KOCHALES ROULETTE
«Was denn – plötzlich die Hosen voll?» Mallwitz schien nicht so recht zu wissen, wie er auf Kochales Anruf reagieren sollte, um Mitternacht, fünf Minuten nach zwölf. «Na ja, der erste Fronteinsatz morgen, die Feuertaufe…»
Mallwitz’ Auflachen, mehr höhnend als verständnisvoll, signalisierte Kochale den Punktverlust: Er hatte Schwäche erkennen lassen. Hastig und unüberlegt kam seine Rechtfertigung: «So allein zu Hause hier…»
«Hast du ‘ne feierliche Truppenparade erwartet?»
«Hör doch auf! Schließlich soll ich morgen…»
Mallwitz fiel ihm ins Wort. «Du tust gar nichts – Millionen tun es durch dich! Du setzt ihren geheimen Willen in die Tat um; du tust nur das, was getan werden muß. Und da gibt es kein Zurück mehr. Ich hoffe, wir haben uns verstanden. Und nun reiß dich gefälligst zusammen!»
«Ja doch, aber…»
«Außer deiner Meldung ‹Auftrag ausgeführt!› will ich nichts weiter hören!»
Kochale wollte noch entgegnen, daß er so nicht mit sich reden lasse, aber da hatte Mallwitz schon aufgelegt.
Kochale behielt den Hörer in der Hand und suchte nach Keims Nummer. Ein Anruf beim Staatsschutz und alles flog auf.
Doch dann ließ er es sein.
Ein Kochale kehrt nie um. Alles war vorgezeichnet. Waren die Dinge bis zu einem bestimmten Punkt gediehen, gab es keinen freien Willen mehr.
Wie anders sollte er Theo rächen, wie Macht über Menschen bekommen? Ohne den Ku-Klux-Klan versickerte sein Leben wie ein Regentropfen im Wüstensand; mit ihm aber hatte er wenigstens die Chance, zu einem reißenden Strom zu werden.
Mochten seine Dissonanzen auch noch so stark sein, er wußte genau, daß er es tun würde. Morgen mittag ist das Botulin in der Thermophore für den Flügel DII/T.
Die verdiente Strafe für Niyazi, Theos Mörder, und die anderen 23 Türken, die allesamt geraubt, gemordet und vergewaltigt hatten oder aber als Dealer Dutzende von Deutschen auf dem Gewissen hatten: Jugendliche, Schüler, Kinder… Da gab’s kein Pardon.
Und dennoch: Gift, Meuchelmord…
Kochale riß seine schwarze Lederjacke vom Haken und stürzte auf die Straße. Action – satisfaction – Betäubung.
Er setzte sich in seine Taxe und fuhr – Adressen hatte er genug – zu Rebecca, Exotikmodell, jung, vollschlank, BH 14. Doch der Schuß geriet so matt, daß seine Unruhe eher noch wuchs.
In eine Kneipe zu gehen und sich dumm anquatschen zu lassen, das brachte auch nichts. Seine Gedanken ließen sich nicht aufhalten.
Sicher, ihr Plan war, was die Aktion im Knast betraf, absolut wasserdicht: Es würde keinerlei Spuren geben, und niemand konnte von daher Hock und ihm gefährlich werden. Aber was nutzte das schon, wenn anderntags der Ku-Klux-Klan verlauten ließ, der Tod der 24 Türken im Tempelhofer Knast sei nicht, wie vom Justizsprecher bekanntgegeben, Folge einer bedauerlichen Lebensmittelvergiftung, sondern ein Anschlag des KKK mit dem Ziel der Reinigung Deutschlands? Mallwitz bestritt das zwar energisch («Ich hab da so meine Leute, die alles verhindern und die Fahndung ganz bewußt im Sand verlaufen lassen…»), aber war denn ernsthaft zu bezweifeln, daß die Staatsschutz- und Kriminalbeamten – er brauchte bloß an den cleveren Kelm zu denken – bald herausfanden, wie das alles gelaufen war?
Nein.
Dann war es also Mallwitz’ Plan, daß zumindest Hock und er einen Sensationsprozeß bekamen, ein wunderbares Forum, die Gedanken seines Ku-Klux-Klan of Germany unters Volk zu bringen. Kochale und Hock – zwei Propagandisten, zwei Märtyrer. Und saßen sie dann im Knast, waren sie permanente Initialzünder für neue Aktionen.
Kochale tagtäglich in den Schlagzeilen. Überall formierten sich Gruppen, die bereit waren, für seine Befreiung ihr Leben zu opfern.
Das war die Rolle, die er sich ersehnte.
Okay.
Aber vergiften? Hinterhältig. Meuchlings. Feige…
Es quälte ihn, es ließ ihn verrückt werden.
