Marcel
Bieger
Raumschlacht und Raumbarriere
Einige Aspekte des Science Fiction-Leihbuchs und seiner
Inhalte
Mein besonderer Dank geht an Heinz Mohlberg, Köln, ohne den mir manche Information vorenthalten geblieben wäre.
EINLEITUNG
Leihbücher – speziell für die Ausleihe in Tabakwaren-, Schreibwarenläden oder anderen privaten Ausleihen hergestellte Hardcover – erlebten ihre Blüte in einer Zeit, als das, was in ihnen stand, als Schund und als jugendgefährdend angesehen wurde. Anders als bei den Comics, die ebenfalls in jener Zeit bei uns groß geworden sind, haftet den Leihbüchern bis heute noch ein schlechtes Image an. Während die Groschenhefte von einst heute von zahlreichen Sammlern geschätzt werden, ist das Interesse an Leihbüchern gering. Das mag an ihrem abgegriffenen, schmuddeligen Aussehen liegen, vielleicht aber auch daran, daß man ihnen nur den allermiserabelsten Inhalt zutraut, während man den Heften zugesteht, zumindest die eine oder andere Perle aufzuweisen. Auch kommt der Sammler nur mit großen Schwierigkeiten an Leihbücher heran. Die Besitzer der Leihbibliotheken werden schon ein Auge darauf geworfen haben, daß ihre Bücher nicht in allzu großem Umfang entwendet wurden, und hinzu kommt, daß die Auflagen im Verhältnis beispielsweise zu den Heften sehr gering waren.
Nun denn, wir haben es hier wohl mit niederstem Schund zu tun. Wie sonst wäre zu erklären, daß bisher die SF-Leihbücher (von den anderen ganz zu schweigen) kaum literaturhistorisch oder SF-spezifisch erforscht worden sind, oder? An Sekundärliteratur lassen sich nur wenige Artikel in pädagogischen und literaturwissenschaftlichen Zeitschriften und die (z.T. noch nicht einmal zusammengefaßten) Bemerkungen und Ausführungen in SF-Sekundärwerken ausmachen. Der Verfasser dieser Arbeit war somit verstärkt auf eigene Entdeckungen und Sichtungen angewiesen.
Die SF-Leihbücher sind ein ungeheuer weites Forschungsfeld. Um überhaupt einen Rahmen für diese Arbeit zu finden, mußten Akzente gesetzt werden. In folgenden Arbeiten sollen einzelne Problemkreise ausgeleuchtet werden.
Schwerpunkt der folgenden Ausführungen sind Einblicke in Inhalt und Thematik der SF-Leihbücher. Erfaßt wurde eine repräsentative Auswahl (ca. 200 Titel), die auf folgende Autoren und Gruppen verzichtete: Vielschreiber (20 Titel und mehr){6}, große Serien (Perry Rhodan und Sun Koh), Übersetzungen ausländischer Romane{7} und Kurzgeschichtensammlungen{8}. Alle drei Gruppen weisen die gleiche Themenpalette wie die hier aufgenommenen Bände auf, müssen jedoch auf Grund ihrer spezifischen Unterschiede Gegenstand eigener Untersuchungen bleiben. Wie könnte z.B. ein W. Bröll, ein Winfried Scholz oder ein K. H. Scheer hier ausreichend dargestellt werden, wo sie jeder für sich allein schon gut fünfzig SF-Leihbücher verfaßt haben?
ALLGEMEINES ZUM LEIHBUCH
„Es muß unbedingt etwas gegen … dieses Stellarfieber unternommen werden.“
(J. v. Scheidt, Sternvogel; Bewin, 1962)
Die SF-Leihbuch-Forschung erschwert sich schon aus dem Grund, daß die genaue Anzahl der erschienenen Titel unbekannt ist. Bis heute ist keine vollständige Auflistung erstellt worden, und man wird wohl auch noch einige Zeit darauf warten müssen. Während das Heyne-SF-Lexikon 843 Titel aus dem SF-Leihbuchbereich aufführt{9} und Nagl von 900 spricht{10}, vermuten Sammler ca. 1200. Die Erfassung der Gesamtzahl muß darüber hinaus mit der Schwierigkeit fertig werden, daß eine ganze Reihe von Kriminal-Leihbüchern einen utopisch-phantastischen Inhalt haben (z.B. Atom-U-Boote oder AKWs, die vor einigen Jahrzehnten noch eher in den Bereich der Science Fiction gehörten) oder sonstwie das Genre streifen. Hinzu kommt, daß einige Leihbüchereien Romane aus Hardcover-Verlagen (z.B. Gebr. Weiß), deren Publikationen für den Buchhandel bestimmt waren, in ihre Bestände aufgenommen haben (später sogar Bände des Marion von Schröder Verlags etc.).
Die eigentlichen Leihbücher sind nicht bei Sortimentern gelandet, sondern von speziellen Verlagen produziert und im Abonnement an gewerbliche Leihbüchereien ausgeliefert worden. Sie unterschieden sich auch durch ihre (von allen diesen Verlagen berücksichtigte) genormte Aufmachung und ihr Äußeres von den normalen Hardcovers und gelangten nur höchst selten in den Buchhandel.
Wie sieht nun diese genormte Aufmachung aus? Das Leihbuch wiegt ein knappes Pfund, ist bis zu vier Zentimetern dick (in der Regel fünfzehn Bogen aus besonders dickem, nicht holzfreiem Papier), 18 Zentimeter hoch und 12,5 Zentimeter breit. Die Titelbilder sind direkt, kitschig, plump komponiert und in grellen Farben gehalten. Eingepackt ist das Ganze in eine Klarsichtfolie („Supronyl“), um das Buch vor Abnutzung und Verschmutzung zu schützen. Die Auflage betrug im günstigsten Fall 3000, gegen Ende hin kaum noch 1000 Exemplare{11}. Zu geschmacklosem Titelbild und Billigpapier gesellen sich Schludrigkeiten und haarsträubende Druckfehler. Da wird aus „Nova“ „Nowa“, der Autorenname muß (selbst auf dem Cover!) die unglaublichsten Veränderungen über sich ergehen lassen (B. Torsholm erscheint z.B. als B. Tiersholm oder auch B. Thiersholm), und da kann es auch schon einmal „Ein F. S.-Roman“ heißen. Ähnliches Pech hatte J. C. Dwynn mit seinem Serienhelden P. Collins: Dessen Vorname wird als Perryc, Peryc oder Percy wiedergegeben.
Die Anzahl der Verlage, die nur Leihbücher publizierten, war nicht gering. Marktführer im SF-Bereich waren Bewin in Menden (ca. 250 SF-Titel) und Gebr. Zimmermann in Balve (ca. 220 SF-Titel). Auf den weiteren Rängen liegen abgeschlagen Dörner in Düsseldorf (ca. 60 SF-Titel), Borgsmüller in Münster (ca. 60 SF-Titel, darunter 37 Bände Sun Koh) und Feldmann in Marl-Hüls (ca. 50 SF-Titel). Die ersten Verlage nach dem Zweiten Weltkrieg waren Iris in Iserlohn, der seit 1948 Romane des Autors „C. C. Zanta“ veröffentlichte, und Bielmannen in München, der seit 1949 im SF-Bereich nur „Freder van Holk“ publizierte (beide Autorennamen sind Pseudonyme). 1954 betrat Bewin den Markt, ein Verlag, der sich immerhin bis 1971 halten konnte. Neben einigen Übersetzungen erschienen im SF-Bereich vor allem viele deutsche Autoren, von denen etwa der Hälfte später der Absprung zum Heftroman gelang. Schon seit 1952 brachte der Verlag Gebr. Zimmermann unter den verschiedensten Verlagsnamen (Hönne, Widukind, Balowa) SF-Leihbücher heraus. Hier sind auch die meisten Übersetzungen ausländischer Autoren zu finden (sogar ein Roman von Stanislaw Lem). Neben vielen deutschen Autoren erschien bei Zimmermann auch der Nachdruck der Perry Rhodan-Serie. Ein Unikum war der Awa-Verlag in München, der von 1954-1961 hauptsächlich Übersetzungen gleichzeitig in drei Ausgaben vertrieb: als Leihbuch zum einen, als Hardcover und als Taschenbuch zum anderen für den Handel.
Die daneben existierenden Kleinverlage (deren genaue Anzahl unbekannt ist, da manche nur einen einzigen SF-Band veröffentlichten und andere nur regional verbreitet waren) konzentrierten sich im Bereich der SF zumeist auf einen Autor: Neben den schon genannten Verlagen Iris und Bielmannen sind da vor allem Ravenna in Basel mit utopischen Kriminalromanen von W. D. Rohr (unter dem Pseudonym Alan Reed – diese Bände sind nicht in der Taschenbuch-Reihe beim Pabel-Verlag nachgedruckt worden), Engelbert in Balve (heute noch im Bereich des Jugendbuches aktiv) mit W. W. Bröll oder Fresco in Frankfurt mit Winston Brown zu nennen. Verworren stellt sich ein Verlags-Konglomerat dar, das ausschließlich Werke von Kurt Brand publizierte: 1956 gründete sich in Köln Alka, der sich 1957 in Kölner Verlags-KG umtaufte. Daraus wurde 1959 der Steinebach-Verlag (Köln) mit den Ablegern Andra (Ratingen), Luro (Köln) und Alberti (Köln), wobei sich letzterer bis 1960 hielt und dann in Liquidation ging. Neben SF verlegte man dort auch Kriminalromane von Kurt Brand. Es darf wohl vermutet werden, daß Brand, zeitweise selbst Inhaber der größten Leihbücherei Kölns, einigen Einfluß auf dieses Konglomerat hatte{12}.
Die Leihbuch-Verlage deckten in der Regel die ganze Bandbreite der Trivialliteratur ab. Manche davon lassen sich auch heute noch im Heft-Sektor wiederfinden (Arzt-, Schicksals-, Schloß-, Heimatromane, Western und Krimis), für andere besteht in unserer Zeit wohl keine Nachfrage mehr (Legionärs-, Piraten-, historische und Abenteuerromane an exotischen Orten). Bei den Piratenromanen taten sich u.a. „Diego el Santo“ und „Pierre de Chalon“ hervor (beides Pseudonyme von K. H. Scheer){13}, und bei den Legionärsgeschichten findet man ebenfalls K. H. Scheer unter den fleißigsten Autoren wieder (unter den Pseudonymen Klaus Tannert und – wahrscheinlich – Rolf Torak). Aber nicht nur Scheer, auch andere im SF-Bereich tätige Autoren versuchten sich in anderen Genres. Hier sei nur Kurt Roecken genannt (heute noch als Autor von SF-Jugendromanen tätig), der unter dem Pseudonym „Reg Chappell“ mindestens 27 Kriminal-Leihbücher schrieb (Auflage dort mit 3000 angegeben). Besonders bei den Verlagen Kelter und Bastei sind etliche Leihbuch-Krimis in den diversen Heft-Reihen nachgedruckt worden. Hier seien vor allem die Serien Mac Driving, Pit Comber, Scott Kelly, Mister Mo, Inspektor Gordon, Pat Wilding (ca. 50 Bände) genannt.
