Alfred Bekker
Da Vincis Fälle
Leonardo und die Verschwörer von Florenz
Teil 2 von 3
Die deutschsprachigen Printausgaben (6 Bände) erschienen 2008/2009 im Arena Taschenbuchverlag; Übersetzungen liegen auf Türkisch, Indonesisch, Dänisch und Bulgarisch vor.
Die Einzeltitel der Serie:
Leonardo und das Geheimnis der Villa Medici
Leonardo und die Verschwörer von Florenz
Leonardo und das Rätsel des Alchimisten
Leonardo und das Verlies der schwarzen Reiter
Leonardo und der Fluch des schwarzen Todes
Leonardo und die Bruderschaft des heiligen Schwerts
Ferner liegen Sammelbände und Teilausgaben vor.
© 2008, 2009 by Alfred Bekker
© 2010,2012 der Digitalausgabe AlfredBekker/CassiopeiaPress
Ein CassiopeiaPress E-Book
www.AlfredBekker.de
Leonardo und die Verschwörer von Florenz
4. Kapitel
Die Verfolger im Nacken
Sie warteten, bis es vollkommen dunkel war und von den Wächtern keine Geräusche mehr kamen. Selbst das Lagerfeuer prasselte nicht mehr, dass die von ihren Komplizen zwischenzeitlich zurückgelassenen Wächter offenbar entzündet hatten.
„Ihr wisst nicht, wie die Kerle reagieren, wenn sie uns erwischen“, warnte Luca.
„Die Tatsache, dass du davon gesprochen hast, dass sie uns erwischen, heißt ja wohl, dass du es dir inzwischen überlegt hast und mitkommen willst“, stellte Leonardo fest.
„Ja“, gab Luca zu. „Ich war lange genug in diesem Loch.“
„Dann brauche ich jetzt eure Hemden, um sie aneinanderzuknoten. Vielleicht auch noch andere Kleidungsstücke, die sich dazu eignen.“
„Zum Beispiel deine Weste“, erinnerte ihn Carlo. Die Jungen zogen ihre Hemden aus und gaben sie Leonardo, der sie zusammenknotete. Zum Schluss kam ein Schuh, den Carlo ausziehen musste. Mit der Verschnürung wurde er an dem letzten Hemd befestigt.
„Fertig“, murmelte Leonardo leise vor sich hin.
„Na, dann versuch mal dein Glück!“, meinte Carlo.
„Besonders ermutigend klingt das ja nicht“, erwiderte Leonardo. Er schleuderte den Schuh hinauf, in der Absicht, die Strickleiter zu erwischen. Die konnte Leonardo natürlich nicht sehen. Er musste einfach ungefähr dorthin zielen, wo er glaubte, dass sie sich dort befand.
Der erste Versuch scheiterte.
Als Leonardo den Schuh an den Hemden zurückzog, wurde klar, dass er die Leiter nicht erwischt hatte. Einen Augenblick lang lauschte er. Schließlich wollte er auf keinen Fall, dass einer der Wächter etwas bemerkte. Aber draußen vor der Höhle schien nach wie vor alles ruhig zu sein.
Leonardo versuchte es noch einmal.
Und diesmal klappte es. Vorsichtig zog er den Schuh heran. Er hatte sich in der Leiter verhakt und zog sie über den Rand der Grube. Endlich rutschte sie herab und reichte nun so weit, dass man leicht hochsteigen konnte.
Leonardo knotete die Hemden auseinander.
„Ich kann bei dieser Dunkelheit nicht garantieren, dass jeder von euch das richtige kriegt“, sagte er.
„Hauptsache, wir kommen hier bald raus!“, meinte Carlo, der sich seinen Schuh überstreifte.
Er kletterte als erster hinauf. Fast lautlos schaffte er dass. Oben angekommen richtete er sich nicht gleich auf, sondern blieb erst in geduckter Haltung, damit ihn niemand bemerkte. Für ein paar Augenblicke konnten Leonardo und Luca ihn von unten nicht sehen. Dann kehrte er an den Rand der Grube zurück. Man sah ihn nur als dunklen Schatten.
„Die Luft ist rein!“, flüsterte er und seine Worte vermischten sich mit dem Rascheln der Fledermausflügel.
Als nächster stieg dann Leonardo empor. Zuletzt folgte Luca, der wohl bis zum letzten Moment mit sich gerungen hatte, ob er es wirklich wagen sollte.
Oben angekommen schlichen die drei Jungen in Richtung des Höhlenausgangs. Leonardo ging voran. Die anderen folgten ihm dichtauf.
Das Feuer der Wächter war heruntergebrannt. Es glühte nur noch ein bisschen. Einer der Männer saß am Höhleneingang. Er trug jetzt keine Maske, aber auf Grund der Dunkelheit konnte man von seinem Gesicht trotzdem nicht viel sehen, zumal ihm der Hut ziemlich weit im Gesicht hing. Neben ihm lag in Griffweite seine Arkebuse. Das Schwert hatte er neben sich in den Boden gesteckt. Die Jungen gingen an ihm vorbei ins Freie.
Noch zwei weitere Banditen kampierten dort. Sie hatten sich auf der anderen Seite des Feuers in ihre Umhänge eingerollt. Der Kerl am Höhleneingang hatte vermutlich die Aufgabe gehabt, Wache zu schieben und war dann eingeschlafen.
Hinter den Bergen schimmerte es bereits. Das kündigte den Sonnenaufgang an, bis zu dem es nicht mehr allzu lange dauern konnte.
Die Pferde der drei waren in der Nähe an Sträuchern festgemacht und einen Moment lang überlegte Leonardo, ob sie sich diese Pferde vielleicht nehmen sollten, um damit davon zu reiten. Aber diesen Gedanken gab er rasch wieder auf, als eines der Tiere laut schnaubte und der Kerl am Höhleneingang beinahe erwachte. Im Schlaf griff er nach seiner Arkebuse. Aber um damit schießen zu können, hätte er ohnehin erst die Lunte entzünden müssen – was man auf eine Entfernung von fast zehn Metern riechen konnte. Der Wächter bewegte sich.
Leonardo, Carlo und Luca erreichten den Waldrand. Ein Ast knackte. Es war Carlo, der diesen Fehltritt begangen hatte. Alle drei erstarrten sie für einen Augenblick.
Der Wächter neben dem Höhleneingang wachte nun endgültig auf. Im fahlen Mondlicht war er deutlich zu sehen.
Er rappelte sich auf. „Halt! Stehen bleiben!“, rief er. „Keinen Schritt weiter!“
Leonardo, Carlo und Luca machten jedoch genau das Gegenteil. Sie rannten so schnell sie nur konnten in den Wald hinein. Jetzt ging es wirklich im alles. Hinter sich hörten sie die aufgeregten Rufe des Wächters.
Ein Schuss krachte. Er fuhr in eine der Baumkronen und holte mehrere Äste herunter.
Offenbar war es seine Absicht, die Flüchtenden zu beeindrucken und sie so davon abzuhalten, ihre Flucht fortzusetzen. Leonardo war erstaunt, wie schnell der Arkebusen-Schuss gefallen war. Der Wächter musste sehr geübt darin sein, die Lunte zu entzünden und dann die Büchse abzufeuern. War er vielleicht in seinem eigentlichen Leben ein Soldat? Oder ein Angehöriger der Stadtwache von Florenz?
Eine Arkebuse war zwar nicht sehr schwer zu bedienen, aber gerade die Geschwindigkeit, die man brauchte, um die Waffe schussbereit zu machen, blieb erheblich.
