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Kapitel 8

Kreuzfahrt kurios
Das Eisbär-Komplott

An diesem Montagmorgen im November ist die Lage ernst an Bord der »Carnival Splendor«: Im Maschinenraum ist ein Feuer ausgebrochen, das 290 Meter lange Kreuzfahrtschiff dümpelt antriebslos auf offenem Meer vor der mexikanischen Pazifikküste – doch Kreuzfahrtdirektor John Heald liegt um 6.05 Uhr noch in seiner Kabine und träumt. »Megan kam auf mich zu, der sanfte Glanz des Mondlichts schimmerte auf ihrem nackten Hintern«, schreibt er später in seinen Blog, »und ich wusste, sie wollte mich … Megan sah mich an, und mit der sinnlichsten Stimme der Welt sagte sie … – ALPHA TEAM ALPHA TEAM DECK 0 ENGINE CONTROL ROOM!« Heald wird durch den Notruf des Kapitäns Claudio Cupisti jäh aus dem Schlaf gerissen. Auch in den nächsten drei Tagen sollte er kaum mehr zu einem Nickerchen kommen.

Bei dem schlimmsten Unfall in der 38-jährigen Firmengeschichte der US-Reederei Carnival Cruise Lines kann die Crew den Generatorbrand zwar nach drei Stunden löschen, doch die Folgen sind fatal: Ein kompletter Stromausfall legt die Antriebsaggregate des hochmodernen, gerade mal zwei Jahre alten Schiffes lahm. Dazu fallen Klimaanlagen, Heizung, Heißwasser und zunächst alle Toiletten aus, auch Kühlschränke und Küchenherde funktionieren nicht mehr. Statt warmer Menüs gibt es nur noch Salate, Obst und Sandwichs für die 3 299 Passagiere und 1 167 Crewmitglieder. Zudem müssen die Kreuzfahrer dunkle Kabinen, kalte Duschen sowie müffelnde Klos ertragen und sich stundenlang vor dem kalten Buffet anstellen. Die geplante siebentägige Traumreise vor die Halbinsel Baja California wird zur Horrorfahrt.

Der 45-jährige John Heald, der bei Carnival für Unterhaltung und Kommunikation an Bord verantwortlich ist, versucht, in dieser brenzligen Situation seine Gäste bei Laune zu halten. Seit 2007 ist der Brite mit dem schrägen Humor bei US-amerikanischen Kreuzfahrern bekannt für seinen amüsanten und oft anzüglich geschriebenen Internet-Blog – und auch in diesen dramatischen Tagen der Havarie bekommt er von seinem Chef in Miami keinen Maulkorb verpasst.

Seitenlang und detailliert berichtet er von den Entscheidungen der Offiziere, darunter auch von Erlebnissen, die so manchem Marketing-Profi Kopfschmerzen bereitet hätten. Etwa als der Kapitän (»Claudio ist ein attraktiver Mann, als Italiener hat er sowieso das große Los gezogen«) aus Frust über die verzweifelte Lage einen Stuhl zerschlägt. »Auf der Brücke herrscht Stille.« Als Cupisti dann zum Telefon greift und Befehle erteilt, »wird uns klar, warum es keine gute Zeit ist, Teil des Brückenmobiliars zu sein«: Denn es gibt keine Hoffnung, die Stromversorgung an Bord wieder aufzubauen und mit eigener Kraft die Fahrt fortzusetzen. Schlepper werden bei der Küstenwache angefordert, das US-Militär eilt mit einem Flugzeugträger und Lebensmitteln zu Hilfe.

Inzwischen vertreiben sich die Passagiere die Zeit mit Singen und Kartenspielen, denn auch der Pool ist wegen versagender Chlorpumpen nicht mehr nutzbar. Seine eigene Lage sieht Heald selbstironisch: »Auch normalerweise dufte ich nicht wie eine Rose«, schreibt der Brite, »aber da die Wäscherei nicht funktioniert und ich nur zwei Unterhosen besitze, rieche ich nun wie Paris an einem heißen Sommertag. Paris, die Stadt, nicht Paris, die … Person.« Der korpulente Kreuzfahrtdirektor ruft über die Bordsprecher aus: »Wenn irgendjemand Unterhosen mit zwei oder mehr X auf dem Etikett hat – kann ich welche ausleihen? Ob für Männer oder Frauen – egal!« Fünf mitfühlende Gäste hinterlassen daraufhin Slips an der Rezeption, einer stammt sogar von einer Frau: »Wer hätte gedacht, dass es G-Strings in dieser Größe gibt?«, kommentiert Heald in seinem Blog.

