Vor den Scheiben des Transporters, raste die Landschaft voller verlassener Häuser und zerstörter Straßenzüge an mir vorbei. Die Welt hatte schon bessere Tage gesehen.
Einst war das hier eine dicht besiedelte Metropole, die vor Leben nur so strotzte. Doch die Apokalypse hatte davon nicht viel übrig gelassen. Flugzeuge waren wie Steine vom Himmel gefallen, manche von ihnen steckten in Hochhäusern. Ganze Straßenzüge waren abgebrannt und nur noch Ruinen als Mahnmal übriggeblieben. Unzählige Menschenleben wurden mit einem Schlag ausgelöscht.
Die Überlebenden des ersten Tages wurden durch brütende Hitze bei Tage und eisige Kälte bei Nacht weiter dezimiert. Man tötete sich gegenseitig im Kampf um Lebensmittel und warme Kleidung. Es muss schrecklich gewesen sein. Doch die Ereignisse waren lange her, nur noch die verwüstete Stadt war als stiller Zeuge übrig geblieben. Ihr Anblick machte mich traurig. Erschöpft schloss ich die Augen und versuchte die Welt auszublenden.
Ich musste kurz eingenickt sein, denn ich bemerkte nicht, wie wir über die Brücke und durch das Tor, vorbei an all den Schutzwällen, die Neo NY umgaben, hinein in unser Camp fuhren.
Erst das Öffnen der LKW-Türen, riss mich aus meinen düsteren Gedanken.
Die Wächter kümmerten sich nicht weiter um uns. Sie hatten den Transporter in dem alten Parkhaus abgestellt, welches zur Wartung und Lagerung aller zivilen Fahrzeuge diente. Noch bevor wir ausstiegen, waren sie verschwunden.
Sammy und ich waren trotz der gerade überstandenen Strapazen noch nicht mit unserer Arbeit fertig.
Wir mussten nochmals in unsere riesigen Eisenhäute schlüpfen. All die Dinge, von Stahlträgern bis hin zu den Ravioli-Büchsen, mussten in eines der Vorratslager gebracht werden.
Brutus hüpfte aus dem Transporter und schüttelte sich erstmal kräftig. Gleich danach verzog er sich hechelnd in ein schattiges Eck und ließ sich auf dem Boden nieder. Recht hatte er.
Die Verfolgungsjagd in den dunklen, tunnelartigen Gängen und unsere übereilte Flucht hatten an seinen Kräften gezehrt. Auch ich fühlte mich ausgelaugt. In meinem Kopf schwirrten noch immer die Gedanken. Am liebsten hätte ich mich zu ihm gelegt und die restliche Arbeit den saublöden Wächtern überlassen.
Ich war doch nicht deren Volltrottel. Diese Sklaventreiber sollten zur Hölle fahren. Erst brachten sie mich in Lebensgefahr und jetzt durfte ich auch noch schuften.
Sammy war im Gegensatz zu mir wieder frohen Mutes, wusste er doch nichts von meiner unheimlichen Begegnung. Er bestieg seine Rüstung und stapfte, die Hand zum Gruß erhoben, an mir vorbei in Richtung der Wartungshallen. Dort würde sein Anzug routinemäßig durchgecheckt werden.
Manchmal fühlte ich mich richtiggehend einsam. Als einziger vernünftiger Mensch auf einem von Irren bevölkerten Planeten.
Wir lebten in einer unwirklichen Welt als Arbeits- sklaven und steuerten Panzer, in Form von überdimensionierten, eisernen Robotern. Und da draußen liefen offenbar Wesen herum, die vor unseren Eisenhäuten keinerlei Angst hatten. Im Gegenteil, sie versetzten unsere Alien-Parasiten-Herrscher in Panik.
Das war ja schlimmer als in jedem grottig schlechten B-Movie.
Ich raffte mich auf, was mir brutal schwer fiel.
Als ich mich im düsteren Inneren des Transporters meinem Anzug näherte, fiel mir wieder meine mit Lebensmitteln prall gefüllte Tasche ein.
Ich schlüpfte in die Eisenhaut, aktivierte sie und ging, verwandelt in einen stählernen Koloss, zum Aufzug. Dieser führte direkt in das Nahrungsmitteldepot.
Brutus einzige Reaktion war ein kurzes Öffnen eines Auges, um es dann gleich wieder zu zukneifen.
»Fauler Sack.«, murmelte ich nicht ganz ernst gemeint.
Ich drückte den Knopf für das Kellergeschoss.
