Kapitel 3
Mutterschuld
Kaum habe ich die überwältigenden Erlebnisse der Geburt grob verdaut, werde ich abgeschoben. Es ist nicht mehr wie zu den Zeiten meiner Mutter, die nach einer normalen Entbindung 14 Tage Vollpension im Krankenhaus hatte.
 
»Heute geht es nach Hause«, ruft mir die Krankenschwester fröhlich zu, als sie ins Zimmer rauscht.
Ich bin nicht begeistert. Ich bin erschöpft, das Familienzimmer gefällt mir gut, die Aussicht ist schön, das Essen ist prima. Außerdem laufen überall Experten herum und die Nachtschwester ist äußerst praktisch. Draußen lauert die Gefahr und das Ungewisse.
»Ich bin doch erst seit drei Tagen hier. Kann ich nicht bleiben?«
»Es gibt dafür keinen Grund. Sie sind fit!«
»Vielleicht überlegen Sie es sich noch mal?«, versuche ich es mit beschwörendem Unterton und füge triumphierend hinzu:
»Schließlich war ich Risikopatientin!«
Sie belächelt mich mitleidig ob meines schwachen Versuchs und rennt wieder hinaus. Es hilft nichts. Ich kann laufen, ich kann stillen, ich darf gehen. Von nun an stehen wir auf eigenen Füßen. Da sind keine Großeltern, die um die Ecke wohnen, oder sonstige Verwandte, die sich bereitwillig ausbeuten lassen. Ein paarmal kommt die Hebamme ins Haus, mein Mann nimmt sich zwei Wochen Urlaub, dann bin ich frischgebackene Mutter tagsüber auf mich allein gestellt. Zum ersten Mal habe ich die Verantwortung für etwas Lebendiges, das nicht nur überleben soll, sondern sich auch zu seinem Besten entfalten soll - und sich eines Tages detailliert beschweren kann.
Väter machen es sich da oft leichter. Sie bedienen sich einer raffinierten Rückzugstaktik - sie gehen davon aus, dass Mütter auf magische Weise mehr über das Kind wissen als sie selbst (»Du bist doch die Mutter!«): Warum schreit es jetzt? Was macht es da? Was will es denn? Es gibt sogar Menschen, die an geheimnisvolle Hormone glauben, die es Frauen viel leichter machen als Männern, Babygeschrei und häuslichen Stress zu ertragen. Mit einem derart beruhigten Gewissen bleiben viele Väter laut offiziellen Studien die ersten Familienjahre dann lieber länger außer Haus.
Doch geben wir Frauen es doch ruhig offen zu - wir wissen meist genauso wenig über unsere Kinder wie unsere Partner. Es ist fraglich, ob das jemals anders war, aber im Zeitalter der pränatalen Diagnostik bleiben Intuition und naturgegebene Weisheit ganz sicher zu großen Teilen auf der Strecke.

