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Mein Handy klingelte zehn Minuten später, als ich die Route 228 entlangfuhr auf dem Weg zum Haupteingang des Wompatuck State Park. Der Mond am Nachthimmel spendete nur wenig Licht. Auch die spärlichen Straßenlaternen kamen gegen die Dunkelheit kaum an. Mein Fernlicht durchschnitt die Finsternis. Alte Häuser im Kolonialstil säumten die Hingham Road. Die meisten davon hatten endlose Zufahrten, perfekt gepflegten Rasen und entsprachen einer eher gehobenen Preislage.

Vorsichtig langte ich mit einer Hand nach dem Handy.

»Will ich wissen, was das alles sollte?«, fragte Sean.

Mich überrollten verwirrende Wellen des Verlangens, als ich seine Stimme hörte. Aber ich war schließlich keine Dreizehnjährige, die sich zum ersten Mal verguckt hatte, obwohl ich mich gerade genauso fühlte. Ich musste mich jetzt wirklich am Riemen reißen. Immerhin kannte ich diesen Mann ja kaum. Wie lange hatten wir miteinander gesprochen, höchstens zehn Minuten?

Aber die Vision …

Ich schüttelte den Kopf. Dieser Vision konnte ich einfach nicht trauen. Und der Anziehungskraft, die Sean auf mich ausübte, auch nicht. Ich durfte Amors Fluch nicht vergessen.

Aber ein kleines Techtelmechtel wäre doch nett …

Ich nahm mich zusammen. Ein Techtelmechtel kam überhaupt nicht infrage. Er hatte eine Freundin. Schluss, aus, Ende der Durchsage. Lucy, jetzt hör auf, dich wie ein liebestoller Idiot aufzuführen.

»Lucy, sind Sie noch dran?«, wollte er wissen.

»Ja, bin ich«, versicherte ich. »Entschuldigung. Hier ist es dunkel und es gibt ziemlich viele Kurven.«

»Wo sind Sie denn?«

»Auf dem Weg nach Wompatuck.«

»Der kleine Junge?«, fragte er.

»Ich werde mithelfen und mein Bestes geben, damit er bald gefunden wird.«

»Wie nobel.«

»Wohl kaum. Ich wollte den Kuppelversuchen meiner Großmutter entkommen.«

»Klingt nach einer interessanten Story.«

»Mehr als nur einer«, grunzte ich und dachte an die unzähligen Male, bei denen Dovie sich bemüht hatte, mich unter die Haube zu bringen. Aber mit Sean über Liebesdinge zu sprechen verhieß nichts Gutes über meinen Geisteszustand. Ich musste das Thema wechseln. Und zwar schnell. »Haben Sie Neuigkeiten für mich?«

Ich hörte Papier rascheln. Vor mir konnte ich jetzt die Lichter weiterer Wagen erkennen und blendete ab. Nachts war ich nicht so gerne mit dem Auto unterwegs und fuhr deshalb viel zu langsam, sozusagen im Schneckentempo.

»Ich habe ihre Eltern ausfindig gemacht, Martin und Regina, die wohnen jetzt in Lynn. Jennifer hat auch noch eine ältere Schwester namens Melissa Antonelli, die ebenfalls dort lebt. Merkwürdigerweise konnte ich zu Jennifer selbst keine Informationen mehr finden, seit sie das College abgeschlossen hat«, erklärte er. »Und leider gibt es da draußen viele Jennifers.«

»Dann wird sie also nicht … vermisst?«

»Ich habe jedenfalls keine Hinweise darauf gefunden, und über so etwas wäre ich bestimmt gestolpert. Gibt es da irgendetwas, was Sie mir nicht verraten haben?«

Viel zu viel, um jetzt damit anzufangen. »Eigentlich nicht.«

Er schwieg kurz, bevor er dann hinzufügte: »Möchten Sie, dass ich Jennifers Eltern anrufe? Und sehe, ob sie mir vielleicht ihre Adresse geben?«

»Sie können es ja mal versuchen. Erklären Sie ihnen, dass es um Michael Lafferty geht.«

»Ich rufe Sie zurück.«

Wenn in diesem Grab dort Jennifer liegen würde, dann hätte sie irgendjemand als vermisst gemeldet. Ihre Familie oder Freunde …

Was nur einen Schluss zuließ.

