HAL CLEMENT
Der kritische Faktor
Pentong, zum erstenmal in seinem Leben aufgeregt, raste nordwärts. Es war nicht nötig, sich vorwärts zu tasten oder herumzufühlen; so nahe der großen Erdbebenzone gab es immer kleinere Erschütterungen, und ihre Echos vom dichten Basalt in der Tiefe und der Leere weiter oben erreichten ihn beinahe ununterbrochen. Die trügerischen Sandsteinschichten, die den trägen Reisenden mit der leichten Durchdringung lockten, die sie boten, um ihn dann hinauf in die Todeszone zu führen, waren mühelos auszumachen; Pentong machte jetzt sogar Gebrauch von ihnen, denn die Sicht war so gut, daß er sie jederzeit verlassen und die sicheren Tiefenschichten aufsuchen konnte, wann immer sie anstiegen.
Der schwierigste Teil seiner Reise lag hinter ihm. Die schmale Brücke wohnlichen Gesteins, die zu dem fremden Land führte, das er entdeckt hatte, war sicher überwunden, trotz der schreckenerregenden und irreführenden Art und Weise, in der Erschütterungen von der Erdbebenzone weit im Norden eingefangen, verstärkt und von beiden Seiten zurückgeworfen wurden. Nun konnte er viele Tagereisen weit sehen, und so weit sich ausmachen ließ, war das Land gut.
Natürlich nicht so gut wie jenes, das er besucht hatte. Dies Land hier war ein Teil dessen, was er sein Leben lang gekannt hatte und wo Nahrung gerade schwierig genug zu finden war, um das Leben interessant zu machen; wo seit ungezählten Zeitaltern andere, weniger begünstigte Rassen vom fernen Norden hereindrängten und zu töten suchten, um seinen Überfluß für sich zu gewinnen; wo Magmaseen sich so rasch verlagern konnten, daß der Unachtsame zwischen undurchdringlichem Basalt und glühendem Tod gefangen wurde; wo, wenn Pentong in der Einschätzung seiner Entdeckung recht hatte, Regionen zugänglich gemacht und als Lebensraum erschlossen werden konnten, die der Todeszone gegenwärtig noch zu nahe waren.
Unablässig träumte er von dieser Möglichkeit, während er sich nordwärts bewegte. Keine Spur seines Durchgangs zeichnete den Fels hinter ihm, denn nichts davon war eßbar; aber er dachte auch kaum an Nahrung für sich selbst. Geschwindigkeit war sein Hauptanliegen, und um sie zu erzielen, reiste er so nahe an den oberen Zonen, wie er gerade noch riskieren zu können glaubte.
Die nächste Siedlung war mehr als siebentausend Kilometer entfernt, doch in seinem Gedächtnis war ein scharfes Bild des gewundenen Pfades, dem er nach Süden gefolgt war und auf dem er jetzt zurückkehrte. Er führte ihn weit nach Osten, wo die Erdbeben nur noch schwach fühlbar waren und schlechte Sicht die Reise verlangsamte; dann auf einer viel tieferen Ebene zurück nach Nordwesten, wo dichteres Felsgestein das Vorankommen erschwerte. Achthundert Kilometer vor seinem Ziel mußte er anhalten und mit großer Sorgfalt die Region der Magmaseen untersuchen, die er auf dem Weg nach Süden durchwandert hatte. Die ursprüngliche Reiseroute war nicht mehr begehbar; geschmolzene Lava, die zwischen Gesteinsformationen eingedrungen war, hatte sie an verschiedenen Stellen blockiert und die an sich bewohnbaren Schichten darüber und darunter unerträglich aufgeheizt. Doch gab es andere Pfade, und langsam und vorsichtig tastete Pentong sich zwischen den glühenden Seen vorwärts, manchmal auf weiten Umwegen, bis die gefährliche Region endlich hinter ihm lag. Darauf kam er wieder besser voran und erreichte endlich den Salzdom, der eineinhalb Kilometer dick war und eine Fläche von mehr als fünfzigtausend Quadratkilometern einnahm, Überrest eines Hunderte von Millionen Jahre alten Meeres und jetzt von härteren Gesteinsschichten überdeckt, die die Bewohner vor einsickerndem Sauerstoff schützten. Dies war die Stadt – nicht die, in der Pentong geboren worden war, aber die südlichste seines Volkes und zugleich diejenige, welche auf abenteuerlustige Naturen die größte Anziehungskraft ausübte. Die Städte im Nordwesten und Nordosten waren natürlich gefährdeter; sie trugen die Last der immerwährenden Verteidigung gegen die Eindringlinge von jenseits der Landbrücken. Doch war diese Gefahr bekannt und ihre Bekämpfung beinahe Routine; die unbekannten Teile der Welt waren es, in denen das Abenteuer lockte. Pentong hatte sich als der bisher Wagemutigste erwiesen; und er war überzeugt, daß er über die bloße Erkundung hinaus viel für sein Volk getan hatte.
»Halt!« Der Anruf kam durch den Fels, als Pentongs riesig ausgebreiteter, flüssiger Körper in den Kalkstein einzusickern begann. Keine Stadt, selbst wenn sie so weit wie diese von den Kriegszonen entfernt war, wagte auf Wachtposten zu verzichten. »Wer bist du?«
»Ich bin Pentong und kehre von einer befohlenen Reise in den Süden zurück. Mein Losungswort ist dies.« Er gab die verschlüsselte Folge von leichten Stößen ab, deren Muster er von den Führern der Stadt für den Fall erhalten hatte, daß er von seinem Unternehmen zurückkehre.
