Vom tiefen und gefährlichen Deutschland
Maurice Barrès kam in Straßburg an, voll von den Metzer Eindrücken. Er wohnte bei einem jungen Advokaten Kössel, der ihn kurz vor dem Krieg in Paris in Neuilly besucht hatte. Kössel, ein Bewunderer seiner Kunst, lud ihn schon damals ein, wenn ihn einmal der Weg nach Charmes führe, in seinen Heimatort, und er alte und neue Freunde in Straßburg sehen wollte, sein Gast zu sein. Aber dann reiste Barrès, der alte Hellenist, in seinen geliebten Süden, in den Orient, bis die Alarmglocke über Europa zu läuten anfing, nach dem Attentat von Sarajewo. Barrès, nach Frankreich zurückgekehrt, erlebte die Erregung und den Enthusiasmus und die Tränen des Kriegsbeginnes, das Aufbrechen eines Abgrundes unter dem dünnen Boden des bürgerlichen Menschseins, erlebte die Angsttage und die Räumung von Paris Ende August, Anfang September. Er verließ aber die Stadt nicht, die plötzlich eine Kleinstadt geworden war; wie er sich altern fühlte. Nun, nach diesen fünfzig Monaten, kam er nach Straßburg. Stolz wie ein Jünger auf den Besuch eines heiligen Mannes nahm ihn der Straßburger Advokat auf. Abends, zum Diner, lud das junge Ehepaar noch einen lothringischen Zeitungsbesitzer hinzu, einen älteren kahlköpfigen Mann, der mit Barrès von Metz herübergekommen war, um dem Einzug des Marschall Pétain beizuwohnen. Nach dem Essen saßen sie in der sehr geräumigen und wohligen Bibliothek, zugleich dem Musikzimmer des Advokaten, auf dem Ecksofa beim Kaffee.
»Man kommt sich wie ein junges Brautpaar vor«, wiederholte Barrès, als er sich niederließ, »man hat beide Arme voller Blumen, man lacht, man winkt.« Die junge kleine, sehr blonde Frau erzählte, was sie heute auf der Straße gesehen habe. Es war ein Delirium, ein Taumel. Barrès sagte: »Ein Meer von Glück.« Die Dame: »Junge Elsässerinnen küßten französische Offiziere. Es ist niemals in Straßburg soviel geküßt worden.«
Der Lothringer mit dem kahlen Schädel, ein ernster spitzbärtiger Herr, machte seine versonnenen Augen noch kleiner: »Es gibt auch anderes. Wir hatten schwere Tage. Sie haben davon gehört, Barrès. Es gibt Mädchen – ich kann Ihnen die Namen nennen –, die in der finsteren Zeit schworen, den Schleier zu nehmen, wenn Gott das Elsaß wieder an Frankreich fallen lassen würde.« Barrès winkte: »Ich weiß.« Er hatte eine hohe schmale Figur. Sein Gesicht, lang, gelblich, mit einer geschwungenen Nase, einem dichten dunklen melancholischen Schnurrbart, sah eigenartig aus; man begriff, warum einige sagten, er müsse Zigeunerblut in sich haben, aber er stammte von der Mosel und mütterlicherseits von Auvergnaten. Seine schwarzen Haare klebten in einer dünnen Lage am Kopf: »Seien wir froh und dankbar. Die Tage der schlimmen Herren sind vorbei. Sie werden lange keine Möglichkeit finden, schlimm zu sein.«
Er blickte in seine Kaffeetasse, machte mit seiner flachen Hand eine kleine Bewegung: »Ich will Ihnen etwas erzählen. Hören Sie, was ich am Mittwoch erlebte, an diesem Mittwoch, in Metz. Ich begleitete den Präfekten Mirman aus Nancy, der jetzt Zivilgouverneur der Republik für Metz geworden ist. Wir verließen gegen neun Uhr morgens unser Hotel, um in den Gouverneurspalast zu gehen, der nun wieder Sitz eines französischen Präfekten ist. Das Tor trägt noch den alten napoleonischen Adler. Auf der Treppe bildeten die bisherigen Angestellten und Beamten ein ernstes Spalier. Wir sahen korrekte und etwas trübe Personen. Sie verstanden, sich sehr tief vor dem neuen Herrn zu verbeugen. Wir mußten durch ein Dutzend Räume und kamen schließlich in den Salon. Die Vitrinen ausgeleert. Einige unserer Offiziere und Beamte warteten da. Mirman gab Befehl, den Exgouverneur der Deutschen, der sich im Haus befand, zu benachrichtigen, daß er ihn nunmehr zu der erbetenen Audienz erwarte. Was, meine lieben Freunde, stellte ich mir nun vor, nach diesem Krieg der fünfzig Monate, nach den ungeheuren Schlachten, Verwüstung und Brand, nach dem ganzen unbeschreiblichen Vorgang, durch den die Welt in Bewegung gesetzt wurde und bei dem sie fast in Flammen aufging, was dachte ich, wer würde nun erscheinen? Ich dachte: Der jetzt kommt, diese hochgestellte Persönlichkeit der feindlichen Macht, Vertreter des Kaisers an einem wichtigen Platz, wird sich finster, vielleicht stumm nähern. Es wird schwer sein, ihm den Mund zu öffnen. Man wird manchmal zurückfahren vor seinem zornigen, schmerzerfüllten und hassenden Blick. Man wird den bittern Ausdruck des Besiegten sehn, dem der Dolch weggenommen ist und der die Hände gebunden auf dem Rücken trägt.«
