18. Kapitel

Während der nächsten vierundzwanzig Stunden hielt sich Hornblower öfters vor, daß Bush recht hatte und er mit größter Zuversicht der Gerichtsverhandlung entgegensehen könne, und dennoch ging ihm dieses Warten sehr auf die Nerven. Immer wieder ertönte das Trillern der Bootsmannspfeifen und das Stampfen der Seesoldatenstiefel, wenn die Kapitäne und Admiräle, die über ihn zu Gericht sitzen sollten, mit militärischen Ehren empfangen wurden. Dann trat Stille ein, die noch einmal durch das mürrische Dröhnen eines einzelnen, den Beginn der Sitzung ankündigenden Kanonenschusses zerrissen wurde. Bald darauf hörte Hornblower die Kammertür aufgehen.

Calendar kam, um ihn vor seine Richter zu führen.

Später entsann sich Hornblower nur dunkel der Einzelheiten der Verhandlung. Nur einige wenige Eindrücke blieben klar in seinem Gedächtnis haften. Stets konnte er sich das Glitzern der Uniformen vergegenwärtigen, das von den im Halbkreis um den runden Kajütentisch der Victory versammelten Offizieren ausging. Er sah das ehrliche Gesicht Bushs, der mit Nachdruck erklärte, kein Kommandant könne sein Schiff geschickter und entschlossener führen, als es der Herr Kapitän Hornblower bei Rosas getan habe. Es war sehr nett, daß sein von der Admiralität bestallter Verteidiger hervorhob, daß Bush kurz vor der Kapitulation der Sutherland schwer verwundet wurde und somit, da er keinerlei Verantwortung hinsichtlich des Endergebnisses trug, kein mittelbares Interesse daran besaß, den Fall so günstig wie möglich zu gestalten. Da war ferner ein Offizier, der - anscheinend in alle Ewigkeit - Auszüge aus allerlei Berichten und Gutachten vorlas. Die Wichtigkeit des Augenblicks schien ihn verlegen zu machen, denn er murmelte in einer Weise, die den Vorsitzenden derartig ärgerte, daß er einmal selbst zu dem Aktenstück griff und mit seiner näselnden Stimme des Admirals Martin Feststellung vorlas, wonach das Gefecht der Sutherland die spätere Vernichtung des französischen Geschwaders wesentlich erleichtert habe. Seiner persönlichen Auffassung zufolge sei dieser Enderfolg überhaupt nur durch das Verhalten des Kapitäns Hornblower ermöglicht worden. Einige peinliche Minuten gab es, als sich ein Widerspruch in den Signalkladden der Pluto und der Caligula herausstellte, aber dann lächelte alles verständnisvoll, denn einer der Beisitzer wies darauf hin, daß Signalfähnriche zuweilen Fehler zu machen pflegen.

Während der Verhandlungspause erschien ein sehr eleganter Zivilist, der zahlreiche Fragen an Hornblower richtete. Die Farben seines Anzuges verrieten, daß er zur Partei der Whigs gehörte. »Buff and blue« nannte man sie zur damaligen Zeit.

Frere hieß der Besucher, Hookham Frere. Dunkel entsann sich Hornblower, den Namen bereits gehört zu haben. Er war einer der Leitartikler des Anti-Gallican, der dem Premierminister persönlich nahestand und zeitweilig Gesandter bei der nationalen Regierung Spaniens war. Hornblower war leicht befremdet von der Gegenwart eines Mannes, der ein Vertrauter des Kabinetts war, doch wartete er zu ungeduldig auf die Fortführung der Verhandlung, um allzuviel Gewicht auf die Ausführlichkeit seiner Antworten zu legen.

Seine Unruhe steigerte sich zur Qual, als sich das Gericht zur Fällung des Urteilsspruchs zurückzog und er mit Calendar allein zurückblieb. Hornblower empfand wirkliche Furcht. Schwer fiel es ihm, den Gelassenen zu spielen und darauf zu warten, abermals in die geräumige Kajüte gerufen zu werden. Die Minuten schleppten sich dahin. Endlich war es soweit, und er schritt klopfenden Herzens hinüber. Er wusste, daß er blass war.