»Warte.« Der Forscher wußte, daß der Körper des Wächters sich weit zurück bis in die Stadt erstreckte, und daß er an seinem anderen Ende mit den Führern in Verbindung stand. Die Wartezeit dauerte nicht lang. »Komm herein. Du magst essen, wenn dich hungert, aber geh danach so bald wie möglich zu den Führern.«
»Ich bin hungrig, aber ich muß sofort zu ihnen gehen. Ich habe etwas Bedeutsames gefunden, und sie müssen davon erfahren.« Der Wachtposten war neugierig, enthielt sich jedoch weiterer Fragen; wenn Pentong seine Nachricht für so wichtig hielt, daß er seinen Hunger zurückstellte, würde er sich kaum aufhalten lassen, um ein belangloses Gespräch zu führen.
»Nimm die Manganschicht; sie wird für dich geräumt«, sagte der Wachtposten. Pentong bedankte sich für die Höflichkeit, denn in einer Stadt mit sechzig Millionen Einwohnern, von denen jeder ein durchschnittliches Volumen von acht Kubikmetern hatte und diese Masse in den unregelmäßigsten Formen ausbreiten konnte, war der Verkehr zuweilen problematisch. Die Manganschicht war eine vom Oxyd dieses Metalls verfärbte, fußdicke Schicht und durch ihre besondere Qualität für Pentongs Sinnesorgane klar erkennbar. Sie endete bei einer Verwerfung, die sich im Zentrum der Stadt in nordöstlich-südwestlicher Richtung erstreckte; und an einer Stelle entlang dieser Verwerfung war eine Gegend, wo zahlreiche Quarzblöcke, wahrscheinlich von irgendeinem urzeitlichen Fluß zu dieser Stelle gespült, im Kalkstein eingebettet lagen. Hier waren die Führer immer anzutreffen. Pentong begrüßte sie und begann ohne Vorrede mit seiner Meldung.
»Ungefähr achttausend Kilometer im Süden«, sagte er, »verengt sich die Kontinentalmasse, in der diese Stadt sich befindet, offenbar zu einer Spitze. Die Erdbebenzone erstreckt sich bis dorthin, und die Sicht ist gut; aber in manchen Regionen gibt es verwirrende Echos, und ich erforschte viele dieser Gegenden, indem ich mich vorwärtstastete. In einem solchen Gebiet stieß ich auf eine lange Sandsteinzunge, die sich noch weiter nach Süden erstreckte; und nachdem ich überlegt hatte, ob ich umkehren und von der Entdeckung Meldung machen oder zuvor den weiteren Verlauf erforschen sollte, entschied ich mich für das letztere. Ich dachte, es sei besser, eine vollständige Meldung zu machen. Der weitere Weg war wie das Reisen durch eine Schicht, die zu beiden Seiten von Bruchzonen eingegrenzt ist; aber in diesem Fall waren die Seiten einfach Leere. Es gab jedoch keine Todeszone, denn die Sandsteinzunge ist offenbar von dem umgeben, was Derel der Denker ›Ozean‹ nennt und das die oberen Regionen von Teilen der Kontinente besonders an den Rändern zu schützen scheint. In der Tiefe war Basalt.
Die schmale Felszunge zog sich scheinbar endlos nach Süden. Manchmal verbreiterte sie sich, und zuweilen wurde sie so schmal, daß ich dachte, sie sei zu Ende; doch immer wieder fand ich eine Fortsetzung. Jene, die von einer Verschiebung der Kontinente gegeneinander überzeugt sind, werden erklären müssen, wie dieser schmale Steinrücken unter solchen Bedingungen intakt bleiben konnte.
Schließlich jedoch verbreiterte er sich wirklich; und um die Meldung kurz zu machen, am anderen Ende liegt ein weiterer Kontinent – und ich konnte dort keine Spur von etwas anderem als niedrigen Tieren finden. Das ist jedoch nicht der wichtigste Wesenszug dieses neuen Kontinents; seine verblüffendste Eigenart ist, daß er keine irgendwie geartete Todeszone zu besitzen scheint. Er ist mit einem festen Material bedeckt, das nach der Art und Weise, wie es Geräusche leitet, von kristalliner Natur zu sein scheint, für lebende Körper jedoch undurchdringlich ist. Der Kontinent unter dieser Schicht ist von oben bis unten bewohnbar.«
»Wie steht es mit eßbarem Gestein?«
»Genausogut wie in unserem Land, oder noch besser.« Darauf reagierten die Führer hörbar, und es dauerte einige Zeit, ehe man sich wieder an den Forscher wandte. Wie er erwartet hatte, bekam er Lobesworte zu hören.
»Pentong, du verdienst den Dank aller Bewohner dieses Kontinents. Wenn dein Bericht so genau ist wie er objektiv zu sein scheint, dann dürfte unser Nahrungsmittelproblem für viele Generationen gelöst sein. Wir werden diese Nachricht den anderen Städten mitteilen, und Pläne für die Besiedlung des neuen Kontinents werden so rasch wie möglich ausgearbeitet. Dein Name wird von hier bis zu den nördlichen Grenzen bekannt sein.«
»Erlaubt, daß ich weiterspreche; es gibt noch etwas«, sagte Pentong. Erstauntes Geknister kam aus der Gegend der Quarzblöcke, und die in der Nähe befindlichen Einwohner der Stadt hielten in ihren Beschäftigungen inne, um zu erfahren, was vorging.