Anfängerglück

Mein Kind - das Abenteuer. Das Baby ist wie der Besuch vom anderen Stern. Es setzt mich durch seine Laute, Bewegungen und Hungeranfälle ständig in Erstaunen. Ich wusste nicht, dass Babys so unterschiedliche Grimassen und Geräusche machen können. Ich wusste nicht, wie wichtig die Verdauung ist. Mir wird einiges klar im Leben.
Ich blicke in das Körbchen. Da schlummert mein winziges Töchterchen ruhig in ihrem Bettchen, ganz selbstverständlich, als wäre sie immer schon da gewesen. Es ist ein Wunder! Ich bin selig. Genau so hatte ich mir das vorgestellt. Genau so muss es sein. Wann war mir jemals ein Mensch so nah? Wen habe ich schon von Kopf bis Fuß gewaschen, gewindelt, gestillt, getröstet, gestreichelt, geherzt und geküsst? Wen habe ich so hingebungsvoll im Schlaf beobachtet und auf jeden seiner Atemzüge gelauscht? Wen habe ich stundenlang auf dem Arm getragen und innig seinen süßen Duft eingeatmet? Welche glucksenden Laute haben mich jemals so in Verzückung geraten lassen wie das Brabbeln dieses winzigen Kindes? Ich schaue auf mein schlafendes Kind und bin gerührt, tief ergriffen vor Mutterliebe.
Auf einmal öffnet das Baby seine goldigen Augen - und die sind erschreckend düster. Ich sehe die süßen Mundwinkel rasant im Bogen nach unten wandern, die Nase kraust, der Hals wird rot, der Mund öffnet sich - und im nächsten Augenblick dröhnen mir die Ohren wie unter Paukenschlägen. Baby schreit, und zwar kräftig. Das Kind hat eine gute Lunge. Vorsichtig nehme ich das Kind aus der Wiege, schleppe es umher, singe, schwinge, hüpfe, versuche es zu stillen. Es hilft alles nichts. Es will sich partout nicht beruhigen lassen. Je länger es dauert, umso elender fühle ich mich. Anflüge von Hysterie steigen in mir auf. Mein Kind schreit um Hilfe und ich weiß nicht, warum! Ich flehe es an, endlich Ruhe zu geben. Es dauert lange, bis ich den Zwiebackkrümmel im Strampler entdecke. Als mein Mann nach Hause kommt, schläft unser Kind zufrieden im Bettchen und ich sitze verheult am Küchentisch. Wer hatte denn die blöde Idee, ein Kind zu bekommen? (Ich habe vergessen, dass ich es war.) Und nun muss ich es ausbaden und der feine Herr macht sich derweil ein schönes Leben!
Jeder, der Babyschreie hört, versteht sofort, warum es international zu den schwer erträglichsten Geräuschen zählt. Die Natur hat es zum Überleben der Kleinsten so eingerichtet, dass alle sofort alles tun würden, nur um ein Baby nicht mehr schreien zu hören, aber Eltern können bei Strafandrohung nicht weglaufen. Besänftigungskunst ist gefragt, aber die schlägt leider nicht immer an. Es gibt - auch wenn einige Menschen dies nicht verstehen - keinen Knopf zum Ausschalten. Ein Kind, so klein es auch sein mag, hat durchaus Gründe zu schreien. Und wenn die Gründe nicht erkannt und behoben werden, gibt es kein Pardon.
Leider habe ich mir den Mutterschuld-Virus eingefangen, der da heißt: Mutter ist an allem schuld, ob Birnenfigur, falsche Partnerwahl oder sonstiges lebenslanges Unglück. Früher fand ich es irgendwie praktisch, meiner Mutter die Schuld an allem zu geben. Jetzt bin ich selbst Mutter, bin nicht mehr nur Tochter und Opfer. Da ändert sich die Perspektive. Ich bin jetzt Täterin und dieses Wissen macht mich fertig, wenn ich meine Tochter schreien höre. Mir fällt gar nicht auf, dass Schreien eigentlich normal ist für ein Wesen, das nicht dezidiert argumentieren kann oder die Zeichensprache beherrscht. Mir fällt nicht mal auf, dass sie eigentlich wenig schreit.
Aber es winkt der Erfolg des Kindes, es winkt sein Ruhm - und auf der anderen Seite lauert der Abgrund. Keine Mutter, die sich im öffentlichen Raum anerkannt sehen will, kann mal locker so in den Tag hinein leben, schon gar nicht, seit es diese Kehrseite der Medaille gibt, die Mutterschuld. Der Grundgedanke lautet hier: Die Weichen für die Karrieren der Kinder müssen frühzeitig gestellt werden. Glück ist machbar - Pech allerdings auch. Die beunruhigende Botschaft der Psychologen ist: Wenn die Kinderstube versagt, droht lebenslanges Unglück.
Der Psychoboom, der hier Müttern heute arg zu schaffen macht - denn sie sind es nun mal, die sich immer noch hauptsächlich um die Kinder kümmern -, kam in den 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts auf. Bis heute hält sich hartnäckig die These - so beschreibt es 1975 der Psychoanalytiker Kurt Eissler, zitiert von Ursula Nuber in ihrem Buch Der Mythos vom Frühen Trauma -, dass
 