Dann aber riss er sich zusammen und sah die Richter an.

Allerdings verschwammen die blaugoldenen Uniformen, wie überhaupt das ganze Innere des Raumes im Nebel, so daß Hornblower nichts zu erkennen vermochte als einen kleinen Ausschnitt, der die Mitte des Tisches unmittelbar vor dem Stuhl des Vorsitzenden umfasste. Dort lag sein Ehrendegen, jener Degen im Werte von hundert Guineen, der ihm von der patriotischen Vereinigung verliehen worden war. Die Waffe schien frei in der Luft zu schweben, aber der Griff war ihm zugewandt. Er war also nicht schuldig.

»Herr Kapitän Hornblower«, begann der Vorsitzende, und seine nasale Stimme nahm einen liebenswürdigen Tonfall an, »das Gericht ist einstimmig zu der Überzeugung gelangt, daß Ihre tapfere und einzigartige Verteidigung Seiner Majestät Schiff Sutherland gegen gewaltige Übermacht die größte Anerkennung nicht nur dieses Gerichts, sondern auch des ganzen Landes verdient. Ihr Verhalten sowie jenes der Ihnen unterstellten Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften ehrt nicht nur Sie in höchstem Masse, sondern auch die gesamte Nation. Sie sind daher in ehrenvollster Weise freigesprochen.«

Ein allgemeines zustimmendes Gemurmel erfüllte die Kajüte.

Irgend jemand befestigte den Ehrendegen an seiner Hüfte; ein anderer klopfte ihm auf die Schulter. Plötzlich war auch Hookham Frere da und redete eifrig auf ihn ein.

»Meine herzlichsten Glückwünsche, Sir. Sie sind jetzt bereit, mich nach London zu begleiten? Die Extrapost wartet schon seit sechs Stunden.«

Nur langsam verzog sich der Nebel vor Hornblowers Augen, aber noch immer kam ihm alles traumhaft vor, während er sich an Deck und in die längsseits liegende Gig führen ließ. Jemand brachte ein Hoch auf ihn aus, und Hunderte von Stimmen fielen ein. Die Leute der Victory paradierten und schrien sich heiser dabei. Von allen anderen im Hafen liegenden Schiffen tönten laute Hurras herüber. Dies war Ruhm... dies war der Erfolg. Nur wenigen Kapitänen waren jemals solche Ehrungen zuteil geworden.

»Vielleicht empfiehlt es sich, den Hut abzunehmen, Sir«, tönte Freres Stimme an Hornblowers Ohr, »um damit Ihrem Dank für die Ovationen Ausdruck zu geben.«

Da nahm der Gefeierte den Hut ab und ließ sich die Nachmittagssonne auf den Kopf scheinen, während er verlegen am Heck des Bootes saß. Er versuchte zu lächeln, wusste aber, daß dieses Lächeln hölzern war. Die Tränen waren ihm näher als die Heiterkeit.

Die Gig legte an. Hier am Kai schwoll das Gebrüll an.

Menschen klopften ihm auf die Schultern, Menschen schüttelten seine Hände, indessen eine Abteilung Marineinfanterie ihm fluchend den Weg zur Postkutsche bahnte, deren Pferde inmitten des Höllenlärms bereits anfingen unruhig zu werden. Dann klapperten die Hufe, der Postillon knallte mit der Peitsche, und es ging zum Tor des geräumigen Hofes hinaus.

»Eine höchst befriedigende Gefühlsäußerung sowohl des Publikums als auch der Marine selbst«, meinte Frere und rieb sich die Stirn.

Plötzlich fiel Hornblower etwas ein, was ihn veranlasste, sich stramm aufzurichten.

»Halten Sie bei der Kirche!« schrie er dem Postillon zu.