»Sprich.«
»Die Natur dieser festen Masse, die so undurchdringlich wie Basalt schien, machte mich neugierig, und ich bemühte mich, mehr über sie zu erfahren. Lange Zeit blieb mir der Erfolg versagt; doch schließlich erreichte ich eine Erdbebenzone, in der das Magma bis zu den oberen Schichten emporgestiegen war. In diesem Bereich war die fremdartige Masse dünner; und während ich die Umgegend erforschte, brach ein Magmastrom durch die oberen Gesteinsschichten. Ich konnte das einwandfrei feststellen, zum Teil, weil die Sicht gut war, und zum Teil, weil ich fühlen konnte, wie die dünnen oberen Schichten Hitze abstrahlten.« Er machte eine Pause.
»Dies ist des öfteren vorgekommen«, bemerkte einer der Führer. »Was lehrte es dich?«
»Wo sich das Magma ausbreitete, verschwand die äußere Deckschicht und wurde wie der Ozean!« Pentong pausierte abermals, und diesmal aus rein rhetorischen Gründen. Er wußte, daß keiner daran dachte, ihn zu unterbrechen.
»Wie ihr alle wißt, zeigte Derel der Denker, daß der Ozean eine flüssige Substanz ist, darin dem Magma ähnlich, doch ohne dessen Hitze. Er untersuchte die Leitfähigkeit für Geräusche und beschrieb sie gut. Ich hörte seine Vorlesung und hatte Gelegenheit, die Substanz selbst in mehreren Fällen zu untersuchen. Diese kristalline Deckschicht des südlichen Kontinents ist einfach fester Ozean; als das Magma ihn erreichte, schmolz er.« Wieder machte er eine Pause, und diesmal berieten die Führer untereinander.
»Deine Entdeckung ist von größtem wissenschaftlichen Interesse«, sagte ihr Sprecher schließlich, »aber wir müssen eingestehen, daß wir ihre praktische Bedeutung noch nicht sehen. Wir entnehmen deinem Verhalten, daß du sie erkennst; sprich also weiter.«
»Meine Folgerung ist sehr einfach. Ozean schützt Felsgestein vor dem Sauerstoff, der von der Leere einsickert und jene tötet, die ihm ausgesetzt sind. Zuweilen macht er sogar Felsgestein giftig. Ein großer Teil unseres Kontinents ist von Ozean geschützt, aber große Teile sind es nicht, und ihre oberen Schichten bleiben darum unerreichbar. Dieser feste Ozean schmilzt sehr leicht, wie ich am südlichen Kontinent beobachten konnte; und seine Dicke beträgt durchweg bis zu zwei Kilometer. Es mag ehrgeizig erscheinen, aber wenn dieser Kontinent hinreichend erhitzt würde, um seine kristalline Ozeandecke zum Schmelzen zu bringen, so würde dies die Menge des übrigen Ozeans beträchtlich vermehren und er könnte weitere Teile unseres Kontinents bedecken.«
Die Antwort ließ auf sich warten; Pentong wußte nicht zu sagen, ob die Führer das Problem objektiv erwogen, oder ob sie emotional auf seinen – zugegebenermaßen kühnen – Vorschlag reagierten. Als die Antwort schließlich kam, trug sie die Gestalt einer Frage.
»Warum sollte diese Substanz die Kontinente bedecken, statt zu bleiben, wo sie ist? Du scheinst vieles als selbstverständlich anzunehmen.«
»Ich bin mir bewußt, daß das Verhalten von Flüssigkeiten wie Magma und Ozean draußen in der Leere unbekannt ist«, erwiderte Pentong. »Es gibt jedoch eine Anzahl von Beobachtungen, die mit großer Wahrscheinlichkeit darauf hindeuten, daß zumindest Magma dazu neigt, sich über die Erdoberfläche auszubreiten, wenn es in die Leere hinausströmt. Ich gebe zu, daß es weiterer Beobachtung bedarf, um zu beweisen, daß Ozean sich genauso verhält – aber tut er es nicht bereits? Es scheint vernünftig anzunehmen, daß der flüssige Ozean sich ausgebreitet hat, soweit seine Menge es erlaubt; fügen wir mehr hinzu, sollte er sich weiter ausbreiten. Laßt uns diese Frage wenigstens nachprüfen; ich kann den Weg zum südlichen Kontinent zeigen oder beschreiben, und die notwendigen Experimente könnten von einer kleinen Gruppe durchgeführt werden.«
Die Nachricht vom Pentong-Projekt erreichte Derel den Denker mit einiger Verspätung. Dafür gab es verschiedene Gründe: zum einen war er Tausende Kilometer von der Stadt unter dem Golf von Mexiko entfernt, wo Pentong seine Meldung gemacht hatte, und zum anderen befand er sich in der Mitte eines Schlachtfelds. Dieser letztere Umstand war nicht ohne weiteres offenbar; seine einzigen Wahrnehmungen – Sicht und Gehör waren für Derel, dessen einziges weitreichendes Sinnesorgan Schockwellen in der Erdkruste auffing, identisch – betrafen den Erdbebengürtel im Süden und Westen. Er selbst konzentrierte seine Aufmerksamkeit auf eine Angelegenheit, die mit dem Kampf nichts zu tun hatte; doch mindestens die Hälfte seiner Forschungsmannschaft hatte die flüssigen Körper ausgestreckt und untereinander zu einem Netz verbunden, welches das gesamte Gebiet des Experiments umgab. Man hoffte, daß keiner der Eindringlinge aus dem Norden durch das Netz kommen würde, ohne eine seiner flüssigen Stränge zu berühren und sich so zu verraten.