Die Jungen hetzten durch den Wald. Da Leonardo an ihrer Spitze war, folgten sie ihm auf Schritt und Tritt. Sie konnten im dichten Unterholz kaum etwas sehen. Zweige peitschten ihnen ins Gesicht und hin und wieder stolperten sie über die dicken, knorrigen Wurzeln der Bäume.
Weit hinter ihnen waren die Stimmen der drei Banditen zu hören, die sich gegenseitig dafür verantwortlich machten, dass den Gefangenen die Flucht gelungen war.
Die Pferde wieherten. Sie wurden im Schnellverfahren gesattelt und schon wenig später hetzten die drei Reiter hinter den Kindern her.
Luca konnte bald schon nicht mehr. Er hielt sich die Seite und rang nach Luft. Leonardo hatte das auch schon erlebt – allerdings erst nach längeren Strecken. Seitenstechen konnte sehr unangenehm sein und machte es für den Betreffenden völlig unmöglich, weiter zu rennen.
Leonardo hatte eine ganze Weile versucht, zu verstehen, wodurch Seitenstechen ausgelöst wurde, war aber bei dieser Sache zu keiner eindeutigen Antwort gekommen.
Leonardo drehte sich in Richtung der Verfolger um. Sie waren in der Ferne als dunkle Schatten in einem ohnehin ziemlich lichtlosen Waldstück zu sehen. Mit ihren Schwertern schlugen sie rechts und links die Sträucher kurz und klein. Ab und zu durchdrang das Mondlicht die dichte Blätterhaube der Bäume und wenn die Verfolger durch eine dieser Stellen ritten, waren sie gut zu erkennen.
„Du musst durchhalten!“, wisperte Leonardo an Luca gewandt. Sie hetzten weiter, aber es war klar, dass die Reiter sie irgendwann einholen würden, auch wenn das dichte Gestrüpp die Verfolger im Augenblick noch ziemlich aufhielt.
Die Gedanken rasten nur so in Leonardo.
Er versuchte sich an Einzelheiten des Weges zu erinnern, auf dem er zur Höhle gebracht worden war. Aber das erwies sich als unmöglich. Die Entführer hatten dafür gesorgt, dass er vollkommen die Orientierung verlor.
Aber allzu weit können sie mit uns nicht geritten sein!, dachte er. Sonst hätte der Brand für die Banditen nicht so gefährlich werden können!
Leonardo hielt an und blickte sich. Er versuchte sich zu erinnern, ob er nicht früher schon mal in dieser Gegend gewesen war. Die Gegend rund um Vinci hatten Carlo und er schließlich immer wieder durchstreift. Und manchmal hatten sie ihre Ausflüge ziemlich weit von zu Hause weggeführt, wenn Leonardo zum Beispiel unbedingt irgendeiner Tierspur folgen wollte.
Aber bei Nacht sah alles gleich dunkel aus. Es war unmöglich, irgendetwas wiederzuerkennen.
Doch dann vernahm er ein Geräusch.
Das Rauschen eines Bachs!
„Mir nach!“, wisperte er.
„Wohin willst du?“, wollte Carlo wissen.
„Vertrau mir!“
Den ächzenden Luca, der sich die Seite hielt, zogen sie einfach mit sich. Carlo fuhr ihn an, dass er stille sein und die Zähne aufeinanderbeißen sollte.
Einer der Reiter meinte entdeckt zu haben, wohin die Jungen gelaufen waren und rief das seinen Komplizen auch laut zu. Irgendwo in der Dunkelheit des Unterholzes hörten sie die stampfenden Hufe seines Pferdes und Schwertstreiche, mit denen er das Gestrüpp aus dem Weg schlug.
Die Jungen erreichten den rauschenden Wasserlauf, der sich mitten durch den Wald zog.
„Und jetzt? Sollen wir uns die Füße nass machen?“, fragte Luca, dessen Seitenstiche inzwischen wohl etwas nachgelassen hatten.
„Wir tauchen unter Wasser!“, meinte Leonardo. „Sucht euch ein paar Halme, durch die ihr Luft holen könnt und legt euch ins Wasser. Solange es nicht richtig hell ist, sieht uns dort niemand.“
„Das ist nicht dein Ernst!“, entfuhr es Luca.
„Meinst du, es macht noch etwas, wenn deine Filzpantoffeln nass werden?“, fragte Leonardo. „Die sind doch ohnehin schon durch deine Zeit in der Höhle verdorben!“
„Trotzdem…“
„Aber einen dieser Filzschuhe könnten wir gut gebrauchen.“
„Wozu denn?“
„Um ihn als Spur auszulegen. Die Banditen sollen denken, dass wir durch den Bach gewatet sind.“
„Und warum unbedingt mein Schuh?“
„Weil du für die Banditen der wichtigste von uns Dreien bist“, erwiderte Leonardo. „Schließlich hat dein Vater das meiste Geld. Also werden sie dorthin reiten, wo sie glauben, dass sie dich finden!“
Luca wollte noch etwas an Protest hinzufügen, aber die Geräusche der Verfolger rückten näher und ließen ihn verstummen. Leonardo streckte die Hand aus.
„Na, los!“, forderte er.
Luca zog einen Schuh aus und gab ihn Leonardo. Dieser schleuderte ihn auf die andere Seite des Baches. An der Böschung blieb er an ein paar Schilfrohren hängen.
„Gut so!“, meinte Carlo. „Das Mondlicht scheint genau dorthin!“
Jeder der drei Jungen nahm ein paar röhrenartige Halme vom Ufer weg. Dort wuchsen genug davon. Dann gingen sie ins Wasser, tauchten unter, steckten dabei einen Halm in den Mund, dessen Spitze über die Wasseroberfläche gehalten wurde, sodass sie Luftholen konnten. Der Bach war nicht tief. Das Wasser reichte den Jungen etwa bis zum Bauchnabel, sodass auch nicht die Gefahr bestand, dass die Strömung sie wegreißen konnte. Sie legten sich dicht an die steile Uferböschung, die zum Teil sogar etwas überstand. Zahlreiche Pflanzen wucherten im Uferbereich, die zusätzlich die Tarnung erleichterten.
Einer der Reiter erreichte nun den Bach. Er zügelte sein Pferd, blickte sich um und stocherte dann mit dem Schwert in den Pflanzen an der Uferböschung herum.
Dann gab er seinem Pferd die Sporen und preschte durch den Bach. Das Pferd sank dabei fast bis zum Rumpf ein, brauchte aber nicht zu schwimmen. An der Uferböschung entdeckte der Reiter dann den Schuh.
Er nahm ihn mit der Schwertspitze vom Boden auf. Ganz leise und wie durch Watte hörte Leonardo unter Wasser, wie der Entführer laut nach seinen Komplizen rief.
Wenig später dröhnte dumpf der Hufschlag der beiden anderen Pferde auf dem schweren Waldboden.
„Sie waren hier!“, rief der Reiter, der den Schuh gefunden hatte.
„Und eigentlich können sie auch noch nicht weit sein!“
„Hinterher!“, rief einer der anderen Männer.
Die Männer ließen ihre Pferde voranpreschen. Leonardo wartete, bis er sicher war, dass sie den Bach überquert hatten und dort weitergeritten waren. Vorsichtig tauchte er aus dem Wasser hervor. Zwischen dem Schilf und anderen Uferpflanzen wäre er auch jetzt kaum zu sehen gewesen.
Die Banditen waren verschwunden.
Nach und nach tauchten auch Luca und Carlo wieder auf.
„Alles klar!“, flüsterte Leonardo.
Sie stiegen ans Ufer. Die nasse Kleidung klebte ihnen am Körper. Carlos Schuhe quietschten, sodass er sie erst einmal ausschüttete.
„Und wohin jetzt?“, fragte Luca.