Es war zwei Uhr morgens, als er zu hoffen begann, es würde urplötzlich etwas eintreten, das seine Tat, so sehr er sie auch wollte, unmöglich machen mußte: seine überraschende Festnahme, eine Gallenkolik, ein schwerer Verkehrsunfall… Zu Mallwitz: Ich war wirklich wild entschlossen, aber da…
Doch vorerst passierte nichts, das ihn gehindert, ihn bewahrt hätte. Wie sollte es auch? So entschloß er sich, seine Leuchte einzuschalten und auf einen Fahrgast zu hoffen, der die große Wende brachte. Doch was war: ein Liebespaar, zwei besoffene Monteure aus Wanne-Eickel und ein dahindösender Oberkellner.
Fehlanzeige.
Aber schon allein das Fahren beruhigte ihn, die Bewegung, der Discowirbel der Ampeln, Lichter und Reklamefarben. Downtown mal Achterbahntempo, das war’s!
Als er dann einen Pfarrer nach Lankwitz fuhr, hatte er die Assoziation, die ihn weiterbringen sollte: Gottesurteil! Laß ihn entscheiden, laß ihn die Verantwortung tragen. Tu etwas, bei dem die Chancen fifty-fifty stehen. Wirst du schwer verletzt oder gehst du drauf dabei, ist die Sache klar: du kannst keinen Türken mehr vergiften. Überlebst du’s aber, führst du deinen Auftrag aus.
Klare Sache.
Die Frage war nur – wie. Viel Zeit blieb ihm nicht; die Sonne quälte sich schon den smoggrauen Horizont hinauf.
Die Avus hinunter, den Funkturm im Visier, volle Pulle, Lösungen suchen…
Von irgendeiner Brücke in die Tiefe springen? Quatsch; ein paar gebrochene Knochen waren ein Unentschieden, das er nicht brauchen konnte. Es mußte was sein, das mit Ja oder Nein ausging.
Sich vor einen der ersten U-Bahnzüge stürzen? Genauso blödsinnig. Zwei abgetrennte Beine vielleicht. Und überlebte er’s unverletzt, ließen sie ihn tagelang von einem Psychiater untersuchen.
In die Heerstraße abbiegen und mit Vollgas gegen eine Ampel rasen? Auch nicht. Wieder war die Zwischenlösung das Wahrscheinlichste, eine mehr oder minder schwere Verletzung.
Irgendwo einen Trommelrevolver kaufen und dann Russisches Roulette… Ah, ja! Das kam der Sache schon näher. Hatte aber den Haken, daß er um fünf Uhr morgens, so sehr er als Taxifahrer auch genügend ‹Adressen› kannte, kaum auf die Schnelle eine geeignete Waffe bekam. Um acht mußte er im Knast mit der Arbeit anfangen.
Und einfach nur würfeln? Nein, so faszinierend der Gedanke auch war – es ging nicht, weil das Ganze nur Wert hatte, wenn er auch sein Leben aufs Spiel setzte, wenn er den türkischen Knackis, die er vergiften sollte, noch eine faire Chance gab. Das war ja der entscheidende Punkt: Er konnte den Auftrag des Ku-Klux-Klan nur ausführen, wenn es ihm gelang, aus einem Meuchelmord einen fairen Kampf zu machen.
Und dann hatte er auf einmal die Lösung.
Er fuhr nach Friedenau und parkte die Taxe in der Wilhelm-Hauff-Straße, seiner Wohnung gegenüber. Ein paar Meter entfernt stand der weißgestrichene VW-Variant des Malermeisters Conradi, eines mit Mallwitz eng verbundenen Klan-Sympathisanten, dem ein Teil der Renovierungsarbeiten im Tempelhof er Ausländerknast übertragen worden war und der natürlich nicht lange gezögert hatte, Mallwitz’ Wunsch nachzukommen und Kochale auf seine Gehaltsliste zu setzen. Das Netz ist immer dichter, als du denkst. Das, so Kochales Lächeln, wäre Theos Kommentar gewesen.
Kochale drückte die Hecktür nach oben, musterte kurz die Ladefläche (alles unberührt!) und suchte dann aus den Farbeimern denjenigen Behälter heraus, der die grünen Bohnen mit dem Botulin, dem Gift, enthielt. Es war ein ganz normaler Ein-Liter-Eimer, außen farbverkrustet, kinderladenbunt in Rot und Gelb und Grün.
Kochale trug ihn nach oben und stellte ihn neben seinen kleinen Gasherd. In der Speisekammer fand er zwei Konservendosen mit ganz normalen grünen Bohnen; sie waren sein bevorzugtes Schnellgericht. Er öffnete eine Dose, verteilte den Inhalt auf zwei schnell gegriffene Kochtöpfe und setzte alles auf die emporzüngelnden Gasflammen. In den einen der Töpfe, und zwar den etwas weniger gefüllten, kippte er dann eine ausreichend große Menge der vergifteten Bohnen und rührte sie unter… Seine Henkersmahlzeit? Jedenfalls wollte er’s warm genießen. Heiterkeit erfüllte ihn, Euphorie: Dies war sein Stil.
Weiter. Tempo. Action.
