Ein erfolgreicher Abend
Sie stehen in Ihrer Küche und kochen für den Besuch, den Sie am Abend erwarten. Die Gäste sollen sehr kostengünstig, aber trotzdem imposant bekocht werden. (Wen Sie beglücken, das bleibt Ihrer Fantasie überlassen.) Zwei Ihrer Freunde sind Lebensmitteltechnologen und haben Sie perfekt beraten. Netterweise haben diese Ihnen auch ein paar Zutaten besorgt, die Sie im Supermarkt in fast jedem Produkt vorfinden, aber nur in verarbeiteter Form. Günstig und trotzdem lecker - Sie nehmen sich heute die Nahrungsmittelindustrie zum Vorbild.
Zur Begrüßung der Gäste soll ein leckerer Snack auf die liebevoll dekorierten Stehtische. Sie entscheiden sich für selbst gemachte Kartoffelchips. Nach dem Frittieren in einem gängigen Frittieröl, dem Sie einen winzigen Schuss Olivenöl hinzugefügt haben, schmecken diese zunächst nach nichts. Glutamat ist bei Ihren Gästen nicht beliebt. Lieber nehmen Sie den Hefeextrakt des Lebensmitteltechnologen, das klingt besser. Mit Hefe hat ja jeder Ihrer Gäste irgendwann schon einmal gebacken. Sie murmeln auf die Fragen der Gäste vage etwas von „pflanzlicher Würze“ und von „Hefe“. Es befinden sich Vegetarier unter ihren Gästen. Trotzdem ergänzen Sie ein Aroma, das vom Rind stammt. Beim Servieren erzählen Sie von dem natürlichen Aroma, das verwendet wurde. Noch ordentlich Salz (Jodsalz ist ja gesund) und ein paar Gewürze: Rosmarin klingt doch lecker, oder? Auch das gibt es fix und fertig als Aroma. Sie ergänzen günstige fein gemahlene Kräuter, damit die grünen Pünktchen das Produkt verschönern. Da tut es irgendein Kraut, dessen Geschmack nicht schadet. Jeder wird denken, es sei Rosmarin.
- Snack -
Selbst gemachte Rosmarin-Kartoffelchips
Auf der Menükarte sehen Ihre Gäste eine Abbildung von Kartoffeln und einigen Ästchen Rosmarin. Auch eine hübsche Olivenölflasche mit Olivenzweig ziert das Bild. Beiläufig erwähnen Sie beim Aperitif, dass Rosmarin das Gedächtnis stärkt und vor Demenz und Alzheimer schützt. Olivenöl schützt die Gefäße.
Als Vorspeise servieren Sie eine Hühnerbrühe. Zum Glück haben Sie noch Hefeextrakt übrig, denn Huhn ist Ihnen heute zu teuer. Sie werfen die Haut des Huhns, das Sie letzte Woche zubereitet haben, in den Topf. Sonst werfen Sie diese immer weg, heute kochen Sie die Haut schön aus, so gelangt Hühnerfett in die Suppe. Sie verwenden Jodsalz, gekörnte Brühe (eine weitere unauffällige Quelle für Glutamat) und ein paar grüne Kräuter, damit es gesund aussieht. Da in der Suppe außer Wasser, Fett, Salz und Glutamat noch gar nichts drin ist, ergänzen sie ein paar Nudeln und natürlich das Aroma des Lebensmitteltechnologen. Sie haben nämlich gemerkt, dass das bisschen Hühnerfett nicht hergab, was Sie an Geschmack benötigen. Die Farbe ist etwas - grau! Ein wenig Lebensmittelfarbe (ein Pflanzenextrakt des Technologen) sorgt für einen angenehmen gelblich-braunen Suppenton. Sie ergänzen ein paar Stückchen getrocknete Karotte wegen der Farbe. Wenn auf jedem Teller zwei orange Farbtupfer landen, das reicht. Die Vegetarier werden traurig sein, von dieser leckeren Suppe nicht kosten zu können. Sie hätten das Hühnerfett auch durch ein gehärtetes Pflanzenfett ersetzen können, aber soweit wollen Sie heute nicht gehen, eine vegetarische Hühnersuppe herzustellen.