Er pausierte, rückte an seiner Perlnadel in dem schwarzen breiten Schlips, eine Andeutung von Lächeln um Mund und Augen: »Einer unserer jungen Literaten beschrieb einmal den Auftritt einer berühmten, nicht mehr jungen Schauspielerin in der Rolle der Athalia: wie man sie in einer goldenen Tragbahre unter einem Baldachin auf der Bühne absetzt, wie sie sich erhebt. Gott, staunt man, sie kann noch stehn. Sie bewegt sich – sie kann noch gehn. Sie öffnet den Mund – sie kann noch sprechen. Rasender Beifall, ein voller Erfolg.« Die Hörer schmunzelten. »Wir sitzen also. Und da tritt herein, statt eines vom Blitz Gefällten, ein großer trockener Herr, mit Brille, ein Mann von etwa sechzig, er grüßt zeremoniell nach beiden Seiten und setzt sich Mirman gegenüber an die Tafel. Sie müssen nun wissen, daß vorher, beim Einmarsch der Truppen in Metz, ein französischer Stabsoffizier ordnungsgemäß dem kaiserlichen Gouverneur in der Festung mitteilte, daß seine Funktion erloschen sei, worauf der General Maudhuy Mirman in dem Haus installierte, und Mirman erlaubte sich bei Antritt seines Amtes etwas Selbstverständliches, sogar Pflichtgemäßes: er ließ ein Bild des Kaisers, das noch an der Wand hing, von französischen Soldaten abnehmen. Dadurch fühlte sich der merkwürdige Herr Baron gekränkt und beklagte sich bei französischen Offizieren über Ungehörigkeiten, Provokation. Nun fing Mirman, als sich der Exgouverneur des Kaisers ihm gegenübersetzte, mit der Erörterung dieses Zwischenfalls an. Er sagte maßvoll: von Provokation und Ungehörigkeit könne man wohl kaum sprechen. Es liegt doch nur das eine vor, daß Sie das Bild in einem Haus gelassen haben, das nicht mehr das Ihre war. Wozu der Baron schwieg. Das Kinn streckte er hoch in die Luft, das Gesicht war sehr blaß. Auf eine so einfache und maßvolle Antwort war er nicht gefaßt gewesen. Völlig unerwartet machte er eine Verbeugung, als wenn ein Taschenmesser zusammenklappt. Das heißt in der Aktensprache: zur Kenntnis genommen.
Mirman weiter. Er hielt seinen ruhigen wohlwollenden Ton durch. Er rechnete es, sagte er, dem bisherigen Gouverneur zugute an, daß er, entgegen den Gepflogenheiten anderer Deutscher, gewisse Spannungen zwischen der einheimischen Bevölkerung und dem deutschen Militär gemildert habe. Dies sei auch der Grund, weshalb er sich veranlaßt gesehen habe, dem Herrn Baron eine Audienz zu gewähren. Er biete ihm an, ihm für seine Abreise Erleichterungen zu verschaffen. Worauf sich der Baron wieder mit jenem Ruck verbeugte, und nun begann etwas Phantastisches. Sie werden es mir nicht glauben, aber ich berichte, was ich gesehen und gehört habe.
Vielleicht erging ich mich zuerst, bei seinem Eintreffen, als ich statt eines pensionierten Geheimrats einen Vercingetorix vor Cäsar erwartete, zu sehr in Romantik. Für das Folgende weiß ich mich keiner poetischen Haltung schuldig. Denken Sie: der Baron begann plötzlich zu sprechen, lebhaft, ja er begann zum Leben zu erwachen. Was erweckte ihn zum Leben? Seine Familie, Familiensorgen. Sie sollte im Regierungsgebäude bleiben dürfen. Er bat darum. Er erging sich breit darin, Mirman die Schwierigkeiten aufzuzählen, die für ihn entstünden, wenn er und seine Familie ins Hotel müßten. Sie werden es nicht für möglich halten, am Tag nach der Besetzung von Metz, er, der Gouverneur. Wir wechselten Blicke, Mirman gab eine ausweichende Antwort. Da legte sich aber der schon nicht mehr schüchterne Herr noch stärker ins Zeug und schlug vor, alle Büros zu verlassen und nur ein paar Zimmer für sich und seine Familie zu behalten. Bitte bitte