Das fünfte Buch.
Die Reisen Othars, des Nordländers.
Im äußersten Ende von Halgoland, im nordlichen Theile von Nordmannland, wohnte ein bemittelter Edelmann, sein Name war Othar. Er besaß sechshundert Rennthiere; in einem Lande, wo alles andre Vieh selten war, pflügte er mit eigenen Pferden und Ochsen. Er hatte viel gelesen, sein Geist ward durch die Erzählungen der Reisenden aufgewekt, die in entfernten Gegenden ihren Verstand mit neuen Wahrheiten bereichert, die ihrer Mitbürger Sitten mit den Sitten der Ausländer verglichen, und aus diesen Mittel ausgefunden, jene zu verbessern; die die unbekanten Bequemlichkeiten, bessere Werkzeuge, und leichtere Nahrungsmittel ihrem Volke mitzutheilen, sich geschikt gemacht hatten. Norwegen wurde damahls durch Harald mit den schönen Haaren beherrscht, einen Herrn, der die kleinern Fürsten seines Reiches unterdrükte, und die Rechte des Thrones erweiterte. Othar hatte seinen Hang zum Genuße der algemeinen Vorrechte der menschlichen Natur durch die Kenntniß der alten Skalden vermehrt, die vor einem tapfern Volke die Vorzüge der Freyheit besungen hatten.
Er empfand eine Neigung zum Reisen, und zur Entdekung entfernter Länder, deren er nicht widerstehen konte. Er schifte sich ein, und kam an Alfreds Hof, der mit der Aufnahme seiner Seemacht sich eben beschäfftigte. Der König sah mit Vergnügen einen Mann, den die Nohtwendigkeit gelehrt hatte, die Kunst der Schiffahrt gründlich sich bekant zu machen.
Nordmannland hat von der Natur, neben den Rennthieren und dem Gewilde, keine andre Mittel erhalten, seine Einwohner zu ernähren, als die See. Zwischen den Klippen einer in fürchterliche Abstürze abgebrochenen Küste, zwischen den felsichten Inseln die vor dem Lande liegen, ist das Meer mit einer unerschöpflichen Menge von Thieren angefült, die von den kühnen Einwohnern durch alle Gefahren der Winde und des Eises verfolgt, ihre Bedürfnisse ersezen müssen. Das Getreid, womit in mildern Ländern die dankbare Erde den Fleiß des Akermannes belohnt, müssen die abgehärteten Nordländer in fernen Gegenden suchen, und durch lange Seefahrten zu ihren Hütten bringen. Jeder Nordmann ist ein Fischer, und ein Schiffer; daher kam es, daß die Scandinavischen Seeküsten mit zahlreichen Schifheeren die Einwohner fruchtbarerer Länder so leicht beunruhigen konten.
Othar wurde dem Könige vorgestelt. »Alfred, sagte der Nordländer, verdient durch seine Tugenden, daß die Erdkugel neue Länder ihm anbiete, die kein Sterblicher noch befahren hat. Ich hoffe Gegenden zu entdeken, wo sich Engellands Reichthum vermehren, wo zahlreiche Schiffer eine reiche Ladung finden, wo die Sachsen lernen werden, die Herrschaft des Meers zu behaupten. Ich wohne inner dem Kreise, in welchem die Sonne die Erde im Sommer niemahls verläßt, und nach einem kurzen Umwege um den Rand des Gesichtskreises, wieder in die Höhe steigt. Die Meere nähren in diesen Höhen mächtige Fische, gegen die der Elephant klein ist; dennoch dienen sie dem Menschen zum Raube, ein einziger Fisch hat den Wehrt von hundert Pfunden Silber. Meine Nordländer wissen das Ungeheuer zu bezwingen, es ist ihnen ein Spiel, mit Wurfspiessen den Riesen der See zu verfolgen. An den Klippen dieser Meere findet man das Walroß, dessen Zähne edler sind als das Helfenbein, und in der hohen See das unschäzbare Einhorn, das die Aerzte mit vollem Vertrauen allem Gifte entgegen sezen.«
