7. Kapitel
»Haben Sie heute noch etwas vor, Ms. Lamont?«, fragte Alexander Willoughby.
»Warum fragen Sie das, Mr. Willoughby?«
Sofia hatte diese Frage auch gehört und war schon wieder ganz aufgeregt. Sie schien den Sturz bereits vergessen zu haben.
»Ich würde Sie gerne auf meine kleine Jacht hier einladen, mit der könnten wir auf eine Insel ganz in der Nähe fahren und dort tauchen und den Rest des Tages am Strand genießen«, sagte Alexander Willoughby.
Lily war sehr überrascht über dieses Angebot. Sie musste nun stark bleiben.
»Hört sich sehr verlockend an, Mr. Willoughby, aber ich kenne Sie doch gar nicht. Mit einem fremden Mann, einsam auf einer Jacht und dann noch auf einer Insel, also ich weiß nicht, das entspricht nicht meinem Naturell.«
In Sofias Augen konnte sie den Satz lesen: Ja bis du denn wahnsinnig, dieses Angebot nicht anzunehmen.
»Ich würde Ihr Naturell gerne näher kennen lernen, Ms. Lamont. Ich verspreche hoch und heilig, dass ich Sie auch wieder zur Lady Charlotte zurückbringen werde. Auch schon aus Eigennutz, da ich ja auch wieder auf mein Schiff muss«, sagte Alexander Willoughby mit einem Lächeln, das einen wie Samt und Seide umgarnte.
»Na ich hab ja hier zwei Zeugen, die, wenn Sie mich killen würden, gegen Sie aussagen würden«, sagte Lily scherzhaft. Aber war es tatsächlich ein Scherz? Sie musste wieder an gefährlich und bleibt nur, ihn zu töten denken.
»Sehen Sie, Sie sind für alle Eventualitäten gerüstet«, sagte er mit verspielter Stimme.
»Okay, Sie haben mich überredet. Ich nehme Ihr Angebot an.«
Lily sagte ihm nicht, dass sie bereits vorhatte, am Nachmittag noch in einer Bucht zu tauchen. Jetzt bekam sie das kostenlos und hatte auch noch eine nicht wenig attraktive Begleitung an ihrer Seite.
»Gut, dann folgen Sie mir. Mein Wagen, mit dem wir zum Anleger fahren, steht nicht unweit der Lichtung«, sagte Alexander Willoughby.
Schon wieder dachte Lily an das, was sie dort gehört hatte. Würde er sie einfach die Lichtung hinunterstoßen und sagen, sie sei ausgerutscht. Ein bedauerlicher Unfall.
»Dann viel Spaß«, sagte Sofia mit einem wehmütigen Blick.
»Danke, Sofia. Wir sehen uns dann wieder auf dem Schiff«, sagte Lily.
»Dann folgen Sie mir, Ms. Sofia, ich bringe Sie wieder in die Stadt zurück«, sagte George.
Sofia ging mit George den Weg zurück zum Auto. Lily dachte, dass es hoffentlich kein Fehler gewesen wäre, ihnen nicht gefolgt zu sein.
Lily ging neben Alexander Willoughby her. Sie konnte es nicht glauben, dass sie das jetzt tun würde. Wie lange hatte ihr Vorsatz gehalten, sich mit keinem Mann näher zu beschäftigen? Zwei Tage. Was bist du nur für ein Dummchen, dachte Lily.
»Nun sind wir allein«, sagte Lily und versuchte, ihre Nervosität mit Reden zu unterdrücken.
»Ist Ihnen das unangenehm?«
»Nein, noch nicht.«
Nach einigen Minuten Marsch kamen sie zu einem kleinen Weg, der in den Wald führte. Dort stand ein riesiger roter Pickup.
Passend, für diesen Typ Mann, dachte Lily.
Sie stiegen ein. Er holte sein Handy aus der Gesäßtasche und rief wohl jemanden an, der sich mit seiner Jacht auskannte. »Wir sind in ein paar Minuten da, bereite alles vor«, sagte er, dann ließ er sein Handy wieder verschwinden und gab Gas.
»Woher kommen Sie, Ms. Lamont?«, fragte Alexander Willoughby.
»Aus New York.«
»Gebürtig?«
»Ja. Geboren, aufgewachsen, gelernt, gearbeitet, ver- und entliebt. Das ganze Programm«, sagte Lily nachdenklich.
»Hört sich jetzt nicht allzu glücklich an.«
»Doch, über viele Jahre konnte ich mich über mein Glück nicht beschweren. Aber es gab halt auch die anderen Jahre, von denen das Glück so weit entfernt ist wie das Meer vom Mars.«
»Ein deutlicher Vergleich. Darf ich fragen, was auf der Streck vom Meer bis zum Mars alles passiert ist?«, fragte Alexander Willoughby mit freundlicher Stimme.
»Zu viel.«
»Sie wollen nicht darüber reden?«
»Ich kenne Sie doch gar nicht, Mr. Willoughby. Ich denke, meine Lebensgeschichte sollten wir uns für später aufheben.«
Hatte sie das gerade wirklich gesagt. Für später aufheben! Was erwartete sie denn? Dass sie plötzlich von einem Milliardär mit sehr dunklen Seiten gemocht würde. Was für ein Unsinn!
