Giara di Gesturi
Bruno
Ich bin jemand, der sich leicht dem Zauber von Orten hingibt: Wenn ich irgendwo bin, habe ich manchmal das Gefühl, nicht nur die Stimmen, sondern auch die Gefühle und Empfindungen von Menschen wahrzunehmen, die vor mir hier gelebt haben. Einer von diesen Orten musste natürlich die Giara, das Hochplateau von Gesturi sein, das aber auch zu den Gemeinden Tuili, Setzu, Genuru, Gonnosnò, Albagiara und Assolo und anderen Dörfern in der Umgebung gehört. Durch das Seitenfenster unserer lieben Ape betrachte ich den blauen Himmel und suche dort nach etwas, was mir dieses seltsame Déjà-vu-Gefühl erklärt. Ich sage Jutta, was ich empfinde. Wie schön, dass jetzt hier jemand neben mir sitzt, meine Hand hält und mir zuhört. Es ist mir ungeheuer wichtig, dass ich eine Frau bei mir habe, die jeden Atemzug von mir spürt. Und wie schön ist es, in seinem Leben einen Bezugspunkt zu haben – und noch schöner zu wissen, dasselbe für sie zu sein. Wir fahren ganz allein die Straße zum Parco di Gesturi hinauf, und vielleicht können wir deshalb unsere Gedanken schweifen lassen. Die Gäste des Hochzeitsbanketts sind schon vor einer Weile eingetroffen. Wir mussten ja noch bei Giulias Eltern haltmachen, um uns dort umzuziehen. Jetzt haben wir endlich unsere festliche Garderobe an und unser Hochzeitsgeschenk dabei. Wir sind auf dem höchsten Punkt des Hügels angekommen. Die Landschaft um uns herum ist wunderschön, eine üppige Vegetation, dazwischen quadratische Blöcke aus Vulkangestein. Hier ist alles unberührt, zum Teil von Korkeichenwäldern bedeckt oder mit der typischen Macchia des Mittelmeerraums, Steineichen und Mastixsträuchern. Die charakteristische und bekannteste Tierart, von der sie auch ihren Namen hat, ist eine Wildpferderasse, eigentlich die einzig echten Wildpferde in Europa. Diese Tiere heben sich durch einige Eigenheiten in Gestalt und Körperbau von den bekannteren Rassen ab, die sie zu einer zoologischen Besonderheit machen: Sie sind kleiner als andere Pferde, haben eindeutig mandelförmige Augen, ein sehr dunkles Fell und eine lange Mähne.
Während sich unsere kleine Ape die Kurven hinaufquält, muss ich an den traurigen Blick des Saxhorns denken. Es hat mir richtiggehend weh getan, als ich ihn so davonziehen sah. Als ich noch klein war, hat mir mein Vater immer gesagt: »Gefühle sind das Schönste in unserem Leben. Aber man muss mit ihnen umgehen können.« Das habe ich nicht verstanden. Als ich erwachsen wurde, änderte sich das, und ich wuchs in dem Bemühen auf, jedes Gefühl, jeden Gemütszustand zu kontrollieren. Es gab dann auch erschöpfendere Erklärungen, und natürlich ging es dabei vor allem um Liebe. Genauer gesagt, um das Verliebtsein. Ein gesunder und herrlicher Wahnsinn, der dich packt, wenn du es am wenigsten erwartest. Warum bist du so schnell verschwunden, Saxhorn? Vielleicht hätte sich eine Gelegenheit ergeben und wir hätten uns kennenlernen können, dann hätte ich dir gern etwas über das Leben und Enttäuschungen in der Liebe erzählt. Irgendwann habe auch ich geglaubt, es wäre äußerst schlimm, seinen Bezugspunkt zu verlieren. Das glaube ich immer noch, aber mein Verstand erlaubt mir, wieder nach vorne zu blicken, erneut Freude am Leben zu gewinnen und neue Bezugspunkte zu entdecken.
