« Sie hatte große Mühe, ein Zittern am Körper und in ihrer Stimme zu unterdrücken. Pole sollte nicht merken, wie es ihr wirklich ging. So half sie ihm dabei, die Regale auf die Bühne zu schieben. Sie waren schmal und recht hoch. Vier Fächer gab es in jedem. Dort würden die Puppen ihre Plätze finden.

Zu beiden Seiten des Tisches wurden sie aufgestellt. Dann holte Gerald Pole seine Puppen und stellte sie in die Regale. Die Frau brauchte ihm nicht zu helfen. Er hatte seine eigene Ordnung.

Sie schaute zu.

Dabei warf sie einen Blick auf die Uhr. Noch knapp eine halbe Stunde, dann konnte die Show beginnen.

Alles war abgestimmt. So kannte sie es. Die Shows liefen immer gleich ab.

Heute aber nicht. Nein, nicht an diesem Abend, denn da würden bösen Zeiten beginnen.

»Und was soll ich tun?«, fragte sie.

»Nichts.«

»Ach, nicht helfen?«

»So ist es. Oder nur, wenn ich es dir sage. Ansonsten hältst du dich zurück.« Er nickte und sagte: »So, und jetzt werden wir es wie immer machen. Wir kümmern uns um die Beleuchtung. Diesmal aber wird sie anders als sonst eingesetzt.«

»Und wie?«

»Das werde ich dir gleich erklären …«

***

Wir hatten für den Abend unseren Job. Suko hatte seine Shao überreden können, mitzukommen, und Glenda war sowieso dabei.

Auch wenn es auf der Karte nah aussieht, in London sind die Wege nie so nahe. Allein der Verkehr sorgte dafür, dass man sich auf längere Fahrzeiten einstellen musste.

Das war uns auch so ergangen. Wir hatten eigentlich vor Beginn der Vorstellung noch etwas essen wollen, aber dafür war es dann zu spät.

So waren wir froh, dass wir durchkamen.

Shao war noch immer nicht so richtig davon überzeugt, dass wir etwas reißen würden. Sie konnte sich auch nicht vorstellen, dass alles das zur Wahrheit werden würde, was wir befürchteten. Suko hatte sie zwar über die Aktivitäten des Teufels aufgeklärt, der seine Engel in die Welt schickte, aber mehr auch nicht. Shao sollte sich später ihr eigenes Bild machen können.

Das Theater lag in einer nicht eben belebten Gegend. Wer es fand, der war auch Fan von dem, was er auf der Bühne zu sehen bekam. Die Gebäude um das Theater herum gehörten zu einer ehemaligen Eisenwarenfabrik, waren innen aber umgebaut worden und boten zahlreichen Künstlern Platz.

Auf diesem Gelände lag auch das kleine Theater. Ein wenig abseits zwar, aber es war gut zu erreichen. Und es gab einen kleinen Parkplatz, auf dem wir den Rover abstellen konnten. Da hatten wir Glück. Die meisten Zuschauer waren ohne Fahrzeug gekommen. Und wenn mit, dann verließen sie sich auf Fahrräder oder Roller.

Das Gebäude war recht klein. Auch in der Dunkelheit sahen wir, dass es aus Backsteinen bestand. Es gab eine offene Eingangstür, aus der Licht ins Freie fiel.

Wir gehörten nicht zu den ersten Gästen. Dafür reichte ein schneller Blick. Das Publikum war gemischt.

Glenda und ich gingen vor. Sie hatte sich bei mir eingehakt und fragte: »Was hast du für ein Gefühl?«

»Keine Ahnung.«

»Wieso?«

»Ich warte ab.«

»Du enttäuschst mich, John.«

»Ach, sag nur.«

»Ja. Sonst bist du immer voll dabei. Da verlässt du dich auf dein Bauchgefühl. Aber jetzt …«

»Lasse ich alles auf mich zukommen«, vollendete ich den Satz.

»Wie du meinst.«

Ich schob noch eine Erklärung nach. »Ich weiß einfach zu wenig.«

»Aber wir kennen die Hintergründe.«

»Schon, nur bringt uns das nicht weiter. Und nicht näher an Asmodis heran.«

»Stimmt auch wieder«, gab Glenda zu.

Am Eingang entstand ein wenig Gedränge. Wir mussten warten und gingen den Rauchern aus dem Weg. Dann kamen wir durch und befanden uns in einem nicht besonders großen Foyer, dessen Wände bunt bemalt waren. Das stammte noch aus alten Zeiten. Da hatte ein Maler versucht, die Leinwandgrößen in diesem Vorraum abzubilden. Es war ihm teilweise sogar gut gelungen. Alle Achtung.

Eine in die Wand integrierte Kassenzelle gab es auch. Sie war bis jetzt besetzt gewesen. Als wir kamen, wurde sie geschlossen. Eine Frau mit langen grauen Haaren zog ein Rollo davor.

Es war gut, dass wir sie gesehen hatten. Jetzt wussten wir auch, an wen wir uns wenden konnten.

Ich nickte ihr freundlich zu und sprach sie mit einem neutralen: »Hallo!« an.

Sie war in der Bewegung. Jetzt blieb sie stehen und zuckte leicht zusammen.

»Bitte?«

Ich räusperte mich kurz. Glenda war schneller. »Wir brauchen eigentlich noch vier Karten, weil unsere beiden Freunde auch mitgekommen sind. Ist das möglich?«

Die Grauhaarige sagte erst mal nichts. Sie schaute uns an, und wir sahen in ihre Augen.

Sie gefielen mir nicht. Das war kein klarer Blick. Das war ein sehr ängstlicher, beinahe schon ein warnender. Zudem schüttelte sie den Kopf.

»Nichts mehr?«, fragte Glenda.

»Jeder Stuhl ist besetzt.«

»Wir müssen nicht sitzen«, sagte ich.

»Aha.« Der Blick der Frau änderte sich. »Okay, wenn Sie wollen. Stehplätze sind noch frei. Sie müssen sich dann in den Hintergrund stellen, das heißt hinter die Stühle.«

»Versteht sich. Und wie müssen wir zahlen?«

»Gar nicht. Ich habe die Kasse schon geschlossen. Sie haben freien Eintritt.«

»Das ist sehr großzügig.«

»Vergessen Sie es.«

Die Frau wollte sich abwenden, was Glenda nicht zuließ. Sie hielt sie am Arm fest.

»Bitte …«

»Was ist denn noch?«

»Nur für einen Moment.«

Die Grauhaarige nickte, wich unseren Blicken allerdings aus und hörte sich Glendas Frage an.

»Wie wird die Show ablaufen? Können Sie uns da vielleicht etwas sagen?«

»Kennen Sie nicht den Titel?«

»Doch«, sagte ich. »Böse Zeiten.«

»Genau die, Mister. Dann sollten Sie sich mal auf böse Zeiten einstellen, wie auch immer.«

»Wie meinen Sie das denn?«

»Das werden Sie schon noch erleben. Stellen Sie sich darauf ein, das Unglaubliche als Realität präsentiert zu bekommen. Dann liegen Sie genau richtig.«

»Können Sie keine Einzelheiten sagen?«

»Kann und will ich nicht.« Die Frau wollte auch nicht länger mit uns sprechen. Sie drehte sich um und verließ das Foyer durch eine Seitentür.