„In einem großen Bogen nach Vinci“, bestimmte Leonardo.
„Und du weißt, wo wir uns befinden?“, fragte Luca. „Also ich wüsste nicht mal, in welche Richtung wir laufen müssen!“
„Ich denke, die ist der Bach, bei dem wir das Feuer gemacht haben“, erklärte Leonardo an Carlo gewandt.
„Wir sind nur ein Stück weiter in den Bergen“, nickte Carlo. „Auf jeden Fall haben die uns gar nicht so weit mitgenommen, wie ich gedacht hatte. Aber wenn man nichts sehen kann, verliert man eben komplett die Orientierung.“
„Das Wichtigste ist erst einmal, dass wir den Entführern nicht noch einmal über den Weg laufen. Nach Vinci finden wir dann schon.“
Die Jungen gingen schweigend und in nassen Sachen durch den Wald. Immer wieder lauschten sie, ob sie nicht irgendwo verdächtige Geräusche hörten. Aber von den Banditen war nichts mehr zu hören. Sie suchten offenbar an anderer Stelle nach den drei Flüchtigen. Nach und nach wurde es heller und erste Strahlen der Morgensonne fielen durch das Blätterdach des Waldes. Warm war es allerdings noch nicht. Alle drei waren vollkommen durchgefroren. Sie kamen schließlich in ein weniger bewachsenes Gebiet. Hie mussten sie besonders auf der Hut sein, weil man sie möglicherweise schon aus großer Entfernung sehen konnte.
Schließlich erkannten sie in der Ferne die Häuser von Vinci mit der kleinen Dorfkirche in der Mitte.
„Eine gewaltige Stadt!“, spottete Luca. „Die Häuser lassen sich ja fast nicht zählen! Und diese gewaltige Kathedrale, mit der gewiss ein großer Architekt sein Meisterstück abgeliefert hat!“
„Jedenfalls wirst du hier erstmal Zuflucht finden“, erwiderte Leonardo.
„Und wie komme ich dann zurück nach Florenz?“
„Dafür finden wir schon eine Lösung.“
„Na hoffentlich!“
Carlo mischte sich jetzt in das Gespräch ein. „Irgendwie könntest du etwas dankbarer dafür sein, dass nun alles vorbei ist!“
„Vorbei?“, fragte Luca zurück. „Wieso glaubt ihr, dass es vorbei ist? Wenn tatsächlich geschäftliche Konkurrenten meines Vaters hinter der Entführung stecken, dann ist es zumindest für mich noch lange nicht vorbei! Sie werden es immer wieder versuchen, selbst wenn mich meine Eltern auf eine Schule in einer fernen Stadt schicken!“ Er zuckte mit den Schultern. „Mag ja sein, dass ihr beide für die Bande nicht wichtig genug seid. Aber verlassen würde ich mich darauf auch nicht. Schließlich hast du, Leonardo doch an einem der Kerle eine Narbe erkannt!“
„Aber das wissen die doch nicht“, gab Leonardo zu bedenken.
„Aber solltest du einmal diesem Kerl mit der Narbe begegnen –
sagen wir, wenn dein Vater mit dir über den Markt von Florenz bummelt – und du schaust ihn einen Augenblick zu lange an, dann wird er denken, dass du ihn wiedererkannt hast.“
„Was geschieht dann?“, fragte Carlo.
„Ich nehme an, dass er versuchen wird, Leonardo zu töten.“
Sie setzten ihren Weg fort und näherten sich langsam dem Dorf. Die Sonne schien und trocknete bereits etwas die Kleider, sodass sie nicht mehr ganz so doll froren.
„Du hast es gut“, sagte Leonardo nach einer Weile. „Du hast schon so viel von der Welt gesehen und darfst außerdem noch Latein lernen.“
„Na ja, so viel ist es nun auch wieder nicht“, meinte er. „Florenz und Pisa – das ist noch keine Weltreise. Und dann waren wir einmal bei einem Onkel in Neapel, da war ich noch so klein, dass ich mich kaum daran erinnern kann. Und das mit dem Latein lernen, ist nicht unbedingt das reinste Vergnügen, kann ich dir sagen…“ Eine kurze Pause des Schweigens entstand. Dann fragte Luca plötzlich: „Wo wohnst du, Leonardo?“
„Siehst du das Haus am Dorfplatz?“
„Ja.“
„Das gehört meinem Großvater und dort wohne ich. Mein Vater hat sein Haus auf der anderen Seite des Dorfes. Seine Frau ist gestorben. Meine Mutter wohnt dort hinten, hinter der Anhöhe auf einem Bauernhof, der auch eine Töpferei betreibt.“
„Sie hat nicht deinen Vater geheiratet?“
Leonardo schüttelte den Kopf. „Nein. Sie hat mit ihrem Mann fünf Kinder, die meine Halbgeschwister sind.“
Luca hob die Augenbrauen. „Ziemlich verworren ist das alles bei euch. Aber bei uns ist das nicht anders. Als mein Großvater starb, tauchten plötzlich mehrere Personen auf, die behaupteten, seine unehelichen Kinder zu sein und Anspruch auf das Erbe erhoben. Es war für meinen Vater gar nicht so einfach, dagegen vorzugehen und darum will er ja auch unbedingt, dass es in der Familie einen Rechtskundigen gibt!“
„Hast du dir eigentlich schon mal überlegt, ob du das auch willst?“, fragte Leonardo.
Luca schien nicht richtig zu verstehen, worauf Leonardo damit hinauswollte. „Wie meinst du das?“, fragte er.
Leonardo zuckte mit den Schultern. „Also mir würde es nicht gefallen, wenn jemand schon genau festgelegt hätte, wie mein ganzes Leben ablaufen soll.“
5.Kapitel
Zurück in Vinci
Als die drei Jungen Vinci erreichten, war es Gianna, die Tochter des Dorfgastwirtes, die sie als erste entdeckte. Sie lief ihnen sogar ein Stück entgegen.
„Leonardo! Carlo! Wo seid ihr gewesen? Das ganze Dorf hat sich Sorgen um euch gemacht!“
„Das ist eine lange Geschichte“, erwiderte Leonardo. Bevor er etwas davon erzählen konnte, sprudelte es nur so aus Gianna heraus. Das Mädchen berichtete, Leonardos Großvater hätte sich trotz seiner Rückenschmerzen auf ein Pferd gesetzt, um die Jungen zu suchen.
„Aber niemand hat gewusst, wo ihr gesteckt habt!“, meinte sie.
„Außerdem hat es einen Brand oben in den Bergen gegeben und wir haben schon befürchtet, dass das irgendetwas mit euch zu tun hat!“
Dann wandte sie sich zu Luca herum und musterte ihn von oben bis unten. „Wer ist das denn?“, fragte sie.
„Auch das ist eine lange Geschichte“, sagte Leonardo.
„Sein Name ist jedenfalls Luca“, ergänzte Carlo. „Und alles hat damit angefangen, dass wir von einer Horde maskierter Banditen entführt wurden!“
Gianna sah sich die Jungen der Reihe nach an und meinte dann:
„Und ich dachte, ihr wärt vielleicht deshalb so dreckig und nass, weil ihr eine dieser Flugmaschinen nachgebaut habt, die Leonardo sich immer ausdenkt und dann damit in einem Tümpel gelandet seid.“
Auf dem letzten Stück des Weges bis zum Dorfplatz erzählte Carlo Gianna die Geschichte in groben Zügen.
Dort trennten sich dann ihre Wege.
Carlo ging zum Haus der Maldinis, um sich umzuziehen. Seine Mutter kam ihm bereits von dort entgegen.
