ANMERKUNGEN
DES AUTORS
1 Matthieu Ricard zufolge wird ein »empfindsames Wesen«, das über ein Bewusstsein verfügt, im Buddhismus darüber definiert, dass es zwischen Wohlbefinden und Leid, oder einfacher gesagt, zwischen Lust und Schmerz unterscheiden kann.
2 Das Gesetz von Ursache und Wirkung. Karma (Sanskrit: Wirken, Tat) bezieht sich im Wesentlichen auf die Folgen von guten oder bösen Taten, die sich entweder durch Wohlbefinden oder durch Leiden ausdrücken. Nagarjuna, ein indischer Philosoph aus dem 2 . Jahrhundert unserer Zeitrechnung, gilt als »zweiter Buddha«, weil er sich besonders intensiv mit der Kausalität beschäftigt hat, unter anderem in seinem Werk Lehrstrophen über die grundlegenden Lehren des Mittleren Weges. Er distanziert sich von allen Extremen, duldet weder Ewigkeitsglauben noch Nihilismus: Alles ist erlaubt, nichts existiert an sich – was einen zum Handeln befähigt. Im Westen wurde dieses befreiende Denken erst im 20. Jahrhundert durch den deutschen Phänomenologen Edmund Husserl ausgearbeitet, dessen Werk großen Einfluss auf die zeitgenössische Philosophie ausübte.
3 Seit dem 16. März 2011 wurden 26 Selbstverbrennungen von Mönchen, Nonnen (zwei) und Laien gezählt. Die allererste der tragischen Serie war die von Tapey (oder Tenpe), eines jungen Mönchs aus dem Kloster Kirti am 27. Februar 2009. Der bei weitem größte Teil dieser Selbstverbrennungen fand in der Provinz Sichuan statt, in der Region Amdo, die früher zu den drei großen Regionen Tibets zählte. Aus dem Amdo stammt auch der 14. Dalai Lama. Insbesondere die Klostergemeinschaft von Kirti – die in Sichuan zwei Klöster unterhält, die wiederum für rund vierzig kleine, auf der Hochebene verstreute Tempel zuständig sind, sowie das 1990 in Dharamsala neu gegründete Exilkloster – wird als »Epizentrum der Bewegung« angesehen, wie Ursula Gauthier, Korrespondentin des Nouvel Observateur in Peking, feststellt. Als Hochburg des tibetischen Widerstands war diese Gemeinschaft maßgeblich an den Unruhen vom März 2008 beteiligt, als Mönche, Nonnen und Laien sich gemeinsam gegen den kulturellen Genozid durch die chinesischen Machthaber auflehnten. Seit vier Jahren sind die Mönche von Kirti ständigen polizeilichen und militärischen Kontrollen ausgesetzt, sie werden regelmäßig patriotischen Umerziehungsmaßnahmen unterzogen und gezwungen, sich zur Volksrepublik China zu bekennen. Die Pekinger Regierung verdächtigt die Mönche, aktive Beziehungen zur Widerstandsbewegung im Ausland zu unterhalten. Seit März 2011 hat das Regime seine Unterdrückungsmaßnahmen noch weiter verschärft und damit nicht nur junge Mönche zu dieser furchtbaren Form der Selbsttötung getrieben, sondern auch hochrangige buddhistische Lehrmeister, denen die möglichen karmischen Folgen einer solchen Tat durchaus bewusst sind – sie könnten im Kreislauf der Reinkarnation um bis zu 500 Leben zurückgeworfen werden.
4 Robert Thurman, Vater der Schauspielerin Uma Thurman, ist Professor für Indo-Tibetische Buddhistische Studien an der New Yorker Columbia University. Dieser enge Freund des Dalai Lama wurde 1997 vom Time Magazine zu einem der »25 einflussreichsten Männer Amerikas« gekürt.
5 Francisco Varela war ein bedeutender Neurowissenschaftler. 1987 gehörte er zu den Mitbegründern des Mind and Life Institute zur Förderung interkultureller Dialoge zwischen Wissenschaftlern und Vertretern des Buddhismus (Lehrmeistern und Kontemplativen). Richard Davidson, genannt »Richie«, ist einer der weltweit führenden Hirnforscher. Er leitet das Labor für affektive Neurowissenschaft an der University of Wisconsin-Madison in den USA und untersucht als Pionier seit fünfzehn Jahren die Auswirkungen von Meditation auf das Gehirn. Matthieu Ricard ist buddhistischer Mönch und Molekularbiologe mit Abschluss in Zellulargenetik. Seit vierzig Jahren lebt er im Himalaya, er ist der französische Dolmetscher des Dalai Lama und hat von Anfang an die Studien der Neurowissenschaftler zur Wirkung von Geistestraining und Meditation auf das Gehirn und das körperliche Wohlbefinden begleitet.
