Der Hammer Gottes
Das Dörflein Bohun Beacon saß auf einem so steilen Hügel, daß seine hohe Kirchturmspitze sich nur wie ein kleiner Berggipfel ausnahm. Am Fuße der Kirche stand eine Schmiede, aus der gewöhnlich roter Feuerschein strahlte und Hämmer und Eisenstücke lagen stets unordentlich hingeworfen umher. Ihr gegenüber, jenseits der Kreuzung roh gepflasterter Straßen lag das »blaue Wildschwein«, das einzige Wirtshaus des Ortes. An dieser Straßenkreuzung und um die Stunde eines bleigrauen und silbernen Tagesanbruches war es, daß sich zwei Brüder trafen und miteinander sprachen, obwohl der eine den Tag begann und der andere ihn beschloß. Der hochwürdige und ehrenwerte Wilfried Bohun war sehr fromm und befand sich unterwegs zu irgendeiner strengen Gebetsübung oder Morgenbetrachtung. Der ehrenwerte Oberst Norman Bohun, sein älterer Bruder, war ganz und gar nicht fromm und saß noch im Abendgewande auf der Bank vor dem »blauen Wildschweine« und trank etwas, was der philosophische Leser als sein letztes Glas am Dienstag oder sein erstes Glas am Mittwoch ansehen mag. Der Oberst selbst legte darauf wenig Gewicht.
Die Bohuns waren eine von den sehr wenigen adeligen, wirklich in das Mittelalter zurückreichenden Familien und ihr Fähnlein hatte wirklich Palästina gesehen. Aber es ist ein großer Irrtum, anzunehmen, daß solche Häuser in ritterlicher Überlieferung sich aufrecht erhalten. Wenige außer den Armen bewahren Überlieferungen. Aristokraten leben nicht nach Überlieferungen, sondern nach Moden. Die Bohuns waren unter Königin Anna Mohocks (Raufbolde) und unter Viktoria Mashers (Stutzer) gewesen. Aber wie mehr als eines der wirklich alten Häuser waren sie in den letzten zwei Jahrhunderten in reine Trunkenbolde und Gecken ausgeartet, bis sich sogar leise Anzeichen von Geisteskrankheit eingestellt hatten. Sicherlich lag etwas kaum mehr Menschliches in des Obersten wolfshungrigem Jagen nach Vergnügen und sein chronischer Entschluß, nicht vor Tagesanbruch nach Hause zu gehen, zeugte mit schrecklicher Klarheit von dem Anzeichen der Schlaflosigkeit. Er war ein großer, hübscher, ältlicher Mann, jedoch von auffallend gelbem Haare. Er würde direkt blond und löwenhaft ausgesehen haben, doch lagen seine blauen Augen so tief in den Höhlen, daß sie schwarz erschienen. Auch standen sie ein wenig zu nahe beisammen. Ferner trug er einen sehr langen gelben Schnurrbart, zu dessen beiden Seiten je eine von den Nasenflügeln bis zum Kinn reichende Falte oder Runzel sich herabzog, so daß ein höhnisches Grinsen in sein Gesicht geschnitten schien. Über seinem Abendgewand trug er einen merkwürdig hellgelben Rock, der mehr wie ein sehr leichter Schlafrock als wie ein Überzieher aussah und auf seinem Hinterkopfe steckte ein außergewöhnlich breitrandiger Hut von lebhaft grüner Farbe, sichtlich eine fremdländische, aufs Geratewohl irgendwo aufgelesene Merkwürdigkeit. Bohun war stolz darauf, in solch nicht zusammenstimmendem Äußerem zu erscheinen, stolz darauf, die Gegensätze zum Zusammenstimmen zu zwingen.
Sein Bruder, der Kurat, hatte auch das gelbe Haar und die Eleganz, aber er war bis zum Kinn schwarz eingeknöpft und sein Gesicht glattrasiert, gepflegt und ein wenig nervös. Er schien für nichts anderes als für seine Religion zu leben, aber es gab Leute, welche behaupteten (und dazu gehörte vor allem der presbyterianische Dorfschmied), es sei mehr Liebe zur Gotik als zu Gott, und sein immerwährendes Herumspucken in der Kirche gleich einem Geiste sei nur ein anderer und reinerer Ausdruck des beinahe krankhaften Durstes nach Schönheit, der seinen Bruder den Weibern und dem Weine nachjagen ließ. Die Berechtigung dieses Vorwurfes muß jedoch angezweifelt werden, denn des Mannes praktische Frömmigkeit stand außer Frage. In der Tat war der Vorwurf zumeist nichts anderes als ein auf Unwissenheit beruhendes Mißverstehen seiner Liebe zur Einsamkeit und zu verborgenem Gebete und gründete sich darauf, daß man ihn oft im Gebete kniend fand, nicht vor dem Altare, sondern an besonderen Orten, in der Krypta oder auf der Galerie und selbst auf dem Kirchturme. In diesem Augenblicke stand er im Begriffe, durch den Hof der Schmiede in die Kirche einzutreten, doch blieb er stehen und runzelte die Stirne ein wenig, als er seines Bruders tief liegende Augen nach derselben Richtung starren sah. Auf die Annahme, daß das Interesse des Obersten der Kirche gelten könnte, verschwendete er keinen Gedanken. Es konnte somit nur die Behausung des Schmiedes in Frage kommen und wenngleich dieser Puritaner war und daher nicht zu seiner Gemeinde gehörte, hatte Wilfried so etwas von Skandal im Zusammenhange mit einem schönen und ziemlich bekannten Weibe gehört. Er warf einen Blick voll Verdachtes über den Hof hin, als der Oberst lachend aufstand, um ihn anzureden.
»Guten Morgen, Wilfried,« sagte er. »Wie ein guter Gutsherr wache ich schlaflos über meine Leute. Ich will eben den Schmied besuchen.«
Wilfried blickte zu Boden und erwiderte, der Schmied sei fort, hinüber nach Greenford.
»Ich weiß,« antwortete der Bruder mit stillem lachen, »eben deswegen will ich ihm einen Besuch machen.«
»Norman,« versetzte der Geistliche, während sein Auge auf einem Stein am Wege ruhte, »fürchtest du dich nie vor Donnerschlägen?«
»Was meinst du damit?« fragte der Oberst. »Ist dein Steckenpferd etwa jetzt Meteorologie?«
»Ich meine, ob du nie bedacht hast, daß Gott dich auf der Straße niederstrecken könnte?«
»Entschuldige,« antwortete der Oberst, »aber ich sehe, dein Steckenpferd sind Kindermärchen.«
»Ich weiß, das deine ist die Gotteslästerung,« gab der Geistliche in der einen empfindlichen Stelle seiner Natur getroffen zurück. »Aber wenn du dich schon vor Gott nicht fürchtest, hast du doch wenigstens allen Grund, die Menschen zu fürchten.«
Der Ältere zog die Brauen hoch. »Die Menschen fürchten?« fragte er.
»Barnes, der Schmied ist der stärkste und größte Mann auf vierzig Meilen ringsum,« warnte der Geistliche ernst. »Ich weiß, du bist kein Feigling oder Schwächling, aber er könnte dich über die Mauer werfen.«
Dieser Hieb saß, denn er war nur zu wahr, und die tiefe Linie um Mund und Nasenflügel trat noch schärfer und tiefer hervor. Einen Augenblick stand Oberst Bohun mit breitem Grinsen im Gesichte da. Aber im Nu hatte er seinen alten grausigen guten Humor, wieder gefunden und lachte, wobei unter seinem gelben Schnurrbarte wie bei einem Hunde zwei Fangzähne hervortraten. »In diesem, Falle, mein lieber Wilfried,« bemerkte er ganz sorglos, »war es sehr klug von dem letzten der Bohuns, teilweise in Harnisch auszugehen.«
Und er nahm den eigentümlich runden grün überzogenen Hut ab und zeigte, daß er innen mit Stahl gefüttert war. Wilfried erkannte in der Tat einen leichten japanischen oder chinesischen Helm wieder, der einer Trophäe aus dem alten Ahnensaal entnommen war.
»Es war der erste Hut, der mir zur Hand war,« erklärte der Bruder leichthin. »Stets den nächsten Hut – und das nächste Weib.«
»Der Schmied ist nach Greenford hinüber,« versetzte Wilfried ruhig, »es ist unbestimmt, wann er zurückkehrt.«
Und damit wandte er sich ab und trat, sich wie jemand bekreuzend, der sich von einem unreinen Geiste losgesagt zu haben wünscht, gebeugten Hauptes in die Kirche. Ihn drängte es, solche Gemeinheit in dem kühlen Dämmerlichte seines hohen gotischen Gotteshauses zu vergessen, aber diesen Morgen sollte es nun einmal so sein, daß sein stiller Rundgang religiöser Übungen immer wieder von kleinen Zwischenfällen aufgehalten wurde. Als er die um diese Stunde stets leere Kirche betrat, erhob sich eilig eine Gestalt und schritt dem vollen Tageslichte des Haupteinganges zu. Als der Kurat sie sah, blieb er überrascht stehen, denn der frühe Beter war niemand anderer als der Dorftrottel, ein Neffe des Schmiedes, der sich weder um die Kirche noch um irgend etwas anderes bekümmerte noch zu bekümmern imstande war. Man pflegte ihn den »verrückten Joe« zu nennen und er schien keinen anderen Namen zu haben. Er war ein starker, einherschlotternder Bursche mit einem gedrückten, weißen Gesichte, dunklem, straffem Haare und stets offenem Munde. Als er an dem Geistlichen vorbeikam, ermangelte sein mondkälbernes Aussehen jeder Andeutung dessen, was er getan oder gedacht haben mochte. Nie noch hatte man ihn beten gesehen. Welche Art von Gebet sollte er jetzt verrichtet haben? Sicherlich eine außergewöhnliche.
Wilfried Bohun stand noch lange wie angewachsen auf seinem Platze und blickte dem Idioten nach, wie er in den Sonnenschein hinaustrat und sogar sein liederlicher Bruder ihn mit einer gewissen gönnerhaften Heiterkeit begrüßte. Das letzte, was er sah, war, wie der Oberst Pfennigstücke in Joes offenes Maul warf und sich den ernsthaften Anschein gab, es zu verbergen.
Das häßliche sonnenbestrahlte Bild vollkommener Tölpelhaftigkeit und Vertiertheit ließ den Aszeten endlich sich seinem Gebete um Reinigung und neue Gedanken zuwenden. Er schritt nach einer Kniebank unter einem farbigen Fenster in der Galerie hinauf, das er liebte, weil es immer sein Gemüt beruhigte, ein blaues Fenster mit einem lilientragenden Engel. Dort begann er nachzudenken, weniger über den Idioten mit seinem fahlen Gesichte und seinem Fischmaule. Mehr und mehr entfernten sich auch seine Gedanken von seinem schlimmen Bruder, der wie ein abgemagerter Löwe in seinem schrecklichen Heißhunger einherschritt. Tiefer und tiefer versank er in jene kalten und süßen Farben von Silberblüten und saphirenem Himmel.
An diesem Platze wurde er eine halbe Stunde darauf von Gibbs, dem Dorfschuster gefunden, der in Eile nach ihm geschickt worden war. Rasch erhob er sich, denn er wußte, daß eine Kleinigkeit Gibbs unter keinen Umständen hierher geführt hätte. Der Schuster war wie in vielen Dörfern ein Gottesleugner und sein Erscheinen in der Kirche noch um einen Grad außergewöhnlicher als das des Verrückten. Es war ein Morgen voll von theologischen Rätseln.
»Was gibt es?« fragte Wilfried Bohun ziemlich steif, aber die Hand zitternd nach dem Hute ausstreckend.
Der Gottesleugner sprach in einem Tone, der aus seinem Munde ganz auffallend achtungsvoll klang und in diesem Falle sogar eine gewisse urwüchsige Teilnahme verriet.
