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Ein Versuch über das materielle
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ersetzungen von hedwig Lachmann
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Edgar AllAn poe
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Ein Versuch über das materielle
und
geistige Weltall
Als Vorlage diente Edgar Poe, Heureka und Romantische Erzählungen.
Übersetzt von Hedda Moeller-Bruck und Hedwig Lachmann.
Minden, J. C. C. Bruns 922, Band 2 von 5, aus Milalis’ Bibliothek.
Heureka übersetzt von Hedwig Lachmann.
© eBOOK-Bibliothek 2004 für diese Ausgabe
Den wenigen, die mich lieben und die ich liebe – denen, die
fühlen, mehr als denen, die denken – den Träumern und de-
nen, die an Träume als an die einzigen Wirklichkeiten glau-
ben – ihnen widme ich dieses Buch Wahrheiten, nicht als
Gefäß der Wahrheit, nur um der Schönheit willen, die aus
seiner Wahrheit strömt – die es zur Wahrheit erhebt. Diesen
überreiche ich meine Arbeit allein als Kunstwerk – sagen wir
als Märchen; oder, wenn der Anspruch nicht zu stolz wäre, als
Gedicht.
Was ich hier vortrage, ist wahr – und so kann es nicht ster-
ben; oder wenn es irgendwie jetzt zertreten würde, so daß es
stürbe, so wird es »wieder erstehen zum ewigen Leben«.
Indessen wünsche ich trotzdem: lediglich als Gedicht möge
dies Werk beurteilt werden, wenn ich tot bin.
Zögernd und bescheiden – ja, mit einem Gefühl der Scheu –
schreibe ich den ersten Satz dieses Werkes nieder; denn mein
Gegenstand ist der feierlichste von allen, die man ersinnen
kann, der umfassendste, der schwierigste, der erhabenste.
Wie soll ich die Worte finden, einfach genug in ihrer Herr-
lichkeit – herrlich genug in ihrer Einfachheit –, um nur mein
Thema zusammenzufassen?
Ich will von dem physischen, metaphysischen und mathema-
tischen, vom materiellen und geistigen Weltall sprechen; von
seinem Wesen und Ursprung, seiner Schöpfung, seinem gegen-
wärtigen Zustand und seiner Zukunft. Zudem bin ich ver-
wegen genug, zu Folgerungen herauszufordern, durch deren
Aussagen der Scharfsinn vieler großer und mit Recht verehrter
Gelehrter in Frage gestellt wird.
Zu Beginn möchte ich so scharf wie möglich – nicht die
Theorie verkünden, die ich zu beweisen hoffe, denn, die Ma-
thematiker mögen behaupten, was sie wollen, es gibt, in dieser
Welt wenigstens, durchaus nicht so etwas wie einen Beweis;
nur den leitenden Gedanken möchte ich aussprechen, zu dem
ich dieses ganze Buch hindurch den Leser verführen will.
Meine allgemeine Behauptung also ist: In der ursprünglichen
Einheit des ersten Dinges liegt die Ursache aller Dinge mit der
Anlage zu ihrer unvermeidlichen Vernichtung.
Um sich diesen Gedanken anschaulich zu machen, schlage
ich vor, das Weltall dergestalt mit den Blicken zu umfassen,
daß der Geist imstande ist, den Eindruck eines Individuums
zu erhalten, zu gewahren.
Wer vom Gipfel des Ätna seine Augen gemächlich um-
herschweifen läßt, wird hauptsächlich von der Ausdehnung
und Verschiedenartigkeit des Bildes berührt. Nur wenn er sich
schnell auf dem Absatz herumdrehte, könnte er hoffen, das
Panorama in der Herrlichkeit seines Einsseins zu erfassen.
Aber da noch niemand daran gedacht hat, sich auf der Spitze
des Ätna auf dem Absatz herumzudrehen, so hat noch nie-
mand die volle Einheit des Anblicks in sein Hirn aufgenom-
men; und so hinwiederum haben die mannigfachen Betrach-
tungen, die in dieser Einheit liegen, bisher noch kein wirksa-
mes Dasein für die Menschheit gehabt.
Ich kenne überhaupt keine Untersuchung, in der ein Über-
blick über das Weltall – dies Wort in seiner umfassendsten und
einzig berechtigten Bedeutung genommen – gegeben würde;
und es mag schon hier erwähnt werden, daß ich überall in
diesem Versuch, wo ich das Wort »Weltall« ohne besonderen
Zusatz anwende, das Folgende damit ausdrücken will: die
denkbar weiteste Ausdehnung des Raumes, einbegriffen alle gei-
stigen und materiellen Dinge, deren Existenz man sich innerhalb
der Grenzen dieser Ausdehnung vorstellen kann. Wenn ich da-
gegen von dem spreche, was gewöhnlich unter dem »Weltall«
verstanden wird, wähle ich die einschränkende Bezeichnung
»das Sternenweltall«. Aus dem Folgenden wird man ersehen,
weshalb diese Unterscheidung notwendig scheint.
Doch selbst unter den Untersuchungen, die sich mit dem
tatsächlich begrenzten, wenn auch angeblich unbegrenzten
Sternenweltall beschäftigen, kenne ich keine, in der ein Über-
blick auch nur über dieses begrenzte All so gegeben würde, daß
man daraus auf seine Individualität zu schließen berechtigt
wäre. Am nächsten kommt einem solchen Werk der »Kosmos«
Alexander von Humboldts. Jedoch stellt er den Gegenstand
nicht in seiner Individualität dar, sondern in seiner mannig-
faltigen Ganzheit. Sein Thema in seinem letzten Ergebnis ist
das Gesetz eines jeden Teils des bloß körperlichräumlichen
Weltalls, so wie dies Gesetz verknüpft ist mit den Gesetzen
eines jeden anderen Teiles dieses bloß körperlichräumlichen
Alls. Bei ihm handelt es sich nur um die Verknüpfung und
das Verschleifen des Mannigfaltigen. Mit einem Wort: er er-
örtert die Gesamtheit der materiellen Beziehungen und ent-
hüllt dem Auge der Philosophie alle Folgerungen, die bisher
hinter dieser Gesamtheit verborgen gelegen haben. So erstaun-
lich er jedoch in gedrängtem Überblick jeden Punkt seines
Gegenstandes behandelt hat, die bloße Menge dieser Punkte
bringt notwendigerweise ein Anwachsen des Details und so
ein Verkümmern des Gedanklichen mit sich, so daß keinerlei
Eindruck von Individualität aufkommen kann.
Mir scheint, wenn wir dieses Ziel, und damit die Folgerun-
gen, Schlüsse, Eindrücke, Spekulationen oder, wenn sich
nichts Besseres bietet, bloß die Vermutungen erlangen wollen,
die sich daraus ergeben, dann tut uns so etwas not wie ein gei-
stiges Auf-dem-Absatz-Herumdrehen. Wir brauchen eine so
stürmische Bewegung aller Dinge um den Mittelpunkt des
Schauens, daß das Unbedeutende völlig verschwindet und das
Auffallende sich in eins vermengt. In einem Überblick dieser
Art befänden sich unter den verschwindenden Einzelheiten
alle ausschließlich irdischen Angelegenheiten. Die Erde würde
nur in ihren Planetenbeziehungen beachtet. In dieser Schau
wird der Mensch zur Menschheit, ein Glied in der kosmischen
Familie geistbegabter Wesen.
Bevor wir nun zu unserm eigentlichen Gegenstand über-
gehen, möchte ich die Aufmerksamkeit des Lesers auf einen
oder zwei Auszüge aus einem recht bemerkenswerten Brief
lenken, der sich anscheinend wohlverkorkt in einer Flasche be-
fand, die auf dem Mare Tenebrarum umherschwamm – einem
Ozean, den der nubische Geograph Ptolemäus Hephästion
gut beschrieben hat, der aber in unserer Zeit nur noch we-
nig befahren wird, es sei denn von den Transzendentalisten
und ähnlichen Grillenfischern. Das Datum dieses Briefes, ich
muß es gestehen, erregt mein Erstaunen fast noch mehr als
sein Inhalt; denn er scheint im Jahre 2848 geschrieben. Ich
denke, die Stellen, die ich hier abschreibe, sprechen für sich
selbst.
»Weißt Du, lieber Freund,« sagt der Schreiber des Briefes,
der ohne Zweifel an einen Zeitgenossen gerichtet ist, »weißt
Du, daß es kaum acht- oder neunhundert Jahre her ist, seit
die Metaphysiker sich zum erstenmal dazu verstanden, die
Menschheit aus dem Bann der sonderbaren Einbildung zu las-
sen, es führten nur zwei gangbare Wege zur Wahrheit? Glaube
es, wenn Du kannst! Es ist aber wirklich Tatsache, daß viel,
viel früher, in der Nacht der Zeiten, ein türkischer Philosoph
lebte, der Aries hieß und den Beinamen Trottel führte.« (Hier
meint der Briefschreiber wahrscheinlich Aristoteles; die besten
Namen werden in zwei- oder dreitausend Jahren heillos kor-
rumpiert.) »Der Ruhm dieses großen Mannes ist hauptsäch-
lich darauf zurückzuführen, daß er bewiesen hat, das Niesen
sei eine natürliche Vorkehrung, mit deren Hilfe übergeschei-
te Denker imstande wären, ihre überschüssigen Gedanken
durch die Nase auszutreiben; aber er erlangte eine fast eben-
so bedeutende Berühmtheit als Begründer oder jedenfalls
Hauptverbreiter dessen, was man die deduktive Philosophie
oder die Philosophie a priori nannte. Er ging von etwas aus,
was nach seiner Behauptung Axiome oder selbstevidente
Wahrheiten waren, und die Tatsache, die jetzt allgemein an-
erkannt ist, daß keine Wahrheiten sich von selbst verstehen,
beeinträchtigte seine Spekulationen nicht im geringsten; für
seinen Zweck genügte es, daß die fraglichen Wahrheiten
überhaupt evident waren. Aus diesen Axiomen zog er auf logi-
schem Wege seine Schlüsse. Seine berühmtesten Schüler wa-
ren ein gewisser Neuclid, ein Geometer« (gemeint ist Euclid),
»und ein gewisser Kant, ein Deutscher, der Schöpfer der be-
sonderen Art Transzendentalismus, die nach seinem Namen
benannt ist, wenn man nur aus dem K ein C macht.*
Dieser Aries Trottel herrschte nun unumschränkt bis zum
Auftauchen eines gewissen Hog** mit dem Beinamen ›Ettrick
Shepherd‹ der ein völlig abweichendes System lehrte, das er die
Philosophie a posteriori oder die induktive Philosophie nann-
te. Sein Verfahren ging ganz und gar auf die Sinne zurück. Er
ging so zu Werke, daß er Tatsachen – die man ab und zu affek-
* Kant wird dann zu Cant (cant bedeutet sowohl Scheinheiligkeit als auch Jargon).
** hog bedeutet Schwein; Anspielung auf Bacon de Verulam (bacon –
Schweinespeck). (Anmerkungen des Übersetzers)
tierterweise instantia naturae nannte – beobachtete, analysier-
te und klassifizierte. Kurz gesagt, während die Methode Aries
Trottels die Noumena als Grundlage nahm, stützte sich Hog
auf die Phänomena; und die Bewunderung, die dieses letztere
System hervorrief, war so groß, daß Aries bei seinem ersten
Auftreten der allgemeinen Verachtung verfiel. Schließlich
aber gewann er wieder an Boden und erlangte es, das Reich
der Philosophie mit seinem moderneren Nebenbuhler teilen
zu dürfen; die Gelehrten begnügten sich nämlich damit, alle
andern Bewerber der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft
zu verpönen; allen Kontroversen über die Topik setzten sie
ein Ende durch die Verkündung eines Wegerechts, in dem
bestimmt wurde, daß die Aristotelischen und Baconischen
Wege die einzig möglichen und einzig rechtmäßigen Zugänge
zur Erkenntnis seien: » ›Baconisch‹, mußt Du wissen, lieber
Freund,« so fügt der Briefschreiber an dieser Stelle hinzu, »ist
ein Adjektiv, das gleichbedeutend ist mit ›Hogisch‹, aber vor-
nehmer und schöner klingt.
Nun kannst Du Dich bestimmt darauf verlassen,« so fährt
die Epistel fort, »daß ich diese Dinge durchaus richtig und
loyal darstelle, und du kannst Dir denken, wie solche Ein-
schränkungen, deren Torheit ohne weiteres einleuchtet, dazu
führen mußten, den Fortschritt wahrer Wissenschaft zu hem-
men, deren wertvollster Gewinn – wie die Geschichte überall
zeigt – durch intuitive Sprünge erlangt wird. Diese Ideen des
Altertums verdammten die Forschung, sich aufs Kriechen zu
beschränken; ich brauche Dir nicht zu sagen, daß das Krie-
chen unter den verschiedenen Arten der Fortbewegung auf
seine Weise etwas ganz Respektables ist; aber müssen wir
deswegen, weil die Schildkröte sicher auf ihren Füßen steht,
die Schwingen des Adlers beschneiden? So groß war die
Verblendung, hauptsächlich infolge Hogs Lehren, daß alles
wirkliche Denken tatsächlich unterbunden wurde. Niemand
wagte es, eine Wahrheit auszusprechen, die er einzig seiner
Seele verdankte. Es kam nicht einmal darauf an, ob die Wahr-
heit beweisbar war; denn die dogmatischen Philosophen zogen
nur den Weg in Betracht, auf dem die Wahrheit gefunden wor-
den war. Das Ziel war, wenn man sie hörte, ein Punkt von gar
keiner Bedeutung: ›Die Mittel!‹ schrien sie, ›die Mittel müssen
untersucht werden!‹ und wenn sich nun bei der Prüfung der
Mittel herausstellte, daß die Wahrheit weder in das Schubfach
Hog noch in die Kategorie Aries (das heißt Hammel) paßte,
ei nun, dann kümmerten sich diese Gelehrten nicht weiter
darum, nannten den Denker einen Narren, brandmarkten
ihn als Theoretiker und hatten von da ab mit ihm und seinen
Wahrheiten nichts mehr zu schaffen.
Nun kann doch, lieber Freund,« so fährt der Brief Schreiber
fort, »im Ernst nicht behauptet werden, durch die ausschließ-
liche Anwendung des Kriechsystems, selbst wenn es durch
viele Menschenalter fortgesetzt würde, könne die Menschheit
den Maximalertrag an Wahrheit erlangen; denn die Unter-
drückung der Phantasie war ein Übelstand, der nicht auf-
zuwiegen war, selbst wenn das schneckenhafte Verfahren abso-
lute Gewißheit gewährleistet hätte. Jedoch war ihre Gewißheit
bei weitem keine absolute. Der Irrtum unserer Vorfahren er-
innert an jenen Naseweisen, der sich einbildet, je näher er ei-
nen Gegenstand vor die Augen halte, um so deutlicher sehe er
ihn. Sie blendeten sich überdies mit sehr fein pulverisiertem
schottischem Schnupftabak, der gehörig kitzelte, nämlich
mit dem Detail; und so waren die berühmten Tatsachen der
Hogianer keineswegs immer wirkliche Tatsachen – was nicht
erwähnt zu werden brauchte, wenn es nicht immer angenom-
men würde. Der Grundfehler des Baconianismus jedoch – die
schlimmste Quelle zu traurigen Irrtümern – entsprang dem
Bestreben, Macht und Einfluß in die Hände von Männern
zu geben, die nicht schöpferisch waren, sondern bloß be-
schreiben konnten, was sie sahen, diesen mikroskopischen
Gelehrten, halb Fisch, halb Mensch, die winzige Tatsachen,
meistens auf physikalischem Gebiet, ausgruben und damit
hausieren gingen – Tatsachen, die sie dann alle zum gleichen
Preis öffentlich auf der Straße verkauften; man redete sich ein,
ihr Wert beruhe einfach auf der Tatsache ihrer Tatsächlichkeit,
und kümmerte sich nicht darum, ob sie für die Gewinnung
jener letzten und allein wertvollen Tatsachen von Wert seien,
die man Gesetz nennt.
Die Personen,« so fährt der Brief fort, »die Personen, die
dergestalt durch die Philosophie des Hog auf eine Stelle
gehoben waren, für die sie zu klein waren, die so aus dem
Souterrain der Wissenschaft in ihren Empfangssaal verpflanzt
worden waren, aus der Vorratskammer auf die Kanzel, die-
se Individuen – eine unverträglichere, eine unerträglichere
Bande von Knechten und Tyrannen hat die Erde nie getra-
gen. Ihr Glaubensbekenntnis, ihr Text und ihre Predigt wa-
ren das eine Wort Tatsache, aber meistenteils verstanden sie
nicht einmal den Sinn dieses einen Wortes. Gegen die, so es
wagten, ihre Tatsachen durcheinanderzubringen – so bezeich-
neten sie jeden Versuch, Ordnung und Bedeutung zu schaf-
fen –, waren die Schüler des Hog völlig erbarmungslos. Allen
Versuchen zu generalisieren wurde sofort mit den Worten
›theoretisch, Theorie, Theoretiker‹ begegnet; jeden Gedanken,
kurz gesagt, betrachteten sie als einen persönlichen Schimpf,
den man ihnen antue. Viele von diesen Baconentsprungenen
Philosophen, die die Naturwissenschaften bis zum Ausschluß
der Metaphysik, Mathematik und Logik beackerten – in eine
Idee verbohrt, einseitig und lahm auf einem Bein –, waren in
bezug auf alle Gegenstände des Wissens, die klare Begriffe
erfordern, jämmerlicher hilflos, erbärmlicher unwissend als
der ungebildeteste Bauer, der zum mindesten dadurch, daß er
einräumt, nicht zu wissen, beweist, daß er etwas weiß.
Anderseits hatten unsere Vorväter ebensowenig das Recht,
von Gewißheit zu sprechen, wenn sie in blindem Vertrauen
sich auf dem a priori, Pfad der Axiome, dem Hammelpfad,
ergingen. Dieser Hammelpfad war an zahllosen Stellen kaum
weniger krumm als ein Hammelhorn. Es ist nackte Wahrheit,
daß die Aristoteliker ihre Luftschlösser auf ein Fundament
stellten, das noch unzuverlässiger war als Luft; denn so etwas
wie Axiome hat es nie gegeben, kann es überhaupt nicht geben.
Daß sie das nicht gesehen oder wenigstens geargwöhnt ha-
ben, ist kaum zu glauben; sie müssen wahrhaftig sehr blind
gewesen sein; denn schon in ihren Tagen mußten manche
ihrer Axiome, die lange in Geltung gewesen waren, aufge-
geben werden, zum Beispiel: › Ex nihilo nihil fit‹, oder: ›Ein
Körper kann nicht wirken, wo er nicht ist‹, oder: ›Es kann
keine Antipoden geben‹, oder: ›Dunkelheit kann nicht aus
Licht entstehen‹. Diese und zahlreiche andere Behauptungen,
die man früher ohne Anstand für Axiome oder unleugbare
Wahrheiten erklärt hatte, wurden schon zu der Zeit, von der
ich spreche, als völlig unhaltbar erkannt; wie albern verfuhr
also dieses Volk, daß es sich darauf versteifte, sich auf eine
angeblich unwandelbare Grundlage zu stützen, deren Wan-
delbarkeit so häufig offenbar geworden war!