Und hier ist also mein Bezugspunkt, er sitzt neben mir. Wir sind gern zusammen und erleben gemeinsam ein wunderbares Abenteuer, eine bewegende Reise, eine Extratour, wie Geraldo es nennen würde. Wird unsere Liebe ewig dauern? Das ist nicht wichtig! Ich weiß, dass wir uns sehr lieben, auch wenn wir manchmal streiten. Und das fast immer wegen Banalitäten, wie folgender Dialog beweist:
»Hoffentlich ist es nicht kaputtgegangen …«
»Hätten wir nicht besser einfach nur einen Umschlag mit Geld schenken sollen?«
»Wenn sie das gewollt hätten, hätten sie keine Hochzeitsliste aufgestellt.«
»Und warum hast du dann kein Geschenk von der Liste ausgesucht, dann hätten wir das Teil nicht die ganze Zeit mit uns herumschleppen müssen …«
»Weil diese Lampe eng mit unserer Kindheit verbunden ist, das ist eine lange Geschichte … Und, hör mal, für die Reparatur habe ich über dreihundert Euro bezahlt! Außerdem bringt ein Umschlag mit Geld Brautpaar wie Gäste in Verlegenheit.«
»Das stimmt nicht. Man muss nur ein Körbchen mit leeren Umschlägen hinstellen. Da legt dann jeder Gast hinein, was er möchte, und es bleibt alles absolut anonym.«
»Das halte ich für keine tolle Idee … Und wenn es tausendmal bei euch so üblich ist, ich finde das nicht gut.«
»Vielleicht habe ich mich nicht klar genug ausgedrückt. Wenn die Umschläge leer und weiß sind, eben A-NO-NYM, fühlt sich niemand dazu verpflichtet, einen Betrag hineinzulegen, den er sich eigentlich nicht leisten kann – das ist das Gute daran!!! Natürlich holt man sein Portemonnaie nicht direkt vor den Augen des Brautpaars raus … obwohl, du würdest das bestimmt tun, so zerstreut, wie du bist! Man geht kurz weg und legt diskret das Geld in den Umschlag. Ich halte das für einen großartigen Kompromiss.«
»Ach was …«
»Was heißt hier ›Ach was‹!?«
»Ich bin absolut nicht deiner Meinung, ich glaube, ein Geschenk sollte auch wirklich ein Geschenk sein … Bei meinen beiden Hochzeiten habe ich nie Umschläge mit Geld bekommen.«
»Hast du dir mal überlegt, wie viele Leute du eingeladen hattest, die vielleicht nur deshalb nicht gekommen sind, weil sie es sich gerade nicht leisten konnten, für festliche Kleidung, Geschenk und Anreise viel Geld auszugeben? Nun sag schon, hättest du da nicht lieber dreihundert Euro in einem Umschlag gehabt, wenn sie dafür mit dir hätten feiern können?«
»Liebes, entschuldige, aber es gibt noch so was wie Anstandsregeln …«
»Ja, ich weiß, ich schäle meine Äpfel nie mit Messer und Gabel so wie du – oder wie es die Anstandsregeln vorschreiben mögen … Gott, du bist vielleicht spießig! Ich glaube jedenfalls, eine Hochzeit sollte ein Tag sein, an dem gefeiert wird, während hier in Italien nur Wert darauf gelegt wird, so viel Geld wie möglich auszugeben!«
»Das stimmt doch nicht. Du erzählst Blödsinn. Dann sag mir mal eins: Wie soll ich denn wissen, wer mir zehn Euro geschenkt hat, damit ich ihn nicht in Verlegenheit bringe, wenn ich ihm bei späterer Gelegenheit etwas für dreihundert schenke, oder wer mir dreihundert geschenkt hat, damit ich mich nicht blamiere, wenn ich ihm ein Zehn-Euro-Geschenk mache??? Spinnst du jetzt?! Dann soll man sich doch lieber Geld für eine Reise schenken lassen, wie sie es gemacht haben. Das finde ich viel sinnvoller und netter. Mit dem Umschlag bringst du nur die Gäste in Verlegenheit, die vor allen Leuten das Geld aus der Börse ziehen müssen. Was ist, wenn jemand kein Geld schenken will, sondern etwas Persönliches? Steht er dann besser da vor denen, die nicht einmal einen Euro geben?«
»Warum hast du ihm dann keine Reise geschenkt?«
»Ich hab es dir doch gesagt – diese Lampe hat einen nostalgischen Wert. Sie stammt aus meinem Schlafzimmer und hat uns bei den Hausaufgaben geleuchtet, wenn Maurizio zum Lernen zu mir kam …«
»BREEEMMSEEENNN!!!«
Ich bremse scharf vor dem Tor des Parks. Dort erwarten uns Giulia und Maurizio feierlich auf zwei herrlichen kleinen Pferden. Sie trägt eine Girlande aus vergoldeten Beeren um den Hals, er die Kette mit dem Ring. Wir umarmen uns. Endlich kann ich ihnen Jutta vorstellen und das Geschenk übergeben. Aber wie immer werden die Geschenke nicht gleich ausgepackt. Das gibt uns die Möglichkeit, schnell unser »Geländefahrzeug« zu parken, dann tauchen wir in einen wahren Garten der Wunder ein: einen riesigen Park, der von außen nicht einsehbar ist. Unter einem weißen Zelt erwartet uns der Willkommensdrink.