Der SF verwandte Genres wie die Fantasy oder Weird Fiction findet man im Leihbuch hingegen nur vereinzelt. Speziell für den Horrorroman spielte damals wohl die Indizierungs-Problematik eine Rolle. Die genretypischen Grausamkeiten wären sofort indiziert worden. Erst im Taschenbuch (wo nicht so streng überwacht wurde) konnten Horrorromane gedruckt werden. Mythische Romane mögen als Pendant für die Fantasy angesehen werden (siehe „Mythisches und Kosmisches“). Zurück zum Horror, der sich hin und wieder in anderen Genres versteckt zeigte. In den Krimis hatten es die Detektive/Kommissare gelegentlich mit übersinnlichen Erscheinungen zu tun (was damals nicht als Horror, sondern als Mystizismus bezeichnet wurde), und in den Tropen-Romanen stießen die wackeren Forscher auch schon einmal in verwitterten Tempeln auf uralte Gottheiten und anderes Übersinnliche. Ausnahmen sind die im Rappen-Verlag in Goslar erschienene Reihe Der Magische Roman{14} und im Bethke-Verlag die Reihe Mysterium-Bücher, die jedoch durch die Bank indiziert wurden. In den siebziger Jahren gerieten dann beim Rekord-Verlag in Viersen Dan Shocker-Romane in die Leihbücher. Es handelte sich dabei um Nachdrucke der Heftserie von J. Grasmück, die mindestens bis 1976 verlegt wurden. Damit dürfte Rekord mit sehr großer Wahrscheinlichkeit der letzte tätige Leihbuch-Verlag gewesen sein.
ENTWICKLUNG
„Der Autor entreißt … dem Zeitgang der Ewigkeit eine Episode.“ (Aus der Inhaltsangabe zu: B. Andrew, Alpha Centauri; Feldmann, 1958)
Schon im Hitlerdeutschland waren gewerbliche Leihbüchereien weitverbreitet. Die damalige Heftpublikation war auf Grund der kriegsbedingten Papierknappheit zum Erliegen gekommen. Wer also etwas lesen wollte, mußte sich ein Buch leihen. Diese besondere Form von Bibliotheken überlebte den Krieg.
Bereits 1946/47 erschienen in Deutschland wieder mindestens zwanzig neue SF-Titel.{15} Wie für alle abenteuerliche Literatur brach auch in der Science Fiction die „Neue Zeit“ aus, d.h. vor allem, Faschismus und Weltkrieg wurden erstaunlich schnell verdrängt{16}. Mehr noch, die deutsche SF bastelte in den ersten Nachkriegsjahren eifrig an der Legende, ihr sei im Dritten Reich die Rolle einer Art von Widerstandsliteratur zugekommen{17}. Ein Anspruch, der natürlich wenig Gültigkeit besaß, vor allem dann nicht, als von einigen Autoren sogar eine Art Reinwaschung des NS-Regimes ansatzweise versucht wurde (z.B. in der Serie Frank Kenney{18}).
Die Leihbüchereien überlebten nicht nur, sondern wuchsen in der Nachkriegszeit auch stark an. Bis 1960 soll es in der BRD 28000 gewerbliche Leihbüchereien gegeben haben.
Auch die Science Fiction erlebte in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre einen ersten Boom. Die Raumfahrt begann, Raketen hoben von der Erde ab, der Sputnik umkreiste unseren Planeten. Dadurch bedingt, wuchs das Interesse an der Zukunftsliteratur – ungeahnte Möglichkeiten schienen sich auf zutun. Gleichzeitig machte sich aber (mit dem Vorstoß im All in engem Zusammenhang stehend) das Phänomen der ‚Ufo-Hysterie’ breit – hervorgerufen von der jähen Erkenntnis des „Wir sind nicht allein“ und der irrational-panischen Angst, die Russen könnten neue Geheimwaffen entwickeln.
Die Leihbücher bleiben in der SF nicht allein, auch wenn sie bis weit in die sechziger Jahre hinein noch das Medium der Zukunftsliteratur schlechthin bleiben (1957 kamen pro Vierteljahr bis zu 20 neue SF-Leihbuch-Titel in die Büchereien). Schon seit 1949 belieferte der Verlag Gebr. Weiß den Buchhandel mit SF-Titeln. Kurzzeitig tat es ihm der Rauch-Verlag gleich. Größere Bedeutung erlangten die Heftreihen: 1953 kam Utopia (Pabel), 1954 Utopia-Großband (Pabel), 1956 Luna (Lehning), 1957 Terra (Moewig) und so fort. Vor allem den Aktivitäten Walter Ernstings war es zu verdanken, daß die SF bei uns auch außerhalb des Leihbuches Fuß fassen konnte{19}.
Als Ende der fünfziger Jahre die Bundeswehr etabliert und das „Verteidigungsdenken“ regierungsamtlich angeordnet wurde und die Landser-Hefte auf den Markt kamen, erlebten die SF-Leihbücher einen ersten größeren Einbruch. Viele Leser interessierten sich mehr für Panzergefechte an der ‚Ostfront’ als für imaginäre Raumschlachten im All{20}. Die Parole für die deutschen Leihbuch-Autoren hieß Anpassung oder Untergang. Man entschied sich für ersteres – für noch mehr und noch gewaltigere Raumschlachten und Invasoren, die ein bißchen mehr als vorher an Russen und Chinesen erinnerten (wenn man sie nicht gleich beim Namen nannte).
Auch das Aufkommen des Fernsehens erwies sich als gefährlich für das Leihbuch. Es wurde in immer stärkerem Maße ferngesehen und immer weniger gelesen. Ein Trend, der bis heute anhält und durch die Video-Geräte eher noch verstärkt worden ist.
Seit den sechziger Jahren brachte die Honorarfrage die Leihbücher zusätzlich in Bedrängnis. Nur die schlechteren Autoren blieben beim Leihbuch, wer irgend konnte wechselte zu den besser zahlenden Heft-Verlagen über{21}. Ebenso gerieten die Leihbuch-Verlage durch die verstärkte Lesernachfrage nach angloamerikanischen SF-Romanen (die im Bereich des Hefts und des Taschenbuchs wesentlich rascher aufgefangen wurde) ins Hintertreffen. Aber noch trockneten die Leihbuch-Verlage nicht aus. Ständig kamen neue Autoren zu ihnen, zum Teil, um sich beim Leihbuch die ersten SF-Sporen zu verdienen. Noch 1968 debütierte Udo Biegel, der sich bis hinein in die siebziger Jahre zum Vielschreiber entwickeln konnte.
Der eigentliche Todesstoß erfolgte von den Taschenbüchern. 1960 kamen sowohl Goldmann als auch Heyne mit ihren SF-Reihen auf den Markt. Haftete auch den Heften noch der Ruch des Trivialen an, so entstand mit den Taschenbüchern zum ersten Mal die Möglichkeit, breiteste Bevölkerungsschichten an das Buch heranzuführen. Für relativ wenig Geld wurde es jedem Interessierten möglich, sich seine eigene Bibliothek aufzubauen. Das Angebot der Taschenbuchverlage erreichte nach erstaunlich kurzer Zeit ein beachtenswertes Ausmaß. Im Bereich der SF konzentrierten sich Heyne und Goldmann auf neue Werke aus dem angloamerikanischen Raum, die, bei allem Respekt, um Klassen besser waren als das, was man in den Leihbüchern fand. Dieses Niveaugefälle blieb natürlich nicht lange verborgen und verdrängte im Verein mit dem Exodus der heimischen Autoren zum Heft die Leihbücher immer mehr.
Die Leihbuch-Verlage versuchten, sich dem Publikumsgeschmack und den härter gewordenen Marktbedingungen anzupassen. Bei Gebr. Zimmermann hängte man sich an die Erfolge anderer an (vor allem an die Perry Rhodan-Serie, von der man 102 Hefte zu 51 Leihbüchern zusammenfaßte, aber auch mit verstärkten Nachdrucken von Übersetzungen ausländischer Romane). Bei Bewin blieben die Honorare niedrig (DM 300, – bis 500, – pro Manuskript), um so die Kosten aufzufangen. Das Ende konnte damit jedoch nur verzögert, nicht aber verhindert werden.
Anfang der siebziger Jahre hatte sich im Grunde genommen nur noch der Bewin-Verlag gehalten. Er produzierte lediglich einen SF-Band pro Monat, dessen Auflage auf 1000 gesunken war (später auf nur noch 800). Bald warfen auch die gewerblichen Leihbüchereien das Handtuch. Zwischen 1976 und 1978 lösten sich die meisten von ihnen auf und verkauften ihre Bestände. Es ist fraglich, ob heute überhaupt noch Leihbüchereien existieren, da der Nachschub an neuen Titeln (jeder, der den Bibliotheksbetrieb kennt, weiß, wie wichtig zur Anbindung größerer Lesergruppen immer wieder neue Titel im Angebot sind) ausbleibt und die kommunalen Bibliotheken dank breiterem (oft umfassenden) Angebot wieder stärkeren Zulauf erhalten.