»Sie müssen mich entschuldigen, Herr,« sagte er in heiserem Flüstern, »aber wir meinten, es wäre nicht recht, wenn wir Sie nicht sofort verständigt hätten. Ich fürchte, es ist etwas ziemlich Schreckliches geschehen, Herr. Ich fürchte, Ihr Bruder –«
Wilfried ballte seine zarten Hände. »Was hat er jetzt wieder Teuflisches begangen!« rief er in ungewollter Leidenschaftlichkeit.
»Nun, Herr,« fuhr der Schuster hüstelnd fort, »ich fürchte, er hat nichts begangen und wird nichts dergleichen tun. Ich fürchte, es ist mit ihm aus. Sie kommen besser selbst herab, Herr.«
Der Geistliche folgte dem Schuster eine kurze Wendeltreppe hinab, die sie nach einem stark über der Straße liegendem Eingange brachte. Bohun erfaßte die Tragödie mit einem Blick; wie eine Landkarte breitete sie sich unter ihm aus. Im Hofe der Schmiede standen fünf oder sechs Männer beisammen, die meisten in Schwarz, einer in der Uniform eines Polizeiinspektors. Außerdem waren dabei der Doktor, der presbyterianische Pastor und der Priester von der römisch-katholischen Kapelle (wohin das Weib des Schmiedes gehörte). Der letztere sprach eben ziemlich rasch und halblaut auf sie ein, die, eine wunderschöne Frau mit rötlichgoldenem Haare auf einer Bank schluchzte. Zwischen diesen beiden Gruppen und gerade abseits vom Haupthaufen von Hämmern lag breit und flach auf seinem Gesichte ein Mann in Abendkleidern. Von der Höhe aus hätte Wilfried auf jede Einzelheit seines Gewandes und Äußeren, herab bis zu den Bohunschen Ringen schwören können, der Schädel aber war ein einziger gräßlicher Spritzer wie ein Stern aus Schwarz und Blut.
Ein Blick genügte Wilfried Bohun, dann rannte er die Treppe nach dem Hofe hinab. Der Doktor, sein Hausarzt, begrüßte ihn, aber er schenkte dem kaum Beachtung. Er vermochte nur zu stammeln: »Mein Bruder tot! Was hat das zu bedeuten? Was ist das für ein entsetzliches Geheimnis?«
Unheilschweres Schweigen antwortete ihm, dann meinte der Schuster, der Mitteilsamste von allen: »Entsetzen genug, Herr, aber Geheimnis ist keines dabei.«
»Was meinen Sie?« fragte Wilfried aschfahl.
»Es ist klar genug,« erwiderte Gibbs. »Es gibt nur einen Mann auf vierzig Meilen in der Runde, der einen Schlag wie diesen führen könnte und das ist der, der am meisten Grund dazu hatte.«
»Wir dürfen nichts übereilen,« bemerkte ziemlich nervös der Doktor, ein großer schwarzbärtiger Mann. »Aber als Fachmann kann ich nur bestätigen, was Mr. Gibbs über die Natur des Schlages sagt, es ist ein ganz unglaublicher Schlag. Mr. Gibbs sagt, nur ein einziger Mann in diesem Bezirke könnte es getan haben. Ich meinerseits würde selbst ausgesprochen haben, daß niemand anderer dazu imstande gewesen wäre.«
Ein Schaudern von Angst überlief die schlanke Gestalt des Geistlichen. »Ich kann es schwer verstehen,« meinte er.
»Mr. Bohun,« bemerkte der Doktor mit gedämpfter Stimme, »es ist mir nicht gegeben, die Dinge zu umschreiben. Es ist noch zu wenig gesagt, wenn ich behaupte, der Schädel wurde in Scherben geschlagen wie eine Eierschale. Knochenstücke sind in den Körper und in den Boden getrieben wie Kugeln in eine Lehmmauer. Es war die Hand eines Riesen.«
Er schwieg einen Augenblick, blickte grimmig durch seine Brille, dann fuhr er fort: »Das Ding hat ein Gutes, nämlich daß es die meisten Leute auf einen Schlag von allem Verdachte reinigt. Würden Sie oder ich oder irgend jemand normal Veranlagter aus der Gegend des Verbrechens angeklagt, wir würden freigesprochen wie man ein Kind von der Anklage freisprechen müßte, es habe die Nelsonsäule gestohlen.«
»Das sagte ich eben auch,« wiederholte der Schuster hartnäckig, »es gibt nur einen Menschen, der es getan haben kann und dem es zuzutrauen ist. Wo steckt Simeon Barnes, der Schmied?«
»Er ist hinüber nach Greenford,« stotterte der Kurat.
»Wahrscheinlicher hinüber nach Frankreich,« brummte der Schuster.
»Nein, er ist an keinem von diesen beiden Orten,« ließ sich die unbedeutende und farblose Stimme des kleinen katholischen Priesters vernehmen, der sich der Gruppe zugesellt hatte. »Tatsächlich kommt er soeben die Straße herauf.«
Der kleine Priester mit seinem Stoppelhaare und dem runden, wenig geistreichen Gesichte war kein Mann, um die Blicke auf sich zu ziehen. Aber wäre er auch so herrlich gewesen wie Apoll, so würde doch in diesem Augenblicke niemand nach ihm hingesehen haben. Alle wandten sich um und schauten nach dem Fußpfade, der sich durch die Ebene heraufwand und den in der Tat mit seinem ihm eigenen schweren Schritte und einem Hammer auf der Schulter Simeon der Schmied entlang wanderte. Er war ein starkknochiger Mann von Riesengestalt mit einem dunklen Kinnbarte. Ruhig schritt er im Gespräche mit zwei anderen Männern seines Weges und obschon er niemals besonders frohgestimmt war, schien er dennoch ganz unbefangen.
»Mein Gott,« rief der atheistische Schuster, »und da ist auch der Hammer, womit er es tat.«
»Nein,« bemerkte der Inspektor, ein verständig aussehender Mann mit rötlichgelbem Schnurrbarte, indem er das erstemal den Mund auftat. »Dort ist der Hammer, womit er es tat, drüben an der Kirchenmauer. Wir haben ihn und die Leiche gelassen, genau wie wir sie fanden.«
Alles blickte dorthin und der kleine Priester ging hinüber und sah stumm auf das dort liegende Werkzeug nieder. Es war einer der kleinsten und leichtesten von den Hämmern und er würde unter den anderen kaum das Augenmerk auf sich gelenkt haben, doch an seiner Eisenkante klebte Blut und gelbes Haar.
Nach kurzem Schweigen sprach der kleine Priester ohne aufzublicken und seine matte Stimme hatte einen neuen Beiklang: »Mr. Gibbs hatte kaum recht, wenn er sagte, es liege kein Geheimnis vor. Wir haben zum mindesten das eine Geheimnis, weshalb ein solcher Riese von einem Menschen einen so furchtbaren Schlag mit einem so kleinen Hammer versuchen sollte.«
»O, das hat gar nichts zu sagen,« rief der Schuster. eifrig. »Was soll mit Simeon Barnes geschehen?«
»Laßt ihn nur,« versetzte der Priester ruhig. »Er kommt von selbst hierher. Ich kenne die beiden, die bei ihm sind. Es sind sehr brave Burschen von Greenford und sie kommen in die presbyterianische Kapelle herüber.«
Gerade als er sprach, bog der große Schmied um die Kirchenecke und trat in seinen Hof. Dann blieb er unbeweglich stehen und der Hammer entfiel seiner Hand. Der Inspektor, der undurchdringliche Unbefangenheit bewahrt hatte, trat sofort auf ihn zu.
»Ich will Sie nicht fragen, Mr. Barnes, ob Sie etwas darüber wissen, was hier vorgefallen ist. Sie sind nicht verpflichtet es auszusagen. Ich hoffe, Sie wissen es nicht und sind imstande, das zu beweisen. Aber ich muß nun einmal der Form wegen Sie im Namen des Königs wegen Mordes, begangen an Oberst Norman Bohun verhaften.«
»Sie brauchen gar nichts auszusagen,« sagte der Schuster in zudringlicher Erregung. Es muß alles erst erwiesen werden. Es ist noch nicht einmal erwiesen, daß es Oberst Bohun ist, dessen Kopf so zermalmt ist.«
»Das hilft ihm nichts,« bemerkte der Doktor abseits zum Priester. »Das hat gar nichts mit Detektivgeschichten zu tun. Ich war beim Oberst Hausarzt und kannte seinen Körper besser als er selbst. Er hatte sehr zarte, aber ganz eigenartige Hände. Der Mittel- und der Ringfinger waren beide von derselben Länge. O, es ist der Oberst, so gewiß wie nur etwas.«
Während er auf die auf dem Boden liegende Leiche niederblickte, folgten ihnen die Stahlaugen des regungslosen Schmiedes und hafteten darauf.
»Ist Oberst Bohun tot?« fragte er ganz ruhig. »Dann ist er in der Hölle.«
»Sagen Sie nichts! O, sagen Sie gar nichts,« rief der atheistische Schuster in verzückter Bewunderung für das englische Gerichtsverfahren. Denn niemand hängt so sehr am Buchstaben des Gesetzes, wie der gute Freidenker.
Der Schmied kehrte ihm über die Schulter das selbstbewußte Gesicht eines Fanatikers zu.
»Das könnt ihr, ihr Ungläubigen, wie die Füchse auskneifen, weil ihr das weltliche Gesetz stets auf eurer Seite habt. Aber Gott wacht über die Seinen, das wird euch heute noch offenbar.« Dann deutete er nach dem Oberst und fragte: »Wann starb dieser Hund in seinen Sünden?«
»Mäßigt Eure Sprache,« mahnte der Doktor.
»Mäßigen Sie die Sprache der Bibel und ich mäßige die meinige. Wann starb er?«
»Ich traf ihn um sechs Uhr morgens noch am Leben,« stammelte Wilfried Bohun.
»Gott ist gut,« sagte der Schmied. »Herr Inspektor, ich habe nicht das geringste dagegen einzuwenden, daß Sie mich festnehmen. Sie sind es. der etwas dagegen einzuwenden haben dürfte. Mir liegt nichts daran, wenn ich den Gerichtssaal ohne einen Flecken auf meinem Charakter verlasse. Aber Ihnen ist es vielleicht nicht gleichgültig, mit einem Aufsitzer Ihre Karriere zu schädigen.«
Zum erstenmal sprach aus dem Blicke des Inspektors eine größere Beachtung für den Schmied, wie alle anderen sie ihm entgegenbrachten. Eine Ausnahme machte nur der kleine seltsame Priester, der noch immer auf den kleinen Hammer niederstarrte.
»Draußen stehen zwei Männer,« fuhr der Schmied mit schwerfälliger Klarheit fort, »brave Kaufleute aus Greenford, die ihr alle kennt. Sie können beschwören, daß sie mich von vor Mitternacht bis zum Tagesanbruch und auch später noch im Versammlungssaale unserer die ganze Nacht hindurch tätigen Erweckungsmission sahen. In Greenford selbst können noch zwanzig Personen einen Eid für die ganze Zeit ablegen. Wäre ich ein Heide, Herr Inspektor, dann würde ich Sie Ihrem Hereinfall zueilen lassen. Aber als christlicher Mann fühle ich mich verpflichtet, Ihnen die Gelegenheit zu geben und frage Sie, ob Sie mein Alibi jetzt gleich ober vor Gericht hören wollen.«
Der Inspektor schien zum erstenmal unentschlossen und meinte: »Natürlich wäre es mir lieber, Sie jetzt gleich laufen lassen zu können.«
Der Schmied begab sich mit demselben weitausholenden Schritte vor den Hof hinaus und kehrte zu seinen beiden Greenforder Freunden zurück, die tatsächlich auch mit fast allen Anwesenden gut befreundet waren. Jeder der beiden sprach ein paar Worte, die niemand auch nur im entferntesten in Zweifel zu ziehen in den Sinn kam. Als sie geendet hatten, stand die Unschuld Simeons so aufrecht da, wie die große Kirche hinter ihnen.