nur dies. Eine klägliche, eine grauenhafte Szene. Wir trauten unsern Ohren nicht. Ich versichere Sie, meine lieben Freunde, wir waren erstarrt. Wir fragten uns: Was ist das, ist das wirklich nur dummer und privater Egoismus, ein so naiver, ich möchte sagen, frecher Egoismus, daß er es wagt, sich ruhig in einem solchen Augenblick zu entlarven – oder ist es eine List? Glaubt er vielleicht, wir haben zwar einen Waffenstillstand, aber nachher kommt alles doch anders? Mirman wurde eiskalt. Er antwortete: man habe zu wählen, wer im Hotel wohne, der von der französischen Republik ernannte Kommissar oder der Herr Baron, der in der Stadt nichts mehr repräsentiere. Ob er Handwerker für den Umzug benötige. Die Audienz war beendet.«
Man saß verblüfft. Die Dame meinte: »Es wird keine List gewesen sein. Er ist ein Typ, ein Harpagon. Der alte Mann will sich seine Ordnung nicht nehmen lassen.« Der Advokat nickte fröhlich: »Im Krieg.«
Der kahlköpfige Lothringer meinte, er hätte ähnliches bei Deutschen, mit denen er während des Krieges in Berührung kam, beobachtet. Der einzelne ist klein und gewöhnlich. Mancher, vor dem man sich im Büro fürchtete, enthüllt sich als völlige Schafsnase. Aber das Kommando, das Amt, das macht ihn schrecklich. »Der Baron, der Exgouverneur, stand plötzlich ohne sein Korsett da, und nun sehen Sie ihn.«
Barrès war nicht zufrieden, er tippte nervös auf die runde Marmorplatte: »Sie übernehmen also die These, daß die Deutschen eigentlich gute Menschen sind und daß nur die Hohenzollern, die Generäle, der Generalstab sie zu dem gemacht haben, als was sie sich im Krieg erwiesen.« »Man braucht es nicht so weit zu treiben«, bremste der Redakteur, der einen Sturm heraufziehen sah. Aber das Wetter brach schon los. Barrès hatte eine nonchalante, reservierte Art zu sprechen. Jetzt legte er beide Hände an die Atlasaufschläge seines schwarzen Gehrocks: »Sie treiben es nicht so weit, meinen Sie. Wo ist aber die Grenze? Merken Sie nicht, daß man mit solchen Wendungen auf eine gefährliche schiefe Ebene gerät. Da!« Er hatte mit einer kleinen Drehung nach rechts und mit einem Griff neben sich – merkwürdig, mit welcher offenbar schon präparierten Sicherheit – einen ledergebundenen Band aus der Bibliothek gezogen: »Romain Rolland. Jean-Christophe Krafft und die Überlegenheit der deutschen Rasse. Doktrin der Sorbonne nach 1870. Er sang den Ruhm Deutschlands. Und nun der Krieg, die Greuel, Miß Cavell, Dinant, die Torpedierung der Lusitania. Diese vollkommenen Deutschen! Das Experiment, erkennen Sie es nicht? Diese wohlmeinenden Professoren, wie sie die Welt vernebelt haben. Rolland ist durch den Krieg widerlegt. Sein ganzes Werk hat Bankrott gemacht. Was wir erlebt haben, ist die Entlarvung der Philosophie der Eroberer. Romain Rolland, Frankreich lehnt ihn ab, wie es Caillaux, Malvy und Almereyda verwirft. Wohin wird er flüchten, um dem Urteil, das über ihn gesprochen ist, zu entgehen!«
Der Lothringer nahm einen Schluck Kaffee und meinte friedlich: »D’accord. Was Romain Rolland anlangt, so haben wir alle die Nachricht gebracht, daß die Stadt Wien bei Kriegsbeginn französische Stücke vom Spielplan absetzte. Aber bald spielte man Romain Rolland. Conclusion: er ist für sie nicht Franzose. Und er hat in Wien nicht protestiert.« Barrès, mit einer leichten Kopfbewegung gegen den Hausherrn, stellte das Buch wieder an seinen Platz. Die Dame blickte zur Seite, ihr Gesicht flammte, sie hätte Rolland herausnehmen müssen, daß er auch grade neben ihm stand. Sie bot, um ihre Verlegenheit zu verbergen, den Herren Zigaretten an, rauchte selbst. Barrès, der nichts gemerkt hatte, steckte noch in seinen Gedanken. Er dankte leise, die Augenlider gesenkt, er rauche nicht, er müsse sich damit begnügen, den angenehmen Duft der Zigaretten anderer einzuatmen. Und er führte seinen Gedanken weiter, während der junge Advokat sein strenges erdfarbenes Gesicht betrachtete, das so kalt und unbeweglich schien, der Maske von Pascal ähnlich. Jemand hatte gesagt: er ist ein Prometheus, der zu seinem eigenen Geier wird.