Leonardo und Luca hingegen wandten sich zu dem Haus, das Leonardos Großvater bewohnte.
Dieser stand bereits vor der Tür und erwartete die Ankömmlinge. Von Gianna bekam er gleich eine Kurzfassung der Geschehnisse. Großvaters Gesicht blieb jedoch gefasst. „Hol bitte meinen Sohn Ser Piero“, sagte er. „Er soll sofort herkommen. Ich nehme an, dass er zurzeit vor seinem Haus sitzt und Bittsteller empfängt, die von ihm Briefe verfasst haben möchten… Jedenfalls habe ich ihn nicht davon reiten sehen!“
„Ich bin schon unterwegs“, sagte Gianna und lief los. Großvater wandte sich unterdessen an die beiden Jungen.
„Ich bin froh, dass Carlo und du den Weg zurück gefunden habt“, sagte er. „Ganz gleich, was ihr auch angestellt haben mögt.“
„Diesmal sind wir – fast schuldlos“, meinte Leonardo. Er deutete auf Luca. „Dies ist übrigens Luca di Gioia, der Sohn von Emanuele di Gioia aus Florenz. Der hatte das Pech, ein paar Tage länger in dem finsteren Loch verbringen zu müssen, in dem man uns gefangen hielt.“
„Am besten, ihr zieht euch als erstes Mal trockene Sachen an und erzählt mir dann alles der Reihe nach, sodass ich es auch begreifen kann“, schlug Großvater vor.
Eine Viertelstunde später saßen Luca und Leonardo am Tisch in der Stube des Großvaters. Luca hatte ein paar Sachen von Leonardo angezogen. Die waren an Armen und Beinen etwas zu kurz, aber immerhin trocken.
Leonardo hatte noch gar nicht richtig angefangen zu erzählen, da waren von draußen Schritte zu hören.
Im nächsten Moment stürzte ein Mann von Mitte dreißig in den Raum. Das war Ser Piero d’Antonio, Leonardos Vater.
„Gott sei Dank, du bist wieder da!“, stieß er hervor und umarmte Leonardo. Anschließend setzte er sich an den Tisch. „Von Gianna weiß ich schon die dramatische Kurzfassung!“, erklärte er.
„War denn keiner der Banditen hier, um eine Geldforderung zu stellen?“, fragte Leonardo überrascht.
Ser Piero und Großvater wechselten einen kurzen Blick miteinander und beide Männer schüttelten zur gleichen Zeit den Kopf.
„Nein, hier war niemand“, erklärte Leonardos Vater. „Aber jetzt erzähle erstmal alles. Ich möchte es aus deinem Mund hören, weil ich mir nicht sicher bin, ob Gianna das wirklich richtig verstanden hat, oder ob sie mal wieder etwas übertreibt.“
„Ich fürchte, sie hat nicht übertrieben“, meinte Leonardo und begann daraufhin noch einmal von neuem zu erzählen. Er fasste möglichst knapp zusammen, was geschehen war. Ab und zu ergänzte Luca seinen Bericht.
„Ich verstehe das trotzdem nicht“, kam Leonardo schließlich noch einmal darauf zurück, dass sich offenbar keiner der Banditen gemeldet hatte, um eine Lösegeldforderung zu stellen. „So eine Forderung ist doch der ganze Sinn einer solchen Entführung!“
„Ich habe dir doch gesagt, dass sie die Eltern und Angehörigen normalerweise immer etwas schmoren lassen, damit sie sich auch richtig doll Sorgen machen!“, mischte sich Luca ein. „Davon abgesehen könnte es bei Carlo und dir ja auch sein, dass sie sich zunächst mal darüber informiert haben, ob eure Familien überhaupt zahlen können.“
„Es war ein sehr seltsamer Mann bei mir, der sich eingehend nach meinen Geschäften erkundigt hat“, sagte Ser Piero. „Er behauptete, dass er im Auftrag eines bedeutenden Handelshauses in Florenz unterwegs sei, um mich dazu zu gewinnen, für dieses Haus als Notar tätig zu sein. Angeblich soll Cosimo de’ Medici mich empfohlen haben. Das ganze kam mir aber eigenartig vor, weil ich erstes von diesem Handelshaus noch nie etwas gehört hatte und der Kerl zweitens genauestens wissen wollte, mit wem ich Geschäfte mache.“
„Wie sah der Mann aus?“, fragte Leonardo.
Ser Piero zuckte mit den Schultern. „Eigentlich war nichts Besonderes an ihm. Ich habe ihn zunächst für einen Söldner der Stadtwache oder etwas Ähnliches gehalten. Über dem linken Auge hatte er eine Narbe, die wohl von einem Schwertkampf stammte.“
„Lass mich raten. Er trug sein Schwert an der rechten Seite – was bedeutet, dass er Linkshänder ist!“, unterbrach ihn Leonardo. Ser Piero nickte. „Ja!“, stieß sein Vater überrascht hervor.
„Dann ist das höchstwahrscheinlich der Anführer der Bande gewesen!“
„Und ein paar Tage später hättet Ihr dann einen Brief mit einer Geldforderung unter Eurem Türschlitz gefunden!“, ergänzte Luca. Leonardo stand auf. „Wir müssen Carlos Eltern fragen, ob der Mann mit der Narbe auch bei ihnen gewesen ist!“
„Augenblick!“, hielt ihn Großvaters Stimme zurück. „Wir werden jetzt erst einmal beratschlagen, wie es weitergehen kann.“
„Zum Beispiel ist zu klären, wie ich jetzt nach Florenz komme!“, mischte sich Luca ein. „Ich nehme an, dass bei meinem Vater längst eine Forderung eingegangen ist und jetzt machen sich meine Eltern Sorgen um mich, obwohl ich längst in Freiheit bin!“
„Ich werde morgen ohnehin nach Florenz reisen“, kündigte Ser Piero an. „Für Cosimo de’ Medici habe ich eine Kopie des Vertrages über das Grundstücksgeschäft in Empoli erstellt. Das muss ich ihm so schnell wie möglich überbringen. Bei dieser Gelegenheit könnte ich dich mitnehmen und deinen Eltern übergeben, Luca!“
„Das wäre sehr nett, aber ich muss Euch warnen, mein Herr.“
„Wovor?“
„Ich nehme an, dass Konkurrenten meines Vaters die Entführung in Auftrag gegeben haben, um ihn zu ruinieren. Das bedeutet, dass die Banditen wahrscheinlich immer noch auf der Suche nach mir sind. Ihr begebt Euch also selbst in Gefahr!“
Ser Piero sah Luca etwas erstaunt an und wechselte dann einen Blick mit Großvater, bevor er schließlich fragte: „Wie kommst du zu dieser Ansicht?“
Luca seufzte. „Es hat schon einmal einen Versuch gegeben, mich zu entführen, aber die Leibwächter meines Vaters konnten das verhindern.“
„Wann war das?“, fragte Ser Piero.
„Vor ein paar Monaten. Ein paar Maskierte überfielen meine Mutter und mich in einer engen Gasse in Florenz, aber unsere Leibwächter konnten die Täter in die Flucht schlagen. Später habe ich mitgehört, wie sich meine Eltern darüber unterhielten. Seitdem war ständig ein Bewacher in meiner Nähe, um mich zu beschützen. Aber das hat nichts genützt, wie man gesehen hat.“
„Beweise für die Vermutung deiner Eltern gibt es also nicht“, schloss Ser Piero.
