|29|Fjodor Illitsch Hallelujew war, wie jedermann wusste, der genialste Komponist der Welt. Jedenfalls kannte er selbst keinen besseren. Und natürlich hatten wir ihn engagiert. Ich lief unruhig im Foyer auf und ab und hoffte, dass er endlich kommen würde. Inzwischen wurde es allerhöchste Zeit. Das Orchester war bereit und wartete auf die Noten. Als von unten laute Rufe zu hören waren, atmete ich erleichtert auf.

|30|Nur wenige Sekunden später stieß jemand die Flügeltüren zum Foyer auf, dass sie auseinanderflogen wie zwei Pappen im Sturm, und eilte mit gesenktem Kopf und schnellen Schritts durch den Weihnachtswundersaal, geradewegs auf Mr Feyertag und das Podium zu. Es war Maestro Hallelujew.

An seinem Hemdkragen wippte eine Fliege aus gefaltetem Klavierlack und seine Rockschöße flatterten hinter ihm her wie Banderolen, die die frohe Botschaft der Musik verkündeten. Ein Raunen ging durch das Orchester.

Wer ihn sah, wusste sofort, dieses Werk war großartig geworden. Einfach sensationell. Die größte aller Kompositionen, die ihm je gelungen war, für das beste aller Feste. Das war sein Auftrag gewesen und nichts weniger würde er Sensational-ChristmasWonderworks und der Welt zu Füßen legen.

»Es ist vollbracht!«, rief er und bettete |32|einen zerknitterten Stapel Notenblätter in Foliantenformat auf ein rotes Samtkissen.

|32|»Fein!« Mr Feyertag klatschte in die Hände. »Ich wusste, dass ich mich auf Sie verlassen kann, mein lieber Maestro. Bravo!« Er nahm einen Teil der Blätter und reichte sie durch die Reihen des Orchesters.

Fjodor Illitsch Hallelujew trat einen Schritt zurück und machte eine tiefe Verbeugung.

»Na endlich!« Eine vollendet laute Stimme scholl plötzlich über das Podium. »Wir warten schon seit Stunden!«

Aller Augen richteten sich auf eine Erscheinung, die, man konnte es nicht anders sagen, mit vollen Segeln vom Bühneneingang her auf uns zugeschwebt kam.

Sie trug ein weites Gewand aus gülden schimmerndem Kräuselkrepp, das mit Hunderten von Perlen und funkelnden Sternen bestickt war.

|34|Auf ihrem Haupt türmte sich kegelförmig keine Frisur, sondern eine Szenerie aus silbrigen Zweigen, rot glänzenden Kugeln, Schneespray und Engelshaar.

Es war die ebenfalls weltberühmte Weihnachtsliederdiva Corazon de la Metta. Auch bekannt unter ihrem Spitznamen ›Der wandelnde Weihnachtsbaum‹.

Mrs Chaircircles und Mrs Rauschgold applaudierten begeistert. Corazon de la Metta verneigte sich unmerklich in Richtung der beiden Kindergärtnerinnen. Dann wandte sie sich Mr Feyertag zu und streckte ihm ihre Hand entgegen: »Oh, Ambrosius! Ich kann dir gar nicht sagen, wie ich deine Ideen liebe. So kreativ! Diese Art von Weihnachten, sie ist einfach hinreißend!«

Mr Feyertag verbeugte sich und deutete einen formvollendeten Handkuss an.

»Danke, Corazon. Wir sind überglücklich, dich wieder dabeihaben zu dürfen.«

|35|Sie lächelte geschmeichelt. »Und jetzt wollen wir endlich mit den Proben beginnen.« Sie warf Maestro Hallelujew einen herausfordernden Blick zu.

»Na, geben Sie schon her«, sagte sie und wischte sich mit einer knappen Bewegung ein Notenblatt vom Stapel. »Wo ist mein Part?«

Fjodor Illitsch Hallelujew schnaubte.

|36|Eben war er noch der ehrfürchtig bewunderte Mittelpunkt aller Aufmerksamkeit gewesen, und nun? Seine Augen funkelten vor Wut. Aber er riss sich zusammen, bewegte sich gemessenen Schrittes zum Pult und richtete sich auf: »Sängerinnen nach dem Präludium. Erster Satz, vierter Takt.« Dann stach er mit seinem Dirigierstab durch die Luft, als wollte er eine Motte aufspießen.