Barrès: »Sie wollen den Kaiser zum Sündenbock machen. Man kann es verstehn, kein schlechter Einfall. Einige Engländer spielen die Partie mit, ich weiß nicht warum. Eine listige Idee. Die Unehrlichkeit liegt auf der Hand. Das Werk des Kaisers ist von allen Deutschen gebilligt worden. Sie haben stillgehalten, gekämpft, Munition hergestellt, bis es nichts mehr nützte. Grade in Elsaß-Lothringen ist es wichtig, dies vollkommen klarzulegen, in Rücksicht auf alles, was jetzt kommt, die Säuberung des Landes, das große Sieben. Dies war kein Krieg der Hohenzollern, sondern von ganz Deutschland. Mit wenigen Ausnahmen, die nicht rechnen. Ganz Deutschland wirkte mit, gab Helfershelfer. Natürlich, jetzt, wo es gilt, die Rechnung zu bezahlen, verfluchen sie ihn. Sie rivalisieren in der Wut auf die Dynastien. Nein, sage ich, nein, dreimal nein! Mit Blut an den Händen, die Lüge im Gesicht gleicht jeder Deutsche den Hohenzollern.«
Das legte er kalt und sicher hin. Sie sahen ihn und erkannten ihn, den Unermüdlichen, der seit Kriegsbeginn jahraus, jahrein, vier- und fünfmal in der Woche unter einem nicht nachlassenden inneren Drang und Druck seine Artikel im »Echo de Paris« losließ, treibend, angreifend, verherrlichend, denunzierend – und immer nur zwei Worte: Frankreich und Sieg. Der junge Advokat hatte in Neuilly den Hellenisten besucht. Wie er sich verändert hatte, wie er sich in den Krieg geworfen hatte, sein ganzes Wesen brannte um den Krieg, aber es zerfraß ihn auch. Wie schmal er war. Es sah aus, als ob er den Triumph nicht lange überleben würde.
Die Dame überwand ihren Schrecken, je länger sie ihn betrachtete. Der weibliche Wunsch zu dämpfen stieg in ihr auf. Sie erzählte: ihr Mann habe ihr eine französische Zeitung verschafft, es sei schon länger her, vom Anfang des Monats, aus der Zeit vor dem Waffenstillstand. Und da habe sie mit großer Freude von einer Festsitzung gelesen, die in der Sorbonne zu Ehren Elsaß-Lothringens stattfand (Barrès nickte verbindlich) unter dem Vorsitz eines Staatssekretärs aus dem Kriegsministerium (Barrès: Unterstaatssekretär Jeanneney). »Pardon, und neben Charles Andler, den wir kennen, und unter anderen haben auch Sie gesprochen. Das hat uns sehr gefreut, weil wir immer glücklich sind, wenn wir Ihrem Namen begegnen. Sie glauben ja nicht, Herr Barrès, wie Bücher verbinden, und wie Sie auch meinen Mann und mich verbinden (ein überraschter und ungewöhnlich zarter, langer Blick von Barrès über die beiden jungen Leute). Und dann sprachen Sie vom Elsaß und unserm Dialekt. Sie haben uns damit unsäglich froh gemacht.«
Barrès: »Ich kenne das Elsaß, Madame. Es hat einen wunderbar feinen herzlichen und humoristischen Dialekt. Wir werden leider nur im Hochdeutsch ausgebildet, so daß uns viele Nuancen dieser urwüchsigen Sprache entgehen. Man hat keinen Grund, sie mit dem Hochdeutsch zu vermengen. Man will damit nur eine Abhängigkeit, die politische Abhängigkeit des Elsaß von Deutschland beweisen. Ich sagte in der Sorbonne, Sie lasen es, der Elsässer Dialekt wird sich gut unserm Provenzalisch, Baskisch, Bretonisch und Flämisch anschließen. Wir werden, kulturell, langsam vor eine Art Dezentralisierung gestellt. Wie denken Sie darüber, mein Freund?« Er richtete sich an den Redakteur. Der hob beide Hände: »Man beglücke uns nicht zu sehr. Man lasse uns ruhig einmal erst wieder Frankreich kosten. Das ist jetzt unser aller und unser einziger Wunsch.« Barrès: »Um so besser.« »Sie werden uns darum nicht gleich mit Haut und Haaren verschlucken wollen. Übrigens wissen Sie, Herr Barrès, daß Sie in dem Straßburg sind, das Frankreich die Nationalhymne gegeben hat?« Barrès lebhaft: »Er hat hier ein Denkmal, eine Plakette, Rouget de Lisle?« Die Dame lachte: »Wo denken Sie hin, Herr Barrès.« Er zog sein Notizbuch: »Ich merke es mir vor.« Die Dame mit einer scherzhaften Verbeugung: »Aha, der Herr Abgeordnete.« »Ich konnte leider nicht Frankreich im Schützengraben dienen, Madame. Aber ich nehme sonst, ohne mich an einem Nachbarn zu stoßen, jede Position an, wo ich nutzen kann.«