Nach drei Tagen, am Donnerstagmorgen, wird die immer noch manövrierunfähige »Carnival Splendor« in den Hafen im kalifornischen San Diego geschleppt. Keiner der Gäste oder Crewmitglieder ist verletzt, das havarierte Schiff aber wird noch monatelang wegen Reparaturen auf seinen nächsten Einsatz warten. »Es war wie Camping auf See«, sagt eine Passagierin vor der Fernsehkamera, »und ich hasse Camping.« John Heald bloggt: »Eins ist sicher: Niemand an Bord wird jemals wieder ein Sandwich essen wollen.« Der Kommunikationsprofi erhält von seinen Gästen großes Lob für seine ruhigen Ansagen. Sein Sinn für Humor habe viel dazu beigetragen, die Ängste der Passagiere zu zerstreuen.

Doch nicht nur bei Carnival Cruises, dem größten Kreuzfahrtveranstalter der Welt, hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass eine Portion Humor bei Gästen gut ankommt. Auch die Reederei-Vertreter, die uns einige der folgenden Anekdoten geschickt haben, können den Alltag auf ihren Schiffen mit einem Augenzwinkern sehen – ganz zu schweigen von den vielen Kapitänen und Crewmitgliedern, die die oft seltsamen Fragen ihrer Gäste parieren müssen.

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Am zweiten Tag einer Kreuzfahrt mit der »MSC Orchestra« fragte eine ältere Dame ihren Reiseleiter, wo sie denn ein zweites Kopfkissen finden könne? Er gab ihr den Hinweis, im Schrank nachzusehen. Am nächsten Tag beschwerte sich die Frau bei ihm, sie wünsche ein anderes Kopfkissen. Eins, das nicht so hart sei wie das orangefarbene, auf dem sie die ganze Nacht geschlafen habe. Die Kreuzfahrerin hatte nicht bemerkt, dass sie auf der Rettungsweste gelegen hatte.

MSC Kreuzfahrten, München

Kapitäne auf Passagierschiffen klagen bisweilen darüber, sie seien unfreiwillig befördert worden – »vom Master zum Showmaster«. So ganz unrecht haben sie damit nicht, müssen sie doch auf jede Frage eine schlagfertige Antwort wissen. Wie etwa der Kapitän der »Aida Blu«, dessen nautische Fragestunde mit dem Problem begann, warum das Schiff kein Kabelfernsehen habe. Oder jener Kapitän, der auf die Frage, warum die Beleuchtung auf den Außendecks den ganzen Tag brenne, antwortete: »Das ist für den Fall, dass wir durch einen Tunnel fahren!« Der »Hanseatic«-Kapitän wurde mit einer recht persönlichen Frage konfrontiert: »Stimmt es eigentlich, dass ein Seemann in jedem Hafen eine Freundin hat?« Er antwortete: »Das nicht, wir laufen ja nicht jeden Hafen an.«

Oliver Schmidt, Velbert

Auf der alten »Queen Mary« wurde der berühmte »White Star Service« angepriesen, der angeblich keinen Gästewunsch unerfüllt lässt. Um das zu testen, bestellte eine Gruppe amerikanischer Geschäftsleute mitten auf dem Atlantik ein Klapperschlangenragout zum Abendessen und freute sich diebisch. Natürlich war die Hauptzutat für diesen ausgefallenen Menüwunsch mitten auf dem Atlantik nicht vorrätig, aber der Restaurantchef und seine Crew lösten dies auf elegante Weise: Zum Abendessen wurde den Herren ein leckeres Irish Stew serviert, dazu tanzten Kellner beim Servieren mit Rasseln, um den Klapperschlangensound zu imitieren. Die Geschäftsleute amüsierten sich ebenso köstlich wie die restlichen Passagiere, die Zeugen des Auftritts wurden.

Ingo Thiel, Hamburg

Auf einer Amazonas-Kreuzfahrt bemühte sich ein Reiseleiter redlich, den Reisenden die ungeheuren Dimensionen des Flusses begreiflich zu machen: 300 Kilometer breites Mündungsdelta, 2 600 Stromkilometer bis Manaus, sogar mit großen Ozeanriesen zu befahren. Den deutschen Besuchern präsentierte er einen ungewöhnlichen Vergleich: »Um einen leergepumpten Bodensee wieder mit Wasser zu füllen, braucht der Rhein sieben Jahre. Das würde der Amazonas in zwei Tagen schaffen!« Darauf raunte eine ältere Mitreisende ihrer Nachbarin zu: »Das hab ich gar nicht mitbekommen, dass sie den leergepumpt haben!«

Oliver Schmidt, Velbert

Die »MS Europa« war auf Kreuzfahrt in der Südsee unterwegs, und Küchenchef Stefan Wilke wollte seinen Gästen ein exklusives Barbecue an einem exotischen Ort bieten. Die Crew machte sich mit Zodiac-Schlauchbooten auf die Suche und fand auch eine geeignete kleine Insel. Zurück am Schiff, luden sie also die gesamte Ausrüstung in die Boote und steuerten das Fleckchen Land erneut an – doch es war weg! Sie suchten sehr lange, bis ihnen endlich klarwurde, dass die Insel inzwischen »untergegangen« war. Durch die Gezeiten war sie wieder vollkommen mit Wasser bedeckt – und die Crew musste eine neue Barbecue-Insel ausfindig machen.

