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Barbro hatte nicht damit gerechnet, einen der wenigen Parkplätze vor dem Haupteingang des Außenministeriums am Gustav Adolfs Torg zu bekommen. Sie konnte zwar Barock von Neuklassik unterscheiden, aber bei den Regierungsgebäuden am Norrström vermischten sich diese Stile abenteuerlich. Der Erbfürstenpalast war ein langer gelber Flügel. Wahrscheinlich hatte ein Schloss in Zentraleuropa als Vorlage dienen müssen.
Zielstrebig steuerte sie den Wagen auf die klaffende Lücke zu. Nach dem Aussteigen folgte ein kurzes und heftiges Verhandeln mit einem herbeigelaufenen Portier. Weil sie eine vorausschauende Autofahrerin war, hatte sie schon vor der Abfahrt vom Polizeigebäude das Blaulicht auf das Dach montiert.
Büroleiter Bertil Löfgren erwartete sie mitten in der Eingangshalle zwischen den Säulen. Heute trug er ein blaues Einstecktuch. Sein Gesicht war rosig und glatt, nur unter dem Anzug zeichnete sich die Statur eines reifen Herrn ab.
„Heute wird die Sache leider etwas aufwendiger als beim letzten Mal, Bertil“, kündigte sie gleich auf der Treppe an.
Bertil antwortete mit einem geheuchelten Seufzer. Schon bei ihren Besuchen am vorigen Tag hatte sie herausgefunden, dass Bertil Löfgren mit solch einfachen Gesten die unverschämtesten Dinge andeuten konnte, ohne sie wirklich aussprechen zu müssen. Ein beschwingter Seufzer bedeutete wohl, dass er von einer so fordernden Dame wie Barbro Setterlind nichts anderes erwartete, als dass jede weitere Verabredung die vorangegangene übertraf.
Die Desks der Europa-Staaten erstreckten sich über den gesamten Südflügel. Durch die Fenster blickte man auf den Norrström und die Grünanlagen vor dem Reichstag. Auf dem Weg zum Italien-Desk überflog Barbro die Beschriftung der vorbeiziehenden Ordner. Bei den Desks der europäischen Staaten ging es vor allem um Wirtschaftsbeziehungen und europäische Gesetzesvorlagen. Am Italien-Desk erfuhr sie, dass an die italienische Botschaft eine Handelsagentur und ein Kulturinstitut angegliedert waren. Gemeinsam mit Bertil ging sie den Ordner durch, der Auskunft über alle Angehörigen der Botschaft gab. Über den Botschafter selbst fanden sie eine Kopie des Sendschreibens vom italienischen Präsidenten an den König von Schweden. Barbro überflog aus Neugier die ersten Zeilen und las den Brief dann ganz zu Ende. Der Präsident lobte die Verdienste von Massimo Maero, beteuerte im Anschluss die Integrität und Eignung Maeros und schloss mit der Bitte, Maero als Botschafter Italiens in Schweden gutzuheißen. Nach dem Umblättern stieß Barbro auf die Antwort des damals regierenden Staatsministers und des Königs als Staatsoberhaupt, worin sie beteuerten, in welche Verzückung sie dieser Vorschlag versetzt habe. Beim dritten Schreiben, dem Antrittsschreiben, stellte Barbro sich vor, wie Maero mit dem Antrittsschreiben und seinem Koffer in der Hand am Centralbahnhof ankam und sich neugierig umschaute.
Für die anderen Angestellten der Botschaft war das Verfahren bescheidener. Es gab Sekretäre und Attachés. Hier genügte ein Briefwechsel zwischen den Außenministerien. Von jedem Angestellten existierte ein Lebenslauf mit einem Bild. Nach zehn Minuten hatte Barbro alle Bilder mit dem der Toten verglichen. Sie versuchte sogar, sich vorzustellen, ob die Tote mit einem der Angestellten verwandt sein konnte.
„Müssen sich die Kuriere auch akkreditieren?“
„Bei uns geht nichts ohne Kredit“, erklärte Bertil.
„Bei mir leider auch nicht“, log Barbro, weil sie wusste, wie sehr Bertil Doppeldeutigkeiten liebte. „Aber es gibt doch Sondergesandte, solche, die nur einmal kommen?“
„Von diesen wissen wir ebenfalls. Sie sind zwar auf ihrem Weg sakrosankt, aber oft nur, bis sie die Sendung abgegeben haben. Danach verlieren sie ihren Status.“
Barbro seufzte alles andere als beschwingt. „Wenn sie nicht zur Botschaft gehört und wir sonst nichts von ihr finden, sieht es nicht gut für uns aus. Wir haben damit gerechnet, dass sie das Kuvert benutzt hat, um die Nachricht sicher herzubefördern.“
„Das kann sie durchaus versucht haben. Aber die vielen Formfehler deuten eher darauf hin, dass sie keine Diplomatin ist. Wir können in Rom anfragen.“
Barbro nickte.
Bertil verfasste ein Anschreiben des Ministeriums mit der Bitte, Ergebnisse an Barbro zu übermitteln.
„Aber erwarte keine schnelle Antwort. Dort ist heute Nationalfeiertag.“