INHALT
„Mehr dürfen wir hier nicht verraten, denn sonst würde der Roman an Spannung verlieren. Eine Spannung, die sich fast ins Unerträgliche steigern wird.“
(Inhaltsangabe zu: J. C. Dwynn, Menschen, Mächte und Mutanten, Wiesemann, 1959)
Deutschland nach dem verlorenen Krieg: Viermächteabkommen, vier Besatzungszonen, zwei deutsche Staaten. 1949 Verkündigung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland: 1947 tritt der Marshall-Plan in Kraft, der massive US-Devisenhilfe zum wirtschaftlichen Wiederaufbau der Länder Westeuropas bringt. Seit 1950 wirtschaftlicher Aufschwung der BRD („Wirtschaftswunder“) – Arbeitskräfte werden dringend gebraucht, nach dem Versiegen des Zustroms aus dem Osten (Mauerbau) Gastarbeiter (1964 bereits eine Million). Die Löhne steigen schneller als die Preise. Soziale Marktwirtschaft: ab 1949 sozialer Wohnungsbau, Generationenvertrag zur Sicherung der Renten, Sozialpartnerschaft, Vermögensbildung breitester Schichten. Rasantes Ansteigen des Bruttosozialprodukts. Konsum („Freßwelle“, „Reisewelle“). Zusammenschluß der Schwerindustrie (1950 Gründung der Montan-Union). 1952 Ende des Marshall-Plans, danach WEU (Vorläufer der EG), 1954 Beitritt der Bundesrepublik. 1957 Bergbaukrise. 1963 Abflauen der wirtschaftlichen Zuwachsrate. 1966 Strukturkrise im Bergbau („Zechensterben“). 1967 Rezession. Ende der Sechziger sozialpolitische Spannungen („Wilde Streiks“), APO, NPD, Große Koalition.
Langjährige Vorherrschaft der CDU im Bund und in den meisten Ländern. Alte Nazis finden ein Schlupfloch, die KPD wird verboten. Seit 1956 Aufbau der Bundeswehr (1949 Gründung der NATO). Ostermärsche gegen den ‚Atomtod’ (bis 1959). 1962 ‚Spiegel-Affäre’ (Bedrohung der Pressefreiheit). Seit 1965 Notstands-Debatte im Bundestag (Verabschiedung des Gesetzpaketes 1968). Mitte der Sechziger geistiger, politischer, kultureller und sozialer Umbruch („Studentenunruhen“). Seit 1969 SPD/FDP-Regierung.
Seit 1946 offene Entfremdung zwischen den Siegermächten („kalter Krieg“), atomare Bewaffnung der beiden Blöcke („Gleichgewicht des Schreckens“). Konsequente Westintegration der Bundesrepublik, antikommunistische Stimmung im Land (1948/49 Berlin-Krise, 1949 Proklamation der VR China, 1950-53 Korea-Krieg, 1953 „17. Juni“, 1956 Unruhen in Ungarn).
Die BRD steht unter dem Primat der Wiedervereinigung. Außenpolitik zunächst stark eingeschränkt durch Bestimmungen der Siegermächte, später durch die „Hallstein-Doktrin“. Aussöhnung mit dem Westen und mit Israel.
Existenzialismus, Modern Jazz, Rock’n Roll und Beat. Amerikanisierung, Kaugummi, Blue Jeans. Vespa. Antikommunismus. USA – das fabelhafte Wunderland, der Wunschpartner. Das eigene Auto. Die Bundesrepublik wird zu einer der führenden Wirtschaftsmächte. Nierentisch und Pop-Art. Fernsehen. Stereo. Kofferradio. Farbfernsehen. HiFi. Nach dem „bösen Deutschen“ wird der „böse Russe“, dann der „böse Chinese“ in den Agenten-Thrillern gejagt. 1957 Sputnik. 1969 erster Mensch auf dem Mond.
Science Fiction-Autoren sind keine Hellseher. Sie orientieren sich nur an dem, was sie erfahren oder erleben. Davon ausgehend extrapolieren sie. Das Ergebnis läßt auf das Niveau ihrer Informiertheit und Sensibilität schließen. Die SF-Autoren der fünfziger Jahre orientierten sich an den Zuständen der fünfziger Jahre: an den Hoffnungen, dem materiellen Wohlbefinden, dem Antikommunismus, der Furcht vor der Atombombe, der Ungewißheit angesichts der Unabhängigkeitsbewegungen in Afrika und Asien.
Die deutsche SF der Fünfziger findet sich im Leihbuch. Die einzige direkte Konkurrenz damals, die Hefte, druckten jahrelang überwiegend Leihbücher ab (s. „Würdigung“). Die Dominanz der angloamerikanischen SF auf dem deutschen Markt zeigte ihre ersten Anzeichen, benötigte aber noch einige Jahre, um voll durchzuschlagen (eigentlich erst mit dem Aufkommen der Taschenbücher).
Ist die Leihbuch-SF nun ein Sonderfall, ein Spezialgenre? Mit Sicherheit nicht. Man findet in ihr die gleichen Plots, Abenteuer und Szenarien wie überall in der SF, die bis Mitte der sechziger Jahre international gang und gäbe war (und aus den Pulps entstanden war). Das Besondere an der Leihbuch-SF ist ihre Standardisierung bzw. Beschränkung auf eine geschlossene Themenpalette, die die Unflexibilität offenbart, an der dieses Medium schließlich scheitern sollte.
Sechs Grundthemen sind auszumachen: Abenteuer im All – Krieg – Katastrophen – Agenten, Bösewichter und Supermenschen – Wunderbare Zukunft – Mythisches und Kosmisches. Vielfalt entsteht durch gewisse Variationen oder Kombinationen und ein Instrumentarium an Hilfsmitteln: diverse Protagonistentypen, politische Zustände auf der Erde oder im All, kosmische Bedrohungen von unterschiedlichem Ausmaß, Rettungsaktionen von unerwarteter Seite („deus ex machina“) und und und. Beim eigentlichen Handlungsablauf reduziert sich die Vielfalt auf einige wenige Grundformen. Nagl erklärt, daß sich das Genre „auf phantastisch-technisch aufgeladene Kriminalromane oder Weltraumromane beschränkt …“{22}. Wir möchten dies variieren und um den ‚Krieg’ erweitern. Jedes in einem SF-Leihbuch auftauchende Problem wird entweder durch einen Agenten, eine kriegerische Auseinandersetzung oder technischen Wagemut gelöst. Neben der Auseinandersetzung besteht das Primat der Weltraumfahrt. Bis auf einen kleinen Bruchteil finden alle Geschichten mal mehr und mal weniger im Kosmos statt. Die Faszination des Raumfluges, der kosmischen Weite und der Exotik des Alls waren wesentliche Bestandteile des genreeigenen Reizes. Man sah sich in der Tradition von Hans Dominik. So heißt es im Vorwort zu H. Eggers’ Der Wettlauf mit dem Planeten (Anker, 1950):
„Alle die Leser unter Ihnen …, welche sich zu der Gemeinschaft der Dominik-Freunde zählen, werden das Buch von Eggers mit Skepsis zur Hand nehmen …“
Und etwas weiter:
„Hans Dominik, der Verfasser zahlreicher Zukunftsromane, ist tot. Noch ist er ein menschlicher Verlust für uns. Dominik war neben einem genialen Erzähler auch ein großer Ingenieur. Und das hat unser Autor Herbert Eggers mit ihm gemein.“
THEMEN UND AUTOREN
„Marco Janus stellt einige Ansprüche an seine Leser.“
(Aus Inhaltsangabe zu: M. Janus, Der Stern der Väter;
Iltis, 1959)
In Ermangelung neuer Autoren bekamen in den ersten Nachkriegsjahren auch erfolgreiche Autoren aus der Zeit des Dritten Reiches wieder Arbeit. Sie legten sich überwiegend, um einen besseren und unverdächtigeren Wiedereinstieg in den Markt zu bekommen, neue und/oder anglisierte Pseudonyme zu: Paul Alfred Müller etwa wurde zu „Ive Steen“, Kurt Roecken zu „Henry Walter“ und „C. V. Rock“ oder Axel Berger zu „G. Barring“. Bis weit in die fünfziger Jahre hinein dominierten die „neuen“ alten Autoren die SF-Leihbücher. Aber sie blieben nicht lange unter sich. Neue Autoren drängten nach, von denen nur noch einige (z.B. U-Boot-Fahrer K. H. Scheer) einen bewußten Bezug zum III. Reich gehabt haben. Aus ihren Reihen kamen dann auch jene Vielschreiber, die bis in die späten Sechziger (und darüber hinaus) die deutsche SF im Leihbuch und Heft dominierten. Unter ihnen sind Kurt Brand, Eberhard Seitz, Wolf Detlef Rohr, Winfried Scholz, Joachim Puhle und die ersten Autoren des Perry Rhodan-Teams: Ernsting, Scheer, Kneifel. Sie alle verfügten über (durchweg) mehrere Pseudonyme.
Pseudonyme … Im Bereich des SF-Leihbuchs konnte eine große Anzahl dieser Pseudonyme bis zum heutigen Tag nicht aufgedeckt werden. Etliche von ihnen waren Verlagspseudonyme, das heißt, mehrere Autoren schrieben unter diesem Namen. Sie gingen mit dem Ende des entsprechenden Verlages unter. Vieles davon ist heute in Vergessenheit geraten und kann nur noch durch Zufälle aufgedeckt werden{23}. Neben privaten und individuellen Gründen, sich ein Pseudonym zuzulegen, kommt eine weitere Schwierigkeit hinzu: Aus Steuer- oder vermögensrechtlichen Gründen achteten einige Autoren darauf, daß nur eine sehr begrenzte Personenzahl ihren richtigen Namen mit einem Pseudonym verbinden konnte. Viele der in Fan-Kreisen immer wieder auftauchenden Vermutungen, bei diesem oder jenem Namen handle es sich um das Pseudonym von XY, haben sich als falsch erwiesen (z.B. hinter „William Kellock“ stecke Hans Kneifel – es handelt sich dabei vielmehr um ein Verlagspseudonym). Und letztendlich spielte (vor dreißig Jahren wohl noch wesentlich stärker als heute) das miserable Ansehen zumindest der trivialen Formen der Science Fiction eine nicht zu unterschätzende Rolle.
Vor allem der zweite Aspekt hat auch heute noch seine Berechtigung. Immer noch publizieren einige Autoren unter Pseudonym (und das Anglisieren scheint dabei ebenfalls nicht aus der Mode gekommen zu sein).