Die Gruppe war von einem jener Schweigen betroffen, welche eigentümlicher und unerträglicher sind als jede Rede. Gedankenlos und nur um das Gespräch wieder in Fluß zu bringen, bemerkte der Kurat zu dem katholischen Priester: »Sie scheinen sich sehr für diesen Hammer zu interessieren, Father Brown.«
»Ja, das tue ich auch,« versetzte dieser. »Weshalb ist es ein so kleiner Hammer?«
Der Doktor wandte sich ihnen zu.
»Wahrhaftig, das ist richtig,« rief er aus, »wer sollte sich einen so kleinen Hammer aussuchen, wenn deren ein Dutzend große umherliegen?« Dann flüsterte er dem Kurat ins Ohr: »Nur jene Sorte von Leuten, welche keinen großen Hammer heben können. Es handelt sich nicht um den Stärkeunterschied zwischen Mann und Weib, die Schulterhebekraft kommt hier in Frage. Ein kräftiges Weib könnte zehn Morde mit einem leichten Hammer ausführen, ohne sich anzustrengen. Mit einem schweren Hammer hätte sie aber nicht einmal einen Käfer zu töten vermocht.«
Wilfried Bohun starrte ihn wie in hypnotisiertem Schrecken an, während Father Brown, den Kopf ein wenig zur Seite geneigt, wirklich eingenommen und aufmerksam zuhörte. Dann fuhr der Doktor mit zischendem Nachdrucke fort: »Weshalb nehmen diese Dummköpfe immer nur an, die einzige Person, welche den Geliebten einer Frau haßt, müsse deren Gemahl sein? In neun Fällen unter zehn ist die Person, die den Geliebten einer Frau am meisten haßt, diese selbst, wer weiß, was er sich ihr gegenüber an Unverschämtheit oder Verräterei herausgenommen hat – da, sehen Sie.«
Er wies rasch nach dem rothaarigen Weibe auf der Bank. Sie hatte endlich den Kopf erhoben und die Tränen trockneten auf ihrem schönen Gesichte. Aber die Augen blieben mit einem elektrischen Glanze, der etwas Idiotenhaftes an sich hatte, an der Leiche haften.
Wilfried Bohun machte eine schlaffe Handbewegung, wie wenn er alle Wißbegier beiseite schieben wollte, Father Brown jedoch, von seinem Ärmel ein wenig von der Esse aufgeblasene Asche wegwischend, sprach ganz geläufig.
»Sie sind alle mitsammen richtige Doktoren.« sagte er. »Ihr geistiges Wissen ist wirklich anregend, aber Ihr physisches ist ganz und gar unmöglich. Ich gebe zu, daß das Weib den mitschuldigen Ehebrecher viel mehr noch als der Hintergangene umzubringen wünscht. Und ich gebe zu, daß ein Weib stets nach einem kleinen Hammer greifen wird anstatt nach einem großen. Aber die Schwierigkeit liegt in der physischen Unmöglichkeit. Kein Weib hätte je den Schädel des Mannes so zu Brei zu schlagen vermocht!« Dann nach einer Pause fügte er nachdenklich hinzu, »diese Leute haben das Ganze immer noch nicht erfaßt. Der Mann trug tatsächlich einen Eisenhelm und der Schlag zersplitterte ihn wie Glasscherben. Sehen Sie doch die Frau an, ihre Arme!«
Wiederum standen sie alle stumm, bis der Doktor ziemlich ärgerlich zugab: »Nun ja, ich mag unrecht haben; Einwendungen lassen sich gegen alles vorbringen, aber am Hauptpunkte halte ich fest. Niemand außer ein Idiot würde nach einem kleinen Hammer greifen, wenn er einen großen zur Hand hätte.«
Die mageren und bebenden Hände Wilfried Bohuns fuhren nach dem Kopfe und schienen in das spärliche gelbe Haar greifen zu wollen. Einen Augenblick später fielen sie herab und er rief: »Das war das richtige Wort; Sie haben es ausgesprochen.« Und seine Aufregung bemeisternd fuhr er fort: »Ihre Worte waren, niemand als nur ein Idiot würde nach dem kleinen Hammer gegriffen haben.«
»Ja,« bestätigte der Doktor. »Und?«
»Nun, und niemand anderer als ein Idiot tat es.«
Die anderen blickten ihn mit starren großen Augen an und er fuhr in fieberhafter und geradezu weibischer Aufregung fort.
»Ich bin ein Priester,« schrie er unsicher, »und ein Priester soll kein Blut vergießen. Ich – ich meine, er soll niemand an den Galgen liefern. Und ich danke Gott, daß ich den Verbrecher jetzt klar erkenne – denn er ist ein Verbrecher, den man nicht an den Galgen bringen kann.«
»Sie werden ihn nicht angeben?« fragte der Doktor.
»Er würde nicht gehenkt, selbst wenn ich ihn angebe,« antwortete Wilfried mit wildem und eigentümlichem Lächeln. »Als ich diesen Morgen die Kirche betrat, fand ich einen Idioten dort beten – jenen armen Joe, der sein Leben lang nicht recht bei Trost war. Weiß Gott, was er betete, aber bei solch seltsamen Leuten ist es nicht so unglaublich, anzunehmen, daß es in ihrem Gebete drunter und drüber geht. Es ist ganz wahrscheinlich, daß ein Verrückter zuerst sein Gebet verrichtet, ehe er einen Menschen tötet. Als ich den armen Joe zum letztenmal sah, war er bei meinem Bruder. Mein Bruder hänselte ihn.«
»Beim Zeus,« rief der Doktor, »das nenne ich endlich reden! Aber wie erklären Sie –«
Der Geistliche bebte beinahe vor Erregung über seine Entdeckung der Wahrheit. »Sehen Sie nicht? Sehen Sie nicht,« schrie er wie im Fieber, »daß dies die einzige Theorie ist, welche auf beide sonderbare Dinge paßt, daß sie beide Rätsel löst! Die beiden Rätsel sind der kleine Hammer und der gewaltige Schlag. Dem Schmied hätte man den gewaltigen Schlag zutrauen können, aber der hätte dazu nicht den kleinen Hammer gewählt. Sein Weib würde den kleinen Hammer gewählt haben, aber sie hätte den gewaltigen Schlag nicht auszuführen vermocht. Aber der Idiot konnte beides getan haben, was den kleinen Hammer betrifft – nun, der Mann war unzurechnungsfähig und hätte ebensogut nach irgend etwas anderem auch greifen können. Und was den gewaltigen Schlag anbelangt, Doktor, so hat man doch schon oft gehört, daß Tollheit in Augenblicken des Anfalles die Stärke von zehn Männern zu verleihen imstande ist.«
Aufatmend gab der Doktor nach. »Teufel nochmal, ich glaube, Sie haben recht.«
Father Brown hatte seine Augen so lange und nachhaltig auf den Sprecher geheftet, daß es klar war, daß seine großen Kalbsaugen denn doch nicht so nichtssagend waren, wie der Rest seines Gesichtes. Als niemand mehr sprach, bemerkte er mit betontem Respekt: »Mr. Bohun, die Ihrige ist die einzige, bisher vorgebrachte und wirklich wasserdichte und wesentlich unangreifbare Theorie. Ich glaube daher, daß man Ihnen schuldet, es auszusprechen – nach meiner positiven Kenntnis ist sie nicht die wahre.« Und damit schritt der kleine Mann beiseite und starrte wieder auf den Hammer nieder.
»Der Bursche scheint mehr zu wissen, als er sollte,« flüsterte der Doktor verdrießlich. »Diese papistischen Priester sind verteufelt verschlagen.«
»Nein, nein,« beharrte Bohun einigermaßen erschöpft, »es war der Verrückte.«
Die Gruppe der beiden Geistlichen und des Doktors stand von der mehr amtlichen Gruppe, welche aus dem Inspektor und dem Verhafteten bestand, etwas abseits. Jetzt aber, da ihre Partei sich aufgelöst hatte, ließ sich von der anderen her eine Stimme vernehmen. Der Priester blickte ruhig auf und dann wieder nieder, während er den Schmied mit lauter Stimme sagen hörte, »ich hoffe, Inspektor, ich habe Sie überzeugt. Ich bin ein starker Mann, wie Sie sagen, aber von Greenford bis hierher hätte ich meinen Hammer doch nicht schleudern können. Mein Hammer hat nicht Flügel bekommen, um eine halbe Meile über Hecken und Felder geflogen zu kommen.«
Der Inspektor lachte gutmütig. »Nein, ich denke, wir können von Ihnen absehen, obwohl es eines der sonderbarsten Zusammentreffen ist, das mir je unterkam. Ich kann Sie nur bitten, uns jeden Ihnen möglichen Beistand zu leihen, um einen Mann zu finden, der so groß und so stark ist wie Sie selbst. Wahrhaftig, wir könnten Sie vielleicht brauchen, wenn auch nur, um ihn festzuhalten. Sie selbst haben wohl keine Vermutung, was den Mann betrifft?«
»Ich hätte wohl eine Vermutung,« gab der bleiche Schmied zur Antwort, »aber es ist kein Mann.« Dann, als er sah, wie sich die erschrockenen Blicke nach seinem Weibe auf der Bank wandten, legte er seine mächtige Hand auf ihre Schulter und fügte hinzu »– noch auch ein Weib.«
»Was meinen Sie damit?« fragte der Inspektor scherzhaft. »Sie glauben doch nicht, daß eine Kuh einen Hammer benutzt? Oder doch?«
»Ich denke, kein Ding von Fleisch und Blut hielt jenen Hammer,« sagte der Schmied mit gedämpfter Stimme; »menschlich gesprochen glaube ich, der Mann starb allein.«
Wilfried machte plötzlich eine Bewegung nach vorwärts, und sah den Sprecher mit brennenden Augen an.
»Wollen Sie damit sagen, Barnes,« ertönte die scharfe Stimme des Schusters dazwischen, »daß der Hammer ganz von selbst aufsprang und den Mann niederstreckte?«
»O, ihr Herren, starret nur und lachet,« rief Simeon, »ihr geistlichen Herren, die ihr uns Sonntags sagt, wie der Herr Senacherib schlug. Ich glaube, daß einer, der unsichtbar in jedem Hause wandelt, die Ehre des meinen verteidigte und den, der sie verunglimpfte, tot vor seine Türe legte. Ich glaube, die Kraft jenes Schlages war die Kraft, die aus dem Erdbeben spricht und keine geringere.«
Mit gänzlich unbeschreiblicher Stimme bemerkte Wilfried: »Ich selbst sagte noch zu Norman, er möge sich vor dem Donnerstreiche hüten.«
»Dieses Agens liegt außer meiner Rechtsgewalt,« meinte der Inspektor mit leichtem Lächeln.
»Aber Sie stehen nicht außerhalb des seinigen,« versetzte der Schmied und indem er ihm seinen breiten Rücken zukehrte, ging er in sein Haus.
Der erschütterte Wilfried ließ sich von der leichten und freundlichen Art Father Browns hinwegführen. »Verlassen wir diesen schrecklichen Ort, Mr. Bohun,« lud er ihn ein. »Darf ich einmal Ihre Kirche ansehen? Ich höre, es ist eine der ältesten Englands. Sie wissen ja,« fügte er mit einer komischen Grimasse hinzu, »wir haben einiges Interesse an alten englischen Kirchen.«
Wilfried Bohun lächelte nicht, denn Humor war niemals seine starke Seite. Aber er nickte ziemlich heftig, nur allzu gerne bereit, seine gotischen Herrlichkeiten jemanden zu erklären, der wahrscheinlich mehr Vorliebe dafür empfand als der presbyterianische Schmied oder der glaubenslose Schuster.