6 Gandhi (1869–1948), »Die Doktrin des Schwertes«, Young India, Ausgabe vom 11. August 1920. Er war selbst Gründer und Chefredakteur dieser Wochenzeitung. Wir wollen daran erinnern, dass Gandhi die Gewaltlosigkeit nicht im Namen der Moral, sondern im Namen der Vernunft befürwortete, weil »Gewalt durch ihre Wirkungslosigkeit gegen die Vernunft verstößt«. Gandhi war ein Verfechter der »Direkten Aktion«: Boykotts, Hungerstreiks, Arbeitsverweigerung … Inspiriert hatte ihn unter anderem die Lektüre des großen russischen Schriftstellers Tolstoi (1828–1910) und des amerikanischen Essayisten Henry David Thoreau (1817–1862), insbesondere dessen Schriften zum zivilen Ungehorsam, die Gandhi im Gefängnis entdeckte und die in seinen Augen die »wissenschaftliche Bestätigung« seines Ansatzes lieferten. Er las den Engländer John Ruskin (1819–1900), der die verheerende Rolle von Geld und Marktwirtschaft geißelte, und vertiefte sich gleichzeitig in das Studium des Korans, des Neuen Testaments und der Baghavad Gita, des großen spirituellen Lehrgedichts Indiens.
7 Am 17. Dezember 2010 wurde der junge fliegende Händler in Sidi Bouzid, einer Stadt im Zentrum Tunesiens, vorübergehend festgenommen, weil er keinen Gewerbeschein vorweisen konnte. Um gegen diese Ungerechtigkeit zu protestieren, steckte er sich selbst in Brand und erlag am 4. Januar 2011 seinen Verletzungen. Diese Tat gilt als Fanal der ersten Revolution des Arabischen Frühlings, die in Tunesien am 14. Januar 2011 zum Sturz von Präsident Ben Ali führte und danach stufenweise auf fast alle arabischen Länder übergreifen sollte. Dabei wurden durch den Einsatz von Internet und sozialen Netzwerken neue Formen des gewaltlosen Widerstands erschlossen.
8 Michail Gorbatschow, 1931 geboren, wurde am 11. März 1985 zum Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) gewählt. Mit seinem Programm der Offenheit (Glasnost) und Reform (Perestroika) setzte er zugleich das Prinzip der Gewaltlosigkeit um, sowohl innenpolitisch – indem er sich für die ersten freien Wahlen seit der Oktoberrevolution von 1917 starkmachte, keine absolute Macht beanspruchte, der Presse mehr Freiheiten gewährte, einen privatwirtschaftlichen Sektor einführte – als auch außenpolitisch: 1990, nach seiner Wahl zum Präsidenten der UdSSR immer noch Generalsekretär der KPdSU, plädierte Gorbatschow für nukleare Abrüstung und Gewaltverzicht. So versuchte er unter anderem das zu tun, was der Dalai Lama gern getan hätte, nämlich Saddam Hussein zum Einlenken zu bewegen. Als er 1991 von allen Seiten bedrängt wurde – den konservativen Kräften, rivalisierenden Reformpolitikern, streikenden Minenarbeitern –, die Lebenshaltungskosten explodierten, das bürokratische System nach wie vor zu schwerfällig agierte, die Sowjetunion zerbrach – da beispielsweise die baltischen Staaten ihre Unabhängigkeit erlangen wollten –, trat er freiwillig zurück, um ein Blutbad zu vermeiden. 1986 hatte er gemeinsam mit dem indischen Premierminister Rajiv Gandhi die »Deklaration von Delhi« über eine Welt ohne Kernwaffen und Gewalt unterzeichnet. 1990 wurde Gorbatschow, ein Jahr nach dem Dalai Lama, mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.