Der Theaterraum war einsehbar. Die Stühle standen dort in Reih und Glied. Es gab auch so etwas wie eine Bühne, aber sie war nicht einsehbar. Ein schwerer schwarzer Vorhang nahm uns den Blick.

Der Klang einer Stimme schwebte plötzlich über unseren Köpfen. Die sonore Stimme eines Mannes sprach uns als liebe Gäste an und bat uns, doch unsere Plätze einzunehmen.

»Und wo sollen wir hin?«, fragte Glenda.

»Wir stellen uns an die rechte Seite.«

»Und wir nehmen die linke.« Hinter uns hörte ich Sukos Stimme, die sehr leise gesprochen hatte. Eigentlich sollte niemand wissen, dass wir zusammengehörten.

Ich drehte mich um. Suko stand dort und lächelte mich an. Shao war ebenfalls da. Ein Blick in ihr Gesicht reichte aus, um zu erkennen, dass ihr der Einsatz nicht passte.

Ich nickte. »Abgemacht.«

»Und? Habt ihr schon etwas herausfinden können?«

»Nein.«

»Man sieht auch nichts«, sagte Shao.

Da hatte sie recht. Es war nicht viel zu sehen. Nur die Stühle, der schwarze Vorhang und ein paar Lichter, deren Strahlen in verschiedene Richtungen zeigten.

Allmählich nahmen die Zuschauer ihre Plätze ein. Die Stühle wurden besetzt. Jeder konnte sich hinsetzen, wo er wollte, nur wir standen im Hintergrund.

Shao und Suko zogen sich zurück und gingen auf die andere Seite, wo sie stehen blieben und sich gegen die Wand lehnten, um es ein wenig bequemer zu haben.

Glenda stieß mich an. »He, was ist los? Welch ein Gefühl hast du? Sind wir hier falsch oder richtig?«

»Eher richtig.«

»Das ist okay.«

»Ich warte nur auf Gerald Pole und bin gespannt, wen wir da präsentiert bekommen.«

»Ich auch.«

Noch mussten wir warten. Die Show würde erst beginnen, wenn auch der letzte Zuschauer seinen Platz eingenommen hatte.

Dann ging ein Scheinwerfer an und zerschnitt die Dunkelheit. Wohl niemand hatte die Bewegung des Vorhangs mitbekommen, auch ich nicht.

Und dann sah ich ihn.

Der Strahl konzentrierte sich auf Gerald Pole, der an einem langen Tisch Platz genommen hatte …

***

Normalerweise wird geklatscht, wenn der Hauptdarsteller erscheint. In diesem Fall passierte das nicht. Er war da, er saß auf seinem Stuhl, wobei sein Kopf und der Oberkörper im Licht gebadet wurden. Jeder sah ihn. Und jeder sah auch das schwarze Haar, den ebenfalls schwarzen Bart – ja, das war’s eigentlich.

Gerald Pole war ein Mensch. Danach sah er auch aus, aber ich wurde den Eindruck nicht los, von seinen Augen oder seinen düsteren Blicken angezogen zu werden.

Er sagte noch nichts. Er bewegte nur seine Augen und schien jeden Zuschauer abtasten zu wollen. Das ging über Sekunden so, dann nickte er und lächelte.

Jetzt fing er auch an zu sprechen. »Es gibt Theaterchefs, die träumen ihr gesamtes Berufsleben davon, mal das zu erleben, was ich hier präsentieren kann. Eine ausverkaufte Vorstellung, und das nur dank Ihres großen Interesses. Ein herzliches Dankeschön dafür.«

Das war natürlich was für die Zuschauer. Sie wurden gelobt und spendeten brav Beifall.

Der Puppenspieler nahm es lächelnd zur Kenntnis. Seine Blicke waren immer unterwegs, und mir kamen sie vor, als suchte er nach etwas Bestimmtem.

Die Zuschauer sprachen nicht. Sie lauschten den weiteren Worten des Puppenspielers.

Glenda gingen die Worte auf den Geist. »Sollen wir ihn nicht fragen, was das soll, John?«

»Es ist seine Party.«

»Ja, das weiß ich. Trotzdem könnte er sich beeilen.«

»Das musst du schon ihm überlassen.«

Glenda murrte etwas und meinte dann: »Ich weiß nicht, wie das enden wird. Bisher ist es langweilig.«

»Dann warte mal ab.«

»Muss ich wohl.« Glenda grinste, und ich dachte daran, dass ihre letzten Worte nicht so gemeint waren.

Der Puppenspieler legte eine kurze Pause ein, dann fing er an, über Puppen im Allgemeinen und Besonderen zu sprechen, wobei keiner der Zuschauer eine Puppe zu Gesicht bekam.

»Puppen«, rief er, »Puppen sind etwas Wunderbares. Ich denke nur daran, wenn sie sich bewegen. Das haben wir ja bei Marionetten, und ich kann nur immer wieder bewundern, mit welcher Grazie sie über kleine Bühnen schreiten.« Er lachte. »Verzeihen Sie mir meine Ausführungen, ich bin eben nicht objektiv. Das ist wohl jeder Mensch, der ein Hobby hat – oder?«

Pole wartete darauf, dass er Zustimmung erhielt, und die gab es tatsächlich für ihn. Einige nickten, andere gaben ihm halblaut recht.

»Und wann kommen die Puppen?«, flüsterte Glenda.

»Warte mal ab. Die kommen schon noch.«

»Da bin ich gespannt.«

Als hätte Pole unsere Worte gehört, fing er wieder an zu sprechen. Natürlich ging es um das Thema, aber er beließ alles noch im Dunkeln, und das im wahrsten Sinne des Wortes. Dann sprach er von Ebenbildern, die Menschen sich schon immer gern geschaffen hätten.

»Nicht nur früher. Das ist bis in die heutige Zeit geblieben. Es sind nicht nur die Mädchen, die mit ihren Puppen spielen, nein, auch Jungen oder Erwachsene haben Freude daran. Dabei müssen es dann schon besondere Puppen sein. Ihr seid hergekommen, ihr wollt sie sehen. Ihr wollt sie im Spiel erleben. Vielleicht einen erwachsenen Kasper, der es mit Hexen und anderen Dämonen aufnimmt. Wer das denkt, den muss ich enttäuschen. Es geht um keine Geschichte, die hier aufgeführt werden soll, es geht einzig und allein um die Puppen. Sie sind der Mittelpunkt. Ja, nur sie. Ich werde Ihnen zeigen und beweisen, dass Puppen etwas Besonderes sind, und das auch für uns Erwachsene, deshalb sind wir ja hier.«

»Nein, das stimmt nicht!«, rief jemand. »Wir sind gekommen, um ein Stück zu sehen. Böse Zeiten. So haben wir es gelesen. Ein Stück für Erwachsene.«

»Ja, mein Freund, Sie haben recht.«

»Nach Ihren Worten oder Erklärungen aber nicht.«

»Das ist ein Irrtum. Wir stecken schon mitten drin in diesem Spiel. Es ist alles klar, ich muss nur noch zwei, drei Sätze zum Besten geben, dann haben wir es geschafft.«

»Beeilen Sie sich.«

»Danke für den Rat.«

Einige Zuschauer lachten. Glenda und ich lachten nicht. Mich interessierte auch nicht so sehr, was dieser Gerald Pole sagte, ich versuchte, die Dunkelheit zu durchdringen, weil ich sehen wollte, wo sich die Puppen befanden. Ich hatte den Mönch nicht vergessen und wurde von Glenda angestoßen, um dem Puppenspieler zuzuhören.