Die Türen glitten zu, der Aufzug setzte sich mit einem kräftigen Ruck in Bewegung. Die Geschwindigkeit raubte mir schier den Atem. Er sauste mit so einem unglaublichen Tempo in den Keller, man konnte meinen, er wäre im freien Fall und würde jeden Moment mit einem Bumms unten aufschlagen.
Aber dann fing er sich doch noch und kam zum Stehen.
Mir wurde jedes Mal schlecht und ich hatte immer ein paar Minuten damit zu kämpfen, nicht mein ganzes Essen auf dem Boden zu verteilen.
Mit einem leisen Surren öffneten sich die Türen. Mehrere schwerbewaffnete, grimmig dreinblickende Wächter nahmen mich unter die Lupe.
Wir hatten zahlreiche Feinde und diese Vorräte waren überlebenswichtig.
Ich blieb stehen und konnte spüren, wie die Wächter mit Ego eine lautlose Unterhaltung führten. Dann nickte ihr Anführer und winkte mich wichtigtuerisch weiter.
Ich marschierte an ihnen vorbei. Ihre Blicke bohrten sich wie Messer in meinen Rücken.
Ich ging zu einer der gepanzerten Türen, die von der Eingangshalle wegführten und betätigte den dort angebrachten Handscanner.
Dieses Gebäude und sein Keller waren früher vom Geheimdienst genutzt worden. Aufgrund all seiner Sicherheitseinrichtungen hatte das Kollektiv sich dafür entschieden, das Gebäude weiter zu nutzen.
Mit einem lauten Klicken schwang die Tür auf.
Die Neonlichter an der Decke sprangen, eines nach dem Anderen mit einem lauten »klack, klack, klack« an. Vor mir öffnete sich eine Halle voller hoher Regale, vollgestopft bis unter die Decke.
Mit einem satten Krachen ließ ich den Seesack auf den kahlen Boden fallen. Ein kleiner Tritt seitlich und all die Mitbringsel purzelten heraus und kullerten umher.
Suppendosen zu Suppendosen, eingelegte Früchte zu eingelegten Früchten.
Meine Arbeit war nicht gerade sehr anspruchsvoll. Jeder Trottel hätte das geschafft. Der einzige Spaß bestand darin, ganz nach oben auf eines der Regale zu klettern. In knapp sieben Metern Höhe kam man sich wie ein Affe vor. Von hoch oben stieß ich dann ein lautes »uhuhuh« aus.
Einmal war ein Wächter herein gekommen um nach dem Rechten zu sehen und hatte mich verwirrt angeblickt. Wahrscheinlich hielt er mich für verblödet.
»Das tat er und zwar zurecht.«, ertönte Egos Stimme wie aus dem Nichts.
»Ja, ja, laber nur.«
Beim Verlassen raste ich mit dem Aufzug wieder zur Oberfläche. Dort lag mein treuer Begleiter noch immer faul im Schatten.
Zusammen gingen wir zur Wartungsstation um meine Eisenhaut abzugeben. Geschäftige, ältere Wissenschaftler kamen herbei und nahmen sie in Empfang.
Sie waren die einzigen älteren Menschen, die keine Wächter waren. Das Kollektiv brauchte sie und die Forscher waren willig und unterwürfig genug, um ihnen zu dienen. Alles in allem waren sie ein Haufen von arschkriechenden Fachidioten, die wahrscheinlich noch nicht mal gemerkt hatten, was mit der Welt geschehen war.
Der Unterschied zwischen ihnen und den teilnahmslosen Wächtern war eigentlich gleich null. Interessierten sich doch beide nicht im geringsten für mich.
Sammys Anzug war nicht zu sehen, er musste wohl noch schuften.
Einzig die Begleithunde durften ihre Anzüge auch innerhalb des Camps behalten. Sie mussten nur selten gewartet werden und waren wegen ihrer wenigen Elektronik auch kaum anfällig für Schäden.
Wir Kinder mussten unsere zweite Haut immer abgeben. Die Wächter hatten offensichtlich Angst vor einer Revolte von uns Kindern. Was mich nicht wunderte, da ihr saublödes Verhalten den meisten ganz schön auf den Sack ging. Auch ich hätte Lust und Laune, denen eine kräftige Tracht Prügel zu verpassen. Laut sagen durfte man so etwas aber nicht. War besser für die Gesundheit. Ich wusste von Kindern, die es gewagt hatten ihren Unmut öffentlich zu äußern. Sie waren von heute auf morgen einfach verschwunden. Weg. Man hörte nie wieder von ihnen. So als hätten sie nie existiert.