Favete linguis!
Horaz

Zima, benutzen Sie diesen Augenblick. Aga Nakis unterhält Ihre Mutter. Ihre Erzieherin lauscht am Erker, ob Ihr Vater zurückkommt: nehmen Sie, lesen Sie, fürchten Sie nichts. Entdeckte man aber auch »Geschwätzige Kleinode« hinter Ihrem Nachttisch, glauben Sie etwa, daß man sich darob groß wundern würde? Nein, Zima, nein; es ist ja bekannt, daß »Der Sofa«, »Der Tanzaï« und »Die Beichten« unter Ihrem Kopfkissen lagen. »Sie bedenken sich noch? So wissen Sie denn, Aglae hat nicht verschmäht das Werk in die Hand zu nehmen, das Sie anzunehmen erröten.« »Aglae? Die tugendhafte Aglae?« »Fragen Sie eben die!« antworte ich. Während Zima sich mit dem jungen Bonzen Allelma langweilte oder vielleicht gar sich mit ihm vergaß genoß Aglae des unschuldigen Vergnügens, mich über die Abenteuer Zaidens, Alfanens, Fannys usw. zu belehren. Ihr verdank’ ich die wenigen Züge, die mir in Mangoguls Geschichte gefallen; sie sah sie durch und gab mir Winke, wie ich sie verbessern könnte. Denn Aglae ist eine der am meisten tugendhaften und am wenigsten erbaulichen Frauen im Congo, sie ist auch am wenigsten erpicht auf Schöngeisterei und dennoch eine der geistreichsten. Sollte dem ungeachtet Zima immer noch glauben sich zieren zu müssen? Noch einmal, Zima: nehmen Sie, lesen Sie, lesen Sie alles, selbst das Protokoll des reizenden Kleinodes. Man wird es Ihnen verdolmetschen, ohne daß es Ihrer Tugend etwas kostet: nur sei der Dolmetscher weder Ihr Gewissensrat, noch Ihr Liebhaber.

Hia uf Zeles Tanzai beherrschte seit langer Zeit das große Scheschian, und dieser wollüstige Fürst war immer das Entzücken seines Landes. Acaju, König von Minuzien erfüllte die Weissagung seines Vaters. Zulmis hatte gelebt, der Graf von Facardin lebte noch, Splendide, Angola, Misapuff und einige andere Regenten Hindostans und Asiens starben plötzlich. Die Volker, müde der Herrschaft schwachsinniger Gebieter, hatten das Joch ihrer Nachkommen abgeschüttelt; und die Abkömmlinge dieser unglücklichen Monarchen durchirrten unbekannt und beinahe unbemerkt die Provinzen ihrer Reiche. Nur der Großsohn der erlauchten Scheherazade saß fest auf seinem Thron, und man gehorchte ihm in Mogolistan unter dem Namen Schah Baham, als Mangogul im Congo geboren wurde. Vieler Fürsten Untergang war, wie man sieht, der traurige Zeitpunkt seiner Geburt.

Ergebzed, sein Vater, berief keine Feen um die Wiege des Sohns. Er hatte bemerkt, daß die Fürsten seiner Zeit, deren Erziehung man diesen weiblichen Genien vertraute, größtenteils Pinsel geworden waren. Doch trug er einem gewissen Codindo auf, ihm seine Nativität zu stellen; einem vom Schlag jener Menschen, die leichter zu beschreiben als zu durchschauen sind.

Codindo war Oberster des Kollegiums der Vogeldeuter in Banza, der uralten Hauptstadt des Reiches. Ergebzed zahlte ihm ein großes Gehalt, und beschenkte ihn und seine Nachkommen mit einem prächtigen Schlosse an der Grenze von Congo, zum Lohn für die Verdienste seines Groß-Oheims, der ein trefflicher Koch war. Codindo hatte die Obliegenheit, den Flug der Vögel wie den Zustand des Himmels zu beobachten und dem Hofe Bericht darüber abzustatten. Das tat er schlecht genug. Allerdings besaß Banza die besten Schauspiele in ganz Afrika, und die häßlichsten Schauspielhäuser; dafür aber hatte es das schönste Observatorium der Welt und die allerelendsten Prophezeiungen.

Codindo wußte, was man in Ergebzeds Palaste von ihm verlangte, und verfügte sich sehr betreten dahin. Der arme Mann konnte so wenig in den Gestirnen lesen, als Ihr und ich. Man erwartete ihn mit Ungeduld. Die vornehmsten Herren des Hofes waren im Gemach der Großsultanin versammelt. Prächtig geputzte Damen umgaben die Wiege des Kindes Höflinge wetteiferten, ihrem Herrn zu den großen Dingen Glück zu wünschen, die er ohne Zweifel über seinen Sohn erfahren würde. Ergebzed als Vater fand nichts natürlicher, als daß man in den noch ungebildeten Zügen eines Kindes erkenne, welch ein Mann dereinst aus ihm werden würde.

Endlich erschien Codindo. »Treten Sie näher,« sprach Ergebzed. »Da mir der Himmel den Prinzen bescherte, den Sie hier sehn, ließ ich den Augenblick seiner Geburt sorgfältig aufnehmen und man hat Ihnen darüber berichten müssen. Reden Sie aufrichtig zu Ihrem Herrn, offenbaren Sie ihm ohne Anstand, welch ein Schicksal der Himmel seinem Sohn bestimmt.«

»Großmächtiger Sultan,« antwortete Codindo, »der Prinz ist von ebenso erlauchten als glücklichen Eltern geboren, sein Schicksal kann nicht anders als groß und glücklich sein; nur würd’ ich Ew. Hoheit hintergehn, wenn ich mich vor Ihr mit einer Wissenschaft brüsten wollte, die ich nicht besitze. Die Gestirne gehn mir auf und unter wie andern Menschen und erhellen mir so wenig die Zukunft, als dem allerunwissendsten Ihrer Untertanen.«

»Wie?« versetzte der Sultan, »sind Sie kein Sterndeuter?« – »Großmächtigster Fürst,« antwortete Codindo, »die Ehre hab’ ich nicht.«

»Was Teufel sind Sie denn?« erwiderte der alte aber aufbrausende Ergebzed. »Vogeldeuter!« – »Wahrhaftig! es kam mir nicht bei, daß Sie sich das träumen ließen. Glauben Sie mir, Herr von Codindo, lassen Sie Ihre Hühner in Frieden essen, und entschließen Sie sich über das Schicksal meines Sohnes zu sprechen, wie letzthin über das Schnupfenfieber des Papageis meiner Frau.«

Sogleich zog Codindo eine Lupe aus der Tasche, ergriff das linke Ohr des Kindes, rieb sich die Augen, setzte seine Brillen herüber und hinüber, betrachtete dieses Ohr genau, dann das rechte, und sprach: »die Regierung des jungen Prinzen wird glücklich sein, wenn sie lang ist.«

»Ich verstehe,« nahm Ergebzed das Wort: »Mein Sohn wird herrliche Taten verrichten, wenn er Zeit dazu hat. Aber Sackerlot! das will ich ja eben wissen, ob er Zeit haben wird. Was liegt mir daran, wenn er tot ist, daß er der erste Fürst der Erde gewesen wäre, wenn er gelebt hätte? Ich berufe Sie, um das Leben meines Sohnes vorherzusehen, und Sie halten mir seine Leichenrede!«

Codindo antwortete dem Fürsten, es tue ihm leid, nicht mehr zu wissen. Aber er bat Seine Hoheit zu bedenken, daß es wohl genug sei, für die kurze Zeit die er Wahrsager wäre. Und in der Tat, was war Codindo einen Augenblick vorher?

Man erlaube mir über Mangoguls erste Jahre wegzuschlüpfen. Die Kindheit der Fürsten ist wie die Kindheit anderer Menschen; mit dem Unterschiede freilich, daß es ihnen gegeben ist, eine Menge witziger Sachen zu sagen, ehe sie reden können. Kaum war auch Ergebzeds Sohn vier Jahr alt, als eine ganze Sammlung derselben, den hundertvierundsiebzigsten Teil der Kinderbibliothek ausmachte. Ergebzed war ein verständiger Mann und wollte nicht, daß seines Sohnes Erziehung so vernachlässigt werden sollte, wie die seinige. Daher berief er sehr frühzeitig um ihn und besoldete ansehnlich an seinem Hofe, was Congo an großen Männern jeder Art besaß: Maler, Weltweise, Dichter, Tonkünstler, Baumeister, Tanzmeister, Mathematiker, Geschichtslehrer, Fechtmeister usw. Mangogul hatte sehr glückliche Anlagen, und der anhaltende Unterricht seiner Lehrer trug dazu bei, ihn alles wissen zu lassen, was ein junger Fürst in den ersten fünfzehn Jahren seines Lebens zu lernen gewohnt ist. In seinem zwanzigsten Jahre trank er, und aß, und schlief, so vollkommen, als irgendein Gewalthaber seines Alters.

Ergebzed fühlte an der Last seiner Jahre die Last seiner Krone. Er war es müde, die Zügel des Reiches zu halten. Drohende Unruhen schreckten ihn, Mangoguls hervorragende Talente erweckten sein Vertrauen, fromme Gefühle drangen auf ihn ein, bei den Großen sichere Verboten ihres nahen Todes oder ihres Blödsinns, und darum stieg er vom Thron, um seinen Sohn darauf zu setzen: und dieser gute Fürst glaubte der Einsamkeit zu bedürfen, um die Verbrechen einer Verwaltung abzubüßen, deren die Jahrbücher Congos als der allergerechtesten Meldung tun. Also begann im Jahre der Welt 150000003200001, des Reiches Congo 390000070003, die Regierung Mangoguls in direkter Linie des 1234500sten seines Stammes. Häufige Sitzungen im Staatsrat, Kriege, die er bestand, und Betreibung der Geschäfte, lehrten ihn bald, was ihm noch zu wissen übrig blieb, da er aus den Händen seiner Schulmeister kam, und das war etwas.

Unterdessen erlangte Mangogul in weniger als zehn Jahren den Ruf eines großen Mannes. Er gewann Schlachten, eroberte Städte, vergrößerte sein Reich, gab seinen Provinzen Frieden, hob die Unordnung der Staatseinkünfte, ließ Künste und Wissenschaften wieder aufblühen, errichtete Gebäude, machte sich unsterblich durch nützliche Anstalten, befestigte und verbesserte die Gesetze, errichtete sogar Akademien. Das alles tat er, und dennoch – seiner Universität blieb es ewig unbegreiflich! – und dennoch verstand er kein Wort Latein.

Mangogul war nicht minder liebenswürdig in seinem Serail, als groß auf dem Thron. Es fiel ihm nicht ein, nach der lächerlichen Sitte des Landes zu leben. Er sprengte die Pforten des Harems. Er verjagte die beleidigenden Keuschheitswächter, und verließ sich bezüglich der Treue der Damen weislich auf die Damen selbst. Man ging so frei in ihr Gemach, wie man in Flandern in ein Fräuleinstift geht, und betrug sich ohne Zweifel ebenso sittsam darin. Welch ein guter Sultan! Seinesgleichen findet man nur in einigen französischen Romanen. Er war mild, leutselig, fröhlich, einschmeichelnd, von reizendem Aussehen, liebte das Vergnügen, war wie geschaffen dazu, und vereinigte mehr Witz in seinem Kopfe, als alle seine Vorgänger zusammengenommen.

Es läßt sich leicht denken, daß so seltene Verdienste viele Damen bewogen, auf seine Eroberung auszugehn. Einigen gelang es. Die sein Herz verfehlten, versuchten sich mit den Großen seines Hofes zu trösten. Zu den ersten gehörte die junge Mirzoza. Ich darf mich nicht damit aufhalten, ihre Tugenden und ihre Reize herzuzählen. Das gäbe ein Werk ohne Ende, und diese Geschichte soll doch eins haben.

Schon waren Jahre verflossen, und Mirzoza blieb Mangoguls Geliebte. Die Liebenden hatten sich alle jene Phrasen gesagt und tausendfältig wiederholt, die selbst den geistreichsten Leuten eine heftige Leidenschaft eingibt. Sie waren bis zur Vertraulichkeit gekommen und hätten es für Sünde gehalten, sich den geringfügigsten Umstand ihres Lebens zu verheimlichen. Sonderbare Fragen wie: »hätte der Himmel, der mich auf den Thron setzte, mich im Staube geboren werden lassen, wären Sie zu mir herabgestiegen? Hätte Mirzoza mich dennoch mit ihrer Liebe gekrönt?« »Wenn Mirzoza ihre geringen Reize verlöre, würde Mangogul sie immer lieben?« Derartige Fragen, sag’ ich, die Liebende von Erfindungsgabe im Scharfsinn üben, nicht selten sogar empfindsame Liebende entzweien und die aufrichtigsten Liebenden gar oft zu Lügen verleiten, waren für sie schon verbraucht. Die Favorite, eine große Meisterin in der so notwendigen und seltenen Kunst gut zu erzählen, hatte die Skandalgeschichten von Banza bereits erschöpft. Da sie nicht viel Temperament besaß, so war sie nicht immer aufgelegt, des Sultans Liebkosungen zu empfangen, noch der Sultan immer gelaunt, ihre dergleichen anzutragen. Kurz, es gab Tage, wo Mangogul und Mirzoza nichts zu reden, beinahe nichts zu tun hatten, und, ohne sich darum weniger zu lieben, sich schlecht unterhielten. Solche Tage waren selten, ader es gab ihrer doch, und so einer grade war es.

Der Sultan lag nachlässig auf einem Lehnstuhl, der Favorite gegenüber. Sie häkelte und sprach kein Wort dabei. Eine Spazierfahrt erlaubte das Wetter nicht. Mangogul mochte keine Piquetpartie vorschlagen; und diese verdrießliche Stimmung dauerte fast eine Viertelstunde, als der Sultan nach häufigem Gähnen anfing: »Man muß gestehn, Geliotte sang wie ein Engel!« »Und Ihrer Hoheit wird die Zeit zum Sterben lang,« setzte die Favorite hinzu. »Nein, Madame,« erwiderte der Sultan, und gähnte nur halb, »der Augenblick, in dem man Sie sieht, gehört niemals der Langeweile.« – »Das wäre ja beinahe galant gewesen! Aber Sie träumen, Sie sind zerstreut, Sie gähnen; was fehlt Ihnen, Fürst?« – »Ich weiß nicht,« sagte der Sultan. »Ich errate es«, fuhr die Favorite fort: »Ich war achtzehn Jahr alt, da ich das Glück hatte, Ihnen zu gefallen. Sie lieben mich seit vier Jahren. Achtzehn und vier sind zweiundzwanzig. Ich bin freilich sehr alt.« Mangogul lächelte über die Rechnung. »Wenn ich denn also,« setzte Mirzoza hinzu, »für das Vergnügen nichts mehr tauge, so will ich Ihnen wenigstens zeigen, daß guter Rat bei mir zu finden ist. Die Abwechslung aller Freuden um Sie her hat Sie vor Überdruß nicht bewahren können. Ja, Sie sind übersättigt. Das ist Ihre Krankheit, Fürst.« – »Ich gebe nicht zu, daß Sie recht haben,« sprach Mangogul, »aber gesetzt, es wäre so, wüßten Sie ein Mittel dagegen?« Mirzoza bedachte sich einen Augenblick und antwortete dann dem Sultan: Seine Hoheit hätten ihr soviel Vergnügen an den galanten Abenteuern der Stadt zu finden geschienen, daß sie bedaure, nicht mehr davon zu wissen, oder über die seines Hofes nicht besser unterrichtet zu sein; zu diesem Mittel würde sie wieder ihre Zuflucht genommen haben, bis ihr ein besserer Einfall gekommen wäre. »Das halte er auch für gut,« sagte Mangogul, »aber wer weiß die Geschichte aller jener Närrinnen? Und wenn sie jemand wüßte, wer kann erzählen wie Sie?« – »Suchen wir sie nur zu erfahren,« erwiderte Mirzoza, »es mag sie erzählen wer da will, Ihre Hoheit gewinnen sicherlich mehr an Gehalt der Sache, als Sie an der Einkleidung verlieren.« »Ich werde mir,« sagte Mangogul, »wenn Sie wollen, mit Ihnen zusammen die Damen meines Hofes sehr unterhaltsam vorstellen, aber was hilft mir das? Wären sie noch hundertmal mehr, es ist ja unmöglich dahinter zu kommen.« »Es mag schwierig sein,« antwortete Mirzoza, »aber das ist auch alles, denk’ ich. Der Genius Cucufa, Ihr Verwandter und Freund, hat größere Wunder getan. Was fragen Sie den nicht um Rat.« – »Freude meines Lebens!« rief der Sultan, »Sie sind bewundernswert. Was der Genius für mich tun kann, das wird er aufbieten. Daran zweifele ich nicht. Gleich verschließ’ ich mich in mein Betzimmer und will ihn heraufbeschwören.« Mangogul stand auf, küßte der Favorite linkes Auge, nach der Sitte von Congo, und ging hinaus.

Der Genius Cucufa ist ein alter Hypochondrist. Aus Furcht, daß die Fallstricke der Welt und der Umgang mit andern Genien seinem Seelenheil gefährlich werden möchten, flüchtete er in einen leeren Raum. Dort beschäftigte er sich nach Herzenslust mit den unendlichen Vollkommenheiten der großen Pagode, kneift sich, kratzt sich, treibt Unfug, hat Langeweile, wütet und hungert. Dort liegt er auf einer Matte. Den Leib in einen Sack genaht, die Lenden mit einem Strick umgürtet, die Arme kreuzweise über die Brust geschlagen, und den Kopf in eine Kutte gehüllt, aus welcher nur das äußerste Ende seines Bartes hervorragt. Er schläft, aber man sollte glauben, er sei in Betrachtung versunken. Seine ganze Gesellschaft besteht aus einem Kauz, der zu seinen Füßen schlummert, aus einigen Ratzen, die an seiner Matte nagen, und aus Fledermäusen, die um sein Haupt schwirren. Wer ihn beschwören will, spricht unter Schellengeläut den ersten Vers des nächtlichen Gebets der Braminen, dann rückt er seine Kappe in die Höhe, reibt sich die Augen, fährt in seine Pantoffeln und eilt herbei. Denkt euch einen alten Camaldulenser Mönch, der zwei große Nachteulen an den Pfoten hält und von ihnen in der Luft getragen wird. In diesem Kostüme erschien Cacufa dem Sultan. »Bramas Segen sei mit dir,« sprach er, als er sich niederließ. »Amen,« antwortete der Fürst. »Was willst du, mein Sohn?« »Eine Kleinigkeit,« sagte Mangogul, »etwas Spaß auf Kosten meiner Hofdamen.« »Sohn! Sohn!« erwiderte Cacufa. »Du allein hast ja mehr Begierden, als ein ganzes Braminen-Kloster. Was denkst du mit dieser Herde Närrinnen anzufangen?« »Ich will wissen, was sie für Liebeshändel haben und hatten, weiter nichts.« – »Das ist ja unmöglich,« sprach der Genius. »Welches Weib beichtet ihre Liebeshändel? Das geschah nicht, geschieht nicht und wird nicht geschehn.« »Es soll aber geschehn,« versetzte der Sultan. Der Genius kratzte sich am Ohr, strich aus Zerstreuung seinen langen Bart durch seine Finger, und versank in Nachdenken. Er erwachte bald daraus: »Sohn,« sprach er zu Mangogul, »ich liebe dich; du sollst deinen Willen haben.« Nun fuhr er mit der Rechten in einen tiefen Sack, der ihm unter der linken Achsel hing, und suchte unter Bildern, Rosenkränzen, Bleimännerchen und verschimmelten Zuckerkörnern ein silbernes Reifchen hervor, das Mangogul anfangs für einen Hubertsring hielt. »Nimm diesen Ring, mein Sohn,« sprach er zum Sultan. »Steck ihn dir an den Finger. So oft du seinen Stein gegen ein Weib wendest, wird sie dir ihre Heimlichkeiten laut, deutlich und verständlich hererzählen. Nur glaube nicht etwa, daß sie durch ihren Mund zu dir reden werde.« »Das wär’ der Henker!« rief Mangogul, »wodurch wird sie denn reden?« »Durch den offenherzigsten Teil, der an ihr ist,« sagte Cacufa, »durch den Teil, der das am besten weiß, was du zu erfahren begehrst; durch ihr Kleinod.« »Durch ihr Kleinod?« versetzte der Sultan, mit schallendem Gelächter. »Ihr Kleinod soll reden? das ist ja außer aller Regel!« »Sohn,« sprach der Genius, »ich habe deinem Großvater zu Liebe wohl andre Zeichen getan, also verlaß dich auf mein Wort. Brama sei mit dir! Gebrauche das Pfand wohl, das der Himmel dir verleiht, und erinnere dich, daß der Weise seiner Neugier Schranken setzt.« Mit diesen Worten schüttelte der Gleißner den Kopf, verhüllte ihn wieder in seine Kutte, ergriff die Eulen bei den Pfoten, und verschwand in den Lüften.

Kaum war Mangogul im Besitz des geheimnisvollen Ringes, als ihn die Versuchung anwandelte, ihn zuerst bei der Favorite zu erproben. Ich vergaß zu sagen, daß der Ring nicht nur die Eigenschaft hatte, die Kleinode der Weiber reden zu lassen, gegen welche man seinen Stein drehte, sondern daß er auch denjenigen unsichtbar machte, der ihn am kleinen Finger trug. Daher konnte sich Mangogul, vermittels seiner, im Augenblick an hundert Orte versetzten, wo man ihn nicht erwartete; und viele Dinge mit Augen sehn, wobei man gewöhnlich keine Zeugen zuläßt. Er durfte nur den Ring anstecken und sagen, ich will dort sein, sogleich war er da. Er stand also vor Mirzoza.

Mirzoza, die den Sultan nicht mehr erwartete, hatte sich zu Bette bringen lassen. Mangogul näherte sich leise ihrem Lager, und sah bei dem Schimmer eines Nachtlichts, daß sie eingeschlafen war. »Gut, daß sie schläft,« sprach er. »Gleich will ich den Ring an den andern Finger stecken, wieder sichtbar werden, den Stein der schönen Schläferin zudrehn und ihr Kleinod gelinde erwecken … Doch was hindert mich? Ich zittre. Sollte Mirzoza vielleicht – Nein, das ist unmöglich. Mirzoza ist mir treu. Weg von mir, beleidigende Zweifel! Ich will euch nicht hören, ich darf nicht!« Schon ergriff er den Ring, aber schnell zog er auch seine Hand zurück, als hätt’ er auf glühende Kohlen gefaßt: »Was tu’ ich, Unglücklicher? Ich trotze Cucufas Warnung. Eine alberne Neugier zu befriedigen, wag’ ich meine Geliebte und mein Leben. Wenn ihr Kleinod sich beikommen ließe, albernes Zeug zu sprechen, so säh’ ich sie nicht wieder, und stürbe vor Schmerz. Und wer weiß, was ein Kleinod für heimliche Nücken haben kann?« Mangogul war zu sehr erschüttert, um auf seiner Hut zu sein, er sprach die letzten Worte ein wenig laut, und die Favorite erwachte. Sie war minder erstaunt als froh über seine Gegenwart: »Sie sind da, gnädigster Herr?« sagte sie. »Warum hat man Sie nicht gemeldet? Es ziemt Ihnen nicht zu warten, bis ich erwache.«

Der Sultan antwortete der Favorite, indem er ihr den Erfolg seiner Unterredung mit Cucufa erzählte. Er wies ihr den erhaltenen Ring und verheimlichte keine seiner Eigenschaften. »Sie sind im Besitz eines teuflischen Geheimnisses!« rief Mirzoza. »Denken Sie es wirklich zu gebrauchen, gnädigster Herr?« – »Sapperment!« sagte der Sultan, »ob ich’s gebrauchen werde? Mit Ihnen fang’ ich an, wenn Sie mir lange dreinreden!« Bei diesen fürchterlichen Worten erblaßte die Favorite, zitterte, faßte sich, und beschwor den Sultan, bei Brama und allen Pagoden von Hindostan und Congo, nur nicht an ihr ein Geheimnis zu erproben, wodurch er so wenig Zutrauen in ihre Treue beweisen würde: »War ich immer vorwurfsfrei,« fuhr sie fort, »so wird mein Kleinod kein Wort reden, und Sie haben mir dann eine Beleidigung zugefügt, die ich Ihnen nie vergeben würde. Fällt es ihm aber ein zu schwatzen, so verlier’ ich Ihre Achtung und Ihr Herz. Und Sie selbst werden in Verzweiflung geraten. Bis jetzt scheint es, hat Ihnen Ihre Verbindung mit mir nicht leid getan. Warum wollen Sie es wagen, sie zu zerstören? Glauben Sie mir, gnädigster Herr, folgen Sie dem Rat des Genius. Er hat Erfahrung darin; auch ist es immer gut, eines Genius’ Winke zu befolgen.« »Das sagt’ ich mir eben selbst, als Sie erwachten,« antwortete Mangogul, »hätten Sie aber zwei Minuten länger geschlafen, so weiß ich nicht, was daraus geworden wäre.«

»Was daraus geworden wäre,« sprach Mirzoza, »nun, von meinem Kleinod hätten Sie nichts Neues erfahren, mich aber hätten Sie auf immer verloren.«

»Sehr möglich,« versetzte Mangogul. »Und da ich jetzt die Größe der Gefahr erkenne, der ich entgangen bin, so schwöre ich Ihnen bei der ewigen Pagode, Sie sollen von der Zahl derjenigen ausgenommen sein, gegen die ich meinen Ring kehren werde.«

Darauf schien Mirzoza beruhigt und fing im Voraus an, über die Kleinode zu scherzen, die der Sultan zum Sprechen bringen würde. »Cidaliens Kleinod,« sagte sie, »hat viel zu erzählen. Wenn es nicht bedachtsamer ist als seine Gebieterin, so läßt es sich schwerlich lange bitten. Hariens Kleinod ist nicht mehr von dieser Welt, Ihre Hoheit werden glauben, eine Matrone aus dem vorigen Jahrhundert zu hören. Glauca hat so etwas, dem man gerne nachfragen möchte. Sie ist hübsch und gefallsüchtig.« – »Und gerade deswegen,« erwiderte der Sultan, »wird ihr Kleinod nichts zu sagen haben.« – »So wenden sich Ihre Hoheit doch an Fatime,« versetzte die Sultanin, »sie ist verbuhlt und häßlich.« – »Ja wohl,« nahm der Sultan das Wort, »so häßlich, daß nur eine solche böse Zunge, wie die Ihrige, sie beschuldigen kann, sie sei verliebt. Fatime ist die Keuschheit selbst, das sag’ ich Ihnen, ich weiß was ich sage.« »Ihre Hoheit haben zu befehlen,« erwiderte die Favorite, »aber Fatimens Katzenaugen sagen das Gegenteil.« – »So lügen ihre Augen«, antwortete der Sultan, etwas ärgerlich. »Ich mag nichts weiter von Fatimen wissen. Dem Himmel sei Dank, sie ist nicht das einzige Kleinod, das sich ausfragen läßt.« – »Darf man denn, ohne Ihre Hoheit zu beleidigen,« sprach Mirzoza, »sich erkundigen, welches Sie mit Ihrer Wahl beehren werden?« – »Das wird sich bald zeigen,« sagte Mangogul, »wenn sich der Hof bei der Mamimonbanda versammelt. (Das ist im Congo der Name der Großsultanin.) Da soll es uns so leicht nicht fehlen, und werden die Hofkleinode langweilig, so machen wir die Runde durch Banza. Vielleicht finden wir die der Bürgerinnen gescheiter als die der Herzoginnen.« »Gnädigster Herr,« antwortete Mirzoza, »ich kenne alle beide; ich kann Ihnen versichern, es ist kein Unterschied unter ihnen, als das jene etwas vorsichtiger sind.« »Das wollen wir bald erfahren,« erwiderte Mangogul. »Aber ich muß lachen, wenn ich mir vorstelle, wie verlegen und erstaunt alle diese Frauen sein werden bei dem ersten Wort, das ihr Kleinod ausspricht. Ha! Ha! ha! Vergessen Sie nicht, Freude meines Herzens, daß ich Sie bei der Groß-Sultanin erwarte, daß ich meinen Ring nicht eher gebrauche, bis Sie da sind.« »Nur, gnädigster Herr,« sagte Mirzoza, »vergessen Sie auch nicht, was Sie mir versprochen haben.« Mangogul lächelte über ihre Besorgnis, gab ihr aufs neue sein Ehrenwort, begleitete es mit einigen Liebkosungen, und verließ sie.

Mangogul ging früher als gewöhnlich zur Großsultanin. Alle Damen saßen am Spieltisch. Er überlief mit seinen Augen diejenigen, deren guter Name fest gegründet war, entschloß sich seinen Ring an einer unter ihnen zu versuchen, und war nur verlegen über die Wahl. Noch stand er ungewiß, mit wem er beginnen sollte, als er eine junge Hofdame Mamimonbandas am Fenster gelehnt erblickte. Sie neckte sich mit ihrem Gemahl. Das befremdete den Sultan. Denn sie waren seit mehr als acht Tagen verheiratet. Sie hatten sich in einer Loge in der Oper gezeigt, sie waren in einem Wagen zum kleinen Korso, ins Bois de Boulogne und den Prater gefahren, sie hatten gemeinschaftliche Visiten beendet, und nunmehr erlaubte ihnen das Herkommen, sich nicht mehr zu lieben, ja nicht einmal zu begegnen. »Ist das Kleinod«, dachte Mangogul bei sich, »ebenso toll als seine Gebieterin, so werden wir ein erfreuliches Selbstgespräch vernehmen.« Indem erschien die Favorite. »Willkommen,« raunte der Sultan ihr zu, »ich habe unterdessen mein Netz ausgeworfen.« »Nach wem?« fragte Mirzoza. »Nach den Leuten, die Sie dort am Fenster mitsammen albern sehn,« antwortete ihr Mangogul mit zwinkernden Augen. »Ein schöner Anfang,« versetzte die Favorite.

Alcine, so hieß die junge Dame, war lebhaft und reizend. Wenige Frauenzimmer des großherrlichen Hofes waren liebenswürdiger, keine hatte mehr Liebhaber. Ein Emir des Sultans hatte sie sich in den Kopf gesetzt. Was die Lästerzungen von Alcinen verbreiteten, blieb ihm nicht verborgen; es machte ihn stutzig, aber er beobachtete das Herkommen: er fragte seine Geliebte, was er davon denken sollte? Alcine schwur ihm, diese Verleumdungen wären die Rache einiger Gecken, die stumm geblieben wären, wenn sie Gründe gehabt hätten zu reden; übrigens sei ja keiner von beiden gebunden, und sie überlasse es ihm, davon zu glauben, was ihm gut dünke. Der feste Ton dieser Antwort überzeugte den verliebten Emir von der Unschuld seiner Geliebten. Er schloß den Handel, und erhielt den Namen Gemahl mit allen seinen Vorrechten.