Der Advokat: »Weil wir von Autonomie sprechen, ist den beiden Herren das merkwürdige Manöver à la Lenin bekannt, das man vorige Woche hier mit uns spielen wollte? Ah! Das freut mich. Da kann ich mich ein wenig, aber nur ein wenig für die phantastische Metzer Geschichte von Herrn Barrès revanchieren.« Der Lothringer: »Ein Leninmanöver (er sah den Hausherrn groß an), vorige Woche, in Straßburg?« Der Advokat legte stolz den Kopf zurück: »Sie meinen, es ist Ihrem Journalistenblick entgangen? Nun, Sie kennen’s natürlich im groben, aber lassen Sie mir meine Revanche. Herr Barrès, Sie erinnern sich an die Affäre von 1917: Ludendorff steckt, um die russische Front statt mit Kanonen von innen zu zerbrechen, Lenin und Konsorten in der Schweiz in den berühmten plombierten Wagen und läßt sie durch Deutschland fahren. Dieser Versuch glückte, und zwar so, daß er zur Wiederholung einlud. Sie haben es an uns probiert. Aufs Wort, Herr Direktor, ich bitte mich anzuhören. Berlin versuchte es erst auf normale Weise, uns seine preußische Autonomie zu schenken, Affäre Schwander und Hauss, erschütternd, wie man uns damals ein Lied von demokratischen Prinzipien vorsang. Sie redeten sich ein, bei einer Abstimmung in Elsaß-Lothringen würden achtzig Prozent der Stimmen an Deutschland fallen.« Der Lothringer stieß sein tiefes behagliches Lachen aus: »Warum auch nicht? Ich war davon überzeugt, es gelingt, unter entsprechender Nachhilfe, mit Arrangierung der Wählerlisten, vielleicht hätte man Leute herkommandiert.« Der Advokat: »Unser goldener Peirotes, und Jung in Metz, sollten mitspielen, und sie machten den Berlinern einen Strich durch die Rechnung. Da haben sie aber die Hoffnung noch lange nicht aufgegeben. Sie hätten doch zu gerne ihr schützendes Händchen weiter über Elsaß-Lothringen gehalten. Kommt die Revolution. Man kann nicht leugnen, daß sie zäh und geschickt sind. Sie setzen auch die Revolution in ihr Spiel. Und nun die Lenintour. Sie sammeln in Wilhelmshaven, frisch von der Quelle der Revolution, zweihundert elsaß-lothringische Matrosen, packen sie in einen komfortabeln Sonderzug, und die schicken sie hierher, mit einer kolossalen roten Fahne.« Barrès: »Wann war das?« Der Advokat zu seiner Frau: »Wann kamen sie noch? Du warst grade am Bahnhofsplatz, als sie kamen.« »Das war Mamas Geburtstag, am Vierzehnten.« Barrès: »An diesem 14.November?« »Ja, vor noch nicht zehn Tagen. Das ganze Drama ist dann nämlich sehr rasch verlaufen, es wurde eine völlig elsässische Geschichte. Die Matrosen kamen also munter an und wollten hier stehenden Fußes die elsaß-lothringische Republik verkünden, auftragsgemäß. Wir sind jedenfalls davon überzeugt, daß so etwas vorlag, zum mindesten ein Impuls, ein Einverständnis, und unsere Seeleute haben sich als ehrliche Männer sofort prompt ihres Auftrags entledigt. Aber da stellte sich wie im Falle Schwander-Hauss unser Peirotes ein – man sollte ihm wahrlich ein Denkmal setzen – und erklärte: das ginge nicht. Man muß wissen, mit welcher Sicherheit Peirotes erklären kann, etwas geht nicht. Warum geht es nicht, wieso. Nein. Was nicht geht, geht nicht. Die Dinge liegen hier eben so. Basta. Sie haben es rasch begriffen. Haben gar nicht lange rebelliert. Die Revolutionäre haben’s ihm geglaubt, es ginge nicht. Sie waren Elsässer mit einem Elsässer.«
Barrès lächelnd: »Kluge Revolutionäre. Man sollte sie ausfindig machen und dekorieren.«
Man war in heiterster Stimmung. Barrès saß bequem zurückgelehnt: »Elsaß-Lothringen sollte eine internationale Republik im nationalen Rahmen von Deutschland werden.« Sie lachten kräftig. Barrès: »Ich halte ihre ganze Revolution, unter uns gesagt, für ein Betrugsmanöver. Wenn sie nicht von den Generälen gemacht ist, ist sie ihnen sicher sehr gelegen gekommen. Diese Herrschaften, seien Sie sicher, werden sich für die nächsten Monate ihre Revolution unter keinen Umständen rauben lassen.« Wieder lachte man. Barrès selber nicht. Nein, er machte eine Handbewegung, die zur Aufmerksamkeit einlud: »Die Revolution paßt ihnen ausgezeichnet. Bedenken Sie: weder die Hohenzollern noch der Große Generalstab haben einen Vertreter zu den Waffenstillstandsverhandlungen geschickt. Ein General Winterfeldt ist gekommen, die Hauptsache machte der Abgeordnete Erzberger. Das Arrangement, die Linie ist deutlich: die Verantwortung abwälzen, sich den Konsequenzen entziehen. Den braven Herrn Erzberger hat man dann für später als Prügelknaben. Die Spitze, das Große Hauptquartier ragt schweigend über den Wolken.«