Hapag-Lloyd Kreuzfahrten, Hamburg

Auf der »Queen Elizabeth 2« fuhr jahrzehntelang eine etwas exzentrische amerikanische Dame mit, die immer zwei Kabinen der höchsten Suitenkategorie buchte – eine für sich, die andere für ihre mehrere Dutzend Kuscheltiere. Normalerweise aß diese Kreuzfahrerin immer in ihrer Kabine, aber eines Tages wollte sie im Restaurant essen, was an sich auch kein Problem dargestellt hätte. Allerdings buchte die Dame einen Tisch für acht Personen – neben ihr sollten diverse Stofftiere am Mahl teilnehmen. Um Irritationen bei anderen Gästen zu vermeiden, griff der Maître ein: »Madam, wir reservieren Ihnen sehr gerne einen schönen Tisch. Bedenken Sie aber bitte, wie sehr sich Ihre Tiere erschrecken könnten, wenn sie auf einmal auf so viele unbekannte Menschen stoßen. Die Tiere sind so viel Trubel doch gar nicht gewohnt!« Die Dame ließ sich zum Glück überzeugen und speiste weiterhin in ihrer Kabine.

Ingo Thiel, Hamburg

Nicht jeder Reisende, der sich für eine Kreuzfahrt entscheidet und in die Karibik, den Indischen Ozean oder gar in die Südsee fährt, verfügt über Tropenerfahrung. Aufklärung über die Gefahren der Sonne, die Notwendigkeit, genug zu trinken, und nicht zuletzt die Gefahren, die Mensch und Natur an fernen Gestaden bereithalten, sind meist Teil der Vorablektüre, die der Veranstalter mit den Reiseunterlagen versendet. Nachhilfeunterricht in Allgemeinwissen gehört jedoch nicht dazu. Und so blickte eine Karibikreisende erstaunt in die Dunkelheit, die gegen 18 Uhr nach kurzer Dämmerung hereingebrochen war, und fragte verstört ihren Nebenmann an der Reling: »Wie kann es denn so früh dunkel werden – es ist doch so warm?!«

Oliver Schmidt, Velbert

Eine Reederei-Mitarbeiterin hatte es nach Jahren endlich geschafft, ihre Eltern von einer Kreuzfahrt auf der »MSC Sinfonia« zu überzeugen. Alles verlief bestens. Am vorletzten Tag packte das Paar dann wieder seine Koffer, legte die Kleidung für den Abreisetag bereit und stellte das Gepäck vor die Kabinentür, das um Mitternacht abgeholt wurde. Am nächsten Morgen merkte der Vater jedoch, dass er vergessen hatte, seine Anzughose herauszulegen. Die war nun im Koffer und dieser im Lagerraum des Schiffes. In Schlafanzughose, Hemd und Jackett begab er sich also frühmorgens auf die Suche nach Hilfe. Das hilfsbereite Personal forschte stundenlang im Lagerraum nach dem Koffer – erfolglos. Und so musste der Vater in seinem ungewöhnlichen Outfit seine Rechnung begleichen, zum Frühstück gehen und das Schiff verlassen. In der Ankunftshalle nahm er dann seinen Koffer in Empfang und konnte sich umziehen.

MSC Kreuzfahrten, München

Auf einer Antarktis-Kreuzfahrt wurde eine junge Reiseleitercrew auf eine harte Probe gestellt. Eine kleine, sehr anspruchsvolle Gruppe von Passagieren behauptete, im Reisekatalog seien Eisbären abgebildet gewesen, und die wolle man nun auch sehen. Sie hatten sich vermutlich im Katalog in der Seite geirrt. Da dieser aber als Gegenbeweis nicht verfügbar war, hatten die Schiffsreiseleiter nun ein Problem, denn am Südpol kommen Eisbären bekanntlich nicht vor.

Schließlich ersannen sie einen Trick: An Bord gab es ein Eisbärenkostüm, das traditionell auf Spitzbergen-Reisen beim ersten Landgang eingesetzt wird, so dass die Passagiere sich im Arm eines Polarraubtiers fotografieren lassen können. Also suchte man in der Crewmesse nach einem Freiwilligen, der sich für ein Stündchen auf einer Eisscholle aussetzen ließ. Der Bordingenieur, der für jeden Spaß zu haben war, erklärte sich schließlich bereit. Allerdings hatte er mit seinen geringen Deutschkenntnissen die Vorgeschichte nicht mitbekommen.