Der Sultan drehte seinen Ring gegen sie. Ein Ausbruch lauten Gelächters, dessen sich Alcine, bei einigen abgeschmackten Reden ihres Gemahls, nicht hatte erwehren können, ward durch die Wunderkraft des Ringes plötzlich gehemmt, und unter ihren Röcken hervor vernahm man alsbald ein Gemurmel: »Endlich hab ich doch einen Titel. Das ist mir herrlich lieb. Rang geht eben über alles. Wer meinem ersten Rat gefolgt wäre, hätte etwas Besseres für mich gefunden, als einen Emir: aber ein Emir ist immerhin besser als nichts.« – Bei dieser Stelle verließen alle Damen das Spiel, um zu suchen, woher die Stimme käme. Dieser Aufstand verursachte viel Geräusch. »Stille,« sprach Mangogul, »dies verdient Aufmerksamkeit.« Man ward still, und das Kleinod fuhr fort: »Ein Gemahl muß ein ansehnlicher Gast sein, weil sein Empfang soviel Vorkehrungen nötig macht. Was für Sorgfalt! Welch eine Sündflut von Myrtenwasser! Wenn man mich noch vierzehn Tage länger so hielte, so war es aus mit mir, so verschwand ich aus der Reihe der Wesen, und der Herr Emir konnten sich anderswo einquartieren, oder Zaubermittel aufsuchen, um mir meine natürliche Gestalt wiederzugeben.« – Hier, versichert mein Gewährsmann, erblaßten alle Damen, sahen sich sprachlos an, machten ernste Gesichter, die man der Furcht zuschrieb, daß das Gespräch möchte allgemein werden, und nicht bei einer allein bleiben. – »Mir scheint freilich,« fuhr Alcinens Kleinod fort, »man brauchte für den Sultan nicht soviel Umstände zu machen; aber ich erkenne die Klugheit meiner Herrin an. Sie sorgte für den schlimmsten Fall, und ich ward für den Herrn eingerichtet, als wär es für seinen kleinen Jockey.«

Das Kleinod wollte in seinen ungewöhnlichen Enthüllungen fortfahren, als der Sultan, der das Ärgernis bemerkte, welches die züchtige Mamimonbanda an diesem seltsamen Auftritt nahm, den Ring zurückzog, und den Redner unterbrach. Der Emir war bei den ersten Worten des Kleinods seiner Frau verschwunden. Alcine verlor die Fassung nicht und stellte sich eine Zeitlang ohnmächtig. Unterdessen flüsterten die Damen einander zu, sie habe Nervenkrämpfe. »Jawohl, Nervenkrämpfe,« sagte ein Stutzer, »die Ärzte nennen dergleichen hysterische Zufälle, das heißt Sachen, die aus der untern Region kommen. Es gibt dagegen ein sehr bewährtes Mittel. Etwas Kraftbewegendes, Kraftannehmendes, Kraftmitteilendes und Kraftbelebendes – ich werd’ es den Damen vorlegen.« Man lächelte über diese Spötterei, und unser Zyniker fuhr fort: »Das ist sehr wahr, meine Damen. Ihr untertäniger Diener hat sich dieses Mittels bedient, eine Abnahme seiner Substanz zu hintertreiben.« »Herr Graf!« sagte ein junges Frauenzimmer, »was meinen Sie damit?« – »O Gnädigste,« antwortete der Graf, »das ist ein Umstand, dem jedermann ausgesetzt ist. Mein Gott, so etwas widerfährt uns allen!«

Die verstellte Ohnmacht nahm ein Ende. Alcine setzte sich so unerschrocken zum Spiel, als habe ihr Kleinod nichts gesagt, oder als hab’ es die schönsten Dinge von der Welt erzählt. Sie war sogar die einzige, die ohne Zerstreuung spielte. Diese Sitzung trug ihr beträchtliche Summen ein. Die andern wußten nichts was sie thaten, kannten ihre Karten kaum, vergaßen was heraus war, vernachlässigten ihre Inviten, trumpften zur Unzeit, und begingen tausend andere Fehler, die Alcine sich zunutze machte. Endlich hörte man auf zu spielen, und jedermann fuhr nach Hause.

Der Vorfall machte gewaltiges Aufsehn, am Hofe, in der Stadt, und im ganzen Reich. Er ward der Gegenstand vieler Epigramme. Die Rede von Alcines Kleinod ward gedruckt, erläutert, verbessert, vermehrt, und von allen schönen Geistern des Hofes mit Anmerkungen begleitet. Der Emir kam in ein Volkslied, seine Frau ward unsterblich. Im Schauspielhause zeigte man auf sie. Auf den Spaziergängen lief man ihr nach. Um sie her war ein Gedränge, und dann hörte sie murmeln: »das ist sie! ja die! ihr Kleinod hat zwei Stunden lang, hintereinander, gesprochen!« Alcine ertrug diesen neuen Ruhm mit bewundernswürdiger Kaltblütigkeit. Sie blieb bei diesen und tausend andern Äußerungen viel ruhiger als die andern Damen. Diese fürchteten alle Augenblick, daß auch ihr Kleinod anfangen würde zu schwatzen. Aber gar die Begebenheit des nächsten Kapitels brachte sie vollends in Verwirrung.

Da die Gesellschaft aufbrach, gab Mangogul der Favorite den Arm und führte sie auf ihr Gemach. Sie war bei weitem nicht so heiter und fröhlich, als sie gewöhnlich zu sein pflegte. Sie hatte beträchtlich im Spiel verloren, und die Wirkung des fürchterlichen Ringes versenkte sie in ein Nachdenken, aus dem es nicht so leicht war sich zu erholen. Sie kannte die Neugier des Sultans; und das Versprechen eines Mannes, der mehr eigensinnig als verliebt war, schien ihr nicht zuverlässig genug, um sie von aller Unruhe zu befreien. »Was fehlt Ihnen, Wonne meiner Seele?« fragte Mangogul, »warum sind Sie so in Gedanken?« »Nie hab ich mit so beispiellosem Pech gespielt,« antwortete Mirzoza, »Ich hatte zwölf Bilder; ich glaube, ich habe den ganzen Abend nicht drei Stiche gemacht.« »Das tut mir leid,« sagte Mangogul. »Aber was halten Sie von meinem Geheimnis?« »Gnädigster Herr,« antwortete Mirzoza, »ich bleibe dabei, es kommt vom Teufel. Es wird Ihnen unstreitig Vergnügen machen, aber dies Vergnügen wird schreckliche Folgen haben. Sie verbreiten Unruhe in allen Familien, den Männern geht ein Licht auf, die Liebhaber verzweifeln, die Frauen sind verloren, die Mädchen entehrt, und weiß ich, was sonst noch geschehn kann? O gnädigster Herr, ich beschwöre Sie …« »Bei meiner Seele!« unterbrach Mangogul, »Sie reden ja wie ein Bußprediger! Ich möchte wohl wissen, warum Ihnen gerade heute die Liebe des Nächsten so nahe zu Herzen geht? Nein, Madame, nein, ich behalte meinen Ring. Mag den Männern ein Licht aufgehn, mögen die Liebhaber verzweifeln, die Weiber zugrunde gehen und die Mädchen entehrt werden, wenn ich mich nur dabei gut unterhalte. Bin ich denn umsonst Sultan? Auf Wiedersehn, Madame! Es steht zu hoffen, daß die folgenden Auftritte possierlicher sind, wie der erste, und daß Sie selbst mit der Zeit Geschmack daran finden« – »Das glaub’ ich nicht, gnädigster Herr,« erwiderte Mirzoza. »Und ich bürge Ihnen dafür. Sie werden die Kleinode unterhaltend finden, so unterhaltend, daß Sie sich nicht erwehren können, Ihnen Gehör zu geben. Was sagen Sie, wenn ich sie Ihnen als Abgesandte zuschicke? Die Langeweile ihrer Reden will ich Ihnen ersparen, wenn Sie es wünschen; aber die Erzählung ihrer Begebenheiten sollen Sie aus ihrem Munde erfahren, oder aus dem meinigen. Der Entschluß steht fest, davon geh ich nicht ab. Lassen Sie es sich also angelegen sein, mit den neuen Sprechern vertraut zu werden.« Darauf umarmte er sie, ging in sein Kabinett, überdachte den Versuch, den er angestellt hatte, und zollte dem Genius Cacufa seinen andächtigen Dank.

Am andern Abend gab Mirzoza ein kleines Nachtmahl. Die Gäste versammelten sich zeitig in ihrem Gemach. Man war gern bei ihr, bevor sich das Schreckenszeichen des vorherigen Abends ereignete, für heute fand man sich ein, weil man es nicht ändern konnte. Alle Damen sahen verlegen aus und sprachen nichts als einzelne Worte. Sie saßen auf der Lauer und erwarteten jeden Augenblick, es werde sich irgendein Kleinod ins Gespräch mischen. Allen wässerte der Mund, Alcinens Unglück aufs Tapet zu bringen, aber keine wagte davon anzufangen. Nicht als ob ihre Gegenwart jemanden zurückgehalten hätte; denn sie blieb aus, obwohl eingeladen. Man vermutete, daß sie Kopfschmerzen habe. Endlich aber, sei es, daß man vielleicht die Gefahr weniger fürchtete, weil man den ganzen Tag hindurch nur Mäuler hatte reden hören, oder daß man sich nur dreist stellte: Das Gespräch, das einzuschlafen drohte, belebte sich auf einmal, sehr verdächtige Frauenzimmer bekamen wieder Haltung und Sicherheit, und Mirzoza fragte den Hofmann Zegris, ob es nichts Neues gebe: »Gnädige Frau,« antwortete Zegris, »die Vermählung des Aga Chazur mit der jungen Siberine, wovon man Ihnen Mitteilung gemacht hatte, ist rückgängig gemacht worden.« »Warum?« fragte die Favorite. – »Chazur will eine sonderbare Stimme am Nachttisch seiner Dame vernommen haben. Seit gestern wimmelt der Hof von Leuten, die die Ohren spitzen, um, ich weiß nicht was für Geständnisse zu erhaschen, die man gar keine Lust hat ihnen mitzuteilen.«

»Das ist ja toll,« sagte die Favorite. »Alcinens Unglück, wenn es überhaupt eins ist, ist noch gar nicht erwiesen. Noch hat man nicht ergründet …«

»Gnädige Frau,« unterbrach sie Zelmaide, »ich habe Wort für Wort verstanden. Sie sprach, ohne den Mund aufzutun. Ihre Reden waren sehr deutlich. Auch ließ sich leicht erraten, woher diese befremdliche Stimme kam. Ich gestehe Ihnen, widerführe mir dergleichen, ich wäre auf der Stelle tot.«

»Tot?« versetzte Zegris. »Man überlebt wohl ärgere Dinge.« »Ärgere?« rief Zelmaide. »Was kann ärger sein, als wenn ein Kleinod zu schwatzen anfängt? Alsdann ist kein andrer Rat. Man darf entweder keinen Liebhaber mehr haben, oder man muß sich gefallen lassen, daß die ganze Welt diesen Liebhaber kennt.«

»Die Wahl ist wirklich traurig,« sprach Mirzoza. »Nein, gnädige Frau,« versetzte eine andre, »nicht so traurig, daß man sich endlich nicht darein finden könnte. Man läßt die Kleinode schwatzen soviel sie wollen, und geht seinen Weg fort, ohne das Gerede zu achten. Ob nun das Kleinod einer Dame plaudert oder ihr Liebhaber, was liegt daran? Weiß man deswegen weniger, was man weiß?«

»Sie haben recht,« sagte eine dritte. »Ich glaube sogar, wenn eins von beiden sein muß, so ist es besser, daß die Welt die Heimlichkeiten einer Dame durch ihr Kleinod erfahre, als durch ihren Liebhaber.« »Das ist ein sonderbarer Einfall,« sagte die Favorite. »Eine große Wahrheit,« erwiderte die, welche ihn gewagt hatte. »Bedenken Sie nur, in der Regel bricht der Liebhaber seine Verschwiegenheit, weil er mißvergnügt ist, und dann gerät er leicht in Versuchung, aus Rache zu übertreiben: aber ein Kleinod spricht ohne Leidenschaft und sagt nichts weiter als was wahr ist.«

»Ich meines Orts bin dieser Meinung nicht,« redete Zelmaide dazwischen. »Die Wichtigkeit der Aussagen schadet der Schuldigen weniger, als die Gültigkeit des Zeugnisses. Entehrt ein Liebhaber durch sein Geschwätz den Altar, auf welchem er opferte, so ist er eine Art Gotteslästerer, der keinen Glauben verdient: aber erhebt der Altar selbst seine Stimme, was kann man antworten?«

»Daß er nicht weiß, was er spricht,« versetzte die zweite. Monima hatte bisher nicht geredet, jetzt brach sie das Schweigen, und sagte nachlässig und mit gedehntem Ton: »meinetwegen mag mein Altar, wenn er doch Altar heißen soll, reden oder schweigen; ich fürchte seine Worte nicht.«

Indem trat Mangogul herein und hörte Monimens letzte Worte. Er drehte seinen Ring gegen sie, und ihr Kleinod fing an zu schreien: »Glauben Sie ihr nicht, sie lügt!« Ihre Nachbarinnen sahn einander an und fragten sich, wem das Kleinod gehöre, welches geantwortet habe? »Mir nicht,« sagte Zelmaide; »mir auch nicht,« sprach eine andre; »mir auch nicht,« sagte Monima; »mir auch nicht,« sagte der Sultan. Alle Damen, die Favorite mit eingeschlossen, legten sich aufs Leugnen.

Der Sultan benutzte diese Ungewißheit und wandte sich zu den Damen. »Sie haben also Altäre?« fragt’ er; »sind sie auch wohl geehrt?« Und indem er sprach, wandte er schnell hintereinander seinen Ring gegen alle Damen, Mirzoza ausgenommen. Jedes Kleinod antwortete, wie es die Reihe traf. Wie viel Stimmen untereinander! »Ich bin sehr besucht,« »ich gehe zugrunde,« »ich bin verlassen,« »ich bin müde,« »ich bin mit Weihrauch versehen,« »ich bin schlecht bedient,« »ich bin gelangweilt« usw. Alle sprachen, aber so jäh, daß man ihnen nicht folgen konnte. Ihre Sprache, bald dumpf, bald kreischend; und von dem Gelächter Mangoguls und seiner Hofleute begleitet, verursachte ein ganz eigenartiges Geräusch. Die Damen sahen sehr ernsthaft drein, behaupteten aber, es wäre ungemein spaßhaft. »Allerdings,« sagte der Sultan, »es ist außerordentlich verbindlich von den Kleinoden, daß sie unsere Sprache reden und einen Teil der Kosten der Unterhaltung tragen wollen. Die Gesellschaft wird auf diese Weise verdoppelt und gewinnt unendlich dabei. Vielleicht reden wir Männer, bald auch nicht mehr bloß mit dem Munde. Wer weiß? Der Wardein dieser Kleinode ward vielleicht bestimmt, sie auszufragen und ihnen zu antworten. Mein Hofanatom ist freilich andrer Meinung.«

Es ward aufgetragen, man speiste, man scherzte auf Monimens Kosten; alle Damen sagten ihr auf den Kopf zu, ihr Kleinod habe zuerst geredet. Sie würde diesem Bündnisse erlegen gewesen sein, wenn der Sultan nicht ihre Verteidigung übernommen hätte: »Monime hat vielleicht ebenso viele Liebhaber als Zelmaide,« sprach er, »nur halt’ ich ihr Kleinod für verschwiegener. Überdem, wenn sich Mund und Kleinod eines Frauenzimmers widersprechen, wem soll man glauben?« »Gnädigster Herr,« antwortete ein Höfling, »ich weiß nicht, was die Kleinode in der Folge sagen werden; bis jetzt aber haben sie nur ein Kapitel berührt, das Ihnen sehr geläufig ist. Solange sie die Klugheit beobachten, um von dem zu reden, was sie verstehn, glaub ich ihnen wie Orakelsprüchen.« »Es gibt zuverlässigere Orakel,« sagte Mirzoza. »Madam,« versetzte der Sultan, »was könnte diese bewegen, eine Unwahrheit zu sagen? Nur ein Wahn von Ehre vermöchte sie dahin zu bringen, aber solch einen Wahn hat ein Kleinod nicht. Das ist nicht der Ort, wo Vorurteile gedeihen.« »Ein Wahn von Ehre!« rief Mirzoza. »Vorurteile! Wäre Ihre Hoheit den nämlichen Unzuträglichkeiten ausgesetzt wie wir, Sie würden fühlen, daß unser guter Name kein leerer Wahn ist.« Diese Antwort der Sultanin machte alle Damen dreist; sie behaupteten, es sei überflüssig, sie auf eine gewisse Probe zu stellen. Mangogul gestand, diese Probe sei wenigstens immer sehr gefährlich.

Unter solchen Gesprächen kam der Champagner, man trank, man fühlte ihn, die Kleinode wurden warm. Diesen Augenblick hatte Mangogul ausersehn, mit seiner Tücke wieder anzufangen. Er drehte seinen Ring gegen eine junge fröhliche Dame, die ihm zur Seite und ihrem Gemahl gegenübersaß. Da erhob sich unter dem Tisch eine klagende Stimme, schwache, weinerliche Töne: »Ach! ich bin am letzten! ich kann nicht mehr! Ich sterbe!« »Bei der Pagode Pongo Sabiam!« rief Husseim, »da spricht das Kleinod meiner Frau! Was kann es zu sagen haben …?« »Das werden wir gleich hören,« antwortete der Sultan. »Erlauben Sie mir, gnädigster Herr,« versetzte Husseim, »seiner Rede aus dem Wege zu gehn. Denn wenn ihm irgendwelche Dummheiten entschlüpften, was sollte Eure Hoheit davon denken …« »Ich denke, Sie sind verrückt,« erwiderte der Sultan, »wenn Sie sich über das Geschwätz eines Kleinodes beunruhigen. Was es sagen wird, wissen wir bereits zum größten Teil, und das Weitere erraten wir. Bleiben Sie sitzen und suchen Sie sich zu unterhalten.«

Husseim setzte sich wieder, und das Kleinod seiner Frau plauderte wie eine Elster; »Soll ich den vierschrötigen Valento ewig behalten?« sprach es. »Andre Männer hören doch einmal auf, aber der …« Bei diesen Worten geriet Husseim in Wut, ergriff ein Vorlegemesser, stürzte herüber auf die andere Seite der Tafel und hätte seine Frau durchbohrt, aber die Nachbarn hielten ihn zurück. »Husseim,« sagte der Sultan, »wenn Sie toben, versteht man kein Wort. Ist denn das Kleinod Ihrer Frau allein nicht gescheut? Was würde aus diesen Damen werden, wenn ihre Männer so dächten wie Sie! Sie geraten um ein elendes bißchen Abenteuer in Verzweiflung? Weil Valento nicht wieder aufhört. Bleiben Sie ruhig an Ihrem Platze, finden Sie sich in Ihr Schicksal, wie ein kluger Mann. Mäßigen Sie sich und bedenken Sie, was Sie einem Fürsten schuldig sind, der Sie teil an seinen Vergnügungen nehmen läßt.« Husseim unterdrückte seine Wut, stützte sich auf eine Stuhllehne, verschloß die Augen und verdeckte das Gesicht mit der Hand. Der Sultan drehte unmerklich seinen Ring, das Kleinod fuhr fort: Valentos junger Bursche würde mir besser gefallen, aber wer weiß, wann er anfangen wird? Bis dieser beginnt und jener zu Ende kommt, ergeb’ ich mich in Geduld dem Brahminen Egon. Er ist häßlich, das ist wahr; aber weiß doch aufzuhören und wieder anzufangen. »O, die Brahminen sind geschickte Leute!«

Bei diesem Ausruf des Kleinods errötete Husseim, daß er sich um ein Weib hatte betrüben können, die es nicht verdiente, und stimmte in das Gelächter der Gesellschaft mit ein. Aber seiner Gemahlin schenkte er darum nichts. Da die Tafel aufgehoben war, fuhr jedermann nach Hause, Husseim aber brachte seine Frau in ein Nonnenkloster und ließ sie dort einsperren. Mangogul hörte von ihrer Strafe und besuchte sie. Er fand das ganze Haus beschäftigt, sie zu trösten, oder vielmehr, die Ursache ihrer Verbannung von ihr herauszulocken. »Ich bin einer Kleinigkeit wegen hier,« sagte sie. »Gestern abend gab uns der Sultan ein vertrauliches Nachtessen. Der Champagner strömte, der Tokaier floß, niemand wußte mehr, was er sagte, und so fing auch mein Kleinod an zu schwatzen. Was es geredet haben mag, weiß ich nicht, aber mein Gemahl hat’s ihm übel genommen.«

»Daran tut er sehr unrecht, gnädige Frau,« sagten die Nonnen; »wer wird über solche Lumperei böse werden? Wirklich? Ihr Kleinod hat gesprochen? Spricht es noch? Ach, wenn wir doch so glücklich wären, es sprechen zu hören! Das muß allerliebst witzige Einfälle haben.« Sie wurden erhört. Der Sultan drehte seinen Ring gegen die arme Eingesperrte, und das Kleinod dankte den Umstehenden für ihre Höflichkeit, versicherte aber übrigens, diese Gesellschaft sei ihm zwar ungemein erfreulich, doch würde es die eines Brahminen unendlich vorziehn. Der Sultan benutzte diese Gelegenheit, über das Leben der Nonnen einige Einzelheiten zu erfahren. Sein Ring befragte das Kleinod einer jungen Schwester, Namens Celeanthis, und das sogenannte Jungfernding beichtete zwei Gärtner, einen Brahminen und drei Kavallerieoffiziere. Es erzählte, wie es durch Hülfe einer Mixtur und zweier Aderlässe allem Ärgernis vorgebeugt habe. Zephirine gestand durch den Mund ihres Kleinods, sie verdanke dem Klosterverwalter den ehrenvollen Namen Mutter. Was aber den Sultan besonders in Erstaunen setzte, war, daß die wohlverwahrten Kleinode sich so unanständig ausdrückten und daß die Jungfrauen, denen sie angehörten, zuhörten, ohne zu erröten. Das brachte ihn auf die Vermutung, daß, wenn man in dieser Einsamkeit auch wenig praktische Übung habe, man doch im theoretischen Wissen sehr gut beschlagen wäre.

Um sich dessen zu versichern, drehte er seinen Ring gegen eine fünfzehn bis sechzehnjährige Novize. »Flora«, ließ sich ihr Kleinod vernehmen, »hat einen jungen Offizier mehr als einmal durchs Gitter mit dem Glase betrachtet. Ich weiß gewiß, er gefällt ihr. Das sagt mir ihr kleiner Finger.« – Arme Flora! Ihre Vorgesetzten verurteilten sie dafür zu zweimonatlichem Schweigen und Disziplin. Sie ordneten Gebete an, den Himmel zu bewegen, daß er die Kleinode des Stifts verstummen lasse.

Mangogul hatte sich kaum von den Klosterjungfern entfernt, als das Gerede durch ganz Banza ging, die Nonnen im Stift Coccix-Bramu redeten vermittelst ihrer Kleinode. Husseims gewaltsame Verfügung gab diesem Gerücht Glauben, und die Gelehrten wurden aufmerksam darauf. Die Erscheinung bestätigte sich, und die Freigeister fingen an, durch die Eigenschaften der Materie eine Tatsache erklären zu wollen, von der sie anfangs behauptet hatten, sie sei unmöglich. Das Geschwätz der Kleinode gab Veranlassung zu einer Menge vortrefflicher Aufsätze, und dieser wichtige Gegenstand bereicherte die Schriften der Akademie mit mehreren Abhandlungen, die man als die höchsten Leistungen des menschlichen Verstandes betrachten kann. Die Akademie der Wissenschaften zu Banza zu bilden und zu verewigen, hatte man berufen und berief man noch zu Mitgliedern die vorzüglichsten Gelehrten aus Congo, Monoemugi, Beleguanza und den umliegenden Reichen. Sie umfaßte unter verschiedenen Benennungen die Männer, die sich im Fach der Naturgeschichte, der Naturlehre, der Mathemathik bereits hervorgetan oder Hoffnung gegeben hatten, daß sie sich hervortun würden. Dieser unermüdliche Bienenschwarm arbeitete rastlos, Wahrheiten einzusammeln, und beschenkte das Publikum, jedes Jahr, mit einem Bande Entdeckungen, der die Frucht ihres Fleißes war.

Sie war damals in zwei Parteien gespalten, die eine stritt für die Wirbel, die andere für die anziehende Kraft. Olibri, ein geschickter Meßkünstler und großer Naturkundiger, stiftete die Sekte der Wirbler. Circino, ein geschickter Naturkundiger und großer Meßkünstler, lehrte zuerst die anziehende Kraft. Olibri und Circino machten sich beide zur Aufgabe, die Natur zu erklären. Olibris Grundsätze haben auf den ersten Anblick etwas verführerisch Einfaches. Sie erklären im allgemeinen die hauptsächlichsten Erscheinungen, widersprechen ihnen aber im besonderen. Circino seinerseits scheint hinwiederum von einer absurden Voraussetzung auszugehn, indessen ist nur der Anfang bei ihm schwer. Die Untersuchung gerade der kleinsten Einzelheiten, die Olibris System über den Haufen wirft, befestigt das seinige. Er führt einen Pfad, der zwar beim ersten Schritt dunkel ist, der sich aber immer mehr erhellt, je weiter man vordringt. Olibris Bahn hingegen ist am Eingang sehr erleuchtet, verfinstert sich jedoch immer mehr. Die Philosophie des letzteren verlangt weniger Studium, als Fassungskraft. Wer ein Schüler des ersteren werden will, muß viel Studium aufwenden und viel Fassungskraft besitzen. Olibris Schule betritt man ohne Vorbereitung, jedermann hat den Schlüssel dazu. Circinos Schule steht nur den ersten Meßkünstlern offen. Olibris Wirbel sind jedem Verstande faßbar. Circinos Schwerkraft ist nur den Algebraisten erster Ordnung verständlich. Also kommen immer hundert Anhänger der Wirbeltheorie auf einen Anhänger der Attraktionslehre, und ein Attraktionär wiegt also immer hundert Wirbler auf. So stand es auch um die Akademie der Wissenschaften von Banza, als sie die Materie der redseligen Kleinode untersuchte.

Man wußte nicht, wie man der Erscheinung habhaft werden sollte. Sie widersprach der Lehre von der anziehenden Kraft. Der Äther drang dahin nicht. Vergebens forderte der Präsident die Herren Mitglieder auf, ihre Meinungen zu eröffnen; ein tiefes Schweigen herrschte in der Versammlung. Endlich erhob sich der Wirbler Persiflo, der schon eine Menge Abhandlungen über Gegenstände geschrieben hatte, von denen er nichts verstand: »Die Sache, meine Herren, könnte gar wohl mit dem Weltsystem zusammenhängen. Ich vermute sogar, daß sie im allgemeinen auf dieselbe Ursache zurückzuführen sei, welche Ebbe und Flut bestimmen. Bemerken Sie, ich bitte, daß wir heute Vollmond haben und Tag- und Nachtgleiche. Doch bevor wir auf meiner Hypothese weiter bauen, heißt es abwarten, was die Kleinode in den nächsten vier Wochen sagen werden.«

Man zuckte die Achseln, man mochte ihm nicht einwenden, er rede ja selbst wie ein Kleinod; aber er ist ein durchdringender Kopf, er merkte gleich, daß man es dachte.

Der Anziehungsmann Reciproco nahm nun das Wort: »Meine Herren, ich habe eine Berechnungs-Tabelle über die mutmaßliche Höhe der Flut, in allen Häfen des Königreichs, entworfen. Freilich widersprechen die bisherigen Beobachtungen meinen Berechnungen ein wenig: hoffentlich aber wird dieser kleine Übelstand wieder wettgemacht werden durch den Vorteil der Entdeckung, daß die Redseligkeit der Kleinode mit der Erscheinung der Ebbe und Flut zusammentrifft.«

Ein dritter stand auf, näherte sich der schwarzen Tafel, entwarf eine Figur mit Kreide und sagte: »Diese hier sei das Kleinod A.B. …« Hier bringt uns die Unwissenheit der Übersetzer um einen Beweis, den der gelehrte Afrikaner sicherlich der Länge nach aufgezeichnet hatte. Es gibt eine Lücke von mehr als zwei Seiten, darauf folgt: »Reciprocos Gründe schienen unwiderleglich, und nach den Proben seiner Dialektik hielt man es für ausgemacht, es sei ihm ein leichtes, dereinst darzutun, die Weiber müßten heutzutage vermittelst ihrer Kleinode reden, weil sie von jeher vermittelst ihrer Ohren gehört hätten.«

Endlich sprach Professor Guallonorone aus der höflichen Zunft Her Zunft der Anatomiker: »Meine Herren, ich halte dafür, es wäre besser getan, sich mit einer Erscheinung gar nicht abzugeben, als ihre Ursachen in luftigen Hypothesen aufzusuchen. Was mich betrifft, so hätt’ ich mein Maul gehalten, wenn ich Ihnen nichts als windige Vermutungen auftischen könnte; aber ich habe geprüft, studiert und nachgedacht. Ich habe Kleinode im Paroxysmus beobachtet und habe mit Hilfe der Kenntniß dieser einzelnen Teile und mittelst des Experiments die Gewißheit erlangt, daß das, was wir auf Griechisch Delphos nennen, alle Eigenschaften der Luftröhre besitzt; und daß es folglich Weiber geben muß, die ebensogut mit ihrem Kleinode reden können, wie mit ihrem Munde. Ja, meine Herren, dieser Delphos ist sowohl ein Saiten-Instrument als ein Blase-Instrument, aber weit mehr ein Saiten-Instrument als Blase-Instrument. Wenn die äußere Luft darauf stößt, so verrichtet sie das Geschäft eines Bogens auf den sehnigen Fasern an beiden Klappen, die ich lautfähige Saiten oder Bänder nennen möchte. Durch die sanfte Erschütterung der Luft sprechen die lautfähigen Saiten an, und wie sie schneller oder langsamer erzittern, so sind auch die Töne verschieden, die sie von sich geben. Ein so geschaffenes Kleinod wird entweder lallen, oder reden, oder vielleicht gar singen.

Da es aber nur zwei lautfähige Saiten oder Bänder gibt, und beide ohne allen Zweifel von gleicher Länge sind, so entsteht die Frage: wie können sie wohl hinreichend sein, die Menge tiefer oder hoher, starker oder schwacher Töne hervorzubringen, deren die menschliche Stimme fähig ist? Ich fahre fort, dieses Organ aus der Vergleichung mit einem musikalischen Instrument zu erklären, und antworte: daß die Ausdehnung und Zusammenziehung beider Saiten gar wohl imstande sei, diese Wirkung zu veranlassen.

Es ist unnötig, meine Herren, in einer Versammlung von Gelehrten Ihres Ranges die Fähigkeit dieser Ausdehnung und Zusammenziehung zu beweisen, aber daß der Delphos vermittelst solcher Ausdehnung und Zusammenziehung die tiefen und hohen Töne, kurz alle Veränderungen der Stimme und die ganze Singleiter durchzugehen imstande sei, das ist eine Tatsache, die ich mir schmeichle, Ihnen einwandfrei darlegen zu können. Ich lade Sie ein, diesem Versuch in Person beizuwohnen. Ich werde die Ehre haben, meine Herren, Delphos und Kleinode in Ihrer Gegenwart, sprechen, reden und singen zu lassen.«

So sprach Guallonorone, und er hoffte nichts Geringeres, als die Kleinode eben so berühmt zu machen, als es die Luftröhren durch die Versuche eines seiner Kollegen geworden waren, dessen Entdeckungen der Neid vergebens bekämpfen wollte.

Noch waren Guallonorones Versuche nicht vorgelegt, und schon machte man ihm Einwürfe. Dies beweist, daß man seine Erklärung mehr scharfsinnig als gegründet fand. »Ist die Gabe der Sprache der Kleinoden natürlich,« fragte man, »warum warteten sie so lange, sich derselben zu bedienen? Freilich hat Brahma den Weibern eine gewaltige Redesucht eingeflößt; wenn er sich aber deswegen auch erbarmt, ihre Sprachwerkzeuge zu verdoppeln, so bleibt es billig befremdlich, daß sie dieses köstliche Geschenk der Natur so lange verkannten, oder vernachlässigten. Warum sprach jedes Kleinod nur einmal? Warum redeten sie alle nur über einen Gegenstand? Durch welchen Mechanismus geschieht es, daß ein Mund genötigt ist, zu schweigen, wenn der andere spricht? Zudem scheint diese Redseligkeit der Kleinode,« fügte man hinzu, »nach den Umständen zu urteilen, unter denen sie mehrenteils den Mund auftaten, und nach den Dingen, die sie vorbrachten – allerdings unwillkürlich zu sein. Es ist sehr wahrscheinlich, daß diese Teile immer stumm geblieben wären, wenn die, welchen sie angehören, ihnen Stillschweigen hätten auferlegen können.«

»Guallonorone hielt es für seine Pflicht, diese Einwände zu widerlegen; und behauptete, die Kleinode hätten von jeher geredet, aber so leise, daß selbst ihre Besitzerinnen sie zuweilen kaum verstehen konnten. Daß sie in unsern Tagen lauter wurden,« sagte er, »ist kein Wunder; denn der Ton unsrer Unterhaltung ist so frei geworden, daß man über Gegenstände, die ihnen geläufig sind, ohne Unbescheidenheit und Beleidigung reden darf. Sind sie aber nur einmal laut geworden, so muß man daraus nicht folgern, daß es zum ersten- und letztenmal gewesen sei. Schweigen und verschwiegen sein, ist ein großer Unterschied. Reden alle nur über einen Gegenstand, so erstrecken sich ihre Begriffe, vielleicht nur auf einen Gegenstand. Die nicht geredet haben, werden wohl noch reden. Schweigen sie aber, so haben sie eben nichts zu sagen, oder sind mangelhaft gebildet, oder es fehlt ihnen an Begriffen und Ausdrücken. Mit einem Worte,« sagte er, »will man annehmen, daß Brahmas Barmherzigkeit den Weibern ein Mittel gewähren konnte, ihrer gewaltigen Redesucht Genüge zu leisten, indem er ihre Sprachwerkzeuge vermehrte, so muß man auch gestehn, daß seine Weisheit den Übeln vorbauen durfte, die aus dieser Wohltat entspringen konnten, und das hat sie dadurch getan, daß der eine Mund genötigt ist, zu schweigen, indes der andre spricht. Ist es nicht schon peinlich genug für uns, daß unsre Weiber alle Augenblicke andern Sinnes werden? Was sollten wir anfangen, wenn Brahma ihnen das Vermögen gegeben hätte, Ja und Nein zu gleicher Zeit zu sagen? Überdem ist uns die Sprache nur verliehen, um uns verständlich zu machen: wie aber sollten die Frauenzimmer, die einander mit einem Munde kaum zu Worte kommen lassen, eine der andern verständlich werden, wenn sie mit zweien redeten?«

Guallonorone hatte vieles beantwortet, aber er glaubte alles beantwortet zu haben, und das hatte er nicht. Man setzte ihm hart zu, und er war in Gefahr, nachgeben zu müssen, als der Naturforscher Cimonaze seine Partei ergriff. Nun wurde aus dem Wortstreit ein Getümmel. Man wich von der Hauptsache ab, man verlor sich, man kam auf das Thema zurück, man verirrte sich von neuem, man ward heftig, man schrie, man schrie und schimpfte, und die akademische Sitzung nahm ein Ende.