Hanna liebte Fondues, Fleisch wie Käse, liebte das Ritual, zur Verlobung hatte ihnen einer der Wurst machenden Brüder aus Jever ein Gerät geschenkt, wie gestohlen aus dem Schweizer Museum für Handwerks- und Heimatkunde: sechs brennofenbraune Tonschälchen auf schmiedeeisernem Drehgestell. Bei der Verteilung der angefallenen Geschenke auf beider Wohnstätten war es Kochale zugefallen, wohl in der Absicht, die Abende bei ihm gemütlicher zu gestalten. Statt Perlzwiebeln, Gürkchen, Sahnemeerrettich und diverser Saucen füllte er nun die vergifteten wie die unvergifteten Bohnen sorgfältig und mengengleich in die Schälchen und drehte das Karussell wieder und wieder – Kochales Roulette. Sechs Planeten, drei davon tödlich, rasten um eine ausgebrannte Sonne. Nach ein paar Runden ließ sich nichts mehr auseinanderhalten.
Nachdem er noch einen Bocksbeutel gefunden und geöffnet hatte, trug er alles ins Wohnzimmer hinüber und stellte es vor die Couchgarnitur. Lagerte sich, den Kopf auf den Ellbogen gestützt, wie Petronius etwa, und wollte anfangen. Hatte aber den Löffel vergessen. Wieder in die Küche hinaus. Vorhänge auf, Vorhänge wieder zu. Radio an, Radio wieder aus. Noch mal pinkeln gehen. Zum letztenmal? Alles, was er jetzt tat, konnte zum letztenmal sein… Papier und Kugelschreiber, für seinen Abschiedsbrief… An wen denn?
Scheiße.
Noch einmal ließ er die Schalen kreisen, entschied sich für die, die direkt vor ihm stehengeblieben war.
Okay.
Kochale schaufelte den Inhalt der ausgewählten Schale in sich hinein.
Und nun?
War das wirklich die letzte halbe Stunde seines Lebens – was war dann die angemessenste Beschäftigung? Sich betrinken? Damit begann er, aber es ging viel zu langsam. Außerdem durfte er’s nicht übertreiben – denn überlebte er, mußte er des Anschlags wegen handlungsfähig bleiben… Die Telefonseelsorge? Unsinn. Lesen, Radio hören, Schach spielen, gegen sich selbst? Quatsch. Durch ‘n Park laufen, bis er zusammenbrach – gegebenenfalls?
Das war’s.
Doch als er nach seinen Turnschuhen suchte, fielen ihm seine Filmspulen entgegen. Bis vor einem halben Jahr etwa hatte er wie ein Irrer gefilmt, alles und jeden.
Wie hieß es in den Berichten über Sterbende: Noch einmal zog sein Leben wie ein Film an ihm vorüber… Das konnte er auch haben. Vor kurzem erst hatte er auf einer 120-Meter-Spule all das vereint, was er in den letzten Jahren an Rausgeschnittenem gesammelt hatte: unter- und überbelichtete Filmmeter, verschwommene Gesichter wie abgeschnittene Köpfe, zu lange und zu kurze Szenen.
Projektor und Leinwand waren blitzschnell aufgebaut. Das war Ihr Leben. Film ab.
Hanna am Strand von Juist. Die Kamera von den Zehen her über den Körper. Hatte er wegen ihres überdimensionierten Venushügels und einiger hervorquellender Schamhaare rausschneiden müssen.
Schwenk von einem Kran aus über das familieneigene Werksgelände auf den nie fertig gewordenen Erweiterungsbau. Bild verrissen.
Sein Vater beim Richtfest. Der Rücken des Poliers vor der Optik.
Schnipsel ihrer New York-Reise.
Theo auf einer abgesägten Eiche im Grunewald, Denkmal spielend.
Einen Schluck für Theo.
Kochale trank den Wein wie Wasser. Sein linkes Augenlid begann zu zucken. Er fuhr hoch.
Das Botulin, Sehstörungen!
Er griff zum Telefon und riß die Schnur aus dem Apparat heraus.
Sein Atem ging etwas röchelnd. Atemstörungen.
Sein rechtes Bein war kraftlos geworden. Die ersten Lähmungserscheinungen.
Von da an, so Mallwitz, konnte es nur noch Sekunden dauern. Sie werden sich nicht lange quälen müssen.
Der Projektor schnarrte, klickte, röhrte. Hanna, Theo. Die Werkzeugmaschinenfabrik. Die Uni. Jever. Der Boss – Kochale senior vor seiner Belegschaft. Die Villa im Grunewald. Guadeloupe, Martinique und Curaçao. Hanna, Theo. Theos Wohnung am Erkelenzdamm, die Renovierung, die house-warming-party…
Magenkrämpfe.
Die Turnschuhe. Anziehen, zubinden.
Nur raus hier!
Kochale stürzte auf die Straße und lief in Richtung Volkspark. Er wollte mitten im Lauf zusammenbrechen.