»… die Ereignisse der ersten fünf Lebensjahre darüber entscheiden, ob aus dem Kind später ein Verbrecher oder ein Heiliger wird, ein Durchschnittsbürger oder ein Spitzenkönner, ein gesunder, angepaßter Mensch oder einer, den Neurose und Depression zerreißen
 
Obwohl es zunehmend kritische Stimmen gibt, die es etwas übertrieben und einseitig finden, dass Hinz und Kunz ihre desaströsen Gefühle und missratenen Handlungen bis an ihr Lebensende mit dem Verhalten ihrer Mütter rechtfertigen können, ist der Gedanke in unser aller Leben an eine übermächtige Mutter allzu plausibel, als dass er sich schnell verflöge, und er wird immer wieder gerne in der ein oder anderen Form verbreitet. Es ist doch viel zu umständlich, in irgendwelchen komplexen Systemen zu suchen wie etwa auch in den biologischen Veranlagungen, vielleicht sogar die Lebensgeschichte eingehend zu untersuchen oder gar die Entwicklungen in einer Gesellschaft und den Umgang des einzelnen Menschen näher zu beleuchten. Nein, es ist weitaus einfacher, eine klare, greifbare Ursache zu haben, die auch noch schuldbewusst und stumm den Kopf senkt.
Das besonders Nette an der Mutterschuld ist, dass man trotz aller Kritik erstens nicht genau weiß, was eine Mutter denn nun tun muss, damit ihr Kind ein Heiliger oder ein Spitzenkönner wird, und zweitens eigentlich überall Menschen verbrecherisch, neurotisch und depressiv werden, auffallend wenige aber als Spitzenkönner, Heilige und gesunde, angepasste Menschen durch die Welt wandeln, sodass generell erst einmal ein abgrundtiefes Mißtrauen gegen jedwede Erziehung einer jeden Mutter besteht. Und heillose Verwirrung entsteht, wenn selbst Spitzenkönner von Depressionen zerrissen werden und Durchschnittsbürger zu Verbrechern werden. Im Grunde ist die gesamte Kinderaufzucht verrottet.
Mütter von Superhelden werden selten geehrt, Mütter von Verbrechern und Kranken werden täglich millionenfach verachtet. Jeder Mensch wäre makellos und zu wahrhafter Größe fähig - wenn ihn nicht die Kinderstube in den ersten fünf Jahren versauen würde.
Der kleine Nachteil dieser so überaus beliebten Erstenfünf-Jahres-Theorie ist, dass sie jeden einzelnen Menschen zum lebenslangen Opfer seiner Kinderstube verdonnert. Wie soll ich mein Leben gestalten, wenn alles schon zu Hause vorherbestimmt ist? Bei manch einem empfindsamen Individuum löst dieser Gedanke hilfloses Entsetzen und lebenslanges Opfergefühl aus - denn wie soll man die Vergangenheit ändern? Der freie Wille, der jeden Menschen theoretisch befähigt, trotz allem oder gerade deswegen anders zu leben, als man aufgrund seiner oder ihrer Kinderstube vermuten könnte, spielt in der Fünf-Jahres-Theorie keine Rolle.
Auch ist es fragwürdig, ob tatsächlich alle Neurosen, Psychosen oder Depressionen in unserer Gesellschaft in den ersten fünf Lebensjahren begründet liegen. Ja, vielleicht sind sie sogar ganz gesunde Reaktionen auf ungesunde Verhältnisse. Es ist zwar verständlich, aber doch etwas naiv gedacht, dass der Mensch, selbst wenn er perfekt entwickelt ist und gefördert wurde, stets glücklich, gesund und erfolgreich ist. Leben wir denn im Paradies? Na also.
Aber diese kleinen Haken der Fünf-Jahres-Theorie sind offenbar nicht gewichtig genug, um die Schuldenlast von Müttern zu mindern. Es hat sich nicht rumgesprochen, dass da etwas nicht logisch oder zu kurz gedacht ist. Oder dass man die Entwicklung eines Menschen nicht einfach berechnen kann. Macht nichts. Wir haben ja Mütter. Meine Mutter konnte früher noch unbefangen schimpfen: »Mein Gott, ist das Kind laut! Was ist nur mit ihm los?«
Ich stammele verzweifelt: »Mein Gott, ist das Kind laut! Was habe ich nur falsch gemacht?«