Während sich die Akademie mit der Redseligkeit der Kleinode beschäftigte, sprach man in Gesellschaften von nichts anderm, gestern und heute und viele Tage hintereinander. Der Gegenstand war unerschöpflich. Zu der Wahrheit gesellte sich die Lüge. Alles fand Glauben. Ein Wunder machte das andere wahrscheinlich. Die Unterhaltung lebte sechs Monate lang davon.

Der Sultan hatte nur drei Versuche mit seinem Ring angestellt, und doch erzählten sich die Hofdamen der Mamimonbanda, was die Kleinode einer Präsidentin und einer Gräfin gesprochen haben sollten. Die frommen Geheimnisse einer Betschwester waren dadurch an den Tag gekommen; viele Frauenzimmer, die nicht zugegen waren, sollten gleichfalls geplaudert haben, und der Himmel weiß, was man ihren Kleinoden in den Mund legte. Man sparte sogar nicht mit Zötchen. Von Tatsachen schritt man zu Betrachtungen. »Der Zauber,« sagte eine der Damen, »denn ein Zauber liegt auf den Kleinoden, versetzt uns allerdings in eine sehr peinliche Lage. Man muß ja immer besorgen, ein freches Gerede aus sich herausgehn zu hören!« – »Aber, gnädige Frau,« antwortete eine andre, »die Angst nimmt uns an Ihnen wunder. Wenn ein Kleinod nichts Lächerliches zu sagen hat, was liegt daran, ob es spricht oder schweigt?« – »Daran liegt so viel,« erwiderte die erste, »daß ich gern die Hälfte meines Schmuckes für Gewißheit gäbe, daß das meinige schweigen werde.« »Wahrlich,« versetzte die zweite, »wer die Verschwiegenheit der Leute so teuer erkauft, muß seine guten Gründe haben.« »Meine Gründe sind nicht besser, wie die jeder andern,« antwortete Cephire, »aber ich bleibe bei meinem Gebot. Meine Ruhe ist um zwanzigtausend Taler nicht zu teuer erkauft. Ich gestehe offenherzig, ich bin mir meines Kleinods ebensowenig sicher, als meines Mundes, und der hat mir in meinem Leben manchen Streich gespielt. Man berichtet mir alle Tage so viel unglaubliche Abenteuer, die ein Kleinod erzählt, bezeugt, haarklein geschildert haben soll, daß, wenn ich auch drei Vierteile davon abziehe, doch noch Schändliches genug übrigbleibt. Lügt mein Kleinod nur halb so viel als die andern, so bin ich verloren. Ist es nicht genug, daß unser Betragen von den Gefühlen unsers Kleinodes abhängt, muß auch unser guter Name auf seine Aussage gegründet sein?« »Ich gehe,« sagte die lebhafte Ismene, »auf diese unendlichen Erörterungen weiter nicht ein. Reden die Kleinode durch Brahma, wie mir mein Brahmine beweist, so wird Brahma ihnen nicht erlauben, zu lügen. Der bloße Zweifel wäre Gotteslästerung. Also rede mein Kleinod, wann und wie viel es will. Was kann es zu sagen haben?«

Und siehe da, es erhob sich eine dumpfe, gleichsam unterirdische Stimme, gleich einem Widerhall: »Vielerlei!« Ismene, die nicht ahnte, woher diese Antwort käme, ward empfindlich, stellte ihre Nachbarinnen zur Rede und vermehrte die Belustigung der Gesellschaft. Dem Sultan war ihr Irrtum willkommen, er verließ seinen Minister, mit dem er beiseite gesprochen hatte, und näherte sich ihr: »Sind Sie auch sicher, schöne Frau, daß nicht eine dieser Damen um Ihre Heimlichkeiten weiß, und daß diese Kleinode nicht so boshaft sind, Geschichten wachzurufen, dessen sich das Ihrige nicht mehr entsinnt?«

Mangogul wußte seinen Ring so geschickt zu drehen, daß er dadurch ein sonderbares Gespräch zwischen der Dame und ihrem Kleinode veranlaßte. Ismene war sich immer selbst genug gewesen, und hatte nie einer Vertrauten bedurft, darum antwortete sie dem Sultan: »Gnädigster Herr, alle Kunst der Lästerzungen, kommt bei mir zu kurz.« »Vielleicht!« antwortete die unbekannte Stimme. – »Vielleicht? wie das?« gab die über den beleidigenden Zweifel gekränkte Ismene zurück. »Was habe ich von Ihnen zu befürchten?« – »Alles, wenn sie soviel wüßten wie ich.« – »Und was wissen Sie?« – »Vielerlei, sag ich Ihnen.« – »Vielerlei ist gar nichts gesagt. Wollen Sie sich deutlicher erklären?« – »Gewiß.« – »Hab ich etwa Herzensangelegenheiten gehabt?« – »Nein.« – »Ränke? Abenteuer?« – »Allerdings.« – »Mit wem, bitte? Mit Stutzern? Mit Militärpersonen? Mit Senatoren? Einem Offizier?« – »Nein.« – »Mit Schauspielern?« – »Nein.« – »Oder mit meinen Pagen, meinen Bedienten, meinem Beichtvater? oder dem Sekretär meines Gemahls?« – »Nein!« – »Also Sie Aufschneider, da sind Sie mit Ihrer Weisheit zu Ende!« – »Noch nicht ganz!« – »Mit wem sollte ich denn also etwas vorgehabt haben? Und wann denn? Vor oder nach meiner Hochzeit? Antworten Sie, Frechling!« – »Ach, Madam, hören Sie auf zu fragen und zwingen Sie Ihren allerbesten Freund nicht zu um so schlimmeren Geständnissen!« – »Reden Sie nur, mein Lieber. Sagen Sie, sagen Sie alles; ich mach mir aus Ihnen so wenig, daß ich nicht einmal Ihre Indiskretion fürchte. Sagen Sie alles, was Sie wissen. Ich bitte, ich befehle!« »Was verlangen Sie, Ismene?« rief mit einem tiefen Seufzer das Kleinod. – »Die Huldigung der Tugend!« – »Nein, tugendhafte Ismene, so erinnern Sie sich nicht mehr des jungen Osmin, des Sangiac Zegris, Ihres Tanzmeisters Alaziel, Ihres Singmeisters Almura?« – »Das sind Lügen!« rief Ismene, »so durft ich mich gar nicht vergehn! Meine Mutter war viel zu wachsam! Wenn mein Gemahl hier wäre, der könnte bezeugen, wie er mich in der Hochzeitsnacht gefunden hat, so wie er es nur wünschen konnte.« – »Alcine ist Ihre Freundin,« antwortete das Kleinod.

»Eine so lächerliche und plumpe Beschuldigung, erwiderte Ismene, verdient nicht, daß man sich darauf einlasse. Ich weiß nicht, welcher Dame das Kleinod gehört, das so viel von mir wissen will, doch das bezeug’ ich, meinem Kleinod ist kein Sterbenswort davon bekannt.« – »Und meines, gnädige Frau,« antwortete Cephire, »begnügt sich vollkommen damit, zugehört zu haben.« Die andern Damen versicherten eben das, und man setzte sich zum Spiel, ohne genau zu wissen, wer in dem obenverzeichneten Gespräch eigentlich das Wort genommen habe.

Die meisten Damen, die sich mit der Mamimonbanda zum Spiel setzten, waren sehr eifrig darauf erpicht, das konnte man sehn, ohne so scharf zu beobachten wie Mangogul. Leidenschaft für das Spiel versteckt sich am wenigsten. Sie offenbart sich durch auffallende Zeichen beim Gewinn wie beim Verlust. »Woher kommt ihnen diese Spielwut?« sprach er zu sich selbst. »Wie können sie sich entschließen, die ganze Nacht hindurch um einen Pharaotisch zu sitzen und vor ängstlicher Erwartung eines Asses oder einer Sieben zu zittern? Dieser Wahnsinn beeinträchtigt ihnen Gesundheit und Schönheit, wenn sie welche besitzen, ganz zu schweigen von den anderen Unannehmlichkeiten, worein sie noch geraten werden. Ich möchte hier wohl noch einen seinen Streich spielen,« sprach er leise zu Mirzoza. »Was nennen Ihre Hoheit hier einen feinen Streich?« fragte die Favorite. »Ich drehe,« antwortete Mangogul, »meinen Ring gegen die ausgelassenste Spielschwester, ich frage ihr Kleinod aus, und dieses Sprachrohr warnt alle schwachen Männer, die töricht genug sind, ihren Weibern zu erlauben, die Ehre und das Glück ihres Hauses auf eine Karte oder auf einen Würfel zu setzen.«

»Der Gedanke gefällt mir sehr,« erwiderte die Favorite. »Aber wissen Ihre Hoheit, daß die Manimonbanda soeben bei ihrem Pagoden geschworen hat, sie wolle keine Gesellschaft mehr bei sich dulden, wenn sich die Engastrimathen noch ein einziges Mal in ihrer Gegenwart derartig vergessen.« – »Welch ein Wort nannten Sie, Wonne meiner Seele?« fragte der Sultan. »Die züchtige Manimonbanda bedient sich dessen,« antwortete die Favorite, »für alle, deren Kleinode reden können.« – »So hat es sicherlich ihr einfältiger Brahmine erfunden, der sich viel darauf zugute tut, daß er Griechisch kann und seine Muttersprache nicht versteht. Aber Manimonbanda und ihr Kapellan mögen mir’s nicht übelnehmen, ich habe große Luft, Manillens Kleinod auszufragen; und es wäre wohl gut, daß ich mein Fragamt hier errichte zur Erbauung meines Nächsten.« »Glauben Sie mir, gnädigster Herr,« versetzte Mirzoza, »ersparen Sie der Großsultanin diesen Verdruß. Das können Sie tun, ohne daß Ihre und meine Neugier dabei etwas verliert. Versetzen Sie sich in Manillens Wohnung.« »Ihnen zu Gefallen will ich mich dahin begeben,« antwortete Mangogul. »Aber wann?« fragte die Sultanin. »Um Mitternacht,« sprach Mangogul. »Um Mitternacht spielt sie noch,« sagte die Favorite. »So wart’ ich bis zwei Uhr morgens,« versetzte Mangogul. »Sie vergessen, gnädigster Herr,« erwiderte Mirzoza, »daß drei gerade die schönste Stunde für die Spielerinnen ist. Wollen Ihre Hoheit nur auf mich hören, so überraschen Sie Manille im ersten Schlafe, zwischen sieben und acht Uhr morgens.« Mongogul befolgte Mirzozens Rat und besuchte Manille um sieben Uhr. Ihre Dienerinnen brachten sie gerade zu Bette. Er schloß aus der Traurigkeit, die auf ihrem Gesicht lag, daß sie unglücklich gespielt habe. Sie ging auf und ab, stand still, sah in die Höhe, stampfte mit dem Fuß, drückte die Hand auf ihre Stirn und murmelte etwas zwischen den Zähnen, das der Sultan nicht verstand. Die Mädchen, die sie entkleideten, gaben ihr zitternd nach; sie brauchten viel Zeit, mit ihrem Dienst fertig zu werden, und erduldeten mancherlei Unwillen, der sich nicht blos in Worten äußerte. Endlich legte sich Manille schlafen, ihr ganzes Abendgebet bestand aus Verwünschungen gegen das verdammte As, das siebenmal hintereinander verloren hatte. Kaum waren ihre Augen verschlossen, als Mangogul den Ring gegen sie kehrte. Und ihr Kleinod erhob ein Klagegeschrei: »Ach! ich bin leider kaput und matsch!« Der Sultan lächelte, Ausdrücke des Spiels sogar von Manillens Kleinod zu hören. »Nie,« fuhr es fort, »spiel ich wieder gegen Abidul, er betrügt. Von Dares will ich auch nichts mehr wissen, er sprengt die Bank. Ismal ist ein wackrer Spieler, man kann seiner aber nicht habhaft werden. Mazulin war gut genug, ehe er durch Crissas Hände ging. Zulmis ist eigensinnig. Rica gutwillig, aber er sitzt auf dem Trocknen. Was mach ich mit Lazuli? Der spielt nicht hoch, wenn die schönste Frau von Banza vor ihm stände. Molli ist ein elender Gauner. Kurz, alle Spieler sind keinen Rechenpfennig wert, und man weiß nicht mehr, mit wem man sich einlassen soll.«

Nach dieser Jeremiade erzählte das Kleinod, wie sehr ihm von jeher mitgespielt worden, und wozu seine Gebieterin im Unglück zuweilen hatte greifen müssen. »Ohne mich,« sprach es »wäre Manille schon hundertmal ruiniert. Des Sultans Schatzkammer könnte die Schulden nicht abtragen, die ich bezahlt habe. Einmal verlor sie in einer Sitzung an einen Bankier und an einen Domherrn zehntausend Dukaten. Sie besaß nichts mehr als ihren Schmuck. Aber den hatte ihr Gemahl erst kürzlich ausgelöst, so daß sie ihn nicht von neuem dran wagen durfte. Doch sie bekam Karten in die Hand, und das Unglück sandte ihr eine Ahndung von Gewinnst, wie es immer tut, wenn es jemand zugrunde richten will. Man drang in sie, sich zu erklären. Manille blätterte die Karten durch, griff in ihre Tasche, von der sie sicherlich wußte, daß sie leer sei, nahm die Karten wieder vor, sah sie. von neuem an und sprach kein Wort. ›Was setzen Ihre Gnaden?‹ fragte der Bankier. ›Ich setze,‹ sagte sie, – ›ich setze mein Kleinod.‹ ›Wie viel gilt’s?‹ fragte der Bankier. ›Hundert Dukaten,‹ antwortete Manille. Der Domherr stand auf. So viel schien ihm das Kleinod nicht wert. Der Bankier schlug ein. Manille verlor und bezahlte. Die törichte Eitelkeit, ein Kleinod von Stande zu besitzen, verblendete den Bankier. Er bot sich an, meine Gebieterin im Spiel freizuhalten, wenn ich seinem Vergnügen dienen wollte. Der Handel war gleich geschlossen. Aber Manille spielte hoch, und ihr Lieferant war nicht unerschöpflich, so sahen wir bald den Boden seiner Kasse.«

Meine Gebieterin hatte zum Pharao eine glänzende Spielgesellschaft eingeladen. Die ganze Bekanntschaft stand auf der Liste. Es sollten nur Golddukaten gesetzt werden dürfen. Wir rechneten auf unsers Liebhabers Börse. Aber am Morgen dieses großen Tages schrieb uns der Lump, er habe keinen Dreier und ließ uns in der größten Verlegenheit. Wir mußten uns heraushelfen und durften keinen Augenblick verlieren. Endlich ergaben wir uns einem alten Brahminen- Oberhaupt, dem wir einige Gefälligkeiten sehr teuer bezahlen ließen, um die er lange vergebens anhielt. Die Sitzung kostete ihm doppelt so viel, als die jährliche Einnahme seiner Pfründe.

Nach einigen Tagen kam der Bankier wieder zurück. Er wollte verzweifeln, wie er vorgab, daß die gnädige Frau ihn gerade nicht bei Kasse gefunden hatte. Er rechnete immer auf ihre Güte. »Da verrechnen Sie sich, mein Lieber,« antwortete Manille. »Es schickt sich nicht, daß ich Sie weiter empfange. Solange Sie imstande waren, mir zu borgen, wußte die Welt, warum ich Sie ertrüge. Jetzt, da Sie zu nichts gut sind, würde meine Ehre darunter leiden.«

Diese Rede verdroß den Bankier und mich auch, denn es war vielleicht der beste Junge in Banza. Er vergaß sich so weit, Manillen vorzuhalten, sie koste ihm mehr als drei Opernmädchen, die ihm viel mehr Vergnügen gemacht haben würden. »Ach!« rief er seufzend aus, »warum hielt ich mich nicht an mein kleines Wäschermädel? Die war närrisch in mich verliebt! Die war so glücklich, wenn ich ihr ein seidnes Tuch gab!« Manille fand keinen Geschmack an dem Vergleich, unterbrach ihn in einem Ton, vor dem er erbebte, und befahl ihm, sich augenblicklich zu entfernen. Der Bankier kannte sie und wollte lieber friedlich die Treppen hinuntergehn, als aus dem Fenster springen müssen.

Manille borgte in der Folge von einem andern Brahminen, der, wie sie sagte, sie im Unglück tröstete. Der Heilige ward der Nachfolger des Kaufmanns, und wir zahlten ihm mit gleicher Münze. Sie verlor mich noch öfter, und man weiß ja, daß Spielschulden die einzigen sind, die Leute von Welt bezahlen.

Trifft es sich, daß Manille gewinnt, so ist sie die tadelloseste Frau in Kongo. Das Spiel ausgenommen, ist alsdann ihr Betragen so musterhaft, daß man darüber erstaunt. Man hört kein böses Wort von ihr. »Ihre Tafel ist gut besetzt, ihre Putzhändlerin und ihre Leute sind gut bezahlt. Sie beschenkt ihre Bedienten, löst zuweilen ihre Kostbarkeiten ein und tut ihrem Hunde schön und ihrem Gemahl. Aber dreißigmal monatlich setzt sie alle diese liebenswürdigen Eigenschaften und ihr Geld auf ein Pique-As. Dies Leben hat sie geführt, wird sie führen, und der Himmel weiß, wie oft ich noch versetzt werde!«

Hier schwieg das Kleinod, und Mangogul ging schlafen. Man weckte ihn um fünf Uhr abends, und er begab sich in die Oper, woselbst er der Favorite versprochen hatte, sich einzufinden.

Die Oper war das einzige Schauspiel in Banza, das sich hielt. Cedeef und Cisdisfisgisais, jener ein alter Mann, und dieser jung an Ruhm wie an Jahren, beides gepriesene Tonkünstler, arbeiteten wetteifernd für die lyrische Bühne. Diese beiden Originale, ein jeder hatte seine Anhänger. Nichtkenner und Graubärte hielten’s mit Cedeef, junge Leute und Virtuosen mit Cisdisfisgisais; und die Kenner, alt und jung, hegten viel Achtung für alle beide.

Cisdisfisgisais, sagten diese, ist vortrefflich, wenn er gut ist, aber er schläft zuweilen, und wem widerfährt das nicht? Cedeef bleibt sich mehr gefestigt und gleichmäßig. Er ist voll von Schönheiten; doch wird man keine bei ihm antreffen, wovon sich bei seinem Nebenbuhler nicht auch Beispiele und auffallendere Beispiele finden ließen. Dieser hingegen hat Züge, die ihm eigentümlich sind, die man bei niemand antrifft als bei ihm. Der alte Cedeef ist ungekünstelt, natürlich, einfach, zuweilen zu einfach, das ist sein Fehler. Der junge Cisdisfisgisais ist eigenartig, glänzend, gekünstelt, gelehrt, zuweilen zu gelehrt, aber das ist vielleicht der Fehler seiner Zuhörer. Jener hat nur einen Anfangskniff, einen sehr schönen Anfangskniff, aber er wiederholt ihn bei jedem seiner Stücke. Dieser kommt von einem Gedanken in den andern, und man möchte jeden festhalten, um ihn wieder und wieder zu hören. An der Hand der Natur wandelt Cedeef die Pfade der Melodie; Nachdenken und Erfahrung ließen Cisdisfisgisais die Quellen der Harmonie entdecken. Wer wird je so richtig reden und solch ein Gewicht auf seine Worte legen, wie der Alte? Wer hingegen wird leichte Arien, wollüstige Weisen und ernste Symphonien schaffen wie der Junge? Cedeef allein versteht den Vortrag. Vor Cisdisfisgisais hatte niemand die zarten Abstufungen von der Zärtlichkeit zur Wollust, von der Wollust zur Leidenschaft, von der Leidenschaft zur Gemeinheit unterschieden. Einige Anhänger des letzteren behaupten sogar, Cedeefs Vortrag sei dem des anderen überlegen. Aber man sollte weniger auf die Ungleichheit ihrer Begabung hinweisen als auf die Verschiedenheit der Dichter, die sie verkörpert haben. »Lest nur, lest,« rufen sie in die Szene mit Dardono, »und ihr werdet die Überzeugung gewinnen, daß wenn man Cisdisfisgisais einen guten Text gibt, so wird er auch so reizende Szenen schreiben wie Cedeef. Dem mag sein, wie ihm will, zu meiner Zeit hielt sich das Publikum an die tragischen Kompositionen des ersten und drängte sich zu den komischen des letzten.«

Gerade damals war ein Meisterstück von Cisdisfisgisais auf die Bühne gebracht, das nur die wenigen Zuhörer eingeschläfert hätte, wenn die Favorite so neugierig gewesen wäre, es sich anzusehen. Zwar eine periodische Unpäßlichkeit der Kleinode kam seinen Neidern zu passe, und die Hauptdarstellerin mußte absagen. Die zweite, ihre Stellvertreterin, sang bei weitem nicht so gut, aber sie entschädigte durch ihr Spiel. Und nichts hielt den Sultan und die Favorite ab, das Schauspiel mit ihrer Gegenwart zu beehren.

Mirzoza war angekommen. Mangogul erscheint. Der Vorhang geht hoch. Man beginnt. Alles ging ausgezeichnet. Die Leistung der Sängerin Chevalier ließ ganz die sonstige Darstellerin Le Maure vergessen, und so kam man zum vierten Akte. Da, mitten im Chor, der dem Sultan zu lange dauerte und der auch die Favorite schon zum zweiten Male gähnen machte, kam Mangogul auf den Einfall, seinen Ring gegen alle Sängerinnen zu drehen. Nie sah man ein Bild von seltsamerer Komik auf der Bühne. Dreißig weibliche Gestalten verstummten auf einmal, sperrten das Maul weit auf und blieben in der theatralischen Stellung stehn, die sie angenommen hatten. Unterdessen gurgelten ihre Kleinode aus Leibeskräften, liederliche Stückchen, Burschenlieder, Bänkelsängerpossen, bekannte kleine Arien mit verkehrten Worten und mehr dergleichen, je dem Wesen einer jeden angemessen. Bei der hieß es: »Ach, liebe Frau Base, hört einmal.« Bei jener: »Wie, zum zwölften Male schon!« Hier: »Blasino, wißt, hat mich geküßt!« Dort: »Pater Cyprian sagt, was ficht Euch an?« Kurz, alle schrien durcheinander und machten einen so merkwürdigen und tollen Lärm, daß ein solcher Chor weder früher noch später nie erhört worden: »O du … Blusius, wirst … ficht Euch an …«

(Hier wird das Manuskript ganz unleserlich.) Das Orchester geigte unterdessen lustig drauflos, und das Gelächter des Parterres, der Logen und der Galerie vereinigte sich mit dem Getöse der Instrumente und dem Gesang der Kleinode, um die Kakophonie vollkommen zu machen.

Einige Schauspielerinnen fürchteten, ihre Kleinode möchten ermüden, Dummheiten zu singen, und anfangen, sie zu sagen. Darum flüchteten sie hinter die Kulissen und kamen mit der Furcht davon. Denn Mangogul hielt sich überzeugt, daß das Publikum nichts Neues von ihnen erfahren würde, und zog seinen Ring zurück. Alsdann verstummten die Kleinode, das Gelächter hörte auf, das Theater ward ruhig, das Stück ging wieder an und nahm ein friedliches Ende. Der Vorhang fiel, der Sultan und die Sultanin fuhren weg, und die Kleinode unsrer Schauspielerinnen begaben sich dahin, wo man ihrer in andrer Absicht wartete, als um sie singen zu hören.

Dieser Vorfall erregte großes Aufsehn. Die Männer lachten, die Weiber erschraken, die Bonzen nahmen Ärgernis daran, und den Akademikern brummte der Kopf. Was sagte aber Guallonorone? Guallonorone triumphierte. Er hatte in seiner Abhandlung behauptet, die Kleinode würden dereinst auch singen. Jetzt hatten sie gesungen. Diese Erscheinung verwirrte seine Kollegen, ihm war sie ein neuer Lichtstrahl und befestigte vollends sein System.

Es war am fünfzehnten des Monats * * als Guallonorone der Akademie seine Denkschrift über das Geschwätz der Kleinode vorlas. Da er mit großer Zuversicht untrügliche und mehrfach erprobte Versuche ankündigte, so blendete er damit die meisten. Beim Publikum hielt eine Zeitlang der günstige Eindruck an, den es empfangen hatte, und man glaubte fast zwei Wochen lang, Guallonorone habe eine treffliche Entdeckung gemacht.

Seinen Triumph zu vollenden, kam es nur drauf an, daß er diese lärmig ausposaunten Versuche vor der versammelten Akademie wiederholte. Man berief deswegen eine Sitzung, die außerordentlich glänzend war. Die Minister begaben sich in dieselbige, der Sultan verschmähte nicht, dabei zu sein, nur machte er sich unsichtbar.

Mangogul war groß im Monolog-Halten. Die Oberflächlichkeit der Unterhaltung seiner Zeit hatte ihn daran gewöhnt, lieber mit sich allein Selbstgespräche anzustellen: »Dieser Guallonorone,« sagte er zu sich selbst, »ist entweder ein Marktschreier, wie er im Buche steht, oder der Genius, mein Beschützer, ist ein großer Dummkopf. Wenn mein Professor, der doch sicherlich kein Hexenmeister ist, abgeschiedenen Kleinoden die Sprache wieder zu geben imstande ist, so tat mein Genius sehr übel, sich dem Teufel zu verschreiben, um sie lebendigen Kleinoden zu verleihen.«

Noch war Mangogul in diese Betrachtung versunken, als er sich schon mitten in seiner Akademie befand. Guallonorone hatte, wie man sieht, alle Kenner von Kleinoden in Banza zu Zuschauern. Um mit seinem Publikum vollkommen zufrieden zu sein, fehlte ihm nichts, als daß er sein Publikum mit sich zufriedenstellte, aber der Ausgang seiner Versuche war so unglücklich wie möglich. Guallonorone nahm ein Kleinod, setzte es an den Mund, blies, daß ihm der Atem verging, tat es beiseite, nahm es wieder auf, ergriff ein anderes; denn er hatte Kleinode mitgebracht von jedem Alter, jeder Größe, jedem Stande, und jeder Farbe. Aber er mochte immer blasen: man hörte nichts als unartikulierte Töne, von ganz andrer Art, als er versprochen hatte.

Darauf entstand ein Murren, das ihn für einen Augenblick aus der Fassung brachte. Er erholte sich aber bald und entschuldigte sich damit, solche Versuche schickten sich nicht wohl vor soviel Personen. Damit hatte er recht.

Mangogul war sehr aufgebracht, verließ die Versammlung und erschien im Augenblick vor der Favorite: »Nun, gnädigster Herr,« fragte die, sobald sie ihn erblickte, »wer hat recht, Sie oder Guallonorone? Sind seine Kleinode wundertätig?« Der Sultan ging auf und ab, ohne zu antworten. »Ihre Hoheit scheinen unzufrieden?« sagte die Favoritsultanin. »O Madame,« antwortete der Sultan, »die Unverschämtheit dieses Guallonorone geht zu weit! Ich will nichts mehr von ihm wissen. Was wird die Nachwelt sagen, wenn sie erfährt, daß der große Mangogul Hunderttausende von Gnadengehältern auf solche Menschen verwandte, indes tapfere Offiziere, die mit ihrem Blute seiner Stirn Lorbeer netzten, mit vierhundert Pfund Sold vorliebnehmen mußten? Nein, das ist mir zu toll! Meine gute Laune ist auf einen Monat dahin!« Hier schwieg Mangogul und ging von neuem auf und ab im Gemach der Favorite. Er ließ den Kopf hängen, stand still, ging wieder ein Stück und stampfte mit dem Fuß. Endlich setzte er sich, erhob sich schnell wieder, sagte der Sultanin gute Nacht, vergaß sie zu umarmen, und begab sich auf sein Zimmer.

Der gelehrte Afrikaner, der sich durch die Geschichte der glorwürdigsten Regierung Eguebzeds und Mangoguls unsterbliche Verdienste erwarb, fährt in seiner Erzählung also fort: Mangoguls Zorn ließ vermuten, daß er alle Gelehrten aus seinem Reiche verbannen werde. Keineswegs! Tags darauf stand er heiter auf, ritt am Morgen spazieren, speiste am Abend im Garten des Serails unter einem prächtigen Zelt mit Mirzoza und seinen Günstlingen und schien ganz und gar keine Regierungssorgen zu haben. Die Mißvergnügten im Staate, die Nörgler von Kongo, die Neuigkeitskrämer von Banza, unterließen nicht, dieses Benehmen sehr zu tadeln. Und was haben solche Leute nicht zu tadeln? »Heißt das,« sagten sie auf ihren Spaziergängen und in ihren Kaffeehäusern, »heißt das Staatsverwaltung, wenn man den ganzen Tag herumreitet und sich des Abends zu Tische setzt?« »O! daß ich Sultan wäre,« sagte ein Titulär- Rat, der ein ganzes Vermögen im Spiel verloren hatte, von seiner Frau geschieden war und seine Kinder unerzogen herumlaufen ließ, »daß ich Sultan wäre! der Wohlstand des Landes sollte viel blühender sein! Ich wäre der Schrecken meiner Feinde und die Liebe meiner Untertanen. Es sollte mir nur sechs Monate kosten, meine Polizei anders einzurichten, ein neues Gesetzbuch einzuführen, meine Armee auf einen andern Fuß zu bringen und eine Seemacht zu schaffen. Alle Häfen sollten Kriegsschiffe fassen können. Den dürren Sand verwandelte ich alsbald in fruchtbares Erdreich, die Feldwege in feste Heerstraßen. Abschaffen würde ich oder doch um die Hälfte vermindern die Steuern. Und was die Gnadengehälter anlangt, meine Herren Schöngeister, so dürftet Ihr höchstens einmal daran riechen. Gute Offiziere, Pongo Sabiam! Gute Offiziere, alte Soldaten, Beamte, die wie unsereins ihre Arbeitskraft und ihre Nachtruhe opfern, um den Völkern Recht zu schaffen! Das sind die Männer, denen ich meine Wohltaten würde zuteil werden lassen.« »Denkt Ihr noch daran, Ihr Herren,« ließ sich jetzt ein alter, zahnloser Staatsmann vernehmen, der nur noch drei Haare auf dem Kopfe hatte, dessen Rock an den Ellenbogen durchlöchert war, und der zerrissene Manschetten trug, »denkt Ihr noch an unseren großen Kaiser Abdelmaleck aus der Dynastie der Abyssinen, der vor zweitausenddreihundertfünfundachtzig Jahren regierte? Denkt Ihr noch daran, wie der zwei Sterndeuter an den Pfahl schlagen ließ, weil sie sich bei einer Sonnenfinsternis um drei Sekunden verrechnet hatten? und seinen Leibarzt ließ er lebendigen Leibes auseinandersägen, weil er ihm an einem Tage, den der Kalender als unglücklich angab, ein Abführmittel verordnet hatte!«

»Und was sollen uns,« fragte ein anderer, »was sollen uns die nichtsnutzigen Brahminen? Dieses Gezücht, das sich mit unserm Blute mästet? Die überreichen Stiftungen, von denen sie schwelgen, die weit eher uns zukommen?« Ein anderer meinte: »Was wußte man vor vierzig Jahren von einer lothringischen Kirche und von lothringischen Likören? Man hat sich einem Luxus ergeben, der die baldige Vernichtung des Reiches bedeutet und der eine notwendige Folge der Geringschätzung der Pagoden und der Sittenlosigkeit ist. Solange man an der Tafel des großen Kanoglu nur einfaches Rindfleisch aß und nur Sorbet trank, wer wußte da etwas von ausgeschnittenen Kleidern, von Martinscher Schminke, von Rameauscher Musik? Die Mädchen von der Oper waren damals ebenso menschenfreundlich als heutzutage, aber um weit billigeren Preis. Aber seht Ihr wohl, der Fürst ist es, der alles verdirbt. Ja, wenn ich Sultan wäre …!« »Wenn du Sultan wärst,« antwortete ein alter Soldat, der mit genauer Not dem Gemetzel der Schlacht von Fontanoy entgangen war und der an der Seite seines Fürsten am Tage von Laufeld einen Arm verloren hatte, »dann würdest du noch mehr Dummheiten machen, als du jetzt zum besten gibst. Ach, Freund, du kannst deine Zunge nicht im Zaum halten und willst ein Reich regieren? Du bist nicht einmal Herr in deinem eignen Hause und möchtest dich in Staatsgeschäfte mischen? Halt das Maul, Unglücksmensch! Ehre die Mächte dieser Erde und danke deinem Schöpfer, daß er dich in einem Staate geboren werden ließ und unter der Regierung eines Fürsten, dessen Klugheit seine Minister erleuchtet und dessen Tapferkeit jeder Soldat bewundert, ihn, der gefürchtet ist von seinen Feinden und geliebt von seinen Völkern und an dem man weiter nichts aussetzen kann, außer daß er vielleicht Leute deines Schlages mit zu vieler Nachsicht behandeln läßt.«

Da die Gelehrten sich genugsam über die Kleinode ausgesprochen hatten, bemächtigten sich ihrer die Brahminen. Die Religion zog ihre Plauderei vor ihren Richterstuhl, und ihre Diener behaupteten, Brahmas Finger offenbare sich an diesem Werk.