Doch je schneller er lief, desto besser ging es ihm. Als er dann, unter der Ringbahn hindurch und die Prinzregentenstraße entlang, den Park erreicht hatte, war alles klar: Er hatte eine der drei Schalen mit den unvergifteten Bohnen erwischt. Die Würfel waren gefallen; er hatte entschieden. Grünes Licht.
Er lief wieder nach Hause, duschte, zog sich an, kippte die grünen Bohnen, die vergifteten wie die normalen, ins Klo, reinigte die Fondue-Schälchen dann vollends und briet sich Eier mit Speck.
Die Götter liebten ihn. Ein neuer Anfang war gemacht.
Was jetzt noch kam, das war Routine. War alles so einfach, weil es keiner Rechtfertigung mehr bedurfte.
Punkt sieben stand er unten auf der Straße und verstaute den Farbeimer mit den vergifteten Bohnen wieder im Laderaum des Variant. Friedenau, Schöneberg, Tempelhof – bis zum Ausländerknast war’s nicht weit. Oldies im Autoradio. Mit siebzehn hat man noch Träume. Er fühlte sich wie neugeboren.
Die große Reinigung Deutschlands! Er war ausgewählt, sonst hätte ihn das Schicksal aus einer der anderen Schalen essen lassen… Freude, schöner Götterfunken!
Ein Backsteingebirge kam in Sicht, eine hoch aufgetürmte Festung aus Millionen von Backsteinen, alle von der Farbe geronnenen Blutes. Der Ausländerknast.
Die erste Hürde, als der Beamte an der Pforte seine Ladung zu kontrollieren begann. Der wußte von nichts, der war nicht eingeweiht. Soweit reichte Hocks Einfluß nun auch wieder nicht.
Heckklappe hoch. Blicke voller Mißtrauen. Sicher, Kochale hatte sich all die Tage zuvor bei den Beamten an der Pforte anzubiedern versucht, aber dennoch kam er jetzt ins Schwitzen.
Er stieg aus. «Kochale – Firma Conradi. Unsere Farbe für die nächsten Tage.»
«Machense den Eima da hinten mal uff!»
Aussetzender Herzschlag.
«Den hier?»
«Nee, den daneben!»
Kochale konnte aufatmen; da war tatsächlich nur Dispersionsfarbe drin.
«Danke!» Ein Blick ins Handschuhfach, ein weiterer unter die Motorhaube, dann konnte Kochale passieren.
Als er die letzten Utensilien ausgeladen hatte, kam Hock auf ihn zu, schlüsselbundklirrend.
«Alles klar. Essensausgabe 11 Uhr 30. Ich komme mit meinen beiden Hausarbeitern ‘ne Minute später als sonst, wichtiges Telefongespräch vorher… Unser Behälter – D II/T, steht ganz groß drauf…»
«Das hab ich auch schon mitgekriegt.»
«… unsern Behälter stellen sie also erst mal auf ‘n Flur, vor die Küche. Da is ‘ne Nische, weißte ja, links neben der Tür. Damit keiner darüber fällt. Genau die Sekunde mußte abpassen… Also: Toi toi toi!» Hock ging weiter. Es war nicht gut, wenn man sie allzu lange zusammen sah.
Sie hatten sich beeilen müssen, denn in der nächsten Woche, wenn die Küche voll ausgebaut war, hatte man genügend Gefangene als Hausarbeiter im Einsatz, um die Thermophore in eigener Regie bis zu den jeweiligen Stationstüren bringen zu können.
Kochale fuhr seinen Variant zur Pforte zurück und durfte nach einer flüchtigen Kontrolle – kein Knacki irgendwo versteckt! – auf die Straße zurück. Dicht an der nicht allzu hohen Backsteinmauer fand er einen freien Platz. Der Beamte auf dem nordwestlichen Wachtturm hatte gute Laune und spuckte mit einem Kirschkern nach ihm. Hinten zog eine eifrig bemühte Baukolonne mit Hilfe zweier Kräne eine neue Mauer hoch, diesmal aus Betonfertigteilen.
Wieder auf dem Anstaltsgelände, zog Kochale seinen farbverkrusteten Malerkittel über und griff sich seine diversen Eimer, Pinsel und Rollen. Wenig später stand er auf der Leiter und verschönte den Verbindungsgang zwischen Küche und Wirtschaftsverwaltung.
Noch dreieinhalb Stunden.
Die Farbe wurde immer klebriger, die Rolle war bald hantelschwer; in immer kürzeren Abständen brauchte er ‘ne Zigarettenpause.
Dabei konnte er es kaum vermeiden, daß hin und wieder jemand bei ihm stehenblieb und reden wollte, mal ein Gefangener, mal Bedienstete. Insbesondere der Leiter der Wirtschaftsverwaltung, ein großer Schwadroneur mit Namen Dubisch, suchte den Kontakt zu ihm. Nicht allein aus Sympathie, sondern vor allem der Aussicht wegen, über Kochales Firma auch Farben billiger zu kriegen, denn so ‘n Ein-Familien-Haus im Grünen, wenn auch vom Beamtenheimstättenwerk tüchtig gefördert, war nicht gerade billig.