Als sicher war, dass alle Passagiere beim Abendessen saßen und niemand die Aktion beobachtete, wurde der »Eisbär« per Schlauchboot zu einer Eisscholle gebracht. Dann kam die Durchsage: »Wir haben etwa eine halbe Meile steuerbord voraus einen Eisbären gesichtet!« Auf Antarktis-Reisen können die Fensterscheiben nicht geputzt werden, weil das Schiff nirgends am Pier liegt – ideale Voraussetzungen für ein glaubhaftes »Eisbären-Rendezvous« am Restaurantfenster.

Staunende Passagiere traten an die Steuerbordfenster, die Täuschung war perfekt. Jedenfalls so lange, bis das Schiff auf Höhe der Eisscholle war. Da hob der freundliche Eisbär die Pfote – und winkte.

Oliver Schmidt, Velbert

Zu Beginn jeder »Mein Schiff«-Kreuzfahrt steht die Vorstellung der Offiziere auf dem Programm. In der Regel findet diese im Theater statt, das etwa 1 000 Leute fasst und bei dieser Veranstaltung immer voll ist. So auch diesmal: Die Offiziere standen schon in Reih und Glied bereit, und der Kapitän wartete unten auf einer versteckten Hebebühne darauf, hochgefahren zu werden, sozusagen als »Special Effect«. Der Cruise Director, verantwortlich für die Unterhaltung an Bord, begann mit seiner Anmoderation, ging einen Schritt nach vorne – und war plötzlich verschwunden. Und unten wunderte sich der Kapitän, was sein Cruise Director auf einmal neben ihm machte. Der Offizier hatte das Loch im Bühnenboden übersehen, bei dem Sturz verletzte er sich den Fuß.

TUI Cruises, Hamburg

Manche Kreuzfahrer scheinen den wesentlichen Zweck ihres Touristendaseins darin zu sehen, am Ende den »Motzbogen« akribisch ausfüllen zu können und den Veranstalter mit seitenlangen unleserlichen Kommentaren wochenlang zu beschäftigen. Um an Stoff für die mehr oder weniger sinnvollen Stellungnahmen zu gelangen, ist manchem anscheinend jedes Mittel recht. Einmal fragte eine Passagierin den Kapitän: »Wo kriegen Sie eigentlich jeden Morgen das schöne frische Brot her? Wird das hier an Bord gebacken?« Der gestandene Seebär erlaubte sich einen Spaß: »Haben Sie noch nie morgens den Versorgungshubschrauber gesehen, der das bringt? Der kommt immer so gegen fünf!« Am nächsten Tag kam prompt die erste Beschwerde. Die Frau war »rechtzeitig« aufgestanden, hatte aber natürlich nichts gesehen. Auf der Brücke aber spielte man das Spiel weiter: »Hach, ausgerechnet heute war er eine Stunde früher da!«

Am Ende der Kreuzfahrt schrieb die Passagierin in ihre Beurteilung: »Die Kreuzfahrt war schön. Nur dass einen jeden Morgen um fünf der Lärm des Versorgungshubschraubers aus dem Schlaf schreckt, hat mir nicht gefallen.«

Oliver Schmidt, Velbert

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Was Schiffsreisende
wissen wollen

An Bord von Kreuzfahrtschiffen tummeln sich auf jeder Fahrt jede Menge Seereise-Anfänger, die von vielfältigen Problemen gequält werden. Eine Best-of-Sammlung der absurdesten Fragen an die Crew und deren Antworten kursiert im Internet und gehört auf US-amerikanischen Schiffen längst zum Unterhaltungsprogramm.

Schläft die Crew an Bord? Natürlich nicht. Sie wird spät in der Nacht von Wassertaxis abgeholt und nach Hause gebracht.

Führen diese Treppen nach oben oder unten? Ja!

Produziert das Schiff seinen eigenen Strom? Nein, sehen Sie nicht die Verlängerungsschnur hinter dem Schiff?

Welches ist die Sonnenseite des Schiffes? Der Kapitän dreht das Schiff täglich, so dass jeder eine gleichmäßige Bräune bekommt.

Welcher Lift bringt mich zum Bug des Schiffes? Fragen Sie den Liftboy, er bringt Sie, wohin Sie wollen.

Ist das Wasser im Pool Salz- oder Süßwasser? Salzwasser. Ah, deswegen gibt es so viele Wellen.

Um welche Uhrzeit beginnt das Mitternachtsbüfett?

Normalerweise so gegen 23 Uhr. Wir haben es direkt nach dem Frühstück probiert, aber die meisten Leute waren nicht richtig hungrig.

Ist diese Insel vollkommen von Wasser umschlossen?

Nein, ein Teil ist umgeben von Sand, aber es ist alles deutlich markiert.