Wie sehr wir uns lieben, selbst wenn wir streiten!
EIN HOCH AUF DAS BRAUTPAAR!
Wir haben entdeckt, dass Salvatores Frau zu Giulias Trauzeugen gehört. Deshalb sitzt auch er an unserem Tisch und unterhält sich, besser gesagt, er redet ohne Punkt und Komma, während seine Frau ihr Make-up auffrischen geht. Der Mann ist wie eine Flutwelle und dazu noch gierig, er verschlingt die Hochzeitstorte wie ein Wolf seine Beute.
»Der hat doch jahrelang nach einer Frau gesucht, das fing an, als er in Amerika war, aber da hatte er keinen Erfolg. Und jetzt ist, so Gott will, der große Tag gekommen. Und wenn wir Sarden etwas machen, dann aber richtig. Er hat gedacht, dass er mit hundert Gästen davonkommt, aber dann hat sich ihre Mutter eingemischt, der Vater, die Onkel … und, na ja, jeder hat seinen Senf dazugegeben, du verstehst schon, jeder hat seine Meinung sagen wollen: Der muss eingeladen werden und der auch, sonst ist am Ende noch jemand beleidigt. Also, schließlich sind wir mehr als dreihundert, einschließlich der Verwandten sechsten Grades.«
»Also, da muss ich mich als Vetter dritten Grades ja geradezu als engen Verwandten betrachten …«
»Gut, du bist wie ein Bruder für ihn. Wenn du mir jetzt noch sagst, dass ihr zusammen in die Schule gegangen seid …«
»Ja, in die Grundschule …«
»Ich spreche hier von Leuten, von denen man nie etwas gesehen oder gehört hat. Seht ihr die an den Tischen dort hinten? Über den Daumen gepeilt werden das so etwa sechzig sein, ach was, das sind mehr. Siebzig, achtzig? Wer kennt die denn? Wer hat die schon mal gesehen?«
»Das werden eben entfernte Verwandte sein.«
»Das sag ich doch gerade. Die Sechser …«
»Sechser?«
»Wir nennen sie so. Das sind die Verwandten sechsten Grades, die man braucht, damit mehr Kohle reinkommt, denn da sie nicht wissen, was sie dir schenken sollen, und nicht so viel ausgeben können, geben sie dir einen Umschlag mit Geld. Also, das läuft so: Ich als der Bräutigam bezahle achtzig Euro pro Person für die Feier mit Hummer und Scampi, aber du als Sechser, den ich noch nie in meinem Leben gesehen habe, musst mir einen Umschlag mit mindestens dem dreifachen Betrag geben, und das nur, um dich für meine Freundlichkeit zu bedanken. Am Ende kann ich dem Eigentümer des Lokals schließlich fünfzehn- bis zwanzigtausend Euro bar auf die Hand zahlen. Lieber Sechser, Vetter sechsten Grades, sei mir willkommen, denn mein Hochzeitsessen bezahlst du!«
»Du meinst, all die Leute da haben einen Umschlag gegeben …«
»Natürlich, das ist einfacher für sie und viel günstiger für das Brautpaar …«
Jutta kann vor Freude nicht mehr an sich halten und tritt mich gegen das Schienbein. Sie kann mir unter die Nase reiben, dass sie wieder mal recht hatte, und das erfüllt sie mit Stolz:
»HÖRST DU?«
Ich schüttele beschämt den Kopf. Ich empfinde eine gewisse Verachtung für Salvatore. Wir Pechvögel, die wir das Unglück haben, mit ihm am selben Tisch zu sitzen, müssen nicht nur sein banales Geschwätz über uns ergehen lassen, jetzt müssen wir auch noch mit ansehen, wie er den Kopf tief über den Teller beugt und die letzten Krümel der Torte ableckt. Man könnte ihn nicht einmal attraktiv nennen. Was die Frauen wohl an einem wie dem finden? Ich trinke einen Schluck Champagner, während er weiter Blödsinn quatscht.