Aber sogar durch Gründe, die sie selbst uns gegen sich selbst
an die Hand geben, ist es leicht, diese a priori- Vernünftler
der gröbsten Unvernunft zu überführen – ist es leicht, die
Nichtigkeit und Hohlheit ihrer Axiome im allgemeinen zu
zeigen. Vor mir liegt« – man beachte, daß der Brief immer
noch weiter geht –, »vor mir liegt in diesem Augenblick
ein Buch, das etwa vor tausend Jahren gedruckt worden ist.
Pundit versichert mir, daß es entschieden das gescheiteste
Werk des Altertums über diesen Gegenstand, nämlich die
Logik, ist. Der Verfasser, der seinerzeit sehr geschätzt war, war
ein gewisser Miller oder Mill, und es ist als Sache von einiger
Wichtigkeit überliefert, er habe ein Mühlpferd geritten, das er
Jeremias Bentham nannte – aber werfen wir einen Blick auf
das Buch selbst.
Aha! – ›Vorstellbarkeit oder Unvorstellbarkeit,‹ sagt Herr
Mill sehr richtig, ›darf in keinem Fall als Kriterium axioma-
tischer Wahrheiten genommen werden.‹ In der Tat ist das
eine handgreifliche Banalität; kein Mensch mit gesundem
Verstand wird es leugnen. Diese Behauptung nicht zuzuge-
ben hieße die Veränderlichkeit als charakteristisch für die
Wahrheit ausgeben, wo sie doch in ihrem eigentlichen Wesen
mit der Beständigkeit zusammenfällt. Wenn Vorstellbarkeit
als Kriterium der Wahrheit gelten könnte, dann wäre das,
was für David Hume eine Wahrheit ist, sehr selten eine für
Joe, und neunundneunzig Hundertstel dessen, was im Him-
mel unleugbar ist, wäre auf Erden erweisbar falsch. Die Be-
hauptung Herrn Mills ist also stichhaltig. Ich will sie nicht
gerade ein Axiom nennen, eben weil ich zeigen will, daß es
keine Axiome gibt; aber ich bin bereit, mit einer feinen Un-
terscheidung, die auch der spitzfindige Herr Mill nicht tadeln
würde, zuzugeben, daß die Behauptung, von der wir reden,
wenn es ein Axiom gäbe, das vollste Recht hätte, sich so zu
nennen – daß es kein absoluteres Axiom gibt. Daraus ergibt
sich, daß jede nachfolgende Behauptung, die dieser vorher-
gehenden widerstreitet, entweder falsch sein muß – das heißt:
kein Axiom – oder aber, falls es als Axiom genommen werden
soll, sofort sich selber und den vorhergehenden Satz aufheben
muß.
Und nun wollen wir darangehen, mit Hilfe der Logik des
Mannes, der diese Axiome selbst vorgeschlagen hat, ein be-
liebiges von ihnen auf die Probe zu stellen. Wir wollen Herrn
Mill möglichst entgegenkommen. Wir wollen kein banales
Axiom zur Prüfung nehmen, kein Axiom von der Sorte, die er
sehr abgeschmackt und ohne weitere Erklärung Axiome zwei-
ter Klasse nennt – als ob eine positive Wahrheit durch ihre
Definition mehr oder weniger wahr werden könnte; wir wol-
len, sage ich, kein Axiom von so fragwürdiger Fraglosigkeit
wählen, wie sie im Euclid zu finden sind. Wir wollen zum
Beispiel nicht von solchen Behauptungen sprechen, wie die ist,
daß zwei gerade Linien keinen Raum einschließen können
oder daß das Ganze größer ist als ein Teil. Wir wollen dem
Logiker jeden Vorteil sichern. Wir wollen uns ohne weiteres
an eine Behauptung machen, die er als Gipfel der Fraglosigkeit
betrachtet, als Quintessenz axiomatischer Unleugbarkeit.
Hier ist sie: ›Es kann nicht etwas zugleich sein und nicht sein;
das heißt, etwas, das zugleich ist und nicht ist, kann es in der
Natur nicht geben.‹ Herr Mill meint hier zum Beispiel, daß
etwas nicht zugleich ein Baum und kein Baum sein kann. All
das ist an sich ganz vernünftig und reicht vollständig zu einem
Axiom aus, solange wir es nicht gegen ein anderes Axiom hal-
ten, auf das Herr Mill ein paar Seiten vorher gedrungen hat,
mit andern Worten – denselben, die ich vorhin anwandte –,
solange wir es nicht mit Hilfe der Logik des Mannes prü-
fen, der es selbst vorgeschlagen hat. ›Ein Baum,‹ so versichert
Herr Mill, ›muß entweder ein Baum oder kein Baum sein.‹
Sehr wohl: nun muß ich ihn aber fragen: warum? Auf diese
kurze Frage gibt es nur eine Antwort – ich fordere alle Welt
heraus, eine zweite zu finden. Die einzige Antwort ist: ›Weil
es uns unmöglich ist, uns vorzustellen, daß ein Baum etwas
anderes sein soll als ein Baum oder kein Baum.‹ Ich wieder-
hole, dies ist die einzige Antwort Herrn Mills; er wird nicht
vorschützen, eine andere zu haben, und doch hat er selbst
klar gezeigt, daß seine Antwort überhaupt keine Antwort
ist, denn hat er uns nicht aufgefordert, es als Axiom aufzu-
stellen, daß Vorstellbarkeit oder Unvorstellbarkeit in keinem
Fall als Kriterium axiomatischer Wahrheit zu nehmen ist? So
schwimmt seine ganze Beweisführung ohne Ruder auf dem
Wasser. Herr Mill möchte vielleicht vorgeben, in Fällen, wo
die Unmöglichkeit einer Vorstellung so ganz besonders groß sei
wie diesmal, wo uns zugemutet wird, uns einen Baum zu-
gleich als Baum und nicht als Baum vorzustellen, müsse eine
Ausnahme von der allgemeinen Regel zulässig sein. Aber man
lasse sich solche Dummheit nicht einreden. Erstens nämlich
gibt es keine Grade der Unmöglichkeit, und also kann keine
Vorstellung noch unmöglicher sein als eine andere unmögli-
che; und zweitens hat Herr Mill selbst offenbar nach reiflicher
Überlegung sehr scharf und mit guten Gründen jeden Versuch
zu einer Ausnahme verwehrt, indem er sehr pathetisch erklär-
te, in keinem Fall sei Vorstellbarkeit und Unvorstellbarkeit
ein Kriterium axiomatischer Wahrheit; drittens aber müßte
immer noch, gesetzt selbst, daß überhaupt Ausnahmen zuläs-
sig wären, gezeigt werden, wieso gerade hier eine Ausnahme
zulässig sein soll. Daß ein Baum zugleich ein Baum und kein
Baum sein kann, ist eine Vorstellung, die Engel oder Teufel
vielleicht fassen können, und ohne Zweifel hat mancher irdi-
sche Irrenhäusler oder Transzendentalist solche Vorstellungen
in der Tat.
Nun befehde ich diese Männer des Altertums,« so fährt der
Briefschreiber fort, »nicht so sehr deshalb, weil ihre Logik of-
fenbar läppisch war, weil nämlich ohne jede Grundlage, ohne
Wert und ganz und gar ohne Realität, als vielmehr wegen
der hochtrabenden und dummen Art, wie sie alle anderen
Wege zur Wahrheit ächteten. Nur die beiden engen, krum-
men Pfade sollte es geben – den einen zum Kriechen und den
andern zum Krauchen –, auf welche sie in ihrer perversen
Unwissenheit die Seele beschränken zu wollen wagten – die
Seele, die es über alles liebt, sich in die Höhen der schran-
kenlosen Intuition aufzuschwingen, wo es keine sogenannten
Wege mehr gibt.
Lieber Freund, ist es übrigens nicht ein deutliches Symptom
für die Geistesverknechtung, die diese blinden Menschen seit
ihrem Hog und ihrem Hammel erblich belastete, daß kei-
ner von ihnen, trotz dem ewigen Geschwätz ihrer Gelehrten
über die Wege zur Wahrheit, auch nur zufällig auf das verfiel,
was uns jetzt so deutlich als der breiteste, geradeste und wert-
vollste Weg erscheint, auf den großen Paß, die majestätische
Straße der Folgerichtigkeit? Ist es nicht erstaunlich, daß es ih-
nen nicht einfiel, von den Werken Gottes her auf die hoch-
bedeutsame Betrachtung zu kommen, daß eine vollkommene
Folgerichtigkeit nichts anderes sein kann als absolute Wahrheit?
Wie einfach, wie schnell ist unser Fortschritt, seit endlich die-
se Behauptung verkündet wurde! Durch sie ist die Forschung
den Maulwürfen entrissen und – als Ehrung mehr denn als
Arbeit – den wahren, den einzig wahren Denkern überlassen
worden, den umfassend gebildeten Menschen von glühender
Phantasie. Diese – unsere Kepler, unsere Laplace – ›spekulie-
ren‹, ›theoretisieren‹ – so drückte man sich aus. Denke Dir,
mit was für einem höhnischen Geschrei unsere Vorfahren sie
empfangen hätten, wenn sie mir, während ich das schreibe,
über die Schulter geblickt hätten! Ich wiederhole: Die Keplers
spekulieren, theoretisieren, und ihre Theorien sind bloß ver-
bessert, umgestaltet, gesichtet, ganz allmählich von der Spreu
des Unzutreffenden gereinigt worden, bis schließlich leuchtend
etwas ungemischt Folgerichtiges dasteht, etwas Folgerichtiges,
das selbst die Dümmsten – eben weil es folgerichtig ist – als
absolute, unbestreitbare Wahrheit anerkennen müssen.
Ich habe oft darüber nachgedacht, lieber Freund: Es muß
für diese Dogmatiker vor tausend Jahren ein schweres Stück
gewesen sein zu entscheiden, auf welchem ihrer berühmten
zwei Erkenntniswege der Entzifferer von Geheimschriften zur
Lösung der schwierigeren Chiffern kommt – oder auf wel-
chem Wege Champollion die Menschheit zu den wichtigen,
zahllosen Wahrheiten führte, die seit vielen Jahrhunderten in
der Buchstabenbilderschrift der Ägypter begraben waren.
Würde es aber nicht insbesondere diese Autoritätsanbeter
in Verlegenheit gebracht haben, wenn man sie gefragt hätte,
auf welchem ihrer zwei Wege die wesentlichste und herrlich-
ste Wahrheit, die sie überhaupt hatten, entdeckt wurde – die
Wahrheit, die Tatsache der Gravitation? Newton folgerte sie
aus den Keplerschen Gesetzen. Kepler gab zu, daß er die-
se Gesetze erraten habe – diese Gesetze, deren Erforschung
dem größten englischen Astronomen das Prinzip enthüllte,
die Grundlage jeglichen physikalischen Prinzips, hinter des-
sen Schwelle wir in das dunkle Reich der Metaphysik treten.
Ja! diese herrlichen Gesetze hat Kepler erraten, das heißt, er
fand sie auf den Wegen der Phantasie. Wäre er gefragt wor-
den, ob er auf deduktivem oder induktivem Wege auf sie
gestoßen sei, so hätte seine Antwort etwa gelautet: ›Mir ist
nichts von Wegen bekannt – aber was mir bekannt ist, das
ist der Mechanismus des Weltalls. Hier ist er. Ich ergriff ihn
mit meiner Seele, ich erfaßte ihn lediglich kraft der Intuition.‹
Ach, der arme, alte Nichtswisser! Hätte ihm nicht jeder be-
liebige Metaphysiker sagen können, was er Intuition nenne,
sei bloß seine Überzeugung auf Grund von Deduktionen oder
Induktionen, die so schattenhaft in ihm verlaufen seien, daß
sie seinem Bewußtsein entfielen, sein Denken täuschten oder
seiner Ausdrucksmöglichkeit widerstrebten? Jammerschade,
daß ihn kein ›Moralphilosoph‹ über all das aufklärte! Wie
hätte es ihn auf dem Totenbette gestärkt, zu wissen: nicht
intuitiv, das heißt unziemlich, sondern in Wahrheit wohlan-
ständig und wie sich’s gehört – nach der Art des Hog oder
zumindest des Hammels – sei er in die weiten Hallen ge-
schritten, wo die unzerstörbaren, köstlichen Geheimnisse des
Alls auf ihn warteten, glänzend, einsam, von Menschenhand
nicht berührt – von keinem Menschenauge gesehen!
Ja, Kepler war im wesentlichen ein Theoretiker; aber diese
Bezeichnung, die uns heute so verehrenswert dünkt, war in
jenen alten Tagen ein Ausdruck äußerster Verachtung. Erst
heute beginnen die Menschen diesen göttlichen alten Mann
recht zu würdigen und von der prophetischen, dichterischen
Rhapsodie seiner unvergänglichen Worte ergriffen zu werden.
Was mich angeht,« so fährt der unbekannte Verfasser dieses
Briefes fort, »ich glühe in heiligem Feuer, wenn ich nur an
sie denke, ich fühle, daß ich nie müde werden kann, sie zu
wiederholen. Darum laß mir zum Schluß dieses Briefes die
Freude, sie wieder einmal abzuschreiben:
›Es kümmert mich nicht, ob mein Werk jetzt oder erst in
Zukunft gelesen wird. Es macht mir nichts aus, ein Jahrhun-
dert auf meine Leser zu warten, wo Gott selbst sechstausend
Jahre auf einen Gläubigen gewartet hat. Ich siege. Ich habe
den Geheimschatz der Ägypter gestohlen. Ich ergebe mich
meiner heiligen Raserei‹.«
Hier enden meine Zitate aus dieser absonderlichen und
vielleicht etwas unverschämten Epistel; ich glaube, es wäre
verrückt, auf eine Erörterung der chimärischen, um nicht zu
sagen revolutionären Phantasien des Schreibers – wer es auch
sei – einzugehen, besonders wo diese Phantasien die wohl-
erwogenen und wohlbegründeten Meinungen unserer Zeit so
von Grund aus befehden. Gehen wir also zu unserm eigent-
lichen Thema über: dem Weltall.
Bei diesem Thema können wir zwischen zwei Arten der
Erörterung wählen: Wir können aufsteigen oder absteigen.
Wenn wir von unserm eigenen Standpunkt ausgehen, der
Erde, auf der wir stehen, können wir uns zu den anderen
Planeten unseres Systems begeben, von da zur Sonne, von
da zu unserm Sonnensystem als Gesamtheit, und so durch
andere Systeme hindurch ins Unendliche weiter; oder aber
wir können oben beginnen, an einem Punkt, der insofern ein
Ende ist, als wir ihn dazu machen oder wenigstens uns als sol-
ches vorstellen können, um dann herniederzusteigen bis zur
Wohnung der Menschen. Meistens, das heißt in den gewöhn-
lichen astronomischen Untersuchungen, wird die erste dieser
zwei Methoden – mit gewissen Einschränkungen – gewählt;
der Grund ist einleuchtend: bloß astronomische Tatsachen
und Prinzipien sind der Gegenstand der Untersuchung, die
am besten vom Bekannten, weil Nächsten, stufenweise sich
dem Punkte nähert, wo alle Sicherheit in der Entfernung ver-
lorengeht. Für meinen gegenwärtigen Zweck jedoch – den
Geist in die Lage zu versetzen, wie von weitem und auf ei-
nen Blick ein rasches Bild des Weltalls als Individuum auf-
zufangen – ist es klar, daß ein Abstieg zum Kleinen vom
Großen, zu den Grenzbereichen vom Mittelpunkt (wenn
wir einen Mittelpunkt festsetzen könnten), zum Ende vom
Anfang (wenn wir uns einen Anfang vorstellen könnten) der
vorzüglichere Weg wäre – wenn nur nicht die Schwierigkeit
oder gar Unmöglichkeit bestünde, auf diesem Wege dem
Nichtastronomen ein irgend faßliches Bild hinsichtlich sol-
cher Punkte zu geben, die sich auf Quantitäten beziehen, das
heißt auf Zahl, Größe und Entfernung.
Nun ist aber Genauigkeit und Verständlichkeit in allen
Stücken unerläßlich für diesen Versuch. In wichtigen Dingen
ist es besser, ziemlich weitläufig zu sein, als nur ein bißchen
unverständlich. Indessen gehört Verworrenheit zu keinem
Stoff an sich. Die Stoffe sind für den, der sich ihnen auf dem
richtigen Weg Schritt für Schritt nähert, alle gleich leicht ver-
ständlich zu machen. Nur darum, weil der Weg nicht sorg-
sam und glatt genug gebahnt ist, ist die Differentialrechnung
eine weniger einfache Sache als ein Sonett des Herrn Salomon
Schaukelgut.
Um also jede Möglichkeit, falsch verstanden zu werden,
auszuschließen, halte ich es für ratsam, so vorzugehen, als
ob selbst die verbreiteteren Tatsachen der Astronomie dem
Leser unbekannt wären. Ich verbinde demnach die zwei Dar-
stellungsarten, von denen ich gesprochen habe, und mache
mir die Vorteile, die jede mit sich bringt, zunutze – und ganz
besonders die Wiederholung in den Details, die bei diesem
Vorgehen unvermeidlich ist. Ich beginne mit dem Abstieg und
erledige dann beim Zurückgehen nach oben die unumgäng-
lichen Erörterungen über die Quantitäten, auf die ich schon
hingewiesen habe.
Beginnen wir also ganz oben mit dem leersten aller Worte:
»Unendlichkeit«. Dieses Wort, ebenso wie Gott, Geist und
noch so einige Ausdrücke, die es entsprechend in allen Spra-
chen gibt, ist keineswegs die Bezeichnung für eine Vorstellung,
sondern lediglich für ein Streben dahin. Es bezeichnet den
Versuch, das Unaussprechliche auszusprechen. Man brauchte
einen Ausdruck, der die Richtung dieses Bemühens festhalten
sollte – die Wolke, hinter der ewig unsichtbar das Ziel dieses
Strebens lag. Kurz, ein Wort war nötig, mit Hilfe dessen ein
Mensch sich mit einem andern Menschen, und zwar mit ei-
ner bestimmten Tendenz des Menschengeistes, in Verbindung
bringen konnte. Aus diesem Erfordernis entsprang das Wort
»Unendlichkeit«, das demnach nur das Symbol für den Begriff
eines Begriffs ist.