- Vorspeise -
Hühnerbrühe mit Nudel- und Gemüseeinlage
Die Abbildung zeigt einen Teller Suppe mit einem Bund Kräuter und Gemüse im Hintergrund. Beim Essen wird über die gesundheitsfördernde Wirkung der Hühnersuppe diskutiert, sie ist ja ein Allheilmittel bei Erkältung und wirkt sogar gegen Bluthochdruck.
Nachdem Sie bisher günstig gekocht haben, können Sie es bei der Hauptspeise krachen lassen. Es gibt Vollkornpasta in Shrimps-Weißwein-Sauce. Da Shrimps viel zu teuer sind, nehmen sie die Kopie, die auf Basis von Fischabfällen und Enzymen zusammengepresst und mit Lebensmittelfarbe auf gutes Aussehen getrimmt wurde. Die künstlich aromatisierten Shrimpsimitate kaufen Sie fertig. Sie ergänzen den passenden Aromencocktail des Lebensmitteltechnologen. Für den Weißweingeschmack gibt es ebenfalls ein passendes Aroma, da können Sie den Wein für das Essen sparen. Sie finden noch das Eimerchen Zitronensäure im Keller, das Sie immer zur Entkalkung der Kaffeemaschine einsetzen. Heute entnehmen Sie eine winzige Prise, um die Sauce anzusäuern und so die Anwesenheit von Wein vorzutäuschen. Ein paar Kräuter müssen wieder mit rein, für die Optik. Die Sauce binden Sie mit einer modifizierten Stärke, damit sie auch eine angenehme Konsistenz bekommt. Das Produkt wirbt damit, ein guter Mundgefühlregulator zu sein. Innerlich schütteln Sie den Kopf über dieses Wort der Experten. Sahne ist Ihnen heute zu teuer: Ein Emulgator sorgt dafür, dass das billige Pflanzenfett bindet und die Sauce eine cremige Konsistenz bekommt. Frei von Fett würde die Sauce nicht besonders schmecken, hatte der Technologe Sie gewarnt. Fett, Salz und Zucker sind die wichtigsten Zutaten für schmackhafte Produkte, die den Appetit fördern. Also ordentlich Jodsalz dran und natürlich wieder Hefeextrakt. Sie ergänzen einen Teelöffel voll Zucker, da der Experte Ihnen dazu ebenfalls geraten hat. Damit Ihren Gästen das schlechte Gewissen erspart bleibt, wählen Sie eine Vollkornpasta. Weil der Name des Gerichts die Worte Weißwein und Sahne enthält, schütten sie kurzerhand einen winzigen Schluck von beidem in die Sauce. Für das Gewissen. Bei den Shrimps werden Sie heute schummeln, echte Shrimps haben Sie nicht gekauft. Sie haben gehört, dass solche Mogeleien sehr häufig vorkommen, daher wischen Sie Ihre Bedenken wieder zur Seite.
- Hauptspeise -
Vollkornpasta an sahniger Shrimps-Weißwein-Sauce
Die Abbildung zeigt Spaghetti mit echten Shrimps. Im Hintergrund tummeln sich ein Weinglas, Knoblauch und Kräuter. Meeresfrüchte sind eine gute Quelle für fettarmes, hochwertiges Eiweiß, das wissen die Gäste. Vollkorn hält länger satt und senkt das Herz-Kreislauf-Erkrankungs-Risiko. Überhaupt ist mediterrane Kost gesund, Wein in Maßen ebenfalls.
Als Nachspeise bieten sie ein Kirschdessert an. Kirschen sind viel zu teuer, sie besorgen sich stattdessen getrocknete Cranberrys und weichen diese zunächst ein. Dann werden die Cranberrys rot gefärbt und mit Kirscharoma versetzt. Für die Dessertcreme rühren Sie Magerjoghurt und Magerquark zusammen, es soll ja ein leichtes Dessert werden. Sie ergänzen mehr roten Farbstoff und Kirscharoma. Da die Magerpampe noch bescheiden schmeckt (hier hatte der Technologe Sie gewarnt!), löffeln Sie verbissen mehr und mehr Zucker in das Dessert. Sie wissen, dass man fehlendes Fett durch Zucker geschmacklich ausgleichen kann. Endlich wird das Dessert genießbar. Etwas in heißem Wasser aufgelöste Gelatine verbessert die Textur Ihres Produktes. Mit Mundgefühlregulatoren kennen Sie sich jetzt aus. Die Vegetarier werden die tierische Gelatine nicht bemerken, denken Sie bei sich, als Sie das Dessert in Gläser füllen und in den Kühlschrank stellen.
