Lautenthal, 31. Dezember 2010

 

Das kleine Bergstädtchen wirkte wie ein Ort aus dem Märchenbuch. Dächer, Bäume und Hänge sahen aus, als hätte jemand Puderzucker darauf gestreut. Die Kinder hatten ihren Spaß beim Rodeln, während die alten Leute fluchten, wenn sie eine steile Straße oder einen Weg passieren mussten, wo nicht gestreut war. Winter im Harz. Das bedeutet meistens: Schnee. Lilly verlies ihr Haus nur noch, um einzukaufen. Sie schlitterte mit ihrem Auto die Straße hinunter und hatte manchmal, wenn gerade wieder frischer Schnee gefallen war, Schwierigkeiten, die Straße hoch zu ihrem Haus zu fahren. Aber das sollte sie heute nicht mehr kümmern. Sie hatte alle Einkäufe längst erledigt, Lebensmittel und Getränke besorgt, die für zwei Fußballmannschaften gereicht hätten. Nun konnte die Party steigen. Sie erwartete Amadeus und Marie, Klaus aus Hannover, Hans Gutbrodt, Manfred Wiebe und ihren Freund Eddy. Morgens kam Marie, um ihr bei den Vorbereitungen zu helfen. Es wurde eine riesige Schüssel Heringssalat gemacht und mittlerweile war man mit Krapfenbacken beschäftigt. Das war ein Silvester nach ihrem Geschmack. Sie hatte gern Leute um sich, vor allem auch jüngere.

»So, Marie, mit dem Backen sind wir gleich fertig. Dann können wir noch das Wohnzimmer schmücken. Ich habe Luftschlangen, Luftballons und einiges mehr. Wenn der Besuch kommt, soll alles fertig sein.«

»Mein Gott, Lilly, was du alles auf die Beine stellst! Ist dir das auch wirklich nicht zu viel?«

»Ach Mädchen, ausruhen kann ich mich noch so lange, wenn ich tot bin. Aber bis dahin will ich noch ein bisschen Spaß haben. Vor allem sollten wir uns durch all den Mist, der in diesem Jahr über uns hereingebrochen ist, das Leben nicht verdrießen lassen. Jetzt erst recht!«

»Das ist die richige Einstellung, Lilly. Mit deiner Hilfe habe ich die Entführung mittlerweile auch einigermaßen überstanden. Ganz überstehen kann man das aber wohl nur, wenn der Saukerl endlich hinter Schloss und Riegel sitzt.«

»Ja, es ist schon merkwürdig, dass solch ein fähiger Polizist wie Kommissar Schneider immer noch keinen Erfolg zu verzeichnen hat.«

Schließlich ging Lilly in den Keller und kam mit einem großen Weidenkorb zurück, den sie vor der überdachten Haustür abstellte. Er enthielt allerlei Knallkörper und Feuerwerk. Zum Teil unverbrauchte Ware aus dem letzten Jahr, zum Teil neu gekaufte. Sie liebte Feuerwerk und Knaller und es war ihr egal, wenn es Leute gab, die sich aufregten, was für ein Geld sie dafür ausgab. Viele Leute im Ort richteten ihren Blick um Mitternacht gen Schulberg, weil sie genau wussten, wer dort die schönsten Raketen startete und den meisten Krach veranstaltete.