Zu dem Ende ward eine allgemeine Kirchenversammlung ausgeschrieben. Diese beschloß, die besten Federn mit dem förmlichen Beweis zu beauftragen, daß dieses Ereignis übernatürlich sei. Bis aber die Arbeit derselben im Druck erscheinen könne, wollte man diese These in Disputationen, im Privatgespräch, im Beichtstuhl und in öffentlichen Predigten behaupten.

Daß dies Ereignis übernatürlich sei, darüber waren alle einstimmig. Weil man aber in Kongo zwei Grundursachen annahm und sich gewissermaßen zu einer Art der Lehre der Manichäer bekannte, so waren die Stimmen darüber geteilt, welcher von beiden Grundursachen man das Geschwätz der Kleinode zuschreiben müsse.

Die, welche niemals aus ihrer Klause herausgekommen waren und nichts durchblättert hatten als ihre Bücher, schrieben dies Wunder dem Brahma zu.

Nur Er, sagten sie, vermag den Lauf der Natur zu unterbrechen. Die Zeit wird lehren, was Er dabei für weise Absichten hat.

Die Gewissenräte der Damen aber, so man häufiger in den Alkoven traf und öfter in den Schlafgemächern der Frauenzimmer, als in ihren Betzimmern überraschen konnte, fürchteten, irgendein redseliges Kleinod möchte ihre Heuchelei entlarven. Darum schoben sie diese Plaudereien auf Rechnung Cadabras, einer bösartigen Gottheit, der Brahma und seine Diener von jeher befeindete.

Gegen dieses letztere System ließen sich schreckliche Einwürfe machen, auch beförderte es nicht so geradezu die Sittenverbesserung. Seine Verteidiger selbst waren dagegen nicht blind. Aber es kam darauf an, sich selbst zu decken, und sobald das der Fall ist, gibt es keinen Diener der Religion, der nicht hundertmal die Pagoden und ihre Altäre opferte. Mangogul und Mirzoza gingen regelmäßig zum Gottesdienste Brahmas. Die Zeitung unterließ niemals, dem ganzen Reich Nachricht davon zu geben. An einem hohen Festtage befanden sie sich in der großen Moschee. Der Brahmine, an dem die Reihe war, das Wort des Herrn zu verkündigen, bestieg die Kanzel, erbaute den Sultan und die Favorite mit Phrasen, Komplimenten und Langeweile und verbreitete sich beredsam des längeren über die Art, sich in Gesellschaften auf gottgefällige Weise niederzusetzen. Er belegte seine Meinung mit Sprüchen ohne Zahl, als er, auf einmal von heiligem Eifer ergriffen, folgenden Wortschwall losließ, der um so mehr Eindruck hervorrief, als er gänzlich unerwartet kam.

»Was vernehm’ ich in jeder Gesellschaft? Ein dunkles Gemurmel, ein unerhörter Laut rührt an mein Ohr. Die Ordnung der Natur ist verkehrt. Bisher hatte Brahmas Gnade der Zunge die Gabe zu reden beigelegt, jetzt hat seine Rache sie andern Werkzeugen mitgeteilt. Und welchen Werkzeugen? Ihr kennt sie, meine andächtigen Zuhörer. Bedurfte es denn noch eines Wunders, um dich aus deiner Dumpfheit zu erwecken, du toll und töricht Volk? Hatten deine Sünden nicht schon Zeugen genug, daß selbst ihre hauptsächlichsten Werkzeuge ihre Stimme noch erheben mußten? Zweifelsohne war das Maß ihrer Sünde voll, da der Zorn des Himmels neue Strafen erdachte. Vergeblich hüllst du dich in Finsternis, vergeblich wählst du stumme Gehilfen deines Frevels. Vernimmst du sie jetzt? sie sagen allenthalben gegen dich aus und offenbaren deine Schande der Welt. O Brahma, der du in Weisheit regierest, o Brahma, dein Urteil ist gerecht! Dein Gesetz verdammt den Diebstahl, den Meineid, die Lüge und den Ehebruch; es untersagt die Bosheit der Verleumdung, die Schleichwege des Ehrgeizes, die Wut des Hasses und die Hinterlist des Betruges. Deine getreuen Diener sind nicht müde geworden, diese Wahrheiten deinen Kindern zu verkündigen und sie mit den Strafen zu bedrohen, die dein gerechter Zorn dem Übertreter vorbehält. Aber umsonst! Die Törichten ergaben sich dem Taumel ihrer Leidenschaft, sie folgten dem Strom, sie verachteten unsern Rat, sie verlachten unsere Warnungen, sie achteten nicht unseres Banns. Ihre Laster wuchsen, wurden stark, wurden viel. Die Stimme ihrer Ruchlosigkeit stieg bis zu dir empor. Wir konnten der furchtbaren Zuchtrute nicht vorbeugen, die du über sie ausstreckst. Lange flehten wir deine Barmherzigkeit an, jetzt laßt uns preisen deine Gerechtigkeit. Deine Schläge haben sie getroffen; werden sie nicht zu dir zurückkehren? Deine Hand liegt schwer auf ihrem Haupt; werden sie sie nicht erkennen? Aber ach! ihr Herz ist verstockt, aber wehe! ihre Augen sind verblendet. Denn sie wagen es, diese Wirkung deiner Macht einem blinden Naturspiel zuzuschreiben. Die Toren sprechen in ihrem Herzen: es ist kein Brahma! Alle Eigenschaften der Materie sind uns noch nicht bekannt, und dieser neue Beweis ihres Daseins beweist nichts, als die Unwissenheit und Leichtgläubigkeit derer, die ihn uns entgegenstellen. Auf diesem Grund haben sie Systeme gebaut, Hypothesen erdacht, Experimente aufgestellt. Aber Brahma sitzt auf seinem ewigen Stuhl und blickt herab auf ihr eitles Beginnen, Brahma lacht ihrer, und der Herr spottet ihrer. Ihre frevelhafte Weisheit ist verwirrt, und die Kleinode zerbrachen wie Glas den ohnmächtigen Zaum, den man ihrer Geschwätzigkeit anlegen wollte. Bekennen soll es endlich, das hochmütige Gewürm, die Schwäche seiner Vernunft und die Vergeblichkeit seiner Anstrengungen. Aufhören soll es endlich, Brahmas Dasein zu leugnen oder seiner Macht Schranken setzen zu wollen. Es ist ein Brahma. Er ist allmächtig, und er weist sich uns nicht minder deutlich in seinen schrecklichen Strafen, als in seiner unaussprechlichen Gnade.

Aber wer hat über unser unglückliches Land diese Strafen heraufbeschworen? Sind es nicht deine Ungerechtigkeiten, du begehrlicher und treuloser Mann? Deine Buhlereien und Liebesrasereien, o Weib, du schamloses Weltkind? Deine Ausschweifungen und dein schändlicher Frevel, du niederträchtiger Wollüstling? Dein Geiz gegen unsere Klöster, du Habgieriger? Deine Pflichtvergessenheit, du feiler Richter? Dein Wucher, du unersättlicher Kaufmann? Deine Weichlichkeit und dein Unglauben, du gottvergessener weibischer Höfling? Und ihr, der ihr zuerst unter seiner Geißel blutet, ihr Frauen und Mädchen, versunken im Schlamm der Sünde, was kann es euch fernerhin helfen, wenn wir gar unsere Amtspflicht vergessend Stillschweigen bewahrten über eure Verirrungen? Tragt ihr nicht eine Stimme in euch selbst, der ihr noch weniger entrinnen könnt, als der unsrigen? Sie verfolgt euch überall. Überall wirft sie euch eure unreinen Begierden vor, eure sträflichen Neigungen, eure lasterhaften Beziehungen, eure Sorge zu gefallen, eure Künste anzulocken, eure Schlauigkeit festzuhalten, die Unbändigkeit eurer Wollust und die Wut eurer Eifersucht. Was säumt ihr denn, Cadabras Fesseln abzuwerfen und zu Brahmas sanften Geboten zurückzukehren? Aber bleiben wir bei unserem Gegenstande. Die Weltkinder setzen sich, sagte ich euch, auf eine Gott mißfällige Art nieder aus neun Ursachen. Erstlich usw.«

Diese Predigt machte Eindrücke von ganz verschiedener Art. Mangogul und die Sultanin, die allein um das Geheimnis des Ringes wußten, fanden: der Brahmine habe das Geschwätz der Kleinode eben so glücklich mit Hilfe der Religion erklärt, als Guallonorone durch das Licht der Vernunft. Die Damen und Stutzer des Hofes behaupteten, die Predigt sei aufrührisch und der Prediger ein Schwärmer. Der übrige Teil seiner Zuhörer betrachtete ihn als einen Propheten, weinte, betete, geißelte sich sogar und veränderte seine Lebensart nicht.

Selbst in den Kaffeehäusern sprach man davon. Ein schöner Geist entschied, der Brahmine habe die Frage nur obenhin berührt, seine Rede sei ein frostiges, geschmackloses Wortgepränge. Aber nach der Meinung der Betschwestern und Erleuchteten war dieses ein Stück so gründlicher Beredsamkeit, als nur irgendeins seit hundert Jahren in den Tempeln gehört worden sei. Mir scheint, der schöne Geist und die Betschwestern hatten recht.

Während die Brahminen Brahma reden ließen, Pagoden herumtrugen und die Völker zur Buße ermahnten, dachten andre darauf, aus der Plauderhaftigkeit der Kleinode Vorteil zu ziehen.

Die großen Städte wimmeln von Menschen, welche das Elend erfinderisch macht. Sie stehlen nicht, sie beutelschneiden nicht, aber sie gehören zu den Beutelschneidern, wie die Beutelschneider zu den Spitzbuben. Sie wissen alles, tun alles, haben ein Geheimnis für alles. Sie kommen und gehn und schleichen sich ein. Man findet sie bei Hofe, in der Stadt, auf dem Rathause, in der Kirche, im Schauspiel, in den Häusern der Freude, in der Oper, im Kaffeehause, bei den Sitzungen der Akademie. Sie geben sich zu allem her, was man von ihnen verlangt. Sucht ihr eine Stelle? sie wissen den Weg zum Minister. Habt ihr einen Rechtshandel? sie kennen den Advokaten. Liebt ihr das Spiel? sie sind Bankhalter. Die Tafel? sie sind Brüder, Freimaurer. Die Weiber? sie führen euch bei Aminen oder Akaris ein. Welcher von beiden wollt ihr eine Krankheit abkaufen? Wählen Sie nur, sobald sie Ihnen geworden ist, werden die Leute dafür sorgen, sie wieder wegzuschaffen. Ihre Hauptbeschäftigung ist, die schwache Seite einzelner Menschen auszuspähn und die Einfalt des Publikums zu benutzen. Sie sind es, die an den Ecken der Gassen, an den Kirchtüren, am Eingang der Schauspielhäuser, auf Spaziergängen gedruckte Ankündigungen austeilen lassen, wodurch man ihnen gratis die Nachricht gibt, daß Herr Soundso wohnhaft im Louvre, in Saint Jean, im Tempel oder in der Abtei unter dieser und jener Aufschrift im soundsovielten Stocke von neun Uhr morgens bis zwölf Uhr mittags die Leute in seiner Wohnung betrügt und den übrigen Teil des Tages in der Stadt.

Kaum fingen die Kleinode an zu reden, als ein Betrüger dieser Art, in allen Häusern von Banza einen kleinen gedruckten Zettel herumtragen ließ von folgender Gestalt und Inhalt. Oben stand mit großen Buchstaben: »Achtung, Ihr Damen!« Gleich darunter in kleinerer Schrift: »mit allergnädigster Bewilligung des Herrn Groß-Seneschall und Genehmigung der königlichen Akademie der Wissenschaften.« Und ganz unten: »Signor Colipolo, Mitglied der königlichen Akademie zu Banza, der königlichen Gesellschaft zu Monoemugi, der kaiserlichen Akademie zu Biafara, der Naturforschenden Gesellschaft zu Monomotapa, des Erekkischen Instituts, der königlichen Akademie zu Beleguanza und Angola, wohlbestellter Professor der Schnurrpfeiferei, der sich seit mehreren Jahren des Beifalls des Hofes, der Stadt und der Provinz erfreut, hat soeben zum Besten des schönen Geschlechts tragbare Maulkörbe oder Mundknebel ersonnen, die den Kleinoden die Sprache benehmen, ohne ihren natürlichen Verrichtungen Einhalt zu tun. Sie sind schicklich und bequem. Man findet ihrer von jeder Größe, für jedes Alter und zu allen Preisen. Er hat schon die Ehre gehabt, Personen von höchstem Stande damit aufzuwarten.«

Man braucht nur einer bestimmten Körperschaft anzugehören, so hat man gewonnen Spiel. Mag eine Leistung noch so lächerlich sein, sie findet Lobredner und Liebhaber. Also hatte auch dem Colipolo seine Erfindung Glück. Man drängte sich in Menge zu ihm. Galante Damen fuhren in ihrer eignen Kutsche hin, sittsame Frauen nahmen einen Mietwagen, fromme schickten ihren Beichtvater oder ihren Diener, sogar Klosterpförtnerinnen fanden sich ein. Alle wollten einen Maulkorb haben, und von der Herzogin bis zur Bürgersfrau hatte jedes Frauenzimmer den seinigen, entweder aus Mode oder aus Bedürfnis.

Die Brahminen, welche die Plauderhaftigkeit der Kleinode als eine göttliche Strafe angegeben und sich Sittenverbesserung oder andere Vorteile davon versprochen hatten, begleiteten mit Seufzern die Erfindung einer Maschine, die die Rache des Himmels und ihre Hoffnungen vereitelte. Eben von ihren Kanzeln herabgestiegen, eilen sie wieder hinauf, donnern, wüten, schleudern Bannstrahlen, verkünden Weissagungen, erklären die Maulkörbe für ein Werk der Hölle und sprechen denen die Seligkeit ab, die sich ihrer bedienen würden. »Ihr Weltkinder,« riefen sie, »tut die Maulkörbe von euch, unterwerft euch dem Willen Brahmas! Möge die Stimme der Kleinode die Stimme eures Gewissens erwecken; möget ihr nicht erröten, die Sünden zu bekennen, die ihr euch nicht schämet zu begehn!«

Sie riefen umsonst. Die Maulkörbe ließen sich so wenig durch Predigten abschaffen, als die bloßen Arme und die durchsichtigen Schleier. Man ließ sie ruhig in ihren Tempeln sich den Schnupfen holen. Man trug die Mundknebel und legte sie nicht eher ab, bis man gesehn hatte, sie wären zu nichts gut, oder bis man ihrer müde war.

Seit einigen Tagen blieben die Kleinode vor dem Sultan in Ruhe. Er war mit wichtigen Geschäften überhäuft, und so blieben die Wirkungen des Ringes aus. In dieser Zwischenzeit machten sich zwei Damen aus Branza zum Gelächter der ganzen Stadt.

Sie waren berufsmäßige Betschwestern. Sie trieben ihre Liebeshändel in möglichster Stille und genossen eines so guten Rufes, das ihn selbst die Bosheit ihrer Mitschwestern verschonte. Man sprach in den Moscheen nur von ihrer Tugend. Die Mütter hielten sie ihren Töchtern zum Muster vor, die Männer ihren Frauen. Beider Hauptgrundsatz war, Ärgernis erregen sei die schlimmste Sünde. Diese Gleichheit, ihre Gesinnungen und vorzüglich die Schwierigkeit, ohne große Mühe ihren Nächsten zu erbauen, der so scharfsichtig ist und so gerne Arges denkt, war mächtiger als die Verschiedenheit ihrer Gemütsstimmung und erhielt eine genaue Freundschaft zwischen beiden.

Zelidens Brahmine verfügte sich zu Sophien; Sophie fand ihren Gewissensrat bei Zeliden; jede brauchte nur mit sich selbst zu Rate zu gehn, um zu wissen, wie es mit dem Kleinod der andern stände. Aber die allgemein verbreitete sonderbare Plauderhaftigkeit der Kleinode setzte beide in peinliche Besorgnis. Sie sahen die Zeit herannahen, wo ihnen die Larven entfallen, wo sie den guten Namen verlieren würden, um dessentwillen sie sich fünfzehn Jahre lang verstellt und geängstigt hatten, was ihnen jetzt große Ungelegenheiten bereitete. Es gab Augenblicke, besonders für Zeliden, wo sie gern ihr Leben hingegeben hätten, um so verschrien zu sein, als der größte Teil ihrer Bekannten. – »Was wird die Welt sagen? Wie wird mein Mann mich behandeln? Wie? Diese so zurückhaltende, so bescheidene, so tugendsame Frau, diese Zelide ist nicht besser wie die andern? Ich möchte verzweifeln, wenn ich daran denke. O ich möchte es am liebsten nie wieder tun, nie jemals getan haben!« rief Zelide erregt aus.

Sie befand sich gerade bei ihrer Freundin, die eben diese Betrachtungen anstellte, aber nicht so sehr dadurch erschüttert ward. Zelidens letzte Worte brachten sie zum Lächeln. »Lachen Sie nur, gnädige Frau, halten Sie sich nicht zurück, lachen Sie laut auf,« sprach Zelide empfindlich. »Sie haben wohl Ursache.« – »Ich kenne wie Sie,« antwortete Sophie kalt, »die Größe der Gefahr, die uns droht. Aber wie sollen wir ihr entgehn? Denn das werden Sie mir doch wohl zugeben, daß Ihr Wunsch unerreichbar scheint?«

»Denken Sie auf ein Mittel,« versetzte Zelide. »Was soll ich mich länger quälen?« fragte Sophie, »mir fällt nichts ein. Wir können uns freilich in der Provinz vergraben; aber die Vergnügungen Banzas verlassen und dem Leben entsagen, ist meine Sache nicht. Damit würde mein Kleinod schlecht zufrieden sein!« – »Was machen wir also?« – »Ja, was machen wir nur?« – »Wir überlassen alles der Vorsehung und lachen schon jetzt, wie ich es eben tat, über jede Nachrede. Ich habe bis jetzt nichts unversucht gelassen, einen guten Namen mit Vergnügungen zu vereinigen. Muß man einem von beiden durchaus entsagen, so wollen wir wenigstens unser Vergnügen behalten. Bisher waren wir einzig in unsrer Art. Von nun an gleichen wir hunderttausend anderen. Scheint Ihnen das so hart?«

»Ja wohl,« erwiderte Zelide. »Es scheint mir allerdings hart, daß ich denen gleichen soll, welchen ich bis jetzt die tiefste Verachtung bezeugte. Diese Schmach zu vermeiden, geh’ ich lieber bis ans Ende der Welt!«

»Glück auf den Weg, meine Liebe,« sagte Sophie, »ich bleibe hier. Aber noch eins: sehn Sie sich doch vorher nach einem Mittel um, das Ihrem Kleinod verbietet, unterwegs zu plaudern.«

»Wahrlich,« versetzte Zelide, »der Scherz ist hier sehr übel angebracht, und Ihre Unerschrockenheit …«

»Sie irren, Zelide, ich bin nichts weniger als unerschrocken. Aus bloßer Ergebung laß ich den Dingen ihren Lauf, den ich nicht ändern kann. Ehrlos sowieso, will ich mir wenigstens den Kummer darüber bis zuletzt aufsparen.«

»Entehrt!« rief Zelide mit Tränen. »Entehrt! Welch ein Schlag! Das überleb’ ich nicht! Verdammter Bonze, der du mich ins Verderben stürztest! Ich liebte meinen Gemahl. Ich war tugendhaft geboren, ich würde ihn noch lieben, hättest du nicht dein Amt und mein Vertrauen gemißbraucht! Entehrt, teure Sophie!«

Sie konnte nicht fortfahren, ein Schluchzen unterbrach ihre Worte, und sie warf sich verzweifelnd auf ein Sofa, Zelide fand nun den Gebrauch ihrer Stimme wieder, um weinend auszurufen: »Ach, liebste Sophie, daran gehe ich noch zugrunde. Ich muß zugrunde gehen. Nein, meinen guten Namen überleb’ ich nicht!«

»Zelide, liebe Zelide, übereilen Sie sich mit dem Sterben nicht,« sagte Sophie, »vielleicht, wer weiß …« »Mir hilft kein Vielleicht! Ich muß sterben!« – »Vielleicht könnte man doch …« – »Man kann nichts, sag’ ich Ihnen. Aber was meinen Sie denn? was könnte man?« – »Man könnte vielleicht den Kleinoden das Plaudern wehren.« – »Ach Sophie! Sie suchen mich durch falsche Hoffnung zu trösten! Sie hintergehn mich!« – »Nein, nein, ich hintergehe Sie nicht, hören Sie nur auf mich, statt dieser törichten Verzweiflung nachzugeben. Man erzählt mir viel von Frenicol, Colipilo, von Mundknebeln und von Maulkörben.« – »Was haben Frenicol, Colipilo und die Maulkörbe mit der Gefahr zu tun, die uns bedroht? Was soll mein Galanteriehändler hier? Und was ein Maulkorb?«

»Das will ich Ihnen sagen, meine Liebe. Ein Maulkorb ist eine vortreffliche Erfindung. Frenicol hat sie erdacht, die Akademie genehmigt und Colipilo verbessert. Darum nennt dieser letztere sich den Erfinder.« – »Nun wohl, was hilft mir diese treffliche Erfindung Frenicols, die die Akademie genehmigte und ein Esel verbesserte?« – »Sie sind von einer Heftigkeit, die über alle Begriffe geht. Diese Maschine wird einfach angemacht, und das Kleinod wird sofort stille, ob es nun will oder nicht.« – »Ist das wirklich wahr, meine Liebe?« – »Die Leute sagen’s.« – »Das muß man gleich untersuchen,« versetzte Zelide.

Sie zog an die Klingel, ein Kammermädchen erschien, sie schickte nach Frenicol. »Warum nicht nach Colipilo?« fragte Sophie. »Frenicol macht weniger Aufsehen,« antwortete Zelide. Der Juwelier ließ nicht auf sich warten. »Willkommen, Frenicol,« sagte Zelide. »Eilen Sie zwei Frauenzimmer aus einer großen Verlegenheit zu reißen.« – »Was befehlen Sie, meine Gnädigen? Brauchen Sie etwas von Kleinoden?« – »Nein, wir haben selbst zwei Kleinode und möchten gern …?« – »Sie unter der Hand veräußern? Gut, meine Gnädigen, lassen Sie sehn. Ich nehm sie oder tausche sie um …« – »Sie irren sich, Herr Frenicol, wir haben nichts auszutauschen.« – »Ach, ich verstehe! Ihre Gnaden besitzen etwa ein Paar Ohrgehänge, die Sie so verlieren möchten, daß die gnädigen Herrn Gemahls sie bei mir wiederfänden?« – »Keineswegs. Aber so sagen Sie ihm doch, Sophie, worum es sich handelt!« – »Frenicol,« fuhr Sophie fort, »wir brauchen zwei … Was, Sie verstehn mich immer noch nicht …?« – »Wie soll ich verstehn, gnädige Frau? Sie sagen ja nichts?« – »Man kann doch auch gewisse Dinge nicht bei Namen nennen,« antwortete Sophie, »wenn man auf Sittsamkeit hält.« – »Aber,« erwiderte Frenicol, »der Name gehört doch zur Sache. Ich bin ja Juwelier und kein Rätselrater!« – »Diesmal aber müssen Sie dennoch raten.« – »Je mehr ich Sie ansehe, meine Gnädigen, desto minder versteh’ ich Sie. Wenn man so jung, so reich und so schön ist wie Ihre Gnaden, so braucht man sich doch nicht mit nachgemachten Dingen zu behelfen. Übrigens muß ich Ihren Gnaden gestehn, ich handle mit so etwas nicht. Mit solchem Zeug mögen junge Kollegen handeln, die eben erst anfangen.«

Unsre frommen Damen fanden das Mißverständnis des Galanteriehändlers so lustig, daß sie beide zu gleicher Zeit in ein Gelächter ausbrachen, worüber er die Fassung verlor. »Erlauben mir Ihre Gnaden,« sagte er, »daß ich mich untertänigst empfehle. Ich hoffe, Ihre Gnaden haben Spaß genug mit mir gehabt.« »Bleiben Sie, bleiben Sie, lieber Herr,« sprach Zelide und lachte immer fort, »das war unsre Absicht nicht. Aber aus Mangel an Verständnis verfielen Sie auf solche possierliche Gedanken …« – »Es liegt nur an Ihro Gnaden, ob ich endlich besser verstehe. Was steht zu Ihrem Befehl?« – »Lassen Sie mich nur erst auslachen, Frenicol, ehe ich Ihnen antworte.«

Zelide lachte bis zum Ersticken. Der Galanteriehändler dachte bei sich, sie habe hysterische Zufälle oder sei verrückt geworden, und gab sich in Geduld. Endlich hörte Zelide auf. »Nun gut,« sprach sie, »von unsern Kleinoden ist die Rede; von unsern, verstehn Sie, Herr Frenicol? Es ist Ihnen wahrscheinlich bekannt, daß es seit einiger Zeit Kleinode gibt, die wie Elstern schwatzen: nun möchten wir nicht gern, daß die unsrigen diesem bösen Beispiel folgten.« – »Ah! jetzt versteh ich alles,« erwiderte Frenicol, »Ihro Gnaden brauchen einen Maulkorb.« – »Sie haben’s getroffen. Man hat mir ja immer gesagt, Herr Frenicol sei nicht auf den Kopf gefallen …« – »Ihro Gnaden sind zu gnädig. Ich führe solche Maulkörbe von allen Sorten und eile sogleich, Ihro Gnaden einige vorzulegen.«

Frenicol ging fort. Unterdessen umarmte Zelide ihre Freundin, dankte ihr für ihren Rat, »und ich,« sagt der gelehrte Afrikaner, »ich ruhte derweil ein wenig aus, bis er wieder kam.«

Der Galanteriehändler kam zurück und brachte unsern frommen Damen zwei derbe Maulkörbe mit. »Gott sei uns gnädig!« rief Zelide. »O du Gerechter!« rief Zelide. »Was für Maulkörbe! was für ungeheure Maulkörbe sind das, und wer sind die Unglücklichen, die derlei tragen sollen? Die sind ja eine Klafter lang! Lieber Freund, da haben Sie wohl an der Stute des Sultans Maß genommen?«

»Ja,« sagte Sophie nachlässig, die sie indessen betrachtet und mit den Fingern abgemessen hatte, »für die Stute Seiner Hoheit oder für die alte Rimosa.« – »Ich schwöre Ihnen, meine Gnädigen,« versetzte Frenicol, »es ist das gewöhnliche Maß. Zelmaide, Zirfile, Amiane, Zulica und hundert andre tragen sie so.« – »Das ist unmöglich,« erwiderte Zelide. – »Und dennoch ist es so,« antwortete Frenicol. »Aber anfangs sprachen alle Damen wie Ihro Gnaden, und Ihro Gnaden werden wie sie davon zurückkommen, wenn Sie sie nur anprobieren.« – »Herr Frenicol mag sagen, was er will, er wird mich doch nicht überzeugen, daß mir das paßt«, sprach Zelide. »Mich auch nicht,« sagte Sophie, »er zeige uns andre, wenn er welche hat.«

Frenicol hatte sehr oft erlebt, daß man die Weiber in diesem Punkt nicht bekehrt, und bot ihnen also Maulkörbe für Dreizehnjährige. »Ja, das ist was für uns!« riefen beide zugleich. »Ich wünsche es,« sprach Frenicol leise. »Was sollen sie kosten?« fragte Zelide. – »Nur zehn Zechinen, gnädige Frau.« – »Zehn Zechinen! wo denken Sie hin, Frenicol?« – »Es ist ein gewissenhafter Preis, gnädige Frau.« – »Wir müssen die Neuheit mit bezahlen.« – »Es ist auf Ehre nur meine Auslage.« – »Sie sind freilich sehr niedlich gearbeitet; aber zehn Dukaten ist gewaltig viel Geld.« – »Ich kann nichts ablassen.« – »So gehn wir zu Calipilo!« – »Das tun Ihre Gnaden nach Gefallen, aber Arbeit und Arbeit, Maulkorb und Maulkorb ist ein Unterschied!« Frenicol blieb bei seiner Forderung, und Zelide gab nach. Sie bezahlte die beiden Maulkörbe, und der Galanteriehändler ging in der festen Überzeugung nach Hause, sie würden ihnen zu kurz sein, und es könne nicht fehlen, daß er sie zu einem Vierteil des Preises wieder annehmen würde, wofür er sie verkauft habe. Er irrte sich. Mangogul fand gerade keine Gelegenheit, seinen Ring auf diese beiden Frauen zu wenden, und so bekamen auch ihre Kleinode keine Lust, ungewöhnlich laut zu reden. Das war ein Glück für sie. Denn da Zelide ihren Maulkorb anprobierte, fand sie ihn um die Hälfte zu klein. Doch gab sie ihn nicht zurück, weil sie glaubte, es sei fast eben so gefährlich, ihn auszutauschen, als sich seiner nicht zu bedienen.

Diese Umstände erfuhr man durch eine der beiden Damen, die sie ihrem Liebhaber im Vertrauen erzählte, der sie im Vertrauen andern erzählte, die sie als ein Geheimnis an ganz Banza vertrauten. Auch Frenicol hielt nicht reinen Mund. Die Geschichte unsrer beiden Betschwestern ward ruchbar und beschäftigte eine Zeitlang alle Lästerzungen in Congo.

Zelide war untröstlich darüber. Diese Frau, die mehr Mitleid als Tadel verdiente, bekam einen Widerwillen gegen ihren Brahminen, verließ ihren Gemahl und schloß sich in ein Kloster ein. Sophie nahm die Larve ab, ließ die Leute reden, legte Rot auf und Schönheitspflästerchen und lebte in der Welt mit der Welt.