»Und wie oft haben sich Kinder oder Erwachsene gewünscht, dass ihre Puppen lebendig sind. Das war ihr Traum. Davon haben sie geträumt, auch ich, das gebe ich gern zu. Aber mir ist es gelungen, den Traum wahr werden zu lassen …«

Er war raffiniert, ließ seine Worte ausklingen und wartete darauf, ob jemand etwas sagte.

»Wieso?«, rief eine Frau. »Wollen Sie uns erzählen, dass wir es gleich mit lebenden Puppen zu tun bekommen?«

»Ja, Madam, genau.«

»Sie übertreiben. Sie sind doch irre.«

»Nein, wieso?«

»Weil es so etwas nicht gibt.«

»Wetten doch?«

Die letzten beiden Worte waren scharf gesprochen worden, und nicht wenige hatten sich erschreckt. So stark, dass sie nichts mehr sagten und es wieder still wurde.

Das gefiel Gerald Pole. Er stand noch immer im Zentrum, sein Gesicht war vom Scheinwerferlicht aus der Dunkelheit gerissen worden, und ich sah wieder sein Grinsen.

Einen Moment später wanderte der Strahl. Er blieb in der Höhe des Tisches, und die Hand des Puppenspielers geriet in den hellen Fleck hinein.

Dort griff sie nach einem Gegenstand. Es war eine Puppe.

Es war sogar der Kasper. Ein netter Mensch, der immer gute Laune hatte, eine Zipfelmütze trug und ein grünes Wams anhatte. Er stand breitbeinig im Licht. Jeder konnte sein Gesicht sehen, und das blieb auch uns nicht verborgen.

Der Kasper war immer eine Figur mit einem breiten Mund, der zu einem Lächeln verzogen war. Seine Augen schimmerten. Er schien den Menschen Spaß bringen zu wollen und Gerald Pole lachte auf, bevor er wieder etwas zum Besten gab.

»Das ist der Kasper. Er wird euch gleich besuchen. Oder ihr könnt auch zu ihm kommen. Wie wär’s mit der netten Lady, die mir so viele Fragen gestellt hat? Wollen Sie nicht ausprobieren, ob der Kasper hier am Leben ist?«

»Quatsch.«

»Probieren Sie es aus, bitte.«

Jetzt meldeten sich auch zwei andere Zuschauer. Sie trieben die Frau an das Licht.

»Los, Kate, das schaffst du.«

Stühle wurden gerückt. Wenig später erschien der Umriss einer Frau, die lange Haare hatte, Jeans und einen Pullover trug. Sie erreichte den Tisch, sah den Kasper und beugte sich vor, um mit ihren Händen nach ihm zu fassen.

Das schaffte sie auch und hob die Figur an.

»Halt!«, rief Gerald Pole.

Sie stoppte.

»Was spüren Sie?«

»Ich weiß nicht.«

»Los, konzentrieren Sie sich. Sie müssen doch etwas spüren …«

»Warum denn?«

»Weil das so ist.«

»Klar.« Die Frau nickte. »Ich spürte auch was. Den Umriss der Puppe, und dann – dann – ist der Körper so anders.«

»Aha.« Pole lachte. »Wie anders denn?«

»Weiß nicht.«

»Doch, das wissen Sie.«

»Ja, gut, das weiß ich.« Sie hechelte mehr, als dass sie sprach. »Ich weiß es, und ich sage allen, dass der Kasper, dass der Kasper …« Sie kicherte jetzt und konnte sich nicht mehr halten. Lachend fiel sie nach vorn auf den Tisch.

»Was ist denn mit deinem komischen Kasper?«, rief jemand.

»Es geht um seinen Körper.«

»Wissen wir bereits.«

»Er ist warm.«

»Auch das noch.«

»Ja, er ist tatsächlich warm, und ich sage euch, dass ich damit nicht gerechnet habe.«

Die Zuschauer waren still. Nicht aber Gerald Pole. Er beugte seinen Kopf weit vor.

»Sprechen Sie es aus, Lady. Los, sprechen Sie es schon aus. Sie müssen sich nicht fürchten.«

»Gut.« Sie nickte und keuchte. »Gut, dann sage ich es. Der Kasper hier ist aus Holz. Aber er lebt …«

***

Genau die Szene hatte Gerald Pole haben wollen. Er saß auf seinem Platz und warf die Arme in die Höhe, denn er musste einfach jubeln. Jetzt sah er sich bestätigt, und er lachte in die angespannte Stille hinein.

»Ihr habt es gehört. Diese Frau hat es euch bestätigt. Die Puppe lebt, und ich sage euch, dass sie nicht die Einzige ist. Alle meine Puppen leben. Sie leben in einem besonderen Zustand, denn das Leben hat ihnen der Teufel oder auch die Hölle eingepflanzt. Die Geschöpfe des Teufels haben sie besucht und sie für sich eingenommen. Es ist einfach nur wunderbar, und ich bin ihr Chef. Wir werden gemeinsam neue Wege gehen, denn ich stehe unter ihrem Schutz, so wie sie unter meinem Schutz stehen. Ihr könnt es euch überlegen, ob ihr euch uns anschließen wollt. Ich habe nichts dagegen, aber dann müsst ihr vieles über Bord werfen und an die Hölle und den Teufel glauben und ihn auch anbeten. Es bleibt euch überlassen.«

Die Zuhörer waren zum größten Teil geschockt. Aber nicht alle, einige standen auf. Sie kamen noch nicht nach vorn, und es war auch niemand da, der Licht einschaltete, alles spielte sich noch im Dunkeln ab.

»Dieser Pole erzählt nur Mist. Scheiße, nicht mehr, ich höre mir diesen Quatsch nicht mehr länger an.«

»Okay, hauen wir ab.«

Gerald Pole lachte wieder, und einen Moment später stieß er einen Befehl aus.

»Sie bleiben!«

»Wollen Sie uns hier festhalten?«

»Das könnte ich. Aber es ist nicht nötig. Es gibt andere, die das erledigen werden.«

Es gefiel mir ganz und gar nicht, dass dieser Fall so ausuferte. Ich hatte mit einem anderen Vorgang gerechnet. Dieser Gerald Pole sicherlich auch, aber das Schicksal war gegen ihn gewesen, und so musste er umdenken.