»Aber Othar hat größere Absichten: Er hat Männer angehört, die die Begierde zur Beute, oder auch die ungestüme Obermacht der Winde in neue Meere getrieben hat. Nordland geht nicht biß zum Angel der Welt. Es wird vom Ocean umflossen, gegen Osten öfnet sich eine unermeßliche See, deren Gränzen niemand kennet, die biß an das großmühtige Nippon, und zu dem ämsigen Kathay reicht. Unendlich würde der Sachsen Glük, und unermeßlich Alfreds Ruhm seyn, wann es mir gelingen solte, in diese reichen Gegenden einen Weg auszufinden, und die Schäze in die Britannischen Inseln zu leiten, die so viele Völker bereichern, eh sie jezt Europa berühren. Die Seide, das Gewand der Königinnen, der feinste Stahl, das edelste Kupfer, die theuersten Metalle werden in diesen entfernten Reichen gefunden, und dasjenige Volk wird die oberste Stelle unter den Nationen einnehmen, das die Straße des Meers am besten kennen, und die Reichthümer der unbekanten Welt sich durch die Schiffahrt zueignen wird.«
»Othar verlangt zwey Schiffe, die er mit erfahrnen Seeleuten besezen wird, und Nahrungsmittel für zwölf Monden. Er wird sterben, oder für den König neue Reiche entdeken.«
Alfred gieng den Vorschlag mit Vergnügen ein. Zwey Schiffe mit Seeleuten aus Nordmannland verliessen Halgolands Küste, und Othar ließ seine Segel gerade gegen den Angel der Welt richten. Er sah das äußerste Ende der bekanten Erde, die See öfnete sich in eine unermeßliche Weite gegen Morgen, und das Land gieng gegen Süden zurük. Othar kam weiter gegen Norden, als vor ihm kein Sterblicher gesegelt hatte. Die See war offen, und die Gefahren die er zu übersteigen hatte, waren für seinen Muht nur gering. Er bezwang Einhörner, und brachte von diesem geschäzten Gegengifte eine Ladung. Da er aber eben die Spize der Erdkugel umschift hatte, jenseits welcher sie wieder nach Süden sich senkt, überfiel ihn ein heftiger Ostwind. Umsonst wolte der Herzhafte widerstehn, und er wurde an eine Küste getrieben, wo er einen sichern Hafen, warme Quellen, und grüne Anger fand.
An dieser Küste wohnten Einwohner, den Finnen nicht unähnlich, unter denen Othar gelebt hatte. Klein, übel gebildet, aber alle Beschwerden des Lebens auszustehn gerüstet, und in der schwersten Arbeit unermüdlich, griffen sie mit schlechten Waffen, ohne die Hülfe des Eisens, den fürchterlichen Walfisch an, der ihnen zur Speise wurde, und dessen Gerippe die Anlage zu ihren Hütten gab. sie suchten unter dem Eise den schüchternen Seehund, und erlegten ihn mit Wurfspiessen, die mit Knochen bewafnet waren. Die Fische waren ihr Getreid, ihre ganze Nahrung; denn die Erde brachte nichts hervor, wovon die Menschen ihr Leben unterhalten könten, das Land war mit Felsen bedekt, und inwendig mit hohen Eisgebirgen angefült. Niemahls keimte ein Baum, und die eiserne Erde brachte keine Frucht hervor.
Othars Schiffe hatten im Sturme Schaden gelitten; sie wiederherzustellen erforderte einige Wochen. Er lernte das Volk kennen, das die neuentdekte Küste bewohnte. Er half den Wilden bey ihrem Fischfang, er beschenkte sie mit eisernem Gewehre, und lehrte sie an langen Seilen die Wurfspiesse befestigen, die sie in den Walfisch warfen; an diesen Seilen zog der Fisch seine Verfolger selbst mit einer Geschwindigkeit fort, die kein Sturm nachahmen konte, bis der Verlust des Blutes ihn ermattete. Othar zeigte ihnen den Werth der Zähne des herzhaften Walrosses, und die Mittel es zu bezwingen; er ließ sie den Geschmak des Brodtes kosten, und versprach ihnen, in den folgenden Jahren mit den Früchten der Künste der gesitteten Länder wieder zu kommen, und von ihnen den Raub des Walfisches und des Seehundes zu ertauschen.
So sehr Othar der Freyheit ergeben war, so hatte er noch kein Land gesehen, das ohne Herrscher war. Der ganze Nord stund unter kleinen Fürsten, die wiederum die großen Könige zu Upsal, zu Lethra, und in Nordmannland verehrten. Die Einwohner der nordischen Küsten gehorchten Obrigkeiten und Gesezen. Alle bezahlten Steuern an den Staat, und hatten einen Theil ihrer Freyheit dem Staate aufgeopfert.