«Na, Signor Michelangelo, mal Appetit auf ‘n Schluck Cola?» Wieder Dubisch, der Unvermeidliche. «Mein Küchenchef hat heute Geburtstag.»
Kochale ging mit und sah in den drei großen Aluminiumkesseln die grünen Bohnen kochen, gerade von einem dazu berechtigten Hilfskoch mit der gesetzlich vorgeschriebenen Menge an Fleisch angereichert. Hammelfleisch, wie Dubisch sagte, aber Kochale hielt es für Corned beef.
«Das ist vielleicht ‘ne Sauerei!» Dubisch tat so, als spuckte er in einen der Kessel. «Viele von unsern Rentnern, die können sich so was nur einmal die Woche leisten, sonntags, und den Kanaken hier, den werfen wir das tagtäglich hinterher… Aber Gesetz ist Gesetz. Alles in der Verpflegungsordnung festgelegt. Durchschnittskaloriensatz muß über 3200 kcal beziehungsweise 12800 KJ betragen. – Als nächstes müssen wir noch ‘ne Maschine anschaffen, damit wir den Kanaken Puderzucker innen Arsch blasen können.»
Während Dubisch weiterschimpfte, entnahm er allen drei Kesseln entsprechende Kostproben und erklärte die grünen Bohnen für vorzüglich. Mußte er auch, denn sie stammten aus der Konservenfabrik eines alten Sportfreundes, der wußte, daß Eigenheime nicht billig sind.
Der Küchenchef nahte mit seinen Cognacgläsern und ließ sich beglückwünschen. Es war, wie Kochale bald bemerkte, ‹Cola mit›, was nichts weiter machte, da die Dienstanweisung über das Verbot von Alkoholgenuß während des Dienstes, DIN-A 4-seitengroß, direkt über dem kleinen Tischchen hing, an dem sie jetzt saßen.
«Das hier hältste doch nur besoffen aus», sagte Dubisch, «hier auf der Müllkippe der Nation. Mörder, Räuber, Totschläger, Sittlichkeitsverbrecher – wir schützen die Gesellschaft vor denen und lassen uns dann von den Herren Linken auch noch beschimpfen, daß wir die nicht so lieb haben wie unsere eigenen Kinder!»
Seine Laune besserte sich erst, als der Küchenchef ihm sagte, daß es für die Bediensteten heute, sozusagen als Geburtstagsessen, Eisbein mit Sauerkraut und/oder Erbsenpüree gebe. Eine, wie sich später herausstellen sollte, für andere höchst verhängnisvolle Idee.
Kochale kehrte auf seine Leiter zurück, seinen Status als Akkordarbeiter vorschützend.
Zwei Stunden noch.
Für eine Art Torbogen war neue Farbe zu mischen. Auch wer in Farbgestaltung keine besondere Übung hat, kann mit Alpinacolor gelungene Farbharmonien erzielen… Für Innenanstriche geben Sie einfach ganze Packungsgrößen Alpinacolor mit ganzen Packungsgrößen Alpinaweiß zusammen… Er entschied sich für Taiga 4.
Die Blicke der Knackis, die an ihm vorüber mußten, waren finster und feindselig. Sicher nicht deswegen, weil sie ahnten oder instinktiv fühlten, was er mit einigen von ihnen vorhatte; sie waren nur wütend darüber, daß ein Externer für viel Geld hier malern durfte, während man ihnen solche Betätigungen verwehrte. Was für sie drin war, das waren bestenfalls schlecht bezahlte Jobs, die noch für Debile zu einfach gewesen wären.
Niyazi, Theos Mörder, sah er nicht, wußte aber, daß er noch im Flügel DII/T untergebracht war; Hock hatte dafür Sorge tragen müssen.
Immer noch anderthalb Stunden. Sechzig Minuten wurden länger als ein halber Tag: jeder Knast war ein Planet, wo Schnecken den Lebensrhythmus bestimmten, trotz aller oberflächlichen Hektik, und dieses gänzlich andere Zeitgefühl, das hier vorherrschte, stand in einem schmerzlichen Kontrast zu seiner fiebrigen Ungeduld.
Um weitere fünf Minuten totzuschlagen, ging er mal pinkeln. Zwar befand sich die Bedienstetentoilette unmittelbar neben seinem Arbeitsplatz, aber er mußte vorher noch zu Dubisch gehen, der den Schlüssel verwaltete.
«Eigentlich müßte ich ja noch – aus Sicherheitsgründen – mit Ihnen mitgehen…» sagte er, ließ es aber.
Kochale stand am Becken und konnte zunächst nicht. Vor ihm eine Kugelschreiberzeichnung. Ein Mann baumelte an einem Galgen, und darunter stand: heb binn resoßialisiert! Kochale, nun doch sein Wasser abschlagend, grinste nur.