Auch mich ärgerte es, dass wir so wenig Licht hatten. Zum Glück trug ich meine Lampe bei mir. Sie würde ich einsetzen müssen, aber zunächst brauchte ich sie nicht, denn nahe des Puppenspielers war genügend Licht, aus dem jetzt die Frau mit dem Kasper verschwand.

Ich hatte freie Bahn.

Das dachte ich. Glenda wollte noch etwas sagen, aber ich lief schon los und genau in einen Schrei hinein, den eine Frau abgegeben hatte. Es war immerhin so hell, dass ich die Frau erkannte. Es war die, die den Kasper genommen hatte. Den hielt sie noch immer in der Hand, aber nicht weit von ihrem Gesicht entfernt. Und aus der linken Wange der Frau quoll Blut aus einer klaffenden Wunde.

Was da passiert war, erfasste ich innerhalb einer einzigen Sekunde. Die Figur musste sie in die Wange gebissen haben. Selbst hatte sie sich die Wunde bestimmt nicht beigebracht. Die Frau war erstarrt. Sie wusste nicht, was sie noch unternehmen sollte, und sie schaffte es auch nicht, die Hand mit dem Kasper zur Seite zu drücken, um ihn daran zu hindern, erneut zuzubeißen.

Darüber dachte ich in diesen Augenblicken nicht näher nach, ich wollte die Frau retten und schnellte aus dem Stand auf sie zu. Meine Faust erwischte den Kasper. Der Arm der Frau sackte nach unten, die Figur ebenfalls, und ich riss sie ihr aus der Hand.

Jetzt war die Puppe meine Beute. Mit einer Hand umschlang ich sie und spürte etwas Besonderes. Dieser Körper gab eine bestimmte Wärme ab, die für ihn nicht normal war. Ich spürte unter der Masse das schwache Vibrieren, als hätte dort jemand einen Motor angestellt.

Wer oder was war diese Puppe?

Ich kam nicht mehr dazu, näher darüber nachzudenken, denn der Kasper wehrte sich. Er zuckte in meinem Griff. Er suchte nach einer Gelegenheit, um mich beißen zu können. Um seinen Mund herum war noch das Blut der Frau verschmiert.

Ich hob meine Hand. Dann schleuderte ich den Kasper zu Boden. Ich wollte ihm die Knochen brechen, was nicht möglich war, da er keine hatte.

Dafür sah ich etwas anderes. Er rollte sich um die eigene Achse, und er bewegte dabei seine Arme. Man konnte sagen, dass er auf eine bestimmte Art und Weise lebte.

Das war Magie. Das war die Handschrift des Teufels. Und ich reagierte genau gegensätzlich. Während um mich herum die Menschen tobten und die Schreie gellten, blieb ich so etwas wie ein ruhender Pol in all dem Chaos.

Ich verließ mich auf mein Kreuz. Dabei hoffte ich, dass der Kasper nicht floh und in meiner Nähe blieb.

Das Kreuz lag schnell in meiner Hand, es würde mir den exakten Beweis bringen, ob die kleine Puppe wirklich zur anderen Seite gehörte.

Sie schaute mich an – und sie griff an!

Plötzlich sprang sie in die Höhe, und ich wunderte mich über die Sprungkraft der kleinen Gestalt. Ich schaute dabei in das verzerrte Gesicht des Kaspers, das seine Starre verloren hatte.

Dann trafen Kreuz und Figur zusammen.

Es war perfekt. Einen geringen Laut hörte ich, dann fiel der Kasper zuckend zu Boden. Er landete auf dem Rücken, aber diesmal bewegte er sich nicht mehr.

Er blieb liegen.

Ich schaute nach.

Dann sah ich, was das Kreuz ihm angetan hatte. Der Körper des Kaspers glühte von innen her auf. Er schien zu einem kleinen Ofen geworden zu sein, aber der zeigte nicht lange seine Glut. Sie fiel sehr schnell in sich zusammen, und ich unternahm einen anderen Versuch, ich drückte meinen Fuß auf die Gestalt.

Es gab keinen Widerstand mehr. Ein leises Knacken hörte ich noch, dann war es vorbei, und als ich genauer hinschaute, da lag Asche unter meine Sohle.

Das Kreuz hatte ganze Arbeit geleistet, und ich wusste jetzt, dass die Puppen zur anderen Seite gehörten, ebenso wie dieser Gerald Pole, der alles unter Kontrolle hielt.

Auch jetzt?

Davon konnte keine Rede sein. Durch meine eigene Aktion war ich von dem gesamten Geschehen etwas abgedrängt worden. Es war ja nicht nur die eine Puppe, die losgeschickt worden war, um sich auf die Menschen zu stürzen, es gab auch andere, und die wollten an die Menschen heran. Es sah lächerlich aus, denn sie alle waren nicht besonders groß, aber durch ihre Kraft und auch durch die Waffe, die sie trugen, waren sie tödlich gefährlich.

Das Licht war geblieben. Es gab der gesamten Szenerie eine gespenstische Atmosphäre. Die hellen Streifen waren schmaler, der größte Teil der Umgebung blieb im Dunkeln. Aber immer wieder erschienen die Gesichter der Menschen für einen Moment in der Helligkeit und tauchten dann wieder ab.

Es wäre normal gewesen, wenn die Besucher die Flucht ergriffen hätten. So war es denn auch, aber nicht alle kamen so weg, wie sie es sich vorgestellt hatten. Ein Großteil hatte Probleme. Die Leute mussten sich um die Angreifer kümmern und konnten nicht an Flucht denken.

Auch ich wurde wieder attackiert. Gleich von zwei Seiten huschten sie heran. Als sie durch den Lichtstrahl glitten, sah ich für einen Moment die großen Gesichter, und dabei fielen mir die hellen Zähne auf, die aus dem Oberkiefer ragten. Sie waren nicht nur hell und lang, sondern auch spitz, und so konnte man bei ihnen von Vampirzähnen sprechen.

Für einen Moment sah ich Glenda Perkins. Sie hielt eine Puppe umklammert, bei der die hellen Zöpfe auffielen. Eine Waffe hielt die Puppe nicht in der Hand.

Sie versuchte aber, Glenda zu beißen, was diese nicht zuließ, denn sie drehte den Kopf noch rechtzeitig genug zur Seite. Ich wollte ihr schon helfen, aber es war nicht mehr nötig.

Glenda lachte auf.

Dann schlug sie den Kopf der Puppe hart auf den Tisch, warf sie zu Boden und trat darauf.

Suko und Shao mussten auch noch irgendwo sein, ich nahm mir die Zeit und schaute mich um. Es war mehr ein Zufall, dass ich die beiden in Aktion sah. Sie waren damit beschäftigt, den Menschen den Weg zur Tür freizuhalten. Es war nicht einfach, weil die Puppen immer wieder angriffen. Nicht wenige Zuschauer bluteten, weil sie bereits angegriffen worden waren, aber niemand war so schwer verletzt, dass es ernst um ihn gestanden hätte.