Die Bürgerfrauen in Banza dachten wohl, daß ihre Kleinode schwerlich die Ehre haben würden, zu reden, dennoch versahen sie sich sämtlich mit Maulkörben. Man legte zu Banza Maulkörbe an, wie wir Hoftrauer anlegen.

Hier bemerkt der gelehrte Afrikaner mit Erstaunen, daß der mäßige Preis und der bürgerliche Gebrauch der Maulkörbe dieser Mode dennoch im Harem kein Ende machte. »Dreimal,« schreibt er, »siegte der Nutzen über das Vorurteil.« Eine so alltägliche Bemerkung verdiente nicht mehr als einmal gesagt zu werden. Es scheint mir aber der Fehler aller Congoschen Schriftsteller gewesen zu sein, daß sie sich wiederholen. Vielleicht wollten sie dadurch ihren Werken einen Anstrich von Wahrscheinlichkeit und Leichtigkeit geben, oder vielleicht besaßen sie nicht so viel Fülle der Gedanken, als ihre Bewunderer ihnen zuschreiben. Dem sei, wie ihm wolle. Mangogul ging eines Tages in seinem Garten spazieren. Der ganze Hof begleitete ihn. Es fiel ihm ein, seinen Ring gegen Zelais zu kehren. Sie war hübsch. Man hatte sie im Verdacht, mehr als einen Liebhaber gekannt zu haben. Dennoch lallte ihr Kleinod nur und brachte nichts als abgebrochene Worte vor, welche die Spötter ausdeuteten, wie sie wollten. »Schau!« sagte der Sultan, »dieses Kleinod hat eine schwere Zunge. Es muß ihm wohl irgend etwas im Wege sein, das es am Sprechen hindert.« Er ließ also seinen Ring stärker wirken. Das Kleinod zwang sich noch einmal zum Sprechen, überwand endlich zum Teil das Hindernis, das ihm den Mund zuhielt, und man vernahm sehr deutlich: »Ach! Ach! Ich … er … er … sticke. Ich kann nicht mehr … Ach! … Ach! … ich ersticke!« Zelais fühlte sich in diesem Augenblicke wirklich der Erstickung nahe. Ihr Antlitz erblaßte, ihre Kehle schwoll an, ihre Augen schlossen sich, sie sperrte den Mund auf und fiel in die Arme ihrer Nachbarn.

An jedem andern Orte hätte Zelais schleunige Linderung bekommen. Man durfte nur den Maulkorb abnehmen und ihrem Kleinode wieder Luft geben. Aber wie konnte man ihr in Mangoguls Gegenwart hilfreiche Hand leisten? »Geschwind, geschwind, schickt nach Ärzten!« rief der Sultan, »Zelais stirbt!«

Edelknaben rannten aufs Schloß und kamen zurück. Leibärzte folgten ihnen mit gemessenen Schritten, Guallonorone an ihrer Spitze. Einige rieten zu Aderlaß, andere zu einem Brechmittel. Aber der tiefblickende Guallonorone ließ Zelais in einen nahegelegenen Pavillon tragen, besah den Schaden und zerschnitt die Riemen ihres Korbes. Dieses geknebelte Kleinod war eins von denen, die er sich rühmte, im Parorxysmus gesehen zu haben.

Indessen, eine außerordentliche Schwellung hatte sich eingestellt, und Zelais würde noch länger gelitten haben, hätte sich der Sultan nicht ihrer erbarmt. Er drehte seinen Ring zurück, ihre Lebensgeister kamen wieder ins Gleichgewicht, Zelais erholte sich, und Guallonorone nannte sich den Wundertäter dieser Genesung.

Zelaidens Unfall und ihres Arztes Plaudermaul taten dem guten Ruf der Maulkörbe großen Schaden. Guallonorone achtete Colipilos Vorteil nicht, er sah den Augenblick sein Glück auf die Trümmer eines andern zu bauen, nannte sich von nun an wohlbestellter Gesundheitsrat gegen den Kleinods-Rheumatismus, und bis auf diese Stunde sieht man seine Anschlagzettel noch in abgelegenen Gassen. Anfangs gewann er Geld damit, zuletzt ward er verächtlich. Der Sultan machte sich ein Vergnügen daraus, den Stolz des Empirikers zu demütigen. Sooft sich Guallonorone rühmte, ein Kleinod zum Schweigen gebracht zu haben, das nie eine Silbe gesprochen hatte, war Mangogul grausam genug, es reden zu lassen. Man bemerkte endlich, daß jedes Kleinod aus langer Weile anfing zu plaudern, sobald Guallonorone es zwei- oder dreimal besuchte. Bald zählte man ihn, mit Colipilo, zu der Klasse der Marktschreier. Beide werden darin bleiben, bis es Brahma gefällt, sie herauszuziehen.

Man zog die Schande dem Schlagfluß vor. Man stirbt am Schlagfluß, sagte man. Also verzichtete man auf die Maulkörbe. Man ließ die Kleinode reden, soviel sie wollten, und niemand starb daran.

Es gab eine Zeit, wie man sieht, wo die Weiber aus Furcht, daß ihre Kleinode reden möchten, erstickten und fast umkamen. Darauf folgte eine Zeit, wo sie sich über diese Besorgnis wegsetzten, die Maulkörbe abschnallten und nur Nervenschwäche hatten.

Unter den Freundinnen der Favorite befand sich ein sonderbares Mädchen. Ihre Laune war allerliebst, obwohl ungleich. Sie veränderte zehnmal des Tags ihr Gesicht, aber sie gefiel in jeder Veränderung. Ihre Schwermut war nicht minder einzig als ihre Fröhlichkeit. In ihren ausgelassensten Augenblicken entschlüpften ihr Worte von außerordentlicher Feinsinnigkeit; und in ihren traurigsten Anfällen Torheiten, worüber man herzlich lachen mußte. Dies närrische Ding hieß Callirhoe. Mirzoza war so sehr an sie gewöhnt, daß sie fast nicht ohne sie leben konnte. Eines Tages beklagte sich der Sultan, die Favorite etwas unruhig und kühl zu finden. Dieser Vorwurf setzte sie in Verlegenheit. »Gnädiger Herr,« antwortete sie, »wenn ich meine drei Tiere nicht um mich habe, meinen Kanarienvogel, meine Katze und meine Callirhoe, so tauge ich nichts. Sie sehn, die letzte geht mir ab.« – »Warum ist sie denn nicht hier?« fragte Mangogul. »Ich weiß nicht,« antwortete Mirzoza, »sie sagte mir freilich schon vor einigen Monaten, wenn Mazul mit ins Feld müßte, so würde sie sicherlich Nervenschwäche bekommen, und Mazul ist gestern abgereist.« »Der mag noch hingehen,« erwiderte der Sultan, »das nenne ich durchaus begründete Nervenzustände. Aber warum fällt es hundert andern ein, sie sich beizulegen, die ganz junge Männer haben und keinen Mangel an Liebhabern leiden?« »Gnädigster Herr,« antwortete ein Höfling, »es ist die Modekrankheit. Nervenschwäche zu haben, das verleiht einer Frau Ansehen. Ohne Liebhaber und Nervenschwäche weiß man nichts vom guten Ton; und dann muß jede Bürgersfrau in Banza so etwas haben.«

Mangogul lächelte und faßte sogleich den Entschluß, einige dieser Nervenkranken zu besuchen. Er begab sich geradeswegs zu Salica. Sie lag im Bette, den Busen bloß, die Augen entzündet, das Haar aufgelöst. Der kleine stammelnde bucklige Arzt Farfadi saß neben ihrem Kopfkissen und plauderte ihr vor. Unterdessen streckte sie bald einen Arm aus, bald den andern, gähnte, seufzte, rieb sich die Stirn und rief schmachtend aus: »Ach! … Ich kann es nicht aushalten! … Macht das Fenster auf! … Luft! Luft! … Ich kann es nicht aushalten! ich sterbe!«

Mangogul nutzte den Augenblick, da die geängstigten Kammerfrauen und Farfadi die Bettdecke abzogen, seinen Ring gegen sie zu drehen, und sogleich hörte man: »O! wie mich dies alles langweilt! Nun will die gnädige Frau Nervenschwäche haben. Das wird acht Tage lang anhalten; und ich will auf der Stelle sterben, wenn ich weiß warum? Farfadi hat sich ja so angestrengt, das Übel in der Wurzel zu heben, daß es billig nicht mehr fortdauern sollte.« – »Gut!« sagte der Sultan und zog den Ring zurück. »Ich verstehe, die ist nervenkrank, weil sie es mit ihrem Arzte gut meint. Wir müssen doch weiter sehn.«

Er verließ Salicas Behausung und verfügte sich zu Arsina, die in der Nachbarschaft wohnte. Bei seinem Eintritt in ihre Gemächer hörte er ein lautes Gelächter und nahte sich in der Meinung, daß sie Gesellschaft haben würde. Dennoch fand er sie allein, und Mangogul wunderte sich darüber nicht sehr. »Will eine Frau Nervenzufälle haben,« sprach er, »so wählt sie fröhliche oder traurige, wie es gerade paßt.«

Er drehte seinen Ring gegen sie, und alsbald lachte ihr Kleinod aus vollem Halse. Plötzlich ging es von diesem traurigen Gelächter zu lächerlichen Jammertönen über. Denn Narses war abwesend, ihm riet es als ein guter Freund, seine Rückkehr zu beschleunigen, und dann fing es von neuem an zu schluchzen, zu weinen, zu ächzen, zu seufzen, zu verzweifeln, als wären all die seinigen zu Grabe gebracht.

Über eine so seltsame Betrübnis hätte der Sultan bald die Fassung verloren. Er drehte seinen Ring wieder zurück und ging weg. »Mögen,« sagte er zu sich selbst, »Arsinoe und ihr Kleinod nach Herzenslust wehklagen; es sind doch nicht alle Sprichwörter wahr!«

Anhang zu Panicirollus gelehrtem Werk und zu den Abhandlungen der Akademie der Altertumsforscher

Mangogul kehrte zu seinem Palast zurück und dachte über die Torheiten nach, worin die Weiber verfallen, als er sich, entweder aus eigner Zerstreuung, oder aus einem Versehen seines Ringes, in dem Säulengange des prachtvollen Gebäudes befand, das Thelis mit der reichen Ausbeute ihrer Liebhaber schmückte. Er benutzte die Gelegenheit, ihr Kleinod auszufragen.

Thelis war die Gemahlin des Emir Sambuco, dessen Vorfahren Guinea beherrschten. Sambuco war in Congo angesehen, er hatte Erguebzeds Feinde fünf- oder sechsmal besiegt. Er war ein eben so geschickter Staatsmann als Feldherr und brachte verschiedene ihm aufgetragene Unterhandlungen von Wichtigkeit mit großen Ehren zustande. Bei seiner Wiederkunft von Loango sah er Thelis und liebte sie. Damals war er dicht an fünfzig Jahren, Thelis aber höchstens fünfundzwanzig. Sie besaß mehr Anmut als Schönheit; die Weiber fanden sie liebenswürdig, die Männer beteten sie an. Mächtige Freier hatten um sie geworben: aber entweder war ihr Plan schon gemacht, oder der Unterschied des Vermögens zwischen ihr und ihren Werbern war zu groß: alle bekamen einen Korb. Sambuco sah sie, legte unermeßliche Reichtümer zu ihren Füßen, Namen, einen Ruhm und einen Rang, der nur von dem eines Fürsten übertroffen wurde, und ward erhört.

Thelis blieb oder schien tugendhaft sechs lange Wochen nach der Hochzeit. Aber ist ein Kleinod zur Wollust geboren, so vermag es nur selten sich selbst zu bändigen; und ein fünfzigjähriger Gemahl mag in jeder andern Rücksicht ein Held sein, er ist toll, wenn er diesen Feind zu besiegen hofft. Thelis betrug sich freilich mit vieler Vorsicht, doch blieben ihre ersten Verirrungen nicht unbekannt. Also schrieb man ihr auch in der Folge mehr zu, als man erfuhr, und Mangogul, neugierig, die Wahrheit zu erfahren, eilte aus dem Vorhof ihres Palastes in ihr Wohnzimmer.

Es war gerade mitten im Sommer, die Hitze sehr groß, und Thelis hatte sich nach aufgehobener Tafel auf ein Ruhebett gestreckt in einem entlegenen Gemach, das mit Spiegeln und Gemälden geschmückt war. Sie schlummerte; noch ruhte ihre Hand auf einer Sammlung persischer Märchen, die sie eingeschläfert hatten.

Mangogul betrachtete sie eine Zeitlang, gestand sich, daß sie reizend sei und drehte seinen Ring gegen sie.

»Es ist mir noch so im Gedächtnis, als ob es jetzt geschähe,« sagte Thelidens Kleinod sogleich: »Neun Liebesproben in vier Stunden! Welch ein Genuß! Göttlicher Zermunzaid! So verfährt der alte frostige Sambuco nicht! Teurer Zermunzaid! Ich kannte die wahre Freude, das höchste Gut der Menschen nicht. Du hast es mich kennen gelehrt.«

Mangogul wünschte die näheren Umstände des Umganges Thelidens mit Zermunzaid zu erfahren. Das Kleinod hielt sich nur an das, was einem Kleinod das wichtigste ist, und schlüpfte darüber weg. Mangogul rieb ein Weilchen den Stein seines Ringes gegen sein Gewand, bis er glänzend ward, und kehrte ihn aufs neue gegen Thelis. Bald empfand das Kleinod seine Kraft, begriff besser, was man eigentlich von ihm verlangte, und nahm mehr den Ton eines Geschichtschreibers an:

»Sambuco stand an der Spitze des Heeres zu Monoemugi, ich folgte ihm ins Feld. Zermunzaid war sein Adjutant; der Feldherr beehrte ihn mit seinem besondern Vertrauen und übergab uns seinem Geleit. Der eifrige Zermunzaid wich nicht von seinem Posten; er schien ihm zu angenehm, um ihn einem andern abzutreten; und die Furcht, ihn zu verlieren, war seine einzige Furcht während des ganzen Krieges.

Im Winterquartier bekam ich neue Gäste. Kassil, Zekia, Almamun, Jesub, Selim, Mansora, Nereskim: alles Offiziere, die Zermunzaid geführt hatte, aber keiner war so viel wert als er. Der leichtgläubige Sambuco verließ sich in Ansehung der Tugend seiner Frau auf sie selbst und auf Zermunzaids Vorsorge. Die unermeßlichen einzelnen Vorkehrungen des Krieges, der große Plan, den er zu Ehren von Congo vorbereiten wollte, machten ihm so viel zu schaffen, daß er nicht Zeit hatte, den Verdacht zu fassen, daß Zermunzaid ihn verrate oder Thelis ihm untreu sei.

Der Krieg dauerte fort, die Heere rückten wieder ins Feld, und wir stiegen wieder in unsre Sänften. Da die nur sehr langsam vorwärts gingen, so verloren wir unmerklich den Kern der Armee aus dem Gesicht und blieben beim Nachtrab. Zermunzaid führte ihn. Dieser tapfre Junge, den der Anblick der größten Gefahr nie vom Wege des Ruhms entfernen konnte, ließ sich durch die Lockungen der Liebe verleiten. Er überließ einem untergeordneten Offizier die Beobachtung des Feindes, der uns beunruhigte, und stieg in unsern Wagen. Aber kaum war er drinnen, als wir Waffengeklirr und verwirrtes Geschrei vernahmen. Zermunzaid ließ seine Arbeit unvollendet und wollte aussteigen, aber er ward zu Boden gestreckt, und wir blieben in der Gewalt des Siegers.

So verschlang ich die Ehre und die Verdienste eines Offiziers, der von seiner Tapferkeit und seiner Tüchtigkeit die erste Stelle, die höchsten Kriegsämter erwarten durfte, wenn er nie die Gattin seines Generals gekannt hätte. Mehr als dreitausend Menschen blieben bei der Gelegenheit auf dem Platz. So viel gute Untertanen haben wir dem Staat entwendet.«

Man bedenke, wie Mangogul über diese Rede erstaunen mußte! Er hatte Zermunzaids Leichenpredigt mit angehört und erkannte ihn an dieser Schilderung nicht wieder. Erguebzed, sein Vater, hatte den Verlust dieses Offiziers bedauert. Alle Zeitungen, die man las, verschwendeten das höchste Lob an seinen glänzenden Rückzug und schrieben seine Niederlage und seinen Tod der feindlichen Übermacht zu, die sechsmal stärker gewesen sei als er. Ganz Congo beklagte einen Mann, der seine Pflicht so gut erfüllt hätte. Seine Frau bekam ein Gnadengehalt, sein ältester Sohn das Regiment seines Vaters und der jüngste die Anwartschaft auf eine Domherrnstelle.

»Das ist abscheulich!« rief Mangogul leise. »Die eheliche Treue gebrochen, den Staat verraten, die Mitbürger aufgeopfert, alles das um ein Kleinod! Und der Frevel bleibt unentdeckt und wird sogar noch wie eine Tugend belohnt!«

Thelidens Kleinod hatte nur geschwiegen, um Atem zu schöpfen. Jetzt fuhr es fort: »So war ich dem Feinde auf Gnade und Ungnade ergeben. Ein Dragoner-Regiment war bereit, auf uns einzudringen. Thelis schien darüber in Verzweiflung und wünschte doch nichts sehnlicher als das. Aber die Schönheit der Beute streute Zwietracht unter die Räuber. Man zog die Schwerter, und dreißig bis vierzig Menschen wurden im Augenblick umgebracht. Der Befehlshaber vernahm das Getümmel, eilte herzu, besänftigte die Wütenden und wies uns zu unsrer Sicherheit ein Zelt an, wo wir uns kaum umsehen konnten, als er schon hereintrat, den Lohn seines Dienstes zu fordern. Die Überwundenen sind unglücklich! rief Thelis, und warf sich auf ein Bett, wo sie die ganze Nacht hindurch ihr Unglück empfand.

Am Tage darauf waren wir am Ufer des Niger. Ein Schiff erwartete dort meine Gebieterin und mich, damit wir dem Kaiser von Benin vorgestellt würden. Die Fahrt dauerte vierundzwanzig Stunden. Der Schiffskapitän bot Thelis seinen Beistand an, ward zugelassen, und ich machte die Erfahrung, daß der Seedienst unendlich rascher geht als der Landdienst.

Wir kamen vor den Kaiser von Benin. Er war jung, feurig und wollüstig. Thelis eroberte auch ihn. Aber die Eroberungen ihres Gemahls jagten ihm Furcht ein. Er bat um Frieden und brachte sich dadurch um drei Provinzen und mein Lösegeld.

Andre Zeiten – andre Sorgen. Sambuco erfuhr, ich weiß nicht wodurch, was an dem Unglück des vorigen Feldzuges schuld gewesen sei. In dem nächstfolgenden gab er mich einem seiner Freunde in Verwahrung, der ein Haupt der Brahminen war. Der Mann Gottes wehrte sich nicht lange; er wich Thelidens Reizen aus, und in weniger als sechs Monaten verschlang ich seine unermeßlichen Einkünfte, drei Teiche und zwei hochstämmige Wälder.«

»Gott steh mir bei!« rief Mangogul. »Drei Teiche und zwei Wälder! Das Kleinod hat eine gesegnete Verdauung.« »Wir können mehr vertragen,« erwiderte das Kleinod. »Es ward Friede, und Thelis begleitete ihren Gemahl auf seiner Gesandtschaft nach Monomotapa. Sie spielte und verlor vielleicht hunderttausend Zechinen an einem Tage, die ich in einer Stunde wiedergewann. Ein Minister, dessen Zeit nicht ganz und gar von den Angelegenheiten seines Herrn ausgefüllt wurde, kam mir unter die Zähne, und ich verzehrte ihm in drei bis vier Monaten ein schönes Landgut, ein Schloß mit allen Möbeln, einen Park und einen Staatswagen mit einem Zuge von sechs Schecken. Eine vier Minuten lange Gunst, gehörig aufgeschoben, erwarb uns Feste, Geld und Geschmeide. Sambuco war entweder blind oder klug und störte uns nicht.

Ich mag hier nicht anführen, wie viel Grafschaften, Rittergüter, Lehnsrechte, Wappenschilder usw. vor mir verschwunden sind. Mein Sekretär kann Ihnen sagen, was daraus geworden ist. Ich habe die Krongüter von Biafara sehr beschnitten und besitze eine ganze Provinz von Beleguanza. Als Erguebzed alt ward, machte er mir den Vorschlag …« – Hier drehte Mangogul seinen Ring zurück und ließ den Strudel verstummen. Aus Ehrfurcht für das Gedächtnis seines Vaters wollte er nichts hören, was den Glanz der großen Eigenschaften, die er an ihm kannte, verdunkeln würde.

Bei der Rückkunft in seinen Harem unterhielt er die Favorite von den Nervenkranken und vom Versuch seines Ringes an Thelis. »Sie schenken dieser Frau Ihren vertraulichen Umgang,« sprach er, »aber wahrscheinlich kennen Sie sie nicht so gut wie ich.« »Ich verstehe Sie, gnädigster Herr,« antwortete die Sultanin. »Ihr Kleinod ist so einfältig gewesen, Ihnen ihre Abenteuer mit dem General Mikokof, den Emir Feridur, dem Senator Marsufa und dem Oberbrahminen Ramadanutio zu beichten. Man weiß überdies, daß sie sich den jungen Alamir hält, und daß es dem alten Sambuco so gut bekannt ist als Ihnen, wenn er gleich dazu schweigt.«

»Sie erraten’s nicht,« erwiderte der Sultan, »ich hab aus ihrem Kleinod alles herausgeholt.« »Hatte es Ihnen etwas weggenommen?« fragte Mirzoza. »Mir nicht,« antwortete der Sultan, »aber meinen Untertanen, den Großen meines Reichs und benachbarten Fürsten: ihre Länder, Provinzen, Schlösser, Teiche, Wälder, Edelsteine und Staatswagen mit sechs Schecken.« – »Und obendrein ihren guten Namen und ihre Tugenden,« setzte Mirzoza hinzu. »Ich weiß nicht, welchen Vorteil Ihnen Ihr Ring bringen wird, aber mit jedem neuen Versuch desselben wird mir mein Geschlecht verhaßter: die selbst nicht ausgenommen, denen ich Achtung schuldig zu sein glaubte. Ich bin gegen sie so aufgebracht, daß ich selbst Ihre Hoheit bitte, mich einige Augenblicke allein zu lassen.« Mangogul wußte, daß der Favorite jeder Zwang zuwider sei, küßte dreimal ihr rechtes Ohr und verließ sie.

Mangogul war ungeduldig, die Favorite wiederzusehn, schlief wenig, stand früher als gewöhnlich auf und war bei ihr, da es eben Tag ward. Sie hatte schon geschellt, man zog ihre Vorhänge auf, und ihre Zofen wollten sie gerade aus dem Bette nehmen. Der Sultan gab auf alles genau acht, und da er kein Schoßhündchen um sie erblickte, fragte er sie nach der Ursache dieser Sonderbarkeit. »Halten Sie mich deswegen für sonderbar?« fragte Mirzoza. »Ich sehe doch,« erwiderte der Sultan, »daß alle übrigen Damen meines Hofes Schoßhündchen um sich haben. Sie würden mir also einen Gefallen tun, wenn Sie mich belehren wollten, warum sich jene Schoßhündchen zulegen, oder warum Sie keinen leiden? Die meisten haben sogar mehr als eins, und jede verschwendet Liebkosungen an das ihrige, die sie ihrem Liebhaber selbst kaum zu verstatten scheint. Wodurch verdienen diese Tiere den Vorzug? Was tut man mit ihnen?«

Mirzoza wußte keine Antwort auf diese Fragen. »Mein Gott,« sagte sie, »man hält sich eben ein Hündchen, so gut wie einen Papagei oder Kanarienvogel. Vielleicht ist es lächerlich, sich an Tiere zu gewöhnen; aber es kann niemand befremden, daß man sie besitzt. Sie unterhalten zuweilen und schaden niemals. Liebkost man sie, so hat das weiter keine Folgen. Glauben Sie denn übrigens, gnädigster Herr, ein Liebhaber begnügte sich mit einem solchen Kuß, wie ihn seine Dame ihrem Möpschen gibt?« »Allerdings glaub ich das,« sagte der Sultan. »Er müßte wahrhaftig sehr begehrlich sein, wenn ihm der nicht genug wäre.«

Eine der Kammerfrauen Mirzozens, die durch ihre Sanftmut, Geschicklichkeit und Treue die Gunst des Sultans und der Favorite gewonnen hatte, nahm das Wort: »Diese Tiere sind lästig und schmutzig. Sie beflecken die Kleider, verderben die Stühle, zerreißen die Spitzen und richten in einer Viertelstunde mehr Unheil an, als erforderlich wäre, unsere allergetreueste Kammerfrau in Ungnade fallen zu lassen. Dennoch werden sie beibehalten.«

»Obschon sie nach der gnädigen Frau zu weiter nichts gut sind,« setzte der Sultan hinzu.

»Fürst,« antwortete Mirzoza, »wir legen eben auf unsre Grillen Wert. Ein Möpschen um sich haben, muß wohl auch so eine Grille sein wie viele andre, die diesen Namen nicht mehr verdienen würden, wenn wir uns Rechenschaft darüber geben könnten. Mit der Herrlichkeit der Affen ist’s vorbei, die Papageien halten sich noch. Die Hunde waren ganz abgekommen, jetzt kommen sie wieder in Aufnahme. Haben doch auch die Eichhörnchen ihre Zeit gehabt. Das ist Modesache. Mit den Tieren geht’s, wie es der Reihe nach gewesen ist mit dem Italienischen, mit dem Englischen, mit der Geometrie, mit all dem Firlefanz von Stickereien und Falbeln.«

»Mirzoza,« erwiderte der Sultan und schüttelte den Kopf, »weiß zwar viel, aber doch nicht alles. Wenn die Kleinode reden wollten …«

»Ihre Hoheit glauben doch nicht etwa,« sagte die Favorite, »daß uns Harias Kleinod erklären könnte, warum diese Frau den Tod ihres Sohnes, einer Tochter und ihres Gemahls ohne Tränen sah und vierzehn Tage über den Verlust ihres Möpschen trauerte?«

»Warum nicht,« antwortete der Sultan. »Wahrhaftig,« sagte Mirzoza, »wenn unsere Kleinode jede weibliche Grille erklären könnten, so wüßten sie mehr als wir selbst.«

»Wer kann das leugnen?« erwiderte der Sultan. »Auch halt’ ich dafür, daß das Kleinod eine Frau hundert Dinge tun läßt, ohne daß sie es gewahr wird. Ich bemerkte bei mehr als einer Gelegenheit, daß eine, die ihrem Kopfe zu folgen glaubte, nur ihrem Kleinod gehorchte. Ein großer Philosoph suchte den Sitz der Seele, unsrer Seele nämlich, in der Zirbeldrüse. Wenn ich den Weibern eine Seele zugestände, so weiß ich wohl, wohin ich sie versetzte.«

»Ich erlasse Ihnen, mich darüber zu belehren,« meinte Mirzoza hastig.

»So erlauben Sie mir wenigstens,« sprach Mangogul, »Ihnen einige Vermutungen über die Weiber mitzuteilen, auf die, unter der Voraussetzung, daß sie eine Seele haben, mein Ring mich gebracht hat. Die Versuche meines Ringes haben mich zu einem großen Moralisten gemacht. Ich bin nicht so witzig wie La Bruyère, nicht so logisch wie Port-Royal, nicht so reich an Einbildungskraft wie Montaigne, nicht so weise wie Charon, aber ich habe Tatsachen gesammelt, die ihnen vielleicht abgingen.«

»Reden Sie, gnädigster Herr,« antwortete Mirzoza spöttisch, »ich werde ganz Ohr sein. Die moralischen Versuche eines Fürsten von Ihren Jahren müssen etwas sehr Merkwürdiges sein.«

»Guallonorone ist ein Narr mit seinem System, sein Kollege, der berühmte Hiragu, mag sagen, was er will. Doch hat er manchen Einwurf, der ihm gemacht ward, sehr verständig beantwortet. Wenn ich den Weibern eine Seele zugestände, so würd’ ich ihm gern einräumen, daß ihre Kleinode von jeher geredet haben, nur leise, und daß Cucufas Reiz keine andre Wirkung hervorbringt, als eine Verstärkung ihrer Stimme. Unter dieser Voraussetzung wäre nichts so leicht, Euch alle, so viele Ihr seid, nach Eurem Kleinode zu bestimmen:

Die kluge Frau zum Beispiel hat ein stummes Kleinod, oder hört nicht darauf.

Die spröde stellt sich, als ob sie nicht darauf höre.

Die eroberungssüchtige hat ein Kleinod, das zuviel begehrt, und dem sie zuviel gewährt.

Die wollüstige hört gern auf ihr Kleinod.

Die verbuhlte hat ein Kleinod, das stets verlangt und dem nichts abgeschlagen wird.

Die Gefallsüchtige hat ein stummes Kleinod, oder hört nicht darauf; gibt aber jedem Manne, der sich ihr naht, die Hoffnung, ihr Kleinod werde endlich reden, und sie werde nicht immer taub bleiben.«

»Nun Wonne meines Lebens, was denken Sie von meinen Erläuterungen?«

»Ich denke,« antwortete die Favorite, »Ihre Hoheit vergessen die zärtliche Frau.«

»Ich erwähne ihrer nicht,« antwortete der Sultan, »weil ich noch nicht recht weiß, wie es um sie steht. Kluge Leute behaupten ohnedem, das Wort zärtlich habe keinen Sinn, wenn es sich gar nicht auf das Kleinod bezieht.« »Keinen Sinn?« rief Mirzoza. »Es gibt also gar keine Mittelstraße. Ein Frauenzimmer kann nichts sein, als nur spröde, eroberungssüchtig, gefallsüchtig, wollüstig oder ausschweifend?«

»Wonne meines Lebens,« sagte der Sultan, »ich gestehe Ihnen gerne, daß meine Rangliste unvollständig ist. Ich will die zärtliche Frau den vorher genannten Merkmalen hinzufügen, aber unter der Bedingung, daß Sie mir eine Erklärung von ihr geben, die unter den meinigen nicht schon mit inbegriffen war.«

»Sehr gern,« sagte Mirzoza. »Ich hoffe das zustande zu bringen, ohne Ihr System zu verlassen.«

»Lassen Sie hören,« versetzte Mangogul.

»Nun denn,« erwiderte die Favorite, »die zärtliche Frau ist die ….«

»Nur Mut, Mirzoza!« rief der Sultan.»O! verwirren Sie mich nicht, wenn ich bitten darf. Die zärtliche Frau ist die …, die geliebt hat, ohne daß ihr Kleinod sprach, – oder deren Kleinod immer nur für den einzigen Mann sprach, den sie liebte!«

Es wäre nicht artig vom Sultan gewesen, die Favorite zu ärgern und zu fragen, was sie unter lieben verstehe; daher tat er es nicht. Mirzoza hielt sein Schweigen für ein Eingeständnis und, stolz darauf, sich mit soviel Anstand aus einer schwierigen Lage gezogen zu haben, sprach sie: »Ihr Männer glaubt immer, weil wir von Beweisführung nichts wissen wollen, so vermöchten wir auch nicht zu denken. Lernt endlich einmal, daß wir eben so leicht das Falsche an Euren Paradoxen herausfänden, als Ihr die Schwäche unsrer Gründe, wenn wir uns nur die Mühe geben wollten. Läge Eurer Hoheit nicht jetzt so viel daran, Ihre Neugier über die Schoßhündchen zu befriedigen, so gäb ich Ihnen vielleicht meinerseits eine kleine Probe meiner Philosophie. Aber ich schenke sie Ihnen darum nicht; ich spare sie für einen andern Tag, wenn Sie mir etwas länger zuhören wollen.«

Mangogul antwortete: er wisse auf der Welt nichts Besseres zu tun, als sich die Schätze ihrer Philosophie aufschließen zu lassen. Die Metaphysik einer zweiundzwanzigjährigen Sultanin müsse wenigstens ebenso merkwürdig sein, als die Sittenlehre eines Fürsten von seinen Jahren.