Hier im westlichen Norden fand Othar keine Spur einer Unterwürfigkeit, keinen über den andern erhobenen Menschen, kein Gesez, keine Straffe, und keine Belohnung. Jeder Vater ist der Herr seiner Kinder; aber der Antheilhaber seiner Hütte, der neben ihm unter einem Dache wohnt, fodert von ihm keinen Gehorsam, erweiset ihn hinwiederum keine Unterwürfigkeit, und lebt, wie seine Brüder, in einer volkommenen Gleichheit mit ihm bey der gemeinschaftlichen Lampe. Zwanzig Hütten sind neben einander an einer fischreichen Bucht in die Erde gegraben, funfzig Hausgesinde wohnen in den Hütten, ohne daß ein einziger Mann den geringsten Befehl gebe, oder annehme; ohne daß ein Bürger der fischreichen Bucht wäre, der bey seinen Mitbürgern in einem Ansehn stehe, das weiter als der bloße Eindruk gienge, den der bessere Raht unvermeidlich nach sich zieht. Die Wilden versamlen sich in gemeine Hütten, in kleine Dörfer, und besezen gemeinschaftlich große Böte, in denen sie von einer Bucht zur andern dahin ziehn, wo der Fischfang am ergiebigsten ist. Sie vereinigen ihre Kräfte, ein solches Bot zu bauen, sie machen wider den Walfisch einen Bund, führen wider ihn einen gemeinschaftlichen Krieg, und theilen die Beute. Aber keine dieser Verbindungen verpflichtet einen der Einwohner gegen den andern zur geringsten Unterwürfigkeit.
Othar war begierig zu erfahren, was diese Gesezlosigkeit für Wirkungen habe, ob die Menschen bey derselben minder freundschaftlich, ob ihr Zustand dabey schlechter wäre. Er fand wenig Unterschied zwischen den freysten der Menschen, den Einwohnern der nordwestlichen Küste, und zwischen den gesitteten Europäern. Das Gute war hier, wie bey den Europäern, mit Bösem vermischt. Die Wilden vertragen sich so wohl, als diejenigen, über deren Zorn ein rächendes Gesez wacht; nur selten wird einer der Wilden einen andern ihm gleichen Menschen beleidigen oder schlagen. Viele Gesinde leben in einer einzigen Hütte kaltsinnig, aber freundschaftlich mit einander. Ueber der Theilung der gemeinschaftlichen Beute entsteht selten ein Zank; selbst die Liebe, die auch unter den Thieren die blutigsten Kämpfe erwekt, stört den Gleichsinn dieser einsamen Nordländer nicht.
Sie sind allerdings noch kälter gegen einander in den Pflichten der Menschenliebe. Ein Kind, dessen Mutter stirbt, muß unvermeidlich sterben, weil kein anderes Weib sich des Elenden annimt. In ihren Krankheiten genissen sie von ihren Nächsten nicht alle die Dienste, die gesittete Völker einander erweisen; bey ihren vielen Abwechslungen der Wohnpläze ist ein Kranker für die Gesunden eine Last, womit sie sich nicht beladen können. Da kein Rächer der verlezten Geseze dem Uebelthäter droht, so hat wohl eh ein Zank einen Todtschlag nach sich gezogen. Der erboßte Wilde, der seinen Feind in der einsamen See allein antrift, hat zuweilen desselben Boot umgeworfen, oder ihn heimlich von einem Felsen gestürzt. Doch sind diese Uebelthaten nicht häufig, und nicht gemeiner, als bey denjenigen Völkern, die unter der strengsten Zucht der Religion und der bürgerlichen Straffen leben.
Die Ehen sind eben so beständig, und eben so einig, wie bey andern Nationen; nur ist die Unfruchtbarkeit verhaßt, weil die Kinder, und vornehmlich die Söhne, die einzige Hülfe sind, die in ihrem Alter die Eltern in den Gegenden zu hoffen haben, wo die Menschen nicht nahe genug mit einander verbunden sind, um andern in ihrer Noht beyzustehen.
Das Gefühl der Ehre ist so stark, als bey den gesitteten nordischen Völkern; es erstrekt sich sogar auf den Ruhm, der durch den Wiz erworben wird, und nach welchem auch mitten in diesem dürftigen Leben diese Wilden streben. Aber noch mächtiger ist die Habsucht. Der Ueberfluß macht hier den einzigen Unterschied aus, der einen Menschen über den andern erhebt. Die Wilden sind aber eher zu entschuldigen, als die gesitteten Völker: ihr Lebensunterhalt ist tausend Gefahren und Unglüksfällen unterworfen, und selbst ihr Ueberfluß besteht in bloßen Lebensmitteln, die alle Augenblike zur Nohtdurft werden können.
Der Mangel des geselschaftlichen Lebens mag die Ursache seyn, die diese Wilden gehindert hat, das Vieh zu zähmen. Die Natur bringt Rennthiere hervor, aber niemand weiß sie hier zum Gehorsam, und zur Freundschaft mit den Menschen zu gewöhnen. Die Menschen verlieren dadurch eine bessere und gewissere Nahrung, als diejenige, die von der See, und von den Winden abhängt.