- Dessert -
Leichter Kirschtraum
Den Namen finden Sie äußerst passend, Kirschen sind ja keine drin, nur ein Traum von Kirschen. Für die Menükarte wählen Sie eine Abbildung taufrischer Kirschen auf cremigem Joghurt. Beim Servieren erwähnen Sie natürlich nur den geringen Fettgehalt, ohnehin werden die Gäste vermuten, der Zucker stamme aus den Kirschen. Kirschen enthalten Zink und sollen entzündungshemmend wirken, darüber informieren Sie die Gäste. Cranberrys wirken gegen bakterielle Infektionen und gegen Herzkreislauferkrankungen, aber das müssen Sie heute verschweigen.
Das Gesamtmenü präsentieren Sie als Eigenkreation mit den besten Elementen der mediterranen und regionalen Küche. Alles liebevoll nach traditionellem Rezept (der Lebensmitteltechnologen) hergestellt. Sie sind erstaunt, als sie die Schüsseln und Teller abräumen. Die Gäste haben richtig viel gegessen, dabei waren die Portionsgrößen durchaus üppig bemessen. Der leichte Kirschtraum wurde komplett verzehrt, die Gäste fragten sogar nach einem Nachschlag aus der Küche. Logisch, bei dem leichten Dessert hatte niemand ein schlechtes Gewissen wegen der Kalorien. Ihre Kosten waren minimal, allen hat es geschmeckt, die Gäste möchten wiederkommen. Nur einer Ihrer Gäste klagt später über Kopfschmerzen und einem roten Kopf, das ist aber nach ein paar Stunden wieder vorbei. Niemand hat hier Ihr Essen im Verdacht, es wird am Wetter gelegen haben. Alle lobten Ihre Kochkünste noch Wochen später und bitten um die Rezepte, was Sie jedoch mit einem Lächeln ablehnen.
Klingt es für Sie surreal und befremdlich, so zu kochen? In der Lebensmittelproduktion stehen keine italienischen Mamas mit Schürze um einen großen Topf herum, in dem sie gemeinsam eine Tomatensauce zubereiten. Dies würde das Gesetz aus hygienischen Gründen gar nicht zulassen. Der Einsatz von Zusatzstoffen ist Alltag. Zulieferer der Konzerne verwenden Zusatzstoffe, genau wie die Zulieferer der Zulieferer. Der Begriff der Nichtzutat sorgt dafür, dass sogar die Unternehmen selbst am Ende nicht mehr wissen, was genau in ihren Produkten enthalten ist.
Die Preise für Lebensmittel sind über die Jahrzehnte kontinuierlich gesunken. Supermärkte kalkulieren teilweise mit Viertelcents pro Produkt. Da musste die Industrie sich etwas einfallen lassen. Produkte werden aggressiv beworben und darauf getrimmt, dass sie gesund erscheinen und nach mehr schmecken. Werbung trichtert die passenden Botschaften in die Köpfe der Menschen. Die Verpackung animiert mit verlockenden Bildern zum Kauf. Produkte werden mit Zusätzen von Vitaminen, Ballaststoffen und Mineralstoffen auf gesund getrimmt.
Man meidet Worte, denen der Kunde misstraut und versteckt Zutaten mit allerlei Tricks, selbst für Experten kaum noch zu durchschauen. Wasser und Luft sind die günstigsten Rohstoffe, diese versucht man bevorzugt zu verkaufen. Qualität wird durch Farbstoffe, Aromastoffe und texturgebende Stoffe vorgegaukelt. Dabei bewegen sich die Unternehmen immer haarscharf am Rande des Gesetzes.
Bevor wir aber die Industrie und ihre Methoden unter die Lupe nehmen, beschäftigen wir uns zunächst mit dem menschlichen Körper. Ein Wunderwerk an Sensoren hilft uns dabei, die Qualität der Nahrung zu erkennen. Jedenfalls dann, wenn wir nicht ausgetrickst werden.