„Wenn es Beweise gäbe, säßen die Schuldigen längst hinter Schloss und Riegel.“
„Wir werden vorsichtig sein“, versprach Ser Piero. „Aber ich halte es für besser, dass du so schnell möglich nach Hause kommst. Du bist dort auf jeden Fall sicherer als hier.“
Später ging Ser Piero noch zu den Maldinis, um sich danach zu erkundigen, ob auch dort der Mann mit der Narbe aufgetaucht war. Carlos Mutter konnte sich an ihn erinnern. Er hatte sich die Waren ausgiebig angesehen, aber letztlich doch nichts gekauft und war dann fortgeritten.
Luca befand sich derweil in Leonardos Zimmer und sah sich staunend um. Vor allem die Zeichnungen, die Leonardo von allerlei Fantasiemaschinen angefertigt hatte, interessierten ihn. Insbesondere eine Flugmaschine beeindruckte ihn. Eine Gondel wurde von mehreren Flügelpaaren getragen, die durch einen Pedalantrieb auf und nieder bewegt wurden. In der Gondel wiederum befanden sich Schießscharten für fünf Arkebusiere, wie man die Arkebusenschützen nannte.
„Kanonen sind nämlich zu schwer“, erläuterte Leonardo seinen Entwurf. „Dann könnte die Maschine niemals fliegen!“
„Ich nehme an, dass die Männer an den Pedalen auch so ganz schön treten müssen, bis sich die Flügel schnell genug bewegen.“
„Ja, dass ist ein Punkt, bei dem ich mir nicht sicher bin, ob ich noch mehr Pedaltreter einplanen müsste. Aber dadurch würde die Flugmaschine ja auch wieder schwerer, sodass sie noch schneller treten müssten!“
„Aber die Idee an sich ist genial“, meinte Luca. „Man müsste so etwas mal in Wirklichkeit bauen! Dann könnte man ausprobieren, was funktioniert und was nicht!“
Leonardo seufzte. „Was meinst du, wie viel die Einzelteile schon kosten würden.“ Er schüttelte den Kopf. „Selbst mein Vater, der jetzt stolz darauf ist, dass er neuerdings für die Familie Medici arbeitet –
so viel wird er auch damit in einem ganzen Jahr verdienen können.“
„Ich könnte mir denken, dass es Fürsten und Stadtherren zuhauf gibt, die an so einer Erfindung Interesse hätten!“, war Luca überzeugt. „Du müsstest dich dort mal vorstellen und deine Pläne zeigen! Vielleicht ist da jemand bereit dazu, das nötige Geld dafür auszugeben – denn wenn so eine Maschine tatsächlich existiert, lässt sich damit eine Stadt oder eine Burg doch hervorragend verteidigen!“
„Man kann natürlich auch die Nachbarstadt angreifen“, gab Leonardo zu bedenken. „Festungsmauern lassen sich damit ja hervorragend überwinden…“
„… und wenn man zum Beispiel einem Mann wie Cosimo de’
Medici mal vorrechnet, wie viele Kanonen er gießen lassen müsste, um die Mauern einer feindlichen Festung zu zerstören und wie preiswert dagegen dann eine Maschine ist, die fliegen kann, müsste er dir eigentlich sofort eine Anstellung geben!“
„Schön wär’s!“, meinte Leonardo. „Aber als ich zuletzt versucht habe, wegen einer anderen Sache im Palast der Medici vorzusprechen, da hat man mich in die Küche gebracht und mir ein Stück Brot und etwas Käse gegeben, weil man mich für einen Bettler gehalten hat!“
Luca blickte an Leonardo herab und meinte. „Nun, vielleicht sollte man auch nicht barfuß zum Palast kommen, wenn man Eindruck machen will. Und nach der neuesten Mode scheinen deine Sachen auch nicht zu sein. Sag deinem Vater, er soll dich mal zum Maßschneider Guiseppe Canzoni schicken. Hinterher siehst du wie aus dem Ei gepellt aus und wirst überall Eindruck machen. Die paar Florin, die das kostet, kannst du deinem Vater ja später zurückzahlen, wenn deine Idee ein Erfolg geworden ist! Ach, was sage ich: Zehnfach kannst du ihm den Betrag zurückzahlen, denn das kann doch alles gar nicht schief gehen!“
Aber Leonardo war da weit weniger überzeugt.
„Ich glaube, es gibt da noch ein anderes Hindernis“, meinte er.
„So? Was meinst du?“
„Wenn man als Kind zum Palast geht, wird man doch einfach nicht ernst genommen. Was hätte es bewirkt, wenn ich schön gekleidet gewesen wäre? Wahrscheinlich hätte ich dann nicht einmal ein Stück Brot gekriegt, weil man sich gedacht hätte: Wer so gut gekleidet ist, kann sich das selbst kaufen!“
„Irrtum!“, widersprach Luca. „Es kommt immer darauf an, wie man auftritt. Sagt mein Vater jedenfalls und dem gehört schließlich eines der reichsten Handelshäuser in Florenz. Er sagt immer: Wenn du auftrittst wie ein König, wirst du auch wie einer behandelt!“
„Mag ja sein. Das ändert aber nichts daran, dass mein Alter ein Problem ist. Selbst in eine Werkstatt könnte ich jetzt noch nicht eintreten!“
Etwas später am Abend kehrte Ser Piero noch einmal in Großvaters Haus zurück und berichtete davon, dass der Mann mit der Narbe offenbar auch bei den Maldinis gewesen war.
„Dieser Bande muss man das Handwerk legen“, meinte Großvater.
„Aber glaubst du, dass man diese Banditen wirklich aufspüren wird?
Dazu bräuchte man zwanzig Mann oder mehr, die die Gegend absuchen!“
„Ich nehme an, dass die Bande längst nicht mehr hier in der Gegend ist“, erwiderte Ser Piero.
Leonardo und Luca hatten die Worte der beiden Männer aus dem Obergeschoss mit angehört. Sobald das Gespräch begonnen hatte, waren sie still gewesen und hatten die Ohren gespitzt. Jetzt kamen sie die Treppe hinunter.
Ser Piero wandte sich an Luca. „Sei morgen früh vor Sonnenaufgang fertig. Wir reiten dann nach Florenz.“
„Gut“, nickte Luca.
„Du kannst doch reiten, oder?“
„Gewiss! Aber ich komme so selten dazu. Vielleicht liegt das auch daran, dass ich mich so schwer entscheiden kann, welches der drei Pferde, die ich geschenkt bekommen habe, ich nehmen soll!“
„In diesem Fall wird die Entscheidung dir leicht fallen Luca“, gab Ser Piero zurück. „Ich habe nämlich nur ein Pferd, das ich dir anbieten kann. Es steht hier bei Leonardos Großvater im Stall und heißt Marcella – eine gutmütige Stute, die ich als Pfand von einem Mann bekommen habe, der mir noch Geld schuldet.“
„Ich hoffe nur, dass der Sattel nicht zu hart ist“, meinte Luca.
„Ich komme mit“, mischte sich jetzt Leonardo in das Gespräch zwischen seinem Vater und Luca ein.
