Beruhigungspille Dänemark
Im scientologischen
Elternhaus Edwins gibt es mal wieder etwas Ärger. Edwin war in der
Schule morgens eingeschlafen und ist ein paar Tage gar nicht
hingegangen. Seine Mutter liest den Brief der Schule, in dem sie
gebeten wird vorbeizukommen. Jetzt muss irgendwie gehandelt werden.
Als Erstes stellt sie ihren Sohn zur Rede und fragt ihn, ob er sich
der Verantwortung nicht bewusst ist, die er hat. Edwin ist sich
darüber klar, dass das so ist.
Außerdem haben die Großeltern wieder
nachgefragt, wie es in der Schule so liefe. Auch dafür hat seine
Mutter ihn verantwortlich gemacht. Aber
zum Glück für ihn hat sich eine Lösung aufgetan, das Internat in
Dänemark. Seine Mutter wird dort Lehrerin, und er kann dort zur
Schule gehen. Ob Edwins Mutter überhaupt eine Ausbildung hat, die
sie für ein Lehramt an einer Schule benötigt, wird nicht
besprochen, nicht einmal gedacht. Edwin kommt auch gar nicht auf
die Idee, dass es außer der Technologie Hubbards noch andere
grundlegende Ausbildungen gibt. Warum auch, ist doch in der
Organisation niemand, der offen in Frage stellt, was Hubbard zum
Thema »Ausbildung« herausgefunden hat. Seine Erkenntnisse sind die
Wahrheit, also wird niemand die folgenden Sätze hinterfragen:
»Ausbildung hätte wie folgt definiert werden können: ›Ausbildung ist der Vorgang des Platzierens von Daten in die Rückrufe eines anderen‹. Sehen Sie das? Das war es, was man mit Ausbildung zu tun glaubte. Man dachte, man platziere Daten in die Rückrufe eines anderen und ermögliche ihm einen Rückruf von Daten, die ihm vermittelt worden waren. (…) Nun verhält es sich so, dass wir uns mit Einfachem befassen; und dies ist das erste Mal, dass wir, was Einfachheit angeht, ein Haar in der Suppe finden – es ist eine idiotische Definition -, und das ist es, was sich zur Zeit in den Universitäten Yale, Princeton, Harvard und Columbia abspielt, oder hier unten auf der George-Washington Universität, oder in Oxford, Cambridge und an der Sorbonne – überall auf der Welt, wo die Leute sich als Spitzenexperten in Sachen Ausbildung betrachten – sie platzieren Ideen in den Rückruf anderer.«(Hubbard-Kommunikationsbüro [Hrsg.]: Bulletin für professionelle
Auditoren vom 15. April 1957, East Grinstead 1957)
Na, das ist ja mal
eine klare Aussage zu den Zuständen an den Universitäten dieser
Welt. Die Schlussfolgerung nach dem scientologischen Kauderwelsch
kann natürlich für die trainierten Gehirne der Mitglieder nur sein:
Die eigene Ausbildung und die der Kinder kann nur in die Hände der
Hubbard’schen »Ausbilder« gelegt werden, und darum braucht es nach
den entsprechenden Richtlinien eigene Schulen.
Auch Oma und Opa
werden zufrieden sein. Denn die Großeltern haben sich den
Erkenntnissen Hubbards erfolgreich verweigert und haben keine
Ahnung, was in der Organisation an Ausbildung für ihren Enkel
vorgesehen ist. Jedenfalls handelt es sich hier nicht um eine
Ausbildung, die in ihrer eigenen Welt irgendeine Relevanz
hätte.
Edwin hatte ein
Telefongespräch seiner Mutter gehört, die ihren Eltern erklärt hat,
dass Edwin in Dänemark einen richtigen deutschen Schulabschluss
machen könne. Edwin beruhigt das, und er ist überzeugt, dass Oma
und Opa nicht weiter über seinen Schulwechsel diskutieren würden.
Und wirklich waren die Großeltern auch erst einmal zufrieden. So
zufrieden, dass sie Edwins Mutter ein paar Tausend Euro gaben,
damit der Enkel einen guten Start an der Schule in Dänemark hat.
Wahrscheinlich, so ihre nicht-scientologischen Gedankengänge,
braucht er ja Schulbücher und natürlich auch ein paar neue Sachen
zum Anziehen. Übliche Gedanken von Großeltern eben, die ihrem Enkel
den Start in einen neuen Abschnitt im schulischen Leben so angenehm
wie möglich machen wollen.