Hinsichtlich dieser Unendlichkeit, die uns hier beschäf-
tigt – der Unendlichkeit des Raums –, hören wir oft sagen,
dieser Begriff sei zulässig, beruhe darauf, sei unumgänglich,
weil die Vorstellung einer Begrenzung noch schwieriger zu
fassen sei. Aber das ist nur eine der Phrasen, mit denen selbst
tiefe Denker, wie zeitweilig vom Geist verlassen, gelegentlich
sich selbst betrügen wollten. Der Trugschluß versteckt sich
hinter dem Wort »Schwierigkeit«. Man sagt uns, der Geist
hege die Vorstellung der Unbegrenztheit, weil es noch schwie-
riger sei, sich einen begrenzten Raum vorzustellen. Wäre nun
diese Behauptung richtig formuliert, so wäre ihre vollkom-
mene Torheit ohne weiteres sichtbar. Ganz gewiß nämlich
gibt es in diesem Fall keine bloße Schwierigkeit. Die Aussage,
die man machen müßte, wenn man ihr den eigentlich ge-
meinten Ausdruck ohne jede Sophisterei geben wollte, würde
folgendermaßen aussehen: »Der Geist bildet den Begriff der
Unbegrenztheit, weil die Vorstellung des begrenzten Raums
noch unmöglicher ist.«
Nun sieht man sofort, daß es sich hier nicht um zwei Aus-
sagen handelt, deren größere oder geringere Glaubwürdigkeit
der Verstand untersuchen soll, oder um zwei Behauptungen,
deren Begründung geprüft werden soll, vielmehr geht die Frage
um zwei Vorstellungen, die einander direkt entgegengesetzt
sind, die beide zugestandenermaßen unmöglich sind, und da
wird nun gesagt, die eine könne der Verstand deswegen fassen,
weil die andere zu hegen noch unmöglicher sei. Nicht zwi-
schen zwei Schwierigkeiten wird gewählt; man wählt vielmehr
zwischen zwei Unmöglichkeiten. Bei den ersteren gibt es nun
Gradunterschiede, aber nicht bei letzteren – wie schon der
Verfasser des obenstehenden unverschämten Briefes auseinan-
dergesetzt hat. Eine Aufgabe kann mehr oder weniger schwie-
rig sein, aber sie ist entweder möglich oder unmöglich – da
gibt es kein Mehr oder Weniger. Man kann etwa sagen, es sei
schwieriger, die Anden zu besteigen, als einen Ameisenhaufen;
aber es kann nicht unmöglicher sein, die Materie der Anden
zu vernichten, als die Materie des Ameisenhaufens. Jemand
kann mit geringerer Schwierigkeit zehn Fuß weit springen als
zwanzig; aber es ist ebenso unmöglich, in den Mond zu sprin-
gen, wie auf den Hundsstern.
Da all das unleugbar ist, da der Geist in unserem Falle
zwischen unmöglichen Vorstellungen zu wählen hat, da eine
Unmöglichkeit nicht größer sein kann als die andere und da
also eine der andern nicht vorgezogen werden kann, bleibt den
Philosophen, die aus den erwähnten Gründen die menschliche
Vorstellung der Unendlichkeit, nein, sogar die Unendlichkeit
als Tatsache behaupten wollen, nichts anderes übrig, als zu
beweisen, daß ein unmögliches Ding möglich sei, indem sie
zeigen, daß ein anderes Ding – ebenfalls unmöglich ist. Man
wird sagen, das sei Unsinn, und vielleicht ist es so; ich für
mein Teil halte es in der Tat für kapitalen Unsinn, verzichte
aber auf den Anspruch, es für meinen Unsinn auszugeben.
Jedoch die beste Art, aufzudecken, wie falsch die philoso-
phische Beweisführung in dieser Frage ist, besteht darin, ein-
fach auf eine Tatsache hinzuweisen, die man bisher überse-
hen hat – die Tatsache nämlich, daß diese Beweisführung
ihre eigene Behauptung sowohl beweist als auch widerlegt.
»Der Geist ist genötigt,« so sagen die Theologen und ande-
re Gelehrte, »eine erste Ursache anzunehmen, weil sich ihm
die größere Schwierigkeit entgegenstellt, immerfort Ursachen
aus Ursachen ohne Ende anzunehmen.« Der Trugschluß liegt
wie vorher in dem Wort »Schwierigkeit«; aber sehen wir doch,
zu welcher Behauptung es hier verwandt wird. Eine erste Ur-
sache wird behauptet. Und was ist eine erste Ursache? Die
Grenze, hinter der keine Ursachen mehr sind. Und was ist
eine solche Grenze anders als das Ende, die Endlichkeit? So
wird in zwei Beweisführungen von Gott weiß wieviel Philo-
sophen derselbe Trugschluß gemacht, um einmal die Endlich-
keit und das zweite Mal die Unendlichkeit herauszubringen;
vielleicht könnte man auf diesem Wege auch noch dies oder
jenes beweisen? Die Trugschlüsse mindestens sind ganz uner-
träglich. Aber von ihnen abgesehen – was sie beweisen, ist in
beiden Fällen dasselbe Nichts.
Ich hoffe, niemand kommt auf den Gedanken, ich wolle
hier die absolute Unmöglichkeit dessen behaupten, was wir
mit dem Wort »Unendlichkeit« zu erreichen bestrebt sind.
Mein einziger Zweck ist, die Torheit aufzudecken, die darin
besteht, daß man die Unendlichkeit an sich selbst oder auch
nur unsere Vorstellung von ihr durch so alberne Methoden,
wie sie gewöhnlich angewandt werden, beweisen will.
Trotzdem möchte ich mir aber für mich persönlich die Be-
merkung erlauben, daß ich mir die Unendlichkeit nicht vor-
stellen kann und daß ich überzeugt bin, kein Mensch könne
es. Ein Geist, der sich selbst nicht gründlicher kennt, der nicht
daran gewöhnt ist, genau zu prüfen und zu untersuchen, was
in ihm selbst vorgeht, wird sich allerdings oft täuschen und
glauben, er habe die Vorstellung, von der hier die Rede ist. In
dem Bemühen, sie zu haben, gehen wir Schritt um Schritt
weiter, und in der Phantasie geht es so immer weiter zurück;
und solange wir dieses Bemühen fortsetzen, können wir in der
Tat sagen, daß wir die Tendenz haben, den Begriff zu bilden;
und je länger wir dieses Bemühen unseres Geistes festhalten,
um so stärker ist der Eindruck, daß wir die Vorstellung tat-
sächlich haben oder gehabt haben. Aber genau in dem Mo-
ment, wo wir dieses Bemühen einstellen, wo wir glauben, den
fertigen Begriff zu haben, die Vorstellung in uns vollendet zu
haben, da purzelt das ganze Gebäude unserer Phantasie zu-
sammen, da wir ja bei einem letzten, also endlich begrenz-
ten Punkt stehengeblieben sind. Diese Tatsache entgeht uns
aber deswegen, weil der Moment, wo wir den letzten Punkt
festgehalten hatten, und der Moment, wo wir mit Denken
innehalten, völlig zusammenfallen. Und wenn wir anderseits
versuchen, den Begriff eines endlichen Raums zu bilden, so
verläuft der Vorgang gerade umgekehrt, und die Sache stellt
sich ebenfalls als unmöglich heraus.
Wir glauben an einen Gott. Es bleibt uns unbenommen,
an einen endlichen oder unendlichen Raum zu glauben;
aber unser Glaube ist in solchen Fällen eigentlich mehr ein
Glaubensartikel und weit entfernt von jenem andern Glauben,
von jener Gewißheit des Intellekts, die die Voraussetzung für
jede Vorstellungstätigkeit des Geistes bildet.
Es ist eine Tatsache, daß jedesmal, wenn ein Ausdruck von
der Gattung, zu der »Unendlichkeit« gehört, ausgesprochen
wird – von der Gattung der Begriffe von Begriffen –, für alle,
die überhaupt denken, nicht die Möglichkeit besteht, eine
Vorstellung zu haben; es gelingt nur, den Blick des Geistes
auf einen gegebenen Punkt am Firmament des Verstandes zu
richten, auf einen Nebelfleck, der nicht weiter zerlegt werden
kann. Der denkende Mensch bemüht sich auch nicht, ihn
zu zerlegen: mit sicherem Instinkt bemerkt er sofort, daß es
unmöglich ist, und vor allem, daß es für alle menschlichen
Zwecke überflüssig ist, ihn zu zerlegen. Er gewahrt, daß die
Gottheit die Lösung dieses Geheimnisses nicht gewollt hat.
Es sieht sofort, daß es außerhalb des Menschenhirnes liegt,
er sieht auch, wieso, wennschon nicht genau, warum. Es gibt
freilich Leute, die durch ihr Bemühen, das Unerreichbare zu
erreichen, und daneben durch den Jargon, den sie von sich ge-
ben, unter denen, die denken, sie denken, und denen Dunkel-
heit und Tiefe gleichbedeutend sind, den sehr zweifelhaften
Ruhm des Tiefsinns erwerben; aber die edelste Eigenschaft
des Geistes ist seine Selbsterkenntnis; und man könnte etwas
doppelsinnig sagen: kein Nebel des Geistes kann weiter grei-
fen als der, der sich bis zu den Grenzen unserer Erkenntnis
erstreckt und gerade diese Grenzen nicht mehr begreift.
Der Leser wird nun also verstehen: wenn ich die Worte
»Unendlichkeit des Raums« anwende, so verlange ich nicht
die unmögliche Vorstellung einer absoluten Unendlichkeit.
Ich meine nur die denkbar größte Ausdehnung des Raums –
einen schattenhaften und schwankenden Bezirk, der bald ein-
schrumpft und bald anschwillt, entsprechend den schwanken-
den Energien der Phantasie.
Bisher betrachtete man das Sternenweltall immer als zu-
sammenfallend mit dem Weltall überhaupt, wie ich es zu
Beginn dieser Abhandlung definiert habe. Man vertrat im-
mer mehr oder weniger ausgesprochen die Annahme – wenig-
stens seit dem Anbruch der wissenschaftlichen Astronomie –,
daß wir an dem äußersten Punkt des Raums, den wir irgend
erreichen können, immer noch nach allen Richtungen ein
unendliches Sternenheer finden würden. Diesen unhaltba-
ren Gedanken hatte Pascal, als er den vielleicht gelungensten
Versuch machte, die Vorstellung zu umschreiben, nach der
wir mit dem Wort »Weltall« ringen. Er nennt es »eine Kugel,
deren Mittelpunkt überall, deren Umfang nirgends ist«. Der
Wortlaut dieser Definition trifft in der Tat auf das Sternen-
weltall nicht zu, aber wir können ihn mit einiger Einschrän-
kung als Definition des eigentlichen Weltalls, das heißt des
räumlichen Alls, akzeptieren; für alle praktischen Zwecke
genügt er jedenfalls. Betrachten wir also das räumliche All
als »eine Kugel, deren Mittelpunkt überall, deren Umfang
nirgends ist«. Während es uns nämlich unmöglich ist, uns
ein Ende des Raums auszudenken, macht es uns in Wahrheit
keine Schwierigkeit, uns einen Raum mit einer Unendlichkeit
von Anfängen auszumalen.
Nehmen wir also die Gottheit zu unserm Ausgangspunkt.
Was die Aussagen über diese Gottheit an und für sich be-
trifft, so ist allein der kein Dummkopf, allein der kein Frevler,
der – nichts über sie aussagt. »Nous ne connaissons rien,« sagt
der Baron de Bielfeld, »nous ne connaissons rien de la nature
ou de l’essence de Dieu; pour savoir ce qu’il est, il faut être
Dieu même.« – »Wir wissen absolut nichts von der Natur oder
dem Wesen Gottes; um zu verstehen, was er ist, müßten wir
selbst Gott sein.«
Wir müßten selbst Gott sein! Trotz diesem niederschmet-
ternden Satz wage ich doch die Frage, ob dieses gegenwärtige
Nichtwissen über das Wesen der Gottheit ein Nichtwissen ist,
zu dem die Seele ewig verdammt ist.
Wie dem auch sei: Er also, der zum wenigsten jetzt noch
der Unfaßbare ist, Er also, ein geistiges Wesen – damit meine
ich: nicht materiell; diese Unterscheidung ersetzt für wissen-
schaftliche Zwecke eine umständliche Definition –, Er also
habe einmal – mit dieser Voraussetzung wollen wir uns heute
begnügen – als geistiges Wesen existiert – und da habe er uns
an irgendeinem Punkt des Raums, den wir als Mittelpunkt
annehmen wollen, zu irgendeiner Zeit, in die einzudringen
wir uns nicht vermessen, die aber jedenfalls ungeheuer ent-
fernt ist – da also, sage ich, habe er uns erschaffen oder kraft
seines Willens aus dem Nichts geholt – erschaffen – als was?
Dies ist ein bedeutsamer Moment in unserer Untersuchung.
Als was dürfen wir einzig und allein vermuten erstmals und
ursprünglich erschaffen worden zu sein?
Wir sind an einen Punkt gelangt, wo nur Intuition uns wei-
terhelfen kann – aber zunächst muß ich noch einmal darauf
hinweisen, was allein wir uns unter Intuition vorstellen dürfen.
Sie ist lediglich die Überzeugung, die aus solchen Induktionen
oder Deduktionen entspringt, die so schattenhaft verlaufen, daß
sie unserm Bewußtsein entgehen, unsere Aufmerksamkeit nicht
erregen oder sich der Ausdrucksmöglichkeit entziehen. Wenn wir
das voraussetzen, so zwingt mich eine völlig unwiderstehliche,
wiewohl unaussprechbare Intuition zu dem Schlusse: Was
Gott ursprünglich geschaffen hat – die Materie, die er kraft
seines Willens zuerst aus seinem Geiste oder aus dem Nichts
machte –, kann nichts anderes gewesen sein als Materie im
denkbar größten Grade von – wovon? – von Einfachheit.
Dies wird in meiner Abhandlung der einzige Satz sein, der
lediglich ein Postulat ist. Ich gebrauche das Wort »Postulat«
in seinem üblichen Sinn; aber ich behaupte, selbst dieser Satz,
von dem ich ausgehe, ist wahrhaftig sehr, sehr weit davon ent-
fernt, in Wirklichkeit bloß ein Postulat zu sein. Nichts ist je
sicherer gewesen, kein Schluß, den je Menschen zogen, war
regelrechter, war strenger abgeleitet – aber ach! das Verfahren
liegt jenseits der menschenmöglichen Denktätigkeit, in jedem
Falle jenseits der menschlichen Sprache.
Gehen wir nun an die Untersuchung, was die Materie sein
muß, wenn sie im absoluten, im äußersten Zustand der Ein-
fachheit ist. Da denken wir sofort an Unteilbarkeit – an ein
Teilchen – an ein einziges Teilchen – ein Teilchen einer Art,
eines Charakters – einer Natur, einer Größe, einer Gestalt – an ein Teilchen also ohne Gestalt, »öde und leer« – ein Teilchen,
das ganz und gar nur Teilchen ist, ganz einzig, ein ungeteiltes
Individuum, das nur darum nicht unteilbar ist, weil der, der es
kraft seines Willens schuf, es doch wohl durch eine unendlich
geringere Anstrengung seines Willens auch teilen kann.
Einheit also ist alles, was ich von der Materie im Augenblick
der ursprünglichen Schöpfung aussage; aber ich werde zeigen,
»daß dieses Prinzip der Einheit völlig genügt, um den Ursprung,
die gegenwärtigen Erscheinungen und die unvermeidliche,
schließliche Vernichtung wenigstens des materiellen Weltalls zu
erklären.«
Die Bereitschaft, das ursprüngliche Teilchen zu sein, hat den
Akt oder, besser gesagt, die Empfängnis der Schöpfung vollen-
det. Wir gehen jetzt dazu über, zu untersuchen, zu welchem
Ende wohl das Teilchen erschaffen wurde, das heißt, soweit
wir jetzt schon imstande sind, dieses Ziel zu erkennen – die
Entstehung des Weltalls eben aus diesem Teilchen.
Diese Entstehung entsprang daraus, daß das, was ur-
sprünglich, also normalerweise eine Einheit war, in den
unnormalen Zustand der Vielheit gezwungen wurde. Eine
Aktion dieser Art bedingt die Reaktion. Eine unter diesen
Bedingungen vor sich gehende Zerstreuung aus der Einheit
heraus schließt die Tendenz in sich, wieder zur Einheit zurück-
zukehren – diese Tendenz ist unausrottbar, bis ihr Genüge ge-
tan ist. Aber darauf komme ich später ausführlicher zurück.
Die Annahme völliger Einheit im ursprünglichen Teilchen
schließt die Annahme unendlicher Teilbarkeit ein. Stellen wir
uns also vor, das Teilchen sei durch die Zerstreuung in den
Raum nahezu vollständig erschöpft. Nehmen wir an, von
dem einen Teilchen als Mittelpunkt seien nach allen Richtun-
gen – kugelförmig, in unermeßlich große, aber doch begrenz-
te Entfernungen – eine gewisse unaussprechlich große, doch
beschränkte Zahl unvorstellbar, wenn auch nicht unendlich
kleiner Atome in den vorher leeren Raum ausgestrahlt.
Wenn wir nun diese so zerstreuten oder in Zerstreuung be-
griffenen Atome betrachten, ihre Quelle wie den Charakter
des Plans, den ihre Zerstreuung aufweist, was sind da wohl
die Bedingungen dieser Zerstreuung, die wir nicht etwa
annehmen, sondern direkt folgern dürfen? Da Einheit ihre
Quelle ist und Entfernen von der Einheit der Charakter des
Plans, der in ihrer Zerstreuung hervortritt, dürfen wir getrost
vermuten, daß dieser Charakter wenigstens im allgemeinen
während der Durchführung des Plans beibehalten bleibt und
einen Teil von ihm bildet – das heißt: wir dürfen uns getrost
vorstellen, daß fortgesetzt und allenthalben von der Einheit
und Einfachheit des Ursprungs abgewichen wird. Aber sind
wir berechtigt, um dieser Gründe willen anzunehmen, daß die
Atome heterogen, ungleichartig, ungleich groß und ungleich
entfernt voneinander sind? Deutlicher ausgedrückt: sollen wir
annehmen, daß nicht zwei Atome in ihrer Zerstreuung diesel-
be Natur oder dieselbe Gestalt oder dieselbe Größe haben? –
und daß sie, nachdem ihre Zerstreuung im Raum vollendet
ist, alle ungleich weit voneinander entfernt sind? Unter diesen
Umständen verstehen wir sehr leicht und sofort die konse-
quente und sehr einfache Durchführung eines jeden solchen
Plans, wie ich ihn beschrieben habe – Mannigfaltigkeit aus der
Einheit – Verschiedenheit aus der Identität – Heterogenität
aus der Homogenität – Kompliziertheit aus der Einfachheit –
mit einem Wort: die größtmögliche Mannigfaltigkeit der
Relativitäten aus der erhaben unrelativen Einheit. Zweifellos also wären wir berechtigt, all das, was ich angeführt habe,
anzunehmen, wenn nicht zwei Dinge zu erwägen wären: er-
stens, daß man einem göttlichen Akt nichts Überflüssiges zu-
trauen darf, und zweitens, daß die Sache, die wir im Auge
haben, ebenso leicht durchführbar erscheint, wenn einige der
fraglichen Bedingungen am Anfang in Wegfall kommen, wie
wenn wir annehmen, sie seien alle von vornherein vorhanden.