Der Angriff erwischte mich von zwei Seiten. Die beiden Blutsauger hatten es auf mich abgesehen. Um beide zusammen konnte ich mich nicht kümmern, so nahm ich mir die rechte Vampirpuppe vor.

Sie hatte mich getäuscht. Anstatt mich anzuspringen, war sie auf den Tisch gesprungen. Von dort stieß sie sich ab, breitete die Arme aus und flog auf mich zu.

Ich erwartete sie.

Sie flog – und sie prallte gegen mich. Allerdings nicht gegen meinen Körper, sondern gegen meine vorgestreckte Hand, in der ich das Kreuz hielt.

Ich hörte das Geräusch, ich spürte den Ruck in meiner Hand, dann fiel die Puppen mit flatternder Kleidung nach unten und landete vor meinen Füßen auf dem Boden.

Eine kurze Berührung mit dem Kreuz hatte ausgereicht, um ihr den Rest zu geben. Das Böse in ihr war erloschen, der Körper rieselte als Asche auf den Boden.

Und die zweite Puppe?

Sie wollte fliehen. Wohin, das wusste ich nicht. Es war mir nicht egal, ich wollte sie nicht entkommen lassen und schaffte es, sie mit einem Tritt zu erwischen.

Die Puppe rutschte über den Boden und wäre unter dem Tisch verschwunden, hätte ich sie nicht im letzten Augenblick durch einen schnellen Schritt stoppen können.

Ihr Kopf ruckte hoch.

Ich sah von oben her in das Gesicht, das dem der ersten Puppe sehr glich.

Ich wollte meine Silberkugeln schonen. Das Kreuz tat ebenso seine Pflicht. Die Vampirpuppe wollte Blut, das war einfach so. Deshalb vergaß sie alle Vorsicht, und sie zerrte sich mit ihren Krallen an meinem Hosenbein hoch.

Bis zum Gürtel ließ ich sie kommen. Dann schnappte ich sie mir. Ich klemmte ihr bei meinem Griff die Arme gegen den Körper und drosch den Kopf auf die Tischkante.

Es war kein Schrei zu hören, aber der breite Schädel zeigte sich leicht deformiert. Der Mund zuckte auf, schloss sich dann wieder, zuckte erneut auf, als wollte er mir beweisen, dass seine beiden Blutzähne noch vorhanden waren.

Er biss sogar zu.

Ich ließ ihn beißen – und sorgte dafür, dass sein Biss mein Kreuz traf. Das war sein Ende. Im ersten Augenblick glaubte ich, dass er in eine Art Totenstarre gefallen war. So ähnlich musste es auch gewesen sein, denn er tat nichts mehr.

Die Kraft des Kreuzes vernichtete ihn. Seine Gestalt wurde zerrissen, es sah aus, als würde er zu Staub werden, aber es konnten auch Sägespäne sein, denn er zerfiel förmlich vor meinen Augen.

Das war’s!

Aber war es auch der letzte Angreifer gewesen? Ich blickte mich um, aber ich sah nichts, was mir hätte gefährlich werden können. Es gab keine Puppe mehr, die es auf mich abgesehen hatte. Sie waren verschwunden oder auch vernichtet. So genau wusste ich das nicht.

Und die Menschen?

Ich dachte auch an Glenda, Shao und Suko. Leider gab es weiterhin nur diesen Lichtstrahl, der mir aber den Blick auf den Ausgang freigab. Und dort stand Glenda Perkins. Ich strahlte sie mit meiner Lampe an. Sie wurde geblendet und winkte mir trotzdem zu.

Ich ging zu ihr.

Glenda nickte. Dabei schaute sie auf ihren rechten Handrücken. Dort malte sich ein Blutfaden ab.

»Alles klar?«, fragte ich.

»Schon in etwa, John.«

»Was heißt das?«

»Shao, Suko und ich haben es geschafft, die Zuschauer aus dem Raum zu bekommen. Aber nicht nur die. Auch die Puppen, und es gab keine, die nicht gelebt hätte.«

»Habt ihr sie nicht vernichtet?«

»Jein.«

»Das heißt, es steht nicht genau fest.«

Glenda drehte sich um und schaute zurück. »Ja, so kann man es nennen. Sie sind uns ja nachgelaufen. Im Vorraum hat es dann den Terror gegeben, aber Suko hat sich besonders hervorgetan.«

»Das kann ich mir denken.«

»Shao und ich haben dann dafür gesorgt, dass die Zuschauer fliehen konnten. Sie haben die Gelegenheit genutzt. Was mit den Puppen passiert ist, weiß ich nicht.«

»Sind sie denn auch geflohen?«

»Einige von ihnen. Da bin ich mir sicher. Ob alle weg sind, weiß ich nicht.«

»Was habt ihr euch gedacht?«

»Dass wir dort vorn bleiben, um die Augen offen zu halten.«

»Ja, das ist nicht schlecht.«

»Und was hast du vor, John?«

»Ich muss mich um jemand kümmern.«

»Aha, diesen Gerald Pole.«

»Richtig.«

»Weißt du denn, wo er sich aufhält?«

»Nein, das weiß ich nicht, aber ich werde ihn finden und ihm einige Fragen stellen.«

»Sei aber vorsichtig.«

»Keine Angst, das werde ich. Und auf heimtückische Puppen gebe ich ebenfalls acht.«

»Ist auch besser so.« Glenda lächelte kurz und zog sich zurück. Sie würde bei Shao und Suko bleiben und mir gewissermaßen den Rücken frei halten.

Ich machte mich auf den Weg zur Bühne. Als ich hinter mir ein Geräusch hörte, drehte ich mich um – und schaute in das blutige Gesicht einer Frau …

***

Ich kannte die Person. Es war die Frau mit den langen grauen Haaren, deren Schritte ich nicht gehört hatte, weil ich durch Glenda zu sehr abgelenkt war.

Jetzt schauten wir uns an. Aus dem offenen Foyer fiel genügend Licht, sodass ich auch Details erkennen konnte. Die Frau war an der Stirn verletzt. Dort malten sich zwei Wunden ab, aus denen die dünnen roten Fäden liefen. Das Blut war mittlerweile eingetrocknet, und es bekam auch keinen Nachschub.