9 Nelson Mandela, 1918 in Südafrika geboren, von Beruf Rechtsanwalt, hat ein Leben lang gegen die Rassentrennung – Apartheid – gekämpft, die seinem Land von der weißen Afrikaander-Minderheit auferlegt wurde. Zunächst mit friedlichen Mitteln, indem er sich 1944 dem ANC (Afrikanischen Nationalkongress) anschloss, der jedoch 1960 verboten wurde. Daraufhin gründete Mandela mit anderen Mitstreitern den bewaffneten Flügel des ANC, den er fortan leiten sollte. Nach einer Reihe von Sabotageakten gegen militärische und öffentliche Einrichtungen wurde er festgenommen und zu lebenslanger Haft verurteilt. 1990 kam er nach 27 Jahren im Gefängnis frei und betrieb mit Staatspräsident Frederik de Klerk eine Politik der Versöhnung, die zum Ende der Apartheid führte. Dafür wurden beide Männer 1993 gemeinsam mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. 1994 wurde Mandela zum ersten schwarzen Präsidenten Südafrikas gewählt. In diesem Zusammenhang fällt auf, wie viel in den 1990er Jahren durch Gewaltverzicht erreicht wurde, ein großer Fortschritt in der Geschichte der Bewegung
10 Der Dramatiker Václav Havel, am 5. Oktober 1936 in Prag geboren, war zwölf Jahre lang der führende Kopf der tschechoslowakischen Dissidenten und verbrachte fünf dieser Jahre hinter Gittern. Nachdem er sich 1968 am von sowjetischen Panzern niedergewalzten Prager Frühling beteiligt hatte, erhielt er in seiner Heimat zwanzig Jahre lang Aufführungs- und Publikationsverbot. Havel war einer der ersten Sprecher der Charta 77, die sich gegen Menschenrechtsverletzungen richtete. Im November 1989 wurde er dann eine der führenden Figuren der Oppositionsbewegung »Bürgerforum«, die im Zuge der Samtenen Revolution die kommunistische Regierung ablöste. Von Dezember 1989 bis Juli 1992 war er Präsident der Tschechoslowakischen Republik, von 1993 bis 2003 Präsident der Tschechischen Republik, nachdem er die Trennung von der Slowakei nicht hatte verhindern können. »Wahrheit und Liebe müssen siegen über Lügen und Hass«, hatte er 1989 mit den anderen Demonstranten skandiert, bevor er seine tiefe Menschlichkeit und seine demokratische Gesinnung ganz in den Dienst der tschechischen Gesellschaft stellte. Am 18. Dezember 2011 starb er an den Folgen von Lungenkrebs. Eine Woche zuvor hatte er noch den Dalai Lama umarmt, den er gemeinsam mit Stéphane Hessel zum Forum 2000 über die Lage der Menschenrechte in Südostasien eingeladen hatte. Die Veranstaltung war dem chinesischen Dissidenten und Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo gewidmet, der aufgrund seiner Mitarbeit an der Charta 08 bis heute im Gefängnis sitzt. In diesem Manifest wird nach dem Vorbild der Charta 77 die Demokratisierung Chinas gefordert. Václav Havel hatte sich im Vorfeld dafür starkgemacht, Liu Xiaobo mit dem Friedensnobelpreis auszuzeichnen
11 Der afro-amerikanische Baptistenpfarrer Martin Luther King, am 15. Januar 1929 in Atlanta geboren, wurde am 4. April 1968 in Memphis, Tennessee, ermordet. Als gewaltloser Vorkämpfer für die Bürgerrechte der schwarzen Amerikaner, pazifistischer Gegner des Vietnamkriegs, begnadeter Redner – seine Rede »I have a dream« vom 28. August 1963 vor dem Lincoln Memorial in Washington ist legendär – hat er unter anderem Aktionen wie den Boykott der städtischen Busse von Montgomery in Alabama durchgeführt, um gegen die öffentliche Rassentrennung zu protestieren. Die Aufhebung der Rassentrennung und das allgemeine Wahlrecht wurden durch das Civil Rights Act und das Voting Rights Act unter Präsident Lyndon B. Johnson durchgesetzt. 1964 erhielt Martin Luther King als bis dato jüngster Preisträger den Friedensnobelpreis. Posthum wurden ihm von Jimmy Carter 1977 die Freiheitsmedaille, von den Vereinten Nationen 1978 der Menschenrechtspreis und vom amerikanischen Kongress 2004 die goldene Ehrenmedaille verliehen. Seit 1986 wird in den USA rund um den 15. Januar der Martin Luther King Day als offizieller Gedenktag begangen
12 Albert Camus in einem Brief an Étienne Benoist vom 12. März 1952, zitiert nach Oliver Todds Camus-Biographie Une Vie. Benoist (1901–1954) engagierte sich selbst für gewaltfreien Widerstand und hinterließ ein Werk, Le Petit Testament, das 1970 posthum erschienen ist. Sein Credo lautete: Man kann der Freiheit nicht entkommen.