Was ich sagen will, ist, daß einige wegfallen können, weil sie
im Rest enthalten sind oder wenigstens so unmittelbar dar-
aus folgen, daß kein Unterschied wahrzunehmen ist. Die
Verschiedenheit der Größe zum Beispiel geht ohne weiteres
daraus hervor, daß ein Atom auf Grund der Verschiedenheit
der einzelnen Abstände einem zweiten Atom vor einem drit-
ten den Vorzug gibt, wobei an Verschiedenheiten der einzelnen
Abstände zwischen Quantitätszentren in benachbarten Atomen
von verschiedener Gestalt zu denken ist – ein Phänomen, das
der im allgemeinen gleichförmigen Verteilung der Atome
durchaus nicht widerspricht. Ebenso leicht ist zu verstehen,
daß Verschiedenheit in der Art sich lediglich aus Verschieden-
heiten in Größe und Gestalt ergibt, die als mehr oder weni-
ger zusammenfallend zu betrachten sind; in der Tat können
wir, da die Einheit des ursprünglichen Teilchens absolute
Homogenität in sich schließt, uns die Atome im Augenblicke
ihrer Zerstreuung nicht der Art nach verschieden denken – es
sei denn, daß wir gleichzeitig annehmen, der göttliche Wille
trete bei Entsendung eines jeden Atoms in Kraft, um in je-
dem eine Veränderung seiner Wesenheit hervorzubringen;
doch eine so phantastische Vorstellung ist um so weniger zu
dulden, als das beabsichtigte Ziel ebensogut ohne solche klein-
liche und mühevolle Einmischung erreicht wird. Alles in al-
lem sehen wir also, daß es überflüssig und demnach unphilo-
sophisch wäre, von den Atomen in bezug auf ihre Hervor-
bringungen irgend mehr auszusagen als Verschiedenheit der
Gestalt im Augenblick ihrer Zerstreuung und Verschieden-
heiten der einzelnen Abstände nach der Zerstreuung – da alle
übrigen Verschiedenheiten sich ohne weiteres aus diesen in
den allerersten Stadien der Körperbildung ergeben. Wir be-
gründen das Weltall so auf einer rein geometrischen Grund-
lage. Selbstverständlich ist es durchaus nicht notwendig, eine
absolute Verschiedenheit, auch nur der Gestalt, zwischen allen
ausgestrahlten Atomen anzunehmen, ebensowenig wie abso-
lute Verschiedenheit der einzelnen Abstände in bezug auf das
Verhältnis eines jeden Atoms zu jedem andern anzunehmen
ist. Wir brauchen lediglich festzustellen, daß keine benach-
barten Atome von gleicher Gestalt sind, daß keine Atome sich
jemals einander nähern können, abgesehen von ihrer unver-
meidlichen Wiedervereinigung am Ende.
Obwohl, wie gesagt, die aus ihrer Einheit gerissenen Atome
von vornherein und unausgesetzt während ihrer unnormalen
Zerstreuung die Tendenz haben, zu ihrer normalen Einheit
zurückzukehren, so ist es doch klar, daß dieser Tendenz zu-
nächst nicht Folge geleistet wird – daß sie eine Tendenz ist
und weiter nichts – bis die zerstreuende Energie nachläßt und
so der Tendenz die Freiheit läßt, sich Genüge zu tun. Da der
göttliche Akt als endgültig betrachtet wird und aufhört, so-
wie die Zerstreuung vollendet ist, so verstehen wir, daß sofort
eine Reaktion eintritt – mit andern Worten, daß die Tendenz
der getrennten Atome, in die Einheit zurückzukehren, sich
durchsetzen kann.
Aber wenn die zerstreuende Energie nachläßt und in der
weiteren Durchführung des Grundplans – eine möglichst große
Summe von Beziehungen zu schaffen – nunmehr die Reaktion
einsetzt, so gerät gerade durch die Tendenz zur Rückkehr, die
sich allgemein durchsetzen will, der Plan in Gefahr, im ein-
zelnen gestört zu werden. Vielheit ist das Ziel: aber es gibt
nichts, was benachbarte Atome hindern könnte, schon bevor
sie irgendwie die Ziele, die die Vielheit mit sich führen wür-
de, erreicht haben, sich nunmehr sofort der Reaktionstendenz
zu überlassen und untereinander die absolute Einheit herzu-
stellen; nichts kann die Aggregation zahlreicher einheitlicher
Massen an zahlreichen Punkten des Raumes hemmen; mit
andern Worten: nichts widerstreitet der Ansammlung zahlrei-
cher Massen, von denen jede eine absolute Einheit ist.
Wir sehen also, daß es zur wirksamen und durchgreifenden
Ausführung des allgemeinen Plans einer Repulsionskraft mit
begrenzter Energie bedarf – ein für sich bestehendes Etwas ist
nötig, das beim Nachlassen des zerstreuenden Willens gleich-
zeitig die Annäherung der Atome zuläßt und ihre Verbindung
verhindert, das erlaubt, daß sie sich unendlich nahe kommen,
ihre positive Berührung aber ablehnt; mit einem Wort, dieses
Etwas muß bis zu einem gewissen Zeitpunkt die Macht haben,
ihr tatsächliches Zusammenkommen zu verhindern, wäh-
rend es ihm aber in keiner Form und in keinem Grad zusteht,
ihr Entgegenkommen irgendwie zu stören. Die Repulsion,
die in anderer Hinsicht, wie erwähnt, so ganz besonders be-
schränkt ist, hat – ich wiederhole es – nur bis zu einem ge-
wissen Zeitpunkt die Macht, die absolute Kohäsion zu verhin-
dern. Wir können uns unmöglich vorstellen, das Verlangen
der Atome nach Einheit sei dazu verurteilt, niemals erfüllt zu
werden; wir können uns nicht vorstellen, daß das, was einmal
angefangen hat, niemals zu einem Ende komme – obwohl oft
genug gesagt oder geträumt wird, eine solche Vorstellung sei
möglich. Wir sind vielmehr zu der Folgerung genötigt, daß der
Einfluß der Repulsion schließlich, wenn die Einheitstendenz
in der Gesamtheit wirksam ist, aber niemals auch nur im ge-
ringsten vorher, ehe in Erfüllung der göttlichen Zwecke diese
Gesamttendenz sich natürlich zur Geltung bringt – daß also
dann die Repulsion einer andern Macht weicht, die ihr in die-
sem letzten Zeitraum genau in dem erforderlichen Ausmaß
an Einfluß überlegen ist: so fällt dann das Weltall in die
unvermeidliche, weil ursprüngliche und demnach normale
Einheit wieder zurück. Die Umstände, die hier miteinander in
Einklang zu bringen sind, sind in der Tat sehr schwierig; es ist
uns nicht möglich, zu verstehen, wie sie in Einklang kommen
können; nichtsdestoweniger verbergen sich in dieser offen-
sichtlichen Unmöglichkeit eine Fülle reizvoller Vermutungen.
Daß das repulsive Etwas wirklich existiert, sehen wir. Wir
verwenden und kennen keine Kraft, die imstande wäre,
zwei Atome miteinander zu verschmelzen. Dies ist nichts
anderes als der wohlbegründete Satz von der Undurchdring-
lichkeit der Materie. Jedes Experiment beweist sie – jede
Philosophie nimmt sie an. Die Bestimmung der Repulsion,
die Notwendigkeit ihres Vorhandenseins habe ich zu zeigen
versucht; aber von jedem Versuch, ihre Natur zu ergründen,
habe ich in scheuer Ehrfurcht Abstand genommen, und zwar
auf Grund intuitiver Überzeugung, daß das fragliche Prinzip
ein rein geistiges ist – daß es in einer Verborgenheit ruht, die
unsrer jetzigen Erkenntnis unzugänglich ist, daß es in eine
Form gehüllt ist, die von uns nicht erfaßt werden kann – in
die Form des Geistes an sich. Mit einem Wort, ich fühle hier,
und hier allein, die Einmischung Gottes, weil hier, hier allein,
die Verschlingung des Knotens so ist, daß die Einmischung
Gottes geboten ist.
Während wir in der Tat die Tendenz der zerstreuten Atome,
zur Einheit zurückzukehren, sofort als Newtons Prinzip
der Gravitation erkennen werden, gewahren wir, daß der
von mir so genannte repulsive Einfluß, der der sofortigen
Durchführung der Tendenz Schranken setzt, nichts anderes
ist als das, was wir bisher gewohnt waren, bald Wärme, bald
Magnetismus, bald Elektrizität zu nennen; wie wenig wir von
seinem Ehrfurcht gebietenden Charakter wußten, verrieten
wir durch die schwankende Terminologie, mit deren Hilfe wir
ihn umschreiben wollten.
Nennen wir diesen Einfluß, wenigstens vorläufig, Elektri-
zität, so wissen wir, daß jede experimentelle Erforschung der
Elektrizität zum letzten Ergebnis das Prinzip oder Schein-
prinzip der Heterogenität hatte. Nur da, wo Dinge voneinander verschieden sind, ist Elektrizität wahrzunehmen; und
man darf annehmen, daß sie nie voneinander verschieden
sind, ohne daß sie wirksam, wenn schon nicht wahrnehm-
bar ist. Dieses Ergebnis nun stimmt völlig überein mit dem,
was ich auf nichtempirischem Wege gefunden habe. Ich habe
behauptet, die Bestimmung des repulsiven Einflusses bestehe
darin, die sofortige Einheit der zerstreuten Atome zu verhin-
dern; und diese Atome sind als voneinander verschieden
dargestellt. Verschiedenheit ist ihr Charakter, ihr Wesen, ge-
nauso wie Nicht Verschiedenheit das Wesen ihres Trachtens
war. Wenn wir also sagen, ein Versuch, zwei beliebige von
diesen Atomen zusammenzubringen, veranlasse den repulsi-
ven Einfluß dieses Verschmelzen zu verhindern, so können
wir uns ebensowohl des genau entsprechenden Satzes bedie-
nen und sagen: ein Versuch, zwei Verschiedenheiten zusam-
menzubringen, führt zur Entwicklung von Elektrizität. Alle
Körper, die es gibt, sind natürlich aus diesen Atomen, die
sich nachbarlich berühren, zusammengesetzt und müssen
also als bloße Ansammlungen von größeren oder kleineren
Verschiedenheiten betrachtet werden; und wenn man so zwei
beliebige Ansammlungen zusammenbringen wollte, so wäre
die Größe des Widerstandes, den der repulsive Geist ausübt,
im Verhältnis der zwei Summen der Verschiedenheiten in
jeder Ansammlung – um eine abgekürzte Formel für diesen
Ausdruck zu geben: Die Summe der Elektrizität, die bei der
Annäherung zweier Körper entwickelt wird, ist proportional dem
Unterschied zwischen den zwei Summen der Atome, aus denen
die Körper zusammengesetzt sind. Daß keine zwei Körper abso-
lut gleich sind, ist lediglich ein Zusatz zu dem hier Gesagten.
Die Elektrizität also, die überall ist, entwickelt sich, wenn ir-
gend zwei Körper einander genähert werden, aber sie wird
erst wahrnehmbar, wenn es sich um Körper von merklicher
Verschiedenheit handelt.
Auf die Elektrizität also – wir wollen diese Bezeichnung
weiterhin anwenden – können wir mit gutem Grund die
verschiedenen physikalischen Erscheinungen des Lichts, der
Wärme und des Magnetismus zurückführen; aber wir gehen
noch weit weniger fehl, wenn wir von diesem völlig unkör-
perlichen Prinzip die wichtigeren Erscheinungen der Lebens-
kraft, des Bewußtseins und des Denkens ableiten. Über diesen
Gegenstand will ich mich indessen an dieser Stelle nicht wei-
ter verbreiten; ich weise nur auf das hin, was sich aufdrängt,
mag man diese Erscheinungen im allgemeinen oder im spezi-
ellen betrachten: daß sie sich nämlich mindestens proportional
dem Heterogenen zu verhalten scheinen.
Nehmen wir nun von den beiden zweideutigen Ausdrük-
ken »Gravitation« und »Elektrizität« Abschied und bedienen
wir uns der entschiedeneren Bezeichnungen »Attraktion« und
»Repulsion«. Erstere ist der Körper; letztere ist die Seele: die
eine ist das materielle, die andere das geistige Prinzip des
Weltalls. Es gibt keine andern Prinzipien. Alle Erscheinungen
sind auf das eine oder das andre oder auf eine Kombination
beider zurückzuführen. So ausnahmslos ist das der Fall, so
völlig zu erweisen ist es, daß Attraktion und Repulsion die einzigen Eigenschaften sind, durch die wir das Weltall wahr-nehmen – anders ausgedrückt: durch die die Materie sich
unsrer Erkenntnis offenbart –, daß wir für alle Zwecke der
bloßen Beweisführung völlig zu der Annahme berechtigt sind,
die Materie existiere nur als Attraktion und Repulsion, daß
Attraktion und Repulsion die Materie sind, da wir uns keinen
Fall denken können, in dem wir nicht das Wort »Materie«
und die Wörter »Attraktion« und »Repulsion« zusammen-
genommen als gleichbedeutende Bezeichnungen in der Logik
anwenden und also auch miteinander vertauschen dürften.
Ich sagte vorhin: was ich als die Tendenz der zerstreuten
Atome, zu ihrer ursprünglichen Einheit zurückzukehren, be-
schrieben habe, müsse als identisch mit Newtons Prinzip
des Gravitationsgesetzes aufgefaßt werden; und in der Tat
kann eine solche Auffassung nur geringe Schwierigkeit ma-
chen, wenn wir Newtons Gravitation nur ganz im allgemei-
nen, als die Kraft, die die Materie dazu treibt, Materie
anzuziehen, betrachten: das heißt, wenn wir den bekannten
modus operandi der Newtonschen Kraft nicht beachten. Die
Übereinstimmung im allgemeinen befriedigt uns; aber wenn
wir näher zusehen, dann bemerken wir im speziellen vieles,
was nicht zu stimmen scheint, und vieles, bei dem wenigstens
keine Übereinstimmung konstatiert werden kann. Zum Bei-
spiel scheint die Newtonsche Gravitation, wenn wir an be-
stimmte Formen denken, ganz und gar nicht eine Tendenz
zur Einheit zu sein, sondern eher eine Tendenz aller Körper
nach allen Richtungen – und dieser Satz scheint doch eine
Tendenz zur Zerstreuung auszudrücken. Hier also fehlt die
Übereinstimmung. Wenn wir ferner an das mathematische
Gesetz denken, das die Newtonsche Tendenz beherrscht, so
sehen wir klar, daß keine Übereinstimmung in bezug auf den
modus operandi wenigstens zwischen der Gravitation, wie sie
bekannt ist, und der scheinbar einfachen und unmittelbaren
Tendenz, die ich angenommen habe, ausgemacht ist.
Hier habe ich nun in der Tat den Punkt erreicht, wo es
ratsam scheint, meine Position dadurch zu stärken, daß ich
meine Darstellungsmethode umkehre. Bisher sind wir a priori
vorgegangen, von dem abstrakten Begriff der Einfachheit aus,
der sehr geeignet war, den ursprünglichen Akt Gottes zu
charakterisieren. Sehen wir jetzt zu, ob die festgestellten Tat-
sachen der Newtonschen Gravitation uns nicht a posteriori
mit einigen Induktionen fördern können.
Was erklärt das Gesetz Newtons? Daß alle Körper sich ge-
genseitig anziehen, und zwar mit Kräften, die dem Quadrat
ihrer Entfernungen proportional sind. Absichtlich habe ich
an erster Stelle die gewöhnliche Fassung des Gesetzes ge-
geben, und ich gestehe: in dieser, wie in vielen andern üb-
lichen Fassungen großer Wahrheiten, finden wir wenig, was
uns erleuchten könnte. Wählen wir daher jetzt eine philosophi-
schere Terminologie: Jedes Atom eines jeden Körpers zieht jedes
andere Atom, sowohl seines eigenen wie jedes andern Körpers,
mit einer Kraft an, die sich umgekehrt verhält wie die Quadrate
der Entfernungen zwischen dem anziehenden und dem angezo-
genen Atom. Hier taucht vor dem geistigen Auge eine Flut von
Ideen auf.
Aber sehen wir genau zu, was Newton eigentlich bewiesen
hat – entsprechend den höchst irrationalen Definitionen des
Begriffs »Beweis«, wie sie die metaphysischen Schulen uns
vorschreiben. Er mußte sich damit begnügen zu zeigen, wie
völlig identisch die Bewegungen eines lediglich begrifflich
vorhandenen Weltalls, das aus anziehenden und angezogenen
Atomen besteht, die seinem Gesetz gehorchen, mit den Be-
wegungen des tatsächlich vorhandenen Weltalls sind, soweit
es unserer Beobachtung zugänglich ist. Dies war der Inhalt
seiner Demonstration, das heißt, dies war ihr Inhalt nach der
Versicherung des konventionellen Jargons der Philosophen.
Seine Nachfolger häuften Beweise auf Beweise – Beweise
in dem Sinne, wie ein unbefangener Verstand das Wort ver-
steht –, aber die Demonstration des Gesetzes selbst, so ver-
sichern die Metaphysiker, sei nicht im geringsten verbessert
worden. Indessen wurde endlich, sehr zur Genugtuung einiger
intellektueller Erdarbeiter, der sichtbare, experimentelle Beweis
für die Attraktion auf dieser Erde in Übereinstimmung mit
der Theorie Newtons geführt. Dieser Beweis fand sich neben-
bei und zufällig ein (wie fast alle wichtigen Wahrheiten), als
man sich bemühte, die Durchschnittsfestigkeit der Erde fest-
zustellen. Bei den berühmten Experimenten, die Maskelyne,
Cavendish und Bailly zu diesem Zweck anstellten, wurde die
Anziehung der Masse eines Berges gesehen, gefühlt, gemessen,
und es stellte sich heraus, daß sie mathematisch genau mit
der unsterblichen Theorie des englischen Astronomen über-
einstimmte.
Aber trotz dieser Bestätigung dessen, was keiner Bestätigung
bedurfte, trotz der sogenannten Unterstützung der »Theorie«
durch den sogenannten »sichtbaren und experimentellen
Beweis«, trotz der Art dieser Bestätigung – trotz alledem ist es
zu sehen, daß die Vorstellungen, die sich selbst wirklich phi-
losophisch begabte Männer hinsichtlich der Gravitation ein-
flößen lassen – und insbesondere die Vorstellungen, die der
gemeine Mann hegt und hartnäckig festhält –, fast immer auf
einen besonderen Fall des Prinzips zurückgehen, der lediglich
auf dem Planeten gilt, auf dem sie stehen.
Wohin muß nun eine so beschränkte Auffassung führen? Zu
welcher Art Irrtum verleitet sie? Auf der Erde sehen und füh-
len wir lediglich, daß die Gravitation alle Körper gegen den
Mittelpunkt der Erde zieht. Kein Mensch ist auf den gewöhn-
lichen Wegen des Lebens dazu zu bringen, irgend etwas ande-
res zu sehen oder zu fühlen – zu der Wahrnehmung zu brin-
gen, daß irgend etwas irgendwo eine Gravitationstendenz nach
irgendeiner andern Richtung hat als nach dem Mittelpunkt
der Erde; und doch ist es (mit einer Ausnahme, die später
angeführt wird) Tatsache, daß jedes irdische Ding (um jetzt
nicht von jedem himmlischen Ding zu reden) eine Tendenz
hat nicht nur nach dem Mittelpunkt der Erde, sondern auch
noch in jeder denkbaren andern Richtung.