ABENTEUER IM ALL
„Schiffsmädel … im Zeichen der Gleichberechtigung hofft auch die weibliche Jugend … daß … diese Romantik für sie gültig sein wird.“
(Aus Inhaltsangabe zu: M. Janus, Gangster im Weltraum; Iltis, 1959)
„Ein Mensch und zwei Roboter gegen ein ganzes UNIVERSUM!“
(Aus Inhaltsangabe zu: J. C. Dwynn, Menschen, Mächte und Mutanten; Wiesemann, 1959)
Fremde Welten: fremde Ökologien, fremde Lebensformen und fremde Kulturen. In der Leihbuch-SF wurde viel durchs All gereist. Und regelmäßig landeten die irdischen Raumfahrer auf fremden Welten – überwiegend bewohnte Planeten, und oft genug von humanoiden Rassen bewohnt, deren Kulturen bemerkenswerte Ähnlichkeiten mit irdischen Zuständen aufweisen (zumindest so, wie der Autor die Welt der fünfziger und sechziger Jahre erfahren hat). In Höhere Gewalt (Iltis, 1959) von M. Janus{24} fliegt ein Dr. Powell mit seinen Gefahren durchs All. Sie landen auf einer Welt, deren Bewohner den Menschen der Erde unglaublich weit überlegen sind – vornehmlich in wissenschaftlich-technischer Hinsicht. Doch auch darüber hinaus wirken sie weiterentwickelt (keine Kriege mehr, eine höhere Ethik). Janus möchte diese Rasse als Beispiel für eine mögliche und gleichzeitig wahrscheinliche zukünftige Menschheit verstanden wissen. Daher legt er im Handlungsablauf weniger Wert darauf, die Terraner sich gegenüber diesen Superwesen bewähren zu lassen – wie das andere Autoren getan haben (z. B. J. v. Puttkamer in Galaxis Ahoi!; Dörner, 1959, wo vom Kurs abgekommene Reisende sich in einem fremden, überlegenen Sternenreich behaupten müssen) –, sondern läßt Dr. Powell und seine Kameraden Erfahrungen machen, die sie zum Nachdenken anregen.
Materielle Hilfe statt ein ethisches Vorbild erhält ein irdischer Raumfahrer in W. Keyens Jenseits vom Licht (Borgsmüller, 1958), wenn er dort in das Geheimnis des überlichtschnellen Fluges eingeweiht wird (ohne den ein Verlassen des Sonnensystems kaum möglich wäre) – eine Art kosmisches Care-Paket. Doch nicht nur das Nehmen, sondern auch das Geben findet seinen literarischen Niederschlag. Das von US-Präsident Kennedy ins Leben gerufene Peace Corps (gegründet 1961) und die Entwicklungshilfe der westlichen Welt (wo sich seit 1950 die Bundesrepublik besonders hervorgetan hat) mögen geistig Pate gestanden haben, wenn im Leihbuch die Erde Wissenschaftler zu den Ganymedern entsendet, die an ihrer Sterilität zugrunde gehen (F. Berning, Sterbender Ganymed; Bewin, 1961). Bei U. Biegel bereist sogar ein Inspektor mit der Aufgabe die Galaxis, bedrohten Russen zu helfen (Inspektor der Galaxis; Bewin, 1970). Der oben schon erwähnte Dr. Powell ist ebenfalls in Sachen Entwicklungshilfe unterwegs, wenn er auf eine mittelalterliche Welt gerät und dort ‚bessere’ Zeiten ausbrechen lassen will (M. Janus, Der Stern der Väter; Iltis, 1959). Bei allem guten Willen der Autoren haftet diesen Romanen jedoch eine gewisse Naivität an. Sicher, erst heute wissen wir, daß ökonomische Hilfe oder technologisches ‚Unter-die-Arme-Greifen’ allein die Probleme eines weniger entwickelten Volkes (seien es nun Menschen oder Angehörige kosmischer Rassen) nicht lösen können. Trotz massiver Wirtschaftshilfe registriert man auch heute ein ‚Nord-Süd-Gefälle’ in der Welt. So vermag sich beim heutigen Lesen dieser Romane die rechte Dramatik nicht mehr einzustellen. Mehr zu bieten haben da die Geschichten, die sich auf kosmische Panoramen oder Gefahren konzentrieren. Der sense of wonder läßt sich zumindest ahnen, wenn die Autoren sich an der Fremdartigkeit anderer Sonnensysteme oder entfernter Regionen der Galaxis versuchen (z.B. H. Bings/C. Darlton, Der Sprung ins Nichts; Balowa, o. J.; R. Clear, Unbekannte Galaxis; Bewin, 1966; C. Choice, Das Geheimnis der Schneemenschen; Andra, 1958).
Der Fortschrittsglaube, das Gefühl, bei der nötigen Entschlossenheit alles zu erreichen, spiegelt sich wider, wenn die Terraner sich mit den geophysikalischen Absonderheiten eines ‚verrückt spielenden’ Planeten herumschlagen müssen (W. Newhome, Problem Starara; Bewin, 1967), kosmische Barrieren wie den Stählernen Nebel (A. Jeffers; Hönne, 1953) überwinden, sich Antimaterie, Supernovae und einer „Atomhölle“ stellen (J. v. Scheidt, Männer gegen Raum und Zeit; Wieba, 1958) oder die Zeit bezwingen (G. Torgas, Nach 250 Jahren zurück; Luro, 1959; W. Keyen, Sprung über die Zeit; Borgsmüller, 1959). Hier drückt sich in Ansätzen das Abenteuerliche in unerwarteter Umgebung und exotischen Szenarien aus, das seit jeher zu den wesentlichen Merkmalen der Science Fiction gehörte. Harmlose Vergnügen meist, wenn auch leider zu oft mit deutlicher Tendenz zur Vereinfachung; denn damals legten die Autoren großen Wert darauf, ihre Protagonisten vor allem weiter fliegen zu lassen als die ihrer Kollegen (kein rein deutsches Phänomen). Daß dabei einiges an Exotik und schriftstellerischer Brillanz auf der Strecke geblieben ist, versteht sich eigentlich von selbst – Folge der vornehmlich technisch-wissenschaftlichen Weiterentwicklung in der Bundesrepublik, die sich auf das Rationale, das mathematisch Erfaßbare konzentrierte.
Lohnender, weil farbiger und menschlicher, ist da ein Werk von Ch. Reiners, Experiment mit Alf (Bewin, 1967). Dieser Alf erhält eine Münze, die zur Stabilisierung des „zwischendimensionalen Energiehaushalts“ von entscheidender Bedeutung ist. Alf tritt eine Reise durch die Dimensionen an, die sich natürlich in ihrer Exotik nicht radikal von dem unterscheidet, was andere in der kleineren Galaxis erleben. Dennoch handelt es sich hier um eines der wenigen späteren SF-Leihbücher, die in Plot und Charakterisierung Ansätze zu intensiverer Auseinandersetzung, also zu einem Reagieren auf veränderte Lesegewohnheiten, erkennen lassen. Mehr hat auch A. Jeffers in seinem Raumschiff Wega (Hönne, 1956) zu bieten. Auch hier gibt es eine Reise durch die Galaxis. Doch statt um die Brechung von Weiten- und Geschwindigkeitsrekorden bemüht sich Jeffers, menschliche Intrigen und Charakterschwächen darzustellen, die während einer langen Fahrt durch das All zwangsläufig an Bord entstehen. Leider ist der Versuch nicht so weit gelungen, daß der Roman auch heute noch ein Leseerlebnis wäre. Die starke Klischeehaftigkeit der damaligen Personencharakterisierungen konnte Jeffers nur zum Teil abstreifen.
Der immer wieder bemühte Typenkatalog jener Jahre war nicht auf das SF-Leihbuch beschränkt. Wer sich heute im ZDF die (soundsovielte) Wiederholung eines Edgar-Wallace-Filmes ansieht oder einen SF-Film aus den Fünfzigern (übrigens auch noch in der TV-Serie Raumpatrouille aufgewärmt), wird die folgenden Typen wiederfinden: den mutigen, nie aufgebenden Journalisten; den schneidigen, dickköpfigen Militär (vor allem den Unteroffizier und den General); den Millionärssohn, der etwas ‚Richtiges’ leisten will; den Wissenschaftler, der, leicht bis schwer vertrottelt, permanent an neuen Formeln arbeitet; die Frau, die (nicht immer) etwas kann, aber alles Wissen etc. fröhlich über Bord wirft, wenn einer markig-männlich daher stolziert kommt, um sie zu heiraten; den Einfältigen, der nur dazu geschaffen wurde, den Helden in noch strahlenderem Glanz erscheinen zu lassen, und höchstens dazu in der Lage ist, ein paar Außerirdische abzuknallen; den Bürger, der dauernd Angst vor den bösen Feinden hat und von den Militärs gerettet werden muß; schließlich den Ingenieur (oft ein Deutscher), der aus den simpelsten Hilfsmitteln in der größten Not einen Atomkonverter bauen kann. Diese Typen sind unveränderlich, starr und eindimensional. Natürlich passen sie so auch in den Plot des normalen Romans. Denn die Gefahren, die da aus dem All auftauchen, bedürfen abrufbereiter Helden, die nicht erst lange überlegen müssen, sondern in bestimmter Weise (und nur so) darauf reagieren können. Die Bedrohungen selbst sind ja auch grell und klotzig, da bleibt für ein Abwägen, für eine Diskussion über mögliche zu treffende Maßnahmen im Grunde keine Zeit.
Diese Schablonen-Charaktere resultieren sicher auch aus den bis vor einigen Jahren mangelhaften psychologischen Kenntnissen in der Mehrheit der Bevölkerung (und die Leihbuch-Autoren stammten aus dieser Bevölkerungsmehrheit). Erst Mitte der sechziger Jahre erlebten die Freud, Reich, Adler, Jung usw. eine Wiederentdeckung im Zuge der studentischen Unruhen. Auf einen knappen Nenner gebracht: Was eine Neurose ist, weiß heute eigentlich jeder, während der Psychoanalyse bis vor anderthalb Jahrzehnten noch etwas sehr Geheimnisvolles anzuhaften schien. Anders ausgedrückt, der Held (der männliche, martialische, auch väterliche) galt damals noch etwas, und niemand wäre auf die Idee gekommen, sein Verhalten und Gebaren psychoanalytisch zu hinterfragen und dabei zu analen Fixierungen und ähnlichen, für den Helden nicht unbedingt schmeichelhaften Ergebnissen zu gelangen.
Der martialische Held ist aus den SF-Leihbüchern kaum wegzudenken. Nicht immer landen terranische Kosmosreisende auf Planeten, deren Bevölkerung sie freundlich oder dankbar empfängt.
In diesen anderen Fällen wird dann eben von der Waffe Gebrauch gemacht. Die Exotik entfällt so gut wie völlig, es sei denn, man betrachtet schon das Aussehen der unfreundlichen Rasse als solche. Intelligente Insektenwesen (die beim SF-Leihbuch immer schlecht wegkommen) erledigt man in A. Calhouns Android’s Planet (Borgsmüller, 1961) und M. Cavendishs Das Erbe der Lavuaner (Bewin, 1967), intelligente Pflanzen in G. P. Grays Titanen im All (Bewin, 1958) und Geisterwesen in R. Kochs Weltraumgespenster (Awa, 1957). Ein Phänomen der älteren SF, Gewalttätigkeit, Aggression und Schießereien als Motor des Handlungsablaufs einzusetzen. Dort läßt sich eine gewisse kleinbürgerliche Xenophobie erkennen, die Angst vor Fremden, die sich in Gewalt entlädt. Eine Geisteshaltung, die sich auch in unseren Tagen („Türken raus“) in ihrer ganzen Dummheit und Widerwärtigkeit offenbart, wie sie sich auch in der Historie immer wieder dort nachweisen läßt, wo Unaufgeklärtheit und Verdrängung den Zeitgeist bestimmten.
