Vorwort – »Das Leben ist ein gefährliches Abenteuer«

Wie stellt man ein Buch vor, das so merkwürdig ist wie dieses hier? Es wurde von einer Ärztin verfasst. Jeder von uns, der schon einmal über Sterblichkeit nachgedacht hat, möchte natürlich wissen, wie Ärzte denken.

»Typisch Astrid«, hörte ich einen Assistenzarzt sagen, als die Oberärztin sich den Rollstuhl nahm und mit dem todkranken Patienten durch die Krankenhauskorridore eilte. Ein Wettlauf mit der Zeit. Sie wollte nicht auf den zuständigen Krankenpfleger warten, es war zu eilig.

Astrid Seeberger ist Oberärztin am Karolinska Universitätskrankenhaus in Huddinge, einem Vorort von Stockholm. Sie ist Nierenspezialistin mit einer beeindruckenden Reihe wissenschaftlicher Leistungen. Doch jetzt schob sie, so schnell sie nur konnte, mit flatterndem Arztkittel den Rollstuhl durch den Krankenhauskorridor. Wir haben mindestens sechs kostbare Stunden gespart, stellte sie später fest.

Ich war nicht dabei, als das passierte – sondern ich habe diese Szene in einer beeindruckenden Radiodokumentation gehört, die Susanne Björkman vor einigen Jahren über den Alltag in einem großen Krankenhaus machte. Sie begleitete Astrid Seeberger bei Treffen mit Patienten und Personal, vermutlich tage-, ja wochenlang. Die Dokumentation hatte den Titel: »Heilen, lindern, trösten«. Seit der Antike ist das die Aufgabe des Arztes. Und immer öfter kann er diese Aufgaben nicht erfüllen, weil es an Geld, Zeit, Personal oder anderem fehlt. Denn so ist es eben. Aber in dieser Radiodokumentation gab es noch etwas anderes. Aus dem Radio strömte eine deutlich wahrnehmbare Wärme.

Dieses Buch ist vieles in einem: ein Gedankenbuch. Und Erinnerungen einer Ärztin an Patienten, die zu Schilderungen von originellen, überrumpelnden und herzzerreißenden Menschenschicksalen wachsen. Man erfährt, was Nierenversagen bedeutet, was für einen entsetzlichen Durst man davon bekommen kann und was für eine Angst. Und was körperlich geschieht, wenn die Nieren versagen und der Lebensmut schwindet.

Man erfährt aber auch, wie der Verlauf einer Krankheit auf wundersame Weise eine Wendung zum Besseren nehmen kann.

Das Buch ist zudem ein Essay über die Kunst des guten Gesprächs. Astrid Seeberger ist sich sicher, dass Gespräche Leben schenken. Wörter helfen, Wege ins Innere und nach außen zu finden. Das Gespräch ist ein unerlässlicher Teil des Heilungsprozesses. So war es früher: Der Arzt musste dem Patienten zuhören, um eine Diagnose stellen zu können. Heutzutage gibt es moderne Apparate und hoch entwickelte Messinstrumente, die das weitgehend übernehmen. Astrid Seeberger ist jedoch der festen Überzeugung, dass das Gespräch immer noch notwendig ist, um jemanden heilen zu können.

Sie ist keine Romantikerin, sondern eine moderne Ärztin. Sie wendet alle technischen Möglichkeiten an, die ihr zur Verfügung stehen. Aber sie zeigt auch, dass das Gespräch, das richtige Wort im richtigen Augenblick, eine Lebenslust wecken kann, die die Voraussetzung dafür sein kann, dass der menschliche Organismus sich dem Überleben zuwendet. Alles hängt zusammen. Das gute Gespräch ist lebensnotwendig. Genauso wie die Berührung. Eine Handfläche auf der Haut. Und die Antwort des Körpers. Berührungen sind auch ein Teil des Gesprächs.

Das Buch ist eine Ars vivendi, ein Handbuch der Lebenskunst. Es ist auch die Geschichte eines deutschen Mädchens, das sich sehr jung allein auf den Weg nach Schweden machte und den Vorsatz hatte, eines Tages Schriftstellerin zu werden. Doch sie wurde Ärztin. Gewisse Menschen – ich habe einige von ihnen getroffen – schreiben jeden Tag. Nicht weil sie Schriftsteller werden wollen. Sondern weil das Schreiben für sie eine Methode ist, die Welt sensibel wahrzunehmen. Astrid Seeberger scheint ein solcher Mensch zu sein.

Und eine, die ihr ganzes Leben gelesen hat: Philosophie, Geschichte, Romane, Poesie. Czesław Miłosz, Wisława Szymborska, Joseph Conrad, Joseph Brodsky, Herta Müller, Goethe. Sie lässt in ihrem Buch Göran Tunström, Erland Josephson und Kerstin Ekman zu Wort kommen. Stellen Sie sich vor, schreibt sie, dass Sie an einem grauen Morgen in der S-Bahn sitzen, versunken in P. O. Enquists Schilderung der Liebestreffen eines Leibarztes mit einer jungen dänischen Königin. Was für ein hinreißender Beginn eines langen Arbeitstages, und nicht nur für einen Arzt. Lest dieses Buch, Politiker, Kultusminister, Chefärzte und Geschäftsführer!

Nicht nur, um sich von den Rendezvous in Per Olov Enquists Roman Der Besuch des Leibarztes anregen zu lassen, gern auch das, sondern vor allem, um zu erfahren, dass das gute Gespräch, Literatur und Liebe zusammengehören. Denn genau das tut dieses Buch. Astrid Seeberger unterrichtet zukünftige Ärzte über ihren medizinischen Fachbereich, aber auch über die Kunst des Heilens und die Kunst des Gesprächs.

Dass das Gespräch eine Kunst ist, lernte sie – wie sie im Buch erzählt – von ihrem Großvater in der DDR, einem Bücherleser, Frauenhelden und Mitglied einer Kolchose. Man muss schamlos neugierig sein, sagte Großvater. Vom Vater, dem buckligen Schachtelmacher, lernte sie die Lebensfreude und die Liebe zur Musik. Im Buch lernen wir auch den bemerkenswerten Lech kennen, ihren Geliebten, mit dem sie sich austauschen kann und von dem sie umarmt wird. Das hätte eine dicke Autobiografie werden können, Stoff dazu gibt es genug.

Stattdessen wurde es ein konzentriertes Essay über das Leben. Über die Kunst. Über Sinnlichkeit, Betrug und Schmerz. Vor allem aber über die Liebe. Man wird, falls man es vergessen hat, daran erinnert, dass das Leben ein gefährliches Abenteuer ist. Das jeden Morgen aufs Neue beginnt, wenn man die Augen wieder öffnen darf. Geschrieben wurde dieses Buch von einer Ärztin, die im wahrsten Sinne des Wortes eine Erzählerin ist.

Agneta Pleijel