Ich nickte der Grauhaarigen zu. »Sind Sie auch noch woanders verletzt?«

»Nein, es geht mir gut. Und die beiden Wunden an der Stirn stören mich nicht.«

»Okay. Wer sind Sie?«

»Ich heiße Emma Hill.«

»Und weiter?«

»Was weiter?«

»Ja, was tun Sie hier? Es ist doch kein Zufall, dass wir hier zusammentreffen.«

»Das wollen Sie wissen?«

»Ja«, sagte ich und nickte ihr zu. »Wer sind Sie? Und was tun Sie hier?«

»Es ist mein Arbeitsplatz.«

»Ach?«

»Ja, ich arbeite für Gerald Pole, ich bin seine Gehilfin. Ich bin die Person hinter den Kulissen, ich mache auch bei den Spielen mit und sorge dafür, dass es dem Chef an nichts fehlt.«

»Wie nobel. Aber wo steckt ihr Chef?«

Sie reckte ihr Kinn vor. »Wer will das wissen?«

»Ich.«

»Und weiter?«

»Mein Name ist John Sinclair, ich arbeite für Scotland Yard. Wollen Sie meinen Ausweis auch noch sehen?«

»Nein, ich glaube Ihnen. Aber was haben Sie hier gewollt? Das ist kein Fall für die Polizei. Hier ist nichts zu holen. Das müssen Sie mir glauben.«

»Da wäre ich mir an Ihrer Stelle nicht so sicher. Ich weiß, dass es kein gewöhnlicher Fall ist. Aber ich bin auch kein gewöhnlicher Polizist. Ich kümmere mich um Fälle, die aus dem Normalen herausfallen, und das hier ist so einer.«

»Sie wollen an meinen Chef heran?«

»So ist es.«

»Warum?«

»Weil er nicht gerade das ist, was man einen Menschenfreund nennt. Das ist der Grund.«

»Was hat er getan?«

»Was haben seine Helfer getan?«

»Es sind nur Puppen«, flüsterte sie. »Nun ganz gewöhnliche Puppen, die den Menschen Freude machen. Das ist alles.«

»Ja, so hättet ihr es gern. Aber es spielt noch jemand anderer eine große Rolle.«

»Und wer?«

»Der Böse. Oder auch das Böse. Die dunkle Magie.«

»Und weiter …?«

»Das wissen Sie doch«, sagte ich. »Sie sind bei Pole gewesen. Die Puppen sind nicht mehr normal, und so was passiert nicht ohne Weiteres. Sie müssen manipuliert worden sein. Ihr Chef hat dazu beigetragen. Er allein, und ihn will ich haben.«

»Er ist nicht hier!«

»Das sehe ich. Aber ich bin mir sicher, dass er sich in der Nähe aufhält. Ich werde ihn finden, verlassen Sie sich darauf.«

»Und dann? Was wollen Sie tun?«

»Ihn zur Rede stellen.«

»Wieso?«

»Er wird mir sagen, was mit seinen Puppen geschehen ist, und ich werde dafür sorgen, dass es nicht noch mal geschieht. Ist das okay für Sie?«

»Nein, ich …«

»Wo ist er?« Ich war es leid, noch länger mit ihr zu diskutieren. Der helle Lichtstrahl der Lampe gab uns genügend Licht, dass wir uns sehen konnten. Es gab kein Lächeln in unseren Gesichtern. Der Ernst blieb, und als ich einen Schritt auf die Grauhaarige zuging, da drehte sie sich um.

Ich schaute auf ihren Rücken. Ich dachte an unser Gespräch, und ich fragte sie, warum sie sich in Gerald Poles Nähe aufhielt.

»Weil er ein wahrer Meister ist.«

»Aha. Inwiefern?«

»Er kennt das Geheimnis der lebenden Puppen. Er selbst hat dafür gesorgt, dass sie leben. Das schafft nicht jeder. Da muss man schon einen besonderen Draht haben.«

»Ach ja? Wohin denn?«

»Das wissen Sie doch!«, zischte sie mir zu.

Okay, ich fragte nicht mehr weiter. Wir hatten auch die Bühne verlassen. Hinter uns lag das Chaos. Da stand kein Stuhl mehr wie zu Beginn. Die meisten waren umgekippt und lagen am Boden.

Meine Begleiterin verhielt sich ruhig. Es war keine Gefahr zu sehen. Auch mein Gefühl warnte mich nicht, und so erreichten wir den Teil hinter dem Vorhang. Der Stoff hatte die Bühne in zwei Hälften geteilt, und jetzt waren wir in den hinteren gelangt.

Hier war es heller. Im schwammigen Licht sah ich einen Menschen, der uns sicherlich erwartet hatte. Nur stand er nicht und schaute uns entgegen, er saß auf einem Stuhl, und vor ihm stand ein Schreibtisch. Schlanke Regale sah ich. Allerdings waren die einzelnen Fächer leer. Puppen gab es keine mehr.

»Das ist er, Gerald.«

»Ja, ich sehe ihn.«

»Und jetzt?«

»Du kannst gehen, Emma.«

»Bist du dir sicher?«

»Ja, verflucht, hau ab. Geh endlich. Lass dich nicht mehr blicken. Du hast versagt.«

Das wollte Emma nicht auf sich sitzen lassen. »Wieso habe ich versagt? Das stimmt nicht! Ich habe versucht, etwas zu retten, es ist mir nicht gelungen. Deine Freunde wollten auch nicht gerettet werden. Sie haben sogar mich angegriffen.«

Pole schüttelte sich. »Verschwinde. Ich will dich nicht mehr in meiner Nähe haben.«

»Haha, wenn du das nicht mal bereust. Hochmut kommt noch immer vor dem Fall.«

»Hau ab!«

Emma sagte nichts mehr. Die Enttäuschung hatte sie stumm werden lassen.

Neben mir drehte sie sich um, ich hörte noch ihren Schluchzer, dann ging sie weg.

»Haben Sie das so haben wollen?«, fragte ich.

»Ja, das habe ich.«

»Schön. Und weiter?«

»Jetzt sind wir allein, und wir werden es zwischen uns austragen, John Sinclair …«

***

Er kannte also meinen Namen, er hatte sich gut vorbereitet oder war vorbereitet worden. Nicht schlecht, aber ich wusste zu wenig über ihn, und das wollte ich ändern. Dass er auf der anderen Seite stand, lag auf der Hand. Er hatte sich als Mensch den Mächten des Bösen verschrieben, und die hatten ihn erhört. Sie mussten ihm eine besondere Stärke gegeben haben, sonst hätte er sich hier nicht so sicher gezeigt, denn er hatte eine Niederlage erlitten und konnte nicht mehr auf seine Puppen zurückgreifen.

Wir fixierten uns. Pole saß hinter dem Schreibtisch und hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Seine Gestalt lag im Licht einer Deckenleuchte, das aus ihm nicht mal ein Monster machte und ihn völlig normal aussehen ließ.

Mich wunderte es, denn oft waren Menschen, die sich dem Teufel angeschlossen hatten, auch von ihm gezeichnet worden. Dieser Gerald Pole nicht. Er hockte hinter seinem Schreibtisch und machte den Eindruck eines Lehrers, der darauf wartet, dass seine Schüler eine Klassenarbeit zu Ende schreiben.

»Sie wissen, wer ich bin!«

Er nickte.

