Kapitel 16
Der Hardwick Tanzsalon ist ein im Vermonter Stil eingerichtetes gemütliches Unterhaltungslokal. Wertvolle Errungenschaften von bekannten Seefahrern, die zuerst Vermont für sich entdeckt hatten, dekorierten die Wände. Bilder, die viele der bekannten überdachten Brücken aus Vermont zeigten, sorgten für den nötigen, ruhigen Ausgleich.
Tom gefiel es hier, aber er vermutete im Laufe des Abends, dass es nicht Donnas Geschmack, so kurz vor Mitternacht, treffen würde. Er versuchte mit viel gutem Zureden den Tanzsalon interessanter zu gestalten als er war, doch Donna interessierte das nicht. Sie wollte tanzen. Erotisch tanzen. Spaß haben.
Donna erzählte einige Minuten von ihren Auftritten als Tänzerin. Bei Tom begann sich Schweiß auf der Haut zu bilden.
Sie verabschiedete sich für einige Minuten und fand auf dem Weg zur Toilette wieder zwei anregende Gesprächspartner. Sie sprachen kurz, bevor Donna hinter einer weiß gestrichen Brettertür verschwand.
Sie könnte sich auch mit wilden und ausgehungerten Tigern unterhalten, wenn sie vor ihr stünden, dachte Tom.
Donna kam ohne Jacke zurück. Ihr Top hatte sie gewechselt. Sie trug jetzt einen engen Satin-BH.
Der Hardwick Tanzsalon hatte bereits seine Attraktion, seitdem Donna hier weilte, doch nun ... sie sprengte alle Ketten. Nur gut, dass die Musik aus einer Musikbox kam, die Musiker hätten bei diesem Anblick ihre Instrumente auf den frisch gewachsten Holzboden fallen lassen, dachte Tom.
Sie trat neben ihn. Ihr Duft vermischte sich mit dem des Wachses und des Holzes. Eine sinnliche, natürliche Note entstand. Tom atmete wieder schwer.
»Ist dir nicht kalt?«
»Nein, mir ist nicht kalt.«
Donna ging zur Musikbox und drückte zwei Songs aus dem Film Dirty Dancing. The Time Of My Life von Billy Medley und Jennifer Warnes und Hungry Eyes von Eric Carmen. Bei dem ersten Song sorgte sie für Alleinunterhaltung auf der Tanzfläche. Keiner traute sich gegen diese erotischen Kurven mit ihren Drehungen und Schrittwechseln anzutreten. Tom versuchte sein Herz und alles Übrige dazulassen, wo es war. Sein Mund war trocken.
Zu Hungry Eyes bat Donna Tom auf die Tanzfläche. Er zögerte, wie ein schüchterner Schuljunge. Doch nachdem alle Blicke der übrigen Gäste, wie bei einem Tennismatch laufend zwischen ihnen hin und her gingen, entschied sich Tom kein Feigling zu sein.
In Schritten, wie einst Patrick Swayze auf Jennifer Grey ging er auf Donna zu. Sie waren das Paar. Sie waren füreinander geschaffen. Donna übernahm die Führung. Tom war nervös. Sie machten die Aussage des Songs war. Sie hatten mehr als nur hungrige Augen. Toms Hand spürte die ersten Schweißperlen auf Donnas Rücken. Es war ein schönes Gefühl, das zu spüren. Ihre Haut war weich wie Watte. Ihre Rastazöpfchen glitten wie süße Honigstangen an Toms Augen vorbei. Er war in einem anderen Reich. Sie ließ ihn los. Was war passiert?
Hungry Eyes war zu Ende.
Die Zuschauer spendeten dem erotischsten Paar im Saale frenetischen Applaus. Tom bewegte seinen Kopf hin und her. Er hatte noch nicht begriffen, was die letzten vier Minuten geschehen war. Sie stellten sich an einen der zehn Stehtische rund um die Tanzfläche. Tom atmete immer noch schwer. Hatte er das gerade nur geträumt? Er war sich nicht sicher. Donna bestellte sich eine Cola.
»Donna, du bist eine fantastische Tänzerin.«
»Das? Das war doch nichts! Wenn du mich erst mal in Boston besuchen kommst, dann werde ich dir zeigen, was Tanzen wirklich ist.«
Tom schluckte und lächelte. »Ich werde mich dann an die Tanzfläche stellen und dir jeder Sekunde noch mehr verfallen. Immer wieder aufs Neue.«
Donna stellte sich vor Tom. Er nahm ihren Duft wahr, schloss die Augen und genoss es.
Sie bewegte sich wie eine Blume im Wind vor ihm. Langsam. Ihr Po streifte seine Schenkel. Ihm traten Schweißperlen auf die Stirn. Seine Hände beließ er da, wo er sie hatte. An Donnas Glas Cola. Er brauchte ein kühlendes Gefühl in seinen Händen, sonst würde er verbrennen.
Er wollte sich nicht wie ein Junge vom Land anstellen, indem er Donna zu sich zog. Ihre Bewegungen zeigten, dass sie spielen wollte. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Er war vieles gewohnt vom anderen Geschlecht. Nur mit so etwas wie Donna hatte er nicht gerechnet.
Sie stellte sich neben ihn und nahm einen Eiswürfel aus dem Glas Cola. Sie fuhr sich damit über ihre zart geröteten Wangen, weiter über ihren Mund, über ihren Hals bis in die Nähe ihrer Brüste. Dort ließ sie ihn kreisen. Im schwachen Licht des Tanzsalons verschwanden einzelne Wassertropfen des sich langsam auflösenden Eiswürfels in ihrem Satin-BH.
Tom biss sich auf die Unterlippe. Er suchte Halt am Stehtisch.
Mit dem deutlich verkleinerten Eiswürfel strich Donna nun über Toms Wangen ... Lippen ... Hals. Sie ließ in seinem Gesicht keine gefühlswichtige Stelle aus. Tom öffnete den Mund und fing an lauter zu atmen. Er streckte die Zunge einige Zentimeter heraus und sie streifte auch darüber. Sie ließ den Eiswürfel dort, für immer.
Sie ging sich frisch machen. Es war bitter nötig. Tom musste sich wieder Sammeln.
»Geht‘s dir gut, Tom? Du siehst so verkrampft aus?«
»Puh, ich ... ich bin okay.«
Sie sahen sich einige Minuten nur tief in die Augen. Der Saal um sie herum war vergessen. Die Blicke reichten tief in ihre Seelen, so schien es.
Es war eine Stunde nach Mitternacht.
»Tom, komm lass uns gehen, ich bin müde.«
Die Richtung war klar. Schlafen. Getrennt. Sie, in seinem Bett. Er, auf dem Sofa im Wohnzimmer.
»Jetzt schon? Ich dachte, du bist in der Nacht so richtig vital.«
»Eigentlich ja, aber heute nicht.«
»Dein Glas ist noch halbvoll.«
»Das stört doch nicht. Der Nächste wird sich freuen.«
Donna zahlte. Sie gab der Bedienung im Hardwick Tanzsalon fünf Dollar Trinkgeld, obwohl die Cola nur drei Dollar gekostet hatte.
Donna zog ihr Top wieder an, dann verließen sie den Tanzsalon. Tom, spritzig und lebendig. Donna, müde und schlaff.