Man saß nachdenklich. Der Hausherr äußerte sich leise: »Wir haben da auch eine merkwürdige Beobachtung gemacht. Im Beginn markierte hier der kommandierende General einen ernstlichen Widerstand gegen die Soldatenräte, wie das selbstverständlich war. Man hörte von langen Konferenzen. Plötzlich Befehl von oben: nachgeben.« Barrès: »Da haben Sie’s, das Arrangement, die Linie.«
Der Advokat: »Unzweifelhaft. Andererseits geht auch nicht alles, wie man will. Da marschierte vor acht Tagen eine Division mit klingendem Spiel ein, alle Gradierten mit ihren Abzeichen, keine roten Schleifen. Am Tage darauf die Revolte. Es war elementar.«
Barrès horchte auf: »Was Sie sagen. Also Sie glauben, daß was an der Revolution ist?« »Meister Barrès, die Generäle und die Regierung benutzen sie, um sich Ansprüchen, die kommen werden, zu entziehen. Man wird es aber nicht leicht mit ihnen haben.« Barrès streckte sein erstauntes Gesicht in den hellen Bereich der elektrischen Tischlampe: »Es gibt Revolutionäre bei den Deutschen? Machen Sie keine Witze.« Der Advokat ernst: »Es gibt.« »Und was wollen sie?« »Frieden. Ich weiß nicht. Ruhe, Brot, keine Offiziere.« Barrès: »Moskau?« »Spielt auch mit. Weltrevolution habe ich öfter im Arbeiterrat gehört. Sie wollen den Militarismus und Kapitalismus ausrotten.«
Barrès ließ sich achselzuckend zurückfallen: »Phrasen. Die Phrasen kenne ich. Sie wollen sich insolvent erklären, um nicht zahlen zu müssen.«
Der Advokat tauschte einen kurzen Blick mit seiner Frau, die vornübergebeugt, den linken Ellbogen auf dem Knie, den Kopf aufgestützt, aufmerksam zuhörte. Sie hatten gestern, als sie erfuhren, daß Barrès ins Elsaß käme, davon gesprochen, was er für ein Sozialistenfresser war; am Vortage der Ermordung Jaurès’ hatte er Worte in der Kammer gebraucht, die man als eine Ankündigung des Attentats auffassen konnte, aber nach dem Attentat ging er in das Haus des gemeuchelten Gegners und drückte seiner Tochter und dem anwesenden Sozialisten Blum die Hand – doch ein grader Mensch, ein Charakter.
Barrès warf einen verschleierten Blick auf die Dame: »Ich erscheine Ihnen hart, Madame? Doch. Ich sehe es. Ich möchte Sie bitten, zu meinen Gunsten etwas zu erwägen. Wir vertreten ein großes, stolzes, mit den Füßen getretenes Volk. Man hat 1870 unsere Schwäche benutzt, um uns zu besiegen und diese Provinzen vom Mutterlande abzutrennen. Wir sind dann abermals von demselben Gegner überfallen worden. Er dachte uns in der Dekadenz, im Zustand der Schwäche von 1870. Wir haben Schwächeanwandlungen während des Krieges gehabt. Das Blut floß in Strömen von uns. Der Gegner war übermächtig, mehr als das, grausam, erbarmenlos, ohne Gnade gegen schwach und stark. Er hatte nur Augen für seinen Sieg. Er riß unsern heiligen Boden auf, um sich in ihm festzusetzen. Aber dieser Boden hat Jeanne d’Arc hervorgebracht. Ein dämonischer Schrecken ging dem Feind voraus. Städte, Dörfer, Kirchen legte er in Asche. Er wollte siegen. Ein und eine halbe Million unserer besten Männer mußten sich opfern, um ihn aufzuhalten. Es blieb kein Krieg Frankreichs, Englands, Amerikas. Der Christ, der Katholik, der Protestant, der Jude, der Lehrer, der Priester trugen ihren Geist in diesen Krieg hinein. Sie machten ihn christlich, protestantisch, katholisch, jüdisch. Sie haben ihn zu einem Religionskrieg gemacht. Ich, Madame, blieb, was ich war: ein kleiner Rufer im Streit. Aber wenn Sie diesen abgelaufenen und noch nicht beendeten Streit so ansehn, so werden Sie mir einiges an dem oder jenem Ausdruck verzeihen. Nennen Sie mich nicht hart. Nennen Sie mich gläubig.«
Sie war blaß geworden und flüsterte: »Ich bitte um Entschuldigung, ich wollte nicht kränken.« Die Tränen stiegen ihr in die Augen, er beugte sich und küßte ihr die Hand: »Ich habe um Entschuldigung zu bitten, Madame, für so schwere Worte in Ihrer schönen Bibliothek und am Kaffeetisch.«
Der kahlköpfige Lothringer erhob sich mit einem Seufzer: »Große Tage, verehrte Herrschaften. Sie haben für unsereins die Kehrseite, daß sie uns keine Ruhe gönnen. Leider, leider muß ich mich verabschieden.«
Auch Barrès stand auf, lebhaft: »Sie gehen auf die Straße? Aber ich komme mit. Ich will sehen, hören, schmecken. Ach, liebe Freunde, wie bin ich glücklich.«
Und der drückte nacheinander allen die Hand mit einer Innigkeit, die sie von dem reservierten Mann nicht erwartet hatten.