»Maestoso! … Ma non troppo«, fügte er spitz hinzu.

Die Diva tat so, als hätte sie nichts gehört. Sie nickte.

Maestro Hallelujew hob den Taktstock, die Streicher setzten ein. »… Und …!«

Corazon de la Metta holte tief Luft. Doch ausgerechnet in diesem Moment knatterten vor dem Podium zwei unserer Deodorateure auf ihrem Duftmoped vorbei und versprühten Schwarzwälder Tannenduft. Während der eine Gas gab und steuerte, verteilte der andere die |38|aufsteigenden Duftwolken mit einem großen Bambusfächer.

|38|»Ooh, que olor! Das ist ja nicht zum Aushalten!«, rief die Weihnachtsliederdiva und hielt sich theatralisch die Nase zu. »Schnell, die Fenster auf! Bei so einer Luft wird meine Stimme ruiniert.«

Mr Feyertag rannte eilig zu einem der riesigen Fenster und öffnete es. Ein kühler Luftzug wehte herein. »Oh, Señora, ich bitte vielmals um Vergebung. Die Vorbereitungen sind leider noch nicht ganz abgeschlossen und …«

»Hm! Schon gut.« Corazon de la Metta machte eine kurze Handbewegung, die Mr Feyertag unmissverständlich zu verstehen gab, dass er sich seine Erklärungen sparen könne. »Also noch mal von vorne, bitte.«

Der Maestro presste die Lippen zusammen. Doch dann gab er erneut das Zeichen. Die Streicher ertönten und nun, endlich, begann die Diva zu singen. Ihre |39|Stimme klang so außerordentlich herrlich, so jubilierend weihnachtlich, als würde ein himmlisches Glöckchen erklingen.

Tack, tack, tack, tack!

»Halt! Stopp! Unmöglich!« Fjodor Illitsch Hallelujew hämmerte mit seinem Stöckchen auf das Pult, dass es fast zu zerbrechen drohte. »Das …! Das geht auf gar keinen Fall!«

Aller Augen richteten sich erschrocken auf ihn. »Da … da … das da!« Er zeigte mit einem Gesichtsausdruck abgrundtiefer Empörung auf Corazon de la Mettas Frisur.

»Iiich?«

|41|Die Diva wusste offensichtlich nicht, wie ihr geschah.

»Oh ja!«, stieß der Maestro hervor. »Sie! Diese Glocke da oben … Es klingelt, wenn Sie singen.«

Corazon de la Metta schielte unbeholfen nach oben. An der Spitze ihrer so glanzvoll aufgetürmten Haarlandschaft hing tatsächlich, gleichsam als Krönung des ganzen Kunstwerks, ein kleines silbernes Glöckchen.

»In meiner Komposition gibt es keine |42|Glöckchen! Capito?!« Maestro Hallelujew war außer sich. Doch die Diva hatte sich schon wieder gefasst.

»Aber auf meiner Frisur! Hm!« In ihrer Stimme lag eine kalte Entschlossenheit, die signalisierte, dass sie nicht einen Millimeter ihrer Haarpracht preisgeben würde.

»Die Glocke muss weg!«, japste Hallelujew, »schnipp!«

»Niemals!«, schmetterte Corazon de la Metta zurück und sie begann, demonstrativ das Notenblatt in ihrer Hand in Stücke zu reißen.

»Oh, meine lieben Freunde, ich bitte Sie! Nur keinen Streit! Bald ist doch Weihnachten …«, versuchte Mr Feyertag die beiden zu beruhigen, aber es war schon zu spät.

|43|»Aah! Die Mühe können Sie sich sparen!«, kreischte Fjodor Illitsch Hallelujew. »Dieses Konzert wird niemals aufgeführt werden!« Er riss einen Teil der Notenblätter wieder an sich und stürzte damit zum offenen Fenster. Und bevor es Mr Feyertag gelang, das Fenster zu schließen, hatte er die unersetzlichen Blätter schon hinaus in den grauen Dezemberhimmel geschleudert.