Othar überzeugte sich endlich, daß in einem sehr öden Lande, wo überflüßiger Raum für die wenigen Menschen ist, wo die See allen offen steht, und allen den Unterhalt gewährt, wo weder Aker noch Wiesen, noch einiges Eigenthum ist, als dasjenige, das unter den Augen des Besizers bleibt; daß endlich in einem kalten Lande, wo alle Triebe, und auch der heftigste von allen, der Trieb zur Liebe, gemäßigter sind, die Menschen allerdings ohne Obrigkeit leben können; daß auch die gemeinschaftlichen Nohtwendigkeiten und Vortheile solche gleichgeltende Menschen in ein geselschaftliches Leben zusammen lenken können, und daß die Laster bey denselben nicht in größere Uebelthaten ausbrechen, als bey denen, die unter Fürsten und Gesezen stehn, weil die Triebe minder wirksam sind, und die einschränkenden Straffen minder nohtwendig machen.
Othars Schiffe waren wiederum zu den Gefahren der See ausgerüstet. Ein günstiger Nordost brachte den kühnen Seefahrer von der Südspize der gefrornen Küste herum. Die Erde bog sich nunmehr nach Süden, ein breiter Seebusen öfnete sich, ein mächtiger Fluß ergoß sich in vielen Mündungen in das Meer, und diente zu einem sichern Hafen. Der Nordländer fand diese Gegend, ob sie wohl nordlicher war, als die Küste der Wilden, dennoch mit gesitteten Menschen bewohnt. Die Biarmier hatten einen König und einen Gottesdienst, sie wohnten in warmen und bequemen Häusern, und fanden in der Fischerey, in der Jagd, in ihren zahlreichen Heerden, und in den Früchten der Erde, ihren zureichenden Unterhalt. Dieses Volk war den Finnen des Othars ähnlich. Othar erkante den Nuzen des geselschaftlichen Lebens; die nordische Kälte, die langen Winter, die zerstörenden Winde herrschten hier, wie bey den nordwestlichen Wilden; aber die vereinigten Kräfte der Menschen hatten die Natur verbessert. Die Erde war unter ihren Händen fruchtbar geworden; sie kanten den Nuzen der Werkzeuge, sie halfen einander ihre Häuser aufzurichten, und zu erbauen; sie irreten nicht aus Dürftigkeit im öden Lande herum, sie hatten Gärten und Felder, sie tauschten ihren Ueberfluß gegen die nüzlichen Waaren südlicher Völker; sie waren der Hungersnoht nicht bloßgesezt, die bey einer ungünstigen Witterung oft die Wilden aufreibet. Was einem Menschen unmöglich gewesen wäre, das erzwang die übereinstimmende Stärke der Menge. Die Wissenschaften gesitteter Völker warfen auch in diese entfernte Länder einen Theil ihrer Strahlen, sie kanten und verehrten ein oberstes Wesen.
Othar fand, daß die Religion die Bande der Menschheit verstärkt, und uns gegen unsere Brüder zu Pflichten verbindet, die der Wilde nicht kent; daß wir das Mitleiden zärtlicher fühlen, und die Noht und das Unglük andrer eifriger mildern; und daß endlich die ungeselschaftlichen Menschen in ihren wenigen Künsten nicht zunehmen, nichts erfinden und nichts volkommener machen; und hingegen die gesitteten Völker täglich mehrere Mittel erfinden, die Lasten des Lebens zu erleichtern, und die angenehmen Empfindungen zu vermehren, und daß sie wachsen und zunehmen, da die wilden Völker in einer ewigen Kindheit bleiben.
Nochmahls spante Othar seine Segel auf, und ein günstiger Südwest führte ihn gegen den nordlichen Angel der Erde. Es kam bey einer Insel vorbey, fern jenseits der Länder, die von Menschen bewohnt werden, ostwärts einer großen Insel, die ewiges Eis bedekt, wo das wenige was die Natur hervorbringt, nur einzelne Thiere ernährt. Die kleine Insel war mit tiefen Fuhrten durchzogen, und um dieselbe herum wimmelte die See mit Walfischen. Othar versprach sich einen unerschöpflichen Schaz in diesen noch niemahls besegelten Gegenden entdekt zu haben,Spizbergen. und mit derselben des Königs der Sachsen Freygebigkeit zu belohnen.