Angst, meine ständige Begleiterin

Leider bin ich nicht nur schuldbewusst, sondern zu allem Überfluss extrem auf Risiko und Gefahr geeicht. Damit wir uns nicht falsch verstehen - eine gewisse Nervosität und Angst gehört als Mutter in den ersten Wochen, Monaten und Jahren unbedingt dazu, ja, sie sind sogar unerlässlich. Denn da niemand vorhersehen kann, was einem hilflosen Baby oder Kind in der nächsten Minute zustoßen kann, sind es gerade diese Ängste, die eine gute Mutter ausmachen und keinesfalls Anzeichen eines tief neurotischen Homo sapiens. Das bestätigen Experten wie Nadia Bruschweiler-Stern und Daniel N. Stern in ihrem Buch Die Geburt einer Mutter. Intuition zu besitzen bedeutet eben gerade nicht, frei von Angst und Sorgen zu sein - sind sie doch der Motor, der junge Mütter schön auf Zack hält und sie tödliche Gefahren wittern lässt. Ein Mensch, der sich um ein Neugeborenes kümmert, muss in allen Sinnen sensibilisiert und ständig in Alarmbereitschaft sein, um blitzschnell einschreiten zu können.
Nur wittere ich Unglück und Tod auf 1000 Meilen.
Mir fehlt nicht nur die Erfahrung, dass und wie ein Kind bei mir wachsen und gedeihen kann, was mich jetzt ein gehöriges Stück aufmuntern würde, sondern ich habe durch diese wunderbar fokussierte Schwangerschaft meine Risiko-Gefahren-Antenne auf gefühltes Satelliten-Maß ausgefahren. Ich bin mir eigentlich nie sicher, ob ich es richtig mache oder gerade dabei bin, meine Tochter für ihr gesamtes Leben zu ruinieren. Ich traue mich nicht, einfach auf meine Intuition zu hören, denn habe ich nicht in der Schwangerschaft gelernt, dass das völlig verantwortungslos wäre?
Ständig gehen mir quälende Fragen durch den Kopf:
Halte ich das Köpfchen gut? Oder kriegt mein Kind jetzt einen Halswirbelschaden? Ich denke an das gefürchtete Schütteltrauma!
Trinkt das Kind genug oder zu viel? Oder verhungert es allmählich vor meinen Augen? Wird es zu fett und kriegt diese elenden Fettzellen nie wieder weg?
Ist meine Tochter nach Vorschrift gewindelt? Oder bekommt sie schreckliche Infektionen, die ich mit Antibiotika behandeln muss? Wird das nicht ihr gesamtes Imunsystem lebenslang ruinieren?
Ist sie zu warm oder zu leicht angezogen? Bekommt sie einen Hitzeschock oder eine tragische Lungenentzündung? Muss sie dann ins Krankenhaus und an einen schmerzhaften Tropf? Ist meine Milch gut genug? Oder kann ich von Anfang an einfach nicht das Beste geben?
Bekommt sie genügend Schlaf, frische Luft, Pflege, Aufmerksamkeit, Liebe? Oder wird sie langsam unter meinen liebenden, aber leider unfähigen Händen dahinwelken?
Es ist furchtbar. Und es sind nicht nur die handwerklichen Fragen, die mich zermürben. Ständig habe ich Angst, meiner Tochter könne etwas zustoßen. Verhungern, ersticken, vom Wickeltisch fallen, in der Badewanne ertrinken oder schlicht aufhören zu atmen.
Manchmal wird mir alles zu viel, die Nähe, die Verantwortung, die Angst. In diesen Momenten sehne ich mich nach meinem alten, einfachen Leben zurück, fange an, biestig zu grübeln, ob andere Mütter nur von der Mutterschaft schwärmen, damit sie nicht alleine in der Falle sitzen. Und dann wieder schüttelt es mich vor Mitleid mit dem armen Wurm - wie soll das arme Kind mit solchen dilettantischen Eltern überhaupt leben? Wie kann es überhaupt, frage ich mich düster logisch denkend, wenn bei uns schon Topfpflanzen verkümmern?