»Gewiss, Sir«, wunderte sich sein Begleiter. »Darf ich aber wissen, was Sie zu diesem Befehl veranlasst? Ich habe nämlich den ausdrücklichen Befehl Seiner Königlichen Hoheit, Sie ohne jeden Zeitverlust nach London zu bringen.«

»Meine Frau liegt dort begraben«, antwortete Hornblower kurz.

Indessen brachte ihm der Besuch des Grabes keine Befriedigung. Frere stand zappelnd an seiner Seite und blickte wiederholt auf die Uhr. Hornblower zog den Hut und beugte das Haupt vor dem Grabstein, doch fehlte ihm die Möglichkeit innerer Sammlung. Er versuchte ein Gebet zu murmeln. Maria würde sich darüber gefreut haben, denn immer wieder hatte ihr sein Freidenkertum Kummer bereitet. Frere vermochte seine Ungeduld kaum noch zu beherrschen.

»Also fahren wir weiter!« sagte Hornblower. Er drehte sich auf dem Absatz herum und schritt dem anderen voraus zum Wagen.

Strahlend schien die Sonne hernieder, als sie die Stadt hinter sich ließen und das entzückende Grün der Bäume die weitgestreckte Dünenlandschaft belebte. Hornblower merkte selbst, daß er ein paarmal heftig schluckte. Dies war sein Vaterland, für das er achtzehn Jahre lang gekämpft hatte, und während er tief aufatmend umherblickte, fühlte er, daß die Heimat solchen Kampfes wert war.

»Ein mächtiger Dusel für das Ministerium«, sagte Frere;

»diese Ihre Flucht aus Frankreich. Etwas Derartiges war dringend nötig. Obwohl Wellington erst vor kurzem Almeida eroberte, fing das Publikum an ungehalten zu werden. Früher hatten wir ein Ministerium der Köpfe, und jetzt gibt es im Kabinett überhaupt keinen Kopf. Ich weiß wirklich nicht, was Castlereagh und Canning einfiel, als sie ihr Duell ausfochten.

Der Vorfall hat uns fast zugrunde gerichtet. Und dann Gambiers Versagen vor der nordspanischen Küste. Cochrane lässt keine Gelegenheit vorübergehen, ohne sich im Unterhaus missliebig zu machen. Übrigens, haben Sie selbst schon mal daran gedacht, Parlamentsmitglied zu werden? Na, darüber lässt sich noch reden, wenn Sie in Downing Street waren. Vorläufig genügt's, daß Sie der Menge Grund zum Hurraschreien boten.«

Mr. Frere schien vieles für selbstverständlich zu halten; so zum Beispiel, daß Hornblower mit ganzem Herzen auf der Seite der Regierung stand und daß er nur deswegen bei Rosas gekämpft und dann seine Flucht aus Frankreich bewerkstelligt hatte, um ein Dutzend Politiker in ihren Ämtern zu erhalten.

Hornblowers Stimmung wurde durch solchen Eindruck nicht gehoben. Schweigend lauschte er dem Rollen der Räder.

»Seine Königliche Hoheit macht uns das Dasein nicht leichter«, fuhr Frere fort. »Er setzte uns zwar nicht an die Luft, als er die Regentschaft übernahm, aber er ist uns auch nicht wohlgesinnt; die gesetzliche Regelung der Regentschaft gefiel ihm keineswegs. Denken Sie daran, wenn Sie ihn morgen sehen.

Auch liebt er ein wenig Schmeichelei. Wenn Sie ihn glauben machen können, daß Sie Ihren Erfolg den belebenden Beispielen Seiner Königlichen Hoheit und des Mr. Spencer Perceval verdanken, kann es Ihnen nicht schaden. Wo sind wir hier? In Horndean?«

Die Postkutsche kam vor einem Wirtshaus zum Halten, und die Stallknechte brachten ein frisches Gespann herbei.

»Sechzig Meilen von London«, bemerkte Mr. Frere. »Wir kommen gerade zur Zeit.«

Inzwischen hatte das Personal des Gasthauses eifrig den Postillon ausgefragt. Landarbeiter gesellten sich dazu und ein wandernder Kesselflicker. Sie alle glotzten Hornblower an. Und dann kam noch eilig jemand aus der Gaststube herbei. Sein rotes Gesicht, die Seidenkrawatte und die ledernen Hosen schienen ihn als den örtlichen Squire zu kennzeichnen.