Nun kann man freilich nicht behaupten, die Philosophen
irrten ebenso in dieser Sache wie der gemeine Mann, aber
trotzdem gestatten sie dieser verbreiteten Auffassung, einen
gefühlsmäßigen Einfluß auf sie auszuüben, ohne daß sie es
wissen. »Die Sagen des Altertums werden zwar nicht mehr
geglaubt,« sagt Bryant in seiner sehr gelehrten »Mythologie«,
»aber wir vergessen uns fortwährend und ziehen Schlüsse aus
ihnen, als ob es tatsächlich vorhandene Wirklichkeiten wären.«
Was ich behaupten will, ist: die bloße Sinneswahrnehmung der
Gravitation, wie wir sie auf der Erde kennenlernen, verführt
uns Menschen zu der trügerischen Vorstellung, sie bestehe in
dem Streben nach dem Mittelpunkt und gehöre also der Erde
an, und diese Sinneswahrnehmung hat selbst die mächtigsten
Geister auf die Abwege des Irrtums gelenkt und sie bestän-
dig, wenn auch unmerklich, von den wirklichen Merkmalen
des Prinzips entfernt und sie so bis zum heutigen Tage daran
gehindert, die bedeutungsvolle Wahrheit auch nur zu ahnen,
die gerade in der umgekehrten Richtung liegt – hinter den
wesentlichen Merkmalen des Prinzips, die nicht nach dem
Mittelpunkt und der Erde weisen, sondern nach dem Weltall
und der Zerstreuung. Diese »bedeutungsvolle Wahrheit« ist
die Einheit als Quelle des Phänomens.
Ich wiederhole noch einmal die Definition der Gravitation:
Jedes Atom eines jeden Körpers zieht jedes andere Atom, sowohl
seines eigenen wie jedes andern Körpers an, mit einer Kraft, die
sich umgekehrt verhält wie die Quadrate der Entfernungen
zwischen dem anziehenden und dem angezogenen Atom.
Hier bitte ich nun den Leser, mit mir einen Augenblick in-
nezuhalten und die wunderbare, die unsägliche, die völlig
unfaßbare Kompliziertheit der Beziehungen zu betrachten,
die in der Tatsache liegt, daß jedes Atom jedes andere Atom
anzieht – lediglich in dieser Tatsache der Anziehung, ohne
Rücksicht auf das Gesetz oder die Art und Weise, worin die
Anziehung sich äußert, lediglich in der Tatsache, daß jedes
Atom jedes andere Atom in jedem Falle anzieht, und das bei
einer so riesigen Zahl von Atomen, daß diejenigen, die zur
Zusammensetzung einer Kanonenkugel gehören, wahrschein-
lich schon der Zahl nach die Menge der Sterne, die das Welt-
all bilden, übertreffen.
Hätten wir einfach entdeckt, daß jedes Atom einem be-
stimmten Lieblingspunkte zustrebe – einem besonders anzie-
henden Atom –, so wäre uns damit schon eine Entdeckung
aufgestoßen, die an und für sich genügt hätte, den Geist zu
überwältigen. Aber wie ganz anders ist doch das, was uns
in Wirklichkeit zu fassen zugemutet wird! Jedes Atom soll
jedes andere Atom anziehen, soll sich zu seinen feinsten Bewe-
gungen hingezogen fühlen, und zwar zu jedem einzelnen, zu
allen zusammen zur selben Zeit, für immer und nach einem
bestimmten Gesetz, dessen Kompliziertheit, selbst wenn wir
es für sich allein betrachten könnten, bei weitem über die
Fassungkraft des Menschen hinausgeht. Wenn ich darangehe,
den Einfluß des Stäubchens in einem Sonnenstrahl auf das
Nachbarstäubchen festzustellen, kann ich meine Aufgabe erst
dann als erfüllt betrachten, wenn ich vorher sämtliche Atome
des Weltalls zähle und wiege und die genaue Lage eines jeden
in einem bestimmten Augenblick feststelle. Wenn ich es wage,
das mikroskopisch kleine Staubteilchen, das jetzt auf meiner
Fingerspitze liegt, auch nur um den billionsten Teil eines Zolls
von seiner Stelle zu rücken, was bedeutet die Tat, die ich hier
gewagt habe! Ich habe ein Werk vollbracht, das den Mond
aus seinen Bahnen schleudert, das es zuwege bringt, daß die
Sonne nicht länger mehr die Sonne ist, und das für ewige
Zeiten das Geschick der zahllosen Myriaden von Sternen än-
dert, die flammend um den Thron ihres Schöpfers ziehen.
Solche Ideen, solche Vorstellungen, solche unausdenkbaren
Gedanken, die eher Seelenträume als Schlüsse oder auch nur
Erwägungen des Verstandes sind – solche Ideen, ich wiederhole
es, sind es einzig, mit deren Hilfe wir etwa hoffen können, das
große Prinzip zu fassen: das Prinzip der Attraktion.
Nun aber, ergriffen von diesen Ideen, ergriffen von dieser
Vision der wunderbaren Kompliziertheit der Attraktion, soll
irgend jemand, der über solche Dinge nachzudenken in der
Lage ist, sich an die Aufgabe machen, ein Prinzip für die-
se von uns beobachteten Phänomene zu ersinnen oder den
Zustand zu bezeichnen, aus dem sie entsprungen sind.
Weist nicht diese offenbare Verbrüderung der Atome auf
eine gemeinsame Abstammung hin? Legt nicht diese Sym-
pathie, die so allbeherrschend, so unauslöschlich, so durchaus
unabhängig ist, die Vermutung nahe, daß sie alle Kinder ei-
nes Vaters sind? Und erinnert sich unsere Vernunft nicht gern
bei einem Extrem an das entgegengesetzte? Bringt uns nicht
die Unendlichkeit der Teilung auf den äußersten Inbegriff
des unteilbaren Individuums? Deutet nicht die vollendetste
Kompliziertheit auf das vollkommen Einfache? Nicht, daß
die Atome, wie wir sie sehen, geteilt sind oder daß ihre ge-
genseitigen Beziehungen kompliziert sind – sondern daß sie
unausdenkbar geteilt und unsäglich kompliziert sind: darauf,
auf diese völlige Extravaganz der Umstände kommt es mir
hier an, nicht auf die Umstände an sich. Mit einem Wort:
sind nicht die Atome darum, weil sie in alter Zeit einmal
noch mehr als vereinigt, weil sie ursprünglich und also in ih-
rer normalen Verfassung eins waren – sind sie nicht gerade
darum jetzt unter allen Umständen, in allen Punkten, in al-
len Richtungen, mittelst aller Arten der Annäherung, in al-
len Beziehungen und ohne jede Rücksicht im Kampf um die
Heimkehr begriffen, zurück zu dieser absoluten, unrelativen
und bedingungslosen Einheit?
Hier könnte jemand den Einwand erheben: »Wenn es so
ist, daß die Atome zur Einheit zurückbegehren – warum sind
wir dann nicht in der Lage, die Attraktion als eine ›ganz all-
gemeine Tendenz gegen einen Mittelpunkt‹ definieren zu kön-
nen? Warum insbesondere kehren Ihre Atome – die Atome,
die nach Ihrer Beschreibung von einem Mittelpunkt ausge-
strahlt sind – nicht geradenwegs zu dem Zentralpunkt ihres
Ursprungs zurück?«
Darauf antworte ich, daß sie das tun, wie ich genau zei-
gen werde; aber die Ursache, daß sie es tun, hat gar keine
Beziehung zu dem Mittelpunkt als solchem. Sie streben alle
geradlinig einem Mittelpunkt zu, weil sie kugelförmig in
den Raum ausgestrahlt waren. Jedes Atom, das eine im allge-
meinen gleichförmige Kugel von Atomen bilden hilft, findet
natürlich in der Richtung nach dem Mittelpunkt mehr Atome
als in jeder andern und wird daher nach dieser Richtung
hin getrieben – aber es wird nicht deshalb dahin getrieben,
weil der Mittelpunkt der Punkt seines Ursprungs wäre. Die
Atome sind nicht von einem bestimmten Punkt abhängig.
Ich nehme nicht an, daß es die Räumlichkeit sei, weder im
Konkreten noch im Abstrakten, woran sie gebunden sind.
Nichts Räumliches habe ich als ihren Ursprung erklärt. Ihr
Ursprung liegt im Prinzip der Einheit. Das ist ihr verlorener
Vater. Diese Einheit suchen sie unablässig, unmittelbar, in al-
len Richtungen, überall, wo sie auch nur teilweise zu finden
ist; so besänftigen sie einigermaßen das unausrottbare Verlan-
gen, solange sie noch auf dem Wege zur völligen Befriedigung
begriffen sind, die sie am Ende finden. Aus alledem folgt, daß
jedes Prinzip, das imstande ist, uns den Grund für das Gesetz
oder den modus operandi der Anziehungskraft im allgemeinen
anzugeben, auch imstande sein wird, dieses Gesetz im beson-
deren zu erklären; das heißt, jedes Prinzip, das zeigt, warum
die Atome dem gemeinsamen Zentrum ihrer Ausstrahlung mit
einer Kraft zustreben, die dem Quadrat der Entfernungen
proportional ist, wird auch gleichzeitig imstande sein, die
demselben Gesetz entsprechende gegenseitige Anziehung der
Atome untereinander zu erklären; denn das Streben nach dem
Zentrum ist nichts anderes als das Streben eines jeden Atoms
zu jedem und keineswegs ein Streben nach einem Zentrum
als solchem. – So sieht man nun auch, daß die Anerkennung
meiner Aufstellungen keineswegs die Notwendigkeit in sich
schließt, die Ausdrucksweise in Newtons Definition der
Gravitation zu ändern; diese erklärt, daß jedes Atom jedes an-
dere Atom so und so anzieht, und sie erklärt lediglich dies; aber
es scheint (immer vorausgesetzt, daß meine Behauptungen
sich schließlich als wahr herausstellen) klar, daß mancher
naheliegende Irrtum in den künftigen Untersuchungen der
Wissenschaft vermieden werden könnte, wenn eine etwas
erweiterte Fassung akzeptiert würde – zum Beispiel: »Jedes
Atom strebt zu jedem andern Atom, etc., mit einer Kraft etc.;
das allgemeine Ergebnis ist ein Streben aller Atome mit derselben
Kraft nach einem gemeinsamen Zentrum. «
Die Umkehrung unserer Darstellungsmethode hat uns also
zu dem nämlichen Resultat geführt wie vorher: aber während
die Intuition bei der zuerst angewandten Methode der Aus-
gangspunkt war, bildet sie bei der anderen den Schlußstein.
Als ich mich zuerst auf den Weg machte, konnte ich nur sagen,
daß ich mit unwiderstehlicher Intuition fühlte, daß Einheit
das Charakteristische an der ursprünglichen Aktion Gottes
ausmache; am Ende des zweiten Weges aber kann ich nur
erklären, daß ich mit unwiderstehlicher Intuition gewahre,
daß Einheit der Ursprung der beobachteten Phänomene der
Newtonschen Gravitation ist. So also, nach der Auffassung
der Schulgelehrten, beweise ich nichts. Nun, ich will ja auch
nur Vermutungen äußern – und durch Vermutungen über-
zeugen. Voll Stolz stelle ich fest, daß es viele sehr tiefe und
vorsichtig prüfende Köpfe gibt, die nicht anders können als
ausnehmend zufrieden sein mit meinen Vermutungen. Für
diese Köpfe – wie für meinen eigenen – gibt es keine mathe-
matische Demonstration, die auch nur den geringsten Wahr-
heitsbeweis der großen Wahrheit hinzufügen könnte, die ich
aufgestellt habe – der Wahrheit der ursprünglichen Einheit
als Quelle und als Prinzip der Phänomene des Weltalls. Ich für
mein Teil bin nicht so gewiß, daß ich spreche und sehe, daß
mein Herz schlägt und meine Seele lebt, daß morgen die
Sonne aufgeht – eine Wahrscheinlichkeit, die jetzt noch in
der Zukunft liegt; ich kann mich keineswegs rühmen, von all
diesem so überzeugt zu sein wie von der unabänderlich festste-
henden Tatsache, daß alle Dinge und alle Begriffe von Din-
gen, mit all der unsagbar großen Menge ihrer Beziehungen
und Bedingtheiten, auf einmal ins Dasein geschossen sind aus
der urersten und unbedingten Einheit.
In bezug auf die Newtonsche Gravitation sagt Dr. Nichol,
der beredte Verfasser der »Architektur des Himmels«: »In
Wahrheit haben wir kein Recht zu der Annahme, daß dies
große Gesetz, so wie es uns jetzt enthüllt ist, die letzte oder
einfachste und somit die universellste und allgemeinverständ-
lichste Form einer großen Ordnung sei. Das Verhältnis, in
dem seine Intensität sich je nach der Entfernung verringert,
sieht nicht nach einem letzten Prinzip aus; dieses setzt immer
die Einfachheit und Selbstevidenz der Axiome voraus, die die
Grundlage der Geometrie bilden.«
Nun ist es allerdings ganz richtig, daß »letzte Prinzipien«
im üblichen Sinne des Ausdrucks immer die Einfachheit geo-
metrischer Axiome voraussetzen (so etwas wie »Selbstevidenz«
gibt es nicht), aber diese Prinzipien sind selbstverständlich
keine »letzten«; mit andern Worten: was wir gewohnt sind
Prinzipien oder letzte Ursachen zu nennen, sind es genau ge-
nommen nicht, da es nur eine letzte Ursache, nur ein Prinzip
geben kann: den Willen Gottes. Wir haben demnach kein
Recht, auf Grund dessen, was wir in der Form von Regeln be-
obachten, denen wir törichterweise den Namen »Prinzipien«
zu geben beschlossen haben, irgend etwas in bezug auf die
Merkmale eines wirklichen Prinzips anzunehmen. Die »letzten
Prinzipien«, von deren geometrischer Einfachheit Dr. Nichol
spricht, können diese geometrische Gestaltung haben und ha-
ben sie in der Tat, da sie einen Bestandteil eines ausgedehnten
geometrischen Systems bilden und so allerdings ein System
der Einfachheit sind, deren wahrhaft letztes Prinzip aber, wie
wir wissen, das Maximum des Komplexen – das heißt des
Nichtintelligiblen – ist; denn ist das Wesen des göttlichen
Geistes nicht Einfachheit?
Ich berief mich indessen nicht eigentlich darum auf die
Bemerkung Dr. Nichols, um seine Philosophie in Frage zu
stellen, sondern vielmehr, um bei der Gelegenheit auf die
Tatsache aufmerksam zu machen, daß von keiner Seite ein
Versuch gemacht worden ist – obwohl alle Welt zugegeben hat,
daß irgendein Prinzip hinter dem Gravitationsgesetz stecken
muß – zu bestimmen, worin dieses Prinzip eigentlich besteht –
abgesehen vielleicht von gelegentlichen phantastischen
Versuchen, es mit dem Magnetismus oder Mesmerismus oder
Swedenborgianismus oder Transzendentalismus oder sonst ei-
nem entzückenden Ismus dieser Art in Verbindung zu bringen,
die alle miteinander von ein und demselben Schlag Menschen
unterstützt werden. Der große Geist Newtons, der das Gesetz
selbst kühn erfaßte, entzog sich der Erklärung dieses Gesetzes
durch ein Prinzip. Der Scharfsinn Laplaces, der beweglicher
und mindestens umfassender, wenn nicht tiefer bohrend war,
hatte nicht den Mut, das Problem anzugreifen. Aber vielleicht
ist es nicht so sehr schwer, ein solches Zögern bei diesen zwei
Astronomen zu verstehen. Sie waren, wie alle Mathematiker
ersten Ranges, nur Mathematiker; wenigstens hatte ihr Geist
eine betont mathematischphysikalische Ausrichtung. Was
nicht eindeutig im Bereich der Physik oder Mathematik lag,
war für sie etwas nicht Vorhandenes oder völlig schatten-
haft. Dagegen dürfen wir uns wohl wundern, daß Leibniz,
der in dieser Hinsicht eine bemerkenswerte Ausnahme von
der Regel war und dessen Geistesart eine seltsame Mischung
des Mathematischen mit dem Physikalisch-Metaphysischen
war, den fraglichen Punkt nicht sofort aufspürte und klärte.
Newton wie Laplace hätten sich beide, wenn sie das Prinzip
gesucht und dabei gefunden hätten, daß es ein physikalisches
nicht gebe, mit dem Schluß beruhigt, daß es überhaupt kei-
nes gebe; aber fast unmöglich ist es, sich vorzustellen, daß
Leibniz nach fruchtlosem Absuchen des Bereiches der Physik
nicht sofort seinen Fuß kühn und voller Hoffnung auf das alt-
vertraute Gebiet im Königreich der Metaphysik gesetzt hätte.
In seinem Fall ist es klar, daß er es unternommen haben muß,
den Schatz zu suchen – daß er ihn schließlich nicht gefunden
hat, kommt vielleicht daher, daß die wunderbare Führerin,
die Phantasie, bei ihm nicht reich oder ausgebildet genug war,
um ihn auf den rechten Weg zu bringen.
Ich erwähnte vorhin einige tatsächlich vorhandene tastende
Versuche, die Gravitation auf etliche sehr unbestimmte Ismen
zurückzuführen. Diese Versuche jedoch, obwohl sie – mit
Recht – kühn genannt wurden, gingen lediglich auf das All-
gemeine, das bare Allgemeine am Gesetz Newtons aus. Nie ist
man meines Wissens darangegangen, seinen modus operandi
zu erklären. Ich habe daher allen Grund zu der Befürchtung,
daß man mich von vornherein, bevor ich noch recht meine
Behauptungen denen vorlegen kann, die allein berufen sind,
über sie zu entscheiden, für verrückt halten wird, wenn ich
hier ausspreche, daß der modus operandi des Gravitations-
gesetzes eine ausnehmend einfache Sache und vollkommen zu
erklären ist – dann nämlich, wenn wir uns ihm in geeignetem
Aufstieg und in der rechten Richtung nähern, also wenn wir
ihn vom richtigen Standpunkt aus betrachten.
Gleichviel, ob wir die Idee, daß absolute Einheit die Quelle
aller Dinge ist, aus der Betrachtung der Einfachheit gewin-
nen, die der nächstliegende Wesenszug der ursprünglichen
Aktion Gottes ist, oder ob wir zu ihr durch eine Obersicht
über die Gesamtheit der Beziehungen der gravitierenden
Phänomene gelangen, oder ob wir zu diesem Ergebnis da-
durch kommen, daß wir die beiden Methoden einander un-
terstützen lassen – gleichviel, jedenfalls haben wir die Idee,
wenn überhaupt, nur in unlösbarer Verbindung mit einer
anderen, mit der Vorstellung von der besonderen Beschaffen-
heit des Sternenweltalls, wie wir es jetzt gewahren – das heißt,
einer unermeßlichen Zerstreuung im Raum. Nun kann aber
eine Verbindung zwischen diesen beiden Ideen – Einheit und
Zerstreuung – nur dadurch hergestellt werden, daß wir eine
dritte Idee haben, nämlich die der Ausstrahlung. Wenn ab-
solute Einheit als Zentrum aufgefaßt wird, dann ist das exi-
stierende Sternenweltall das Ergebnis einer Ausstrahlung aus
diesem Zentrum.