»Jedenfalls,« sagte er, »wollen wir von dieser Seite aus eintreten.« Und er schritt nach dem hohen Seiteneingang oberhalb der Stufen voran. Father Brown machte eben den ersten Schritt auf der Treppe, um ihm zu folgen, als er eine Hand auf seiner Schulter fühlte. Er wandte sich um und gewahrte die düstere dünne Gestalt des Doktors mit seinem vom Verdachte noch finsteren Gesichte.
»Herr,« sagte der Arzt barsch, »Sie scheinen einige Geheimnisse dieser dunklen Geschichte zu kennen. Darf ich fragen, ob Sie beabsichtigen, sie für sich zu behalten?«
»Nun, Doktor,« antwortete der Priester ganz freundlich lächelnd, »es gibt einen sehr guten Grund, aus dem ein Mann, von meinem Berufe Dinge für sich behalten soll, wenn er ihrer nicht sicher ist, und dieser Grund besteht darin, daß es so andauernd seine Pflicht ist, sie für sich zu behalten, wenn er ihrer sicher ist. Wenn Sie aber glauben, ich sei gegen Sie oder gegen irgend jemand unhöflich verschwiegen gewesen, so will ich bis an die äußerste Grenze meiner Gewohnheit gehen. Ich will Ihnen zwei sehr kräftige Winke erteilen.«
»Nun?« fragte der Doktor verdrossen.
»Erstens,« erklärte der Priester in aller Seelenruhe, »das Ding liegt ganz innerhalb Ihres Tätigkeitsbereiches. Es handelt sich um etwas aus dem physikalischen Wissensgebiete. Der Schmied irrt, nicht vielleicht weil er sagt, der Streich sei göttlichen Ursprunges, sondern weil er ihn durch ein Wunder ausführen läßt. Es war kein Wunder, Doktor, außer insoferne, als ein Mensch selbst mit seinem sonderbaren, zum Lösen neigenden und dennoch halb heroischen Herzen ein Wunder ist. Die Kraft, die jenen Schädel zertrümmerte, war eine den Gelehrten wohlbekannte, eine der in den Naturgesetzen am meisten umstrittenen.«
Der Doktor, der ihn mit anhaltendem Stirnrunzeln betrachtete, begnügte sich zu fragen. »Und der andere Wink?«
»Der andere ist das. Erinnern Sie sich, wie der Schmied trotz seines Wunderglaubens spöttisch von dem unmöglichen Märchen sprach, daß sein Hammer Flügel bekam und eine halbe Meile über Land flog?«
»Ja, ich entsinne mich dessen,« gab der Doktor zu.
»Nun, jenes Märchen kam von all dem, was heute gesagt wurde, der Wahrheit am nächsten.« Und damit kehrte er ihm den Rücken und stampfte hinter dem Kurat die Treppe hinauf.
Wilfried Bohun, der bleich und unruhig auf seinen Gefährten gewartet hatte, als wäre diese letzte Verzögerung der Strohhalm für seine Nerven, führte ihn sofort nach seinem Lieblingswinkel in der Kirche, jenem Teile der Galerie, der der gemeißelten Decke am nächsten und im Lichte des wunderbaren Fensters mit dem Engel lag. Der kleine lateinische Priester besah und bewunderte alles nach Gebühr und sprach die ganze Zeit über freundlich, doch mit gedämpfter Stimme. Als er im Verlaufe seiner Untersuchungen auf den Seitenausgang und die Wendeltreppe traf, über welche Wilfried hinabgeeilt war, um seinen Bruder tot zu finden, lief Father Brown mit der Behendigkeit eines Affen nicht etwa hinab, sondern hinauf und seine klare Stimme kam von einer der äußeren Plattformen herab.
»Kommen Sie hier herauf, Mr. Bohun. Die Luft wird Ihnen gut tun.«
Bohun folgte ihm und trat auf eine Art steinerner Galerie oder Balkons außerhalb des Gebäudes, von wo man die endlose Ebene, aus der sich dieser kleine Hügel erhob, in Wäldern am Horizont entschwindend und mit Dörfern und Gütern bestreut überblicken konnte. Deutlich und viereckig, jedoch winzig klein lag der Hof der Schmiede unter ihnen, wo noch der Inspektor stand und Notizen machte und noch die Leiche wie eine zerklatschte Fliege am Boden lag.
»Könnte die Weltkarte sein, nicht?« meinte Father Brown.
»Ja,« stimmte Bohun sehr ernst zu und nickte mit dem Kopfe.
Unmittelbar unter ihnen und um sie her verliefen die Linien des gotischen Baues mit einer dem Selbstmord verwandten Beschleunigung nach außen ins Leere. Es liegt in der Bauweise des Mittelalters jenes Element titanenhafter Tatkraft, das, von wo immer man es auch betrachtet, stets zu entschwinden scheint. Diese Kirche war aus altem und schweigendem Steine gehauen, bebartet mit alten Schwammbildungen und beklebt mit den Nestern der Vögel. Und doch, wenn man sie von unten besah, sprang sie wie ein Springbrunnen zu den Sternen empor, während sie jetzt von oben besehen wie ein Wasserfall in den lautlosen Abgrund stürzte. Diese beiden Männer standen jetzt allein auf dem Turme der schreckhaftesten Seite der Gotik gegenüber, der ungeheuerlichen, verkehrten Wirkung und Verkehrung der Verhältnisse, der schwindelerregenden Fernsicht ringsum, dem Anblicke großer Gegenstände, die sich winzig, und winziger die sich groß darstellten, dem Durcheinander in der Luft hängenden steinernen Schlingwerkes. Bruchstücke aus Stein, gewaltig durch ihre Nähe, hoben sich gegen eine Musterkarte von in ihrer Ferne pygmäenhaften Feldern und Formen ab. Ein aus Stein gehauener Vogel oder irgend ein Tier an der Ecke erschien wie ein kriechender oder fliegender Drache, der sich anschickt, die Triften und Dörfer dort unten zu verwüsten. Die ganze Atmosphäre war schwindel- und gefahrvoll, man hatte das Gefühl, als werde man von wirbelnden Schwingen kolossaler Genien in der Luft gehalten, und die ganze alte Kirche, groß und reich wie eine Kathedrale, schien wie ein Wolkenbruch über dem sonnenbeschienenen Lande zu lasten.
»Ich finde, es liegt etwas gewissermaßen Gefährliches darin, auf diesen hohen Punkten zu stehen, selbst um zu beten,« begann Father Brown. »Höhen sind dazu da, daß man hinanblickt und nicht hinab.«
»Meinen Sie, man könnte darüber fallen?« fragte Wilfried.
»Ich meine, die Seele könnte einem darüber fallen, wenn schon nicht der Leib,« erwiderte der Priester.
»Ich verstehe Sie nicht ganz,« bemerkte Bohun undeutlich.
»Sehen Sie z. B. diesen Schmied, ein guter Mann, aber kein Christ – hart, gebieterisch, unnachsichtlich. Nun, seine schottische Religion ist das Erzeugnis von Leuten, welche auf Hügeln und hohen Felsgipfeln beteten und dabei mehr auf die Welt hinabzublicken lernten, als zum Himmel hinan. Niedrigkeit ist die Mutter der Riesen. Große Dinge sieht man vom Tale aus, aber nur kleine vom Gipfel.«
»Aber er – er hat es nicht getan,« sagte Bohun zitternd.
»Nein,« entgegnete der andere in seltsamem Tone, »wir wissen, er war es nicht.«
Einen Augenblick ließ er den Blick seiner hellgrauen Augen ruhig über die Ebene hingleiten, um dann fortzufahren: »Ich kannte einen Mann, der mit anderen zusammen vor den Altären zu beten begonnen hatte, dann aber eine Vorliebe für hohe und einsame Orte faßte, um von dort aus, in Ecken oder Nischen vom Kirchturm oder Giebeldach sein Gebet zu verrichten. Und einmal verdrehte sich an einem jener schwindelerregenden Orte, wo die ganze Welt unter ihm wie ein Rad sich zu drehen schien, auch seine Vernunft und er wähnte sich Gott. Und so beging er obschon er ein guter Mann war, ein großes Verbrechen.«
Wilfrieds Gesicht war abgewandt, doch seine knochigen Hände liefen blau und weiß an, während sie das Steingeländer umspannten.
»Er dachte, ihm sei es gegeben, über die Welt zu richten und den Sünder niederzustrecken. Nie wäre ihm ein solcher Gedanke gekommen, wäre er mit anderen Menschen zusammen unten knien geblieben. Er aber sah alle Menschen unter sich, winzig wie Insekten. Einen insbesondere sah er unmittelbar unter sich einherstolzieren, ausgeschämt und durch seinen grünen Hut kenntlich – ein giftiges Insekt.«
Krähen krächzten um die Pfeiler, aber nichts weiter war zu hören, bis Father Brown fortfuhr.
»Auch das versuchte ihn, daß er in seiner Hand eine der furchtbarsten Maschinen der Natur trug, ich meine die Schwerkraft, jene wahnsinnige, sich verschnellernde Kraft, durch die alle irdischen Geschöpfe, sobald losgelassen, dem Herzen der Erde zufliegen. Sehen Sie, da spaziert der Inspektor gerade unter uns in der Schmiede. Wenn ich einen Kieselstein über das Geländer stoßen würde, besässe er die Kraft etwa einer Gewehrkugel, bis er träfe. Nähme ich einen Hammer – selbst einen kleinen Hammer –«
Wilfried Bohun legte ein Bein über das Geländer, doch Father Brown faßte ihn mit fester Hand am Kragen.
»Nicht durch dieser Pforte,« sagte er ganz zuvorkommend, »diese Pforte führt zur Hölle.«
Bohun stolperte gegen die Mauer zurück und starrte ihn entsetzten Auges an.
»Wie wissen Sie das alles?« schrie er. »Sind Sie ein Teufel?«
»Ich bin ein Mensch,« erwiderte Father Brown sehr ernst, »und habe daher alle Teufel in meinem Herzen. Hören Sie mich,« sagte er nach einer kurzen Pause. »Ich weiß, was Sie getan haben oder wenigstens ich kann mir den größten Teil davon denken. Als Sie Ihren Bruder verließen, waren Sie von einem nicht unberechtigten Zorne erfaßt, so zwar, daß Sie nach einem kleinen Hammer griffen, beinahe geneigt, ihn mit seiner Schamlosigkeit auf der Zunge niederzuschlagen. Als Sie sich wieder gefaßt hatten, bargen Sie den Hammer unter Ihrem Rocke und eilten damit nach der Kirche. Da beten Sie verwirrt an verschiedenen Orten, unter dem Engelfenster, auf der Plattform darüber und auf einer noch höheren, von der Sie des Obersten orientalischen Hut wie den Rücken eines grünen Käfers umherkrabbeln sahen. Dann schnappte etwas in Ihrer Seele ein und Sie ließen Gottes Donnerkeil fallen.«
Wilfried fuhr sich langsam mit der Hand an den Kopf und fragte mit erlöschender Stimme: »Wie wußten Sie, daß sein Hut wie ein grüner Käfer aussah?«
»O, das sagte mir nur mein gesunder Menschenverstand. Aber hören Sie weiter. Ich sage, ich weiß alles das, aber niemand anderer wird es erfahren. Der nächste Schritt kommt nun Ihnen zu; ich werde keine weiteren mehr unternehmen, sondern alles unter das Beichtsiegel verschließen. Wenn Sie mich fragen, weshalb, so gibt es viele Gründe dafür und nur einen, der Sie angeht. Ich überlasse alles Ihnen, denn Sie sind noch nicht sehr weit gekommen wie andere Mörder. Sie halfen nicht mit, das Verbrechen dem Schmiede aufzubürden, noch auch seinem Weibe, als es leicht war. Sie suchten es dem Schwachsinnigen in die Schuhe zu schieben, denn Sie wußten, er würde dafür nicht büssen müssen. Das war einer der Lichtpunkte, die bei Mördern herauszufinden zu meinem Berufe gehört. Und jetzt kommen Sie hinab ins Dorf und ziehen Sie Ihres Weges, frei wie der Wind, denn ich habe nichts mehr zu sagen.«
In tiefstem Schweigen stiegen sie die Wendeltreppe hinab und traten durch die Schmiede in das helle Sonnenlicht hinaus. Wilfried Bohun öffnete sorgfältig die hölzerne Zauntüre und sagte, indem er auf den Inspektor zutrat: »Ich wünsche, mich Ihnen zu stellen, ich habe meinen Bruder getötet.«
Das Auge des Apoll Jener einzigartige rauchige Schimmer, zugleich unklar wie durchsichtig, der das seltsame Geheimnis der Themse bildet, verwandelte sich mehr und mehr aus seinem Grau in sein glitzerndes Extrem, je mehr die Sonne dem Zenith über Westminster zustrebte und zwei Männer die Westminsterbrücke überschritten. Der eine war sehr groß und der andere sehr klein; bei etwas Einbildungskraft hätte man sie sogar mit dem anmaßenden Glockenturm des Parlaments und dem demütigeren krummen Rücken der Abtei vergleichen können, denn der kleinere trug ein geistliches Kleid. Das amtliche Signalement des Großen lautete auf Mr. Herkules Flambeau, Privatgeheimpolizist, der soeben nach seinem neuen Bureau in einem Neubau gegenüber dem Abteieingange ging. Die amtliche Personalangabe des kleinen Mannes lautete auf den hochwürdigen J. Brown, Hilfspriester an der Franziskus-Xaverius-Kirche in Camberwell, der von einem Sterbebette in Camberwell kam und sich das neue Bureau seines Freundes besehen wollte.