Es war nicht Jennifer, die man dort verscharrt hatte.

Aber wer war es dann? Und warum trug die Tote Michaels Ring?

Das Handy klingelte erneut. Abermals Sean.

»Seltsam«, begann er.

»Was denn?«

»Ich habe mit ihrer Mutter gesprochen. Sie wollte mir überhaupt keine Informationen geben, mich auch nicht anhören oder eine Nachricht weitergeben. Sie hat nur gesagt, dass es Jennifer gut geht und dass wir sie doch in Ruhe lassen sollen.«

»Sie will sie schützen«, bemerkte ich und überlegte, warum wohl. Wollte sie verhindern, dass Michael ihrer Tochter abermals wehtat, weil sie nach wie vor glaubte, dass er sie betrogen hatte? Oder ging es um etwas anderes oder jemand anderen? Zum Beispiel die böse Elena und ihre treue Kumpanin Rachel?

»Ich hab’s auch bei der Schwester probiert, aber da geht niemand ran. Ich versuche morgen noch mal, sie zu erreichen.«

Der Mond versteckte sich hinter Wolken. Ich starrte konzentriert auf die gestrichelte weiße Linie, die die beiden Fahrspuren voneinander trennte.

»Was ist da los, Lucy? Ist das für einen Kunden aus der Partnervermittlung? Das ist aber nicht der übliche Hintergrundcheck, um den Ihr Vater uns sonst bittet.«

»Ja, es geht um einen Kunden«, antwortete ich wahrheitsgemäß. »Ich mache die Dinge eben ein wenig anders.«

»Möchten Sie, dass ich da dranbleibe?«

»Das wäre toll.«

Vielleicht hatte Jennifer Michaels Ring versetzt? Genau. Und die Person, die ihn gekauft hatte, war ausgerechnet ermordet und in Michaels Heimatstadt vergraben worden, praktisch hinter seinem Haus?

Ich näherte mich dem Eingang zum Park und fuhr hinein. Auf der Zufahrt zum Pförtnerhäuschen parkten an beiden Seiten Autos. Überall wuselten Kamerateams herum. Ich fand ein leeres Plätzchen und stellte den Wagen ab.

Dann traf ich eine Entscheidung. »Haben Sie morgen schon was vor? Es gibt da etwas, wofür ich Sie gut gebrauchen könnte.«

»Das klingt ja spannend.«

Mein Magen zog sich angesichts seines koketten Tonfalls zusammen.

»Ich werde in aller Frühe hier sein«, versprach er.

Mir war nicht entgangen, dass er abends lange arbeitete und überhaupt keine Lust zu haben schien, nach Hause zu seiner Freundin zu kommen. War das überhaupt seine Freundin? Wenn ich so recht darüber nachdachte, hatte er bei ihrem Telefonat gar nicht turteltaubenmäßig geklungen. Und trotzdem ging er für sie einkaufen … »Ich schaue dann bei Ihnen vorbei. Danke, dass Sie meinetwegen noch so lange geblieben sind.«

»Keine Ursache.«

Ich verabschiedete mich rasch, bevor ich noch irgendetwas Dummes machen und ihn womöglich fragen würde, ob er an Liebe auf den ersten Blick glaubte.

Ich setzte die Mütze auf und schob meine Handschuhe in die Manteltasche. Der Geruch von verbranntem Kiefernholz und welken Blättern lag in der Luft, außerdem das durchdringende Aroma starken Kaffees.

Man hatte die Kommandozentrale im Besucherzentrum des Parks eingerichtet. Hunderte von Menschen liefen vor dem Gebäude herum. Auf der einen Seite des Gebäudes hatte, einem handgemachten Schild zufolge, der Freundeskreis Wompatuck ein kleines Zelt aufgestellt, in dem Kaffee und Snacks gereicht wurden. Auf der anderen Seite parkten eine Reihe offizieller Fahrzeuge – Wagen der lokalen und staatlichen Polizei sowie der Umweltbehörde – und auch zwei verwaiste Krankenwagen. Es gab mehrere Beamte zu Pferd und auf Rädern. Zahlreiche Quads, Geländewagen mit Allradantrieb, fuhren auf dem Gelände hin und her, weitere standen auf einem vollen Parkplatz gegenüber vom Besucherzentrum.