Die Gesetze der Strahlung sind nun aber bekannt. Sie sind
ein untrennbarer Bestandteil der Sphäre. Sie gehören zu der
Klasse der unbestreitbaren geometrischen Besitztümer. Wir
sagen von ihnen: »Sie sind wahr, sie sind evident.« Zu fragen,
warum sie wahr sind, wäre dasselbe, wie wenn man fragte,
warum die Axiome wahr seien, auf die ihr Beweis sich stützt.
Genaugenommen ist nichts beweisbar; aber wenn überhaupt
etwas bewiesen ist, dann sind es diese Gesetze.
Aber was sagen diese Gesetze? Wie, auf welchen Bahnen
erfolgt die Ausstrahlung aus einem Zentrum in den Raum?
Von einer Lichtquelle strahle Licht aus; wir nehmen an, das
Licht werde von einer gegebenen Ebene aufgefangen, die ihre
Lage so verändere, daß sie sich dem Lichtzentrum bald nähe-
re, bald sich von ihm entferne; dann werden die Lichtmengen,
die die Ebene empfängt, im selben Verhältnis kleiner werden,
wie die Quadrate der Entfernungen zwischen der Ebene und
dem leuchtenden Körper größer werden, und ebenso werden
sie im selben Verhältnis größer werden, wie die Quadrate klei-
ner werden.
Die Formel des Gesetzes kann so verallgemeinert wer-
den: Die Zahl der Lichtteilchen oder, wenn dieser Ausdruck
vorgezogen wird, die Zahl der Lichteindrücke, die von der
bewegten Fläche empfangen werden, ist den Quadraten der
Entfernungen der Ebene umgekehrt proportional. Wenn wir
noch einmal verallgemeinern, so können wir sagen, daß die
Zerstreuung, die Verteilung, mit einem Wort: die Ausstrah-
lung den Quadraten der Entfernungen direkt proportional
ist. Zum Beispiel: in der Entfernung B vom Lichtzentrum A
aus sind eine bestimmte Zahl von Partikeln so zerstreut, daß
sie die Fläche B einnehmen. In der doppelten Entfernung,
also in C, sind sie um so viel mehr zerstreut, daß sie vier sol-
che Flächen einnehmen; in der dreifachen Entfernung, also
in D, sind sie so viel weiter auseinander, daß sie neun solche
Flächen besetzen; und in der vierfachen Entfernung sind sie
so zerstreut worden, daß sie sich über sechzehn solche Flächen
verbreiten – und so immer weiter.
Wenn wir allgemein sagen, daß die Ausstrahlung im di-
rekten Verhältnis der Quadrate der Entfernungen vor sich
geht, so benutzen wir den Ausdruck Ausstrahlung, um den
Grad der Zerstreuung auszudrücken, je nachdem wir uns von
dem Zentrum entfernen. Wenn wir das Verhältnis umkeh-
ren und das Wort »Konzentration« benutzen, um den Grad
der Sammlung zu bezeichnen, je nachdem wir aus einer
Außenstellung zum Zentrum zurückkehren, so können wir
sagen, daß die Konzentration im umgekehrten Verhältnis der
Quadrate der Entfernungen vor sich geht. Mit andern Wor-
ten, wir sind zu dem Schluß gelangt, daß – wenn die Hypo-
these zutrifft, wonach die Materie ursprünglich aus einem
Zentrum ausstrahlte und jetzt auf der Rückkehr begriffen
ist – die Konzentration bei der Rückkehr genauso verläuft, wie
der uns bekannte Verlauf der Gravitationskraft ist.
Jetzt hätten wir, wenn uns die Annahme erlaubt wäre, daß
die Konzentration genau die Kraft des Strebens nach dem
Zentrum repräsentiert, daß die eine der andern genau pro-
portional ist und daß der Verlauf beider derselbe ist, alles ge-
zeigt, was erforderlich ist. Die einzige Schwierigkeit, die also
noch vorhanden ist, ist die, ein direktes Verhältnis zwischen
der Konzentration und der Kraft der Konzentration herzu-
stellen; und das ist natürlich geschehen, wenn wir ein solches
Verhältnis zwischen der »Ausstrahlung« und der Kraft der
Ausstrahlung herstellen.
Schon eine oberflächliche Übersicht über den Himmel zeigt
uns sofort, daß die Sterne in ihrer Verteilung über die Raum-
gegenden, in denen sie in ihrer Gesamtheit, grob gesagt in
Form einer Kugel, angeordnet sind, eine gewisse Gleichförmig-
keit, eine gewisse einheitliche Gestaltung, Gleichmäßigkeit
oder Gleichheit der Abstände gemeinsam haben, wobei diese
Art von sehr allgemeiner, keineswegs absoluter Gleichmäßig-
keit sich sehr wohl vereinbaren läßt mit meiner Theorie, daß
die ursprünglich zerstreuten Atome mit gewissen Ausnahmen
in ungleichen Abständen im Raum verteilt sind, eine Art der
Verteilung, die zu dem offenbaren Entstehen einer unendlichen
Kompliziertheit des Bedingten aus dem Bedingungslosen ge-
hört. Ich ging, wie man sich erinnern wird, von der Idee einer
im allgemeinen gleichförmigen, aber teilweise ungleichförmi-
gen Verteilung der Atome aus, und diese Idee, ich wiederhole
es, wird durch einen Überblick über die Sterne, so wie sie da
sind, bestärkt.
Aber selbst bei der Annahme einer bloß im allgemeinen
geltenden Gleichmäßigkeit der Verteilung hinsichtlich der
Atome taucht eine Schwierigkeit auf, die sich ohne Zweifel
schon denen unter meinen Lesern aufgedrängt hat, die mei-
ne Aufstellung im Gedächtnis behalten haben, wonach diese
Gleichmäßigkeit der Verteilung von einer Ausstrahlung aus
einem Zentrum bewirkt sei. Der erste Blick auf die Vorstel-
lung Ausstrahlung zwingt uns, die bisher niemals davon ge-
trennte und scheinbar davon untrennbare Vorstellung der
Zusammenballung um ein Zentrum damit zu verbinden, wo-
bei die Zerstreuung der Atome um so größer wird, je weiter
wir uns von dem Zentrum entfernen – mit einem Wort, es
drängt sich uns die Idee auf, daß die ausgestrahlte Materie
ungleichmäßig im Raum verteilt ist. Nun habe ich an anderer
Stelle* bemerkt, daß gerade bei solchen Schwierigkeiten wie
die, die uns jetzt beschäftigt, bei solchen Unebenheiten un-
seres Wegs, solchen Absonderlichkeiten, solchen Auswüchsen
auf der glatten Bahn des Gewöhnlichen – daß da, wenn ir-
gendwo, die Vernunft auf ihrer Suche nach der Wahrheit den
rechten Weg findet. Gerade die Schwierigkeit, die eben dar-
* »Der Mord in der Rue Morgue«.
gelegte »Absonderlichkeit« bringt mich mit einem Schlag auf
das Geheimnis – ein Geheimnis, das ich vielleicht nie ent-
hüllt hätte, wenn nicht gerade diese Absonderlichkeit gewesen
wäre und die Folgerungen, zu denen sie mir bloß um ihrer
Absonderlichkeit willen verhilft.
Die Gedankengänge, um die es sich hier handelt, können
etwas grob folgendermaßen skizziert werden: Ich sage zu
mir selbst: »Einheit, wie ich sie erklärt habe, ist eine Wahr-
heit – ich fühle sie; Zerstreuung ist eine Wahrheit – ich sehe
sie; Ausstrahlung, durch die allein diese zwei Wahrheiten
miteinander in Einklang gebracht werden können, ist eine
erschlossene Wahrheit – ich muß sie annehmen; Gleichmäßig-
keit der Zerstreuung, die zuerst a priori deduziert und dann
durch den Überblick über die Phänomene unterstützt wur-
de, ist auch eine Wahrheit – ich erkenne sie an. So weit ist
alles klar um mich; es sind keine Wolken zu sehen, hinter
denen das Geheimnis, das große Geheimnis des modus ope-
randi der Gravitation, möglicherweise verborgen sein kann;
aber dieses Geheimnis liegt ganz bestimmt hier irgendwo in
der Nähe, und wäre nur eine Wolke in Sicht, es triebe mich
dazu, hinter ihr das Geheimnis zu argwöhnen.« Und gerade,
wie ich das sage, kommt wirklich eine Wolke in Sicht. Diese
Wolke ist die scheinbare Unmöglichkeit, meine Wahrheit
Ausstrahlung mit meiner Wahrheit Gleichmäßigkeit der Zer-
streuung in Einklang zu bringen. Jetzt sage ich: »Hinter dieser
scheinbaren Unmöglichkeit ist zu finden, was ich begehre.«
Ich sage nicht » wirkliche Unmöglichkeit«; denn ein unzer-
störbarer Glaube an meine Wahrheiten versichert nur, daß es
alles in allem bloß eine Schwierigkeit ist; aber ich gehe weiter
und sage mit unüberwindlichem Vertrauen, daß wir, wenn
erst diese Schwierigkeit gelöst ist, zusammen mit dieser Lösung
den Schlüssel zu dem Geheimnis finden werden, nach dem
wir verlangen. Noch mehr: ich fühle, daß wir nur eine mögliche Lösung der Schwierigkeit entdecken werden, und zwar
deshalb, weil in dem Falle, daß es zwei gäbe, eine überflüs-
sig – zwecklos, leer, ohne einen Schlüssel wäre, da zu keinem
Geheimnis der Natur ein Nachschlüssel gebraucht werden
kann.
Und nun, sehen wir zu: Die uns geläufigen Vorstellungen von
Ausstrahlung, ja alle unsere bestimmten Vorstellungen von ihr
entstammen lediglich dem Vorgang, wie wir ihn im Licht ex-
emplifiziert sehen. Da handelt es sich um ein unaufhörliches
Hervorbrechen von Strahlenströmen, deren Stärke – zum min-
desten haben wir kein Recht, es anders zu vermuten – keinerlei
Schwankungen unterworfen ist. Nun müssen in jeder so be-
schaffenen Strahlung, die unaufhörlich und deren Stärke un-
veränderlich ist, die Raumteile, die dem Zentrum näher liegen,
mehr von der ausgestrahlten Materie erfüllt sein als die weiter
entfernten. Aber ich habe keine so beschaffene Ausstrahlung
angenommen. Ich nahm keine unaufhörliche Strahlung an,
und zwar aus dem einfachen Grunde, weil diese Annahme er-
stens die Notwendigkeit eingeschlossen hätte, eine Vorstellung
zu haben, die – wie ich gezeigt habe – niemand haben kann
und die überdies, wie ich nachher ausführlicher auseinander-
setzen will, von jeder Erforschung des Firmaments widerlegt
wird – ich meine die Vorstellung der absoluten Unendlichkeit
des Sternenweltalls –, und weil diese Annahme es zweitens
unmöglich gemacht hätte, eine Reaktion – das heißt: die
Gravitation – als jetzt existierend zu verstehen, da ja natürlich,
solange eine Aktion dauert, keine Reaktion eintreten kann.
Meine Annahme also – oder besser gesagt: mein unvermeid-
licher Schluß aus richtigen Prämissen – lief auf eine endliche
Ausstrahlung hinaus, auf eine, die schließlich aufhört.
Ich will nun beschreiben, auf welche Weise es einzig und
allein vorstellbar ist, daß die Materie sich im Raum verbreitet
und dabei zugleich die Bedingungen der Strahlung und die
der im allgemeinen gleichmäßigen Verteilung erfüllt hat.
Zum Zweck einer bequemen Veranschaulichung wollen wir
uns zunächst eine hohle Kugel aus Glas oder dergleichen vor-
stellen, die den Raum versinnbildlichen soll, in dem die Ma-
terie des Weltalls durch Strahlung aus dem absoluten, unrela-
tiven, unbedingten Teilchen, das sich im Mittelpunkt der
Kugel befinde, zerstreut werden soll.
Eine gewisse Entfaltung der zerstreuenden Macht (nach
unserer Voraussetzung: des göttlichen Willens), mit andern
Worten: eine gewisse Kraft, die nach dem entsandten Quan-
tum Materie, also nach der Zahl der Atome, bemessen wird,
entsendet durch Ausstrahlung diese bestimmte Zahl Atome
und schleudert sie nach allen Richtungen aus dem Zentrum
hinaus, wobei sie sich immer mehr voneinander entfernen,
je weiter sie gelangen, bis sie schließlich lose über die innere
Oberfläche der Kugel verteilt sind.
Wenn die Atome diese Lage erreicht haben oder während
sie auf dem Wege sind, sie zu erreichen, entsendet eine zwei-
te, geringere Entladung derselben Kraft, beziehungsweise
eine zweite, geringere Entladung derselben Art – auf dieselbe
Weise, das heißt, durch Ausstrahlung wie zuvor – eine zwei-
te Atomschicht, die sich daranmacht, sich auf die erste zu
lagern, und zwar ist auch in diesem Falle wie im früheren
natürlich die Zahl der Atome das Maß der Kraft, die sie ent-
sandt hat. Anders ausgedrückt: die Kraft und die Zahl der
Atome, die von ihr entsandt worden sind, sind einander, da
die Kraft dem Zweck, dem sie dient, genau angepaßt ist, di-
rekt proportional.
Wenn diese zweite Schicht die ihr bestimmte Lage erreicht –
oder während sie sich ihr nähert –, macht sich eine dritte
noch geringere Entfaltung der Kraft oder eine dritte geringere
Kraft vom nämlichen Charakter – da die Zahl der entsandten
Atome in allen Fällen das Maß der Kraft ist – auf den Weg,
eine dritte Schicht auf die zweite zu lagern, und so weiter, bis
diese konzentrischen Schichten, die allmählich immer schwä-
cher geworden sind, schließlich bis zu dem Zentralpunkt rei-
chen und die zerstreuende Materie zugleich mit der zerstreu-
enden Kraft erschöpft ist.
So ist denn jetzt die Kugel vermittelst der Ausstrahlung mit
Atomen gefüllt, die gleichmäßig verteilt sind. Den zwei not-
wendigen Bedingungen – Ausstrahlung und gleichmäßige Ver-
teilung – ist Genüge geschehen, und zwar durch den einzigen
Vorgang, der uns die Vorstellung erlaubt, daß die Erfüllung
der Bedingungen gleichzeitig möglich ist. Wenn ich nun vol-
ler Begierde den gegenwärtigen Zustand der Atome, wie sie in
der Raumkugel verteilt sind, prüfe, so erwarte ich aus diesem
Grund zuversichtlich, das Geheimnis zu finden, nach dem ich
suche – das überaus wichtige Prinzip des modus operandi des
Newtonschen Gesetzes. Untersuchen wir also den gegenwär-
tigen Zustand der Atome.
Sie liegen in einem System konzentrischer Schichten. Sie
sind gleichmäßig in der Kugel verteilt. Sie sind in diese Lage
ausgestrahlt worden.
Wenn die Atome gleichmäßig verteilt sind, so werden um so
mehr Atome auf einer von diesen konzentrischen Schichten
oder Kugeloberflächen liegen, je größer die Oberfläche ist. Mit
anderen Worten: die Zahl der Atome, die auf der Oberfläche
einer solchen konzentrischen Kugel liegen, ist der Größe die-
ser Oberfläche direkt proportional.
Aber in jedem System konzentrischer Kugeln sind die
Oberflächen den Quadraten der Entfernungen vom Zentrum
direkt proportional. *
Daher ist die Zahl der Atome in jeder Schicht dem Qua-
drat der Entfernung dieser Schicht vom Zentrum direkt pro-
portional.
Aber die Zahl der Atome in jeder Schicht ist das Maß der
Kraft, die diese Schicht entsandt hat, das heißt, sie ist der
Kraft direkt proportional.
Also ist die Kraft, die eine bestimmte Schicht ausgestrahlt
hat, dem Quadrat der Entfernung dieser Schicht vom Zen-
trum direkt proportional, oder allgemein ausgedrückt: Die
Kraft der Ausstrahlung ist den Quadraten der Entfernungen di-
rekt proportional gewesen.
Nun ist aber die Reaktion, wenn wir irgend etwas davon
wissen, die umgekehrte Aktion. Da wir erstens das allgemei-
ne Prinzip der Gravitation als die Reaktion auf einen Akt be-
trachtet haben, als den Ausdruck des Verlangens von Seiten
der Materie, den Zustand der Zerstreuung aufzugeben und
in die Einheit, aus der sie entsprungen ist, zurückzukehren,
und da es zweitens unsern Geist verlangte, den Charakter
dieser Sehnsucht festzustellen, die Art und Weise, in der sie
* Kurz ausgedrückt: die Kugeloberflächen verhalten sich wie die Quadrate
ihrer Radien.
ihre Natur offenbarte – mit andern Worten: da unser Geist
ein wahrscheinliches Gesetz oder den modus operandi für die
Rückkehr suchte, so mußte er doch wohl zu dem Schluß kom-
men, daß dieses Gesetz der Rückkehr genau die Umkehrung
des Ausgangsgesetzes sein werde. Daß dies sich so verhalte, das
anzunehmen wird jedermann vollauf erlaubt sein müssen, so
lange wenigstens, bis einer so etwas wie einen einleuchtenden
Grund angibt, warum es sich nicht so verhalten soll – bis zu
dem Moment also, wo ein Gesetz der Rückkehr aufgestellt
wird, das der Geist als zutreffender betrachten kann.
Die Materie also, die mit einer Kraft in den Raum strahl-
te, die sich im Verhältnis der Quadrate der Entfernungen
veränderte, wird – das dürfen wir a priori vermuten – in der
Richtung nach dem Zentrum der Strahlung mit einer Kraft
zurückkehren, die sich umgekehrt wie die Quadrate der Ent-
fernungen verändert; und ich habe bereits gezeigt, daß jedes
Prinzip, das erklärt, warum die Atome, einem bestimmten
Gesetz gehorchend, dem gemeinsamen Zentrum zustreben,
zugleich als genügende Erklärung dafür gelten muß, warum
sie einander zustreben. Denn in der Tat ist die Tendenz zu
dem gemeinsamen Zentrum nicht eine Tendenz zu einem
Zentrum als solchem, sondern sie tritt darum ein, weil jedes
Atom, das sich in der Richtung nach diesem Zentrum treiben
läßt, damit den unmittelbarsten Weg zu seinem wahren und
eigentlichen Zentrum verfolgt, der Einheit – der absoluten
und endgültigen Vereinigung aller Dinge.