Was sie nicht wissen,
ist, dass Edwins Mutter unbedingt ein paar Kurse in Kopenhagen
machen wollte und dafür das Geld ausgegeben hat. In Kopenhagen
existiert eine »Advanced Organisation« von Scientology. Eine
fortgeschrittene Org, der »Sea-Organisation« zugehörig, und
bestimmte Kurse kann man zu einem entsprechenden Preis natürlich
nur dort machen. Allerdings sollte auch die Schule in Dänemark Geld
bekommen. Ein Einstieg mit Bargeld ist in jeder
Scientology-Einrichtung kein schlechter Anfang.
Wie Edwins Großeltern
ist es auch anderen Menschen schon passiert, dass sie nicht
erkannten, dass es sich bei dem schulischen Angebot in Bjerndrup,
gleich hinter der deutschen Grenze, nicht um eine in Deutschland
anerkannte ausländische Schule handelt, sondern um eine Einrichtung
von »Applied Scholastics«, einer Unterabteilung der
scientologischen »Association for Better Living and Education«
(ABLE). Diese Einheit ist zuständig für die »Bildungseinrichtungen«
der Scientology-Organisation.
Der Internet-Auftritt und damit die
Werbeseite in diesem Medium klingen auch ganz ansprechend:
»Jedes Kind lernt, für seinen eigenen Fortschritt verantwortlich zu sein und selbstgesteckte Ziele zu erreichen.«
So wird eine als
Grundschullehrerin bezeichnete Lehrkraft auf der Internet-Seite
zitiert. Das klingt zumindest nach Förderung und Motivation der
Kinder. Dass hier der scientologische Grundgedanke durchschimmert,
dass jedes Wesen für sich verantwortlich ist und dieses nichts mit
individueller Förderung zu tun hat, ist dem neutralen Betrachter
dieser Seiten nicht klar.
Auf der Seite, die
als Impressum gekennzeichnet ist, kann man das Logo von »Applied
Scholastics« finden und auch den Namen L. Ron Hubbard. Doch das
bringt ja nicht jeder sofort mit Scientology in Verbindung.
Irgendwann wird dann auf die Studiermethode Hubbards hingewiesen
und verkündet, dass man mit dieser Methode lernt, Hindernisse beim
Lernen zu überwinden. Es wird nicht darauf hingewiesen, dass damit
eine der zentralen Methoden von Scientology gemeint ist: Worte zu
klären, Begriffe umzudefinieren und damit die Bedeutung, die in der
Organisation gilt, zu erlernen.
(www.sischule.com, 30. 6.
2004)
Edwins Großeltern hat
vor allem wohl überzeugt, dass angegeben ist, die »Mittlere Reife
in Deutschland« erreichen zu können, die in dieser Form auch für
ein Aufbaugymnasium qualifiziert. Das ist schlicht falsch. Auf die
Absolventen dieses Internates wartet die scientologische Welt. Die
Großeltern erkundigen sich allerdings nicht beim zuständigen
Kultusministerium, ob die Schule anerkannt ist. Also geht Edwin
nach Bjerndrup.
Untergebracht im
Jungenflügel, hat er ziemlich schnell eine »Ethikmaßnahme« zu
erdulden, und andere mit ihm: Für einen ganz alltäglichen
Jungenstreich müssen die Kinder gemeinsam vor den »Ethikoffizieren«
Rechenschaft ablegen. Auch untereinander ist nicht gerade davon zu
sprechen, dass man mit gegenseitigem Respekt gemeinsam lernt. Ein
kleiner Junge wird von den älteren, so sieht es Edwin, wirklich
fast schon gequält. Er kommt gerade dazu, als zwei ältere Jungen
ihn auf dem Boden festhalten, seinen Mund öffnen und hineinspucken.
Eklig findet Edwin das und rät seinem Mitschüler, einen Bericht zu
schreiben und abzuwarten, ob nicht die »Ethikoffizierin«
einschreitet. Doch Edwin verfolgt den Vorfall nicht länger, denn er
will sich nicht einmischen. Er erfährt nicht, was aus der Aktion
geworden ist.
Nun herrscht zunächst
einmal Ruhe an der Familienfront. Edwin ist unter seinesgleichen,
und seine Mutter unterrichtet an derselben Schule. Er sieht sie
nicht immer, aber öfter als in der Zeit vorher.