Hartnäkig war sein Entschluß, Alfreds Wünsche zu erfüllen, und den Weg nach Kathay und Nippon zu entdeken; den Reichen, von deren Größe und Reichthum das Gerücht biß in Europa etwas gerühmt hatte. Er fuhr bey einem hellen Tage, bey einer kleinen InselEine wahre Geschichte des Steuermans Himkoff und seiner Gefährten. vorbey, wo er einen Rauch aufgehen sah. Hier sind doch Menschen, so nahe an der Scheitel der Welt, sagte Othar; und bald sah er etliche Fremdlinge, in Pelze gehüllt, am Strande gehn, und mit Winken, und flehendem Ruffen Hülfe von ihm begehren.
Der Großmühtige konte keinen Menschen leiden sehen, ohne an dem Unglüke desselben Theil zu nehmen. Er stieg in einen Nachen, und reichte dem Vornehmsten der Verlassenen freundschaftlich die Hand. Es waren Biarmier, deren Sprache Othar nicht ganz fremd war. Sie fleheten ihn um der algemeinen Rechte der Menschheit willen an, sie aus dieser Einsamkeit zu erlösen. Othar war gleich willig die Unglüklichen zu retten; sie baten ihn aber in eine Hütte zu treten in welcher sie sechs lange Jahre zugebracht hatten.
Die Hütte war in eine Grube der Erde gesenkt, und von Holz aufgeführt das die gütige Natur an die so ungastfreyen Ufer durch das Meer zuführt, und von entfernten Waldungen abspült. Mit Moos waren die Rizen gestopft; ein Feuer brante auf dem einsamen Heerde, das niemahls ausgelöschet worden war. Die Reichthümer der Unglüklichen waren in der Hütte verwahrt. Felle von erlegten Bären, von kostbaren Füchsen, von Rennthieren, Fett von eben diesen Thieren, Fäden, Strike, und Gespinste, von Bärensehnen, einige irdene Geschirre waren die Schäze der Verlassenen. Die Biarmier bewirtheten ihre Gäste mit Thierfleisch, und die Nordmänner liessen sie den längstvergessenen Saft der Gerste wieder kosten.
Nach der Mahlzeit brachten die Wenigen ihre Reichthümer, und ihre Waffen in das Schif, und ein günstiger Westwind beförderte ihre Reise gegen das äußerste des Morgens. Die Einsamkeit einer öden See zu mildern, bat Othar die Erretteten, ihre Geschichte ihm zu erzählen.
»Wir sind Fischer, sagte der älteste Biarmier. Wir fuhren nach Walfischen, und bey dieser Insel umschloß uns das Eis. Wir traten ans Land, und suchten eine Höle, wo wir in dieser fürchterlichen Einsamkeit, vor dem tödtenden Froste uns bergen könten. Wir sahen nichts als Klippen, die durch den Frost gespalten, in gebrochenen Felsstüken mit grausamem Geräusche in das Meer fielen. Einsame Gefilde ohne Bäume, ohne grüne Gewächse, beschneyte Hügel, und eine von den Geschöpfen verlassene Wüste war unser Reich. Wir hatten etwas Eisen und einige Waffen mit uns aus dem Schiffe gebracht, und erlegten ohne Mühe ein Rennthier, weil die Einwohner dieser Küste noch keinen Menschen gesehn, und nicht gelernt hatten, vor seinen Nachstellungen zu fliehn. Die Nacht kam, sie war kurz; denn ganze Monate durch verließ uns die Sonne niemahls. Aber ein heftiger Sturm wütete die Nacht durch im Meere, am Morgen war das Eis zerstreut; aber unser Schif, das einzige Mittel zu unserer Rettung, war in die Weite der Meere fortgeworfen worden, und unwiederbringlich verlohren.«