Als der Advokat Kössel mit seiner Frau allein im Musikzimmer stand und sie zu dem leeren Ecksofa herübersahen, umarmte sie ihn, klammerte sich an ihn: »Ich bin traurig.«
Er streichelte sie leicht: »Ich verstehe.« Sie: »Ich hätte ihn gern behalten. Ich hätte ihn gern so behalten, wie er war. Es gibt Schriftsteller, die verlieren, wenn man ihnen begegnet. Er nicht. Er erschreckt.«
Sie setzten sich auf das Sofa. Sie riß trotzig, mit einer ähnlichen Bewegung wie Barrès, einen Band Rolland heraus und schlug ihn auf. Dann drückte sie aber, in heftiger Erregung, den Kopf an die Schulter des Mannes. Und während er nach ihrer Hand griff und sie schwiegen – sie mit fest zugekniffenen Augen und gepreßten Lippen –, lief durch ihren Kopf ein rasches Gespräch: Woher, Herr Barrès, haben Sie eigentlich diesen ungeheuren Zorn auf Deutschland? – Ich habe ihre Roheiten schon als Kind im Krieg 1870 gesehn. – Inzwischen hat sich Ihr Zorn nicht abgeschwächt? Sie haben deutsche Werke studiert, Philosophie, Dichtung, Musik. Sie sind aufrechten Deutschen begegnet. – Es gibt würdige. Ich habe im Krieg ihre Stimme nicht vernommen. – Das besagt nichts. Der Krieg ist ein Tyrann. Er läßt nicht sprechen. – Die Maske ist gefallen. Sie haben sich enthüllt. Sie haben sich mit diesem Krieg vor der ganzen gesitteten Menschheit besudelt. – Wer? Wodurch? Womit? Haben ihre Truppen nicht nach den Regeln der Strategie gekämpft? Ist Mozart und Beethoven vernichtet, Dürer? – Kommen Sie mir nicht mit Strategie. Es sind Dinge geschehen …
Sie hob ihren Kopf mit einem Ruck von der Schulter ihres Mannes, der sie aufmerksam von der Seite betrachtete. Nein, ich will ihn nicht anhören. Was er redet, ist Lug und Trug. Er ist ein großes, grauenhaftes Gehirn. Sie hätten ihn von Paris nicht herschicken sollen.
Durch die Straßen schoben sich Barrès und der Lothringer, auf der Jagd nach Eindrücken. Sie kamen auf ihre Kosten. Eine Erregung, die sich von Tag zu Tag steigerte und bis zum Taumel ging, hatte sich der Stadt bemächtigt. Es duldete wenige in den Häusern. Bis in die Nacht trieb man sich singend und lärmend herum, Einheimische in Zivil, entlassene Elsässer in deutschen Militärmänteln mit Zivilhüten.
In den Hauptstraßen drängten sich jetzt in der Kälte und Dunkelheit die Menschen und bildeten Spalier. Eine Militärkapelle an der Spitze, bewegte sich ein großer Fackelzug vom Kleberplatz her. Der Jubel um den Zug. Und da kamen sie, rechts und links von Fackelträgern flankiert, die Musikanten. Der Tambourmajor an der Spitze mit dem fliegenden Stab und dem gewaltigen Schnurrbart, die Trommeln und Pfeifen, Fanfaren, Pistons, und hinten, klatsch, klatsch, die Becken und die dumpfe Pauke. Das löste einen so ungeheuren Enthusiasmus aus, und man liebte all dies so, im Brausen der Stadt, die sich wie zu einer Hochzeit bewegte, man liebte die Trommeln und die Pfeifen, die Trompeten und Fanfaren, die Schellen und die Pauken, und die, die sie schlugen und bliesen, Trompeter, Pfeifer, Trommler, Schellenschläger und Pauker, daß es ihnen zuletzt nicht glückte, auf dem Rückzug durch die karnevalesk wilde Stadt in ihre Kaserne zu gelangen.
Erst wurde ihnen aus der Menge der Schellenträger entrissen. Die Mädchen schlugen um ihn den Arm und zogen mit ihm ab. Sie schnitten sich aus dem Hochzeitskuchen ihr Stück. Der Tambourmajor mit dem wehenden Bart und dem strahlenden Lächeln war an der Reihe. Die Kapelle marschierte auch ohne ihn weiter. Der Blitz schlug auf die Fanfaren ein. Die Trompetenbläser wurden geraubt und von entzückt kreischenden Adlern mit Frauenhaaren in den Himmel getragen. Die Pfeifer, wo sind sie? Verschwunden der erste, der zweite, die ganze Reihe. Der Sturm erfaßte die Trommler, die noch zu entrinnen hofften. Und zuletzt donnerte herausfordernd die Pauke. Aber sie und der Mann hinter ihr konnten nicht ihrem Schicksal entgehen. Sie waren der letzte Zipfel der Fahne, die die Masse schon schwang. Noch einmal krachte er, dann hatte er die Hände nicht mehr frei, die Schlegel ergriffen andere, die Pauke wurde ihm entrissen.
Sie kamen an dem Abend nicht in ihrer Kaserne an. Die Geschichte meldet nicht, wieviel Zeit man ihnen im Polizeisaal zum Nachträumen gab.
Aber hinter unbeleuchteten Fenstern in ihren Häusern saßen die Altdeutschen. Sie waren an sechzigtausend, eine gewaltige Zahl für die Stadt Straßburg. Sie durften nicht sprechen, niemand wollte hören, was sie empfanden. Sie fürchteten sich, hielten sich versteckt. Wird man sie verjagen, wird man sie zum Freiwild machen.