KRIEG IM ALL
„Auf dem Weg zur Erkundung jener Mächte, die geheimnisvoll aus dem tiefen All aufblitzen, geraten Menschen in die erschauerlichen Nöte kosmischer Verlorenheit.“
(Aus Inhaltsangabe zu B. Andrew, Alpha Centauri; Feldmann, 1958)
Deutschland hatte den Zweiten Weltkrieg verloren. Eine ungeheuerliche Erfahrung für jedes Volk (ungeachtet der besonderen Situation des Faschismus in diesem Fall), die es erst einmal verwinden muß – z.B. durch Verdrängung der Kriegsschuldfrage (wie in den Nachkriegsjahren): die Ohnmacht, sich dem zu stellen, was man angerichtet hat, die Demütigung durch die Siegermächte (die von Politik über Wirtschaft bis zu Fragen der Souveränität alles in ihre Hand nahmen), die Angst vor der Rache der überfallenen Sieger, die bange Frage nach der Zukunft, die Gerüchteküche („Rollback“). Wie war ein Krieg doch noch zu verlieren, den man so siegreich begonnen hatte? Man suchte die Schuld bei anderen (erklärte Hitler zum Verrückten, als ob damit schon alles ergründet wäre) oder verklärte den Krieg zu einer mythischen Bedrohung, die unerwartet über ein Volk hereinbricht und gegen die man sich kaum wehren kann.
Die oben schon angeführte Xenophobie zeigt sich in den Raumschlacht-Romanen von ihrer scheußlichsten Seite. An sich schon neurotisch, steigert sie sich noch zur Paranoia. Nach der Lektüre von nur dreien solcher Romane kommt man schon zu dem Schluß, die Erde befinde sich in einem permanenten Kriegszustand. Ständig tauchen aus heiterem Himmel die Aliens auf und verfolgen nur ein Ziel: die Menschheit auszuradieren. Der in den fünfziger Jahren ausgebrochene Ufo-Wahn, verbunden mit der hysterischen Angst vor einer kriegerischen Bedrohung durch die östliche Seite, schuf eine Stimmung, aus der und für die Leihbuch-Autoren ins All verlegte Kriegsromane verfaßten.
Vom Sirius-System erscheinen Raumschiffe mit Zerstörstrahlen und anderen schrecklichen Waffen (B. Andrew, Weltbrand vom Sirius; Feldmann, 1959; Ch. Spencer, Sieger bleibt der Mensch; Bewin, 1959). Die Invasoren kommen ohne Ankündigung und morden ohne Sinn. Aus dieser offenkundigen Unlogik erwächst dann der kausale Zusammenhang, daß die Erde konstant bis an die Zähne bewaffnet abwarten muß. Eine Situation, von der aus es nicht mehr weit bis zur Diktatur, bis zur Militär-Junta ist. (Beispiele: D. Bennet, Gestern ging die Welt unter und Menschen vom Himmel; Hönne 1959; H. Eggers, Der Wettlauf mit dem Planeten; Anker, 1950; W. Newhome, Der Befehl; Bewin, 1967; U. Biegel, Diese Welt gehört Euch; Bewin, o. J.; Ch. Reiners, Sklaven der Roboter; Bewin, 1966; B. Andrew, RF 10 überfällig; Feldmann, 1961; F. Delward, Alarm für System Capella; Widukind, 1962; H. Bings, Welten in Brand; Hönne, 1956; F. Berning, Raumschiff der Toten; Bewin, 1963; F. G. Wilkins, Der grüne Regen; Heros o. J., wahrscheinlich 1958; H. Grob, Intermezzo im Kosmos; Bewin, 1961).
Hier können sich dann die kantigen, unerbittlichen Generale und Unteroffiziere bewähren. Sie erhalten ihre Existenzberechtigung durch schiefe Prämissen (Mythos des Krieges, Xenophobie, permanenter Notstand oder weil eine mysteriöse Macht von irgendwo in der Galaxis zwei andere Mächte in den Krieg treibt).
Ganz anders aber sieht die Sache aus, wenn die Erde sich selbst ein Imperium zusammenerobert hat (im Prinzip also das gleiche tut oder vorhat wie die außerirdischen Invasoren). Hier wird mit zweierlei Maß gemessen und unverhohlen dem Imperialismus gefrönt.
Meist muß sich Terra gegen rebellische Kolonien zur Wehr setzen, die zu allem Überfluß gelegentlich auch noch mit extraterrestrischen Mächten im Bunde stehen (Beispiele: A. P. Mason, Legionäre im All; Heru, 1959; W. Voltz Sternenkämpfer; Wieba, 1958; H. E. Currys fünfbändiger Zyklus Volk im Raum; Pfriem, alle 1959). Die Vermutung liegt nahe, daß hier mehr oder weniger getarnt auf die Unabhängigkeitsbewegungen in Afrika und Asien reagiert wurde. Die Auflösungstendenzen in den Kolonialreichen sind zwar schon seit den zwanziger Jahren festzustellen, doch vollzogen sie sich damals noch nicht so radikal wie nach dem Zweiten Weltkrieg. Junge Nationalstaaten außerhalb Europas und Amerikas zeigten zudem das Bestreben, sich von den ehemaligen Kolonialmächten und überhaupt allen westlichen Ländern beim eigenen Aufbau zu entfernen (Ägypten unter Nasser, Vietnam unter Ho Chi Min, der Kongo unter Lumumba, um nur einige zu nennen).
Es bleibt nicht aus, daß manche Invasoren mit ihrem Angriff ein Ende des Ost-West-Konflikts bewirken. Entweder schließt sich in diesen Romanen die ganze Menschheit gegen die Führer des Ostens zusammen, weil diese sich mit den Invasoren verbünden (z.B. : F. Robin, Solar ruft Basic I; Borgsmüller, 1960; R. O. Steiner, Die Herren der anderen Erde; Brunnen, 1958), oder die Sowjets erkennen selbst ihre „Fehler“ und läutern sich (A. P. Mason, Goldene Roboter; Heru, 1959).
Selten und angesichts der Schauderhaftigkeit der Kriegsromane schon positiv herauszuheben sind die Geschichten, in denen sich auf der Erde eine Diktatur etabliert hat, gegen die angegangen wird. Man sollte hier anerkennen, daß die Autoren sich Gedanken über kriegerische Konflikte gemacht haben – daß der oben erwähnte permanente Notstand auch eine Kehrseite hat. Durch den Konflikt von außen ist ein innerer Konflikt auf der Erde entstanden. Zu Unrecht Verfolgte müssen fliehen, bis sie auf einer Gefängniswelt Gleichgesinnte treffen und einen Aufstand inszenieren (F. Berning, Planet der Verfluchten; Bewin, 1961). Irdische Kolonisten, die sich nicht länger dem Joch der tyrannischen Erde beugen wollen, sagen sich los und erkämpfen sich ihre Unabhängigkeit (Ch. Spencer, Das ewige Gesetz; Bewin, 1960). Ein positiver Rekurs auf die Unabhängigkeits- und Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt. Das Verhältnis zu den Nationalstaaten Asiens und Afrikas hat sich von unserer Seite aus seitdem deutlich gewandelt.
Vielfach wird ihnen Verständnis entgegengebracht (sicher auch ein Ausfluß der Demonstration gegen den Vietnamkrieg). Auch die Raumschlachten spielen in der heutigen SF keine große Rolle mehr, was auf den Wandel der Lesegewohnheiten und auf die realen Bedrohungen unserer Welt zurückzuführen ist. Zu groß ist die Gefahr eines Weltkrieges geworden (die Großdemonstrationen der Friedensbewegung sprechen eine beredte Sprache), um sich noch gedankenlos an zerplatzenden Raumern und treffsicheren Geschützen ergötzen zu können. Der Schock des verlorenen Krieges ist bei uns längst überwunden, man hat sich darüber hinaus mit seinen Ursachen, mit dem Faschismus und mit den Kriegsfolgen auseinandergesetzt (und tut das immer noch). Natürlich soll damit nicht behauptet werden, es gäbe niemanden mehr, der gerne Krieg spielt – man braucht da nur an die Killer-Spielautomaten oder die Film-Serien Star Wars und Kampfstern Galactica zu denken. Aber muß sich die SF heute noch damit identifizieren? Sicher nicht.
Realere Gefahren bedrohen in unserer Zeit die Erde – neben dem Atomkrieg vor allem die Umweltzerstörung und die psychische Verelendung des Individuums. Seit einigen Jahren besinnt sich die SF auf ihre seriöse Habenseite und widmet sich solchen Problemen. Eine Entwicklung, die hoffen läßt. Eine Entwicklung, die für den bundesrepublikanischen Bereich auch im Leihbuch Wurzeln hat; mögen die wenigen Ansätze noch so zart und vielleicht auch untypisch gewesen sein, sie sind nicht zu verleugnen.
KATASTROPHEN UND GEFAHREN
„Ihr Notruf … gleicht dem Zirpen einer Grille im Wüstensand.“
(B. Andrew Alpha Centauri; Feldmann, 1958)
„Der Autor verliert sich niemals in unsinnigen Spekulationen.“
(Aus Inhaltsangabe zu: M. Janus Gangster im Weltraum; Iltis, 1959)
Weltraumkrankheiten, kosmische Barrieren, gefährliche Strahlen. Das All steckt voller Bedrohungen.