»Wir sahen uns, uns fünfe, in ein Gefängniß gesperrt, das unermessene Meere umschloßen. Fern waren wir von aller Hülfe, und fast ohne Mittel, den Hunger, den Frost, und die Wut der Winde abzuwenden. Dennoch gab uns die Noht selber Muht ein; das Rennthier, das wir erlegt hatten, nährte uns einige Tage lang. Wir tranken den geschmolzenen Schnee, und fanden einen Vorraht von angespültem Strandholze, den auch die Trümmer verunglükter Schiffe bisweilen vermehrten. Ein einziges Beil und ein Messer war unser ganzes Werkzeug. Wir arbeiteten unermüdet, die Hütte zu zimmern, eh der unerbittliche Winter uns überfallen würde. Wir zündeten mit einem schnell umgedrehten Stüke Holz ein Feuer an, das wir niemahls ausgehen liessen. Aus einigen Nägeln, die wir aus einem der zugespülten Ueberbleibseln der gescheiterten Schiffe fanden, schmiedeten wir auf harten Steinen einen Hammer und zwey Eisen, womit wir zwey Stangen bewafneten: aus einer Wurzel, die eben auch ein Geschenk des Meeres war, verfertigten wir einen Bogen, und aus den Nägeln eiserne Spizen für die Pfeile.«
»Ein weisser Bär, der Tyrann dieser Insel, der sich von dem Raube der Rennthiere nährte, fiel uns an; wir waren aber wieder zum Streite bereit, und erlegten den Grausamen mit unsern Lanzen. Seine Sehnen liessen sich in Fäden spinnen, sie lieferten uns Seile für den Bogen, auch Strike zu verschiedenem Behufe, und Fäden, womit wir aus den Pelzen erlegter Thiere uns Kleider verfertigten.«
»Der Bogen, der in der Ferne tödtlich war, gab uns die Oberhand über die Thiere, die einsam die Insel bewohnten. Wir erlegten die Bären, wir schoßen eine große Anzahl Füchse, und so viele Rennthiere, als zu unsrer Nahrung nöhtig waren. Mit Angeln, die wir mit etwas Fleisch behängten, betrogen wir die Fische leicht, und vermehrten unsern Vorraht. Wir fanden Thon, und verfertigten aus demselben irdene Geschirre, worin wir kochen konten, und woraus wir eine Lampe zurichteten, die wir mit Bärenfett ernährten, und womit wir die langen Winter durch, die Dunkelheit einer ewigen Nacht aufheiterten; den Docht gaben uns die Strike her, die zuweilen mit den Trümmern zerschmetterter Schiffe uns zugespült wurden. Ein einziges niedriges Kraut, zugleich wohlschmekend und gesund, diente zur Abwechslung unserer Mahlzeiten.«
»Sechsmahl hatten wir den ewigen Tag des Sommers erlebt, sechsmahl auch die entsezliche Nacht ausgestanden, die viele Monate durch, diese traurigen Gefilde bedekt. Den Schnee der unsre Hütte begrub, die unausstehliche Kälte der spätern Monate des Winters, hielt die Hütte und das Feuer ab, das wir unterhielten. Die langen Stunden brachten wir mit mühsamen Arbeiten zu, die uns die Länge der Zeit möglich machte; denn wir brachten es so weit, daß wir Nägel zu Nadeln umzuschaffen wußten.«
»Die Erfahrung, daß unsere Lebensart nicht ganz unerträglich war, richtete uns bey den traurigen Stunden auf, die wir nicht vermeiden konten. Ach! dachte ich, wir müssen sterben; glüklich ist wer der erste stirbt, wer noch die Stimme seiner tröstenden Freunde hört, wer in seiner lezten Schwachheit einige Hülfe hoffen kan, wem andere Menschen das Auge zudrüken. Aber was wird das Schiksal des Ueberlebenden seyn, der ohne Freund, ohne Beystand, in seinem Unvermögen, weder Speise erwerben noch genießen, der auch die gröste Nohtwendigkeit des Menschen, den Durst, nicht wird stillen können, der einsam verschmachten, und lebendig verwesen muß?«
»Auch drohten uns die nöhtigsten Werkzeuge zu verlassen; das Beil, auf welchem unsre Beholzung, und die Ablehnung der Kälte beruhte, war biß aufs Heft abgenuzt. Von unserm einzigen Messer war nichts mehr übrig, und diese Verluste waren unersezlich. Aber der Schöpfer der Menschen weiß Auswege, sie zu retten, sagte der gesittete Biarmier, und seine Güte führte aus dem entferntesten Abend einen Helden her, dem er unsre Errettung anvertrauet hatte.«
Othar bezeigte seine Freude, daß er ein so hartes, und durch keine Laster verdientes Unglük zu endigen würdig war gefunden worden.