»Aber Mirzoza, die besorgte, dies sei von Mangoguls Seite nur Nachgiebigkeit, erbat eine Frist, um sich vorzubereiten, und gab dadurch dem Sultan einen Vorwand, dahin zu fliegen, wohin ihn seine Ungeduld berufen mochte.«

Mangogul versetzte sich alsbald zu Haria und sprach nach seiner beliebten Gewohnheit mit sich selbst: »diese Frau legt sich nie schlafen ohne ihre vier Hunde. Wenn ein Kleinod etwas von diesen Tieren weiß, so erfahr’ ich es durch das ihrige; denn es ist, Gott sei Dank! bekannt, daß sie ihre Hunde bis zur Anbetung liebt.« Am Ende dieses Selbstgesprächs stand er in Harias Vorzimmer und merkte schon von weitem, die gnädige Frau pflege der Ruhe in ihrer gewöhnlichen Gesellschaft. Sie bestand aus einem Dackelhund, einem kleinen Windspiel und zwei Möpsen. Der Sultan zog seine Schnupftabaksdose hervor, versah sich mit zwei Prisen guten Tunko und näherte sich Haria. Sie schlief noch, aber die Koppel hatte ein feines Ohr, hörte, daß sich etwas rege, fing an zu bellen und erweckte sie. »Stille, stille, Kinderchen,« sagte sie so freundlich, daß man unmöglich glauben konnte, sie rede mit ihren Tieren, »schlaft doch, schlaft doch noch und stört mich und euch nicht in unsrer Ruhe.«

Einst war Haria jung und artig. Es fehlte ihr nicht an Liebhabern ihres Standes, aber sie verschwanden schneller noch als ihre Reize. Um sich über diese Verlassenheit zu trösten, verfiel sie in eine Art seltsamen Prunkes und hatte die wohlgewachsensten Lakaien in Banza. Sie ward immer älter, die Jahre zwangen sie zur Einschränkung, sie begnügte sich mit vier Hunden und zwei Brahminen und ward ein Muster der Erbaulichkeiten. In der Tat fand die giftigste Satire nichts an ihr herumzubeißen, und Haria genoß seit zehn Jahren ungestört des hohen Rufes ihrer Tugend und ihrer Tiere. Man kannte sogar ihre ausgesprochene Zärtlichkeit für die Schoßhündchen, so daß man die Brahminen nicht mehr in Verdacht hatte, teil daran zu nehmen.

Haria wiederholte ihre Bitte an die Tiere, und sie waren so gefällig, zu gehorchen. Darauf drehte Mangogul an seinem Ring, und das bejahrte Kleinod begann sein letztes Abenteuer zu erzählen. Die vorhergehenden hatten sich vor so undenklicher Zeit zugetragen, daß es sich derselben kaum erinnerte. »Geh weg, Medoro,« sprach es mit heiserer Stimme, »du tust mir weh. Lisette gefällt mir viel besser, sie ist ungleich sanfter.« Medoro kannte die Stimme des Kleinods nicht und fuhr immer fort. Aber Haria erwachte und fuhr fort: »Nun, so geh doch, kleiner Schelm, ich kann vor dir nicht schlafen. Das ist wohl zuweilen gut, aber was zuviel ist, ist zuviel.« Medoro ging fort, Lisette legte sich an seine Stelle, und Haria schlief wieder ein.

Mangogul hatte die Wirkung seines Ringes aufgehoben, jetzt drehte er ihn wieder, und das wohlbetagte Kleinod holte mit einem tiefen Seufzer aus und fing an zu faseln: »Warum mußte doch die große Windhündin sterben, es war ein so gutes Geschöpf, so einschmeichelnd, so liebkosend. Lauter Leben und Feuer! Ihr seid unvernünftiges Vieh gegen sie. Der garstige Mensch hat sie umgebracht. Denk’ ich an die arme Zinzoline, so treten mir die Tränen in die Augen. Ich glaubte, meine Gebieterin hätte den Tod davon. Sie aß und trank nicht zwei Tage lang, der Kopf schwirrte ihr nur so. Stellen Sie sich vor, wie traurig sie war! Ihr Beichtvater, ihre Freunde, selbst ihre Hunde durften ihr nicht nahe kommen. Sie befahl ihren Kammerfrauen, den gnädigen Herrn nicht vorzulassen, wenn sie nicht um ihren Dienst kommen wollten.« »Das Ungeheuer hat mir meine teure Zinzoline geraubt!« rief sie, »er komme mir nicht vor die Augen! ich will ihn nie wieder sehn!«

Mangogul ward neugierig, Zinzolinens Sterbegeschichte zu erfahren, belebte die elektrische Kraft seines Ringes, indem er ihn gegen die Schöße seines Rocks rieb und auf Haria richtete, und das Kleinod begann von neuem: »Haria, Romedios Witwe, verliebte sich in Sindor. Dieser, ein junger Mensch von Stande, aber arm, besaß ein Verdienst, das den Weibern gefällt, und war nach den Schoßhündchen Harias vorherrschende Leidenschaft. Sindor verabscheute Harias Alter und Hunde, aber seine Dürftigkeit machte ihn nachgiebig. Zwanzigtausend Taler Einkünfte ließen in seinen Augen die Runzeln seiner Liebhaberin und die Unbequemlichkeit ihres Schoßhündchen verschwinden; sie ward seine Frau.

Er hatte sich geschmeichelt, durch seine Talente und Gefälligkeiten unsern Tieren den Rang abzulaufen und sie gleich beim Anfange seiner Regierung in Mißgunst zu bringen, aber er täuschte sich. Nach einigen Monaten, während deren er sich um uns verdient gemacht zu haben glaubte, ließ er sich beikommen, der gnädigen Frau vorzustellen, ihre Hunde wären im Bett keine so gute Gesellschaft für ihn, als für sie; mehr als drei Hunde zu halten, sei lächerlich; und man mache aus dem ehelichen Lager einen Hundestall, wenn man mehr als einen der Reihe nach darin zulasse.«

»Ich rate Ihnen,« antwortete Haria mit erhobener Stimme, »solche Reden nicht ferner zu führen. Was untersteht sich so ein elender Gaskognischer Landjunker, den ich aus einem Loch gerissen habe, das meinen Hunden nicht gut genug wäre, hier den Zartfühligen zu spielen? Man besprengte dem jungen Herrn wohl die Bettücher mit Wohlgerüchen, als er in der möblierten Stube wohnte? Lern’ er ein für allemal, daß meine Hunde viel früher als er in meinem Bette geschlafen haben, und daß er sich herausscheren mag, oder sich gefallen lassen muß, es mit ihnen zu teilen.«

Die Erklärung war deutlich, und unsre Hunde behaupteten ihren Posten. Aber eine Nacht, als wir alle schliefen, kehrte Sindor sich um und stieß unglücklicher Weise Zinzolinen mit dem Fuß. Das Windhündchen war solche Begegnung nicht gewohnt und biß ihn in die Waden. Die gnädige Frau erwachte über Sindors Geheul. »Was fehlt dem Herrn?« fragte sie. »Will ihn jemand an die Kehle? Träumt er?« – »Ihre Hunde, gnädige Frau,« antwortete Sindor, »fressen mich bei lebendigem Leibe auf; Ihre Windhündin hat mir eben ein Stück Wade weggebissen.« »Ist das alles?« sagte Haria und legte sich wieder auf die Seite, »Sie machen recht viel Lärmens um nichts.«

Sindor verdroß die Rede, er stieg aus dem Bette und schwor, keinen Fuß mehr hineinzusetzen, solange die Koppel darin bliebe. Er bot gemeinschaftliche Freunde auf, die Verbannung der Hunde zu bewirken. Aber allen mißriet die wichtige Unterhandlung. Haria antwortete ihnen, Sindor sei ein Windbeutel, den sie aus einer Dachstube erlöst habe, wo er bei Ratzen und Mäusen wohnte. Es zieme sich nicht für ihn, so anspruchsvoll zu sein. Er schlafe die ganze Nacht. Sie liebe ihre Hunde. Die vertrieben ihr die Zeit. Von Kindheit auf habe sie an ihren Liebkosungen Geschmack gefunden und sei entschlossen, sich erst im Tode von ihnen zu trennen. »Sagen Sie ihm noch,« fuhr sie gegen die Vermittler fort, »wenn er sich meinem Willen nicht unterwirft, so werde er das sein ganzes Leben lang bereuen; ich widerrufe die Schenkung, die ich ihm gemacht habe, und füge sie den Summen bei, die mein letzter Wille der Nahrung und dem Unterhalt meiner Kinderchen aussetzt.«

»Unter uns,« bemerkte das Kleinod, »Sindor war wohl ein ganzer Tropf, als er hoffte, man werde für ihn tun, was zwanzig Liebhaber, ein Gewissensrat, ein Beichtvater und eine ganze Litanei von Brahminen nicht hatten erlangen können, die alle bald mit ihrem Latein zu Ende waren. Sooft indessen Sindor unseren Tieren begegnete, wandelte ihn eine Ungeduld an, die er kaum zurückzuhalten vermochte. Eines Tages fiel ihm die unglückliche Zinzoline in die Hände. Er packte sie am Halse und schleuderte sie aus dem Fenster. Das arme Vieh starb an seinem Fall. Da ward ein schönes Lärmen. Haria stieg das Blut zu Gesicht; ihre Augen schwammen in Tränen …« Das Kleinod wollte noch einmal sagen, was es schon gesagt hatte, denn Kleinode lieben die Wiederholungen sehr, aber Mangogul schnitt ihm das Wort ab. Doch dauerte sein Schweigen nicht lange. Als der Fürst glaubte, das faselnde Kleinod von seinen Tautologien abgebracht zu haben, gab er ihm die Freiheit der Sprache wieder. Da brach die Plaudertasche in ein Gelächter aus und erinnerte sich uralter Zeiten: »Da fällt mir ein, ich habe Ihnen noch nicht erzählt, wie Haria ihre erste Hochzeitsnacht feierte. Ich sah viel lächerliche Auftritte in meinem Leben, aber niemals so einen. Nach einem festlichen Mahl führte man die Eheleute in das Schlafzimmer. Alle Gäste zogen sich zurück, der gnädigen Frau Kammerfrauen ausgenommen, die sie entkleideten. Sie war entkleidet. Man legte sie ins Bett, Sindor blieb allein bei ihr. Da bemerkte er, daß die Wachtelhunde, die Möpse, die Windhunde geschwinder waren als er und sich seiner Gemahlin bemächtigten.« Drum sagte er: »Erlauben Sie mir, gnädige Frau, daß ich meine Nebenbuhler ein wenig beiseite räume?« »Tun Sie, was Sie vermögen, mein Schatz,« antwortete Haria, »ich habe nicht das Herz, sie wegzujagen. Die kleinen Tierchen hängen an mir, und ich habe seit geraumer Zeit keine andre Gesellschaft.« »Vielleicht sind sie so höflich,« erwiderte Sindor, »mir heute den Platz abzutreten, den ich einnehmen soll …« »Da sehn Sie zu, mein Herz,« antwortete Haria.

»Sindor versuchte zuerst den Weg der Güte und bat Zinzolinen, sich in eine Ecke zu verfügen. Aber das ungelehrige Tier fing an zu knurren; der übrige Teil der Truppe wurde gleichfalls unruhig, und der Mops und die Wachtelhunde bellten, als ob jemand ihrer Gebieterin an die Gurgel wollte. Sindor war über dieses Gekläff ungeduldig, ließ den Mops einen Purzelbaum schießen, schob einen der Schoßhunde zurück und griff Medoro an die Pfote. Medoro, der getreue Medoro, sah sich von seinen Bundesgenossen verlassen, versuchte aber diesen Verlust durch eine vorteilhafte Stellung zu ersetzen. Er stand zwischen den Lenden seiner Gebieterin, seine Augen funkelten, die Haare sträubten sich ihm, er sperrte das Maul auf, kräuselte die Schnauze und zeigte dem Feinde zwei Reihen spitzer Zähne. Sindor wagte mehr als einen Angriff, und mehr als einmal schlug ihn Medoro mit blutigen Händen und zerrissenen Handkrausen zurück. Länger als eine Viertelstunde hatte das Treffen mit einer Hartnäckigkeit gewütet, an der nur Haria Vergnügen fand, als Sindor gegen seinen Feind, den er durch Gewalt zu überwinden verzweifeln mußte, eine Kriegslist ersann. Er streckte seine Rechte gegen Medoro. Medoro beobachtete diese Bewegung und ward darüber der Linken nicht gewahr, die ihn am Halse griff. Nun machte er, um sich loszureißen, unerhörte, aber vergebliche Anstrengungen! Er mußte das Schlachtfeld räumen und Haria aufgeben. Sindor hielt seinen Einzug, aber es hatte ihm Blut gekostet. Wahrscheinlich war es bei Haria beschlossen, daß ihre Hochzeitsnacht blutig sein sollte, und die schöne Verteidigung ihrer Tiere betrog sie in ihren Hoffnungen nicht.«

»Das Kleinod,« sagte Mangogul, »schreibt einen besseren Bericht, als mein Sekretär.« Er wußte jetzt, was er von Schoßhündchen denken sollte, und kehrte zur Favorite zurück. »Machen Sie sich,« rief er ihr schon von weitem zu, »auf die tollsten Dinge gefaßt! Das ist schlimmer als Palabriens Affen. Können Sie glauben, daß Hariens vier Hunde Nebenbuhler ihres Mannes gewesen sind, begünstigte Nebenbuhler; daß der Tod eines Windspiels die Eheleute unversöhnlich geschieden hat?«

»Was sagen Sie?« versetzte die Favorite. »Hunde als Nebenbuhler? Davon versteh’ ich kein Wort. Ich weiß, daß Haria ihre Schoßhündchen bis zur Bewußtlosigkeit liebhat. Ich kenne aber auch Sindor als einen heftigen Menschen, der vielleicht nicht alle Höflichkeiten beobachtete, die gewöhnlich Frauen verlangen, denen man sein Glück verdankt. Wie er sich aber auch betragen haben mag, so verstehe ich doch nicht, was ihm Nebenbuhler hat zuziehen können. Haria scheint mir so ehrwürdig, daß ich wohl wünschte, Ihre Hoheit möchten geruhen, sich deutlicher zu erklären.«

»So hören Sie denn,« antwortete Mangogul, »und gestehn Sie mir, daß die Weiber zuweilen, milde gesprochen, wenigstens einen sehr seltsamen Geschmack haben.« Darauf berichtete er ihr Wort für Wort, was Harias Kleinod ausgesagt hatte. Mirzoza mußte über das Treffen der ersten Nacht freilich lachen; doch sprach sie bald wieder ernsthaft: »Ich weiß nicht, welch ein Unwillen willen sich meiner bemeistert. Von nun an verabscheu’ ich diese Tiere und alle, welche sie halten, und erkläre meinen Zofen, daß ich die erste von ihnen verabschiede, die in den Verdacht gerät, einem Hunde ein Stück Brot gegeben zu haben.«

»Wer wird doch seinen Haß so weit erstrecken?« fragte der Sultan. »Müssen denn die Frauenzimmer alles übertreiben? Hunde sind gut auf der Jagd, notwendig auf dem Lande und sonst noch zu mancherlei Gebrauch, ganz zu schweigen davon, wie Haria sie verwendet.«

»Wahrlich,« sprach Mirzoza, »ich fange an zu glauben, es wird Ihrer Hoheit schwerfallen, eine ehrliche Frau zu finden.«

»Habe ich es Ihnen nicht gleich gesagt?« antwortete Mangogul, »aber übereilen wir uns nicht. Sie könnten mir dereinst vorwerfen, ich verdanke Ihrer Ungeduld ein Geständnis, das ich nur den Versuchen meines Ringes schuldig sein will. Gerade jetzt habe ich einen Plan vor, der Sie in Erstaunen setzen soll. Noch sind nicht alle Geheimnisse entschleiert, und die Kleinode, denen meine Untersuchung bevorsteht, sollen mir wichtigere Dinge beichten.«

Mirzoza war immer für das ihrige besorgt. Mangoguls Rede setzte sie in eine Verwirrung, die sie ihm nicht verbergen konnte. Aber der Sultan war durch seinen Eid gebunden und im Grunde seines Herzens ein frommer Mann. Er beruhigte sie, so gut er vermochte, umarmte sie einigemal sehr zärtlich und begab sich in seinen Staatsrat, wohin wichtige Dinge ihn riefen.

Unter Kanoglus und Erguebzeds Regierung war Congo durch blutige Kriege beunruhigt. Beide Monarchen machten sich durch Eroberungen über ihre Nachbarn unsterblich. Die Kaiser von Abex und Angota blickten auf Mangoguls Jugend und auf den Antritt seiner Regierung als auf eine günstige Gelegenheit, die Provinzen wiederzuerlangen, die man ihnen weggenommen hatte. Also bekriegten sie Congo von allen Seiten. Mangoguls Staatsrat war der beste, den es in ganz Afrika gab. Der alte Sambuco und der Emir Mirzala hatten in den vorigen Kriegen gedient. Man stellte sie an die Spitze des Heeres und erfocht Siege über Siege. Feldherren bildeten sich, die imstande waren, sie zu ersetzen. Das ward ein noch wichtigerer Vorteil als die Siege.

Dank der Tätigkeit des Kriegsrats und der guten Führung der Feldherren kam der Feind, der das Reich zu verheeren sich vorgenommen hatte, nicht einmal unsern Grenzen nahe, verteidigte die seinigen schlecht und ließ seine Festen und Provinzen zerstören. Doch trotz so beständiger und glorreicher Siege wurde Congo je größer, desto schwächer. Die häufigen Rekrutenaushebungen entvölkerten Stadt und Land. Die Einkünfte des Staats wurden erschöpft.

Belagerungen und Schlachten hatten viel Menschen weggerafft. Der Großwesir, der wenig sparsam mit dem Blute seiner Soldaten umging, wurde beschuldigt, unnütze Schlachten geschlagen zu haben. Alle Familien waren in Trauer, jede beweinte einen Vater, einen Bruder oder einen Freund. Die Zahl der erschlagenen Offiziere war unermeßlich und nur mit der Zahl der Witwen zu vergleichen, die um ein Gnadengehalt anhielten. Die Kabinette der Minister wurden von ihnen bestürmt. Selbst den Sultan überhäuften sie mit Bittschriften, worin das Verdienst und die Taten der Verstorbenen, der Schmerz der Witwen, die traurige Lage ihrer Kinder und andere herzbrechende Gründe nicht vergessen wurden. Nichts schien gerechter als ihre Forderungen; wo sollte man aber ein Gehalt für sie hernehmen, dessen Ausgabe sich auf Millionen belief?

Die Minister hatten alle guten, zuweilen auch bösen und barschen Worte erschöpft; endlich pflegten sie Rat, wie man dem Dinge abhelfliche Maße verschaffen könne. Aber aus einem vortrefflichen Grunde kam nichts zustande. Man hatte keinen roten Heller. Mangogul war der Ausflüchte seiner Minister und der Klagen der Witwen überdrüssig und fand endlich den Ausweg, den man so lange gesucht hatte. »Ihr Herren,« sprach er in seinem Rat, »mir scheint, ehe wir ein Gnadengehalt zugestehn, müssen wir doch genau untersuchen, ob es auch wirklich verdient ist.« »Die Untersuchung,« antwortete der Groß-Seneschall, »wird kein Ende nehmen und ungeheuer viel Zeit erfordern. Wie sollten wir unterdessen dem Geschrei und der Verfolgung der Weiber entgehn, die Ihrer Hoheit vorzüglich zur Last fällt?« »Das hat nicht so viel Schwierigkeiten, als Sie, Herr Groß-Seneschall, glauben,« erwiderte der Sultan. »Ich verspreche Ihnen, morgen mittag soll alles nach den Gesetzen strengster Billigkeit entschieden sein. Bescheiden Sie sie nur morgen früh um neun Uhr zu mir in Audienz.«

Der Rat war aufgehoben. Der Groß-Seneschall verfügte sich in seine Kanzlei, überlegte alles wohl und entwarf den folgenden Anschlag, der drei Stunden hernach gedruckt, bei Trommelschlag vorgelesen und an alle Gassenecken von Banza geheftet ward.

Auf Seiner Majestät allerhöchsten Spezialbefehl tun wir pleniff. Tit. Tit. Gänseschnabel, Groß-Seneschall von Congo, Wesir mit den drei Schweifen, Caudatarius der großen Manimombanda, Oberbesenkehrer des Diwans, kund und zu wissen allen, so daran gelegen, daß morgen früh um neun Uhr der großmächtigste Sultan allen Witwen der im allerhöchsten Kriegsdienst gebliebenen Offiziere Gehör erteilen werden, um ihre Forderungen zu untersuchen und darauf zu verfügen, was Rechtens. Gegeben in unsrer Seneschallkanzlei, den zwölften des Monden Regeb, 147200000009. Alle Leidtragenden in Congo, und es gab ihrer gar viele, unterließen nicht, den Anschlag zu lesen oder durch ihre Lakaien lesen zu lassen, und sie fanden sich natürlich zur bestimmten Stunde im Vorzimmer des Thronsaales ein. Um aller Unordnung vorzubeugen, befahl der Sultan, sollten nur immer sechs Damen auf einmal eintreten. »Wenn wir sie vernommen haben, öffnet man ihnen die Hintertür, die auf den Schloßhof führt. Gebt wohl acht, ihr Herren, und entscheidet über ihre Forderungen.«

Darauf gab er dem ersten Türsteher ein Zeichen, und die sechs Damen, die der Tür am nächsten standen, wurden eingeführt. Sie waren in lange Trauerkleider gehüllt und beugten sich tief vor Seiner Hoheit. Mangogul wandte sich an die jüngste und hübscheste. Sie hieß Isek. »Haben Sie Madame Ihren Gemahl schon lange verloren?« fragte er. »Vor drei Monaten, Hoheit,« sprach sie mit Tränen. »Er war Ihrer Hoheit Generalleutenant. Er blieb in der letzten Schlacht, mir bleibt nichts von ihm als sechs Kinder« – »Von ihm?« unterbrach sie eine Stimme, die von Isek kam und doch nicht ganz ihren Ton hatte. »Das weiß die gnädige Frau besser, als sie spricht. Alle sechs hat ein junger Brahmine angefangen und vollendet, um sie zu trösten, während ihr Herr im Felde war.«

Man errät leicht, woher die verräterische Stimme kam, die diese Antwort aussprach. Die arme Isek verlor alle Fassung, erblaßte, wankte, fiel in Ohnmacht. »Die Dame hat Nervenkrämpfe,« sprach Mangogul ruhig. »Man bringe sie in ein Zimmer meines Harems und leiste ihr Hülfe.« Darauf wandte er sich an Phenice: »War Ihr Gemahl nicht Pascha, Madame?« – »Ja, gnädigster Herr,« antwortete Phenice zitternd. – »Wie haben Sie ihn verloren?« – »Er starb in seinem Bett, gnädigster Herr, an den Beschwerden des letzten Feldzuges.« – »An den Beschwerden des letzten Feldzuges?« fiel Phenicens Kleinod ein. »Ei, gnädige Frau, Ihr Herr Gemahl kam aus dem Feldzuge gesund und stark zurück. So würd’ er noch leben, wenn nicht zwei oder drei Landstreicher … Sie verstehen mich, sorgen Sie für Ihre eigne Gesundheit.« – »Schreibt, ihr Herren,« sagte der Sultan: »Phenice fordert ein Gnadengehalt für die treuen Dienste, die sie dem Staat und ihrem Gemahl geleistet hat.«

Eine dritte ward um das Alter und den Namen ihres Gatten befragt, von dem es hieß, er sei bei dem Heere an den Blattern gestorben. »An den Blattern?« fragte das Kleinod, »das ist eine schöne Lüge! Sagen Sie lieber, gnädige Frau, an zwei tüchtigen Säbelhieben, die ihm der Sangiac Cavagli versetzte, weil er es übelnahm, daß sein ältester Sohn dem Sangiac so ähnlich sehen sollte, wie ein Ei dem andern. Die gnädige Frau weiß wohl,« setzte das Kleinod hinzu, »daß keine Ähnlichkeit auf der Welt einen besseren Grund hat.«

Die vierte wollte eben reden, ohne daß Mangogul sie befragte, als ihr Kleinod aus der Tiefe heraufrief: sie habe ihre Zeit seit diesem zehnjährigen Kriege wohl angewandt, zwei Edelknaben und ein vierschrötiger Livreebedienter hätten den Platz ihres Mannes vollkommen ausgefüllt; und das Gnadengehalt, um welches sie sich bewerbe, sei zweifelsohne bestimmt, einen Sänger aus der komischen Oper zu besolden.

Die fünfte trat unerschrocken hervor und forderte mit dreister Stimme den Lohn für die Dienste ihres seligen Manns, der als Janitscharenaga unter den Wällen von Mantanas sein Leben eingebüßt hatte. Der Sultan drehte seinen Ring gegen sie, aber umsonst. Ihr Kleinod blieb stumm. »Sie war aber auch,« sagt mein gelehrter Afrikaner, der sie gesehen hatte, »so grundhäßlich, daß es ein großes Wunder gewesen wäre, wenn ihr Kleinod etwas zu sagen gehabt hätte.«

Mangogul war bei der sechsten, und dies sind die ausdrücklichen Worte ihres Kleinods: »Wahrhaftig,« sprach es, »die gnädige Frau, die nämlich, deren Kleinod so hartnäckig geschwiegen hatte, mag sich’s wohl einfallen lassen, um ein Gnadengehalt einzukommen, da sie vom Spiel lebt, da sie eine Pharaobank bei sich gestattet, die ihr mehr als dreitausend Zechinen jährlich einträgt, da sie auf Kosten der Spieler kleine vertrauliche Abendgesellschaften in ihrem Hause veranstaltet. Sechshundert Zechinen hat ihr Osman bezahlt, um auch mich dahin zu locken, und als ich einmal da war, ergriff der Verräter …«

»Man wird Ihren Forderungen Gerechtigkeit widerfahren lassen, meine Damen,« sagte der Sultan. »Sie können jetzt hinausgehn.« Dann wandte er sich zu seinen Räten und fragte sie, ob sie es nicht lächerlich finden würden, wenn man eine Menge kleiner Bastarde von Brahminen und andern Gnadengehalte aussetzte und Frauen, die sich nur damit beschäftigt hätten, den tapfern Männern Schande zu machen, die auf Kosten ihres Lebens, in seinem Dienste nach Ehre strebten?

Der Seneschall stand auf, antwortete, perorierte, resümierte und meditierte recht dunkel, ohne daß ihn jemand verstand. Derweilen er redete, hatte sich Isek von ihrer Ohnmacht erholt, wütete über ihren Unfall, erwartete kein Gnadengehalt für sich und wäre verzweifelt gewesen, wenn es einer andern zuteil werden würde, wie es sehr wahrscheinlich geschehen mußte; also ging sie wieder in das Vorzimmer und flüsterte zweien oder dreien Freundinnen zu: man habe sie nur herberufen, um ihre Kleinode nach Herzenslust plaudern zu hören, sie selbst sei im Audienzsaal dabei gewesen, als eines schreckliche Dinge ausgesagt habe; Gott solle sie doch bewahren, es zu nennen, aber man müsse wohl nicht gescheit sein, um sich der nämlichen Gefahr aussetzen zu wollen. Die Nachricht schlich von Ohr zu Ohr und zerstreute die Menge der Witwen. Als der Türsteher die Tür zum zweitenmal öffnete, fand er niemand mehr davor. »Nun, Seneschall?« sagte Mangogul, als er dieses allgemeine Ausreißen erfuhr, und klopfte dem ehrlichen Mann auf die Schulter, »werden Sie mir ein andermal glauben? Ich versprach, Ihnen die Klageweiber vom Halse zu schaffen, da sind Sie sie los. Dennoch waren Sie sehr beharrlich, Ihnen aufzuwarten trotz Ihrer fünfundneunzig Jahre. Aber was Sie auch für Ansprüche haben mögen, denn ich weiß, daß Ihnen dergleichen gegen diese Damen nicht schwerfällt, so hoffe ich doch, Sie werden mir Dank wissen, daß ich sie fortschickte. Die Last war am Ende größer als das Vergnügen.«

Der gelehrte Afrikaner berichtet, das Andenken an diesen Versuch habe sich in Congo erhalten; und darum gehe die dortige Regierung so schwer daran, ein Gnadengehalt zu erteilen. Aber das war nicht die einzige gute Wirkung von Cucufas Ring, wie wir im folgenden Abschnitt sehn werden.

Notzüchtigung wurde in Congo sehr strenge bestraft. Unter Mangogul trug sich ein sehr berühmter Fall solcher Art zu. Der Fürst hatte, wie alle seine Vorgänger, bei der Thronbesteigung geschworen, diesem Verbrechen keine Gnade widerfahren zu lassen; aber die Strenge der Gesetze hält diejenigen nicht zurück, die einen großen Bewegungsgrund haben, sie zu übertreten. Der Schuldige ward verurteilt, den Teil seines Leibes zu verlieren, durch den er gesündigt hatte. An dieser grausamen Operation starb er gemeiniglich.

Kersael, ein junger Mann von Stande, schmachtete seit sechs Monaten in einem Kerker in Erwartung dieser Strafe. Fatme, eine junge hübsche Frau, war seine Lukretia und Anklägerin. Sie standen einst sehr gut miteinander, das wußte jedermann, Fatmes nachsichtiger Gemahl hatte nichts dawider. So würde es auch dem Publikum wenig geziemt haben, sich um ihre Angelegenheiten zu bekümmern.

Nach zwei Jahren ruhigen Verkehrs befreundete sich Kersael, entweder aus Unbestand oder aus Überdruß, mit einer Operntänzerin zu Banza und vernachlässigte Fatme, ohne doch offenkundig mit ihr zu brechen. Er wollte sich mit Anstand zurückziehen, darum mußte er ihr Haus noch besuchen. Fatme wütete über diesen Abschied, sann auf Rache und benutzte diesen Rest seiner Anhänglichkeit zum Verderben des Ungetreuen.

Eines Tages ließ sie der gefällige Ehemann allein beisammen. Kersael hatte sein Schwert abgelegt und suchte Fatmens Argwohn durch jene Beteuerungen zu beschwichtigen, die dem Liebhaber zwar nichts kosteten, aber auch die Leichtgläubigkeit einer Frau nicht hintergehn, deren Verdacht einmal erwacht ist. Ihre Augen blickten wild, mit fünf oder sechs Handgriffen brachte sie ihren Anzug in Unordnung, stieß ein fürchterliches Geschrei aus, rief Gemahl und Bediente zu Hilfe. Sie liefen herbei und wurden Zeugen der Gewalttätigkeit, die Fatme von Kersael erlitten haben wollte. Sie zeigte auf sein Schwert: »Zehnmal,« sagte sie, »hat er es gegen mich gezückt, um mich seinen Begierden zu unterwerfen.« Der junge Mann war über die Bosheit der Anklage so sprachlos, daß er weder Kraft hatte, zu antworten noch zu fliehn. Man ergriff ihn, er ward ins Gefängnis geführt und der verfolgenden Gerechtigkeit des Cadilesker überlassen.

Die Gesetze befahlen, Fatme müsse besichtigt werden. Sie ward es also, und die Aussage der Hebammen war dem Beklagten sehr ungünstig. Sie hatten ihre Vorschrift, wie eine genotzüchtigte Frau aussehen müsse, und alle nötigen Anzeichen stimmten gegen Kersael zusammen. Die Richter befragten ihn, Fatme ward ihm gegenübergestellt, man vernahm Zeugen. Freilich bestand er auf seiner Unschuld, leugnete die Tat und versuchte durch seinen zweijährigen Umgang mit der Klägerin nachzuweisen, daß dies keine Frau sei, der man Gewalt antun brauche. Den Umstand mit dem Schwert, ferner, daß er allein bei ihr gewesen, Fatmes Geschrei, Kersaels Verwirrung, da er den Gemahl und die Bedienten erblickte: alles dieses bestärkte die Richter in ihrem Verdacht, daß Notzucht vorläge. Fatme ihrerseits war weit entfernt, Gunstbezeigungen einzugestehn, und wollte nicht einmal einen Schimmer von Hoffnung gegeben haben. Sie behauptete, die hartnäckige Anhänglichkeit an ihre Pflicht, der sie nie das mindeste vergeben, habe Kersael ohne Zweifel dahin gebracht, ihr das gewaltsam zu entreißen, was er durch Verführung zu erhalten verzweifeln wußte; die Aussage der Matronen war gleichfalls ein schreckliches Aktenstück. Man durfte sie nur durchlesen und mit den Verfügungen des Strafgesetzbuches zusammenhalten, um das Verdammungsurteil des unglücklichen Kersael darin zu finden. Weder seine Verteidigung, noch der Einfluß seiner Familie ließen ihn Erbarmung hoffen, und die Obrigkeit hatte das Endurteil seines Rechtshandels auf den dreizehnten des Monats Regeb festgesetzt. Man hatte es sogar dem Volke, wie gewöhnlich, mit Trommelschlag angekündigt.