Man hatte Flutlichtscheinwerfer und tragbare Heizgeräte aufgestellt. Mitten in der Menge brannte in einem Steinring ein Lagerfeuer, Menschen standen um die Flammen herum und wärmten sich die Hände.

Ich blinzelte in das grelle Licht und wusste nicht so recht, wo ich jetzt anfangen sollte. Suzannah konnte ich nirgendwo entdecken, hatte aber das Gefühl, dass sie nicht weit war. So, wie ich sie kannte, war sie wohl nicht so verloren, wie ich mich gerade fühlte. Sie war vermutlich hier hereinmarschiert und hatte direkt das Kommando übernommen.

Blätter knirschten unter meinen Füßen, als ich in der Nähe eines Baumes stehen blieb, um erst einmal zu verdauen, was hier alles vor sich ging.

Es wirkte zunächst chaotisch, als ich so dastand, rief ein Mann mit Megafon jedoch Freiwillige zu sich, damit sie mit einem Schulbus zu anderen Stellen tief im Inneren des gut fünfzehn Quadratkilometer großen Parks fahren und dort die Suche fortsetzen konnten.

Alle paar Minuten wurde ein Reporter in Scheinwerferlicht getaucht und hielt die Fernsehzuschauer über die Fortschritte der Suche auf dem Laufenden. Ich stand in der Nähe einer Journalistin, während sie dem Nachrichtensprecher ihre Neuigkeiten überbrachte.

»Maxwell O’Brien wird jetzt bereits seit etwa zehn Stunden vermisst. Freiwillige haben bis zur Erschöpfung den Park nach Spuren des Vierjährigen abgesucht, der Max genannt wird. Erschwert wird die Suche durch die Größe des Parks, die vielen Trampelpfade, Tümpel und Sumpfgebiete. Hoffnung gibt uns die Tatsache, dass Max viele Möglichkeiten hatte, irgendwo Schutz zu suchen. Das Gelände gehörte während des Zweiten Weltkriegs dem Militär, und es stehen noch viele Gebäude, die früher als Munitionslager dienten.«

Im Anschluss erläuterte sie die landschaftliche Struktur des Parks näher und wies auf die sinkenden Temperaturen und die wilden Tiere in der Gegend hin, darunter Füchse, Rotluchse und Kojoten, bevor sie endlich zu der wirklich interessanten Frage kam: ob der Vater nun schuldig war oder nicht.

»John O’Brien, der Vater des Jungen, beantwortet zurzeit immer noch die Fragen der Polizei. Er wurde nicht angeklagt oder offiziell als Verdächtiger behandelt. Taucher suchen weiterhin den Stausee und verschiedene Gewässer ab. Die State Police setzt Such- und Rettungshunde ein. Die Mutter des Kindes, Katherine O’Brien, wartet verzweifelt auf ein Lebenszeichen ihres Sohnes.«

In diesem Moment schwenkte die Kamera auf eine Gruppe direkt vor dem Eingang des Besucherzentrums um. Unter ihnen stand eine zarte Frau Anfang dreißig, deren leerer Blick in weite Ferne gerichtet zu sein schien.

»Mrs O’Brien ist fest davon überzeugt, dass ihr Junge lebt und es ihm gut geht. Wir zeigen hier noch einmal ein Foto von ihm. Er ist vier Jahre alt, wiegt etwa zwanzig Kilo, hat blondes Haar und blaue Augen. Er trägt Jeans, ein dunkelblaues, langärmeliges T-Shirt und Nike-Turnschuhe. Sachdienliche Hinweise werden unter der eingeblendeten Nummer entgegengenommen. Die Polizei schließt eine Entführung nicht aus, halten Sie also die Augen auf!«

Ich hörte nicht länger zu und konzentrierte mich stattdessen auf die Mutter des Jungen. Sie sah aus, als durchlebte sie gerade ihren schlimmsten Alptraum.