13 Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen besteht aus fünfzehn Mitgliedern, davon sind fünf – China, die USA, Russland, Frankreich und das Vereinigte Königreich – ständige Mitglieder, die über ein Vetorecht verfügen. Es ist das einzige nicht demokratische Organ der UNO. Während alle anderen Organe nach dem Prinzip der Mehrheitswahl funktionieren, schreibt die Satzung dem Sicherheitsrat die Einstimmigkeit seiner fünf ständigen Mitglieder vor. Stéphane Hessel weist darauf hin, dass diese Regelung ursprünglich zur Beruhigung der fünf »Großmächte« diente, die [nach dem Zweiten Weltkrieg] eine Gefährdung ihrer eigenen Interessen befürchteten, sollten sie in der Minderheit sein. So unverzichtbar die Einstimmigkeitsklausel – besser bekannt als jenes »Vetorecht« – damals erschien, sorgt sie immer wieder für eine Blockade der UNO in brisanten Fragen, wie aktuell im Fall von Syrien: China und Russland verweigern trotz eindeutiger Mehrheit im Sicherheitsrat eine Verurteilung der Verbrechen, die das Regime von Baschar al-Assad gegen das syrische Volk verübt.
14 1984 wurde der Friedensnobelpreis an Desmond Mpilo Tutu aus Südafrika verliehen. Der anglikanische Geistliche ist bei seinem unermüdlichen Kampf sowohl gegen die Apartheid als auch gegen die Rachsucht einiger einstmals Unterdrückter niemals von seiner Friedensbotschaft abgerückt. 1986 wurde er als erster Schwarzer zum Erzbischof der Anglikanischen Kirche Südafrikas geweiht, 1995 übernahm er den Vorsitz der von Nelson Mandela gegründeten Wahrheits- und Versöhnungskommission. Bis heute setzt er sich für die Einhaltung der Menschenrechte in aller Welt ein, so auch in Tibet. Im April 2012 zählte Desmond Tutu zu den zwölf Nobelpreisträgern, die den chinesischen Staatspräsidenten Hu Jintao mit einem offenen Brief zu einem Dialog mit dem Dalai Lama aufgefordert haben.
15 Pater François Ponchaud in einem Interview mit Bruno Philip, am 6. Dezember 2011 in der Tageszeitung Le Monde erschienen.
16 René Cassin (1887–1976) gilt als Vater der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, die am 10. Dezember 1948 im Pariser Palais de Chaillot von der UNO angenommen wurde. Mit de Gaulle hatte er während des Zweiten Weltkriegs in London die freien französischen Streitkräfte gegründet, später war er Jurist und Diplomat, zeitweise Vertreter Frankreichs bei den Vereinten Nationen und Mitglied der zwölfköpfigen UNO-Menschenrechtskommission, die unter dem Vorsitz der amerikanischen Präsidentenwitwe Eleanor Roosevelt die Menschenrechtscharta erarbeiten sollte. Damals war Stéphane Hessel als junger Diplomat und Büroleiter des Vize-UN-Generalsekretärs Henri Laugier mit dem Sekretariat der Kommission betraut. Im Rahmen der Kommissionsarbeit konnte Cassin manche Nationen, darunter Frankreich, beschwichtigen, die ihre koloniale Souveränität durch die Erklärung bedroht sahen. 1968 erhielt er den Friedensnobelpreis.
17 Das Sonett 116 auf Deutsch:
Nichts löst die Bande, die die Liebe bindet.
Sie wäre keine, könnte hin sie schwinden,
weil, was sie liebt, ihr einmal doch entschwindet;
und wäre sie nicht Grund, sich selbst zu gründen.
Sie steht und leuchtet wie der hohe Turm,
der Schiffer lenkt und leitet durch die Wetter,
der Schirmende, und ungebeugt vom Sturm,
der immer wartend unbedankte Retter.
Lieb’ ist nicht Spott der Zeit, sei auch der Lippe,
die küssen konnte, Lieblichkeit dahin;
nicht endet sie durch jene Todeshippe.
Sie währt und wartet auf den Anbeginn.
Ist Wahrheit nicht, was hier durch mich wird kund,
dann schrieb ich nie, schwur Liebe nie ein Mund.
Übersetzt von Karl Kraus (1933)