Die Angelegenheit, die Derel interessierte, war eine Höhle, ein in den Tiefen, in denen er und seinesgleichen lebten, unerhört seltenes Phänomen. Fast alle leeren Räume, die sein Volk als Verlängerungen der äußeren Leere betrachtete, waren dieser Leere sehr nahe; und sie waren fast ausnahmslos mit dem Sauerstoff angefüllt, der das Felsgestein für die Bewohner der Tiefen vergiftete. In den feurig-flüssigen Ergußgesteinen, die mit dem Erkalten erstarrten, gab es gelegentlich Blasen, die mit diesem oder jenem aus dem Gestein entwichenen Gas gefüllt waren; doch waren diese Höhlungen in der Regel unerreichbar, weil das kompakte und harte Material der Ergußgesteine für die Angehörigen von Derels Rasse nahezu undurchdringlich war. Sie benötigten poröses oder spaltenreiches Gestein, das sie durchdrangen, wie Tinte Löschpapier durchdringt.
Die Höhle, auf die er hier gestoßen war, stellte eine der wenigen Ausnahmen dieser Regel dar. Das Gestein selbst war nicht porös genug, um darin zu reisen, doch hatten Erdbeben und seismische Spannungen ein Netzwerk mikroskopisch feiner Risse erzeugt, die ein langsames Vorankommen ermöglichten, wenn der Reisende beharrlich genug war.
Derel hatte in früherer Zeit aus der Entfernung Höhlen gesehen, aber was er jetzt beobachtete, war seines Wissens noch nie vorgekommen. Das obere Ende der Blase befand sich genau am oberen Rand der Schicht aus Ergußgestein, in der sie sich gebildet hatte; der Fels darüber bestand aus alten Sedimenten. Zwischen den beiden Schichten drang eine dünne Bahn flüssigen Magmas allmählich weiter vor, gespeist von einem wenige Kilometer entfernten Magmasee, der seine feurig-flüssige Energie wiederum aus Quellen und Tiefen bezog, von denen nicht einmal Derel wußte. Es war mehr als wahrscheinlich, daß diese Magmabahn eines Tages zu den Proportionen eines Lakkolithen anwachsen würde, zog man die Natur der aufliegenden Sedimentgesteine in Betracht; aber dies war nicht, was den Wissenschaftler gegenwärtig beschäftigte. Das vordringende Magma näherte sich der Blase, und er wollte sehen, welche Wirkung das eingeschlossene und unter hohem Druck stehende Gas auf das flüssige Magma haben würde. Es war ein Glücksfall, daß der Vorgang sich gerade hier ereignete; die unaufhörlichen schwachen Erdbebenwellen aus dem Südwesten machten in weitem Umkreis alles deutlich sichtbar. Angesichts der barbarischen Eindringlinge aus dem Norden, die durch benachbarte Schichten einsickerten, wäre es außerordentlich gefährlich gewesen, wenn die Forscher eigene Geräusche hätten erzeugen müssen, um die Vorgänge zu verfolgen.
Derel hatte eine ziemlich klare Vorstellung davon, was geschehen würde, wenn das geschmolzene Tiefengestein die Blase erreichte, doch wie jeder gute Wissenschaftler ließ er seine Beobachtungstechnik nicht davon beeinflussen. Er war entschlossen, sich nichts entgehen zu lassen, und seine Aufmerksamkeit war so ausschließlich auf das fragliche Gebiet konzentriert, daß die Ankunft eines seiner Assistenten, der in der nächsten Grenzstadt einen Kurzurlaub verbracht hatte, ihn nicht im mindesten ablenken konnte. Der Assistent seinerseits wagte Derel nicht zu stören, obwohl er Neuigkeiten mitbrachte, die den Meister interessieren würden: das Magma war der Blase inzwischen sehr nahe. Wie der erfahrene Wissenschaftler, hatte auch der Neuankömmling eine Vorstellung vom Verhalten der flüssigen Glut: sobald sie die Höhle erreichte, würde sie an den Wänden entlangfließen und die Blase allmählich von außen nach innen füllen. Seine Kenntnisse von der Natur der Gase waren zu lückenhaft, um ihm zu der Erkenntnis zu verhelfen, daß die in der Höhlung vorhandenen Gase sich zuerst im einfließenden Magma auflösen mußten, ehe seine Vorstellung Wirklichkeit werden konnte; und wie Derel hatte er keine Ahnung von einer weiteren Kraft, die sich gleichfalls auswirken würde. Kein Angehöriger ihrer Art hatte jemals in Ruhe das Verhalten von Flüssigkeiten beobachten können, die nicht in einem beengten Raum eingeschlossen waren; sie hatten noch nie eine freie, flüssige Oberfläche gesehen. Ihre Erfahrungen sollten eine Erweiterung erfahren.