»Freigesprochen, Sir?« fragte er.

»Aber selbstverständlich«, erwiderte Frere sofort. »Mit allen Ehren.«

»Ein Hurra für Hornblower!« schrie der Rastelbinder, der vor Begeisterung den Hut in die Luft warf. Der Squire schwenkte die Arme, und die Feldarbeiter stimmten in das Hurra ein.

»Nieder mit Boney!« rief Frere. »Weiterfahren!«

»Es ist überraschend, welches Aufsehen Ihr Fall erregt hat«, bemerkte Frere eine Minute später, »wenn man auch erwarten durfte, daß die Teilnahme entlang der Portsmouther Landstrasse am lebhaftesten sein würde.«

»Ja.«

»Ich erinnere mich noch daran«, plauderte Frere, »wie der Mob nach dem Eintreffen der Nachrichten von Cintra brüllte, man solle Wellington hängen, ersäufen und vierteilen. Ich dachte damals, es sei um uns geschehen. Zum Glück rettete das Kriegsgericht die Lage; gerade so wie es jetzt in Ihrer Angelegenheit der Fall sein wird. Sie erinnern sich an Cintra?«

»Ich führte zu jener Zeit eine Fregatte im Stillen Ozean«, antwortete Hornblower kurz.

Er ärgerte sich fast ein wenig über sich selbst, daß ihm sowohl die Huldigung der Menge als auch die Schmeicheleien des Politikers missfielen.

»Immerhin«, meinte Frere, »es schadet nichts, daß Leighton bei Rosas tödlich verwundet wurde. Nicht als ob ich ihm Schlechtes wünschte, aber die Bande der Schreier wurde dadurch zunächst mundtot gemacht. Andernfalls wäre unsere Lage vermutlich sehr kritisch geworden. Wie ich höre, kennen Sie seine Witwe.«

»Ich habe die Ehre, ihr bekannt zu sein.«

»Eine entzückende Frau für jene, die für ihren Typ etwas übrig haben. Übrigens ist sie als Bindeglied zwischen ihrer Familie und den Freunden ihres verstorbenen Gatten sehr einflussreich.«

»Ja«, sagte Hornblower.

Alle Freude an seinem Erfolg schwand aus seinem Herzen.

Selbst der strahlende Sonnenschein dieses Nachmittags schien etwas von seinem Glanz einzubüssen.

»Jenseits der nächsten Bodenwelle liegt Petersfield«, bemerkte Frere. »Ich nehme an, daß es dort viele Menschen geben wird.«

Er sollte recht haben. Vor dem Roten Löwen warteten bereits zwanzig bis dreißig Neugierige, und andere drängten herzu. Alle wollten wissen, wie das kriegsgerichtliche Urteil lautete.

Abermals gab es donnernde Hochrufe, und Mr. Frere nahm die Gelegenheit wahr, um ein paar gute Worte für die Regierung einzuflechten.

»Die Zeitungsleute sind's«, brummte Frere, als sie mit frischem Vorspann weiterfuhren. »Ich wollte, wir könnten's so machen wie Bonaparte und sie dazu zwingen, nur das zu schreiben, was uns passt. Die Emanzipation, die Reform und die Marinepolitik, überall will heutzutage die Menge mitreden.«

Hornblower hatte keinen Blick mehr für die Schönheiten der Landschaft. Heimlich wünschte er, noch ein unbekannter Kapitän zu sein, der sich irgendwo draußen in See mit den atlantischen Stürmen herumschlug. Jede Umdrehung der Räder brachte ihn Barbara näher, und dennoch war er sich des unklaren, krankhaften Verlangens bewusst, als unbekannter und uninteressierter Mann zu Maria zurückzukehren.

Die Menge, die ihn in Guildford feierte - es war Markttag gewesen -, stank nach Schweiß und Bier. Eine Wohltat war es ihm, daß Frere gegen Abend zu plaudern aufhörte und ihn seinen Gedanken überließ, mochten diese auch niederdrückend sein.