Das Gebäude war in seiner wolkenkratzenden Höhe echt amerikanisch und echt amerikanisch war auch die ganze geölte Vollendung seines inneren Getriebes von Fernsprech- und Aufzuganlagen. Aber es war noch nicht ganz vollendet und erst teilweise bezogen. Nur drei Meter hatten sich schon eingefunden. Die Räume gerade über Flambeau waren bewohnt, wie auch die gerade unter ihm, während die beiden Stockwerke darüber und die drei darunter noch gänzlich leer standen. Doch der erste Blick nach dem neuen Mietsturm wurde von etwas viel fesselnderem befangen. Abgesehen von ein paar Gerüstüberresten bestand der einzige in die Augen springende Gegenstand, gerade über Flambeaus Bureau angebracht, in einer ungeheuren vergoldeten Darstellung eines Menschenauges, umgeben von goldenen Strahlen.
»Was soll denn das zu bedeuten haben?« fragte Father Brown und blieb stehen.
»O, eine neue Religion,« erwiderte Flambeau lachend, »eine von jenen Religionen, welche einem die Sünden vergeben, indem sie sagen, man habe nie solche begangen. So etwas wie Gesundbeterei, glaube ich. Nichts weiter, als daß so ein Kerl, der sich Kalon nennt (wie er heißt, weiß ich nicht, sondern nur, daß er nicht so heißen kann), die Wohnung über mir gemietet hat. Unter mir sind zwei Maschinenschreiberinnen eingenistet und darüber habe ich diesen stark auftragenden, alten Schwindler. Er nennt sich den neuen Priester Apolls und verehrt die Sonne.«
»Er soll sich nur in acht nehmen,« meinte Father Brown. »Die Sonne war der grausamste aller Götter. Aber was soll das Riesenauge dort bedeuten?« »Soweit ich verstehen kann, gehört das zu ihrer Theorie, daß ein Mensch alles zu ertragen imstande ist, wenn nur sein Gemüt gänzlich unbewegt bleibt. Ihre beiden großen Sinnbilder sind die Sonne und das offene Auge, denn sie sagen, daß, wenn ein Mensch wirklich gesund sei, er in die Sonne starren können müsse.«
»Wenn ein Mensch wirklich gesund ist,« versetzte Father Brown, »würde er sich nicht damit abgeben, sie anzustarren.«
»Kurz, das ist alles, was ich Ihnen über die neue Religion zu sagen weiß,« fuhr Flambeau gleichgültig fort. »Natürlich behauptet sie auch, alle körperlichen Krankheiten heilen zu können.«
»Kann sie auch die eine Geisteskrankheit heilen?« fragte Father Brown in ernster Neugier.
»Und worin besteht die eine Geisteskrankheit?« gab Flambeau lächelnd zurück.
»Zu glauben, daß einem nichts fehlt.« antwortete sein Freund.
Flambeau war mehr von dem ruhigen, kleinen Bureau darunter in Anspruch genommen, als von dem neuartigen Tempel darüber. Er war ein lebensfroher Südländer, unfähig, sich selbst als etwas anderes vorzustellen als einen Katholiken oder einen Atheisten, und neue Religionen von angenehmer und farbloser Sorte entsprachen nicht seinem Geschmacke. Stets aber entsprach seinem Geschmack das Menschliche, insbesondere, wenn es hübsch aussah, und überdies waren die beiden jungen Damen Charaktere von eigener Art. Das Bureau gehörte zwei Schwestern, beide schlank und dunkel, die eine groß und auffallend. Sie hatte ein finsteres, scharfes und adlerartiges Profil und war eine von jenen Frauen, die man sich stets im Profil vorstellt wie den scharfgeschliffenen Rand irgend einer Waffe. Sie schien sich ihren Weg durchs Leben erzwingen zu wollen. Ihre Augen zeigten einen überraschenden Glanz, aber es war eher der Glanz des Stahles, als der des Diamanten, und ihre aufrechte, schlanke Gestalt trug sich ein wenig zu steif für ihre Unmut. Ihre jüngere Schwester war gleichsam ihr verkürzter Schatten, einen Ton mehr ins Graue spielend, bleicher und unscheinbarer. Beide trugen sich in kontorüblichem Schwarz mit schmalen Herrenmanschetten und Krägen. Es gibt deren Tausende von diesen trockenen, emsigen jungen Damen in den Londoner Bureaus, doch der Reiz dieser beiden lag eher in ihrer wirklichen als in ihrer in Erscheinung tretenden Stellung.
Denn Pauline Stacey, die ältere, war tatsächlich die Inhaberin eines Wappens und einer halben Grafschaft, wie auch großen Reichtums; sie war in Schlössern und Gärten aufgewachsen, ehe ein frostiger Stolz (eine Eigenheit der modernen Frau) sie zu einer nach ihrer Auffassung strengeren und höheren Existenz angetrieben hatte. Dabei hatte sie jedoch nicht Verzicht auf ihr Geld geleistet, denn das wäre ein ihren herrischen Nützlichkeitsgrundsätzen ganz fremdes romantisches und mönchisches Entsagen gewesen. Sie hielt ihren Reichtum fest, pflegte sie zu sagen, um ihn auf praktische, soziale Zwecke zu verwenden. Einen Teil davon hatte sie in ihr Geschäft gesteckt, ein Anfang eines Muster-Maschinenschreibbureaus; ein weiterer Teil war unter verschiedene Vereinigungen und für Zwecke zur Förderung solcher Tätigkeit unter den Frauen verteilt. Wie weit ihre Schwester und Teilhaberin Johanna diesen etwas prosaischen Idealismus teilte, darüber wußte niemand sicheres. Doch folgte sie mit der Anhänglichkeit eines Hundes ihrer Leiterin, was ihr mit seinem Hauche des Tragischen etwas Anziehenderes verlieh als der harte hohe Sinn der Älteren. Denn Pauline Stacey hatte nichts übrig für das Tragische, sie schien seine Existenz zu verneinen.
Ihr unermüdliches Ungestüm und ihre eisige Ungeduld hatten Flambeau, als er das erstemal das Haus betrat, sehr belustigt. Er war in der Vorhalle umhergeschlendert, den Fahrstuhljungen zu erwarten, der gewöhnlich Nichteinwohner nach den verschiedenen Stockwerken beförderte. Aber dieser glanzäugige Falke von Mädchen hatte es rundweg abgelehnt, sich einer solchen, aufgezwungenen Verzögerung zu fügen. Sie meinte schnippisch, sie verstehe sich vollkommen auf den Fahrstuhl und hänge nicht von Jungen ab, ebensowenig von Männern. Wenngleich ihre Räume nur im dritten Stocke lagen, brachte sie es dennoch in den paar Sekunden Fahrt fertig, Flambeau aus dem Stegreif ein gutes Stück ihrer Grundanschauungen vorzutragen; sie liefen im allgemeinen darauf hinaus, daß sie eine moderne, arbeitende Frau sei und moderne Arbeitsmaschinen liebte. Ihre glänzenden schwarzen Augen leuchteten in angenommenem Zorne gegen jene auf, welche von Mechanik nichts wissen wollen und sich nach der Wiederkehr der Romantik sehnen. Jedermann, äußerte sie, sollte mit Maschinen umzugehen zu wissen, gerade wie sie mit dem Fahrstuhl. Sie schien es fast übelzunehmen, daß Flambeau für sie die Fahrstuhltüre öffnete und so ging dieser Herr mit etwas gemischten Gefühlen nach seinen eigenen Räumen hinauf, indem er dieses Sprühfeuer von Selbständigkeit überdachte.
Sie besaß zweifellos ein Temperament von einer schnippischen, praktischen Art, die Bewegungen ihrer schmalen, feinen Hände waren kurz und hatten etwas Zerstörendes an sich. Einmal trat Flambeau wegen einer Maschinenschreibarbeit in ihr Bureau und fand sie, wie sie eben eine ihrer Schwester gehörende Brille mitten auf den Boden warf und darauf herumtrat. Sie war ganz im Flusse einer ethischen Scheltrede über »angekränkelte medizinische Ansichten« und ungesundes Eingeständnis von Schwäche, das sich in einem solchen Apparate ausdrücke. Sie verbot ihrer Schwester strengstens, je wieder solch künstliches, ungesundes Zeug mitzubringen. Ob man etwa von ihr annehmen würde, hölzerne Beine oder falsches Haar oder Glasaugen zu tragen, und dabei funkelten ihre Augen wie verhängnisvoller Kristall.
Flambeau ganz verwirrt ob solchen Übereifers konnte sich nicht enthalten, Fräulein Pauline zu fragen, weshalb eine Brille ein krankhafteres Anzeichen von Schwäche sei als ein Fahrstuhl und weshalb die Wissenschaft, wenn sie in einem Falle gut genug war, im anderen Falle unzulässig sein sollte.
»Das ist doch so grundverschieden!« antwortete Pauline Stacey von oben herab. Batterien und Motore und all diese Dinge sind Beweise menschlicher Kraft, jawohl, Mr. Flambeau, und auch der der Frauen. Wir werden uns unseren Anteil an diesen großen Maschinen, welche Entfernungen verschlingen und der Zeit Trotz bieten, schon nehmen! Das ist erhaben und herrlich – das ist wirkliche Wissenschaft! Aber dieses garstige Krücken- und Pflasterwerk, welches die Doktoren verschleißen, das sind nur die Kennzeichen der Feigheit, der Erbärmlichkeit. Die Doktoren stückeln Arme und Beine an als wären wir als Krüppel und sieche Sklaven geboren. Aber ich bin frei geboren, Mr. Flambeau! Die Leute glauben nur, sie bedürfen dieser Dinge, weil sie zur Furcht erzogen sind, anstatt zur Macht und zum Mut, gerade wie einfältige Kindermädchen, die den Kindern sagen, nicht in die Sonne zu starren, und so können sie es nicht ohne zu blinzeln. Aber weshalb sollte unter all den Sternen einer sein, den ich nicht ansehen dürfte? Die Sonne ist nicht Herr über mich und ich will meine Augen aufmachen und sie anschauen, wenn es mir paßt.«
»Ihre Augen werden die Sonne blenden,« sagte Flambeau mit einer den Ausländer kennzeichnenden Verbeugung. Es machte ihm Spaß, dieser seltsamen, steifen Schönheit eine Schmeichelei zu sagen, zum Teil auch, weil sie dies ein wenig aus dem Gleichgewichte brachte. Doch als er die Treppe nach seiner Wohnung hinaufstieg, atmete er tief auf und pfiff vor sich hin, indem er zu sich selbst sagte: So ist sie also dem Beschwörer droben mit seinem goldenen Auge in die Hände geraten. Denn so wenig er auch wußte und sich um die neue Religion kümmerte, so hatte er doch von ihrem besonderen Merkmal des Sonnenstarrens gehört.