Es wäre sinnlos, zu erraten, wen das tatsächliche Geschehen am meisten erstaunte, aber es war keine Frage, welcher der Beobachter als erster die Fassung wiedergewann. Derel war nur einen Augenblick lang wie gelähmt, als der erste Schwall flüssigen Magmas die Öffnung der Höhle erreichte – und in gerader Linie durch den Hohlraum zur anderen Seite schoß! –, aber er beobachtete genau und aufmerksam, wie der Magmastrom auf der der Öffnung gegenüberliegenden Seite der Höhle einen Teich bildete. Diejenige Seite des Teichs, die mit den Wänden der Höhle nicht sofort in Kontakt war, schien das Bestreben zu haben, eine ebene Oberfläche zu bilden, doch der nachfließende Strom erzeugte Störungen, die sich von der Aufschlagstelle an der Oberfläche in alle Richtungen ausbreiteten – Wellen, die keiner der Beobachter jemals gesehen oder sich vorgestellt hatte. Erst als die Blase sich mit geschmolzenem Gestein gefüllt hatte, kam allmählich wieder Bewegung in die Gruppe; und obgleich keiner es erwarten konnte, über das beobachtete seltene Phänomen in Meinungsaustausch zu treten, warteten alle auf Derels Stellungnahme. Dieser, der seine Assistenten als Schüler betrachtete, die durch Anregungen zu eigenem Nachdenken gebracht werden sollten und die man nicht wie Laien mit schnellen Schlußfolgerungen beeindrucken durfte, begann mit einer Frage. »Könnte allein der Druck, unter dem die Flüssigkeit stand, ihr Verhalten erklären?«
»Nicht völlig«, antwortete einer der Schüler prompt.
»Warum nicht? Der Druck kann eine Flüssigkeit zwischen Felsschichten und sogar in Gesteinsporen pressen; warum sollte er nicht einen Flüssigkeitsstrom durch einen Raum senden, wo es keinen Widerstand gibt?«
»Wahrscheinlich kann er es; aber ich sehe nicht ein, wie der Druck eine Seite dieses wachsenden Reiches zu einer ebenen Fläche machen könnte. Dazu wäre irgendeine unsichtbare Substanz nötig, die auf diese Oberfläche drückt – eine Substanz, die den Flüssigkeitsstrom in den neuen Teich, aber nicht aus ihm herausfließen läßt. Ich finde es schwierig, mir eine solche Substanz vorzustellen.«
»Ich auch. Auch dein Einwand gegen den Flüssigkeitsdruck scheint einleuchtend – es sei denn, einer der anderen hat eine Erklärung?« Er wartete eine Weile, aber wenn die Assistenten Ideen hatten, dann waren sie noch nicht hinreichend durchdacht, um formuliert zu werden. »Danach hätten wir es also mit irgendeiner Kraft zu tun, die uns unbekannt ist. Das bedeutet, daß alle Daten möglicherweise relevant sind. Karpor, gib uns eine Übersicht deiner Beobachtungen, die geeignet sein könnten, uns weiterzubringen.«
»Die im Basaltgestein eingeschlossene Blase hat einen Durchmesser von ungefähr fünfzehn Metern und wird auf einer Seite von der Schichtendecke tangential berührt. Die Schichtendecke selbst verläuft parallel zur zwei Kilometer entfernten Grenze des leeren Raums. Der Magmastrom drang mit einer Geschwindigkeit von ungefähr einem halben Meter pro Stunde vor und hatte eine Stärke von etwa…«
»Gut; Taless, was gibt es sonst?« Ein anderer Assistent fuhr mit der Beschreibung fort, und der Neuankömmling vergaß seine Nachricht vorübergehend in der Hitze der anschließenden Diskussion. Als er sich wieder daran erinnerte, hatten sie bereits eine erste Hypothese entwickelt.
»Es scheint möglich«, resümierte Derel, »daß eine Kraft unbekannter Natur existiert, die bestrebt ist, Flüssigkeiten möglicherweise aber auch feste Stoffe – so weit von der Leere zu entfernen, wie sie bewegt werden können. Unsere Beobachtung hier läßt jedenfalls einen solchen Schluß zu. Es wäre wünschenswert, wenn wir in den tieferen Schichten andere, besser zugängliche Höhlungen finden könnten, um zu bestimmen, ob diese Kraft mit der Entfernung zur Grenze des leeren Raumes abnimmt oder gleich bleibt, und um zu erfahren, ob die Kraft auf feste Materie genauso wirkt wie auf Flüssigkeiten.«
»Ich frage mich, welche Bedeutung die Existenz einer solchen Kraft – wenn sie tatsächlich existiert – für das Pentong-Projekt haben könnte«, bemerkte der Neuankömmling, als ihm plötzlich seine Nachricht einfiel.
»Was ist das? Ein weiterer Verteidigungsplan?«
»Eigentlich nicht.« Der Assistent schilderte Pentongs Entdeckung des antarktischen Kontinents und seinen Bericht über eine Deckschicht aus festem Ozean. »Sein Plan, diese Deckschicht abzuschmelzen und so einen größeren Teil der Erdoberfläche vor dem Sauerstoff der Leere zu schützen, fand bei der Mehrheit der Führer des Kontinents günstige Aufnahme, und es sind bereits Gruppen unterwegs, die den südlichen Kontinent gründlicher erforschen sollen«, schloß er.