»Für später? Klingt interessant«, sagte Alexander Willoughby mit einem vielsagenden Lächeln.
»Darf ich auch etwas über Sie erfahren, Mr. Willoughby?«, fragte Lily.
»Was möchten Sie wissen?«, sagte er und sah dabei konzentriert auf die Straße.
Sie fuhren an der Küste entlang. Die Wälder hatten sie hinter sich gelassen. Nun war nur noch grüne Fläche und blaues Meer zu sehen, so weit das Auge reichte. In der Ferne konnte man ein kleines Küstenstädtchen erkennen, aus dem einige bunte Häuser herausstachen.
»Woher kommen Sie? Was machen Sie?«
»Ich bin auch eine New Yorker Seele. Meine Eltern stammen aus Main und sind dann früh nach New York gezogen und haben dort mit vielen geschickten Schachzügen ein nicht geringes Vermögen erwirtschaftet. Mich haben sie nach Princeton geschickt, weil ich die Noten hatte und sie sich mit der Strahlkraft von Princeton schmücken wollten.«
»Was haben Sie dort studiert?«
»International Business.«
Das war zu vermuten, dachte sich Lily, für die Art Geschäfte, die Alexander Willoughby wohl tätigt, muss man alle Kniffe und Tricks kennen.
»Sie kennen sich im Geschäftsleben also richtig gut aus?«, fragte Lily.
»Ich weiß, welche Hebel ich ansetzen muss, damit ich zu einem Erfolg komme. Wir sind gleich da, Ms. Lamont«, sagte er und zeigte auf den Beginn des Städtchens.
Lily musste den letzten Satz erst einmal wieder verdauen. Hebel ansetzen, wo es sein muss. Darin war er wohl wirklich sehr gut. Sie musste sich wieder ablenken.
»Ein schönes Städtchen ist das hier«, sagte Lily und sah die vielen bunten Häuschen an. Pink, Grün, Blau, Rot, Gelb. Ein richtiger Malkasten, der da Holzhaus an Holzhaus stand.
»Ja, es ist bezaubernd. Hier lebt auch jemand, den ich kenne. Der passt auf meine kleine Jacht auf und pflegt sie, wenn ich nicht in dieser Gegend bin. Leider bin ich das viel zu selten.«
»Sie führen ein sehr aufregendes Leben, Mr. Willoughby.«
»Wie man’s nimmt. Ich kenne es nicht mehr anders.«
Alexander Willoughby parkte den roten Pickup neben dem gelben Haus, ging ums Auto herum und öffnete Lily die Tür. Er half ihr herunter, da der Pickup eine gewisse Ausstiegshöhe hatte. Er betrachtete dabei Lilys seidenglatte und lange Beine.
»Sie sehen in Ihrer Shorts übrigens sehr verführerisch aus«, sagte er.
»Schön, dass Ihnen gefällt, was Sie sehen«, sagte Lily mit einem Lächeln.
»Hier entlang«, sagte er.
Alexander Willoughby ging einen Schotterweg entlang, der zu einem Steg führte. Dort stand schon ein dunkelhäutiger, älterer Mann, an dem seine weiße Kleidung hing wie an einem Handtuchhalter. Das Leben hatte ihn wohl ausgezerrt. Am Steg war ein kleines Motorboot vertäut. Weiter draußen war bereits die kleine Jacht zu sehen. Fünf, sechs Personen hätten darauf locker eine Party feiern können und danach hätte noch jeder einen Platz zum Schlafen finden können.
»Mr. Willoughby, schön, dass Sie mal wieder hier sind«, begrüßte der alte Mann die beiden. »Und wie ich sehe, haben Sie eine hübsche Begleitung dabei.«
»Darf ich vorstellen, Ms. Lily Lamont«, sagte Alexander Willoughby.
Lily meinte, so etwas wie Stolz in seiner Stimme gehört zu haben.
»Freut mich. Mein Name ist Charles. Ich bringe Sie nun auf die Jacht.«
Charles half Lily, in das Motorboot zu steigen. Alexander Willoughby brauchte dazu keine Hilfe. Charles steuerte das Motorboot sicher zur Jacht und legte an einer Treppe, die bis zum Wasserrand führte, an. Alexander Willoughby stieg als erster auf die fünfstufige Treppe und half dann Lily aus dem leicht schwankenden Boot. Kurz darauf standen sie am Ende der kleinen weiß-schwarzen Jacht, dem Teil, der nicht überdacht war. Der Boden war mit edlem Teakholz belegt. Charles verabschiedete sich und versprach, am Steg zu warten bis sie wieder zurückkämen. Dann würde er sie wieder abholen.
»Ich war ja noch nie auf einer Jacht. Aber als klein würde ich diese nun nicht bezeichnen«, sagte Lily.
»Der erste Eindruck, ich verstehe das. Wenn Sie meine Jacht sehen würden, die im Mittelmeer liegt, dann würden Sie wissen, warum ich diese als klein bezeichne. Aber mit so etwas wollen wir uns jetzt nicht aufhalten. Lassen Sie uns aufbrechen. Die Insel, zu der ich Sie entführen will, wird Ihnen sicher gefallen, Ms. Lamont.«
»Ich lasse mich überraschen«, sagte Lily mit einem Lächeln.
Das Wort entführen machte ihr aber Sorgen.