Die Auffassung, die aus dem hier Dargetanen spricht, bietet
meinem eigenen Geist nicht das mindeste Hindernis – aber
diese Tatsache verblendet mich nicht gegen die Möglichkeit,
daß meine Darlegung für solche dunkel ist, die weniger ge-
wöhnt sind, mit Abstraktionen umzugehen, und alles in allem
ist es jedenfalls gut, die Sache noch von einem oder zwei an-
dern Gesichtspunkten zu betrachten.
Das absolute, bedingungslose Teilchen, das ursprünglich
durch den Willen Gottes geschaffen wurde, muß sich in einem
Zustand des positiv Normalen oder der Richtigkeit befunden
haben, denn Unrichtigkeit schließt Bedingtheit ein. Richtig
ist positiv; unrichtig ist negativ, ist bloß die Negation des
Richtigen, wie kalt die Negation von warm oder Dunkelheit
die Negation von Licht ist. Dazu, daß ein Ding unrichtig ist,
gehört notwendig ein anderes Ding, hinsichtlich dessen es
unrichtig ist – irgendeine Bedingung, der es nicht Genüge
tut; irgendein Gesetz, das es verletzt; irgendein Seiendes, das
es beeinträchtigt. Wenn ein solches Seiendes, Gesetz oder Be-
dingung nicht da ist, bezüglich dessen das Ding unrichtig ist,
und vor allem, wenn überhaupt keine Wesen, Gesetze oder
Bedingungen vorhanden sind, dann kann das Ding nicht un-
richtig sein, es muß also richtig sein. Jedes Abweichen vom
Zustand des Normalen schließt die Tendenz in sich, zu ihm
zurückzukehren. Ein Abgehen vom Normalen, vom Richti-
gen, vom Gehörigen kann aufgefaßt werden als lediglich ge-
schehen, um eine Schwierigkeit zu überwinden; und wenn die
Kraft, die die Schwierigkeit überwindet, nicht ins Unendliche
fortwirkt, so wird schließlich die unausrottbare Tendenz zur
Rückkehr in der Lage sein, sich zu befriedigen und demnach
zu handeln. Sowie die Kraft nachläßt, tritt die Tendenz in
Aktion. Dies ist das Prinzip der Reaktion, aufgefaßt als das
unvermeidliche Ergebnis einer endlichen Aktion. Mit einer
Ausdrucksweise, deren scheinbare Affektiertheit man um ih-
rer Ausdrucksfülle willen verzeihen möge, können wir sagen:
Reaktion ist die Rückkehr aus dem Zustand des Wie es ist und
nicht sein sollte in den Zustand des Wie es ursprünglich war
und also sein soll; und man erlaube, daß ich noch hinzufüge:
Die absolute Stärke der Reaktion würde ohne Zweifel immer
direkt proportional mit dem Wirklichen, der Wahrheit, der
Unbedingtheit des Ursprünglichen gefunden werden, wenn es
je möglich wäre, dies letztere zu messen; und folglich muß un-
ter allen denkbaren Arten von Reaktion diejenige die größte
sein, die von der Tendenz hervorgebracht wird, die wir hier
erörtern – der Tendenz, zum absolut Ursprünglichen, zum äu-
ßerst Primitiven zurückzukehren. Die Gravitation also muß die
stärkste aller Kräfte sein – diesen Gedanken haben wir a priori
gewonnen, und er wird überreichlich durch Induktion unter-
stützt. Welchen Gebrauch ich von ihm mache, wird sich aus
dem Folgenden ergeben.
Die Atome also, die aus dem normalen Zustand ihrer Ein-
heit ausgeströmt sind, suchen zurückzukehren – wohin? Ge-
wiß nicht zu einem bestimmten Punkt; denn es ist klar, daß
die Tendenz der Atome zum gemeinsamen Zentrum der Ku-
gel nicht im mindesten sich hätte stören lassen, wenn das gan-
ze materielle Weltall insgesamt in einen gewissen Abstand
vom Punkt der Ausstrahlung projiziert worden wäre; die
Atome hätten dann nicht den Punkt, von dem sie ursprüng-
lich ausgegangen wären, im absoluten Raum gesucht. Nur der
Zustand ist es, nicht aber der Ort oder die Räumlichkeit, wo
dieser Zustand erstmals entsprang, was diese Atome wieder
herzustellen suchen; lediglich nach dem Zustand, der für sie
normal ist, verlangt es sie. »Aber sie suchen ein Zentrum,«
wird man sagen, »und ein Zentrum ist ein Punkt.« Richtig;
aber sie suchen diesen Punkt nicht in seiner Eigenschaft als
Punkt (denn gesetzt den Fall, die ganze Kugel würde aus ih-
rer Lage gerückt, so würden sie immer noch das Zentrum
suchen; und das Zentrum wäre dann ein anderer Punkt), son-
dern darum, weil es sich auf Grund der Form, in der sie sich
zusammengefunden haben (der Form einer Kugel), so trifft,
daß sie einzig und allein durch den fraglichen Punkt – den
Mittelpunkt der Kugel – ihr eigentliches Ziel, die Einheit,
erreichen können. In der Richtung des Zentrums bemerkt
jedes Atom mehr Atome als in jeder andern. Jedes Atom
wird gegen das Zentrum getrieben, weil in der geraden Linie,
die es und das Zentrum verbindet und zur jenseitigen Ku-
geloberfläche führt, eine größere Zahl Atome liegen, als in
jeder andern geraden Linie – eine größere Zahl Gegenstände,
die auf der Suche nach dem einzelnen Atom sind, eine größe-
re Zahl Tendenzen, die zur Einheit streben, eine größere Zahl
Befriedigungen seiner eigenen Tendenz zur Einheit – mit
einem Wort, weil in der Richtung des Zentrums die größte
Möglichkeit liegt, immerfort die eigene individuelle Begierde
zu befriedigen. Um es kurz zu fassen: der Zustand der Einheit
ist alles, was wirklich gesucht wird; und wenn es scheint, als
ob die Atome den Mittelpunkt der Kugel suchten, so ist dies
nur zufällig, durch ein Zusammentreffen – weil es sich so
trifft, daß dieses Zentrum das einzig wesentliche Zentrum,
die Einheit, einschließt oder umschließt oder in sich begreift.
Aber auf Grund dieses Zusammenfallen oder Inbegriffenseins
gibt es keine Möglichkeit, die Tendenz zur Einheit von der
Tendenz zum konkreten Mittelpunkt in der Wirklichkeit zu
trennen. Daher ist die Tendenz der Atome nach dem gemein-
samen Mittelpunkt für alle praktischen Erfordernisse und alle
logischen Zwecke die Tendenz eines jeden Atoms zu einem
jeden, und die Tendenz von jedem zu jedem ist die Tendenz
zum Mittelpunkt; und die eine Tendenz kann für die andere
genommen werden. Alles, was für die eine gilt, muß auch für
die andere durchaus zutreffen, und folglich kann kein Prinzip,
das die eine befriedigend erklärt, als Erklärung für die andere
in Frage gestellt sein.
Wenn ich sorgsame Umschau halte nach einem vernünfti-
gen Einwand gegen das, was ich vorgebracht habe, kann ich
keinen einzigen entdecken; von der Art Einwände freilich, die
gewöhnlich von denen vorgebracht werden, die berufsmäßige
Zweifler sind, gewahre ich sofort drei und will darangehen,
mit ihnen der Reihe nach aufzuräumen.
Man kann mir erstens entgegenhalten: »Der Beweis, wonach
die Stärke der Ausstrahlung (in dem oben erörterten Fall) den
Quadraten der Entfernungen direkt proportional sei, beruht
auf einer unberechtigten Annahme – daß nämlich die Zahl
der Atome in jeder Schicht das Maß der Stärke sei, mit der sie
entsandt wurden.«
Ich erwidere: Ich bin nicht nur zu dieser Annahme berech-
tigt, sondern es wäre auch jede andere äußerst unberechtigt.
Was ich annehme, ist einfach, daß eine Wirkung das Maß
ihrer Ursache ist, daß jede Entfaltung des göttlichen Willens
dem proportional ist, was diese Entfaltung hervorruft, daß die
Mittel der Allmacht oder der Allwissenheit ihren Zwecken ge-
nau entsprechen. Ein Mangel oder ein Überschuß an Ursache
kann keinerlei Wirkung zustande bringen. Wäre die Kraft,
die eine bestimmte Schicht in ihre Lage ausstrahlte, mehr
oder weniger stark gewesen, als für den Zweck notwendig war,
das heißt: dem Zweck nicht direkt proportional, dann konn-
te diese Schicht nicht in diese Lage gestrahlt sein. Wäre die
Kraft, die die Zahl Atome, die geeignet war, Gleichmäßigkeit
der Verteilung herzustellen, in jede Schicht entsandte, der
Zahl nicht direkt proportional gewesen, dann wäre die Zahl
nicht eine solche gewesen, wie die gleichmäßige Verteilung sie
erforderte.
Der zweite Einwand, der erhoben werden kann, verdient
schon eher eine Antwort.
Es ist ein allgemein anerkanntes Prinzip der Dynamik, daß
jeder Körper, der einen Stoß oder einen Anlaß zur Bewegung
empfängt, sich geradlinig immer vorwärts bewegt, in der
Richtung, die die treibende Kraft ihm mitgeteilt hat, bis er
von einer andern Kraft abgelenkt oder zum Stehen gebracht
wird. Wie ist es demnach zu verstehen, so kann gefragt wer-
den, daß meine erste oder äußere Atomschicht mit ihrer Be-
wegung an der Oberfläche der Glaskugel, die wir angenom-
men haben, aufhört, wenn keine zweite Kraft – eine, die nicht
gleichfalls bloß »angenommen« ist – auftritt, um für diese
Unterbrechung aufzukommen?
Ich erwidere: Dieser Einwand entspringt diesmal tatsäch-
lich einer »unberechtigten Annahme« von Seiten dessen, der
den Einwand erhebt – nämlich der Annahme eines dynami-
schen Prinzips, zu einer Zeit, wo es überhaupt noch keine
»Prinzipien« gibt. Ich verwende das Wort »Prinzip« natürlich
im Sinne dessen, der den Einwand erhoben hat.
»Im Anfang« etwas anderes anzunehmen, ja sogar zu fas-
sen, als lediglich die eine erste Ursache, das wahrhaft eigent-
liche Prinzip, den Willen Gottes, ist nicht möglich. Der
ursprüngliche Akt, die Ausstrahlung aus der Einheit, muß
von alledem, was die Welt jetzt »Prinzip« nennt, unabhän-
gig gewesen sein, weil alles, was wir so bezeichnen, nur eine
Folge der Reaktion auf diesen allerersten Akt ist. Ich nenne
diesen Akt den »allerersten«, denn die Schöpfung des absolu-
ten materiellen Teilchens ist eigentlich mehr als Empfängnis
denn als Akt in der gewöhnlichen Bedeutung des Wortes zu
betrachten. So müssen wir den ursprünglichen Akt als den Ur-
heber alles dessen betrachten, was wir jetzt »Prinzipien« nen-
nen. Aber dieser ursprüngliche Akt selbst muß als dauernde
Willensausübung angesehen werden. Das ist so zu verstehen,
daß der Gedanke Gottes die Zerstreuung ins Werk setzte, mit
ihr fortfuhr, sie ordnete und sich schließlich von ihr zurück-
zog, als sie vollständig war. Dann beginnt die Reaktion und
durch sie das »Prinzip«, so wie wir das Wort anwenden. Es
wäre indessen ratsam, die Anwendung dieses Wortes auf die
beiden unmittelbaren Resultate, die aus dem Aufhören des
göttlichen Willens entspringen, zu beschränken, nämlich
die beiden Triebkräfte Attraktion und Repulsion. Jede andere Naturkraft ist mehr oder weniger unmittelbar auf diese beiden zurückzuführen und sollte daher besser als Unterprinzip
bezeichnet werden.
Es kann drittens eingewendet werden, diese besondere Art
Verteilung, die ich den Atomen zugeschrieben habe, sei über-
haupt nur eine »Hypothese« und weiter nichts.
Nun weiß ich freilich, daß das Wort »Hypothese« ein ge-
wichtiger Schmiedehammer ist, der sofort von allen richtigen
Diminutivdenkern beim ersten Auftauchen einer Behauptung,
die nach einer Theorie aussieht, gepackt oder gar geschwun-
gen wird. Aber mit dem Hammer der Hypothese kann ich
diesmal nicht im geringsten getroffen werden, auch nicht von
denen, die den ungefügen Hammer heben können – seien es
kleine oder große Männer.
Ich behaupte erstens: Es ist einzig und allein in der beschrie-
benen Art und Weise denkbar, daß die Materie dergestalt aus-
strömte, daß sie gleichzeitig die Bedingungen der Strahlung
und der im ganzen gleichmäßigen Verteilung erfüllte. Ich be-
haupte zweitens: Diese Bedingungen haben sich mir in einer
Reihe von Schlußfolgerungen, die ebenso streng logisch sind wie
irgendeine Beweisführung des Euclid, als Notwendigkeiten auf-
gedrängt; und ich behaupte drittens: Selbst wenn der Vorwurf
der »Hypothese« so völlig begründet wäre, wie er in der Tat
unbegründet und unhaltbar ist, wäre doch die Gewißheit
und Unbestreitbarkeit meines Resultats nicht in der gering-
sten Einzelheit erschüttert.
Zur Erklärung: Die Newtonsche Gravitation, ein Naturge-
setz, ein Gesetz, dessen Anwendung niemand leugnet, der
nicht fürs Irrenhaus reif ist, ein Gesetz, dessen Aufstellung
uns befähigt, neun Zehntel aller Erscheinungen des Weltalls
zu erklären – ein Gesetz also, das wir bloß deshalb, weil es uns
befähigt, diese Erscheinungen zu erklären, ohne Rücksicht
auf sonstige Erwägungen anzuerkennen völlig gewillt und
genötigt sind, ein Gesetz aber trotzdem, bei dem weder das
Prinzip noch der modus operandi des Prinzips jemals analy-
siert oder aufgezeigt worden ist, kurz, ein Gesetz, das in sei-
nen Einzelheiten und im Ganzen der Erklärung überhaupt
nicht zugänglich war – dieses Gesetz wird endlich als völlig
erklärbar erkannt, vorausgesetzt, daß wir nur zugeben – was
sollen wir zugeben? Eine Hypothese? Wie nun, wenn eine
Hypothese, wenn eine bloße Hypothese, wenn eine Hypo-
these, für deren Annahme wie in dem Fall einer so reinen
Hypothese, wie es das Newtonsche Gesetz selbst ist – kein
Schatten eines a priori-Grundes aufgebracht werden könnte –
wenn also etwas, was so absolut nur Hypothese ist, wie hier
angegeben wird, uns befähigte, Zusammenhänge, die so wun-
derbar, so unsäglich verwickelt und scheinbar unvereinbar
sind, wie es die Beziehungen in der Tat sind, von denen uns
die Gravitation berichtet, befriedigend zu erklären – welches
vernunftbegabte Wesen könnte sich albern darauf versteifen,
selbst eine so absolute Hypothese dann noch länger eine Hy-
pothese zu nennen, es sei denn, es bestehe nur in dem Sinne
darauf, weil es ihm einfach nur um die ein für allemal zu-
treffende Definition von Worten geht?
Aber was ist vielmehr diesmal der wirkliche Sachverhalt?
Was ist die Tatsache? Nicht nur, daß es sich um keine Hypo-
these handelt, der wir etwa beipflichten sollen, damit das zur
Genüge erklärte Prinzip zugelassen werde, vielmehr handelt
es sich um eine logische Schlußfolgerung, der nicht beizu-
pflichten wir aufgefordert sind, wenn wir ohne sie auskom-
men können, die wir einfach leugnen sollen, wenn wir kön-
nen – um eine Schlußfolgerung, die so streng logisch ist, daß
jeder, der sie bestreiten wollte, damit den Versuch machte,
etwas Unbestreitbares zu bezweifeln – eine Schlußfolgerung,
der wir nicht entrinnen können, wir mögen uns drehen, wie
wir wollen; um ein Resultat handelt es sich, das uns entweder
am Ende eines induktiven Aufstiegs entgegentritt, den wir bei
den Erscheinungen ebendes Gesetzes, um das es sich handelt,
begonnen haben, oder am Ende eines deduktiven Abstiegs von
der allereinfachsten aller denkbaren Aufstellungen aus – mit
einem Wort: von der Annahme der Einfachheit selbst.
Und wenn man mich hier, bloß um der Rabulistik willen, mit
dem Einwand bedrängte, wenn schon mein Ausgangspunkt,
wie ich behaupte, die Annahme der absoluten Einfachheit sei,
so sei eben Einfachheit, bloß an und für sich betrachtet, kein
Axiom, und nur Deduktionen aus Axiomen seien unbestreit-
bar, so antwortete ich folgendermaßen:
Jede Wissenschaft, außer der Logik, ist die Wissenschaft
von gewissen konkreten Beziehungen. Arithmetik zum Bei-
spiel ist die Wissenschaft von den Zahlenbeziehungen, Geo-
metrie die von den Beziehungen der Formen, Mathematik im
allgemeinen die Wissenschaft von den allgemeinen Quanti-
tätsbeziehungen – von allem, was vermehrt oder vermindert
werden kann. Die Logik dagegen ist die Wissenschaft von den
Beziehungen in abstracto, von den bedingungslosen Beziehun-
gen, von den Beziehungen an und für sich. Ein Axiom in je-
der einzelnen Wissenschaft außer der Logik ist daher nur eine
Behauptung, die gewisse konkrete Beziehungen aussagt, die
zu einleuchtend sind, um bestritten werden zu können – wie
wenn wir zum Beispiel sagen, daß das Ganze größer ist als der
Teil; und so ist wiederum das Prinzip des logischen Axioms –
anders ausgedrückt: eines Axioms in abstracto – einfach die
Selbstverständlichkeit der Beziehungen. Nun ist es klar, daß et-
was, was einem Kopf einleuchtet, dem andern vielleicht nicht
einleuchtet, ja sogar, was einem Kopf zu einer bestimmten
Zeit einleuchtet, demselben Kopf zu einer andern Zeit viel-
leicht keineswegs einleuchtet. Es ist weiter klar, daß etwas,
was heute der Mehrheit der Menschen oder der Mehrheit der
besten Köpfe einleuchtet, morgen derselben Mehrheit mehr
oder weniger oder vielleicht ganz und gar nicht einleuchtet.
Es ist demnach offenbar, daß das axiomatische Prinzip selbst
der Veränderung ausgesetzt ist, daß also natürlich auch die
Axiome wandelbar sind. Da sie schwankend sind, schwanken
notwendigerweise auch die »Wahrheiten«, die aus ihnen her-
vorgehen; oder anders ausgedrückt: sie können überhaupt nie
als positive Wahrheiten aufgestellt werden, denn Wahrheit
und Unveränderlichkeit sind eins.