Man sprach viel über diese Begebenheit, die Meinungen waren lange darüber geteilt. Einige alte Vetteln, die keine Notzüchtigung jemals zu befürchten hatten, schrien, Kersaels Frevel sei unverzeihlich. Wenn man da nicht ein strenges Beispiel gebe, so werde die Unschuld nie mehr sicher sein, und eine ehrliche Frau laufe Gefahr, sogar noch an den Füßen des Altars beschimpft zu werden. Dann zählten sie Fälle auf, wo unverschämte Jünglinge die Tugend achtungswürdiger Damen anzugreifen gewagt hätten. Aus den näheren Umständen ersah man, sie selbst wären zweifelsohne die achtungswürdigen Damen, von denen sie sprachen. Alle diese Reden führten Betschwestern, so sittsam wie Fatme, mit Brahminen, die weniger unschuldig waren als Kersael: das nannten sie eine erbauliche Unterhaltung.

Hingegen die Stutzer, und sogar einige Stutzerinnen, waren der Ansicht, Notzucht sei ein Hirngespinst. Man ergebe sich immer nur unter gewissen Bedingungen, und wenn ein Platz noch so schlecht verteidigt werde, so sei es ganz unmöglich, ihn mit Gewalt zu erobern. Beispiele unterstützten diese Grundsätze. Die Weiber wußten so viele solche Beispiele, die Stutzer erfanden sie, und man führte unzählige Frauen an, die nicht vergewaltigt worden wären. »Armer Kersael!« rief man. »Was Teufel fiel ihm ein, sich in die kleine Bimbreloque zu vergaffen?« so hieß die Tänzerin. »Warum blieb er Fatme nicht treu? Sie standen so gut miteinander, und der Mann ließ sie ihres Weges gehen, daß es eine wahre Freude war.« »Die Hexen, die Hebammen,« setzte man hinzu, »haben ihre Brillen schief aufgesetzt und nicht die Bohne gesehen. Denn wer vermöchte dort klar zu sehen? Und die Herren Senatoren wollen ihm seiner Freude berauben, weil er eine offne Tür eingerannt hat. Es wird dem armen Jungen das Leben kosten. Daran ist kein Zweifel. Wozu wird von nun ein mißvergnügtes Weib nicht berechtigt sein?« »Findet die Operation statt,« setzte ein andrer hinzu, »so werd’ ich Freimaurer!«

Der Sultan spottete über Kersaels künftigen Zustand. Mirzoza, von Natur mitleidig, stellte ihm vor, daß, wenn auch die Gesetze gegen Kersael sprächen, der gesunde Menschenverstand doch nicht für Fatme sei! »Es ist übrigens unerhört,« fuhr sie fort, »daß eine weise Regierung sich so sehr an den Buchstaben der Gesetze bindet, daß die bloße Aussage einer Klägerin genügt, das Leben eines Bürgers in Gefahr zu bringen. Die Wirklichkeit der Notzüchtigung könne nicht strenge genug bewiesen werden, und Ihre Hoheit müssen gestehn, über diese Tatsache mag Ihr Ring wenigstens ebensogut entscheiden, als Ihre Räte. Es wäre doch sonderbar, wenn sich die Hebammen besser auf diesen Punkt verständen, als die Kleinode selbst. Bis hieher, gnädigster Herr, hat Ihr Ring fast nur dazu gedient, Ihre Neugier zu befriedigen. Sollte der Genius, von dem Sie ihn erhielten, keinen erhabenern Zweck damit gehabt haben? Fürchten Sie etwa, Cucufa zu beleidigen, wenn Sie ihn gebrauchen, die Wahrheit zu entdecken und Ihre Untertanen glücklich zu machen? Versuchen Sie es immer! Sie haben ein unfehlbares Mittel in Händen, Fatme das Geständnis ihres Verbrechens oder den Beweis ihrer Unschuld zu entlocken.« »Sie haben recht,« antwortete Mangogul, »Sie sollen Ihren Willen haben.«

Sogleich machte sich der Sultan auf. Es war die höchste Zeit. Denn dies geschah den zwölften Regeb abends, und am dreizehnten sollte der Senat entscheiden. Fatme hatte sich soeben niedergelegt, ihre Vorhänge standen offen. Ein Nachtlicht warf seinen traurigen Schimmer auf ihr Gesicht. Sie schien dem Sultan schön, obwohl durch heftige Aufregung entstellt. Mitleid und Haß, Kummer und Rache, Unverschämtheit und Scham spiegelten sich in ihren Augen, je nachdem sie in ihrem Herzen wechselten. Sie stieß tiefe Seufzer aus, vergoß Tränen, trocknete sie, weinte von neuem, blieb eine Zeitlang mit gesenktem Haupt und niedergeschlagenen Augen, erhob sie wieder und schaute wütend empor. Was tat Mangogul unterdessen? Er sprach leise zu sich selbst: »Alles dies sind Kennzeichen der Verzweiflung. Ihre alte Zärtlichkeit für Kersael ist in ihrer ganzen Stärke wieder erwacht. Sie sieht nicht mehr die Schande, die er ihr antat, und hat nichts vor Augen, als die Strafe, die ihres Liebhabers wartet.« Mit diesen Worten drehte er den Zauberring gegen Fatme, und ihr Kleinod rief heftig:

»Noch zwölf Stunden, und wir sind gerächt. Der Verräter, der Undankbare muß sterben und sein Blut …« – Fatme erschrak über die sonderbare Bewegung, die in ihr vorging. Die heimliche Stimme ihres Kleinods schreckte sie, sie bedeckte es mit beiden Händen, um ihm die Sprache zu benehmen. Aber die Macht des Ringes fuhr fort zu wirken, das ungelehrige Kleinod stieß jedes Hindernis zurück und sprach weiter: »Ja! wir werden gerächt. O du, der du mich verraten hast, unglücklicher Kersael, stirb! Und Du, die er mir vorgezogen, Bimbreloque, verzweifle! Noch zwölf Stunden. Welch eine lange Zeit? Beflügelt euch, süße Augenblicke, wo ich den Verräter, den ungetreuen Kersael, unter dem Messer der Henker sich verbluten sehen werde! Unglücklicher! Was sag’ ich? Werd’ ich ohne Schauder den Gegenstand meiner innigsten Liebe sterben sehn? Ich soll das verhängnisvolle Messer gezückt sehen? Ach ferne sei von mir der grausame Gedanke. Freilich, er haßt mich, er hat mich verlassen um Bimbreloque. Aber vielleicht wär’ er dereinst … Was sag’ ich vielleicht? Gewiß hätte ihn die Liebe zu mir zurückgeführt. Seine Laune für die kleine Bimbreloque wird vergehen, nicht lange dauern. Früher oder später muß er erkennen, wie ungerecht er war, sie mir vorzuziehen und wie lächerlich, sie zu wählen. Tröste dich Fatme, du sollst Kersael wiedersehen. Ja, du sollst es. Steh auf, eile, fliege, die schreckliche Gefahr abzuwenden, die ihn bedroht. Zitterst du nicht, zu spät zu kommen? Aber wohin soll ich, ich feiges Geschöpf, laufen? Verkündigt mir Kersaels Verachtung nicht, daß er mich auf ewig verlassen hat? Bimbreloque besitzt ihn, für sie sollt’ ich ihn erhalten? Nein, lieber sterb’ er tausendfachen Tod! Lebt er nicht für mich, was kümmert es mich, ob er stirbt? Ja, ich fühl’ es, mein Zorn ist gerecht. Der Undankbare verdient meinen ganzen Haß. Ich kenne keine Reue mehr. Alles tat ich, um ihn zu erhalten, alles tu’ ich, um ihn zu verderben. Noch einen Tag, und meine Rache war verfehlt. Aber sein böser Genius hat ihn mir in dem Augenblicke ausgeliefert, da er mir entrann. Er ist in die Falle gegangen, die ich ihm stellte. Ich hab’ ihn. Die Zusammenkunft, zu der ich dich lockte, war die letzte, die du mir bestimmtest. Du sollst sie sobald nicht vergessen. Wie schlau brachtest du ihn so weit, als du wolltest, Fatme? Wie war deine Unordnung so natürlich? Dein Geschrei, dein Schmerz, deine Tränen, deine Bestürzung, alles, sogar dein Schweigen, verurteilte Kersael. Nichts kann ihn dem Schicksal entreißen, das seiner wartet. Kersael stirbt. Du weinst, Unglückliche? Er liebt eine andre, was liegt dir an seinem Leben?«

Mangogul entsetzte sich vor dieser Rede und drehte den Ring zurück. Fatme erholte sich, er flog zur Sultanin. »Nun, gnädigster Herr?« fragte sie, »was haben Sie gehört? Ist Kersael noch immer schuldig? Und die keusche Fatme …?« »Erlassen Sie mir, bitt’ ich, Ihnen die Greuel zu wiederholen, die ich vernahm. Wie fürchterlich ist ein aufgebrachtes Weib? Wer sollte glauben, daß ein Körper, von den Grazien gebildet, ein Herz verschließen könne, das die Furien verhärteten? Aber die Sonne soll morgen nicht über meinen Staaten untergehn, ohne daß ich sie von einem Ungeheuer befreie, das gefährlicher ist als die, welche meine Wüsten erzeugen!« Sogleich ließ der Sultan den Groß-Seneschall rufen, befahl ihm, Fatme gefangenzunehmen, Kersael in ein Gemach des Serails zu bringen und dem Senat zu verkünden, daß Seine Hoheit sich die Erkenntnis in dieser Sache vorbehalte. Noch in der nämlichen Nacht wurden seine Befehle erfüllt.

Den andern Morgen begab sich der Sultan mit Tagesanbruch, begleitet vom Groß-Seneschall und einem Effendi, in Mirzozas Gemach. Dahin ward Fatme geführt. Die Unglückliche warf sich zu Mangoguls Füßen, gestand ihr Verbrechen mit allen Umständen und beschwor die Favoritin, sich ihrer anzunehmen. Unterdessen war Kersael hereingebracht. Er erwartete den Tod, dennoch erschien er mit derjenigen Zuversicht, die nur die Unschuld geben kann. Einige schlimme Spötter sagten, seine Verzweiflung würde größer gewesen sein, wenn das, was man ihm zu nehmen drohte, sich der Mühe verlohnt hätte. Die Damen wollten gern wissen, ob etwas daran sei. Er verbeugte sich ehrfurchtsvoll vor seinem Herrn. Mangogul winkte ihm, sich aufzurichten, und reichte ihm die Hand. »Du bist unschuldig,« sprach er, »sei frei; danke Brahma für deine Rettung. Um dich wegen der Leiden zu entschädigen, die du erlitten hast, weise ich dir zweitausend Zechinen Gehalt auf meine Schatzkammer an, und die erste erledigte Komturei im Krokodillen-Orden.«

Je mehr Gnadenbezeigungen Kersael erhielt, desto mehr Strafe fiel auf Fatme. Der Groß-Seneschall erkannte auf ihren Tod nach dem Gesetze: Femina ff. de vi C. calumniatrix. Der Sultan war für ewige Gefangenschaft. Mirzoza fand jenes Urteil zu strenge, dieses zu nachsichtig und verdammte Fatmes Kleinod zu Schloß und Riegel. Diese florentinische Erfindung ward ihr öffentlich angelegt auf der Bühne, die zu Kersaels Hinrichtung errichtet war. Von da ward sie in ein Zuchthaus gebracht. Mit ihr die Matronen, die über diesen Handel so weislich entschieden hatten.

Während Mangogul die Kleinode Harias, der Witwen und Fatmes ausfragte, hatte Mirzoza Zeit genug, ihre philosophische Vorlesung zu bereiten. Eines Abends hielt die Mamimonbanda ihre Andacht, es gab weder Spiel noch Gesellschaft bei ihr, und die Favorite war beinahe gewiß, der Sultan werde sie besuchen. Da nahm sie zwei schwarze Unterröcke, legte einen an wie gewöhnlich, hing sich den andern um die Schultern, steckte beide Arme durch die Schlitzen, setzte die Allongen-Perücke von Mangoguls Seneschall auf und die Kappe seines Kaplans. So sah sie einer Fledermaus nicht unähnlich, sie aber hielt das für die Kleidung eines Philosophen.

In diesem Anzuge spazierte sie durch ihre Zimmer hin und her, wie ein Professor des Collège Royal, der auf Hörer wartet. Sie nahm sogar die finstere nachdenkliche Miene eines meditierenden Gelehrten an. Mirzozas erzwungener Ernst hielt nicht lange vor. Der Sultan trat mit einigen seiner Hofleute herein und machte dem neuen Philosophen eine tiefe Verbeugung, dessen Gravität seine Zuhörer um ihre würdige Haltung brachte. Und diese ihrerseits durch ihr lautes Lachen brachten wiederum den Philosophen aus der Fassung. »Gab Ihnen Geist und Gestalt nicht Überlegenheit genug, Madame,« fragte Mangogul, »brauchten Sie noch diese Robe? Auch ohne sie würden Ihre Worte alles Gewicht haben, das Sie nur wünschen könnten.« – »Es scheint mir, gnädigster Herr,« antwortete Mirzoza, »Sie ehren diese Robe sehr wenig. Ein Schüler sollte mehr Achtung für das haben, worin wenigstens die Hälfte des Verdienstes seines Meisters besteht.« – »Ich merke,« erwiderte der Sultan, »Sie besitzen schon den Geist und die Sprache Ihres neuen Standes. Jetzt zweifle ich auch gar nicht mehr, daß Ihre Gelehrsamkeit der Würde Ihres Anzuges entspricht, und erwarte den Beweis davon mit Ungeduld.« – »Sie sollen noch in dieser Minute befriedigt werden,« antwortete Mirzoza und setzte sich mitten auf ein großes Sofa. Der Sultan und die Höflinge nahmen um sie herum Platz, und sie begann:

»Gnädigster Herr, haben die Philosophen von Monoemugi, denen Ihre Erziehung anvertraut war, Ihre Hoheit nie von der Natur der Seele unterhalten?« – »O, sehr oft,« antwortete Mangogul, »aber alle ihre Systeme brachten mir am Ende nur sehr ungewisse Vorstellungen bei; und hätt’ ich nicht ein inneres Gefühl, das mir zuzuflüstern scheint, sie sei ein von der Materie verschiedenes Wesen, so würd’ ich ihr Dasein leugnen oder mit dem Körper für einerlei halten. Wollen Sie es übernehmen, dieses Chaos zu entwirren?«

»Das will ich wohl bleiben lassen,« erwiderte Mirzoza. »Darüber gesteh’ ich nicht mehr zu wissen als Ihre Erzieher. Der einzige Unterschied zwischen Ihnen und mir besteht darin, daß ich das Dasein einer von der Materie unabhängigen Substanz nur vermute, die Sie für erwiesen halten. Wenn aber diese Substanz da ist, so muß sie irgendwo ihren Sitz haben. Haben sie Ihnen nicht auch darüber viel Seltsames vorerzählt?«

»Nein,« sagte Mangogul, »alle stimmten so ziemlich darin überein, daß ihr Wohnsitz der Kopf sei, und diese Meinung schien mir wahrscheinlich. Der Kopf denkt, dichtet, überlegt, urteilt, ordnet, befiehlt; und man hört alle Tage von einem Menschen, der nicht denkt, daß er kein Hirn habe, daß es ihm an Kopf fehle.«

»Das also,« erwiderte die Sultanin, »ist Ihrer langen Studien und Ihrer ganzen Philosophie kurzer Sinn, daß Sie die bloße Vermutung einer Tatsache mit alltäglichen Redensarten zu stützen suchen? Gnädigster Herr, was würden Sie von Ihrem ersten Geographen sagen, wenn er Ihrer Hoheit die Karte Ihrer Staaten vorlegte und Osten mit Westen oder Süden mit Norden vertauschte?«

»Der Irrtum wäre zu grob,« erwiderte Mangogul, »den hat noch kein Geograph begangen.«

»Das mag sein,« versetzte die Favorite, »also waren Ihre Philosophen ungeschickter, als der allerungeschickteste Geograph es sein kann. Sie hatten kein großes Reich aufzunehmen, sie brauchten nicht die Grenzen der vier Weltteile bestimmen, sie sollten nur in sich selbst hinabsteigen und den wahren Sitz ihrer Seele erforschen. Sie aber nennen Osten Westen und Süden Norden. Sie verkünden, daß die Seele im Kopfe sitze, während die meisten Menschen sterben, ohne daß die Seele diesen Aufenthalt genommen hat, da sie immer noch ihren ersten Wohnsitz innehat, nämlich in den Füßen.«

»In den Füßen?« unterbrach sie der Sultan. »Das ist der sonderbarste Gedanke, der mir jemals vorgekommen ist.«

»Jawohl, in den Füßen,« erwiderte Mirzoza; »und diese Meinung, die Ihnen so närrisch dünkt, braucht nur tiefer begründet zu werden, um für vernünftig zu gelten. Gerade umgekehrt verhält es sich mit den Meinungen, die Sie für wahr annehmen, und die man für falsch erkennt, wenn man sie tiefer ergründet. Ihre Hoheit gaben mir eben zu, das Dasein unserer Seele gründe sich nur auf das innere Zeugnis, das sie sich von sich selbst gibt, und ich will Ihnen beweisen, daß alle erdenklichen Gefühle an der Stelle zustande kommen, die ich ihr anweise.«

»Das bin ich begierig zu hören,« sagte Mangogul.

»Ich verlange keine Schonung,« fuhr sie fort. »Ich bitte Sie alle, mir Ihre Bedenken zu äußern. Also, wie gesagt, der erste Wohnsitz der Seele sind die Füße. Dort beginnt ihr Dasein, denn durch die Füße geht sie in den Körper über. Ich berufe mich mit dieser Tatsache auf die Erfahrung und lege vielleicht in diesen meinen weiteren Ausführungen den Grund zu einer Experimental-Metaphysik.

Wir alle erfuhren in unsrer Kindheit, daß die unentwickelte Seele ganze Monate hindurch in einem Zustande des Schlafes verweilt. Unsre Augen öffnen sich, ohne zu sehn, unser Mund, ohne zu reden, unsre Ohren, ohne zu hören. Die Seele regt sich und erwacht an einer ganz andern Stelle. Ihre ersten Kräfte zeigen sich an andern Gliedern. Durch die Füße verkündigt das Kind seine Ausbildung. Leib, Kopf und Füße ruhn unbeweglich im Schoß der Mutter. Aber seine Füße werden lang und beweglich und offenbaren sein Dasein, vielleicht seine Bedürfnisse. Rückt die Stunde der Geburt heran, was würde aus Kopf, Leib und Armen werden? Sie blieben ewig in ihrem Gefängnisse, wenn die Füße ihnen nicht zu Hülfe kämen. Hier spielen die Füße die Hauptrolle und treiben den übrigen Leib hinaus. Dies ist die Ordnung der Natur, und will irgendwo ein andres Glied befehlen, tritt zum Beispiel der Kopf an die Stelle der Füße, so geht alles verkehrt, und Gott weiß, was dann zuweilen aus der Mutter und dem Kinde wird.

Ist das Kind geboren, so bewegen sich wiederum an ihm vorzüglich die Füße. Man wird genötigt, sie zur Ruhe zu bringen, und dabei bezeigen sie sich immer etwas widerspenstig. Der Kopf ist ein Klotz. Aus ihm macht man, was man will. Aber die Füße fühlen, schütteln das Joch ab und scheinen die Freiheit verteidigen zu wollen, die man ihnen raubt.

Kann das Kind endlich stehn, so strengen die Füße sich auf tausenderlei Art an, um sich fortzubewegen. Sie setzen alles in Tätigkeit. Sie befehlen den andern Gliedmaßen. Und die gehorsamen Hände stützen sich gegen die Wand und halten sich vor, um einen Fall zu vermeiden und den Fortschritt der Füße zu erleichtern.

Worauf richten sich alle Gedanken eines Kindes, was sind seine Vergnügungen, wenn es sich fest auf den Beinen fühlt und seine Füße die Geschicklichkeit erlangt haben, sich zu bewegen? Es übt sich im Gehen, im Kommen, im Laufen, im Springen, im Hüpfen. Diese Unruhe gefällt uns, wir halten sie für ein Zeichen des Verstandes und erklären ein Kind für einfältig, wenn wir es träge und traurig sehn. Wollen Sie ein vierjähriges Kind betrüben, so lassen Sie es eine Viertelstunde lang sitzen, oder halten es zwischen vier Stühlen gefangen. Dann wird es verdrießlich und ärgerlich. Denn Sie berauben damit nicht bloß die Beine ihrer Bewegung, Sie kerkern auch seine Seele ein. Bis ins zweite oder dritte Jahr bleibt die Seele in den Füßen. Im vierten steigt sie in die Beine. Im fünfzehnten kommt sie in die Knie und Lenden. Dann mag man tanzen, fechten, wettrennen und andere heftige Leibesbewegungen gern leiden. Das ist die herschende Leidenschaft aller jungen Leute. Bei einigen steigert sie sich bis zur Raserei. Und die Seele sollte nicht an der Stelle wohnen, wo sie sich fast allein offenbart, wo sie ihre angenehmsten Empfindungen erfährt? Wohnt sie aber in der Jugend an einem andern Ort, als in der Kindheit, warum sollte sie nicht das ganze Leben lang ihren Wohnsitz ändern?«

Mirzoza hatte dieses alles so geschwinde hergesagt, daß sie fast darüber außer Atem gekommen war. Selim, ein Günstling des Sultans, benutzte den Augenblick, wo sie Luft schöpfte, und sprach zu ihr: »Gnädige Frau, ich mache von Ihrer gütigen Erlaubnis, Einwände zu äußern, hiermit höflichst Gebrauch: Ihr System ist geistreich. Sie haben es eben so anmutig als klar vorgetragen. Aber so sehr hat es mich doch nicht verführt, daß ich es für erwiesen annehmen sollte. Mir scheint, man könne Ihnen sagen, daß selbst in der Kindheit der Kopf den Füßen befehle, und daß von dort aus sich die Geister mit Hilfe der Nerven in alle Glieder verbreiten, sie anhalten oder bewegen, nach Willkür der Seele, die auf der Zirbeldrüse sitzt. Gleichermaßen, wie man von der Hohen Pforte die Befehle des Großherrn ausgeben sieht, die alle seine Untertanen in Bewegung setzen.«

»Das kann man freilich,« erwiderte Mirzoza, »aber man würde damit eine sehr dunkle Sache behaupten, auf die ich mit einer Tatsache der Erfahrung antworten möchte: Kein Kind weiß mit Gewißheit, daß sein Kopf denkt, und selbst Sie, edler Herr, so tüchtig der Ihrige auch ist, und obwohl Sie bereits im zartesten Alter für ein Wunder von Verstand galten, entsinnen Sie sich vielleicht, damals gedacht zu haben? Aber dessen können Sie sich wohl versichert halten, daß, als Sie mit Ihren Füßen zur Verzweiflung Ihrer Gouvernanten wie ein kleiner Satan strampelten, eben diese Füße den Kopf regierten.«

»Das beweist gar nichts,« sagte der Sultan. »Selim war lebhaft, wie es tausend Kinder sind. Sie überlegen nicht, aber sie denken. Die Zeit verfliegt, das Gedächtnis verliert sich, sie erinnern sich nicht mehr gedacht zu haben.«

»Aber womit dachten sie?« versetzte Mirzoza. »Das ist die Frage.«

»Mit dem Kopf,« antwortete Selim.

»Gehen Sie mir mit diesem Kopfe, an dem man gar nichts sieht,« erwiderte die Sultanin. »Lassen Sie diese Blendlaterne, die nur für den ein Licht hat, der sie trägt. Hören Sie meine Erfahrung und bekehren Sie sich zur Wahrheit meiner Hypothese. Es ist so ausgemacht, daß die Seele ihre Wanderschaft durch den Körper bei den Füßen beginnt, daß es Männer und Weiber gibt, in denen sie niemals höher stieg. Edler Herr, Sie haben tausendmal Ninis Leichtigkeit und Saligos Sprünge bewundert. Antworten Sie mir offenherzig, glauben Sie, daß diese Geschöpfe ihre Seele anderswo haben als in ihren Beinen? Haben Sie nicht selbst bemerkt, daß Volucers und Zelindors Kopf den Füßen untergeordnet ist? Ein Tänzer hat beständig Lust, auf seine Beine zu sehn. Er tut keinen Schritt, bei welchem nicht das Auge die Spur des Fußes aufmerksam verfolgt. Sein Haupt neigt sich so ehrfurchtsvoll vor seinen Füßen, als die unüberwindlichen Paschas vor Seiner Hoheit.«

»Diese Beobachtung ist richtig,« sagte Selim, »aber sie trifft nicht immer zu.«

»Ich behaupte ja auch nicht,« erwiderte Mirzoza, »daß die Seele immer in den Füßen wohnt. Sie dringt weiter, sie wandert umher, sie verläßt einen Teil, kehrt dahin zurück, verläßt ihn wieder. Aber das behaupt’ ich: alle andern Teile sind dem Teile untergeordnet, den sie bewohnt. Das ändert sich je nach den Jahren, nach dem Temperament des Bluts, nach den Umständen. Daher entsteht die Verschiedenheit des Geschmacks, der Neigungen, der Eigenschaften. Bewundern Sie nicht die Reichhaltigkeit meines Prinzips? Spricht die Menge der Erscheinungen, die es erklärt, nicht für seine Gewißheit?«

»Madame,« antwortete Selim, »wenn Sie die Anwendung auf nur einige machten, so gäbe das uns vielleicht einen Grad von Überzeugung, den wir noch nicht besitzen.«

»Sehr gern,« versetzte Mirzoza, die ihre Überlegenheit zu fühlen anfing. »Sie sollen zufrieden sein. Folgen Sie nur meiner Gedankenreihe. Ich versteife mich nicht auf große Beweisführung. Ich spreche mit dem Herzen. Das ist für uns Frauen Philosophie, und die verstehn Sie beinahe eben so gut wie wir. Es ist sehr wahrscheinlich, daß die Seele bis zum achten oder zehnten Jahre in Füßen und Beinen bleibt. Dann, oder vielleicht etwas später, verläßt sie dies Quartier, entweder aus eignem Antriebe, oder aus Not. Aus Not, wenn ein Lehrmeister gewisse Werkzeuge gebraucht, um sie aus ihrem Heimatlande herauszujagen und in das Gehirn zu treiben, wo sie sich gewöhnlich in Gedächtnis verwandelt und beinahe niemals in Urteilskraft. Das ist der Fall mit Knaben, die zur Schule gehn. Gleicherweise, wenn eine dumme Gouvernante sich abmüht, ein junges Mädchen zu bilden, ihr den Geist mit Kenntnissen vollpfropft und Herz und Sitten vernachlässigt. Dann steigt die Seele schnell zu Kopf, verweilt auf der Zunge oder tritt in die Augen. So wird die Schülerin eine langweilige Schwätzerin oder ein gefallsüchtiges Frauenzimmer. So auch wohnt der Wollüstigen Seele in ihrem Kleinod und weicht nimmer von dannen.

Die Seele der galanten Frau wohnt bald in ihrem Kleinod, bald in ihren Augen.

Die Seele der Zärtlichen ist gewöhnlich in ihrem Herzen, doch zuweilen auch im Kleinod.

Die Seele der Tugendhaften ist bald im Kopf, bald im Herzen und niemals anderswo.

Wohnt die Seele im Herzen, so formt sie die empfindsamen, mitleidigen, wahrheitsliebenden, edelmütigen Charaktere. Verläßt sie das Herz, um nie zurückzukehren, und verbannt sie sich in den Kopf, so wird der Mensch hart, undankbar, betrügerisch und grausam.

Zahlreich ist die Menschenklasse, deren Seele den Kopf nur als Sommerwohnung besucht und nicht lange darin verweilt. Dahin gehören die Stutzer, die Gefallsüchtigen, die Tonkünstler, die Dichter, die Romanschreiber, die Höflinge, und was man hübsche Frauen nennt. Hören Sie diese Leute reden, und Sie werden sogleich erkennen, daß ihre Seele umherirrt, daß sie von jedem verschiedenen Himmelsstriche, den sie durchwanderte, etwas angenommen hat.«

»Wenn dem so ist,« sprach Selim, »so hat die Natur viel Überflüssiges getan. Und doch behaupten unsre Weisen steif und fest, sie habe nichts vergebens hervorgebracht«.

»Lassen wir Ihre Weisen und deren hohe Worte beiseite,« antwortete Mirzoza. »Und was die Natur anbelangt, so wollen wir sie bloß mit den Augen der Erfahrung betrachten, dann werden wir lernen, daß sie die Seele in den Leib des Menschen versetzt, wie in einen geräumigen Palast, dessen schönstes Gemach nicht immer sie bewohnt. Kopf und Herz sind ihr vorzüglich bestimmt als Mittelpunkt der Tugenden und Aufenthalt der Wahrheit. Aber sehr oft bleibt sie unterwegs und bevorzugt einen Keller, einen zweideutigen Ort, eine armselige Herberge, wo sie in immer währenden Rausch einschlummert! Ach! könnte ich die Welt nur vierundzwanzig Stunden lang nach meiner Laune einrichten, so wollt’ ich Ihnen ein seltsames Schauspiel geben. Ich nähme jeder Seele auf einmal alle Teile ihrer Wohnung, die sie nicht braucht, und dann würden Sie den Charakter jeder Person aus dem übrigbleibenden Teile erkennen. Dann beständen die Tänzer nur aus zwei Füßen, bestenfalls aus zwei Beinen, die Sänger aus einer Kehle, die meisten Weiber aus einem Kleinod, die Helden und Fechter aus einer bewaffneten Faust, gewisse Gelehrte aus einem hirnlosen Schädel. Eine Spielerin behielte nichts als zwei Hände, um ihre Karten zu mischen, ein Vielfraß aus zwei beständig kauenden Kinnbacken, eine Gefallsüchtige aus zwei Augen, ein Wüstling aus dem bloßen Werkzeug seiner Begierden, Unwissende und Faulenzer aus gar nichts mehr.«

»Wenn Sie den Weibern freie Hand ließen,« sagte der Sultan, »so würde man den Männern, denen nichts als das Werkzeug ihrer Begierden bliebe, schön nachlaufen. Das gäbe eine feine Jagd, und stellte man diesen Vögeln überall ebensosehr nach als in Congo, so stürbe die Gattung bald aus.«

»Was bliebe aber von den zarten gefühlvollen Seelen, den beständigen treuen Liebenden übrig?« fragte Selim die Favorite.

»Ein Herz,« antwortete Mirzoza, »und ich weiß wohl, wem das meinige zufliegen würde,« sagte sie mit einem zärtlichen Blick auf Mangogul. Der Sultan konnte dieser Rede nicht widerstehn, er verließ seinen Lehnstuhl, um auf die Favorite zuzueilen, die Hofleute verschwanden, und der Lehrstuhl des neuen Philosophen ward der Schauplatz ihrer Freuden. Er bewies ihr zu wiederholten Malen, daß er nicht minder bezaubert sei von ihren Gefühlen, als von ihren Vorlesungen, und der professoralische Anzug geriet dadurch in Unordnung. Mirzoza gab ihrem Frauenzimmer die schwarzen Unterröcke wieder, sandte dem Lord Seneschall seine ungeheure Perücke zurück und dem Herrn Abbé seine viereckige Mütze mit der Versicherung, daß er sich als Kandidat auf der Liste der nächsten Rangerhöhung befände. Wie weit hätte er es nicht gebracht, wenn er ein schöner Geist gewesen wäre! Ein Sitz in der Akademie war die geringste Belohnung, die er erwarten durfte, aber unglücklicherweise wußte er nur zwei- oder dreihundert Worte und hatte es nie so weit gebracht, sich damit auch nur einige Male zu wiederholen.