Es begann zu dunkeln, als sie in Esher abermals die Pferde wechselten.

»Es ist ein befriedigender Gedanke, daß uns kein Strolch und kein Wegelagerer etwas anhaben kann«, lachte Frere. »Wir brauchen nur den Namen des Helden des Tages zu nennen, dann lässt man uns ungeschoren.«

Tatsächlich blieben sie unbehelligt. Bei Putney ging es über den Fluss, und dann wurden beiderseits der Strasse die Häuser immer zahlreicher.

»Downing Street No. 10, Schwager!« rief Frere dem Postillon zu,.

Woran sich Hornblower in der nun folgenden Unterredung am deutlichsten entsann, waren die von Frere dem Premierminister zugeflüsterten und nicht für Hornblowers Ohren bestimmten Worte: »Er ist zuverlässig.« Der Besuch dauerte nur zehn Minuten und verlief beiderseits zurückhaltend. Offenbar war Perceval nicht in sehr mitteilsamer Stimmung. Ihm schien es in erster Linie darauf anzukommen, sich ein Bild von diesem Seeoffizier zu formen, der ihm möglicherweise beim Prinzregenten oder beim Volk zu schaden vermochte.

Hornblower gewann keinen sonderlich angenehmen Eindruck von diesem Vorsitzenden der britischen Regierung.

»Jetzt zum Kriegsministerium!« rief Frere. »Gott im Himmel, was müssen wir uns plagen!«

London roch nach Pferden, und Hornblower entsann sich, daß es Männern, die frisch von der See kamen, stets so vorkam. Die Lichter Whitehalls schienen auffallend hell zu sein. Im Kriegsministerium wurde er von einem jungen Lord empfangen, der ihm auf den ersten Blick sehr gut gefiel. Palmerston hieß der Unterstaats-Sekretär. Er stellte eine ganze Reihe intelligenter Fragen, die sich auf die Stimmung in Frankreich, die letztjährige Ernte und auf Einzelheiten der Flucht Hornblowers bezogen. Er nickte zustimmend, als Hornblower es ablehnte, den Namen des Mannes zu nennen, der ihn beherbergt hatte.

»Selbstverständlich«, meinte er. »Sie fürchten, daß irgendein Idiot nicht den Mund halten könnte und Ihr Wohltäter infolgedessen erschossen würde. Vermutlich würde das geschehen. Ich werde Sie daher nur dann danach fragen, wenn es für uns von größter Wichtigkeit sein sollte, aber dann könnten sie sich auf unsere Verschwiegenheit verlassen. Und was wurde aus jenen Kettensträflingen?«

»Der Erste Offizier der Triumph presste sie zum Marinedienst, Mylord.«

»Dann sind sie also seit drei Wochen Matrosen an Bord eines Schiffes Seiner Majestät? Nun, ich glaube, ich wäre lieber Galeerensklave.«

Hornblower freute sich, daß er jemanden in so hoher Stellung kennenlernte, der Verständnis für die Härten des Dienstes aufbrachte.

»Ich werde bei der Admiralität durchdrücken, daß sie entlassen und hierhergebracht werden, denn ich habe eine bessere Verwendung für die Leute«, erklärte Lord Palmerston.

Ein Diener brachte ein Briefchen, das der Unterstaatssekretär sofort öffnete.

»Seine Königliche Hoheit befiehlt Sie zu sich«, sagte er. »Ich danke Ihnen für Ihren Besuch, Herr Kapitän. Hoffentlich werde ich binnen kurzem abermals das Vergnügen haben, Sie zu sehen.

Droben im Norden hat es Arbeiterunruhen gegeben, und im Unterhaus hat die Linke Spektakel gemacht. Ihr Eintreffen kommt daher sehr gelegen. Guten Abend, Herr Kapitän.«

Diese letzten Worte verdarben den ganzen Eindruck. Lord Palmerston, der einen neuen Feldzug gegen Bonaparte plante, gewann Hornblowers Hochachtung, aber Lord Palmerston, der in der gleichen Weise wie Frere die innerpolitischen Folgen der Rückkehr Hornblowers abwog, verlor sie wieder.