Trotz aller Exotik und Fremdartigkeit, trotz unerwartet auftauchender, scheinbar unbezwinglicher Gefahren und auch trotz der Errettung vor dem Atomkrieg, so anders oder neu als die Geschichten in den vorangegangenen Kapiteln sind die Romane dieser Rubrik nicht. Hier wie dort sind Bedrohung und Gefahr die zentralen Begriffe. Der Stoff, die Materie, die Natur treten an die Stelle handelnder Individuen, fremder Rassen auf weit entfernten Planeten oder aggressiver Invasoren. Auch hier mythisierte Gefahren, die oft nur oberflächlich von den Protagonisten begriffen werden, deren Ursprung gewöhnlich im Dunkel verborgen bleibt und die unvermittelt aus „heiterem Himmel“ auftauchen, plötzlich einfach da sind. B. Andrew hat sich in dieser Beziehung hervorgetan, wenn er immer wieder kosmische Urmächte oder Gewalten beschwört (z.B. Alpha Centauri; Feldmann, 1058; Der kosmische Tod; Feldmann, 1956; Millionen im Äther; Feldmann, 1951; Abgrund ohne Brücken; Feldmann, 1955). Andere, doch ähnliche Gefahren kommen von G. P. Gray (Das blaue Netz; Bewin, 1958; Geißel des Orion; Bewin, 1959), D. Quinlain (Panther 3 verschollen; Luro, 1958), A. Jeffers (Die Äpfel der Hesperiden; Hönne, 1953). Originell, weil naiv-komisch, liest sich W. Keyens Menschen im Mond (Borgsmüller, 1959): Die Mondmenschen beschießen die Erde mit Strahlen, die die Menschen ‚mondsüchtig’ machen und z.B. Selbstmord, Nachtwandeln, Geistesgestörtheit etc. verursachen.
Anders sind da schon die Romane, in denen die Menschheit ihre Katastrophen selbst produziert. In der Regel geraten dabei – durchaus realistisch – neue Energiequellen oder die Atomkraft außer Kontrolle. Es müssen auch nicht unbedingt B. Andrews kosmische Urgewalten (Duell im Kosmos; Feldmann, 1957; Tödliche Strahlen; Feldmann, 1954) und ähnlich nebulöse Dinge sein, die terranische Wissenschaftler vergeblich zu bändigen versuchen. Ausdruck literarischer Reaktion auf Atombomben-Angst („Gleichgewicht des Schreckens“) und der damit verbundenen Ostermarschbewegung dürften Romane sein, in denen Außerirdische rechtzeitig erscheinen, um den Atomkrieg zwischen Ost und West abzuwenden (Beispiele: W. Newhome, Die Aera des Friedens; Bewin, 1966; C Morris, Jenseits Sol; Bewin, 1957; Winston Brown, Der silberne Schatten; Fresco, 1956; E. Terridge, Und sie kamen vom Sirius; Hönne, 1956; B. Torsholm, Tah Rana; Brunnen, 1958, und Invasion der Sky-Men; Bewin, 1959).
Eigentlich eine Ungeheuerlichkeit, den Menschen die Fähigkeit abzusprechen, sich selbst aus ihrer Misere befreien zu können. Ausdruck einer Denkart, in der besondere Mythen (wie der vom Krieg) gedeihen können, in der man hysterisch auf den politischen Gegner starrt. Die Undurchschaubarkeit politischer Zusammenhänge (ein Zustand, der sich bis heute nicht geändert hat) nährte wohl bei Lesern wie Autoren die Hoffnung, eine überlegene Himmelsmacht möge erscheinen, um auf der Erde nach dem Rechten zu sehen, und dabei so klar verständliche und erkennbare Gegebenheiten schaffen wie zum Beispiel die Vernichtung aller Atomwaffen. Als Diskussionsbeitrag zur Ostermarsch-Bewegung oder zur heutigen Friedensbewegung waren und sind diese Romane jedenfalls denkbar ungeeignet. Man mag in ihnen die Tendenz begrüßen, Atombomben und -krieg als Gefahr erkannt zu haben, die Lösungsvorschläge sind indes irrational.
Zwei Romane ragen aus dem Üblichen heraus. E. H. Richter verläßt in Die Vulkane brechen aus (Hönne, 1953) das gewohnte Handlungsschema von Bedrohung-Notstand-Junta-Rettung. Ihm geht es hier mehr um die Darstellung von Individuen in besonderen Situationen. Ein Irrstern ist mit der Erde kollidiert und ruft starke vulkanische Aktivität mit furchtbaren Folgen hervor. Die Ordnung bricht überall zusammen. In diesem Chaos macht sich ein Mann auf die Suche nach seinem Mädchen. Die Stimmung der Trümmerlandschaft im Nachkriegsdeutschland wird (übertragen) sehr gut eingefangen. In der Geschichte finden sich soviel Kraft und Farbe, wie wir es bei einem Leihbuch kaum für möglich gehalten hätten. (Interessanterweise veröffentlichte der Autor diese bessere Arbeit unter seinem richtigen Namen.)
Alan D. Smith erzählt in Atomexplosion Kobalt (Reihenbuch, 1954) von dem amerikanischen Atomphysiker Professor Ernest Arbet, der erkennt, zu welch furchtbaren Zwecken seine Arbeit und seine Forschungen mißbraucht werden sollen. Er denkt nach, reflektiert und weigert sich schließlich aus moralischen Gründen, an der Schaffung noch wirksamerer Vernichtungswaffen mitzuwirken. Die US-Regierung stempelt ihn zum Verräter ab und verfolgt ihn. Aber Arbet besitzt genug menschliche Größe, um sich nicht korrumpieren zu lassen, und kann endlich seine Würde zurückerlangen. Ein sehr spannender Roman, in dem bis zum Schluß die Gefahr eines Atomkrieges in der Luft hängt. Die Parallele zu J. R. Oppenheimer ist nicht zu übersehen. Das Ende scheint etwas idealistisch (so einfach geht es wohl doch nicht), aber insgesamt muß der Roman als Beispiel für die positiven „Roots“ der Leihbuch-SF gewürdigt werden.
AGENTEN, BÖSEWICHTER UND
SUPERMENSCHEN
„Wohl jeder Mensch hat einen sechsten Sinn.“
(F. Bering, Sterbender Ganymed; Bewin, 1961)
„Wird es möglich sein, den Mann zu finden, der an allem schuld ist, der den Keim des Bösen in sich trägt …?“
(Aus Inhaltsangabe zu: J. C. Dwynn,
Rangers, Roboter und Raketen;
Wiesemann, 1958)
Kommen wir nun zu einer weiteren Spielart mythischer Errettung aus Ungemach, zur zweiten Form, sich der Bedrohungen zu erwehren. Es geht um Agenten, die entführte Wissenschaftler befreien, Angriffspläne feindlicher Mächte vereiteln, gestohlene Formeln dem Gegner entreißen, Killer unschädlich machen oder für die eigene Seite beim anderen spionieren. Das Science Fiction-Element ist in diesen Romanen nur mit Mühe auszumachen. Die Abenteuer unterscheiden sich nur unwesentlich von James Bond und seinen Vorgängern (vor allem gilt dies für Mickey Spillanes Mike Hammer), das Utopisch-Phantastische wirkt aufgepfropft und reicht nicht einmal aus, diesem Untergenre (auch wenn die Geschichten auf einem anderen Planeten spielen) einen eigenen Reiz zu verleihen. Solche Thriller (auf deren Eigenheiten hier nicht weiter eingegangen werden kann) sind heute stark aus der Mode gekommen. Das Psychologische, der Bezug zur Realität und die Motivation der Protagonisten fehlten diesen Büchern doch zu sehr. (Beispiele: B. Andrews Serie um Al Dekker, vier Bände bei Feldmann; G. P. Grays Serie um Dr. Laube, vier Bände bei Bewin; K. Mertens Serie Will Fox, der Weltraumpirat, 13 Bände bei Reihenbuch; J. C. Dwynns Serie um Peryc Collins (s.o.) mit vier Bänden bei Wiesemann und Bewin – und eine Unzahl von Einzelromanen).
Eine wesentlich schärfere, weil bedenklichere Note gewinnen diese Geschichten, wenn die Gegner nicht mehr quasi anonym bleiben, sondern Farbige, Russen oder Chinesen beim Namen genannt werden. Ohne Skrupel verfahren die Autoren bei der Ausschaltung derselben genauso wie bei der Vernichtung von Aliens und anderen unappetitlichen Invasoren. Hier tritt ein Rassismus zutage, der sich durch nichts mehr verharmlosen läßt. Wo Russen, Chinesen, Farbige und andere als zu vernichtendes, unwertes Leben dargestellt werden, muß dem Leser die Geisteshaltung der Autoren fragwürdig erscheinen.
F. Berning schrieb eine Serie um den Geheimdienstmajor Galen{25}: In Weltraumkreuzer über Afrika (Bewin, 1961) geht es gegen einen schwarzafrikanischen Staat und seinen Präsidenten namens Nigeria (!), in Uranfrachter überfällig (Bewin, 1963) geht es gegen böse Chinesen und noch einmal gegen diese in Unternehmen Gelbe Flotte (Bewin, 1961). M. Keens Serienheld James Hunt muß den Verbrecher Li Fu (aus welchem Land mag der wohl kommen) dingfest machen (Todesboten; Reihenbuch, 1954). Noch direkter und sorgloser erzählt R. Krapp: In Relaisstation Mond (Verlag Das Leihbuch, o. J.) bringen „rusasische“ (!) Agenten die Abwehr „Ameropas“ (!) in arge Bedrängnis. Es kommt zu Kämpfen zwischen „rusasischen Spionen, die nur vernichten wollen“ und Forschern aus Ameropa, die „ihre einmalige Erfindung der friedlichen Welt dienstbar zu machen versuchen“, „… tragen die vor keinem Mord zurückschreckenden Rusasier den Sieg davon?“ heißt es in der Inhaltsangabe, „oder die harten Männer aus Ameropa, die keine Gefahren und Strapazen scheuen …“
Von den stahlharten Agenten, die alles vermögen, ist es dann kein weiter Schritt mehr zu den Übermenschen, den Superintelligenten und den Mutanten. Sie treten in den Leihbüchern eher selten auf – die Möglichkeiten psychischer Veränderungen mögen den Autoren wohl etwas zu gewagt erschienen sein. Wie oben schon erwähnt, war damals die Psychologie keineswegs Allgemeingut. Die Implikationen der Psi-Kräfte konnten daher kaum erfaßt, geschweige denn dargestellt werden. Den massivsten Einsatz von Mutanten (ohne hier die literarische Umsetzung der Problematik zu berücksichtigen) trifft man in der deutschen SF in der Perry Rhodan-Serie – wo sie durchaus zum Erfolg der Serie beigetragen haben. Im Bereich des Leihbuchs mögen wir J. v. Scheidts haarsträubende Darstellung eines Übermenschen in Sternvogel (Bewin, 1962) als typisch ansehen: Ein superintelligenter Mann muß eingreifen, als das Stellarfieber (das Raumfahrer in den Wahnsinn treibt) eine Raumfahrt so gut wie unmöglich macht. Das Superhirn wird (wie zu erwarten) mit dem Problem fertig und startet zu einer Reise durch die Galaxis. Über ihn heißt es in dem Buch:
„Tes Dayen ist ein Übermensch. Sonst hätte man ihn nicht zum Leiter der Interstellaren Handelsgesellschaft gemacht. Er besitzt den höchsten Intelligenzquotienten unter allen Bewohnern des irdischen Imperiums. Aber Tes Dayen … dürfte der friedlichste Supermann aller Zeiten sein … Tes Dayen ist als einziger Mensch in der Lage, eine spezielle Funktion dieser Maschine (ein Robotgehirn, d. Verf.) kurzzeitig zu ersetzen.“
Man muß sich diese Beschreibung Satz für Satz auf der Zunge zergehen lassen, um sich eine Vorstellung davon machen zu können, wie naiv (gleichzeitig aber auch gefährlich) über das „Übermenschliche“ fabuliert wurde. Eine sehr blauäugige Herangehensweise an den „Großen Bruder“, der alles schon richten wird. Wie weit weg ist das eigentlich noch vom Idealbild des Ariers, wie die Nazis es pflegten?