Mangogul hatte Mirzozens philosophische Vorlesung angehört, ohne ihr zu widersprechen. Darüber war sie erstaunt, da er doch sonst gern widersprach. »Sollte der Sultan mein System von Anfang bis zu Ende annehmen?« sprach sie zu sich selbst. »Nein, das ist nicht wahrscheinlich. Sollte er es zu schlecht befunden haben, um es seiner Bekämpfung zu würdigen? Das könnte eher sein. Zugestanden: meine Gedanken sind wohl nicht die richtigsten, die man bisher gehabt hat; sie sind doch aber auch nicht die falschesten, und ich meine, es mag noch ungereimtere Meinungen geben.«

Um aus diesem Zweifel herauszukommen, entschloß sich die Favorite, Mangogul zu befragen: »Nun, Fürst, was denken Sie von meinem System?« »Es ist bewundernswert,« antwortete der Sultan, »es hat nur einen Fehler.« – »Welcher Fehler wäre das?« – »Es ist falsch, grundfalsch. Waren Ihre Vermutungen richtig, so müßten wir alle Seelen haben; aber sehen Sie, Wonne meines Lebens, diese Folgerung widerspricht dem gesunden Menschenverstand: Ich habe eine Seele; da ist ein Wesen, das sich mehrenteils beträgt, als ob es keine hätte, und vielleicht hat es auch keine, selbst dann nicht, wenn es so handelt, als ob es eine hätte. Aber dieses hat eine Nase wie ich; ich fühle, daß ich eine Seele habe und denke. Folglich hat auch das Wesen eine Seele und denkt auch. Seit tausend Jahren macht man diese Folgerung und ebensolange schon ist man anmaßend.«

»Ich gestehe,« sagte die Favorite, »es ist nicht immer klar, daß andre Leute denken.« »Sagen Sie lieber,« erwiderte Mangogul, »in hundert Fällen ist es klar, daß sie nicht denken.« »Dennoch,« versetzte Mirzoza, »wäre der Schluß ein wenig voreilig, daß sie nie gedacht haben und niemals denken werden. Man ist nicht immerein Tier, weil man es zuweilen gewesen ist, und Ihre Hoheit …«

Mirzoza fürchtete, den Sultan zu beleidigen, und verstummte. »Fahren Sie fort, Madam,« sagte Mangogul, »ich verstehe Sie. ›Und ist meine Hoheit niemals wie ein Tier gewesen, wollen Sie sagen, nicht wahr?‹ Darauf antwort’ ich, ja, ich war manchmal so, und dann verzieh ich andern gern, wenn Sie mich dafür hielten. Sie können sich wohl denken, daß sie das auch taten, obgleich sie nicht das Herz hatten, es mir zu sagen.« »Ach! Fürst,« rief die Favorite, »wenn die Menschen dem größten Monarchen der Erde eine Seele absprächen, wem könnten sie eine zugestehn?«

»Keine Schmeicheleien,« sagte Mangogul. »Für diesen Augenblick hab’ ich Krone und Zepter niedergelegt. Jetzt bin ich nicht Sultan, sondern Philosoph und kann die Wahrheit hören und sagen. Von jenem hab’ ich Ihnen, glaub’ ich, Beweise gegeben. Sie sehn, ich ließ mir geduldig und nach Ihrem Gefallen den Vorwurf machen, daß ich zuweilen nur ein Tier bin. Erlauben Sie aber auch, daß ich die Pflichten meiner neuen Rolle ganz erfülle.

Weit entfernt,« fuhr er fort, »Ihnen zuzugeben, daß das alles, was Füße, Arme, Hände, Augen und Ohren hat wie ich, auch eine Seele besitzt wie ich, erkläre ich Ihnen vielmehr, daß nach meiner Überzeugung, von der mich nichts abbringen soll, drei Vierteile der Männer, und alle Weiber nur Automaten sind.«

»Ihre Worte sind am Ende vielleicht gerade so höflich wie wahr,« antwortete die Favorite.

»Oh!« sagte der Sultan, »die gnädige Frau wird wohl gar böse? Warum auch zum Teufel, lassen Sie sich beikommen, eine Philosophin zu werden, wenn Sie die Wahrheit nicht hören wollen? Sucht man denn Höflichkeit auf der hohen Schule? Ich habe Ihnen freie Hand gelassen, gönnen Sie nun auch mir gefälligst Spielraum Ich sagte Ihnen also, Ihr alle seid Tiere..«

»Ja Fürst,« antwortete Mirzoza, »dafür eben blieben Sie mir den Beweis schuldig.«

»Der ist leicht geführt,« erwiderte der Sultan. Darauf kramte er all die Frechheiten aus, die man so oft, ohne Witz und Anmut, gegen ein Geschlecht vorgebracht hat, das diese beiden Eigenschaften im höchsten Grade besitzt. Nie ward Mirzozas Geduld auf eine härtere Probe gestellt, nie in Ihrem Leben würden Sie so viel Langeweile empfunden haben, als wenn ich ihnen Mangoguls Vernunftsgründe vorlegen wollte. Dieser Fürst, dem es sonst nicht an gesundem Menschenverstande fehlte, war an jenem Tage von einer schier unbegreiflichen Geschmacklosigkeit. Urteilen Sie selbst: »Zum Teufel!« sagte er, »das Weib ist so wahrhaftig nur ein Tier, daß ich wette, wenn ich Cucufas Ring gegen eine Stute kehre, so laß ich sie plaudern wie ein Frauenzimmer.«

»Das ist ohne Zweifel,« antwortete Mirzoza, »das stärkste Beweismittel, das man bisher gegen uns aufgeführt hat und aufführen wird.« Darauf lachte sie wie eine Närrin. Mangogul ward empfindlich, daß das Gelächter kein Ende nahm, und ging plötzlich hinaus mit dem Entschluß, den seltsamen Versuch anzustellen, der seiner Phantasie vorschwebte.

Ich bin kein großer Porträt-Maler. Die Schilderung der Favoritsultanin hab’ ich dem Leser erlassen, aber die Schilderung der Stute des Sultans kann ich ihm unmöglich schenken. Sie war von mittlerer Größe und trug sich sehr gut, nur fand man an ihr auszusetzen, daß sie den Kopf ein wenig vornübersenkte. Sie war blondhaarig, blauäugig, die Füße klein, die Beine mager, die Schenkel fest, die Kruppe leicht. Sie hatte lange tanzen gelernt und machte ihre Verbeugung wie ein Weihbischof. Kurz, es war ein ganz niedliches Tier, besonders sehr sanft, ließ gut aufsitzen, aber man mußte ein vortrefflicher Reiter sein, um nicht von ihr aus dem Sattel geworfen zu werden. Sie gehörte vordem dem Senator Aaron; aber an einem schönen Nachmittage nimmt der kleine Eigensinn den Zaum zwischen die Zähne, wirft Seine Wohlweisheit ab in die Luft, daß er alle viere von sich streckte, und jagt mit verhängtem Zügel in die Stuterei des Sultans. Sie trug auf ihrem Rücken Sattel, Zaum, Geschirr, Schabracke und Fliegennetz mit sich fort. Das war alles sehr kostbar und stand ihr so wohl, daß man nicht für gut fand, es zurückzuschicken.

Mangogul ging in seinen Marstall hinab. Sein Geheimschreiber Zikzak begleitete ihn. »Hören Sie aufmerksam zu,« sprach der Sultan, »schreiben Sie!« Sogleich drehte er seinen Ring gegen die Stute. Sie fing an zu springen, die Beine übereinanderzuwerfen, hinten auszuschlagen, sich im Kreise herumzudrehen und unter dem Schweif zu wiehern. »Worauf warten Sie?« sagte der Sultan zu seinem Geheimschreiber. »Schreiben Sie doch!« »Sultan,« antwortete Zikzak, »ich warte nur auf Ew. Hoheit …« »Meine Stute,« sagte Mangogul, »wird Ihnen diesmal statt meiner diktieren.« »Schreiben Sie!« Zikzak hielt sich durch diesen Befehl zu sehr herabgesetzt. Er wagte dem Sultan vorzustellen, er werde sich immer sehr geehrt finden, sein Geheimschreiber zu sein, aber nicht der seiner Stute. »Schreiben Sie, sag ich,« wiederholte der Sultan. »Ich kann nicht, gnädigster Herr,« antwortete Zikzak. »Ich kann nicht die Rechtschreibung dieser Art Worte.« »Schreiben Sie immer!« sagte der Sultan. »Ich möchte verzweifeln, daß ich Ihrer Hoheit nicht gehorchen kann,« erwiderte Zikzak, »aber …« »Sie sind ein Hundsfott,« unterbrach ihn der Sultan, voll Zorn über die übel angebrachte Weigerung. »Packen Sie sich fort aus meinem Palast und kommen Sie mir nie wieder herein.«

Der arme Zikzak verschwand und lernte durch Erfahrung, daß ein Mann, dem das Herz auf dem rechten Flecke sitzt, sich den meisten Großen nicht nahen darf, oder seine Grundsätze vor ihrer Tür zurücklassen muß. Man rief den zweiten Kanzelisten. Es war ein offenherziger, ehrlicher, besonders aber sehr uneigennütziger Provenzale. Er eilte, wohin er glaubte daß Pflicht und Glück ihn beriefen, beugte sich tief in den Staub vor dem Sultan, noch tiefer vor der Stute und schrieb alles nieder, was der Mähre einfiel, ihm in die Feder zu sagen.

Man wird mir erlauben, die neugierigen Leser deshalb an das Archiv von Congo zu verweisen. Der Sultan ließ sogleich Abschriften dieser Aussage an alle Dolmetscher und Lehrer ausländischer alter und neuer Sprachen verteilen. Einer sagte, es wären Auftritte aus alten griechischen Trauerspielen, die ihm ungemein rührend schienen. Ein anderer brachte es mit vielem Kopfzerbrechen so weit, ein wichtiges Bruchstück alter ägyptischer Glaubenslehren darin zu entdecken. Dieser behauptete, es sei der Eingang einer punischen Leichenrede auf Hannibal. Jener versicherte, es sei ein Gebet an Confuzius’ altchinesischer Schrift.

Über diese gelehrten Mutmaßungen verlor der Sultan die Geduld, erinnerte sich an Gullivers Reisen und zweifelte nicht, daß ein Mann, der so lange wie dieser Engländer auf einer Insel lebte, wo die Pferde eine Staatsverwaltung haben, Gesetze, Könige, Götter, Priester, Gottesdienst, Tempel und Altäre, der von ihren Sitten und Gebräuchen so vollkommen unterrichtet scheine, auch ihre Sprache vollkommen verstehen müßte. In der Tat, Gulliver las und erklärte die Aussage der Stute sehr geläufig, wiewohl sie von Schreibfehlern wimmelte. Seine Übersetzung ist die einzig gute, die man in Congo findet. Mangogul erfuhr zu seiner Befriedigung und zur Ehre seines Systems, daß es ein kurzer historischer Abriß der Liebesgeschichte eines dreischweifigen Paschas mit einer kleinen Stute war, die schon eine unendliche Menge Esel vor ihm besprungen hatten. Die Nachricht klingt sonderbar, aber daß sie wahr sei, wußte der Sultan, der Hof, ganz Banza und das ganze Reich ohnedem.

»Ach!« sagte Mangogul, gähnte und rieb sich die Augen, »mir tut der Kopf weh! Daß sich keiner wieder unterstehe, mir etwas vorzuphilosophieren! Solche Gespräche sind ungesund. Gestern leg ich mich mit solchen krausen Gedanken nieder, und anstatt zu schlafen wie ein Sultan, hat mein Gehirn mehr gearbeitet, als die meiner Staatsminister in einem Jahre. Sie lachen, aber ich will Ihnen beweisen, daß ich nicht übertreibe! Ich will mich für die üble Nacht rächen, die Ihre Vernünfteleien mir zugezogen haben. Sie sollen meinen ganzen Traum zu hören bekommen. So wie ich anfing einzuschlafen, erwachte meine Einbildungskraft. Ich sah ein seltsames Tier mir zur Seite sich tummeln. Es hatte den Kopf des Adlers, die Füße des Greifen, den Leib des Pferdes und den Schweif des Löwen. Ich ergriff es trotz seiner Sprünge, hielt mich an seine Mähne und schwang mich leicht auf seinen Rücken. Sogleich breitete es lange Fittige aus, die aus seinen Seiten drangen, und ich fühlte mich mit unglaublicher Geschwindigkeit durch die Luft getragen.

Wir waren schon lange unterwegs, als ich mitten im freien luftigen Raum ein Gebäude sah, als schwebt’ es durch Zauberkraft. Es war sehr groß. An seiner Grundlage konnte man nichts aussetzen, denn es stand auf nichts. Seine Säulen, die nur einen halben Fuß dick waren, erhoben sich so hoch, daß man ihr Ende nicht absehen konnte, und unterstützten Gewölbe, die man nicht mehr erkannt haben würde, wenn nicht durch ihre gleichmäßigen Öffnungen Licht gefallen wäre.

Am Eingange dieses Gebäudes hielt mein Träger still. Anfangs schwankte ich, abzusteigen; denn wirklich schien es mir minder gefährlich, auf diesem Pferdegreif herumzufliegen, als in jenen Hallen zu lustwandeln. Indessen die Volksmenge, die ich dort erblickte, und das hohe Bewußtsein von Sicherheit, das ich auf ihren Gesichtern las, ermutigten mich. Ich steige ab, gehe näher, mische mich in das Gedränge und betrachte die, woraus es bestand.

Es waren aufgedunsene Greise ohne festes Fleisch, ohne Kraft und beinahe alle mißgestaltet. Einer hatte einen zu kleinen Kopf, ein anderer zu kurze Arme, dem fehlte es an Rumpf, jenem an Beinen. Die meisten hatten keine Füße und gingen auf Krücken. Ein Hauch warf sie um, und dann blieben sie auf der Erde liegen, bis es einem Neuangekommenen gefiel, sie aufzuheben. Trotz aller dieser Fehler gefielen sie beim ersten Anblick. Sie hatten in ihren Gesichtszügen etwas Anziehendes und Kühnes. Sie waren fast nackend, denn ihre ganze Kleidung bestand aus einem kleinen Tuchlappen, der nicht ein Hundertteilchen ihres Körpers bedeckte.

Ich dränge mich weiter durch und gelange endlich zu den Füßen einer Tribüne, der ein großes Spinnengewebe zum Baldachin diente. Übrigens war sie nicht minder kühn aufgeführt als das Gebäude, zu dem sie gehörte. Sie schien mir auf einer Nadelspitze zu ruhen und sich im Gleichgewicht darauf zu erhalten. Hundertmal zitterte ich für den, der darauf stand. Es war dies ein Greis mit langem Bart, ebenso hager und viel nackter noch als seine Schüler. Er tauchte einen Strohhalm in einen Becher voll feiner flüssiger Materie, setzte ihn an den Mund und blies Blasen auf eine Menge Zuschauer hinab, die ihn umgaben und sich abmühten, diese Blasen hoch in die Wolken zu treiben.

›Wo bin ich?‹ fragte ich mich, durch solche Kindereien verwirrt. ›Was will dieser Bläser mit seinen Blasen? Was all diese verlebten Knaben, die sie in die Höh treiben? Wer wird mir dies alles erklären?‹ Auch die kleinen Tuchfetzen hatten mich in Erstaunen versetzt. Je größer sie waren, hatt’ ich beobachtet, desto weniger bekümmerten sich die, welche sie trugen, um die Blasen. Diese sonderbare Wahrnehmung gab mir den Mut, denjenigen anzureden, der mir am wenigsten unbekleidet scheinen würde.

Einen erblickt’ ich, dessen Schultern durch so künstlich zusammengenähte Lappen halbbedeckt waren, daß man es gar nicht sah. Er ging im Gedränge hin und her und bekümmerte sich wenig um das, was geschah. Sein Ansehn war freundlich, sein Mund lachend, sein Gang edel, sein Blick sanft. Ich trat gerade auf ihn zu. ›Wer sind Sie? Wo bin ich, und wer sind alle diese Leute?‹ fragt’ ich ihn ohne alle Umschweife … ›Ich bin Plato,‹ antwortete er. ›Sie sind im Reich der Hypothesen. Jene Leute sind Systematiker.‹ ›Aber durch welchen Zufall‹, fragt’ ich, ›befindet sich der göttliche Plato hier? Was sucht er unter den Unsinnigen?‹ ›Rekruten,‹ antwortete er mir. ›Weit von dieser Halle hab’ ich ein kleines Heiligtum, wohin ich diejenigen führe, die von den Systemen zurückkommen.‹ – ›Und womit beschäftigen Sie sie?‹ –›Den Menschen kennenzulernen, Tugenden zu üben und den Grazien zu opfern.‹ – ›Das ist schön. Aber was bedeuten alle diese kleinen Tuchlappen, wodurch Sie mehr Bettlern als Philosophen ähnlich sehen?‹ – ›Was fragen Sie mich?‹ sprach er seufzend. ›Welche Erinnerung wecken Sie in mir? Dies war vormals der Tempel der Philosophie. Leider ist jetzt die Stätte sehr verändert. Hier stand einst der Lehrstuhl des Sokrates.‹ – ›Was sagen Sie?‹ unterbrach ich ihn. ›Hatte auch Sokrates einen Strohhalm? und blies er gleichfalls Seifenblasen?‹ – ›Nein, nein,‹ antwortete Plato. ›Nicht auf die Art verdiente er sich von den Göttern den Namen des weisesten Menschen. Solang’ er lebte, beschäftigte er sich damit, Köpfe zu machen und Herzen zu bilden. Mit seinem Tode ging sein Geheimnis verloren. Sokrates starb, und das schöne Zeitalter der Philosophie war zu Ende. Diese Stoffteilchen, die zu tragen selbst die Systematiker sich zur Ehre anrechnen, sind Fetzen seines Gewandes. Kaum hatte er die Augen geschlossen, als die, welche auf den Titel Philosophen Anspruch machten, sich über seinen Mantel herwarfen und ihn zerrissen.‹ ›Ich verstehe,‹ sagt’ ich, ›und diese Lappen dienten ihnen und ihrer Nachkommenschaft zum Abzeichen.‹ ›Wer wird diese Stücke zusammenlesen,‹ fuhr Plato fort, ›und Sokrates’ Mantel uns wiedergeben?‹

So rief er feierlich, als ich in der Ferne ein Kind sah, das mit langsamen, aber sichern Schritten auf uns zuging. Sein Kopf war klein, sein Leib dünn, die Arme schmächtig, die Beine kurz. Aber alle seine Gliedmaßen wurden stärker und länger, wie es näher trat. In diesem Fortschritt seines allmählichen Wachstums erschien es mir unter hunderterlei Gestalten. Ich sah es ein langes Sehrohr gegen den Himmel richten, mit einem Pendel den Fall der Körper bestimmen, mit einer quecksilbergefüllten Röhre die Schwere der Luft abmessen und durch ein Prisma in seiner Hand die Lichtstrahlen zerlegen. Dann ward es ein ungeheurer Koloß; sein Haupt reichte zum Himmel, seine Füße verloren sich in den Abgrund, seine Arme umfaßten beide Pole. In der Rechten schwang es eine Fackel, deren Glanz sich weit in die Luft verbreitete, tief unten die Gewässer erhellte und in die Eingeweide der Erde drang. ›Wer ist diese Riesengestalt,‹ fragt’ ich den Plato, ›die auf uns zukommt?‹ ›Erkennen Sie die Erfahrung,‹ erwiderte er. ›Sie ist es selbst.‹ Kaum hatte er diese kurze Antwort gegeben, als ich die Erfahrung näher treten sah. Und die Säulen der Hypothesenhalle wankten, ihr Gewölbe senkte sich, ihr Fußboden öffnete sich unter unseren Füßen. ›Fliehn wir,‹ sagte Plato wieder ›dies Gebäude steht keinen Augenblick länger!‹ Er geht, ich folge ihm. Der Koloß kommt an, zertrümmert die Halle, sie stürzt mit schrecklichem Geräusch zusammen, und ich erwache.«

»O Fürst,« rief Mirzoza, »wer kann träumen wie Sie? Ich hätte Ihnen gern eine geruhige Nacht gegönnt, aber jetzt, da ich Ihren Traum weiß, täte es mir sehr leid, wenn Sie nicht geträumt hätten.« »Madame,« sagte Mangogul, »ich habe doch bessere Nächte verbracht, als mit diesem Traum, der Ihnen so sehr gefällt. Hätte ich meine Reise bestimmen können, so würde ich meinen Lauf schwerlich in das Land der Hypothesen gerichtet haben, wo ich nicht hoffen durfte, Ihnen zu begegnen. Dann empfänd’ ich auch die Kopfschmerzen nicht, die mir jetzt zu schaffen machen, oder wenigstens hätt’ ich Ursache, mich darüber zu trösten.«

»Gnädigster Herr,« antwortete Mirzoza, »es steht zu hoffen, die werden nicht viel zu sagen haben, und ein oder zwei Versuche Ihres Ringes werden Sie davon befreien.« »Das wird die Zukunft lehren,« sagte Mangogul. Die Unterhaltung zwischen dem Sultan und Mirzoza dauerte noch einige Augenblicke. Er verließ sie erst gegen elf Uhr, um sich dahin zu begeben, wo wir ihn im folgenden Abschnitt antreffen werden.

Unter allen Damen, die am Hofe des Sultans glänzten, hatte keine mehr Anmut und Witz, als die junge Aglae, Gemahlin des Ober-Mundschenks Seiner Hoheit. Sie war immer bei Mangoguls Gesellschaften, der ihre gefällige Unterhaltung liebte; und als ob Freude und Vergnügen nur da wohnten, wo sich Aglae befände, ward auch Aglae bei jeder Gesellschaft der Großen seines Hofes zugezogen. Bei Bällen, Schauspielen, Versammlungen, Gastmählern, Abendmahlzeiten, Jagden, Spielen, überall wollte man Aglae haben, und man traf sie auch überall. Es schien, als ob der Geschmack an Unterhaltung sie so allgegenwärtig machte, als das Verlangen nach ihr. Ich darf also nicht erst sagen, daß kein Frauenzimmer so überall gesucht und so überall zu finden war als Aglae.

Immer ward sie von einer Menge Anbeter verfolgt, und man war überzeugt, sie habe nicht alle verschmachten lassen. Aus Unvorsichtigkeit oder Gefälligkeit sah das, was sie als bloße Höflichkeit meinte, oftmals einer ausgezeichneten Achtung ähnlich; und die, welche ihr zu gefallen strebten, redeten sich zuweilen ein, ihr Blick sei zärtlich, wo sie an weiter nichts dachte, als sich freundlich zu erweisen. Sie war weder bissig noch schadenfroh und öffnete den Mund nur, um etwas Verbindliches zu sagen. Das geschah aber mit so vieler Empfindung und Lebhaftigkeit, daß ihre Lobsprüche mehrmals den Verdacht erregten, als habe sie eine Wahl zu rechtfertigen.

Das heißt, diese Welt, deren Zierde und Freude Aglae ausmachte, war ihrer nicht wert.

Man konnte glauben, ein Frauenzimmer, an der man vielleicht nur ein Übermaß von Gutherzigkeit aussetzen durfte, müsse keine Feinde gehabt haben. Und doch hatte sie welche, und zwar grausame. Die Betschwestern von Banza fanden ihr Betragen zu frei, ihr Benehmen ein wenig zu ausgelassen, ihre ganze Aufführung ein ewiges Streben nach den Freuden der Welt: schlossen daraus, ihre Sitten müßten wenigstens zweideutig sein, und waren so menschenfreundlich, das einem jedem zuzuflüstern, der es hören wollte.

Die Hofdamen behandelten sie nicht besser. Sie dachten Arges von Aglaes Verbindungen, meinten, sie hätte Liebhaber, ließen sie gar in einigen Abenteuern eine Hauptrolle, in anderen eine Nebenrolle spielen. Man wußte die kleinsten Umstände, man nannte Zeugen. »Jaja,« so raunte man sich ins Ohr, »neulich wurde sie bei einem Stelldichein mit Melraim in einem Boskett des großen Parks überrascht.« »Aglae hat Verstand,« setzte man hinzu, »aber Melraim noch viel mehr, um sich mit bloßen Worten zu begnügen um zehn Uhr abends in einem Boskett.« – »Da irren Sie sich,« antwortete ein Stutzer, »ich bin wohl in der Dämmerung mit ihr hundertmal spazieren gegangen und habe mich ganz gut dabei unterhalten. Wissen Sie übrigens, daß Sulemar immer in ihrem Ankleidezimmer sitzt?« – »Freilich wissen wir das, und daß sie sich immer nur anzieht, wenn ihr Gemahl beim Sultan Dienst hat.« – »Der arme Celebi,« fuhr eine andre fort, »wahrhaftig, seine Frau bringt ihn ins Gerede mit dem Diadem und dem Ohrgehänge, das ihr der Pascha Ismael geschenkt hat.« – »Wissen Sie das gewiß, gnädige Frau?« – »Ganz gewiß, von ihr selbst. Aber um Brahmas willen, nichts weitersagen! Aglae ist meine Freundin, es sollte mir sehr leid thun.« – »Ach,« rief eine dritte bekümmert aus, »das arme kleine Weibchen rennt mutwillig in ihr Verderben. Es ist doch schade! Aber zwanzig Liebhaber auf einmal! Wer kann das aushalten?«

Die Stutzer schonten ihrer ebensowenig. Einer erzählte von einer Jagd, auf der sie sich zusammen verirrt hätten. Ein andrer verschwieg aus Achtung für ihr Geschlecht die Folgen eines sehr lebhaften Gesprächs, das er auf einem Maskenballe mit ihr geführt hatte. Ein dritter lobte ihren Witz und ihre Reize und zeigte schließlich ein Miniaturbild von ihr, das ihm, wie er zu verstehn gab, aus den besten Händen kam. »Es ist viel ähnlicher,« sagt’ er, »als das, was sie Jenaki gegeben hat.«

Diese Reden kamen endlich vor ihren Gemahl. Celebi liebte seine Frau, aber freilich mit Anstand, und ohne daß man das geringste dabei fand. Den ersten Nachrichten maß er keinen Glauben bei. Aber man wiederholte sie so oft und von so vielen Seiten, daß er endlich glaubte, seine Freunde seien scharfsichtiger als er. Je mehr Freiheit er Aglaen verstattet hatte, desto leichter argwöhnte er, daß sie ihrer mißbraucht habe. Eifersucht bemächtigte sich seiner Seele. Er fing an seine Frau einzuschränken. Aglae ertrug dieses veränderte Verfahren um so ungeduldiger, als sie sich unschuldig fühlte. Ihre Lebhaftigkeit und guter Freundinnen Rat bewogen sie zu unüberlegten Schritten, so daß sie sich scheinbar ins Unrecht setzte und beinahe ums Leben gekommen wäre. Der heftige Celebi überlegte heimlich tausend Anschläge der Rache durch Stahl, Gift oder Strang und entschloß sich endlich, sie eine langsamere, grausamere Strafe erdulden zu lassen: Verbannung auf seine Güter. Das ist der wahre Tod für eine Dame vom Hofe. Kurz und gut, der Befehl ist bald gegeben, eines Abends erfährt Aglae ihr Schicksal; man bleibt unempfindlich gegen ihre Tränen, taub gegen ihre Rechtfertigung, und so wird sie achtzig Meilen weit von Banza in ein altes Schloß verbannt, wo man ihr keine andre Gesellschaft läßt, als zwei alte Weiber und vier schwarze Verschnittene, die sie nicht aus den Augen verlieren.

Kaum war sie entfernt, so war sie unschuldig. Die Stutzer vergaßen ihre Liebeshändel, die Damen verziehen ihrem Witz und ihren Reizen, die ganze Welt beklagte sie. Mangogul erfuhr aus Celebis’ eignem Munde, warum er ein so schreckliches Urteil gesprochen habe, und war der einzige, der ihm recht zu geben schien.

Seit sechs Monaten schmachtete die unglückliche Aglae in ihrer Verbannung, als sich das Abenteuer mit Kersael ereignete. Mirzoza wünschte sie unschuldig zu finden, wagte es aber kaum zu hoffen. Doch sprach sie eines Tages zum Sultan: »Fürst, Ihr Ring hat Kersaels Leben erhalten, vielleicht könnt’ er Aglaens Verbannung ein Ende machen? Aber was fällt mir ein! Da müßten Sie ja ihr Kleinod befragen, und die arme Gefangene stirbt achtzig Meilen von hier vor langer Weile.« »Geht Ihnen Aglaes Schicksal sehr zu Herzen?« fragte Mangogul. »Ja, gnädigster Herr, vornehmlich, wenn sie unschuldig sein sollte,« antwortete Mirzoza. »Das sollen Sie wissen, ehe eine Stunde vorüber ist,« erwiderte Mangogul. »Erinnern Sie sich nicht an die Eigenschaften meines Ringes?« Mit diesen Worten begab er sich in seinen Garten, drehte den Ring und befand sich fünfzehn Minuten darauf in dem Lustwäldchen des Schlosses, das Aglae bewohnte.

Dort sah er Aglae einsam und in Gram versunken. Ihr Kopf stützte sich auf ihre Hand, sie nannte zärtlich den Namen ihres Gemahls, ihre Tränen strömten auf den Rasen, worauf sie saß. Mangogul nahte sich ihr und drehte seinen Ring. Traurig sprach Aglaens Kleinod: »ich liebe Celebi.« Der Sultan erwartete, was noch kommen würde, aber es kam nichts weiter. Deswegen hielt er sich an seinen Ring, rieb ihn einigemal gegen seinen Turban und kehrte ihn dann wieder gegen Aglae. Aber seine Mühe war vergebens. Das Kleinod sprach wieder: »ich liebe Celebi,« und schwieg. »Ist das ein verschwiegenes Kleinod!« sagte der Sultan. »Wir müssen doch noch einmal sehen und den Stein etwas fester reiben.« Zu gleicher Zeit gab er seinem Ring allen Nachdruck, dessen er fähig war, und drehte ihn plötzlich auf Aglae, aber ihr Kleinod blieb stumm. Und so schwieg es beständig fort, oder wiederholte höchstens im Klageton: »ich liebe Celebi, und nie hab‹ ich einen andern geliebt!«

Mangogul fand sich darein und kehrte in fünfzehn Minuten zur Favorite zurück. »Wie, gnädigster Herr,« sagte sie, »Sie sind schon wieder da? Was haben Sie erfahren? Gibt es Stoff für unsre Unterhaltung?« »Ich bringe nichts mit,« antwortete der Sultan. – »Nichts. – Ganz und gar nichts. Ein so stummes Kleinod ist mir niemals vorgekommen. Kein Wort ist aus ihm herauszubringen als: ich liebe Celebi, und nie hab’ ich einen andern geliebt’.« »Ach! gnädigster Herr,« erwiderte Mirzoza lebhaft, »was sagen Sie mir da? welche fröhliche Nachricht! Das also ist endlich eine sittsame Frau! Soll sie länger unglücklich bleiben?« »Nein,« antwortete Mangogul, »ihre Verbannung wird ein Ende nehmen; aber fürchten Sie nicht, daß ihre Tugend darunter leiden werde? Aglae ist sittsam, aber, Wonne meines Herzens, sehn Sie, was Sie verlangen? ich soll sie zurückberufen, und sie soll es bleiben? Doch Ihr Wille geschehe!«

Sogleich ließ der Sultan Celebi vor sich kommen und sagte ihm, er habe den über Aglae verbreiteten Gerüchten nachgeforscht und sie alle als falsch und verleumderisch erkannt; er befehle ihm, sie an seinen Hof zurückzubringen. Celebi gehorchte und stellte seine Frau dem Sultan vor. Sie wollte sich Seiner Hoheit zu Füßen werfen, aber Mangogul tat ihr Einhalt: »Madam,« sagte er, »Ihr Dank gebührt Mirzoza. Ihre Freundschaft für Sie hat mich vermocht, die Wahrheit der Tatsachen zu untersuchen, die man Ihnen zur Last legte. Fahren Sie fort, meinen Hof zu verschönern, aber erinnern Sie sich, daß eine hübsche Frau sich durch Unvorsichtigkeit zuweilen ebensosehr schadet, als durch wirkliche Abenteuer.«

Tags darauf erschien Aglae bei der Manimonbanda, die sie mit einem Lächeln empfing. Die Stutzer taten noch einmal so albern gegen sie als zuvor; die Damen eilten sie zu umarmen, ihr Glück zu wünschen, und fingen wieder an, sie zu zerpflücken.