Man wird jetzt bereitwillig zugeben, daß keine axioma-
tische Idee, keine Idee, die auf das fließende Prinzip der
Selbstverständlichkeit der Beziehungen begründet ist, ein so
sicheres, so zuverlässiges Fundament für einen Vernunftbau
abgeben kann wie solch eine Idee (worin sie auch bestehe, wo
wir sie finden mögen, wenn sie überhaupt irgendwo zu finden
ist), die ganz und gar beziehungslos ist, die dem Verstand mit
keinerlei Selbstverständlichkeit der Beziehungen kommt, die
man für mehr oder minder groß halten könnte, die vielmehr
den Geist vor gar keine, nicht die leiseste, Notwendigkeit stellt,
irgendwelche Beziehungen überhaupt in Betracht zu ziehen.
Wenn eine solche Idee nicht das ist, was wir zu unüberlegt ein
»Axiom« nennen, so ist sie mindestens als deduktive Grundlage
jedem Axiom, das je aufgestellt wurde, oder allen denkbaren
Axiomen zusammengenommen, vorzuziehen; und genauso,
wie ich es hier beschrieben habe, verhält es sich mit der Idee,
mit der mein deduktives Verfahren, das von der Induktion so
wirkungsvoll unterstützt wird, beginnt. Mein ursprüngliches
Teilchen ist weiter nichts als absolute Beziehungslosigkeit. Um zusammenzufassen, was ich ausgeführt habe: Ich bin davon
ausgegangen, es einfach für ausgemacht zu nehmen, daß der
Anfang nichts hinter sich und nichts vor sich hatte – daß er in
der Tat ein Anfang war – daß er ein Anfang war und nichts
anderes – kurz: daß dieser Anfang war … was er war. Wenn
das eine »bloße Annahme« sein soll, dann soll es eben eine
»bloße Annahme« sein.
Um diesen Teil des Themas abzuschließen: Ich bin vollauf
berechtigt zu verkünden, daß das Gesetz, das wir gewohnt sind
Gravitation zu nennen, darauf beruht, daß die Materie bei ihrem
Ursprung in Atomgestalt in eine begrenzte* Raumkugel gestrahlt
ist, aus einem individuellen, unbedingten, beziehungslosen und
absoluten Teilchen, auf die einzige Weise, in der es möglich war,
zugleich die zwei Bedingungen: Ausstrahlung und allgemein
gleichmäßige Verteilung im Raum, zu erfüllen – das heißt, mit
einer Kraft, die sich direkt proportional zu den Quadraten der
Entfernungen zwischen den ausgestrahlten Atomen einerseits und
dem Zentrum der Ausstrahlung anderseits veränderte.
Ich habe bereits angeführt, aus welchen Gründen ich der
Annahme, daß die Materie von einer endlichen Kraft zer-
streut worden ist, vor der andern, daß es sich um eine unauf-
hörliche oder ins Unendliche fortgesetzte Kraft handle, den
Vorzug gebe. Wenn wir eine unaufhörliche Kraft annähmen,
wäre es erstens ausgeschlossen, überhaupt eine Reaktion zu
begreifen, und zweitens wäre es notwendig, die unmögliche
Vorstellung einer unendlichen Ausdehnung der Materie zu
hegen. Halten wir uns bei der Unmöglichkeit der Vorstellung
nicht auf: die unendliche Ausdehnung der Materie ist eine
Idee, die, wenn nicht tatsächlich widerlegt, so doch minde-
stens in keiner Weise durch die Beobachtung der Gestirne
mittels Fernrohrs verbürgt ist – worüber weiter unten mehr
folgt – , und dieser empirische Grund, an die ursprüngli-
che Endlichkeit der Materie zu glauben, wird durch nicht-
empirische unterstützt. Zum Beispiel: Nehmen wir für den
Augenblick an, es sei der Gedanke möglich, daß der Raum
* Eine Kugel ist notwendig begrenzt. Ich ziehe die Tautologie der Gefahr
der Mißdeutung vor.
von den ausgestrahlten Atomen erfüllt sei, das heißt, neh-
men wir, so gut es geht, um unserer Beweisführung willen
an, die Folge der ausgestrahlten Atome habe absolut kein
Ende, dann ist es sonnenklar, daß – gesetzt selbst den Fall,
der Wille Gottes habe sich von ihnen zurückgezogen und der
Tendenz, zur Einheit zurückzukehren, sei es daher (abstrakt
genommen) erlaubt gewesen, sich Genüge zu tun –, daß diese
Erlaubnis schemenhaft und machtlos gewesen wäre – prak-
tisch wertlos und ohne jede Wirkung. Keine Reaktion hätte
eintreten können; keine Bewegung zur Einheit hin hätte ge-
macht werden können; kein Gravitationsgesetz hätte zustande
kommen können.
Zur Erklärung: Man räume ein, daß die abstrakte Tendenz
irgendeines Atoms zu irgendeinem andern das unvermeidliche
Resultat der Zerstreuung aus der normalen Einheit ist, man
gebe zu, daß jedes gegebene Atom bereit ist, sich nach jeder
gegebenen Richtung zu bewegen – dann ist es klar, daß das
Atom, das in Bereitschaft ist, sich in Bewegung zu setzen,
wenn es von allen Seiten von einer Unendlichkeit von Atomen
umgeben ist, sich niemals natürlich in Bewegung setzen kann,
daß es niemals eine Tendenz nach einer gegebenen Richtung
befriedigen kann, weil eine genau gleiche Tendenz, die die
erste aufwiegt, es nach der diametral entgegengesetzten Rich-
tung zieht. Mit anderen Worten: das Atom, das auf dem
Sprunge ist, hat genauso viele Tendenzen zur Einheit hinter
sich wie vor sich; denn es ist lediglich eine Albernheit zu sa-
gen, eine unendliche Linie sei länger oder kürzer als eine an-
dere unendliche Linie oder eine unendliche Zahl sei größer
oder kleiner als eine andere unendliche Zahl. Daher muß das
fragliche Atom für ewige Zeiten still stehen. Unter den un-
möglichen Umständen, die wir nur um der Beweisführung
willen bemüht waren uns vorzustellen, hätte es keine Zusam-
menballung von Materie geben können, keine Gestirne, kei-
ne Welten – nichts als ein ewig atomhaftes und ereignisloses
Weltall. Man mag es in der Tat ansehen, wie man will, die
ganze Idee einer unbegrenzten Materie ist nicht nur unhalt-
bar, sondern auch unmöglich und widersinnig.
Wenn wir uns dagegen eine Atomkugel vorstellen, dann
bemerken wir sofort eine Tendenz zur Vereinigung, die be-
friedigt werden kann. Da das gemeinsame Ergebnis der
Tendenz von jedem zu jedem die Tendenz aller zum Zentrum
ist, so beginnt der allgemeine Prozeß der Verdichtung oder
Annäherung sofort mit einer allgemeinen und gleichzeitigen
Bewegung, sowie der göttliche Wille aufzuhören beginnt, wo-
bei die individuellen Annäherungen oder erstrebten – nicht
vollendeten – Vereinigungen der Atome untereinander den
fast unendlichen Verschiedenheiten an Zeit, Grad und Bedin-
gungen unterworfen sind, auf Grund der außerordentlichen
Vielheit der Beziehungen, die sich aus den Unterschieden in
der Form ergibt; man erinnert sich, daß wir diese Verschie-
denheit der Form als charakteristisch für die Atome im Au-
genblick ihres Ausgangs aus dem ursprünglichen Teilchen vor-
ausgesetzt haben, ebenso wie die nachfolgende Ungleichheit
der Abstände zwischen den einzelnen Atomen, die ebenfalls
zu dieser Mannigfaltigkeit beiträgt.
Was ich dem Leser einzuprägen wünsche, ist die Gewißheit,
daß in dem Augenblick, wo die zerstreuende Kraft, der gött-
liche Wille, nachläßt, aus dem erörterten Zustand der Atome
an unzähligen Punkten der Weltkugel unzählige Atomhaufen
entstehen, die durch unzählige spezifische Verschiedenheiten
an Form, Größe, Wesensart und Abstand voneinander sich
auszeichnen. Die Entwicklung der Repulsion (Elektrizität)
muß natürlich bei den allerersten einzelnen Versuchen, zur
Einheit zu gelangen, eingesetzt haben, und muß im Verhältnis
des Strebens nach Einswerden – das heißt: im Verhältnis der
fortschreitenden Verdichtung oder, noch anders gesagt, der
Heterogenität – fortgesetzt weitergediehen sein.
So geleiten die beiden Grundprinzipien – Attraktion und
Repulsion, das Materielle und das Geistige – einander für im-
mer in der engsten Gemeinschaft. So gehen Leib und Seele
Hand in Hand.
Wenn wir nun in Gedanken irgendeinen der Atomhaufen
herausgreifen, wie sie auf ihrer allerersten Stufe in der Wel-
tenkugel verteilt sind, und wenn wir annehmen, er befinde
sich an der Stelle, wo der Mittelpunkt unserer Sonne ist –
oder besser, wo er ursprünglich gewesen ist; denn die Sonne
wechselt fortwährend ihre Lage – , dann begegnen wir der
prachtvollsten aller Theorien und finden uns eine Weile we-
nigstens von ihr begleitet, und zwar der Nebular-Kosmogonie
von Laplace, wiewohl »Kosmogonie« ein viel zu umfassender
Ausdruck für das ist, was er tatsächlich untersucht, nämlich
die Bildung allein unseres Sonnensystems, eines Systems unter
Myriaden von entsprechenden Systemen, die das eigentliche
Weltall ausmachen – die Weltenkugel, den allumfassenden,
absoluten Kosmos, der den Gegenstand meiner vorliegenden
Abhandlung bildet.
Laplace beschränkte sich auf einen offenbar begrenzten
Raumteil, auf unser Sonnensystem mit seiner verhältnismä-
ßig unmittelbaren Nachbarschaft, und setzte lediglich ein gut
Teil dessen voraus – das heißt, er setzte es ohne irgendwelche
deduktive oder induktive Unterlage voraus –, was ich eben
bemüht war auf eine sichere Grundlage zu stellen; so zum Bei-
spiel die Zerstreuung der Materie (ohne daranzugehen, diese
Zerstreuung zu begründen) über den Raum, den unser System
einnimmt, und etwas darüber hinaus – und zwar habe diese
Zerstreuung stattgefunden in Form heterogener Nebel und
unter der Herrschaft des allmächtigen Gravitationsgesetzes,
dessen Prinzip er nicht zu erklären wagte; indem Laplace
all das annahm (was völlig wahr ist, nur hatte er, logisch ge-
nommen, kein Recht zu seiner Annahme), hat er dann dyna-
misch und mathematisch gezeigt, daß die Resultate, die in
diesem Fall notwendig folgten, die und nur die seien, deren
Offenbarung wir in dem gegenwärtig vorhandenen Zustand
unseres Sonnensystems finden.
Zur Erklärung: Stellen wir uns vor, der spezielle Atomhau-
fen, von dem wir eben gesprochen haben – der sich an der
Stelle befindet, die der Mittelpunkt unserer Sonne bezeich-
net –, sei so weit vorgeschritten, daß eine große Menge nebei-
förmiger Materie eine ungefähr kugelförmige Gestalt ange-
nommen habe; ihr Mittelpunkt falle natürlich zusammen mit
dem, was jetzt der Mittelpunkt unserer Sonne ist, oder besser:
was es früher gewesen ist; und ihre Peripherie erstrecke sich
bis über die Bahn des Neptun hinaus, des entferntesten von
unseren Planeten – mit anderen Worten: der Durchmesser
dieser ungefähren Kugel sei einige 6 000 Millionen Meilen
groß. In langen Zeiträumen hat sich diese Masse verdichtet,
bis sie schließlich sich so zusammenballte, wie wir jetzt an-
nehmen; ganz allmählich hat sie sich aus dem atomhaften
und nicht wahrnehmbaren Zustand in das verwandelt, was
wir nun eine sichtbare, greifbare oder sonst wahrnehmbare
Nebelmasse nennen.
Nun bedingt der Zustand dieser Masse eine Rotation um
eine angenommene Achse, und zwar muß diese Rotation mit
dem allerersten Beginn der Aggregation eingesetzt und seit-
dem immer an Schnelligkeit zugenommen haben. Gleich die
ersten zwei Atome, die sich so trafen, daß sie einander von
Punkten näherten, die einander nicht diametral entgegen-
gesetzt waren, mußten dadurch, daß sie teilweise aneinan-
der vorbeiflogen, einen Kern für die erwähnte rotierende
Bewegung bilden. Wie diese nun an Schnelligkeit zunehmen
mußte, ist leicht zu sehen. An die zwei Atome schließen sich
andere an – eine Aggregation bildet sich. Die Masse fährt
während ihrer Verdichtung fort, sich um sich selbst zu dre-
hen. Aber jedes Atom, das sich an der Außenseite befindet,
hat natürlich eine schnellere Bewegung als die, die näher am
Zentrum sind. Das äußere Atom jedoch nähert sich mit seiner
größeren Geschwindigkeit dem Zentrum und nimmt diese
größere Geschwindigkeit während dessen mit sich. So fügt
jedes Atom, das sich nach innen bewegt und sich schließlich
an den festeren Mittelpunkt anschließt, der ursprünglichen
Geschwindigkeit des Zentrums etwas hinzu – das heißt: es
steigert die rotierende Bewegung der Masse.
Nehmen wir nun an, diese Masse sei so weit verdichtet, daß
sie genau den Raum einnimmt, den die Neptunbahn begrenzt,
und daß die Geschwindigkeit, mit der sich die Außenteile der
Masse bewegen, genauso groß wie die ist, mit der Neptun
sich jetzt um die Sonne dreht. Zu diesem Zeitpunkt, so
müssen wir annehmen, hatte die fortwährend anwachsende
Zentrifugalkraft das Übergewicht über die nicht wachsende
Zentripetalkraft bekommen und hatte am Äquator der Kugel,
wo die Tangentialgeschwindigkeit am größten war, die äußere
und am wenigsten verdichtete Schicht oder einige solche
Schichten gelockert und abgetrennt, so daß diese Schichten
um den Hauptkörper einen unabhängigen Ring bildeten,
der die Teile am Äquator konzentrisch umschloß – genauso
wie der äußere Rand eines Mühlsteins, der sich mit außerge-
wöhnlicher Geschwindigkeit drehte, losgeschleudert würde
und einen Ring um ihn bildete, wenn das Material dieser
Außenteile nicht fest wäre; bestünde es aus Kautschuk oder
einem Material von ähnlicher Beschaffenheit, so würde sich
genau die Erscheinung zeigen, wie ich sie hier beschreibe.
Der Ring, der sich so von der Nebelmasse fortgerissen hatte,
kreiste natürlich als selbständiger Ring mit genau derselben
Geschwindigkeit, mit der er rotiert hatte, solange er noch
die Oberfläche der Masse gewesen war. Da inzwischen die
Verdichtung immer weiter f ortschritt, wurde der Zwischen-
raum zwischen dem abgetrennten Ring und dem Hauptkör-
per stetig größer, so daß der Zwischenraum zwischen ihnen
schließlich sehr beträchtlich war.
Nähmen wir nun an, der Ring habe durch eine gewis-
se, scheinbar zufällige Anordnung seiner heterogenen
Bestandteile einen beinahe gleichförmigen Aufbau gehabt,
dann hätte dieser Ring als solcher nie aufgehört, um seinen
Ursprungskörper zu kreisen; aber – was man von vornherein
vermuten konnte – es scheint genug Unregelmäßigkeit in der
Verteilung der Materialien vorgelegen zu haben, um sie dazu
zu bringen, sich um Zentralpunkte von besonderer Festigkeit
zusammenzuballen; und so wurde die Ringform zerstört.*
Ohne Zweifel brach der Gürtel alsbald in mehrere Stücke aus-
einander, und eins von diesen Stücken, das die größte Masse
hatte, sog die andern in sich hinein; das Ganze konstituierte
sich in Kugelgestalt, als Planet. Daß dieser als Planet die krei-
sende Bewegung fortsetzte, die er in Ringform an sich gehabt
hatte, ist klar genug; und daß er in seiner neuen Kugelgestalt
dazu kam, noch eine andere Bewegungsart hinzuzufügen, ist
leicht zu erklären. Wenn wir uns den Ring, bevor er ausein-
anderbrach, noch einmal vorstellen, so sehen wir, daß seine
Außenteile, während das Ganze um den Ursprungskörper
kreist, sich schneller bewegen als das Innere. Daher mußte
auch nach Eintritt des Bruchs ein bestimmter Teil eines jeden
Bruchstücks sich mit größerer Geschwindigkeit bewegen als
die übrigen Teile. Die überwiegend stärkere Bewegung hatte
jedes Bruchstück rundum wirbeln müssen – das heißt: das
Bruchstück war veranlaßt worden, sich um sich selbst zu dre-
hen – , und die Richtung der Rotation hatte natürlich die
nämliche sein müssen wie die kreisende Bewegung, aus der
sie entstanden war. Da alle Bruchstücke zu dieser eben be-
schriebenen Rotation gekommen waren, mußten sie diese,
als sie sich miteinander vereinigten, auf den einen Planeten,
der aus ihrer Vereinigung hervorging, übertragen. Dieser
Planet war der Neptun. Da seine Bestandteile fortfuhren,
* Laplace erklärte seine Nebelmassen für heterogen, nur, um so
das Losbrechen der Ringe begründen zu können; denn wären die
Nebelmassen homogen gewesen, so wären sie nicht gebrochen. Ich er-
reiche dasselbe Resultat (Heterogenität der sekundären Massen, die un-
mittelbar aus den Atomen hervorgehen) lediglich aus einer Betrachtung
a priori ihrer Grundtendenz – Beziehung, gegenseitige Bedingtheit.
sich zu verdichten, und da die Zentrifugalkraft, die bei sei-
ner Drehung um sich selbst erzeugt wurde, schließlich über
die Zentripetalkraft das Übergewicht erlangte, wie vorher im
Fall der Ursprungskugel, riß sich wiederum ein Ring vom
Äquator des Planeten los; dieser Ring, der in seinem Aufbau
ungleichförmig war, brach auseinander, und seine verschiede-
nen Bruchstücke wurden von dem größten aufgesogen und
bildeten in ihrer Vereinigung eine neue Kugel – einen Mond.
Dieser Vorgang wiederholte sich dann noch einmal, und ein
zweiter Mond war das Resultat. So erklärt sich das Entstehen
des Planeten Neptun mit den beiden Satelliten, die ihn be-
gleiten.
Die Sonne hatte dadurch, daß sie einen Ring von ihrem
Äquator abgestoßen hatte, das Gleichgewicht zwischen zen-
tripetalen und zentrifugalen Kräften, das während der fort-
schreitenden Verdichtung gestört worden war, wiederherge-
stellt; aber dieses Gleichgewicht wurde im weiteren Fortgang
der Verdichtung sofort wieder durch das Anwachsen der ro-
tierenden Bewegung gestört. Zu der Zeit, wo die Masse so
weit zusammengegangen war, daß sie den Raum einer Kugel
einnahm, die gerade von der Bahn des Uranus begrenzt wur-
de, hatte – so müssen wir annehmen – die Zentrifugalkraft
so weit die Oberhand gewonnen, daß eine neue Ablösung
notwendig wurde; infolgedessen riß sich ein zweiter Äquator-
gürtel los, der ungleichmäßig war und daher, wie vorher im