Bald entdeckte er, daß die geistigen Bande zwischen dem Stockwerke oben und dem unten recht enge waren und sich immer enger knüpften. Der Mann, der sich Kalon nannte, war ein herrliches Geschöpf, physisch genommen würdig, ein Hohenpriester Apolls zu sein. Er besaß fast die gewaltige Statur Flambeaus, doch ein vorteilhafteres Äußere, dazu einen goldenen Vollbart, mächtige blaue Augen und eine nach rückwärts flatternde Mähne wie ein Löwe. Von Gestalt war er die blonde Bestie Nietzsches, doch all seine tierische Schönheit war gehoben, verschönt und gemildert durch echten Verstand und Geist. Sah er schon wie einer der großen Sachsenkönige aus, so glich er einem von jenen, die zugleich Heilige waren. Und bei all dem dieses waschecht londonsche Nichtzusammenstimmen mit seiner Umgebung, die Tatsache, daß er Bureauinhaber in einem mittleren Stockwerke eines Hauses der Viktoriastraße war, daß sein Schreibgehilfe, ein gewöhnlicher junger Mann in Kragen und Manschetten, im Vorzimmer zwischen ihm und dem Gange sah, daß sein Name auf einem Messingschild prangte und das vergoldete Emblem seines Glaubens auf die Straße hinaushing wie die Ankündigung eines Optikers. All diese Gewöhnlichkeiten vermochten nicht, den lebhaften Eindruck und das überwältigende auszulöschen, das von seiner Seele und von seinem Körper ausging; man fühlte sich gegenüber diesem Marktschreier in Gegenwart eines großen Mannes. Selbst in dem leichten, leinenen Jackenanzuge, den er als Arbeitsgewand in seinem Bureau trug, war er eine fesselnde und gewaltige Erscheinung, und angetan mit seinen weißen Gewändern und gekrönt mit dem Goldreife, wie er täglich die Sonne begrüßte, sah er wirklich so herrlich aus, daß den Leuten auf der Straße manchmal plötzlich das Lachen auf den Lippen erstarb. Denn dreimal des Tages trat der neumodische Sonnenanbeter auf seinen kleinen Balkon hinaus, um dort im Angesichte von ganz Westminster seinem strahlenden Herrn eine Litanei aufzusagen; einmal bei Tagesanbruch, einmal bei Sonnenuntergang und einmal Punkt Mittag. Und eben als es von den Türmen des Parlamentsgebäudes und der Pfarrkirche Mittag schlug, war es, daß Father Brown nach oben blickend den weißen Priester Apolls sah.
Flambeau hatte diese täglichen Begrüßungen des Gottes Phöbus oft genug gesehen und betrat die Vorhalle des großen Hauses ohne sich auch nur umzusehen, ob ihm sein geistlicher Freund folgte. Doch Father Brown, sei es nun aus beruflichem Interesse am Rituellen oder aus einem starken persönlichen Interesse an Narreteien, blieb stehen und starrte nach dem Balkon des Sonnenanbeters empor, gerade wie er es vor einem Kasperltheater getan hätte. Kalon, der Prophet, stand bereits in silberweißen Gewändern und mit erhobenen Händen aufrecht und der Klang seiner eigenartig durchdringenden Stimme ließ sich bis herab auf die geräuschvolle Straße vernehmen, ihre Sonnenlitanei hersagend. Er war bereits mitten darinnen, die Augen auf die flammende Scheibe geheftet. Es ist zweifelhaft, ob er irgend etwas oder irgend jemand auf Erden sah, wesentlich gewiß ist aber, daß er einen verkümmerten Priester mit einem roten Gesichte nicht sah, der blinzelnden Auges unter der Menge dort unten nach ihm heraufblickte. Darin bestand vielleicht der am meisten auffallende Unterschied zwischen diesen beiden so sehr voneinander entfernten Männern. Father Brown konnte nichts ansehen, ohne zu blinzeln, wogegen der Priester Apolls sogar in die Mittagssonnenglut zu blicken vermochte, ohne mit der Augenwimper zu zucken.
»O Sonne!« rief der Prophet. »O Stern, zu groß, um unter die Sterne zugelassen zu sein! O Quelle, die du ruhig in jenes geheimnisvolle Etwas hinfließest, das man Raum nennt! O weißer Erzeuger aller weißen, ungeschwächten Dinge, der weißen Flammen, der weißen Blumen und der weißen Gipfel! Vater du, der du unschuldiger bist als deine unschuldigsten und friedlichsten Kinder, Urreinheit, in deren Frieden –«
Ein Stürzen und ein Krachen wie der verkehrte Sturz einer Rackete wurde von einem langgezogenen, schrillen Schreie durchschnitten. Fünf Männer stürzten das Haustor hinein, während drei Männer herausstürzten und einen Augenblick gegen einander rangen und drängten. Das Gefühl eines ganz unvermittelt hereingebrochenen Schrecknisses schien einen Augenblick die halbe Straße mit Unheilsgerüchten zu erfüllen und mit um so schlimmeren, als niemand wußte, was geschehen war. Zwei Gestalten aber blieben auch nach dem Ausbruche der Aufregung noch an ihrem Platze, der schöne Priester Apolls auf dem Balkone oben und der unschöne Priester Christi unter ihm.
Schließlich erschien die hohe Figur und titanische Tatkraft Flambeaus unter dem Haustore und beherrschte sofort den kleinen, angesammelten Menschenkneuel. Im höchsten Tone seiner Stimme, die wie ein Nebelhorn klang, gebot er etwas oder jemandem, um einen Chirurgen zu laufen, und als er sich wieder nach dem dunkeln und gedrängt vollen Eingange zurückwandte, schlüpfte Father Brown gänzlich unbeachtet ihm nach hinein. Und noch während dieser durch die Menge tauchte und sich durchdrängte, konnte er die erhabene Melodie und Monotonie des Sonnenpriesters vernehmen, der immer noch den glücklichen Gott anrief, den Freund von Quellen und Blumen. Father Brown fand Flambeau und weitere sechs Leute den umschlossenen Raum umstehend, in den der Fahrstuhl sachte niederzugleiten pflegte. Doch er war es nicht, der herabgekommen war, sondern etwas anderes, etwas was mit dem Fahrstuhle hätte herabkommen sollen.
Während der letzten vier Minuten stand Flambeau alles vor Augen, hatte er die blutende Gestalt mit dem zerschellten Schädel jener schönen Frau vor sich gesehen, die das Tragische verneint hatte. Keinen Augenblick war ihm auch nur der leiseste Zweifel aufgestiegen, daß es Pauline Stacey war und ob er schon nach dem Doktor geschickt hatte, hegte er doch die volle Gewißheit ihres Todes.
Er konnte sich nicht für gewiß erinnern, ob er an ihr wirklich Gefallen gefunden hatte oder nicht, es gab soviel was gefallen oder auch mißfallen mochte. Aber sie war ihm durchaus persönlich gegenübergetreten und das unerträgliche Pathos von Nebensächlichkeiten und Lebensweise drang mit all den winzigen Dolchen des Bewußtseins schmerzlichen Verlustes auf ihn ein. Er gedachte ihres hübschen Gesichtes und ihrer urteilsfertigen Augen mit einer unvermittelten geheimen Lebendigkeit, in der eben all die Bitternis des Todes liegt. In einem Augenblicke, wie ein Blitz aus blauem Himmel, wie ein Donnerschlag von nirgendsher, war dieser schöne und stolze Körper den offenen Aufzugschacht hinab dem Tode unten in die Arme gestürzt. War es Selbstmord? Bei einer so selbstbewußten Optimistin schien das ausgeschlossen, war es Mord? Aber wer sollte dort in dem noch fast unbewohnten Räumen gewesen sein, um jemanden zu ermorden? In einem Schwall heiserer Worte, die er für kraftvoll hielt und die ihm dennoch sofort schwächlich vorkamen, fragte er, wo jener Kerl, Kalon, steckte. Eine Stimme, gewöhnlich schwerfällig, ruhig und volltönend, versicherte ihm, daß Kalon während der letzten fünfzehn Minuten auf seinem Balkon draußen gestanden hatte, seinen Gott zu verehren. Als Flambeau diese Stimme hörte, und Father Browns Hand fühlte, wandte er sein dunkles Gesicht zur Seite und fragte schroff:
»Aber wenn er die ganze Zeit dort draußen war, wer soll es dann getan haben?«
»Wir können vielleicht hinauf gehen und herausfinden,« meinte der andere. »Wir haben noch eine halbe Stunde vor uns, bis die Polizei sich meldet.«
Die Leiche der schlanken Erbin in der Obhut des Chirurgen lassend, raste Flambeau die Treppe hinauf nach dem Maschinenschreibebureau, fand es ganz leer und stürzte dann nach seinem eigenen weiter. Kaum eingetreten, kehrte er unvermittelt und mit weißem Gesichte nochmals zu seinem Freunde zurück.
»Ihre Schwester!« rief er in peinvollem Ernste, »sie scheint ausgegangen zu sein.«
Father Brown nickte. »Vielleicht auch ist sie nach oben zu dem Sonnenmanne gegangen,« sagte er. »Wenn ich Sie wäre, würde ich das sofort feststellen und dann wollen wir in Ihrem Bureau die Geschichte besprechen. Nein,« fügte er rasch hinzu, wie wenn er sich etwas erinnerte, »wann werde ich je meine Dummheit ablegen? Natürlich, unten, in ihrem Bureau!«
Flambeau starrte verständnislos, doch folgte er dem kleinen Priester in die leeren Räume der Staceys hinab, wo der undurchdringliche Geistliche mitten im Vorzimmer sich in einem großen rotledernen Armstuhle niederließ und bequem die Treppe und die Treppenabsätze überblicken konnte.
Nicht sehr lange wartete er, denn in etwa vier Minuten stiegen drei Gestalten die Treppe hinab, die nur das Gemeinsame ihres feierlichen Ernstes an sich hatten. Die erste war Johanna Stacey, die Schwester der Toten; sichtlich war sie oben im Nottempel des Apollopriesters gewesen. Die zweite war der Apollopriester selbst, der, nachdem er seine Litanei beendet, voll Großartigkeit die leere Treppe herabschwebte, in seinem weißen Gewande, seinem Barte und seinem gescheitelten Haare an Vorés Christus beim Verlassen des Prätoriums erinnernd. Die dritte war Flambeau mit finsteren Brauen und etwas verstört.
Miß Johanna Stacey, von dunklem Teint, erschlafften Zügen und vorzeitig ergrauendem Haare schritt gerade auf ihr Pult zu und mit geübtem Schlage legte sie ihre Papiere zurecht. Die Bewegung allein schon mußte jeden von ihrer vollen Zurechnungsfähigkeit überzeugen. War Johanna Stacey eine Verbrecherin, so war sie jedenfalls eine sehr kaltblütige. Father Brown betrachtete sie eine Zeitlang mit eigenem, leichtem Lächeln und dann, ohne die Augen von ihr zu wenden, kehrte er sich jemand anderem zu.