»Was wünscht Seine Königliche Hoheit denn von mir?« fragte er, als sie wieder die Treppen hinunterstiegen.

»Das soll eine Überraschung für Sie sein«, erwiderte Frere verschmitzt. »Vielleicht müssen Sie sogar bis zum morgigen Lever warten, um dahinterzukommen. Zu so vorgerückter Stunde ist unser Prinny, unser Prinzregent, zuweilen nicht nüchtern genug. Überhaupt werden Sie merken, daß man des Taktgefühls bedarf, wenn man ihm gegenübersteht.«

Etwas verwirrt dachte Hornblower daran, daß er erst heute früh in völliger Ungewissheit dem Spruch des Kriegsgerichts entgegengesehen hatte. So viel war heute bereits geschehen. Die Erlebnisse überstürzten sich. Elend und bedrückt fühlte er sich.

Und Lady Barbara und sein Söhnchen weilten in der Bond Street, wenige hundert Meter von ihm entfernt.

»Wie spät ist es eigentlich?« fragte er.

»Zehn Uhr. Der junge Palmerston macht lange Arbeitsstunden im Kriegsministerium. Er hat einen unbändigen Schaffensdrang.«

»Hm.«

Gott mochte wissen, wann er wieder den Palast verlassen durfte. Jedenfalls musste er bis morgen warten, ehe er in der Bond Street vorsprechen konnte. Vor dem Portal des Ministeriums wartete ein Wagen. Kutscher und Diener trugen die königlichen Livreen.

»Vom Lordkanzler geschickt«, erläuterte Frere. »Nett von ihm.«

Er schob Hornblower ins Innere und stieg selbst ein.

»Sind Sie Seiner Königlichen Hoheit schon jemals begegnet?« erkundigte er sich.

»Nein.«

»Aber Sie waren bereits bei Hofe?«

»An zwei Levers nahm ich teil. Im Jahre 98 wurde ich dem König Georg vorgestellt.«

»Ah! Prinny ähnelt seinem Vater sehr wenig. Vermutlich kennen Sie aber Clarence, wie?«

»Ja.«

Der Wagen hielt vor einem hellerleuchteten Portal. Eine ganze Gruppe von Lakaien eilte herbei, ihnen behilflich zu sein.

In der glitzernden Vorhalle ließ jemand, der eine Uniform anhatte und einen weißen Stab in der Hand hielt, prüfend den Blick über Hornblowers Erscheinung gleiten.

»Hut unter den Arm«, flüsterte er. »Bitte mir zu folgen.«

»Herr Kapitän z. S. Hornblower, Mr. Hookham Frere«, meldete eine Stimme.

Der saalartige Raum erstrahlte im Licht unzähliger Kerzen.

Am Ende des langgestreckten polierten Fußbodens befand sich eine Gruppe mit goldenen Tressen und Juwelen geschmückter Menschen. Ein Herr in Marineuniform kam den Eintretenden entgegen. Der quelläugige Herzog von Clarence war es, dessen Kopf an eine Ananas denken ließ.

»Sieh da, Hornblower«, sagte er mit ausgestreckter Hand.

»Willkommen in der Heimat.«

Hornblower verneigte sich.

»Lassen Sie sich vorstellen. Dies ist Kapitän Hornblower, Sir.«

»'n Abend, Kap'tän.«

Feist, ganz hübsch, aber liederlich, weich und schlau, das war die Reihenfolge der von Hornblower gewonnenen Eindrücke, während er seine tiefe Verbeugung machte. Die spärlichen Locken waren offenbar gefärbt. Die feuchten Augen und die geröteten Hängebacken deuteten darauf hin, daß Seine Königliche Hoheit gut gespeist hatten, was Hornblower nicht von sich behaupten konnte.