»Wenn du dich auf Sardinien verheiratest, kannst du nicht neben deiner Schwiegermutter einziehen. Gewöhnlich verfügt eine sardische Braut über einen eigenen Machtbereich, auf dem sie dann ein riesiges Heim hochziehen muss, in nächster Nähe zu Eltern, Geschwistern, Onkeln, Vettern, alle mit dem gleichen Nachnamen, die auf demselben Fleckchen Erde wohnen.«
»Ach wirklich, ich weiß aber, dass Maurizio und Giulia schon eine Wohnung in Rom haben!«
»Ich spreche doch hier von dem Haus, in dem sie ihre Ferien verbringen werden: im Sommer, zu Ostern, Weihnachten und Silvester müssen sie herkommen, nach Gesturi. Sonst könnten die Leute schlecht über sie denken. Außerdem hat Donna Assunta, Giulias Mutter, das schon so entschieden. Punktum. Wehe, man widerspricht ihr! Was war das für ein Kampf mit den Zuckermandeln für die Hochzeit! Maurizio wollte sie günstig bei einem Freund von ihm, einem Großhändler in den Abruzzen, einkaufen, aber Assunta hat sich zu Recht dagegen gewehrt: ›Die Konfektsäckchen müssen teuer sein, sonst reden die Leute schlecht über uns. Und die besonderen Einladungskarten für den Empfang und das Essen danach müssen reich mit Gold verziert sein wie die Decken eines Königspalastes, und überhaupt muss das Hochzeitskleid das schönste, das prächtigste von allen sein. Man darf den Leuten keinen Anlass geben zu sagen, man hätte gespart, auf keinen Fall!‹ Dafür ist eine sardische Mutter äußerst vorausschauend, die denkt bereits während der Schwangerschaft an die Aussteuer und die Kücheneinrichtung der Tochter. Die ganze Zeit über bestickt sie ständig Handtücher und Damastdecken mit ihren Initialen. Die Braut hätte schon mit acht Jahren ein Wäschegeschäft aufmachen können. Meine Mutter war ja auch so vorausschauend, also, als meine Schwester geheiratet hat, hat sie ihr so viel Zeug zur Aussteuer mitgegeben, das kann man sich gar nicht vorstellen! Sogar eine Reibe, die mein Vater mit Sammelpunkten beim Tanken bekommen hatte, das muss wohl ein Jahr mit armseligen Prämien gewesen sein … Wie auch immer, ich habe mir ausgerechnet, dass für das hier mit allem Drum und Dran, also der kirchlichen Trauung, der Kapelle, den traccas, Trachten, Padre Mariano – der lässt sich gut bezahlen, du glaubst doch nicht etwa, dass du da mit fünfzig Euro Kollekte davonkommst? –, Fotograf, Blumen, Menü mit Hummer und Scampi und dem ganzen Rest, vierzigtausend wohl nicht gereicht haben werden…«
»Vierzigtausend Euro?«, platzt Jutta heraus.
»O ja, vierzigtausend. Was haben Sie denn geglaubt?«
»Aber warum wollt ihr in Italien immer so viel Geld ausgeben?«
»Eine Hochzeit ist eine Hochzeit, meine liebe Signora. Als ich meinen Eltern einmal gesagt habe, dass ich erst heiraten würde, wenn ich selbst etwas Geld hätte, dafür würde ich sie auch um nichts bitten, nur die engsten Freunde und Verwandten einladen, den größten Teil des Geldes für mein Heim und die Hochzeitsreise ausgeben und nichts für sinnlose Hochzeitsbilder, nein, sogar die Gäste bitten, mit ihren Digitalkameras Bilder zu machen, als ich also sagte, ich würde mir eine Einbauküche auf Raten kaufen und im Gegensatz zu meiner Schwester eine Hochzeitsliste für die Geschenke machen, da wurde es ganz still im Raum. Und ich habe gefragt: ›Entschuldigt, habe ich etwas Falsches gesagt?‹ Und wisst ihr, was meine Eltern mir geantwortet haben? ›Dann bleibst du besser Junggeselle!‹«
Seine Redseligkeit ist unerträglich. Endlich sagt unsere Tischnachbarin, eine entfernte Verwandte von ihm oder seiner Frau, wenn nicht sechsten, dann doch fünften Grades, die dieses unentwegte Geschwätz nicht mehr aushält, zu ihm: »Jetzt hör doch endlich mal auf, Tore, lass uns in Ruhe unsere Torte essen!«
Jutta drückt meine Hand unter dem Tisch. Ein eindeutiges Zeichen, dass auch sie mehr als genug hat. Er dagegen meint, als hätte er eine spontane Eingebung erhalten: »Du hast ja recht, meine Liebe, ich muss endlich auf die Bühne!«
Dann steht er auf, formt die Hände zu einem Megaphon und brüllt: »ICH BITTE MEINE KOLLEGEN MUSIKER, ZU MIR AUF DIE BÜHNE ZU KOMMEN – ODER KLEBT IHR AN DEN STÜHLEN FEST, JUNGS? EIN TANZ FÜR UNSER WUNDERSCHÖNES BRAUTPAAR!«
Alle nicken und schlagen mit dem Besteck beifällig an die Gläser. Ich auch, schließlich ist das die einzige Möglichkeit, ihn loszuwerden.