Ser Piero sah seinen Sohn mit einem Stirnrunzeln an und schüttelte dann den Kopf. „Das kommt nicht in Frage, Leonardo.“
„Aber die Gefahr ist doch erst vorüber, wenn dieser Bande das Handwerk gelegt wurde! Und deshalb muss ich nach Florenz, um dort eine Aussage zu machen! Wenn Luca mit seiner Vermutung recht hat, und es stecken geschäftlicher Konkurrenten seines Vaters dahinter, dann werden doch einige der Banditen sicher auch in Florenz anzutreffen sein! Und vielleicht ist es dann notwendig, dass sie jemand erkennt, wenn die Stadtwache einen Verdächtigen festgenommen hat!“
„Leonardo hat recht“, bekam Leonardo überraschend Schützenhilfe von seinem Großvater. „Wir müssen davon ausgehen, dass diese Banditen alles über uns herausgefunden haben, aber wir wissen nichts über sie. Jeder Reiter, der nach Vinci kommt, könnte zu ihnen gehören und sich vielleicht überlegen, dass es zu gefährlich ist, Leonardo am Leben zu lassen, weil er vielleicht doch zuviel mitbekommen hat. Alle drei Jungs sind erst wieder sicher, wenn die Bande hinter Schloss und Riegel sitzt und das kann man nur von Florenz aus erreichen.“
„Dann bist du also dafür, Vater?“, fragte Ser Piero stirnrunzelnd. Großvater hob die Schultern. „Ich bin ein alter Mann, der es mit dem Rücken hat und nur mit großer Mühe noch auf einen Pferderücken hinaufkommt. Kannst du mir sagen, wie ich Leonardo schützen sollte?“
„Im Haus meines Vaters gibt es Leibwächter genug“, mischte sich nun wieder Luca ein. „Und ich bin überzeugt davon, dass mein Vater nichts dagegen hätte, wenn Leonardo und Carlo eine Weile bei uns wohnen würden – nach allem, was sie für mich getan haben. Schließlich wäre ich wohl noch immer nicht frei, wenn die beiden nicht gewesen wären.“
Ser Piero lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. Er schien nachzudenken. Auf seiner Stirn erschienen ein paar gewellte Falten.
„Wenn Carlo auch noch mitkommt, bräuchten wir allerdings noch ein weiteres Pferd“, gab Leonardo zu bedenken. „Ich glaube kaum, dass auf Marcella drei Kinder reiten könnten.“
„Auf jeden Fall währt ihr bei uns sicherer, als irgendwo sonst im Umkreis von hundert Meilen“, glaubte Luca.
Nachdem auch Großvater noch einmal in das Gespräch eingriff und herausstellte, wie wenig er in der Lage war, Leonardo im Notfall vor den Banditen zu schützen, gab Ser Piero schließlich nach.
„Gut“, sagte er. „Ich bin einverstanden und werde mit Carlos Eltern darüber sprechen.“
„Vielleicht könnte Carlos Vater dich ja begleiten, Piero!“, meinte Großvater.
Aber Ser Piero schüttelte den Kopf,. „Nein, das wäre keine gute Idee.“
„Warum nicht?“
„Weil das auffallen würde. Falls jemand aus der Bande nach Vinci kommt und sich etwas umhört, dann wird er es ziemlich ungewöhnlich finden, dass ein Notar und ein Händler zur gleichen Zeit nach Florenz aufbrechen. Aber Carlos Vater könnte uns eines seiner Pferde leihen.“
Noch am selben Abend sprach Ser Piero mit Carlos Vater, der schließlich einsah, dass sein Sohn wahrscheinlich im Haus der Familie di Gioia fürs Erste sicherer war, als bei ihm zu Hause. Und so hatte er am Ende nichts dagegen einzuwenden, dass Carlo ebenfalls nach Florenz ritt. Er lieh dazu eines seiner Zugpferde aus, das auch als Reitpferd taugte.
6.Kapitel
Aufbruch
Früh am Morgen, noch bevor die Sonne über den Horizont strahlte, brach die Gruppe auf. Luca war der Sattel zu hart, den Großvater ihm zur Verfügung stellte. Aber auch Ser Pieros Sattel behagte dem verwöhnten Jungen nicht. Schließlich kam er zu dem Schluss, dass er am besten auf dem Zugpferd der Maldinis sitzen konnte, dessen Rücken etwas breiter war als dies bei Marcella der Fall war. So ritt Luca auf dem Pferd der Maldinis, das Niccolo hieß – allerdings völlig ohne Sattel, denn das war ihm am angenehmsten. Ser Piero und Großvater mussten sich mitunter sehr beherrschen, um nicht einzugreifen. Großvater verdrehte dabei die Augen, achtete allerdings darauf, dass Luca das nicht mitbekam. Leonardo wechselte zwischendurch einen Blick mit Großvater und dieser Blick schien zu sagen: ‚Eigentlich hast du es mit mir doch gar nicht so schwer, oder?’
Mit einiger Verspätung verließen sie dann das Dorf. Ser Piero hatte sich einen abgelegenen Umweg nach Florenz überlegt – zur Sicherheit.
„Haltet die Augen offen“, sagte er an die Jungen gewandt. „Jede Kleinigkeit, die euch irgendwie verdächtig vorkommt, müsst ihr sofort melden!“
„Wir halten die Augen offen“, versprach Leonardo. Er saß zusammen mit Carlo auf dem Rücken von Marcella.
Der Weg, den Ser Piero sich vorgenommen hatte, führte abseits der großen Straßen und Wege und man musste damit rechnen, dass sie deswegen auch etwas länger für den Weg in die große Stadt brauchten.
Luca erzählte ihnen von all den erstaunlichen Dingen, die es dort gab. Leonardo und Carlo, die ja beide schon in Florenz gewesen waren, konnte das wenig beeindrucken. Sie hörten Luca jedoch trotzdem zu und dachten sich ihren Teil.
Es war bereits früher Abend, als sie endlich Florenz erreichten. Schon aus weiter Ferne waren die gewaltigen Stadtmauern mit den Festungsanlagen zu sehen. Auf den Wachttürmen gingen Soldaten der Stadtwache auf und ab.
Ser Piero führte die Gruppe zur Porta di Miniato, einem der elf Stadttore von Florenz. Gleich daneben befand sich die Fortezza di Miniato, eine vorgeschobene Festung. Die Stadtmauer hatte an dieser Stelle eine starke Ausbuchtung.
Die Wächter am Tor ließen die vier passieren.
„Von nun an kann ich euch führen!“, meinte Luca. „Den Weg nach Hause kann ich schließlich im Schlaf.“
„Nur zu“, stimmte Ser Piero zu.
Sie ritten durch die geschäftigen Straßen dieser Stadt, in der sich Bank-und Handelshäuser mit den palastartigen Häusern reicher, alteingesessener Bürger abwechselten, die man als Patrizier bezeichnete… Gaukler führten auf offener Straße ihre Kunststücke und Späße vor. An manchen Stellen gab es sogar kleine Theateraufführungen, entweder mit Handpuppen oder mit richtigen Schauspielern. Die Menschen drängten sich so sehr darum, dass es an diesen Stellen schwierig war, durchzukommen.
Leonardo erhaschte einige Blicke auf diese Aufführungen und war sofort fasziniert.
So etwas musste er sich ein anderes Mal unbedingt genauer ansehen. Aber im Moment gab es einfach Wichtigeres. Schweren Herzens musste er das einsehen.
Luca führte die Gruppe schließlich zum Haus der Familie di Gioia. So prächtig wie der Medici Palast war es zwar nicht – aber es hatte immer noch gewaltige Ausmaße.
Auch hier standen Wächter an dem gusseisernen Tor, das den Weg zum Innenhof versperrte.
Ser Piero ging zu einem dieser Wächter und brachte sein Anliegen vor.
Der Wächter runzelte die Stirn. Mit der rechten Hand spielte er nervös am Knauf seines Schwertes. Ihm schien die Sache nicht ganz geheuer zu sein.
„Erkennst du mich nicht, Ricardo?“, fragte Luca. „Vielleicht erkennst du mich nicht, weil ich ein paar Sachen trage, die mir mein Freund Leonardo geliehen hat – aber ich bin es wirklich!“
Jetzt erkannte auch der Wächter den Jungen wieder.