Dieses Grinsen verging ihm schlagartig, als er wieder an seiner Leiter vorbeikam. Folgte einer jener Blackout-Momente, wo für ein paar Hundertstelsekunden alle Körperfunktionen total zum Erliegen kommen, sich die Welt voll und ganz in Unverständlichkeit aufzulösen beginnt.
Der Eimer mit dem Botulin war weg.
Hock…
Die Sicherheitsgruppe…
Der Firmenchef, Conradi…
Dubisch…
Allah, ein Wunder!
Es war lediglich ein Perser/Libanese/Afghane – wie sollte er die auseinanderhalten? –, der damit in die Küche wollte, offenbar in der Absicht, die Farbe erst mal zu verstecken und später zur Verschönerung seiner Zelle zu verwenden.
Kochale hinterher. Erwischt den Mann. Beschimpft ihn. Reißt ihm den Eimer wieder weg. Bringt den Schlüssel zu Dubisch zurück.
Dubisch hat ein fast schon pathologisches Namensgedächtnis und ist extra auf den Aktenboden gestiegen… Richtig!
«Sehnse ma hier, den Vorgang hier. Die Kochale Werkzeugmaschinen KG hat das Gebäude hier kaufen wollen, bevor es dann das Land Berlin erworben hat. Kochale, vor der Pleite – is doch Ihr Vater, nich?»
«Ja.»
«Isser imma noch nich wieda aufgetaucht?»
«Nee.»
Kochale verabschiedet sich und arbeitet wie ein Besessener. Sein Timing sieht vor, daß er genau in dem Moment an der Küche angekommen ist, in dem die Küchenhelfer den Thermobehälter für die Türkenstation D II/T (Langstrafler) auf den Flur stellen, weil er nicht rechtzeitig genug abgeholt worden ist.
Es wird unruhig in den einzelnen Flügeln, auf den einzelnen Stationen. Hunderte von Gefangenen werden ‹durchgeschlossen›. Ende der Arbeitszeit in den wenigen Werkstätten. Geschäfte werden abgewickelt. Ein Libanese verprügelt einen Türken, weil er annimmt, der habe ihm eine Lampe bauen, das heißt ihn verpfeifen wollen wegen ein paar Gramm Haschisch. Auf der Station D II/A geraten persische Schiiten und irgendwelche Sunken aneinander.
All das entnimmt Kochale den Zurufen vorbeirennender Beamter. Kochale registriert kommentar- und gedankenlos, wie sich die Synthese von Ordnung und Chaos unter gewaltiger Lärmentwicklung vollzieht.
Dann ist es soweit.
Dutzende von Thermobehältern werden weggeschleppt, nur Hocks Station bleibt übrig. Fluchend wird der blaue Kübel mit der weißen Aufschrift D II/T vom Küchenpersonal herausgetragen. Wie Eisschützen ihre Scheibe lassen sie ihn über den Betonboden rutschen, paßgenau in die Nische neben Kochales Eimern und Töpfen.
Schon ist er von der Leiter herunter. Ein Blick nach vorn, ein Blick nach hinten. Niemand zu sehen. Auch die Toilette ist frei.
Alles ist vorprogrammiert.
Jeder Griff sitzt. Der Mensch Kochale wird in diesen Sekunden zur Maschine und reagiert prompt auf die empfangenen Steuerungssignale.
Hock taucht auf, die Schlüssel klirren.
Kochale steht schon wieder auf der Leiter und spritzt mit Taiga 4 um sich.
Alles okay.
Der Thermobehälter wird weggetragen.
Dies waren die Sekunden, in denen Ismail, auf dem Boden seiner Zelle kniend, sein Gebet beendete –
«Glaubet an Allah und an seinen
Gesandten und eifert in Allahs
Weg mit Gut und Blut…
Er wird euch eure Sünden verzeihen
und euch in Gärten führen, durcheilt
von Bächen, und in gute Wohnungen
in Edens Gärten. Das ist die
große Glückseligkeit…
Und andere Dinge wird er euch geben,
die euch lieb sind – Hilfe von
Allah und nahen Sieg!»
Ismail erhob sich und trat auf den Gang hinaus. Die meisten seiner Landsleute lehnten in den halboffenen Zellentüren, scheinbar schläfrig. Einige feilschten um Kaffee und Tabak. Niyazi hatte angefangen, Ali und Bünyamin zu beschimpfen; sehr wortgewaltig und so laut, daß es der Beamte im ‹Cockpit› auf alle Fälle bemerken mußte. Alles sollte so sein wie immer. Vor der letzten Zelle stand Serdar und diskutierte mit einem Sozialarbeiter und dem Chef der SG-Gruppe; er sollte Manipulationen an seinem Radioapparat vorgenommen haben.
Hock als Gruppenbetreuer bzw. Aufsichtsbeamter, Grundler als Gruppenleiter (GL) bzw. Sozialarbeiter und Zebrowski von der Sicherheitsgruppe; Ismail wußte, daß sich eine derart günstige Konstellation nicht so schnell wieder ergeben würde.