Stillen nach Bedarf

Nicht nur die Ängste machen mich zu einem kleinen Nervenbündel. Nein, es ist auch die Ernährungsweise meines Kindes, die mich langsam, aber sicher an den Rand des Wahnsinns treibt. Denn ich stille nach Bedarf. Stillen ist das Beste für das Kind. Das sagen die Hebammen, die Krankenhäuser, die Stillgruppen, es steht in jedem Ratgeber, in jedem Artikel zur Baby-Ernährung, ja, wir hören es sogar in Werbespots und lesen es auf Kartons von Milchpulver, die die Muttermilch ersetzen kann. Eine gute Mutter stillt ihr Baby für mindestens sechs Monate nach Bedarf, am besten ein ganzes Jahr, und - wie auf den Internetseiten von Stillforen und Stillgruppen zu lesen ist - gerne auch mehr als zwei Jahre. Die Stillberaterinnen von La Leche Liga Deutschland e. V. - ein Verein, der eng mit der WHO (der Weltgesundheitsorganisation) zusammenarbeitet - weisen darauf hin, dass es (zwar offensichtlich eine Untergrenze, aber) keine Obergrenze für die Stilldauer gibt.
 
»Anthropologische Forschungen ergaben Hinweise darauf, dass das natürliche Abstillalter beim Menschen zwischen zwei, fünf und sieben Jahren liegt. Als Stillorganisation in Deutschland sehen wir es als unsere Aufgabe an, jede Familie dabei zu unterstützen, so lange zu stillen, wie es ihren individuellen Bedürfnissen und Möglichkeiten entspricht.«
 