„Ihr müsst schon entschuldigen, junger Herr – aber in diesen Lumpen!“
„Ist ja schon gut“, erwiderte Luca. „Es macht dir niemand einen Vorwurf, dass du mich nicht gleich erkannt hast, aber jetzt wäre es fein, wenn mein Vater verständigt werden könnte!“
„Aber gewiss doch!“, versicherte der Wächter sofort. Ser Piero und die Jungen wurden nun von Ricardo in den Innenhof geleitet. Von dort aus ging es zum Hauptportal hinein. Emanuele di Gioia, der Herr des Hauses empfing sie in einem weiten, mit kostbaren Möbeln ausgestatteten Raum. Er war überglücklich seinen Sohn Luca wieder in die Arme schließen zu können.
„Wo ist Mutter?“, fragte der Junge.
„Hier!“, meldete sich eine weibliche Stimme von der anderen Seite des Raumes. Eine Frau in einem reichhaltig verzierten Kleid war soeben durch einen Seitengang getreten. „Ich habe es gerade erst von der Dienerschaft gehört! Luca! Du bist wieder frei! Wie wunderbar!“
Sie schloss ihren Sohn in die Arme.
Ser Piero fasste in knappen Worten zusammen, was sich ereignet hatte. Emanuele di Gioia wandte sich daraufhin an Carlo und Leonardo. „Wie es scheint bin ich euch beiden sehr zu Dank verpflichtet!“, sagte der groß gewachsene Mann, der einen Spitzbart trug. Seine Hand ruhte am Griff eines Rapiers. Dieses zweischneidige Schwert erfreute sich immer größerer Beliebtheit, da es viel leichter war als die bis dahin üblichen Schwerter. Nicht nur bei Rittern und Adeligen, sondern auch bei städtischen Bürgern, die immer häufiger Schwerter trugen, auch wenn sie häufig gar nicht gelernt hatten, damit umzugehen. „Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass ihr fürs Erste in meinem Haus bleiben könnt – und natürlich auch Ihr, Ser Piero! So lange Ihr in Florenz zu bleiben gedenkt seid Ihr hier willkommen!“
„Euer Sohn äußerte die Vermutung, dass ein geschäftlicher Konkurrent die Entführung Eures Sohnes in Auftrag gegeben hat“, sagte Ser Piero.
Emanuele di Gioia wechselte mit Luca einen kurzen Blick. Dann nickte er. „Ja, diese Vermutung haben wir.“
„Allerdings haben wir bislang keine Beweise“, meldete sich Lucas Mutter zu Wort. Die Signora di Gioia trat neben ihren Mann. „Ich weiß nicht, ob Luca Ihnen auch berichtet hat, dass nicht zum ersten Mal versucht wurde, unseren Sohn zu entführen – und auch ich bin schon beinahe Opfer eines solchen Angriffs geworden.“
„Doch, davon hat Ihr Sohn berichtet“, bestätigte Ser Piero. „Gibt es denn jemanden, der da in Frage käme?“
„Das ist es ja!“, stieß die Signora di Gioia verzweifelt hervor und ihr Mann legte tröstend den Arm um sie. „Es kommen ein Dutzend Personen in Frage, die meinen Mann lieber heute als morgen ruinieren und ihn aus dem Geschäft drängen würden. Sein Erfolg ist ihm ein Dorn im Auge…“
„Habt Ihr schon die Stadtwache eingeschaltet?“, fragte Ser Piero.
„Oder vielleicht sogar den Rat? Er könnte einen Ermittler einsetzen!“
„Guter Ser Piero! Die Männer, die wir in Verdacht haben, sind doch alle selbst Mitglied in der Ratsversammlung. Was würde es nutzen, wenn die einen Ermittler bestimmt, der dann wahrscheinlich einer ihrer Freunde wäre und garantiert nichts gegen diese Machenschaften unternehmen würde“, gab Signora di Gioia zu bedenken. „Und die Stadtwache? Deren Kommandant ist meinem Mann mehr als nur einen Gefallen schuldig – aber solange wir keine Beweise vorlegen können, kann er nichts unternehmen.“
„Dennoch sollten die Jungen dem Kommandanten gegenüber eine Aussage machen. Vielleicht bewegt ihn das ja dazu, selbst Nachforschungen anzustellen“, fand Ser Piero.
„Ich werde veranlassen, dass der Kommandant hier her kommt und die Kinder vernimmt“, versprach Emanuele di Gioia. In diesem Moment trat ein Diener ein. Er trug eine knallrote Uniform mit weißen Streifen, wie es offenbar für die Diener im Haus der Familie di Gioia üblich war. Das lustigste, wie Leonardo fand, war der Hut mit der rotgefärbten Feder, den der Diener tragen musste.
Er wandte sich mit einer Verbeugung an seinen Herren. „Michele D’Andrea ist soeben eingetroffen und…“
Aber der Diener hatte noch gar nicht zu Ende gesprochen, da drängelte sich bereits ein Mann mit einem dunklen Umhang und sehr kurzen Schwert an der Seite in den Raum. Er trug eine schräg sitzende Mütze mit Federschmuck.
„Emanuele!“, rief er. „Ich sehe, Euer Sohn ist gesund zurückgekehrt! Euer Diener hat es mir gesagt und Ihr mögt mir verzeihen, dass ich einfach hier so eindringe und nicht mehr abwarten konnte, bis ich hereingebeten wurde!“
„Das ist in Eurem Fall nicht nötig, alter Freund“, sagte Emanuele di Gioia. Er wandte sich Ser Piero zu und erklärte: „Dies ist Michele D’Andrea, ein Freund der Familie, der mir in vielen schweren Stunden mit Rat und Tat zur Seite stand!“
Michele D’Andrea verneigte sich tief und nahm dabei seine Mütze ab, während Ser Piero ihm vorgestellt wurde.
„Zu Diensten“, sagte er.
Leonardo beobachtete genau das Gesicht dieses sehr vornehm gekleideten Mannes. Sein Schwert war so kurz, dass er es wohl nur zur Zierde trug. Leonardo beobachtete das Gesicht dieses Mannes. Sein Lächeln war breit und wirkte so starr wie bei einer Maske. Und seine Stimme hatte einen schneidenden, scharfen Klang. Nachdem der Hausherr ihm kurz berichtet hatte, dass sein Sohn die Freiheit den beiden Jungen verdankte, die mit Ser Piero nach Florenz gekommen waren, musterte Michele D’Andrea erst Carlo von bis unten und dann Leonardo.
„Dann seid ihr beide ja richtige Helden!“, meinte er.
„Naja, das ist wohl etwas übertrieben“, antwortete Carlo. Leonardo bemerkte derweil, das Luca sich mit dem rot gekleideten Diener unterhielt – allerdings so leise, dass man nichts davon verstehen konnte.
„Was ist das für ein Kerl?“, fragte Leonardo – später, als Luca sie mit in sein Zimmer nahm.
Er sah Leonardo erstaunt an.
„Wen meinst du? Diesen Michele D’Andrea?“
„Ja.“
Luca zuckte mit den Schultern. „Ein alter Freund der Familie. Ich kenne ihn schon seit ich mich erinnern kann. Ihm gehört eine Bank hier in Florenz.“
„Er wirkt irgendwie… unsympathisch. Ich weiß nicht warum, aber ich kann ihn nicht leiden.“
„Er ist einer der einflussreichsten Geschäftsleute in Florenz“, erklärte Luca. „Zum Namenstag schenkt er mir immer etwas – also wüsste ich nicht, weshalb ich ihn nicht nett finden sollte!“
Zwei Diener trugen ein Bett herein und stellten es ans Fenster.
„Wer von euch will dort schlafen?“, fragte Luca. Carlo und Leonardo sahen Luca erstaunt an.
„Wie meinst du das?“, fragte Carlo etwas irritiert.