»Aber wenn diese Kraft existiert«, wandte einer von Derels Schülern ein, »und der Ozean unterliegt ihr ebenso wie das Magma, wird die frisch geschmolzene Ozeanmenge sich dann nicht einfach flach über die bereits vorhandene Menge ausbreiten und vielleicht kaum zusätzliche Landflächen schützen?«
»Das scheint denkbar«, antwortete Derel. »Da ein solches Projekt enorme Kraftanstrengungen erfordern und die Verteidigung an den Grenzen sehr wahrscheinlich schwächen würde, ist es jetzt um so wichtiger, daß wir uns über die Existenz und Natur dieser Kraft so rasch wie möglich Klarheit verschaffen.«
»Wenn die vorhandene Ozeanoberfläche nicht allzu groß ist«, warf ein anderer ein, »könnte selbst das Ausbreiten des neuen Ozeans über die gesamte Fläche eine beträchtliche Vergrößerung der geschützten Gebiete erlauben.«
»Möglicherweise; aber solange wir keine Vorstellung von der Welt innerhalb der Leere haben und nicht wissen, wieviel von der Welt vom Ozean bedeckt ist, können wir es uns nicht leisten, auf die bloße Möglichkeit hin zu handeln. Wir müssen nach weiteren Blasen suchen; und diese Schichten hier überlagern auf viele Tausend Quadratkilometer die magmatischen Ergußgesteine. Teilt euch in Dreiergruppen und beginnt mit der Suche; wenn ihr Eindringlingen aus dem Norden begegnet, so ruft – nicht allzu weit hinter uns gibt es Militärposten. Dies ist ein wichtiges Projekt.« Er wandte sich dem Assistenten zu, der die Nachricht gebracht hatte. »Ich vermute, sie wollen die Deckschicht abschmelzen, indem sie Magmaseen den Weg nach oben öffnen, so daß das ausfließende Magma mit diesem festen Ozean in Berührung kommt.«
»So ist es. Man will es jedoch nicht nur beim südlichen Kontinent versuchen. Viele sind der Meinung, daß auch unser eigener Kontinent zu einem guten Teil von diesem festen Ozean bedeckt sei, den wir bisher nicht entdeckt hätten, weil wir uns nicht nahe genug an die Grenze zur Leere wagen können. Jeder Magmasee, der für uns erreichbar ist, soll nutzbar gemacht werden. Die Gegenden, wo poröses Gestein in die Leere hinausragt, können wahrscheinlich nicht erreicht werden, doch glauben die Planer, die alles verfügbare Datenmaterial untersucht haben, daß alle übrigen Regionen – und sie machen mehr als drei Viertel des Kontinents aus – relativ einfach mit flüssigem Magma überzogen werden können, wenn es einigermaßen an der Oberfläche haftet.«
»Das wird es sicherlich tun«, meinte Derel mit einem Blick zur Blase, »wenn die neuentdeckte Kraft in der Leere genauso wirkt wie in den Gesteinsschichten darunter. Das aber würde noch größere Anstrengungen erfordern als ich angenommen hatte; Verteidiger müßten von den Grenzen abgezogen werden, und wir liefen Gefahr, über der Gewinnung eines neuen Kontinents jenen zu verlieren, den wir bewohnen.« Er schloß sich einer der Suchgruppen an, besorgt über die mögliche Verschwendung von Arbeit auf eine wahrscheinlich unproduktive Anstrengung, doch ohne einen Gedanken an die Folgen einer Bedeckung des amerikanischen Doppelkontinents mit Lava. Schließlich hatte er nie von Leben an der Erdoberfläche gehört und würde wohl auch in Zukunft nichts darüber erfahren.
Es gab wahrscheinlich keine andere Gegend auf dem Kontinent, wo sie so rasch hätten finden können, was sie suchten: einen unter massiven Kalküberschiebungen begrabenen alten Lavastrom, der zahlreiche Höhlungen enthielt. Viele von ihnen waren eingedrückt oder mit Kalkschutt angefüllt, der sich unter dem Druck der aufliegenden Massen zu festem Fels verdichtet hatte. Andere waren tief in die harte Basaltlava eingebettet und nicht zugänglich, obgleich man sie gut ausmachen konnte; doch fanden sich verschiedene, die sowohl leer als auch erreichbar waren. Das Wasser, das sie einst gefüllt hatte, war im aufliegenden Gestein längst zu Hydraten umgewandelt und durch Gase aus der Lava ersetzt worden – überwiegend Kohlenoxyde und Schwefelverbindungen. Diese störten die Forscher nicht, und es dauerte nicht lange, bis eine der Suchgruppen meldete, daß sie einen idealen Platz für das geplante Experiment gefunden habe. Die Gruppe versammelte sich an der Stelle, und man ging an die Ausführung.
Es gab keinen Magmasee in der Nähe, den man hätte zu Hilfe nehmen können, aber das bekümmerte Derel nicht. Er hatte bereits gesehen, wie feurig-flüssiges Gestein sich in dieser Situation verhielt. Er gab die nötigen Anweisungen, und die Gruppe der flüssigen Körper versammelte sich oberhalb der Blase im Kalkstein und begann zu essen. Sie machten es sehr sorgfältig, und allmählich wurde ein großer Kalksteinblock aus der Formation gelöst. Er befand sich unmittelbar über der Höhlung und ruhte nach seiner Loslösung auf der dünnen Schicht aus Lava und Silikaten, die das Dach der Höhlung bildete. Diese Schicht war von mikroskopischen Rissen durchzogen, die den Bedürfnissen der Wissenschaftler entgegenkamen. Die flüssigen Körper arbeiteten sich in diese Risse, lösten Partikel heraus und schwächten nach und nach das dünne Gesteinsdach. Die tatsächliche Kraft, die jedes der Wesen einsetzen konnte, war außerordentlich gering, aber Stück für Stück wurde die Lava entlang den feinen Rissen aufgelöst. Gegen Ende der Vorbereitung blieben die Wissenschaftler dem Höhlendach fern und entsandten nur noch dünne Ausläufer, um zu erledigen, was noch zu tun war. Die meisten von ihnen zogen sich zurück, um das Geschehen zu beobachten, und zwei der Assistenten beendeten die Arbeit. Derel war bereit, als das Lavadach plötzlich einstürzte und der große Kalksteinblock, den sie zuvor freigelegt hatten, in die Höhle fiel.