»WARUM KOMMST DU NICHT MIT, BRUNO, UND TANZT DEN BALLU TUNDU MIT UNS?«, brüllt er mir ins Ohr, dabei schiebt er seinen Stuhl zurück und tritt mir auf den Fuß.
Jetzt wird mir heiß. Allein bei der Vorstellung, er könnte mich mit sich ziehen und in irgendeine peinliche Situation verwickeln, werde ich blass.
»Nein, danke. Ich sehe mir das Ganze lieber von hier aus an …«
»Wie du willst, aber du weißt gar nicht, was du dir entgehen lässt …«
Ich seufze erleichtert. Jutta fragt mich, ob ich etwas von ihrem Baiser und den Maronen mit Schokoladenüberzug kosten möchte … In dem Moment legt mir jemand die Hand auf die Schulter. Vor mir steht Geraldo und lächelt mich an. Er ist wie immer höchst elegant gekleidet: Er trägt einen Blazer mit vergoldeten Initialen auf der Brusttasche, weiße Hosen, dazu eine gestreifte Seidenkrawatte und leichte Boots. »Wie schön, dass du hier bist! Endlich ein Lichtblick!« Ich deute auf Salvatores Platz, damit er sich dorthin setzt. Während die Musiker auf die kleine Bühne zueilen, fühle ich, dass mir Geraldo tröstend die Hand auf den Arm legt.
»Warum willst du nicht tanzen?«, fragt er.
»Ich bin dir sehr dankbar, dass du gekommen bist, Geraldo, aber zwing mich nicht zu etwas, was ich nicht will.«
»Mein lieber Freund, das sind die Menschen deiner Geschichte! Alles hier wirkt fremd auf dich. Aber auch sie sind Teil deiner Reise. All die Leute, die du in diesen vier Tagen kennengelernt hast, aber auch alle Orte gehören in dein Tagebuch, dem du Empfindungen, Gedanken, Gefühle anvertrauen wirst. Glaubst du wirklich, all diese Begebenheiten, Unfälle, Begegnungen seien purer Zufall? Beschränk dich nicht darauf, nur die Dinge zu betrachten, die dir gefallen … Betrachte doch alles und jeden mit der gleichen Begeisterung, demselben Erstaunen, die du für die riesigen Granitblöcke auf den Hügeln hegst, für die erschöpften Maulesel auf den Saumpfaden, diese unberührten Landschaften, die einsamen Nuraghen. Das ist doch das Schöne an einer Reise, dass man unbekannte Orte entdeckt, Menschen kennenlernt, die ganz anders empfinden und die niemand mehr verändern kann, man kann sie nur betrachten und als Erinnerung mit nach Hause nehmen.«
»KOMM, BRUNO, KOMM, JUTTA, TANZT DEN BALLU TUNDU MIT UNS!«, rufen Giulia und Maurizio im Chor.
Salvatore beharrt darauf, jetzt klatschen auch Donna Assunta und die anderen Gäste in die Hände, um uns zu ermutigen. Wir reihen uns in den Kreis um das Brautpaar ein und überlassen uns dem mitreißenden Rhythmus der Musik:
»EIN HOCH AUF DAS BRAUTPAAR!«