„So wie ich es sage“, erwiderte Luca. „Eigentlich solltet ihr in Gästezimmern schlafen, aber ich finde es lustiger, wenn eure Betten hier bei mir stehen. Dann können wir uns noch bis spät in die Nacht unterhalten und es ist nicht so langweilig wie sonst.“ Luca wandte sich an die beiden Diener und deutete neben die Tür. „Das andere Bett bitte hier her!“
„Jawohl, junger Herr“, antworteten die beiden Diener wie aus einem Mund.
Luca wandte sich an Leonardo und Carlo und fragte: „Ich habe euch gar nicht gefragt, aber ihr habt doch sicher nichts dagegen, oder?“
Carlo zuckte die Schultern.
Leonardo sagte: „Nun, ich…“
Aber weiter kam er gar nicht mehr, denn Luca schnitt ihm das Wort ab. „Fein, dass ihr es auch lustiger findet, wenn wir zusammen sind. Vor allem können wir uns dann auch gegenseitig bewachen und auf uns aufpassen.“
„Meinst du, es kann hier jemand hereinkommen und uns was tun?“, fragte Carlo. „Ich dachte, euer Haus wird so gut bewacht! Und einige der Männer, die hier aufpassen, haben wir ja auch kennen gelernt.“
„Diesen Ricardo zum Beispiel“, ergänzte Leonardo.
„Ihr könnt ganz beruhigt sein! Unser Haus wird auch bei Nacht bewacht. Aber wer garantiert uns, dass unter den Leibwächtern meines Vaters nicht Verräter sind? Männer, die bestochen oder erpresst wurden?“
„Ich glaube, jetzt willst du uns nur Angst machen, damit wir nicht darauf bestehen, in eigenen Zimmern zu schlafen“, erkannte Leonardo.
„Nein, was ich sage ist die Wahrheit!“, behauptete Luca. Leonardo machte eine wegwerfende Handbewegung. „Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Wir bleiben ja bei dir!“
„Gut“, sagte Luca. „Und jetzt möchte ich, dass du mir noch einen Gefallen tust, Leonardo.“
„Und was?“
Luca ging an einen Schreibtisch, öffnete eine Schublade und holte etwas Papier heraus. „Ich möchte, dass du mir eine Fantasiemaschine zeichnest!“
„Was für eine Maschine soll das sein, Luca?“
„Keine Ahnung. Vielleicht eine Maschine, die Verbrecher fangen kann.“
„So etwas könnten wir jetzt gut gebrauchen“, meinte Carlo seufzend.
„Diese Maschine würde uns gar nichts nützen“, erklärte Leonardo.
„Schließlich wissen wir ja nicht, wen sie fangen sollte! Bis jetzt haben wir doch keine Ahnung, wer die Banditen waren. Und ob der Verdacht, dass irgendein Geschäftspartner von Lucas Vater dahinter steckt richtig ist, wissen wir auch nicht…“
„Aber mal ehrlich, Leonardo – sahen diese Männer aus wie einfache Strauchdiebe?“, fragte Luca.
Leonardo zuckte mit den Schultern. „Jedenfalls male ich dir gerne eine Maschine, wie du sie haben willst. Vielleicht kommt mir dabei noch ein guter Einfall, wie wir mehr herausfinden könnten.“
Leonardo begann zu zeichnen. Die Bleistifte, die Luca zur Verfügung hatte, waren viel besser als die, mit denen Leonardo bisher seine Zeichnungen anfertigen musste. Sie gingen leichter und es ließen sich feinere Linien damit ziehen.
„Zeichnest du oft?“, fragte Leonardo.
„Nein, nicht oft“, antwortete Luca. „Ehrlich gesagt, macht es mir auch nicht wirklich Spaß, aber ich habe die Stifte nun mal geschenkt bekommen.“
Leonardo begann eine Maschine zu erfinden, die über die über die Stadt fliegen konnte. Sie bestand aus einer Gondel, die von vier Flugmaschinen gehalten wurde. Diese Flugmaschinen besaßen jeweils einen Pedalantrieb, der von einem Mann getreten wurde. Dadurch bewegten sich die schmetterlingsähnlichen Flügel der Maschine auf und ab.
Auf der Gondel selbst gab es eine Vorrichtung, mit der Netze geworfen werden konnten, mit denen dann die Verbrecher eingefangen wurden.
„Diese Zeichnung werde ich mir gut aufbewahren!“, meinte Luca.
„Wenn ich dann mal größer bin, und meine eigenen Geschäfte mache, werde ich die Erfindung der Stadtregierung anbieten! Die müssen mir dafür ein Vermögen zahlen!“
„Von dem du mir dann hoffentlich was abgibst!“, meinte Leonardo.
„Mal sehen“, sagte Luca.
Eine ganze Weile lang sagte keiner der Jungen ein Wort. Luca schaute nur interessiert zu, wie Leonardo zeichnete und Carlo stand am Fenster, blickte hinaus und langweilte sich.
„Gibt es eigentlich eine Möglichkeit, wie man das Haus eurer Familie verlassen kann, ohne dass man dass gleich merkt?“, fragte Leonardo.
„Sicher. Es gibt einen Hintereingang für Lieferanten. Der wird zwar auch bewacht, aber man kommt auf jeden Fall leichter durch, als beim Vordereingang. Warum fragst du?“
„Wenn wir herausfinden wollen, wer die Entführer waren und wer dahinter steckt, können wir das schlecht von hier aus. Aber im Moment sind sowohl mein Vater als auch deine Eltern so besorgt um uns, dass ich befürchte, man wird uns hier nicht so einfach weg lassen, sodass wir uns auf der Straße umsehen könnten.“
„Da hast du wohl recht“, meinte Luca. „Aber wo würdest du dich denn umsehen, wenn du da etwas herausfinden wolltest?“
„Ich würde mich unter den Angehörigen der Stadtwache umhören“, meinte Leonardo. „Die Männer, die uns entführt haben, waren gut bewaffnet – nicht irgendwelche armen Bauern, die auf diese Weise Geld erpressen wollten! Schwerter, eine Arkebuse – wer hat so etwas?“
„Söldner.“
„Genau. Und es könnte doch sein, dass die mal bei der Stadtwache angestellt waren!“
„Die meisten bleiben nicht lange bei der Stadtwache“, meinte Luca. „Sie versuchen Leibwächter bei den reichen Familien zu werden. Dort bekommen sie viel mehr Geld.“
„Woher weißt du das?“
„Frag Ricardo, der war früher auch bei der Stadtwache! Du wirst es nicht glauben für wie wenig Geld er da arbeiten musste – und er musste sogar noch seine eigenen Waffen mitbringen!“
„Ich dachte immer, Florenz wäre so reich“, erwiderte Leonardo erstaunt.
Luca lachte. „Einige Bürger von Florenz sind reich! Aber nicht die Stadt selbst!
Später kam Ser Piero noch zu den Jungen. Er berichtete Leonardo, dass er in einem der Gästezimmer des Hauses untergekommen war. Er sah auf die Zeichnung, die Leonardo angefertigt hatte und meinte: „Wie ich sehe, bist du ja ganz in deinem Element! Aber ich würde vorschlagen, dass ihr jetzt langsam auch zu Bett geht. Sonst könnt ihr morgen keine vernünftige Aussage machen, wenn sich der Kommandant der Stadtwache hier her bemüht, um euch zu vernehmen.“
„Ich mache nur noch die Zeichnung fertig“, sagte Leonardo. Carlo gähnte auch schon. Und Luca hatte Mühe es zu unterdrücken. Aber er wollte unbedingt, dass Leonardo zuerst noch die Zeichnung vollendete.