Niemand war sehr überrascht. Der Felsblock verhielt sich innerhalb seiner Grenzen wie das Magma, prallte gegen die der Leere gegenüberliegende Wand, daß einzelne Bruchstücke in verschiedene Richtungen flogen; doch kehrten auch sie zu dem Teil der Höhle zurück, der am weitesten vom eingebrochenen Dach entfernt war.
Die Kraft existierte offensichtlich, und sie schien auf feste Stoffe genauso zu wirken wie auf Flüssigkeiten. Auch die Bruchstücke des eingestürzten Lavadachs hatten dem unsichtbaren Zwang gehorcht; und soweit die Wahrnehmungen ein Urteil erlaubten, hatte nicht ein einziges der freigewordenen Teilchen anders reagiert.
Derel floß durch den spaltenreichen Kalkstein zu einer Stelle über der Öffnung. Hier zog er sich zum kleinstmöglichen Volumen zusammen und begann den Fels ringsum aufzulösen. Er hatte versucht, den Teil der Höhlung zu erreichen, wo der Kalksteinblock und die übrigen Trümmer zur Ruhe gekommen waren, doch die Basaltlava war dort unten so fest und bruchlos, daß ein Durchkommen nicht möglich war. Nun wollte er von oben in die Höhle eindringen und bei dieser Gelegenheit feststellen, welche Wirkung die neu entdeckte Kraft auf lebende Materie hatte.
Der Felsblock, in dessen Spalten und Höhlungen er lag, brach wie sein Vorgänger los, und Derel wurde der erste Vertreter seiner Art, der die Beschleunigung der Schwerkraft erfuhr. Er entdeckte auch als erster, daß das Bemerkenswerteste an einem Fall das jähe Anhalten ist. Der Aufprall verletzte ihn nicht – schließlich war er es gewohnt, in Regionen mit seismischen Spannungen und häufigen Erdbeben zu reisen und mit Hilfe der entstehenden Schockwellen zu sehen –, aber das ganze Erlebnis war einigermaßen überraschend. Zum Beispiel hatte der Felsblock sich im Fallen überschlagen, und niemand hatte jemals eine plötzliche Veränderung der Orientierung in bezug auf seine Umgebung erlebt. Derel brauchte mehrere Sekunden, bis er begriff, daß er sich bewegt hatte, nicht das umgebende Universum.
Nachdem er sich davon überzeugt hatte, verließ er den Felsblock, mit dem er gefallen war; und indem er dies tat, lernte er die schmerzlichste Lektion von allen.
Derels Körper war flüssig. Seine Dichte war geringer als die des Wassers, da er vor allem aus Kohlenwasserstoffen bestand. Unter normalen Bedingungen fand er Halt durch den umgebenden Fels, worin er sich bewegte, indem er die Oberflächenspannung seiner Flüssigkeit steuerte, ähnlich einer Amöbe oder auch einem menschlichen Muskel. Außerhalb des Halt bietenden Gesteins war er jedoch nur eine Pfütze aus öliger Flüssigkeit, und sobald er angefangen hatte, den Felsblock zu verlassen, konnte er nicht mehr zurück. Der Block lag nicht ganz am Boden der großen Höhlung; sobald ein Teil von Derels Masse zum Vorschein kam, floß sie abwärts zum tiefsten erreichbaren Punkt, und er hatte die Wahl, der Teilmenge zu folgen oder auseinandergerissen zu werden. Die Alternative sagte ihm genausowenig zu, wie sie einem festeren Organismus zugesagt hätte. Er folgte der heraushängenden Masse, und fünf Sekunden später war er ein völlig hilfloser Teich lebender Flüssigkeit am Boden einer Mulde aus glasiger, undurchdringlicher Lava. Er konnte nicht einmal die eigene Oberfläche kräuseln.
Aber er konnte sich verständlich machen: Die Leitfähigkeit des eisenharten Lavabasalts war hervorragend. Er befand sich jedoch in einem Zustand von Panik und konnte zunächst keinen intelligenten Gebrauch von der Verständigungsmöglichkeit machen. Alles, was seine Begleiter hörten, war eine Serie endlos wiederholter Warnungen, leere Räume zu meiden und sich unter keinen Umständen der neuen Kraft auszusetzen. Er forderte sie auf, in die Heimat zurückzukehren und ihn sterben zu lassen. Keinesfalls aber sollten sie vergessen, die Führer der Städte und alle anderen zu warnen. Wäre Derel nicht so aufgeregt gewesen, hätte er nach kurzem Überlegen den Ausweg gefunden; aber man kann ihm kaum vorwerfen, daß seine Lage ihn in Angst und Schrecken versetzte. Ein Mensch, der sich plötzlich vollständig in Beton eingebettet sieht, doch irgendwie noch immer lebt und atmet und sprechen kann, könnte die Gefühle des Wissenschaftlers nachempfinden.