»Prophet,« sagte er, sich erkühnend, Kalon anzusprechen, »ich wollte, Sie würden mir einiges von Ihrer Religion mitteilen.«
»Ich werde stolz darauf sein,« erwiderte Kalon, sein noch gekröntes Haupt neigend, »aber ich weiß nicht, ob ich recht verstehe.«
»Sehen Sie, es ist dies,« begann Father Brown in seiner offenen, zögernden Art. »Nach unserer Lehre muß es, wenn ein Mensch wirklich schlechte Grundsätze hat, zum Teil seine eigene Schuld sein. Aber bei all dem können wir doch einigermaßen einen Unterschied gelten lassen zwischen einem Menschen der gegen sein völlig klares Gewissen fehlt, und einem Menschen mit einem mehr oder weniger von Sophistereien umnebelten Gewissen. Also glauben Sie tatsächlich, daß Mord etwas überhaupt Böses ist?«
»Soll das eine Anklage sein?« fragte Kalon sehr ruhig.
»Nein,« antwortete Brown ebenso gelassen, »es ist die Verteidigungsrede.«
In der langen und stutzigen Stille des Raumes erhob sich langsam der Prophet Apolls und es war wirklich, wie wenn die Sonne aufging. Er füllte diesen Raum mit seinem Lichte und Leben in solchem Masse, daß man das Gefühl hatte, er würde ebensowohl ganz Salisbury Plain erfüllt haben. Seine verhüllte Gestalt schien den ganzen Raum mit klassischem Faltenwerk zu schmücken, seine epischen Bewegungen schienen ihnen größere Ausdehnung zu verleihen, bis die kleine schwarze Figur des modernen Geistlichen wie eine Verirrung und ein Eindringen, wie ein runder schwarzer Fleck auf hellenischer Pracht erschien.
»Endlich treffen wir uns, Kaiphas,« begann der Prophet. »Ihre Kirche und die meine sind die beiden einzigen Wirklichkeiten auf dieser Erde. Ich bete die Sonne an und Sie ihre Verfinsterung. Sie sind der Priester des sterbenden und ich der des lebendigen Gottes. Ihre gegenwärtige Handlungsweise des Verdächtigens und der Verleumderei ist Ihres Kleides und Ihres Glaubens würdig. Ihre ganze Kirche ist weiter nichts als eine schwarze Polizeianstalt, ihr seid alle nur Spione und Geheimagenten, darauf aus, den Menschen Schuldbekenntnisse abzuringen. Ihr trachtet, die Menschen ihrer Verbrechen, ich sie ihrer Unschuld zu überführen. Ihr wollt sie von ihren Sünden, ich sie von ihrer Unschuld überzeugen.«
»Leser des Buches des Unheils, ein Wort noch, bevor ich deine haltlosen Spukgestalten für immer hinwegblase. Nicht einmal von ferne könntest du verstehen, wie wenig mir daranliegt, ob du mich überführen kannst oder nicht. Die Dinge, welche du Schimpf und gräßliches Henkerswerk nennst, sind für mich nichts als was der Menschenfresser in einem Märchenbuche für einen erwachsenen Mann bedeutet. Sie wollten die Verteidigungsrede halten. Mir liegt so wenig an dem Nebellande dieses Lebens, daß ich Ihnen selbst die Anklagerede abnehme. Es gibt nur ein Ding, das in dieser Sache gegen mich vorgebracht werden kann, und das will ich selbst angeben. Die Frau, welche tot ist, liebte ich, sie war meine Braut, nicht in dem Sinne, was ihr Hohlköpfe ›rechtmäßig‹ nennt, sondern nach einem reineren und strengeren Gesetze, als ihr es je erfassen könnt. Sie und ich, wir wandelten in einer anderen Welt als ihr, wir schritten einher in Palästen aus Kristall, während ihr euch mühsam durch dunkle Backsteingänge arbeitet. Wohl weiß ich, daß Polizeidiener, theologische und andere, stets sich einbilden, daß, wo Liebe ist, da auch bald der Haß sich einstelle; das ist der erste Punkt zu Ihrer Anklage. Der zweite ist zwar stärker, aber ich will ihn Ihnen nicht vorenthalten. Nicht nur ist es wahr, daß Pauline mich liebte, sondern es ist auch wahr, daß sie gerade diesen Morgen, ehe sie starb, an jenem Tische ein Testament schrieb, worin sie mir und meiner Kirche eine halbe Million vermachte. Her da! Wo sind die Handschellen? Glauben Sie, ich schere mich darum, was Sie Törichtes mit mir vorhaben? Zuchthausstrafe bedeutet mir nur, auf sie an einer Zwischenstation zu warten. Der Galgen ist für mich nur ein durchgehender Wagen, um zu ihr zu gelangen.«
Er sprach mit der ergreifenden Überlegenheit eines Redners und Flambeau und Johanna Stacey starrten ihn in sprachloser Bewunderung an, während Father Browns Gesicht nichts als äußerste Verlegenheit auszudrücken schien. Mit einer schmerzlichen Falte hielt er den Blick zu Boden geheftet. Der Sonnenprophet lehnte leicht gegen den Kaminsims und fuhr fort.
»In wenigen Worten habe ich Ihnen die ganze Anklage gegen mich dargelegt – die einzig mögliche Anklage gegen mich! Aber mit noch weniger Worten will ich sie in Stücke blasen, so daß keine Spur von ihr zurückbleibt. Was die Frage betrifft, ob ich es war, der das Verbrechen beging, so besteht die ganze Wahrheit in dem einzigen Satze: ich konnte dieses Verbrechen nicht begangen haben. Pauline Stacey fiel von ihrem Stockwerke in den Schacht hinab um fünf Minuten nach zwölf. Hunderte von Leuten werden mir bezeugen können und aussagen, daß ich zu jener Zeit draußen auf dem Balkon meiner eigenen darüberliegenden Wohnung stand – von kurz vor Schlag zwölf bis fünfzehn Minuten darnach, die übliche Zeit meines öffentlichen Gebetes. Mein Bursche (ein anständiger junger Mann aus Clapham und ohne jede nähere Beziehung zu mir) kann beschwören, daß er den ganzen Morgen in meinem Vorzimmer saß und keinerlei Verkehr stattfand. Er kann beschwören, daß ich volle zehn Minuten vor zwölf, fünfzehn Minuten vor jedem leisesten Anzeichen des Unfalles, ankam, und daß ich die ganze Zeit mein Bureau oder meinen Balkon nicht verließ. Niemals besaß jemand ein so vollständiges Alibi; halb Westminster könnte ich als Zeugen vorladen. Ich glaube, Sie steckten die Handschellen besser wieder ein. Die Anklage ist hinfällig.«
»Und zum Schlusse und damit auch nicht ein Hauch dieses blöden Verdachtes die Luft verpestet, will ich Ihnen alles sagen, was Sie zu wissen wünschen. Ich glaube, ich weiß, wie meine unglückliche Freundin ums Leben kam. Sie mögen dafür, wenn Sie wollen, mich oder meinen Glauben und meine Philosophie tadeln, aber jedenfalls können Sie mich dafür nicht einsperren lassen. Jedem, der sich mit dem Studium der höheren Wahrheiten abgibt, ist es wohlbekannt, daß gewisse Adepten und Illuminati in der Geschichte die Gabe des Schwebens, also sich selbst frei in der Luft zu halten, empfangen haben. Es ist nur ein Teil jener umfassenden Eroberungen der Materie, worin das Hauptelement unserer Geheimwissenschaft besteht. Die arme Pauline war von leidenschaftlichem und ehrgeizigem Temperament. Ich glaube wirklich, sie hielt sich für etwas tiefer in die Geheimnisse eingedrungen, als sie es wirklich war, und sie hat mir oft gesagt, wenn wir mitsammen im Fahrstuhle hinabfuhren, daß, wenn man nur genügende Willensstärke besässe, man so unversehrt hinabschweben können müßte wie eine Feder. Ich glaube in allem Ernste, daß in einer Verzückung hehren Denkens sie das Wunder versuchte. Ihr Wille oder ihr Glaube muß sie im entscheidenden Augenblicke verlassen haben, und das niedrigere Gesetz der Materie verübte seine entsetzliche Rache. Das ist die ganze Geschichte, meine Herren, eine sehr traurige und Ihrer Ansicht nach wohl sehr verwegene und böse Geschichte, aber sicherlich nicht die eines Verbrechens oder irgendwie in Verbindung mit mir. Nach dem Polizeisprachgebrauche würden Sie es wohl Selbstmord nennen. Ich werde es stets heldenhaften Mißerfolg im Interesse wissenschaftlichen Fortschrittes und langsamen Aufstieges zum Himmel nennen.«
Es war das erstemal, daß Flambeau Father Brown unterlegen sah. Dieser saß noch gesenkten Blickes mit schmerzlich gerunzelten Brauen, ja geradezu beschämt. Es war unmöglich, sich dem Gefühle zu entziehen, das des Propheten beschwingte Worte entfacht hatten, daß man hier einen tückischen, berufsmäßigen Verdächtiger seiner Mitmenschen, überwältigt durch einen stolzeren und reineren Geist natürlicher Freiheit und Gesundheit vor sich habe. Endlich raffte er, blinzelnd wie in körperlicher Pein sich zu den Worten auf: »Nun, wenn dem so ist, dann brauchen Sie ja nichts weiter tun, als das Papier mit dem Vermächtnis nehmen, von dem Sie sprachen, und damit abziehen. Ich möchte wissen, wo die Arme es gelassen hat.«
»Es wird drüben auf ihrem Tische an der Türe liegen, denke ich,« erwiderte Kalon mit jener massiven Unschuld in seinem Benehmen, die ihm so ganz angemessen erschien. »Sie hat mir noch besonders gesagt, sie würde es diesen Morgen ausfertigen, und ich sah sie eben schreiben, als ich im Fahrstuhle nach meinem Bureau hinauf fuhr.«
»Stand da die Türe offen?« fragte der Priester, den Blick auf eine Ecke der Binsenmatte niedergeschlagen.
»Ja,« versetzte Kalon ruhig.
»Ah, sie stand also seitdem offen,« bemerkte der andere und fuhr fort, die Mattenecke zu studieren.
»Es liegt ein Papierblatt dort drüben,« warf Johanna Stacey mit etwas merkwürdiger Stimme ein. Sie durchschritt die Türe, ging nach dem Pulte ihrer Schwester hinüber und hielt ein Blatt bläulichen Propatriapapieres in der Hand. Auf ihrem Gesichte lag ein saures Lächeln, das für einen solchen Fall wenig passend erschien, und Flambeau blickte mit gerunzelten Brauen nach ihr.
Kalon, der Prophet, stand mit jener königlichen Unbewußtheit dem Papiere fern, die er bisher zur Schau getragen hatte. Flambeau nahm es ihr aus der Hand und las mit zunehmender Verwirrung. Es begann in der Tat in der üblichen Form eines Testamentes, doch nach den Worten »ich schenke und vermache alles, was ich besitze« brach die Schrift plötzlich mit einer Reihe von Kritzern ab und jede Spur eines Namens oder Erben fehlte. Verwundert reichte Flambeau dieses verstümmelte Testament seinem geistlichen Freunde hin, der einen Blick darauf warf und es schweigend dem Sonnenpriester übergab.
Nur einen Augenblick, dann hatte dieser Hohenpriester in seinen glänzenden, wallenden Gewändern mit zwei großen Schritten den Raum durchmessen und sich vor Johanna hinpflanzend schienen seine blauen Augen aus dem Kopfe treten zu wollen.
»Welchen Schurkenstreich haben Sie da vollführt?« schrie er sie an. »Das ist nicht alles, was Pauline schrieb!«
Zum Erstaunen der anderen war es eine ganz neue Stimme, die da auf einmal in schrillem Yankee-Englisch sprach; wie ein Mantel war all sein Großtun und seine gewählte Aussprache von ihm gefallen.
»Das ist alles, was auf ihrem Pulte lag,« versetzte Johanna, die ihm immer noch mit demselben sauren Lächeln auf den Lippen gegenüberstand.
Plötzlich brach der Mann in die greulichsten Flüche und Gotteslästerungen und in einen Schwall von Verwünschungen aus. Es lag etwas Erschütterndes in diesem plötzlichen Abfallen der Maske, es sah aus, wie wenn jemands wahres Gesicht plötzlich von ihm fiele.