»Was wäre, sagte er nachdenkend, der Mensch ohne die Künste, die selbst ohne dieß geselschaftliche Leben unmöglich wären? Etwas Eisen, die Frucht der vereinigten Arbeit eines Bergmanns, eines Schmides, eines Köhlers, eines Töpfers, eines Mäurers, eines Zimmermanns, und unzählbarer andrer Künstler, hat der unglüklichen Biarmier Leben gerettet. Vom geselschaftlichen Leben hatten sie gelernt, das Eisen umzuschaffen, den Thon zu Geschirren, die Fäden zu Striken zu drähen, die Felle der erlegten Thiere zu Kleidern zu nuzen. Unselig wäre der Mensch, wann er nicht geselschaftlich wäre, und vermuhtlich wäre das menschliche Geschlecht in wenig Jahren ausgestorben, weil die Kinder länger als kein Thier unvermöglich blieben, und sich selbst nicht die Nohtdürftigkeiten des Lebens verschaffen könten: wenn nicht der unüberwindliche Trieb zur Geselschaft den Vater und die Mutter vereinigten, den nichts wiedervergeltenden, und lauter Qual den Eltern verursachenden neuen Menschen zärtlich zu pflegen, und wieder die Rähte ihrer Eigenliebe, ihre Ruh, ihre Wollust, ihre Muße, selbst ihren Abscheu vor dem Schmerze, den unvermögenden Kindern aufzuopfern.«
Othar segelte eine Zeitlang gegen Osten mit günstigen Winden fort; aber die Sonne war nunmehr in das Zeichen der Jungfrau getreten, der lange Tag nahm ab, die Winde wurden rauher, ein beschwerlicher Nebel bedekte die See, große schwimmende Inseln von Eis umgaben das Schif. Die kernhaften Nordmänner fürchteten den Todt nicht, wann er ihnen plözlich in der Gestalt eines Spiesses oder Schwerdtes begegnete. Aber sie wußten, daß an den gefrornen nordischen Küsten jeder Hafen ihr Grab seyn würde, daß kein Land, in unermeßlichen Entfernungen, das unumgänglich zum Leben Nöhtigste hervorbrachte, daß ihr Schif den Anfällen des Eises nicht widerstehen würde; daß es sehr ungewiß wäre, ob die unbewohnbaren Gegenden irgendwo bevölkert seyn, und daß ein elender Tod, daß Hunger und Frost sie erwartete, denen kein Muht widerstehen könte.
Der Held ergab sich ungern, aber schon war die Schiffahrt durch die verdikte Luft so unsicher worden, daß jeden Augenblik eine unsichtbare Klippe, oder eine unvermeidliche Insel es zerschmettern konte. So nahm auch der Vorraht ab, und die Hofnung des künftigen Unterhalts konte erst in entfernten südlichen Gegenden möglich werden. Othar mußte der eisernen Nohtwenigkeit nachgeben, und das Steuer umwenden. Er brachte die dankbaren Biarmier in ihren Geburtsort zurük; er belud sein Schif mit seltenem Pelzwerk, und mit dem Raube der nordischen Seethiere, und kam bey anbrechendem Winter, nach großen ausgestandenen Gefahren, in Halgoland wieder an. Er überwinterte bey seinem Volke, das mit Erstaunen die Erzehlungen der Mitgefährten des Helden anhörte, die so viele nie besegelte Meere durchfahren, die Menschen von anderer Gestalt, und von fremden Sitten gesehen, die näher an den Angelstern sich gewagt hatten, als die Sterblichen hätten hoffen dürfen.
Im folgenden Frühling kam Othar nach Engelland zurük, und brachte dem Könige die Geschenke des Nordens, die Zähne des Walrosses, die kostbaren Felle der Biarmier und Obdorier, die Waffen des hochgeschäzten Einhornes, die Bärte der überwundenen Walfische. Alfred vernahm mit Vergnügen die Begebenheiten seines Abgesandten, und die Nachricht von den einzig der Natur überlassenen Menschen. Er war zu mild, seine herzhaften Seeleute der augenscheinlichen Gefahr des Unterganges durch fernere Reisen in den äußersten Norden bloßzusezen, und gab dem unternehmenden Othar einen andern Auftrag, der leichter zu berwerkstelligen war.