Ein, zwei Blickkontakte, eine hingehauchte Frage: «Bıçak…» – «Evet!» – Es war also rechtzeitig gelungen, das in der Küche entwendete Messer unbemerkt an einem Bindfaden nach oben zu ziehen.
Hock kam, die Gittertür wurde aufgeschlossen, die beiden Träger knallten den Thermobehälter auf den steinernen Boden. Dies war das übliche Signal für die Türken, ihre Näpfe zu holen und sich in Reih und Glied zum Essensempfang anzustellen. Die Thermophore wurde geöffnet, und Ismail kam mit einer großen Schöpfkelle, um unter Hocks Aufsicht mit der Verteilung zu beginnen. Yeşil fasulye – Grüne Bohnen.
Er rührte den ganzen Pamps noch einmal von Grund auf um; stieß dabei auf ein Stückchen Fleisch und schrie auf:
«Domuz eti!»
Schweinefleisch. Ein kleiner Scherz von Dubisch («… warum sollen unsere türkischen Freunde nicht auch an unserm Eisbeinessen teilhaben?»).
Schon hatte Ismail den wabbeligen Fleischhappen herausgefischt und hielt ihn hoch.
«Gelin! Yapın!»
Das war das Zeichen, und damit begann das, was später als ‹Türken-Bambule› bekannt werden sollte.
Sekunden später befanden sich Sozialarbeiter wie SG-Chef im Würgegriff zweier Türken, die erfahrene Ringkämpfer waren, während Bünyamin Hock von hinten gepackt hatte und ihm das scharfgeschliffene Küchenmesser gegen die Kehle drückte.
Alles war so lautlos abgelaufen, daß der dösende Aufpasser im ‹Cockpit› zunächst überhaupt nichts mitbekommen hatte.
«Nun friß den Scheiß mal selber!»
Ismail rührte im Bohnenmatsch herum und riß dann in einer blitzschnellen Bewegung die Schöpfkelle nach oben, Hock vollspritzend. Hock wollte zurückweichen, aber Bünyamin hatte ihn mit Pranken gepackt. Von Antilopen sagte man, sie würden, hätte der jagende Löwe sie erst mal am Genick gepackt, jenseits jeder Panik sein, schicksalsergeben, gänzlich gelöst. So auch Hock. Dies war kein Spiel mehr, und es war zu bezweifeln, ob ihm seine Judokünste, hätte er sie wirklich anzuwenden versucht, in dieser Situation viel geholfen hätten. Hock, der selber an Gewalt, an Gewaltanwendung glaubte, hatte einen sicheren Instinkt dafür, wer in bestimmten Situationen der Stärkere und wer der Schwächere war. Er wußte, daß der Haß die Kräfte der Türken multiplizierte, und seine schlaffe Demutshaltung war nichts weiter als die mechanische Reaktion eines Organismus, der überleben wollte.
Ismail versuchte, Hocks Zähne auseinanderzukriegen. Wie ein Tierarzt macht er das, beherrscht, fast behutsam. Tuğrul und die K-Y-Leute hatten immer wieder gewarnt: Nur keinen töten, keinen schwer verletzen – ihr verliert jede Chance, eure Lage zu verändern! Die Ismails erteilte Weisung war klar und eindeutig: unversehrte Geiseln.
Dann konnte man das Interesse bundes-, ja weltweit auf den Tempelhof er Ausländerknast konzentrieren.
Aber andererseits war Ismail monatelang von Hock gepiesackt, geschurigelt, gedemütigt worden. Bünyamin noch stärker, und der wußte wenig von der K-Y-Bewegung.
«Warum frißt das Schwein nicht?» Dieser Giaur!
Hock gelang es, die erste Ladung Bohnen wieder auszuspucken. Die Angst vor dem Gift wirkte seiner wohligen Lähmung entgegen, ließ sie schlagartig schwinden. Doch je mehr er sich wehrte, desto stärker reizte er die beiden Türken.
Wir wollen zurück nach Tegel und Plötzensee!
Schluß mit dem Ausländerknast!
Wir wollen Arbeit und Ausbildung, wir wollen Urlaub und Freigang!
Wir wollen bei unseren Familien bleiben – Schluß mit der Abschiebung!
Wir wollen türkische Zeitungen!
Wir wollen wie die Deutschen behandelt werden!
Menschenrechte – Menschenrechte!
Noch immer rangen sie mit Hock, noch immer wollte er nicht essen. Und dies, obwohl Bünyamins Messer seinen Hals Mal um Mal bedrohlicher berührte.
Erst nur Ritzer, waren es in dieser Sekunde schon tiefe Schnitte.
Ein Ausrutscher, die Klinge zieht eine tiefe Furche vom linken Backenknochen bis zum Kinn hinunter.
Doch Hock ißt auch jetzt noch nichts. Er weiß, daß es für diesen Typ von Botulin kein Gegenmittel gibt, und schon gar nicht, wenn er hier als Geisel festgehalten wird.