»Alle Welt redet von Ihnen, Kap'tän, seitdem Ihr Kutter - wie hieß er doch gleich? - in Portsmouth einlief.«

»Wirklich, Königliche Hoheit?«

»Jawohl und verdammich, das gehört sich auch so. Das gehört sich weiß Gott auch so, Kap'tän. Beste Leistung, von der ich jemals hörte. Hätt's verdammich selbst nicht besser machen können. Holla, Conyngham, übernehmen Sie die Vorstellung.«

Hornblower verneigte sich pflichtschuldigst vor Lady X und Lady Y, vor Lord Sowieso und Sir John Wiesowie. Stolze Augen und bloße Arme, wundervolle Kleider und blaue Bänder des Hosenbandordens bewegten sich vor seinen Augen. Es kam ihm zum Bewusstsein, daß die vom Bordschneider der Victory angefertigte Uniform recht unelegant war.

»Na, nun wollen wir den Fall erledigen«, sagte der Prinz.

»Ruft die Kerls rein.«

Jemand breitete einen Teppich aus, ein anderer brachte ein Kissen und etwas Funkelndes herbei. Würdevoll schritten drei in rote Mäntel gehüllte Männer herein. Jemand ließ sich auf ein Knie nieder, um dem Prinzen ein Schwert zu reichen.

»Knien Sie, Sir«, sagte Lord Conyngham zu Hornblower.

Er fühlte die Akkolade und vernahm die feierlichen Worte, die ihn zum Ritter machten. Doch als er sich ein wenig verwirrt erhob, war die Zeremonie noch keineswegs beendet. Es musste ihm noch ein breites Band über die Schulter gelegt, ein Stern auf die Brust geheftet werden. Dann bekleidete man ihn mit einem roten Mantel; er hatte einen Eid nachzusprechen, und schließlich musste noch eine Urkunde unterzeichnet werden. Er war nun ein Ritter des Bath-Ordens, wie jemand mit lauter Stimme verkündete. Er war Sir Horatio Hornblower und würde bis zum Ende seiner Tage Ordensband und Stern tragen. Schließlich nahm man ihm den Mantel wieder ab, und die Offiziale des Ordens zogen sich zurück.

»Gestatten Sie, daß ich Ihnen als erster gratuliere, Sir Horatio«, sagte der Herzog von Clarence vortretend. Sein kindlich einfältiges Gesicht lächelte gutmütig.

Hornblower dankte. Als er sich verbeugte, pendelte der Ordensstern gegen seine Brust.

»Meine besten Wünsche, lieber Oberst«, nickte der Prinzregent.

Hornblower merkte, daß sich aller Blicke ihm zuwandten.

Erst daraus ersah er, daß sich der Prinz nicht lediglich versprochen hatte.

»Königliche Hoheit?« sagte er daher fragend, wie man es von ihm zu erwarten schien.

»Seine Königliche Hoheit haben gnädigst geruht, Sie zum Obersten seiner Marineinfanterie zu ernennen«, erläuterte der Herzog.

Ein Oberst der Marineinfanterie bezog ein Jahresgehalt von zwölfhundert Pfund, ohne dafür Dienst zu tun. Man pflegte erfolgreiche Kapitäne in dieser Weise zu belohnen, um ihnen die Jahre bis zur Ernennung zum Flaggoffizier zu erleichtern.

Hornblower dachte daran, daß er bereits sechstausend Pfund besaß. Nun traten jährlich noch zwölfhundert Pfund hinzu, abgesehen von dem Halbsold des Kapitäns z. S., den er auf alle Fälle bezog, solange er nicht wieder eine aktive Dienststelle erhielt. Zum erstenmal in seinem Dasein war er daher aller Wirtschaftssorgen ledig. Er besaß einen Titel, Ordensband und Stern. Er hatte alles erreicht, wovon er jemals träumte.

»Der arme Mensch ist ganz betäubt!« lachte der Regent laut und vergnügt.