Ich stand eine volle Minute da und beobachtete sie. Sie wirkte wie betäubt und verzog keine Miene, wenn sie sprach. Jeder Atemzug zeugte von ihrer Angst.

Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, wie es war, sein Kind zu verlieren. Und dann auch noch unter solchen Umständen. Nicht zu wissen, ob der Mann, den man liebte, dafür verantwortlich war, oder ob der Junge sich in der Gewalt von Fremden befand oder ob er sich einfach verirrt hatte.

Aber vor allem, nicht zu wissen, ob man ihn wiedersehen würde.

Es brach mir das Herz.

Ich dachte an Max’ Vater, der von den Behörden befragt wurde. War er unschuldig? Und wenn dem so war, welche Höllenqualen durchlitt er dann wohl gerade? Da doch jeder in Neuengland ihn für einen Kindermörder hielt? Was würde er sehen, wenn er seiner Frau in die Augen blickte? Würde sie zweifeln? Oder ihm vertrauen? Darauf vertrauen, dass er ihrem gemeinsamen Kind niemals wehtun würde?

Wenn er jedoch schuldig war …

Ich erschauderte. Schließlich zog ich mir die Handschuhe an und sah mich unter den Freiwilligen um. Frustration und Niedergeschlagenheit umfingen mich wie dichter Nebel. Mit meiner Fähigkeit sollte ich doch etwas mehr tun können, als im Gebüsch herumzuwühlen oder Styroporbecher mit Kaffee zu verteilen. Ich sollte dazu in der Lage sein, Katherine O’Briens Hand zu berühren und ihren Sohn zu finden. Ihn ihr wiederzubringen, in welcher Verfassung auch immer.

Was war denn sonst der Sinn einer Gabe wie meiner? Ich konnte es einfach nicht begreifen.

Meine Finger taten weh, weil ich sie zur Faust geballt hatte, und ich bewegte sie in den Handschuhen. Es brachte ja nichts, über das nachzugrübeln, was ich nicht konnte.

Anstatt hier herumzustehen und damit genauso nutzlos zu sein, wie ich mich fühlte, machte ich mich auf den Weg zu der Gruppe, die auf den nächsten Bus ins Innere des Parks wartete. Ich stieg ein und setzte mich ans Fenster.

Gerade als der Bus losfuhr, schaute Katherine O’Brien hoch. Sie konnte mich in der Dunkelheit nicht sehen, dennoch hatte ich das Gefühl, dass sie mir direkt in die Seele blickte. Und ich gab ihr stillschweigend das Versprechen, dass ich mein Bestes geben würde, um ihr ihren kleinen Jungen zurückzubringen.

Aber ich wurde das Gefühl nicht los, dass mein Bestes nicht gut genug war.

In meinem Häuschen schien kein Licht, als ich nach Hause kam. Es war schon weit nach drei Uhr morgens.

Sobald ich zur Tür hereintrat, fiel ich vor körperlicher und emotionaler Erschöpfung aufs Sofa.

Ich saß kaum auf der Couch, da sprang Grendel auch schon auf meinen Schoß und spielte mit der Pfote an meinem Reißverschluss herum. Ich machte Licht und war erleichtert, als ich sah, dass Dovie nach ihrer kleinen Dinnerparty bei mir aufgeräumt hatte.

Und ich war wirklich froh, dass sie Butch nicht eingeladen hatte, doch bei mir zu übernachten. Das würde ich meiner Großmutter durchaus zutrauen.

Ich versuchte, Grendel nicht beim Treteln zu stören, während ich mich aus dem Mantel schälte und mir die Schuhe auszog. Ich winkelte die Beine an, rollte mich zusammen und kraulte meinen Kater an den Ohren. Er schnurrte wohlig.

Die Suche nach dem kleinen Max O’Brien hatte keine Fortschritte gemacht. Es gab keine Hinweise, keine Spur. Nichts. Noch hatte man das FBI nicht eingeschaltet, weil es keine Beweise dafür gab, dass er entführt worden war. Es kam mir so vor, als hätten die Ermittlungen einen toten Punkt erreicht.

Die meisten Freiwilligen aus der Umgebung waren um ein Uhr nachts gegangen. Ich war noch länger geblieben, hatte mich mit einer geliehenen Taschenlampe durch den Wald gekämpft und nach Max gerufen, bis ich heiser war.