Gefahren im Denken und Wirken von Mutanten (Übermenschen) erkennt F. Berning (Gesetz der Mutanten; Bewin, 1963), rutscht aber leider ins gewohnte Strickmuster ab, wenn in dem Roman eine Mutantendiktatur besiegt werden muß, die sich gegen Chinesen, Aliens oder kosmische Barrieren mühelos austauschen ließe.
WUNDERBARE ZUKUNFT
„… und Sie werden spüren, daß es so etwas gibt wie die ewige Menschlichkeit, Liebe – Haß – Leidenschaft …“
(Aus Inhaltsangabe zu: M. Janus, Gangster im Weltraum, a.a.O.)
Gewaltige Leistungen im All. Der Mensch gestaltet den Kosmos und ordnet ihn neu. Wie etwa in W. P. Groegers Sonne für Pluto (Bewin, 1968), wo der Plutomond in eine Sonne umgewandelt werden soll, damit Flüchtlinge auf dem Planeten eine neue Heimat finden können. Natürlich stören Sabotageakte das kühne Vorhaben, und anderes Ungemach tritt auf. Weniger kosmisch sind die Wunder, die man auf der Erde installiert. In A. Jeffers Die Sternenspinne (Hönne, 1953) will man die Straße von Madagaskar eindämmen, um so neue Siedlungsmöglichkeiten für eine überbevölkerte Erde zu schaffen. Aber auch hier bringen wieder Erpresser und andere Schurken das Projekt in Gefahr.
Wir erkennen, wie leichtfertig gigantomanische Projekte an der Schreibmaschine ausgesponnen wurden, die, weil das allein für einen Plot noch nicht ausreichte, mit Gangstern und Spionen umgeben wurden. (Beispiele: A. K. Burmester, Der Damm von Amazonis; Netzsch, 1951; D. Quinlain, Schatten über New York; Luro, 1958 und Gett und Dugga, die Planeten; Luro, 1959; H. Zahlten, Ultimatum vom Himmel; Heros, 1958).
In eine Zukunft zu gelangen, die aller gegenwärtigen Sorgen ledig ist, wo Friede, Harmonie und Fortschritt eingekehrt sind – wie einen Film bekommen Tiefschläfer unserer Zeit dieses Utopia vorgeführt. Die Unausgegorenheit und Blauäugigkeit solcher Idealgesellschaften verscheucht indes die letzte Leseenergie. Oft merkt der Autor selbst nicht, daß da an seinen kühnen Konstruktionen etwas nicht stimmen kann (hier darauf näher einzugehen wäre im Moment müßig und sollte einer separaten Untersuchung vorbehalten bleiben). Darunter fallen Romane wie: R. Barran, Das Jahr 2100; Helena, 1956; E. Multon, Planet der Verdammten; Reihenbuch, 1954; C. Morris, Gnossi II; Bewin, 1957.
Etwas mehr Gedanken haben sich Autoren gemacht, die Fehler in der idealen Zukunftsgesellschaft entdecken. U. Biegel macht im galaxisumspannenden terranischen Reich der Zukunft immer noch Krieg und Haß aus (Galaxis ohne Morgen; Bewin, 1968) und geht in Das Ende der Technokraten (Bewin, 1971) sogar noch weiter: Spannungen entstehen auf der Erde in einigen Jahrzehnten durch die Gegensätze zwischen der reichen Überschicht und den armen Proletariern. Der bei der Entstehung dieser Werke vorherrschende Zeitgeist (1968 und 1971) dürfte wohl eine nicht unbeträchtliche Rolle gespielt haben – es heißt im zweiten Buch tatsächlich noch „Proletarier“. Ansonsten ist hier aber nur der Background, das Szenario, verändert worden, vor dem dann die gewohnte Actiongeschichte abläuft. Aktueller wirkt da schon ein Zweibänder von A. Zeno (Die Katastrophe und Die Raumstation; Luro, o. J., beide wahrscheinlich 1958/59). Die Natur beginnt, die Menschen abzustoßen. Katastrophen brechen unaufhörlich über die Terraner herein, bis sie den Kampf gegen die Umwelt verloren haben und sich in eine Raumstation flüchten. Von dort wird nach Jahren ein neuer Anfang auf der Erde versucht. Schließlich ein Roman von A. D. Smith mit aktuellen Bezügen (Sonnenkraft; Reihenbuch, 1954). Ein Professor entdeckt eine neue Kraftquelle, die alle Energieprobleme lösen könnte. Doch löst er damit nicht nur Jubel aus. Vor allem die Energiekonzerne haben etwas dagegen, daß seine Entdeckung publik wird.
MYTHISCHES UND KOSMISCHES
„… Was vor allem ist Zivilcourage?“
M. Janus (Höhere Gewalt; Iltis, 1959)
Sagen und Mythen paßten eigentlich schlecht in ein Genre, das so penetrant seine strenge Wissenschaftlichkeit herausstrich. Daher findet der Leser bei den SF-Leihbüchern auch nur selten Texte, die nach unserem heutigen Verständnis der Fantasy zuzurechnen wären. Man ging allerdings Kompromisse ein: Zu der Konstante Wissenschaftlichkeit kam auch etwas Mythisches hinzu.
Hier ist die Rede von tradierten, offenen Mythen, im Gegensatz zu den vorher erwähnten Mythisierungen (vor allem des Krieges). Es geht um uralte Götter, die natürliche Katastrophen auslösen, um Götter, deren Entstehung mitunter auch natürliche Ursachen haben kann (der letzte Überlebende einer höchstentwickelten, uralten Kultur, ein übriggebliebenes Robotgehirn u.a.m.). Ein Bemühen um Mythisches ist somit festzustellen, wenn auch der jeweilige Handlungsablauf wenig Innovatives oder aus dem Rahmen Fallendes anzubieten hat. Kurz gesagt: Es kommt zu gewalttätigen Auseinandersetzungen.
Wir machen folgende Mythen-Bearbeitungen aus:
- Überlieferte Mythen: „Der Fliegende Holländer des Alls“ und „Ahasverus“ (B. Torsholm, Geheimnis um IRA IX; Bewin, 1958).
- Schöpfungsmythos: G. P. Gray, Der Marsrubin (Bewin, 1958). Als Marsrubine auf die Erde gebracht werden, lösen sie Unheil und Verderben aus. Eine Sintflut verheert die Erde. Jahrtausende später: Die Erde ist wieder besiedelt, da gerät der Planet in ein anderes Universum und dort in den Anzugsbereich einer Sonne namens Sol …
- Orientalische Mythen: Ein Gott erwacht im Himalaja und verspürt Zorn über die Zustände auf der Erde (A. K. Burmester, Die Erde reißt; Netzsch, 1952). Ein indischer Jäger lernt auf einer anderen Welt das Volk der Nirwanesen (!) kennen, um danach eine Prinzessin aus der Gewalt eines Schurken zu befreien (A. Jeffers, Der Fakir und die Tigerin; Hönne, 1954). Ein Scheich will das alte arabische Großreich in unserer Zeit wiedererstehen lassen (A. Jeffers, Die Karawane des letzten Kalifen; Hönne, 1954). Westliche Wissenschaftler entdecken eine Methode der Zeitreise, die tibetischen Mönchen schon lange möglich ist (K. Merten, Time-Radar; Reihenbuch, 1952).
- Neue Mythen: Am Ende des Raums steht die Burg von Lucius Tamerlan (nomen est omen), der mit seinen merkwürdigen Kräften das ganze Universum in seinen Bann zu ziehen versucht (A. Jeffers, Wo die Sterne enden; Hönne, 1954).
Einen Sonderfall im Bereich der Mythen stellt das Phänomen Atlantis dar. Lange Zeit wurden Platos (angeblich authentische) Berichte um den versunkenen Kontinent für bare Münze genommen. Wenn auch der antike Dichter, wie viele Historiker heute annehmen, damit nur eine Idealgesellschaft schildern wollte (die, wie das Schlaraffenland, im Grunde nirgendwo liegt), so handelt es sich bei dem Atlantis-Mythos durchaus nicht nur um ein harmloses Phänomen. Auf seine besondere Bedeutung in der Nazizeit und bei gewissen Krisen in den Jahrzehnten davor verweist Nagl und belegt, daß der versunkene Kontinent u.a. als Heimstatt der Arier dargestellt wurde{26}.
Atlantis im SF-Leihbuch der Bundesrepublik: In der Regel retten die Atlanter durch das rechtzeitige Wiederauftauchen ihres Kontinents oder durch ihre Hinterlassenschaft im All die Menschheit aus einer Gefahr. Die Atlanter sind weiser, sind ethisch und technologisch fortgeschrittener als die Menschen. Sie sind edel und gut. Sie spielen für die Erde den Schutzengel. Sie haben auch schon einmal etwas gegen die Chinesen. Sie sind keine Individuen mit Schwächen und Fehlern. Sie sind ein Mythos. (Beispiele: F. Berning, Nordpol ruft Atlantis; Bewin, 1960; C. Morris, Der Ring der Plenetoiden; Bewin, 1962; W. A. Kral, Geheimnis im Urwald; Bewin, 1964 und … und sie existieren doch; Bewin, 1964; Ch. Reiners, Vermächtnis im All; Bewin, 1966; A. Jeffers, Lemuria; Hönne, 1955 – hier ist es Lemuria statt Atlantis, ein angeblich versunkener Kontinent, um den sich ein ähnlicher Mythos rankt). Zwei Romane mit leichten Varianten zum Schluß. W. A. Kral macht sich daran, die Geschichte des Kontinents Atlantis zu erzählen (Atlantis, das Ende einer Macht; Bewin, 1963) und verzichtet nicht darauf, über Parallelen zu unserer Historie zu spekulieren. Ein nicht ganz so edles und beschützendes Atlantis führt R. Koch vor (Flammende Erde; Awa, 1952): Eine Katastrophe ist über die Erde hereingebrochen. Atlantis taucht wieder auf und bedroht die überlebenden Menschen mit neuen Gefahren.