»Ich bin in der Tat überwältigt, Königliche Hoheit«, versicherte Hornblower, der seine Gedanken wieder auf die unmittelbare Gegenwart zu lenken suchte. »Ich weiß wirklich nicht, wie ich Euer Königlichen Hoheit danken soll.«

»Dadurch, daß Sie sich am Spiel beteiligen. Ihr Eintreffen unterbrach eine verdammt interessante Partie. Läuten Sie mal die Glocke da, Sir John, und lassen Sie Wein kommen. Nehmen Sie hier Platz neben Lady Jane, Kap'tän. Sie haben doch sicherlich Lust auf ein Spielchen, wie? Ja, ich weiß schon, Hookham... Sie wollen ausreißen und John Walter erzählen, daß ich meine Pflicht getan habe. Können ihm gleich sagen, daß er einen von seinen verdammten Leitartikeln schreibt und dafür sorgt, daß meine Zivilliste erhöht wird; bei Gott, ich arbeite hart genug dafür! Ich sehe aber nicht ein, weswegen Sie uns obendrein den Kap'tän entführen wollen. Na, also meinetwegen, verdammt noch mal. Sie können ebenfalls gehen, wenn Sie wollen.«

»Ich dachte nicht, daß Sie gern Hasard spielen«, meinte Frere, als sie wieder sicher im Wagen saßen. »Ich persönlich würde jedenfalls nicht den geringsten Wert darauf legen, mit Prinny zu spielen, wenn er seine eigenen Würfel benützt. Na, und wie kommen Sie sich denn vor als Sir Horatio?«

»Passt mir ausgezeichnet.« Hornblower suchte sich gerade über die Anspielung des Regenten auf John Walter klarzuwerden. Der Genannte war Herausgeber der Times, und es begann ihm zu dämmern, daß die Ernennung zum Ritter des Bath-Ordens ebenso wie die Beförderung zum Obersten der Seesoldaten wichtige Neuigkeiten darstellten. Wahrscheinlich hatten sie innerpolitische Bedeutung; daher die Hast, mit der jene Auszeichnungen vorgenommen worden waren. Das zweifelnde Publikum wurde davon überzeugt, daß die Seeoffiziere der Regierung große Taten vollbrachten. Dieser Ritterschlag stellte im Grunde genommen einen ähnlichen politischen Schachzug dar, wie Bonaparte ihn mit seiner wegen angeblicher Verletzung der Gesetze der Kriegsführung erfolgenden Erschießung geplant hatte. Diese Erkenntnis wirkte als Dämpfer auf Hornblowers Freude.

»Ich nahm mir die Freiheit, ein Zimmer im›Golden Cross‹für Sie reservieren zu lassen«, hörte er Hookham Frere sagen. »Man erwartet Sie dort. Ihr Gepäck habe ich bereits hinschicken lassen. Soll ich den Wagen dort halten lassen, oder wollen Sie erst noch zu Fladon?«

Hornblower wünschte allein zu sein. Der Gedanke an einen Besuch des bekannten Marine-Cafes besaß heute keinen Reiz für ihn, obwohl er seit fünf Jahren nicht dort gewesen war.

Überdies machte ihn der Schmuck von Stern und Ordensband plötzlich verlegen. Im Hotel war es wirklich schon schlimm genug. Der Wirt und das gesamte Personal wetteiferten darin, ihn mit »Gewiss, Sir Horatio« oder »Nein, Sir Horatio« zu umdrängen und ihn im feierlichen Zug unter dem Vorantragen von Leuchtern zu seinem Zimmer zu geleiten. Selbst dort noch sorgten sie in geschäftiger Weise dafür, daß er alles hatte, wessen er benötigte, während er sich in Wirklichkeit nur danach sehnte, zufrieden gelassen zu werden.

Mit dem Frieden wurde es aber sowieso nichts. Wohl war er ins Bett gestiegen, wohl löschte er durch eine Willensanstrengung alle Erinnerungen an die wilden Geschehnisse des Tages aus, doch brachte er es nicht fertig, die Gedanken davon abzulenken, daß er morgen sein Söhnchen und Lady Barbara sehen werde. Er verbrachte eine ruhelose Nacht.