Lies, was sie schreiben über uns, wer wir sind. Das ist aus uns geworden. – Ja, und das ist wahr. Jetzt werden einem die Augen geöffnet. Wie man uns belogen hat. Die drüben. Ruiniert haben sie uns. – Hätten wir’s doch erkannt. Hätten wir’s nicht mitgemacht. Hätten wir uns zur Wehr gesetzt. – Hätten, hätten. Wie? Und jetzt ist’s zu spät. Wir sind besiegt. – Weil wir besiegt sind, sind wir darum schlecht? Schlechter als die andern? Wenn andere was verbrochen haben, müssen wir dafür büßen? – Ja, ja und dreimal ja. Die Sünden der Väter werden heimgesucht an den Kindern bis ins dritte und vierte Glied. – Es ist nicht wahr. Es darf nicht wahr sein.
Die Stimme von Barrès. Unerschüttert die Stimme von Barrès:
»Die Stunde, die wir erwarteten, ist da. Ich richte ein Dankgebet an die Toten von 1914 bis 1918, an die Toten von 1870, von 1815, von 1814.
Die feudale Fassade Deutschlands ist gefallen. Dahinter wird sichtbar ein Volk von siebzig Millionen, brennend darauf, sein Leben wieder anzufangen und die verlorene Vorherrschaft wiederzugewinnen.
Sie fühlen sich nicht besiegt. Alle Deutschen sagen: sie sind nicht besiegt. Sie drohen mit ihrem bolschewistischen Herd. Sie wollen uns mit ihrem Unglück und der bolschewistischen Gefahr düpieren. Aber das deutsche Volk haßt den Bolschewismus. Wir wissen es. In diesem Land, das so diszipliniert ist, versteht man ihn nur als industrielle Hierarchie, als Herrschaft des Staates auch über die Wirtschaft. Wie begreifen, vollkommen! Wir lehnen die neue Mischung von Bitte und Drohung ab. Was sie bedeutet? Wilhelm und die Seinen geben uns zu verstehen, daß sie bereit sind, sich mit uns wie Simson bei den Philistern unter den Trümmern der Zivilisation zu begraben. Ah! Das französische Haus, das sie im Mittag ihrer Erfolge nicht zerstören konnten, wird auch ihrer Niederlage widerstehen.
Die deutsche Fassade ist gefallen. Die siebzig Millionen werden sichtbar, eine Aktiengesellschaft, die von ihrem Verwaltungsrat hintergangen ist. Sie wollen sich ihrer Verantwortlichkeit entziehen, indem sie den Verwaltungsrat niederschlagen.
Nein! Fünf Jahre hindurch rief ich täglich: Vertraut, hofft! Jetzt rufe ich: Seht euch vor, habt Mißtrauen, hütet euch!
Der Deutsche ist kein Demokrat. Das Teufelsschloß ist zerfallen, der Teufel geblieben. Sie haben große Eigenschaften. Ihre großen Eigenschaften haben dem Erfolg nicht standhalten können. Aus Gründen, klar wie der Tag, sind sie entartet, als sie glaubten, die Welt beherrschen zu können. Jetzt, wo sie geschlagen sind, graut’s ihnen vor sich selbst.
Ihr Land wird in den nächsten zwanzig Jahren unfähig sein, uns zu schaden. Aber nach zwanzig Jahren wird es sich wieder erheben.
Seht sie heute betteln! Heute! Morgen werden sie danach dürsten, uns zu überfallen. Der preußische Imperialismus, Feind der ganzen Welt, muß dem unerbittlichen Gesetz der Gerechtigkeit unterworfen werden. Die deutsche Nation, aus ihrem bösen Traum erwacht, muß von ihm befreit werden.
Ich stehe am Rhein, blicke auf den Rhein: Überall Reste alten römischen Lebens, jahrhundertelanges Vordringen und Verteidigen unserer Zivilisation im Rheintal. Dank denen, die sich hier gemüht haben, Dankbarkeit und der feste Vorsatz, ihren Willen fortzusetzen und zu vollstrecken.
Wir verlangten vor dem Krieg dreijährige Dienstzeit, schwere Artillerie und Munition. Von dem Friedensvertrag verlangen wir Klauseln, die uns rüsten und sicherstellen.
Um nicht noch einmal das Wunder der Marne erbitten zu müssen, müssen wir die natürliche Verteidigung des Rheins vorbereiten. Seit zweitausend Jahren schlagen sich Galloromanen und Germanen um das linke Rheinufer. Jede Generation fühlt von neuem die Notwendigkeit seines Besitzes.
Gegenüber einem Block von achtzig Millionen Germanen, die sich unsichtbar vereinen, werden unaufhörlich vierzig Millionen Franzosen in größter Gefahr leben. Wir wollen uns mit den zehn Millionen Belgiern und Wallonen, unseren Waffenbrüdern, zusammentun und unserer Sache die Bevölkerung der Pfalz, von Trier und Köln verbünden. Die Wurzeln dieser Völker müssen ein dichtes Flechtwerk bilden, um einen starken Deich zu schaffen, von dessen Höhe die freien Völker das tiefe und gefährliche Germanien überwachen.«