WÜRDIGUNG
„… daß wir uns unserer romantischen Gefühle und Sehnsüchte nicht zu schämen brauchen.“
(M. Janus, Höhere Gewalt; Iltis, 1959)
„Man kann aus den Janus-Romanen eine Menge lernen.“
(Aus Inhaltsangabe zu M. Janus, Höhere Gewalt; Iltis, 1959)
„Es gibt auf dem Mond eine Art St. Pauli.“
(M. Janus, Gangster im Weltraum; Iltis, 1959)
Ein angemessenes Gesamturteil über die SF-Leihbücher zu fällen ist nicht leicht. Aus heutiger Sicht stößt man bei ihnen auf zu viel Unsägliches, Plumpes und Widerwärtiges. Zu sehr wirken sie auf gewalttätige Auseinandersetzungen ausgerichtet. Zu wenig ist auf Veränderungen im Lesergeschmack reagiert worden. Zu abstoßend ist der relativ weit verbreitete Rassismus im Leihbuch. Zu platt sind die Charaktere, zu wenig ausgeformt die Szenarien, die Exotik, das Besondere des Genres.
Doch man muß der Leihbuch-SF zugute halten, daß die anglo-amerikanische SF der fünfziger Jahre über weite Strecken auch nicht so viel mehr zu bieten hatte{27} (die ins Deutsche übertragenen Romane aus USA und Großbritannien fügen sich doch recht gut in das Leihbuch-Gesamtkonzept ein). Die Umbruchtendenzen diesseits und jenseits des Atlantiks, die seit den Sechzigern unzweifelhaft festzustellen sind, erreichten hingegen das SF-Leihbuch nicht mehr. Dazu erwies sich das Medium als zu unbeweglich.
Unbestritten ist das Leihbuch zusammen mit dem Heft bis in die Mitte der sechziger Jahre der Träger der bundesdeutschen SF gewesen. Nach dem Rauch-Fiasko{28} waren die Hardcover für anderthalb Jahrzehnte als Konkurrenten verdrängt (die Bücher des Gebr. Weiß Verlags waren als Jugendbücher konzipiert und spielten daher keine entscheidende Rolle), und die Taschenbücher konnten sich erst gegen Mitte der Sechziger voll durchsetzen. Somit prägten Heft und Leihbuch auch auf lange Zeit das schlechte Image der Science Fiction in unserem Land. Dieser Vorwurf trifft sie nicht unbegründet, wenn man die o.a. stilistischen und thematischen Schwächen berücksichtigt. Die Markt- und Produktionsbedingungen in beiden Medien ließen auch nur selten ein höheres Niveau zu: schnelle Verkäuflichkeit (vor allem beim Heft) und ständige Neuerscheinungen bei großem Angebot und relativ wenigen Autoren (vor allem beim Leihbuch). Die Autoren produzierten schneller (und routinierter, d.h. inhaltlich risikoloser), was auf Kosten des Niveaus ging{29}. Es wäre aber ungerecht, allein die Autoren für das mäßige Niveau verantwortlich zu machen. Die Produktionsbedingungen der Verlage ließen keine anderen Arbeitsmöglichkeiten zu, wenn jemand als SF-Autor sein Einkommen verdienen wollte. Und andere Märkte als Heft und Leihbuch standen ihm nicht offen. Auch heutzutage findet man nur wenige hauptberufliche SF-Autoren, die nicht im Heftbereich (ältere auch im Leihbuch) begonnen haben – angefangen von W. Ernsting und W. Voltz über R. M. Hahn, H. J. Alpers und H. Pukallus bis zu R. Zubeil und A. Brandhorst. So gesehen ist die Bedeutung von Leihbuch und Heft für die bundesdeutsche SF nicht zu übersehen. Erst in den letzten Jahren haben sich die Veröffentliehungsmöglichkeiten um den Bereich des Taschenbuchs vermehrt – vor allem im Bereich der Kurzgeschichte, wo hauptsächlich die Verlage Heyne, Goldmann und Moewig zu nennen sind. Und zaghaft noch, doch mit deutlich steigender Tendenz, öffnen sich auch die Jugendbuch-Verlage.
In seiner Hochzeit, den fünfziger Jahren, spielte das Leihbuch eine wesentlich größere Rolle als das Heft. Erstveröffentlichungen bzw. Originalausgaben fanden im Leihbuch statt. Oft sind die Romane dann im Heft nachgedruckt worden, und zwar in allen gängigen Reihen: Utopia und Utopia-Großband (Pabel), Terra und Terra Extra (Moewig), Luna und Luna-Taschenroman (Lehning), die sich vornehmlich von den Leibuch-Verlagen Bewin, Gebr. Zimmermann, Dörner und Awa Lizenzen nahmen{30}.
Auch spätere Heft-Reihen konzentrierten sich auf Leihbuch-Nachdrucke: Zukunftsroman (Neuzeit), Zauberkreis-Exklusiv und die Einzelromane aus dem Andromeda/Astra-Verlag. Interessant auch die Heft-Reihe aus dem Zauberkreis-Verlag (nicht zu verwechseln mit Zauberkreis Exklusiv): Neben einigen Leihbuch-Nachdrucken sind hier überwiegend auch Leihbuch-Cover verwandt worden. So gut wie keine Neuveröffentlichungen sind hingegen von den SF-Romanen der Verlage Alka und Feldmann zu entdecken.
Im Gesamtangebot der Leihbuch-Verlage war die Science Fiction nicht übermäßig breit vertreten. In einer Untersuchung aus dem Jahr 1963 kommen Arnim und Knilli{31} zu einem Wert von 2,8 % des Angebots mit 5,5 % der Gesamtleserschaft. Auch diese Werte haben sich mittlerweile zugunsten der Science Fiction verschoben. Heute findet das Genre überwiegend im Taschenbuch statt. Leihbücher spielen gar keine, Hefte – außerhalb des Perry-Rhodan-Komplexes – nur noch eine untergeordnete Rolle. Die besondere Form des Taschenbuch-Mediums erlaubt den Autoren bessere Arbeitsmöglichkeiten und höhere Honorare. Das Niveau ist deutlich angestiegen, und auch Autoren aus dem Mainstream nähern sich dem Genre. Eine gewisse Behaglichkeit ist zu verspüren, den Taschenbuch-SF-Reihen steht mehr Raum zu Experimenten und Versuchen zur Verfügung. Breitere Leserschichten konnten so für die Science Fiction gewonnen werden.
Das Taschenbuch hat die Leihbücher verdrängt, hat die Hefte – wieder ausgenommen Perry Rhodan, Atlan etc. – fast zur Bedeutungslosigkeit reduziert und schickt sich seit einigen Jahren an, den Hardcover-Anteil am Markt immer weiter zu beschneiden. Das Verhältnis von Preis zu Inhalt und Aufmachung, sowohl qualitativ als auch quantitativ, erweist sich im Taschenbuch als optimal und kommt den Käuferinteressen am nächsten. 1982 erschienen durchschnittlich 30 SF-Taschenbücher (in 19 Reihen) und 13 SF-Hefte (in 5 Reihen) pro Monat. Der Anteil der Hardcover am Gesamtausstoß der Science Fiction bewegt sich um die 10 % – mit abnehmender Tendenz.
Ist nun das Leihbuch das „schwarze Schaf“ in der bundesdeutschen SF, dessen man sich nur ungern erinnert, der dunkle Fleck in der Vergangenheit des Genres? Eine eindeutige Antwort ist wohl kaum möglich. Ja – weil, wie oben angeführt, die SF einigen Schaden in ihrem Image auf sich nehmen mußte, von dem sie sich bis heute noch nicht völlig erholt hat. Nein – weil sich auch bei den Leihbüchern Titel finden, die zu Unrecht mit dem allgemeinen Erscheinungsbild des Genres in einen Topf geworfen worden und dabei leider in Vergessenheit geraten sind. Sicher eine lohnende, wenn auch zeitaufwendige Aufgabe, die auch heute noch zur Veröffentlichung geeigneten Titel aufzuspüren.
Ein weiterer Aspekt zur bescheidenen Ehrenrettung der SF-Leihbücher ist der der Tradition. Wenn sie auch mittlerweile überwunden wurde, so ist sie doch eine unbestreitbare historische Tatsache. Weltraumschlachten, endlose Invasionen, „Gelbe Gefahr“ und vieles andere mehr prägten einst das Genre und sind heute so gut wie nicht mehr vorhanden. Wichtiger aber ist der an einigen Stellen vermittelte sense of wonder, der nach jahrelangen geschmacklichen und inhaltlichen Fehlgriffen allmählich eine Sensibilisierung bei Autoren und Lesern dafür schuf, was die SF will, soll und zu leisten vermag. Die SF im Leihbuch sollte daher als (notwendige) Kinderkrankheit in der Entwicklung einer eigenständigen bundesdeutschen Science Fiction (die ja heute noch nicht abgeschlossen ist) angesehen werden. Die Leihbuch-SF ist ein wesentlicher und direkter historischer Vorläufer, an dem sich heutige und zukünftige Produktionen nicht nur messen können, sondern auch die Lernfähigkeit der Beteiligten unter Beweis zu stellen haben. Trotz eminentem angloamerikanischen Einfluß ist die historische Linie ungebrochen. SF-Autoren der Gegenwart können freier arbeiten, brauchen sich nicht mehr mit dem Ballast herumzuschlagen, den die Leihbücher auf ihre Fahnen geschrieben hatten. Auf diesem Ballast läßt sich insoweit aufbauen, als man sich von ihm fort- und weiter entwickelt. Und die wenigen positiven Ausnahmen im Leihbuch sollten darüber nicht vergessen werden.
Eine weitere Forschung am Leihbuch ist nötig. Die gegenwärtige bundesdeutsche SF hat eine Entwicklung hinter sich (die natürlich über das Leihbuch hinausgeht), sie muß sich ihr stellen und weiter von ihr lernen.