»Hören Sie,« schrie er, fast atemlos vom Fluchen in breitestem Amerikanisch, »und wenn ich auch tausendmal ein Abenteurer bin, Sie sind eine Mörderin! Ja, Gentlemen, da haben wir die Erklärung des Todes in Ihrem Sinne und ohne jede Verzückung. Das arme Ding schreibt sein Testament zu meinen Gunsten, da kommt ihre verfluchte Schwester dazu, ringt mit ihr um die Feder, zerrt sie nach dem Schachte und stößt sie hinab, ehe sie zu Ende schreiben kann. Verdammt! Wir werden die Handschellen doch noch brauchen!«
»Wie Sie ganz richtig bemerkt haben,« antwortete Johanna mit widerlicher Ruhe, »ist Ihr Bursche ein durchaus anständiger junger Mann, welcher weiß, was ein Eid ist. Und er kann vor jedem Gerichtshofe beschwören, daß ich mit einer Schreibarbeit in Ihrem Bureau oben war, und zwar fünf Minuten, ehe meine Schwester herabstürzte. Mr. Flambeau wird Ihnen bestätigen, daß er mich dort gefunden hat.«
Alles schwieg.
»Demnach,« rief Flambeau, »war Pauline allein, als sie abstürzte und es war Selbstmord!«
»Sie war allein, als sie abstürzte,« erwiderte Father Brown, »aber es war nicht Selbstmord.«
»Aber wie ist sie dann umgekommen?« fragte Flambeau ungeduldig.
»Sie wurde ermordet.«
»Aber sie war doch ganz allein!«
»Sie wurde ermordet, während sie ganz allein war,« versetzte der Priester.
Alle starrten ihn an, doch er verharrte in der gleichen bisherigen Stellung, die runde Stirne von einer Falte durchfurcht und unpersönliche Scham und Sorge im Ausdruck, während die Stimme farblos und gedrückt klang.
»Was ich wissen möchte,« schrie Kalon, »ist, wann die Polizei kommt, diese blutbefleckte, verruchte Schwester zu holen. Sie hat ihr Fleisch und Blut getötet, sie hat mir eine halbe Million geraubt, die ebenso rechtmäßig mir gehörte, wie –«
»Komm, komm, Prophet,« unterbrach Flambeau nicht ohne einen gewissen Hohn, »denk' daran, daß diese ganze Welt ja doch nur ein Nebelland ist.«
Der Hierophant des Sonnengottes nahm einen Anlauf, seine Pose wieder aufzunehmen. »Es ist nicht allein des Geldes wegen,« schrie er, »obwohl damit unsere Sache in der ganzen Welt auf eine sichere Grundlage gestellt gewesen wäre. Es handelt sich auch um die Wünsche meiner Geliebten. Für Pauline war all dies heilig. In Paulinens Augen –«
Father Brown sprang plötzlich auf, so plötzlich, daß sein Stuhl sich rückwärts überschlug. Er war totenblaß, und dennoch schien er von einer Hoffnung entflammt, und sein Auge funkelte.
»Das ist es,« rief er mit klarer Stimme. »Das ist der Weg, von dem man ausgehen muß. In Paulinens Augen –«
Der große Prophet wich vor dem unscheinbaren Priester in fast wahnsinniger Verwirrung zurück. »Was meinen Sie? Wie können Sie es wagen?« rief er immer wieder von neuem.
»In Paulinens Augen,« nahm der Priester unbeirrt den Gedanken wieder auf, während seine Augen an Glanz zunahmen. »Fahren Sie fort – in Gottes Namen, fahren Sie fort! Das gemeinste Verbrechen, das der Teufel eingab, wird durch ein Geständnis leichter, und ich flehe Sie an, bekennen Sie! Fahren Sie fort! Fahren Sie fort! – in Paulinens Augen –«
»Laß mich, du Teufel,« donnerte Kalon, sich windend wie ein gefesselter Riese. »Wer bist du, du verdammter Spion, daß du deine Spinnennetze um mich ziehst und mir auflauerst. Laß mich, laß mich!«
»Soll ich ihn halten?« fragte Flambeau, indem er den Ausgang verlegte, denn Kalon hatte bereits die Türe weit aufgerissen.
»Nein, lassen Sie ihn laufen,« sagte Father Brown mit einem seltsamen tiefen Seufzer, der aus den Tiefen des Weltalls zu kommen schien. »Lassen Sie Kain laufen, denn er gehört Gott.«
Schweigen herrschte im Zimmer, als er gegangen war, ein Schweigen, das für Flambeaus ungestüme Natur zu einer schier endlosen Pein der Neugier wurde. Johanna Stacey schob inzwischen kühl die Papiere auf ihrem Platze zusammen.
»Father,« begann Flambeau endlich, »meine Pflicht, nicht allein meine Neugier treibt mich, wenn möglich herauszubekommen, wer das Verbrechen begangen hat.«
»Welches Verbrechen?« fragte dieser.
»Das, mit dem wir es hier zu tun haben, natürlich,« erwiderte der ungeduldige Freund.
»Wir haben es mit zwei Verbrechen zu tun,« erklärte Brown, »Verbrechen von sehr verschiedenem Gewichte – und mit sehr verschiedenen Verbrechen.«
Johanna Stacey machte sich, nachdem sie ihre Papiere beisammen und weggeräumt hatte, daran, den Aktenschrank zu schließen, während Father Brown fortfuhr, sie so wenig zu beachten, wie sie ihn.
»Die beiden Verbrechen,« fuhr er fort, »richteten sich beide gegen dieselbe Schwäche und gegen dieselbe Person im Kampfe um ihr Geld. Wer das größere Verbrechen beging, fand seinen Plan durch das kleinere Verbrechen durchkreuzt, und der das kleinere Verbrechen beging, bekam das Geld.«
»O, hören Sie doch einmal auf mit Ihrem Vorleserton,« wehrte Flambeau. »Sagen Sie doch alles mit ein Paar Worten rund heraus!«
»Es läßt sich in ein einziges Wort fassen,« antwortete sein Freund.
Johanna Stacey spießte sich ihren schwarzen Geschäftshut mit geschäftlichem Stirnrunzeln vor einem kleinen Spiegel auf den Kopf, nahm, während die Unterhaltung ruhig weiterging, ohne jede Übereilung Schirm und Handtasche und verließ den Raum.
»Die Wahrheit liegt in einem einzigen Worte und ist sehr kurz,« sagte Father Brown. »Pauline Stacey war blind.«
»Blind!« schrie Flambeau und erhob sich langsam zu voller Höhe.
»Es lag in ihrem Blute. Ihre Schwester wollte eine Brille tragen, wenn Pauline es ihr erlaubt hätte, aber sie hatte nun einmal ihre besondere Philosophie oder Liebhaberei, man müsse solche Schwächen nicht ermutigen, indem man ihnen nachgebe. Sie wollte die Wolke nicht zugeben oder versuchte, sie durch ihren Willen zu zerstreuen. Somit wurden ihre Augen schlimmer und schlimmer von der Anstrengung, aber die schlimmste sollte erst kommen. Und sie kam mit diesem kostbaren Propheten oder was er sich nennt, der mit nacktem Auge in die Sonne zu starren lehrt. Das hieß »Apoll empfangen«. O, wären doch diese Neuheiden wenigstens Altheiden, sie wären dann doch ein wenig weiser! Die alten Heiden wußten, daß reine nackte Naturverehrung ihre grausame Seite haben muß. Sie wußten, daß das Auge Apollos versengen und blenden kann!«
Nach einer kurzen Pause fuhr der Priester in mildem und fast gebrochenem Tone fort. »Ob nun jener Teufel sie vorsätzlich zur Blinden machte oder nicht, daran ist kein Zweifel, daß er sie vorsätzlich durch ihre Blindheit tötete. Die Einfachheit des Verbrechens allein schon ist entsetzlich. Sie wissen, er und sie gingen in diesen selbsttätigen Fahrstühlen auf und nieder; Sie wissen auch, wie sanft und lautlos diese Aufzüge dahingleiten. Kalon brachte den Fahrstuhl bis dorthin, wo sie ausstieg und sah sie durch die offene Türe in ihrer bedächtigen Blindenart das Vermächtnis schreiben, das sie ihm versprochen hatte. Unbefangen rief er ihr zu, er habe den Fahrstuhl für sie bereitgestellt, sie sollte herauskommen, wenn sie fertig wäre. Dann drückte er auf den Knopf und glitt lautlos nach seinem Stockwerke hinauf und betete in Sicherheit vor der belebten Straße, als das arme Ding, nachdem es fertig war, froh hinauseilte, wo der Fahrstuhl und ihr Geliebter sie aufnehmen sollten, und trat –«
»Genug!« schrie Flambeau.
»Eine halbe Million sollte es ihm eingebracht haben, auf jenen Knopf zu drücken,« erklärte der kleine Geistliche in jener farblosen Stimme, mit der er von solchen Schrecknissen sprach, »Aber es ging fehl. Es mißlang, weil zufällig eine andere Person da war, welche gleichfalls das Geld für sich haben wollte und gleichfalls das Geheimnis von Paulinens Blindheit kannte. Es ist etwas an jenem Testament, was, glaube ich, niemand beachtet hat. Obschon es unvollendet und ohne Unterschrift war, hatten dennoch die andere Miß Stacey und irgend ein Dienstbote vor ihr als Zeugen unterfertigt. Johanna hatte zuerst unterfertigt und mit typisch weiblichem Sichhinwegsetzen über gesetzliche Formalitäten zu Pauline geäußert, sie könne es ja nachher vollenden. Weshalb wollte Johanna, daß ihre Schwester das Testament ohne wirkliche Zeugen unterschreibe? Ich dachte an die Blindheit und hatte das ganz sichere Gefühl, sie wollte, daß Pauline es in niemands Beisein unterzeichne, denn ihr lag daran, daß es überhaupt nicht unterzeichnet werde.«
»Leute wie die Staceys gebrauchen immer Füllfedern; das war aber bei Pauline ganz besonders natürlich. Durch Gewohnheit und ihren starken Willen und ihr Gedächtnis konnte sie beinahe noch ebensogut schreiben wie vorher, als sie noch ihr Augenlicht besaß, aber sie konnte nicht sehen, wann ihre Feder ausgelaufen war. Daher waren ihre Füllfedern von ihrer Schwestern stets sorgfältig gefüllt mit Ausnahme jener einen; diese eine war von ihrer Schwester sorgfältig nicht gefüllt. Der Tintenrest reichte für ein paar Zeilen und versagte dann ganz. Und der Prophet verlor dadurch fünfmalhunderttausend Pfund und beging einen der brutalsten und genialsten Morde in der menschlichen Geschichte – um nichts.«
Flambeau trat an die offene Türe und hörte die Polizeibeamten die Treppe heraufkommen. »Sie müssen alles verdammt genau verfolgt haben,« wandte er sich an Father Brown, »um in zehn Minuten Kalons Verbrechen auf die Spur zu kommen.«
Der Angeredete blickte ihn erstaunt an.
»O, Kalon!« sagte er. »Nein, ich mußte ziemlich scharf der anderen Spur folgen, Fräulein Johanna und der Füllfeder. Aber ich wußte, daß Kalon der Verbrecher war, noch ehe ich die Haustüre betrat.«
»Sie scherzen wohl!« rief Flambeau.
»Ganz mein Ernst! Ich sage Ihnen, ich wußte, er hat es getan, noch ehe ich wußte, was es war.« »Aber wieso denn?« »Diese heidnischen Stoiker,« erklärte Brown nachdenklich, »fehlen immer durch ihre Übertreibung. Es erhob sich ein Lärm und ein Menschenauflauf auf der Straße unten und der Priester Apolls blickte nicht im mindesten darnach hin. Was es war, wußte ich noch nicht, aber ich wußte, daß er darauf gewartet hatte.«