Glücklicherweise blieben seine Begleiter ruhig, und einer von ihnen sah die Lösung. Derel fand zur Vernunft zurück, als kleine Stücke Kalkstein von der Deckenöffnung herabzufallen begannen, wobei sie manchmal seinen Körper durchschlugen. Es war ein langes und mühseliges Geschäft, aber schließlich brachten die Bewohner des Gesteins zustande, was der Druck einer tausend Meter starken Kalksteindecke in Jahrmillionen nicht erreicht hatte, und die Höhle war mit losgelöstem Schutt und Trümmern angefüllt. Selbst unter diesen Bedingungen war das Vorankommen nicht einfach – die Räume zwischen den einzelnen Gesteinsbrocken waren zu groß, um Halt zu finden, und Derel hatte eine starke Abneigung gegen offene Räume entwickelt. Doch war ein Weiterkommen wenigstens möglich, und schließlich fand er sich wieder in bewohnbarem, begehbarem, bequemem Fels außerhalb jener schrecklichen Höhle. Lange ruhte er aus; und als er endlich sprach, geschah es mit Überzeugung.
»Was immer wir in der Zukunft über diese Kraft lernen mögen, niemand kann an ihrer Realität zweifeln. Ich hoffe, keiner von euch wird sie jemals zu fühlen bekommen. Diejenigen von euch, die über der Höhlung waren und Felsbrocken lösten, die mir ein Entkommen ermöglichten, nahmen ein gefährlicheres Risiko auf sich, als es jemals von einem Soldaten oder Forscher eingegangen wurde. Glaubt mir, wenn ich sage, daß ich euch dankbar bin.
Neben der bloßen Existenz der Kraft haben wir noch etwas gelernt: Sie wirkt nicht immer senkrecht zur Grenze des leeren Raums.«
Seine Zuhörer gaben Überraschung zu erkennen, verstummten aber rasch wieder, als sie erkannten, daß der Wissenschaftler recht hatte: Die Grenze zur Leere war in dieser Region außerordentlich unregelmäßig; an vielen Stellen reichten Felsauswüchse kilometerweit in die Leere hinaus. Es gab keine Richtung, von der man sagen könnte, sie stehe senkrecht zu dieser Oberfläche.
»Damit bleiben im wesentlichen zwei Möglichkeiten. Eine ist, daß die Richtung der Kraft nicht immer dieselbe ist und der Ozean sich aus diesem Grund an bestimmten Punkten gesammelt hat. Wenn es sich so verhält, dann ist das Pentong-Projekt nutzlos; der neue Ozean würde einfach dem alten hinzugefügt und keine zusätzlichen Landflächen bedecken. Die andere Möglichkeit wäre, daß die Kraft nicht in die Leere hinausreicht; und in diesem Fall wäre völlig ungewiß, was geschehen würde, außer daß das von uns hinaufgeleitete Magma sich wahrscheinlich über die Oberfläche ausbreiten würde, wie es das immer schon getan hat. Wie sich der geschmolzene Ozean unter diesen Umständen verhalten würde, ist nicht vorauszusagen.
Aus diesen Überlegungen heraus wären wir meiner Meinung nach schlecht beraten, wenn wir einem Projekt, dessen Erfolgsaussichten völlig ungewiß sind, so große Anstrengungen widmeten, daß unsere Verteidigungsfähigkeit darunter leiden würde. Ich denke, ich werde zur nächsten Stadt gehen, um meiner Meinung Ausdruck zu geben. Die Bedrohung durch die Barbaren des Nordens ist zu groß, als daß wir uns eine leichtfertige Geringschätzung der Gefahr leisten könnten. Hat jemand eine andere Meinung oder einen besseren Plan?«
Taless meldete sich zu Wort, ein selbstbewußter und eigenständiger Wissenschaftler und Denker. »Das Projekt aus Unwissenheit zu verwerfen, erscheint mir genauso schlecht wie aus Unwissenheit Anstrengungen zu vergeuden. Ich würde empfehlen, daß wir etwas über die Eigenschaften der Kraft im leeren Raum jenseits der Grenze in Erfahrung bringen, bevor wir den Stadtführern gegenüber Meinungen zum Ausdruck bringen. Laßt uns allenfalls eine Verschiebung, nicht aber eine Aufgabe des Projekts empfehlen, bis uns mehr Daten über diese Angelegenheit zur Verfügung stehen.«
»Und wie gedenkst du in den Besitz solcher Daten zu gelangen?«
»Ich weiß es noch nicht; aber wir haben hier eine Gruppe tüchtiger Forscher. Ich würde eine solche Untersuchung ganz gewiß nicht als hoffnungslos betrachten, solange noch nicht einmal die Möglichkeiten erkundet sind.«
»Die Ergebnisse solcher Nachforschungen müßten sehr genau und völlig überzeugend sein; die Angelegenheit ist von größter Bedeutung für die Zukunft unseres Volkes hier wie im neuentdeckten Kontinent.«
»Das ist mir klar. Was ist neu daran, von Nachforschungen Genauigkeit zu verlangen?«
Derel dachte eine Weile nach. »Du hast natürlich recht«, sagte er schließlich. »Wir werden den Aufschub des Pentong-Projekts empfehlen. Zwei von euch können diese Botschaft in die Stadt bringen. Wir anderen werden uns inzwischen Methoden überlegen, mittels derer festgestellt werden kann, ob geschmolzener Ozean sich über die Erdoberfläche ausbreiten wird oder nicht. Finden wir, daß er es tut, werden wir auch diesen Doppelkontinent mit Lava bedecken, um etwa vorhandene feste Ozeane abzuschmelzen. Tut er es nicht, können die Magmaseen bleiben, wo sie sind. Hat jemand schon einen Vorschlag für geeignete experimentelle Techniken?«
Aus dem Amerikanischen übertragen von Walter Brumm