»Woher?«

»ER hat es mir gesagt.«

»Und wer ist ER?«

»Das wissen Sie!«

Ich zog meine Lippen in die Breite. »Ja, ich kann es mir denken. Es ist Asmodis. Der Teufel, der Satan oder auch der einsame böse Engel, der einen alten Sieg feiern will.«

»Das wissen Sie?«

»Ja, denn er selbst hat die Engel losgeschickt, die einmal der anderen Seite angehört haben. Er hat sie in seine Welt geholt und schickte sie als Skelette auf die Reise, und so werden sie auch zu Ihnen gekommen sein, Pole.«

»Das ist richtig. Sie kamen und konnten mich überzeugen. Es war ihr Licht, das meine Puppen erfasste. Das ihnen Leben einhauchte, damit sie in seinem Sinne agieren können und auch seine Seite vertreten. Das haben sie getan, und sie haben mich überzeugt. Ich setzte auf ihn, auf die Hölle, ich habe mich ihm unterworfen, ich bin ein Teil des Ganzen. Ich gehöre zu ihm. Ich fühle mich wie jemand, der schon immer Diener der Hölle war.«

»Das kann ich verstehen, Pole. Aber jetzt ist es vorbei. Sie stehen allein, ganz allein …«

»Der Teufel ist bei mir. Und das wird sich auch nicht ändern. Ich habe zwar meinen großen Plan nicht erfüllen können, aber ich werde bald einen neuen Anlauf nehmen. Dann sieht alles anders aus.«

»Bestimmt nicht.«

Meine Antwort hatte ihn geärgert. Er schlug mit der flachen Hand auf den Schreibtisch. »Wie können Sie so etwas behaupten? Ich bin es gewohnt, zu siegen. Der Teufel hat es mir versprochen. Er kam zu mir. Ja, er selbst hat mich besucht. Ich habe ihn gesehen. Er kam als Engel mit Flügeln und brachte mir seine Skelette, die dann das Licht der Hölle auf meine Kinder verteilten. Ich weiß, dass du und deine Freunde eine Übernahme durch meine Kinder verhindern wolltet. Es ist euch nicht gelungen, und das freut mich sehr …«

»Wieso nicht gelungen?«

»Sie sind noch da.«

»Das sehe ich anders.«

»Dann bist du blind!«, fuhr er mich an und hob seinen rechten Arm. Es war eine Geste, die mich dazu zwang, zu lauschen.

Das tat ich.

Aber ich hörte etwas anderes.

Keine Stimmen. Kein Lachen, kein Fluchen, dafür schwache Schritte, die sogar im Gleichschritt klangen, und dann jagte mir das Lachen des Puppenspielers ins Ohr.

Er freute sich, ich nicht, doch ich sah jetzt, woher sie kamen. Sie waren hinter Gerald Pole aufgetaucht. Obwohl sie so unterschiedlich aussahen, gingen sie in Reih und Glied, und es waren die Puppen, die ich schon einmal gesehen hatte, die es dann verstanden hatten, sich aus den Kämpfen herauszuhalten.

Nun marschierten sie als eiserne Reserve vor. Und es deutete alles darauf hin, dass der Teufel seinen Schützling doch nicht aufgegeben hatte …

***

Gerald Pole öffnete den Mund und lachte. Er streckte mir dabei seine Zunge entgegen. Dann hob der den linken Arm, winkelte ihn an und stemmte ihn mit dem Ellbogen auf seinen Schreibtisch. Für mich war seine Hand mit den etwas zu langen, leicht gebogenen Fingernägeln gut zu sehen. Aber sie war nicht wirklich wichtig. Eigentlich zählte nur der Gegenstand, der sich am dritten Finger seiner linken Hand befand.

Es war ein Ring!

Größer als ein normaler Siegelring. Und auch mit einem Motiv versehen, das sich jetzt deutlich abzeichnete. Der Hintergrund war schwarz, das Motiv nicht. Es sah grausilbern aus, und als ich genauer hinschaute, da sah ich als Motiv eine Fratze, die durchaus dem Teufel gehören konnte.

Gerald Pole musste seinen Triumph loswerden. Er beugte sich leicht nach vorn. Seine Augen glichen Höhlen, in denen schwarze Kohlestücke lagen, die kurz vor dem Glühen standen.

Er war der Tod.

Er war die Hölle.

Er hatte voll auf sie gesetzt, und sie hatte ihn auch nicht verlassen.

Das war mir klar. Meine Waffe ließ ich stecken. Ich wollte wissen, was die andere Seite genau vorhatte. Ich war ihr Feind. Also würde sie versuchen, mich auf die eine oder andere Weise zu töten oder auszuschalten.

Das hatten schon viele versucht. Aber ich lebte noch immer. Und ich wollte zudem dafür sorgen, dass es auch so blieb. Ich tat nichts, wollte nicht provozieren – und bekam große Augen, als ich sah, was hinter Gerald Pole passierte.

Dort öffnete sich eine andere Welt.

Der Teufel zeigte seine Macht. Das Haus war verschwunden, es gab das Innere nicht mehr, dafür erlaubte man mir einen weiten Blick in dieses neue Universum.

Da regierte er.

Und er schwebte wieder über allem. Er zeigte sich erneut als die Hoffnung der Hölle. Er schwebte als Engelwesen über den Skeletten, die in seinem Reich lagen und darauf warteten, wieder zum Leben erweckt zu werden.

Ich kannte das Bild. Zwar fürchtete ich mich nicht davor, aber wenn ich daran dachte, dass der Teufel das, was ich sah, als Kämpfer gegen mich schickte, sah es nicht eben gut für mich aus.

Asmodis glitt nicht weiter vor. Er hatte seine Position erreicht. Er sah mich und Pole, wobei sich Pole geduckt und den Kopf gesenkt hatte.

Über den Puppenspieler hinweg schauten wir uns an.

»Sinclair?«, rief Asmodis. »Ich wusste es doch …«

»Ja, es bleibt nicht aus. Wir treffen uns immer wieder mal. Es sieht so aus, als hättest du verloren.«

»Ich?«

»Wer sonst?«

Er lachte geifernd. »Ich habe nie verloren. Ich werde nie verlieren, ich werde immer der Gewinner sein. So steht es geschrieben. Das Böse war zu Beginn der Zeiten da und ist auch jetzt vorhanden.«

»Das glaube ich dir.«

»Was willst du dann noch?«

»Es vernichten.«

»Niemals, Sinclair, wirst du das schaffen. Das Böse kann man nicht vernichten. Es steckt ja in jeder Kreatur, sogar in dir. Auch in manchen Engeln habe ich es erlebt. Es ist demnach allgegenwärtig. Du wirst keine Chance haben.«

»Ich gebe nicht auf, obwohl ich weiß, dass du recht hast. Man kann das Böse nicht ganz aus der Welt schaffen, aber man kann seine Feuer löschen. Ja, ich fühle mich wie ein Brandmeister, der die feurigen Nester sucht und sie löscht. Das habe ich schon seit Jahren getan, wie du weißt, und ich lebe noch immer.«

Asmodis lachte. Er gefiel sich in seiner Rolle. Er war der große Engel, der nicht düster, sondern hell aussah und die Flügel hinter sich ausgebreitet hatte. Er bot ein völlig anderes Bild, aber der Teufel war ein Meister der Verkleidung und musste nicht unbedingt so aussehen, wie ihn sich die Menschen vorstellten.