Der Nordmann solte diesesmahl die östliche See befahren, die aus dem großen Weltmeere zwischen Scandinavien und Deutschland sich weit nach Morgen erstrekt. Er segelte mit einem wohlausgerüsteten Schiffe durch den Sund, der die dänischen Inseln vom Reiche der Gothen trennt. Er befuhr einen Fluß, der aus dem alten Vaterlande der Angeln herkömt. Das ganze Volk hatte sich in das mildere Britannien übergeschift, und das verödete Land wurde nunmehr von den Dänen bewohnet. Othar kam zur Mündung der Weichsel, und zu dem Lande, woraus in die übrige Welt der Bernstein verführt wird, den die See an das Ufer ausspült. Er belud sich mit diesem wohlriechenden Peche, das zum Schmuke des Frauenzimmers dienete. Er besuchte die lange Küste von Estland, einen Siz von Edlen und von Sklaven. Die weiten Waldungen dekten das ganze Land, nur einzeln war eine Gegend ausgerottet; ein Sarmatischer Edelmann hatte daselbst seinen Hof, und rings herum wohnten in elenden Hütten seine Sklaven, die das Land für ihn bauen, die den Unterhalt eines jeden Tages von ihm erwarten mußten, deren Leben, und selbst die Ehre ihrer Weiber, von dem Willen des Herren abhing. Der Ritter kannte kein Glük als den Krieg und die Nachahmung desselben die Jagd, er suchte im Dikichte die Auerochsen auf, und wekte den Bären in seiner Winterhöle. Die Künste, die Wissenschaften, die Handlung, waren noch nicht biß zu diesem Size der wilden Natur durchgedrungen. Der elende Bauer wurde täglich durch hartherzige Vögte zur Arbeit angetrieben, damit sein Herr müßig leben könte; zu einer Arbeit, von welcher er nichts zu hoffen hatte, die bloß die Peitsche des unbarmherzigen Treibers erzwang. Die beständige Unterdrükung, unter welcher die Elenden schmachteten, die üble Belohnung ihrer Arbeit, die Verachtung, die keine gute Dienste erleichterten, machten diese Knechte boshaft, und zu Feinden ihrer Herren. Sie wurden träg, weil sie nicht für sich selbst arbeiteten, tükisch, weil sie ihren bösen Willen zwingen mußten, diebisch, weil ihnen die Nohtdurft fehlte, unkeusch, weil keine Jungfrau unbeflekt blieb, oder den trozigen Forderungen der unzüchtigen Edlen widerstehn konte. Es war eine sichtbare Würkung der Knechtschaft der Unterdrükten, daß sie keine Tugend mehr kanten, und ihre Seele zur Aehnlichkeit der Thiere erniedrigt wurde. Der gröste Theil des Landes war eine Wüsteney, und selbst der Aker der sarmatischen Edlen genoß von dem unwilligen Pflüger keine Wartung, die ihn fruchtbar machen konte. Jährlich wurde ein Strich des unbrauchbaren Waldes verbrant, und in die erwärmete Erde säete man etwas Getreid, dessen Wachsthum die Asche begünstigte: aber auf wenige Erndten folgte eine ewige Unfruchtbarkeit. Wie das Vieh, das der Mensch zu seiner Bequemlichkeit füttert, empfieng der Bauer ein dürftiges Brodt, und wiederliches Getränk, das nur die Noht erträglich machte. Das Leben war ihm zur Last, und er sah den Todt als eine Rettung an. Ganze unermeßliche Reiche stunden unter dem eisernen Zepter weniger Edlen.Diese Reise wird dem Wulfsten dem Angel zugeschrieben.
Auch besaßen diese großen Länder keine eigene Kräfte, und wurden der Raub eines jeden Fürsten, dem seine Unterthanen gehorchten. Keine Bande vereinigten die mächtigen Edlen zu gemeinschaftlichen Absichten, keiner von ihnen nahm vom andern Befehle an, keiner wolte den geringsten Theil seines Vermögens, den kleinsten Theil seiner Freyheit zur Rettung des Ganzen aufopfern. Einzeln wurden sie ohne Mühe bezwungen, ihre knechtischen Unterthanen hatten von ihren harten Herren nichts zu hoffen, und bey dem Untergange derselben nichts zu verlieren.
Othar kam bis zum Ende des östlichen Meeres, und biß zur Mündung des Flusses, wo damahls einsame Inseln mit Gebüsch und Wild bedekt waren, und wo in den Büchern der Vorsehung eine Stadt gezeichnet war, die nach vielen Jahrhunderten erst in die Höhe steigen, von welcher hundert Völker Befehle annehmen, deren Beherrscher vom Lande der Seren biß zu den Gränzen des Estlandes ein unermeßlich weites Reich aufrichten solten. Othar kam zurük, und brachte die Schäze dieser einsamen Gegenden mit; Felle des häufigen Wildes, den gesuchten Bernstein, und Honig der wilden Bienen, die für den Menschen das Muster eines glüklichen Fleisses vergebens geben.
Alfred vernahm mit Vergnügen den Zustand des Reiches, wo Wodan sein Ahnvater geherrscht hatte, und wo er vom Thron auf den Altar war versezt worden. Er hörte aufmerksam die Beschreibung des elenden Gebrauchs, den die Menschen von den Gaben der Natur machen, wann keine weise Geseze ihre Kräfte in eine gemeinschaftliche Richtung vereinigen. Er entschloß sich noch eifriger, die Fesseln der Menschen zu zerbrechen, durch die sogar ihre Seele erniedrigt wird, und die großen Vorzüge verliert, die sie zum Bilde Gottes machen. Er belohnte Otharn königlich, und trug ihm den Befehl über zehn zum Kriege ausgerüstete Schiffe auf.