Da kommt Ismail ein Verdacht: «Habt ihr etwa den Fraß vergiftet?»
Von seinem Gesicht, das weiß Hock, ist deutlich abzulesen, daß das stimmt. Und darum schreit er Ismail entgegen, daß er es nicht gewesen sei, sondern der Maler unten im Gang zur Küche.
Doch es nützt ihm nichts mehr.
In den Aufschrei der Türken hinein, die das mitbekommen haben, sticht Bünyamin ihn nieder.
Ismail hat es nicht mehr verhindern können. Blutbespritzt steht er da und weiß, das alles aus ist.
Er sieht sich um und ruft nach Niyazi, dem Freund.
Doch Niyazi Turan ist verschwunden.
Kochale stand auf der Leiter und arbeitete, als würde ein REFA-Mann unter ihm stehen und seine Zeiten stoppen. Der kleine Eimer, in dem er die vergifteten Bohnen hereingebracht hatte, war längst gereinigt und mit Taiga 4 gefüllt.
Nichts ließ sich mehr rückgängig machen. Es war geschehen. Zwar durch ihn, aber eigentlich ohne ihn. Eine Macht, unbegreiflich und unfaßbar, hatte ihn gesteuert, ihn, den Roboter Konrad L. Kochale auf dem Planeten Terra. Es war geschehen, aber dennoch nur Fiktion. Alles Geschehen ist nur real, wenn wir glauben, daß es real ist. Und Kochale tat dies nicht mehr.
Er war ganz ruhig. Er war ein kleiner, unterbezahlter Anstreicher, der auf nichts anderes wartete als auf seinen Feierabend, seinen Schrebergarten, seine Tomatenstauden.
Doch plötzlich Lärm im Haus, Schwingungen wie vor einem nahen Erdbeben. So schnell die ersten Todesfälle?
Dubisch hastet vorbei, stößt ihn fast von der Leiter. «… ‘tschuldigung, muß meine Waffe holen – Türken-Bambule oben in DII. Das Essen soll vergiftet sein!»
Kochale läßt die Rolle in den Eimer klatschen, kapiert nicht das geringste. Wie denn das?
Andere Bedienstete hasten zur Waffenkammer. Aber noch immer kein Alarm. Der AL scheut alles, was draußen in der Öffentlichkeit Aufmerksamkeit erregen könnte. Telefoniert erst mal, sichert sich ab.
Kochale hat die Vision, daß Hunderte von Türken mit gezückten Messern auf ihn losstürzen.
Wenn Hock nun gesungen hat? Möglich ist alles. Kochale springt von der Leiter, greift sich einen leeren Farbeimer und läuft zur Pforte. Schnell, aber nicht zu schnell.
Jetzt hört er das Toben oben auf der Türkenstation. Rhythmische Schreie. Alles, was aus Blech und Eisen ist, wird gegen die Mauern geschlagen.
Die eisernen Tore sind offen; eine Grüne Minna fährt ein, bringt Nachschub, neue Knackis. Kochale quetscht sich zwischen ihr und der Backsteinwand vorbei.
«Meine Farbe is alle!»
Die Beamten kennen ihn und lassen ihn passieren.
Er biegt um die Ecke und sieht, daß da, wo sie die neue, unüberwindbare Mauer hochziehen, ein kleines Malheur geschehen ist: eines der überdimensionalen Fertigteile hat beim Einschweben ein erhebliches Stück der alten Backsteinmauer niedergerissen. Der Kranführer, offenbar von der Mittagshitze geschädigt, dreht ein wenig durch. Die tonnenschwere Last ist nicht zu stoppen, schwingt weiter wie an einem Kettenkarussell. Die Bauarbeiter gehen in Deckung, Kochale wagt es nicht, zu seinem Variant zu springen. Der Beamte auf dem Wachtturm hat die Waffe abgelegt und starrt gebannt nach unten.
Endlich wird Alarm gegeben; wildes Sirenengetöse.
Und dann überschlägt sich alles.
Durch das frischgeschlagene Mauerloch hasten zwei Männer. Vorneweg Dubisch, der Leiter der Wirtschaftsverwaltung, und hinterher ein Türke: Niyazi, Dubischs Dienstwaffe in der Hand, den Lauf immer im Genick des Deutschen.
Kochale hat inzwischen sein Auto erreicht und die Tür aufbekommen, will nun starten.
Da ist Niyazi heran und erkennt seine Chance. Mit Dubisch als Schutzschild rafft er einen Stein vom Boden und schlägt das Wagenfenster ein. Die Tür ist schnell entriegelt, und als Kochale Gas geben kann, sitzt Niyazi neben ihm, Dubischs Dienstwaffe schußbereit.
«Los – nach Kreuzberg!»
Eher schon Formel I-Rennwagen als Nutzfahrzeug, schoß der Variant davon. Aber nun war auch Dubisch außer Gefahr, und der Mann auf dem Wachtturm konnte das Feuer eröffnen.