Unter ihm lagen seine starren Helfer. Skelette. Keines davon schaute hoch, sie blieben bewegungslos liegen. Vielleicht für die Ewigkeit oder aber nur so lange, bis sie gebraucht wurden. Das war mir auch egal. Ich wollte in diesen Fall nur keine zweite Geige spielen.

»Er hat es nicht geschafft, Asmodis. Du hast mal wieder auf das falsche Pferd gesetzt. Menschen sind nicht so, wie du sie gern hättest, das muss ich dir mal wieder sagen. Du kannst dich von deinem Helfer Gerald Pole verabschieden, denn er gehört mir.«

»Was ich tun werde und was nicht, das liegt noch immer in meiner Entscheidung.«

»Dann triff sie«, rief ich ihm zu.

»Das habe ich bereits.«

»Super, und wie sieht sie aus?«

»Du bist sehr nahe dran, Sinclair, sehr nahe. Ich habe dich dabei mit einbezogen.«

»Ich warte.«

»Bitte!«

Es war kein freundliches Wort, was mir Asmodis da zugerufen hatte, es war so etwas wie sein Abschied. Er wollte nicht mehr. Zu tief war er getroffen worden. Und wen der Teufel nicht mehr wollte, den servierte er ab.

Ich fing einen Blick des Puppenspielers auf. Auch er hatte alles gehört und er hatte es auch begriffen.

Zugleich fiel die Welt hinter ihm zusammen. Die Normalität hatte uns wieder.

Der Ring an Poles Finger glühte nicht mehr.

Das sagte ich dem Puppenspieler.

Es traf ihn hart, denn er heulte auf. Aus seinem Gesicht war die Strenge gewichen. Jetzt zeichneten sich die Gefühle darin ab, und die sahen alles andere als gut aus.

Sein Blick begann zu flackern. Über seine Lippen drangen geflüsterte Worte, deren Sinn ich nicht verstand. Er bewegte zuckend seine Beine, dann saugte er die Luft ein – und schrak zusammen, als plötzlich etwas auf seinem Tisch landete.

Es war eine Puppe.

Aber in ihr steckte noch die Kraft der Hölle. Zuerst war nicht zu erkennen, ob sie eine Waffe besaß, dann aber sah ich in ihren Händen etwas schimmern.

Das erinnerte mich an eine Rasierklinge.

Und damit schlug die Puppe zu. Sie sprang gegen den Hals des Spielers und erwischte die dünne Haut dort. Die Klinge hinterließ einen Streifen, der eine blutrote Farbe bekam.

Erneut holte die Puppe aus.

Da war ich schneller. Ich konnte einfach nicht mit ansehen, wie der Mensch Gerald Pole vernichtet werden sollte. Er hatte Wind gesät und Sturm geerntet, doch ein solches Ende sollte er nicht haben. Die Puppe schleuderte ich zu Boden, weil ich erst noch mein Kreuz hervorholen musste. Das Ding rollte sich von mir weg, und ich wollte Pole von seinem Platz wegzerren.

Das klappte nicht mehr.

Plötzlich waren sie da.

Sie hatten das Halbdunkel ausgenutzt und sich angeschlichen. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass noch so viele dieser gefährlichen Puppen übrig geblieben waren. Jetzt aber wurde ich eines Besseren belehrt. Und die Puppen waren von einer wilden Mordlust erfüllt. Sie stürzten sich auf Pole und mich.

Ich höre Pole fluchen und schreien. Er schlug auch um sich, nur nicht so effektiv wie ich, denn ich war es gewohnt, mich gegen Angriffe zu wehren.

Die Kette mit dem Kreuz hatte ich mir um den Hals gehängt. Das Kreuz hing jetzt außen. Wenn ich mich drehte, schwang es vom Hals weg und sorgte dafür, dass mich niemand anspringen konnte.

Und doch kamen sie.

Ich spürte sie an den Beinen, lief zur Seite und schleifte sie mit, denn zwei hatten sich mit ihren Zähnen in meine Hosenbeine verbissen. Ich kam im Moment schlecht mit dem Kreuz an sie heran, aber es gab noch eine andere Möglichkeit.

Ich zog meine Beretta und richtete den Lauf nach unten. Ich zielte genau, denn ich wollte mich nicht selbst durch eine Kugel verletzen.

Dann krachte der erste Schuss und der zweite sofort hinterher. Beide Kugeln hatten getroffen und die Puppen zerstört. Ich trat sie noch aus meiner Umgebung weg und hörte plötzlich weitere Schüsse. Zugleich wurde es hell. Dann erschienen Suko, Glenda und Shao. Suko war derjenige, der geschossen hatte und die aus dem Weg räumte, die uns noch gefährlich werden konnten.

Viele waren es nicht.

Genau vier Puppen wurden durch das geweihte Silber vernichtet. Dann war der Fußboden wieder frei.

Suko kam auf mich zu, und wir klatschten uns ab.

»Alles klar?«

Ich nickte. Dann fragte ich. »Was ist mit den Besuchern?«

»Die sind in Sicherheit.«

»Gut.«

Suko lachte. »Und dann haben wir ja noch unseren Freund Gerald Pole. Mal schauen, was mit ihm ist. Weißt du es?«

»Nein.«

Wir brauchten nur zwei Schritte zurückzulegen, dann hatten wir ihn erreicht. Er saß noch immer hinter seinem Schreibtisch. Aber er war nicht mehr der King. Der Mann, der sich so sehr auf die Mächte der Hölle verlassen hatte, war in sich zusammengesunken, und als wir ihn genauer anschauten, da sahen wir auch die blutenden Wunden, die sich auf seinem Gesicht verteilten und auch den Hals nicht ausgelassen hatten.

Waren wir zu spät gekommen?

Suko wollte es genau wissen. Er fühlte an der Halsschlagader nach und sah dabei meinen Blick auf sich gerichtet.

»Und?«

»Er lebt. Noch«, fügte er hinzu.

Egal, was Pole verbrochen hatte, er war ein Mensch, und es musste ihm geholfen werden. Wenige Sekunden später schon waren die Rettungsfahrzeuge auf dem Weg.

Gerald Pole wurde eingeladen. Er war nicht tot, aber er war auch nicht in der Lage, etwas zu sagen. Das taten dann Glenda Perkins und auch Shao.

»Alles vorbei?«, fragte Sukos Partnerin.

»Wir denken schon.«

»Und was ist mit Asmodis?«, wollte Glenda wissen.

»Er hat diese Bastion erst mal aufgegeben.«

»Dann fallen somit auch die Auftritte des Puppenspielers aus?«

Ich nickte ihr zu. »Du sagst es.«

»Meinst du denn, John, dass er es schafft?«

»Keine Ahnung. Wir werden es erfahren.«

Und das war nicht zu viel versprochen. Wir erfuhren es schon sehr bald. Pole war nicht tot, aber als Leben konnte man seinen Zustand auch nicht bezeichnen. Er war in ein Koma gefallen. Ob er daraus je wieder erwachen würde, wusste keiner von uns. Das musste die Zeit zeigen …

***

ENDE

Die lebenden Puppen des Gerald Pole
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