Als ich mich dann schließlich auf den Heimweg gemacht hatte, war mir aufgefallen, dass in Katherine O’Briens Blick immer noch dieser abwesende Ausdruck lag.

Ich lehnte den Kopf gegen das Sofakissen. In einer perfekten Welt würde ich morgens aufwachen und aus dem Fernsehen erfahren, dass Max gesund und munter aufgefunden worden und inzwischen wieder in der Obhut seiner liebenden Eltern war.

Aber wir wissen ja alle nur zu gut, dass die Welt eben nicht perfekt ist. Es war wesentlich wahrscheinlicher, dass am nächsten Morgen abermals Suchtrupps in den Wald aufbrechen würden, um nach dem verschwundenen Jungen Ausschau zu halten.

Ein Geräusch aus dem Schlafzimmer ließ mich zusammenfahren. Grendel protestierte fauchend, hielt sich aber an mir fest. Er war so ein Angsthase.

Ich hörte das Quietschen wieder und fragte mich, was wohl so einen Laut von sich geben würde. Es klang überhaupt nicht bedrohlich – eher irgendwie mechanisch.

Ich stand auf und wollte Grendel absetzen, aber er fuhr die Krallen aus und klammerte sich an meinen Blazer. Die kurze Panik, dass Butch vielleicht doch über Nacht geblieben war, verpuffte, als ich einen Blick in mein Schlafzimmer warf. Das Bett war leer.

Ich schaltete das Licht an, sah mich um und blinzelte erstaunt, als ich etwas auf meiner Kommode entdeckte – einen Käfig aus Plastik.

Grendel zog die Krallen zurück und sprang auf den Fußboden, den Schwanz in die Luft gereckt. Er war offensichtlich kein großer Fan von Marisols neuestem Geschenk.

Der bunte Käfig stand ohne Nachricht oder Gebrauchsanweisung da. Nur zwei Tüten lehnten daran – Futter und Snacks. Hamsterfutter und Hamstersnacks. In einem Laufrad aus Metall hockte ein winziger schwarz-weißer Hamster, die Pfötchen in der Luft. Ein Auge starrte mich intensiv an. Das andere war zugenäht worden.

Grendel strich mir um die Beine, als ich die Käfigtür öffnete und das Tierchen an meinen Fingern schnüffeln ließ. In einer Ecke entdeckte ich ein Schälchen mit Futter, und ein Tunnel führte zu einer Wasserflasche. Unter Sägespänen verbarg sich ein Häuschen aus Plastik. Nach einer Sekunde fing der Hamster an, sich wieder seinem Lauftraining zu widmen, die kleinen Beinchen sausten.

Ich schloss die Käfigtür und setzte mich aufs Bett. Augenblicklich hopste Grendel wieder auf meinen Schoß.

»Was sollen wir denn mit einem einäugigen Hamster?«, fragte ich ihn.

Er sah mich an, als wollte er sagen, dass er ganz genau wusste, was er mit einem so aufdringlichen Nager anfangen würde – wenn er nicht solche Angst vor ihm hätte.

Morgen würde ich Marisol anrufen und mir die ganze Geschichte anhören. Bis dahin sollte ich mir wohl besser etwas Schlaf gönnen.

Ich ging ins Wohnzimmer, schloss die Haustür ab und wollte gerade das Licht ausschalten, als mein Blick auf die Mappen fiel, die ich von der Arbeit mit nach Hause gebracht hatte.

Sie sahen aus, als ob jemand darin geblättert hätte.

Ohne Zweifel Dovie.

Ich sah ein paar davon durch und unterdrückte ein Gähnen. Es gab da nichts, was nicht bis zum nächsten Morgen warten konnte. Ich legte die Unterlagen zurück auf den Tisch, als mir ein Stück Stoff in leuchtendem Orange auffiel.

Es gehörte zu Michael Laffertys Dossier.

Das zog ich aus dem Stapel heraus und schaute hinein. Seine Antworten wirkten alle so normal. Er war einfach der durchschnittliche, nette Junge von nebenan.

Aber leider kann der Eindruck manchmal täuschen.