Nun sind meine individuellen Bedürfnisse zu stillen bei einem halben Jahr relativ gut befriedigt, aber ich traue mich nicht abzustillen. Muttermilch soll zum Beispiel die emotionale Bindung zum Kind fördern und bietet Nestschutz, die Abwehr von Krankheitserregern. Sie ist auch ein gutes Mittel gegen Babyschnupfen und soll Allergien vorbeugen, aber dafür muss eine Mutter schon wenigstens ein Jahr lang die Brust hinhalten.
Leider wird »Stillen« überdies als Synonym für »Stillen nach Bedarf« verwendet, eine Ernährungsweise, die in den letzten Jahren sehr in Mode gekommen ist. Wenn ich von »Bedarf« rede, erübrigt es sich nach all dem bisher Gesagten, darauf hinzuweisen, dass hier natürlich nicht der Bedarf der Mutter gemeint ist. Auf so etwas würde gar keiner mehr kommen. Von Müttern wird ganz selbstverständlich erwartet, sich bedingungslos auf die Bedürfnisse des Kindes einzustellen. Stillen nach Bedarf meint, das Kind anzulegen, wann immer es möchte. Acht bis zwölf Mal in 24 Stunden gilt da als völlig normal, so heißt es in Stillgruppen, in Ratgebern, im Internet. Auch 12 bis 24 Mal sei akzeptabel, vermelden Still-Blogs. Und La Leche Liga e. V. verkündet energisch, es sei ein Ammenmärchen, dass ein Mindestabstand zwischen den Stillmahlzeiten von zwei Stunden eingehalten werden sollte.
Schön. Einige Babys brauchen ewig, bevor sie mit dem Trinken fertig werden. Man sitzt da und wartet. Es ist sehr zeitaufwendig und manch eine Mutter könnte gleich wach bleiben, um den nächsten Bedarf zu stillen. Aber egal. Das Kind ist wichtiger als der Schlaf der Mutter und natürlich hat eine gute, aufopferungsvolle Mutter das tiefe Bedürfnis, ihr Kind jahrelang rund um die Uhr zu stillen. Was denn sonst?
Einmal abgesehen von einigen Schwierigkeiten in der Alltagsgestaltung von Frauen, die neben dem Kind auch andere Aufgaben haben, wie sieht es denn mit der Bewältigung von Schlafmangel aus? Wer hier Antworten bei La Leche e. V., in Ratgebern, Broschüren oder im Internet sucht, wird meistens nicht fündig, denn dafür gibt es ja auch keine Lösung. Dafür finden wir viele gute Ratschläge, wie wir mit anderen Schwierigkeiten beim Stillen fertigwerden können, um durchzuhalten.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich stille gerne. Stillen ist schön - wenn man einmal die blutenden Bisswunden am Anfang überstanden hat, deren Schmerzen einem jedes Mal beim Anlegen des Kindes die Fußnägel aufrollen. Kleine Babys haben ungeheuer starke Kiefer und sind gierig. Da kann man zwar »Na, na, na!« brüllen, es bringt aber rein gar nichts, und so schließt man die Augen und denkt ans Vaterland. Aber nach zwei Wochen ist der Spuk meist vorbei, die Brust hat sich gewöhnt oder das Baby ist erzogen, was weiß denn ich. Ich habe in meinem Leben nur eine Mutter getroffen, die an der Brust von Anfang an völlig unempfindlich war, und ich war zwischen Unglauben, Ehrfurcht und Mitleid hin- und hergerissen. Die meisten Mütter behelfen sich mit Quarkwickel, Stillhütchen, Globuli oder sonstigem Hilfswerkzeug.
Aber Stillen ist nicht schön, wenn man sich dazu gezwungen fühlt. Nicht wenige Mütter stehen tapfer stillend schmerzhafte blutige Brustentzündungen durch und kämpfen sich eisern durch die gesamte Stillzeit, weil sie glauben, keine guten Mütter zu sein, wenn sie es nicht tun. Unseren Müttern wurde oft noch nach wenigen Stillversuchen gesagt, sie seien zum Stillen nicht geeignet, und damit war das Thema erledigt, der Stillversuch nach wenigen Tagen abgebrochen. Es wurde kein großes Gewese gemacht, sondern die ganze Sache pragmatisch gesehen, von Schuld noch keine Spur. Davon mag man halten, was man will, aber heute scheint es in das andere Extrem verfallen zu sein. Es gibt Stillberaterinnen, Stillratgeber und Still-Krankenhäuser, die helfen und überzeugen sollen, unter allen Umständen die erste schwierige Zeit zu überstehen. Es wird auch unter Müttern nicht gern gesehen, wenn Frauen beim Stillen nicht mitziehen. Die eine oder andere Mutter fühlt sich da argwöhnisch beobachtet, wenn sie dem Stillen lieber entsagt. Ja, manche munkeln sogar von einer regelrechten Still-Mafia, die Abweichlerinnen mit Vorwürfen und lebenslangem Kontakt-Entzug drohen.
Allerdings muss man sich fragen, was langfristig schlimmer ist - soziale Ächtung oder eklatanter Schlafmangel?

Wache Nächte

Wenn ich von Schlafmangel rede, meine ich nicht die schwebende Müdigkeit, die mich früher nach einer durchtanzten Nacht umgab. Ich meine auch nicht die wohlige Müdigkeit nach einem munteren Ausdauertraining oder einem kleinen Schäferstündchen. Ich spreche von einer Müdigkeit, die jenseits von bleiern ist. Von einem Druck in deinem Kopf, der deine Kiefer wie Granit zusammenpresst und dir das Gefühl gibt, langsam über Asphalt zu schrammen. Hätte mir jemand vor zehn Jahren gesagt, ich würde später mal für meine Kinder jahrelang jede Nacht zwei bis acht Mal aufstehen, ich hätte ihn nur mitleidig belächelt, denn ich gehöre zu den Menschen, die sehr gerne und ausgiebig schlafen, und so ein Irrsinn stand komplett außerhalb meines Vorstellungsvermögens. Ich hätte sogar vermutet, dass dieses ungesunde Verhalten langsam, aber sicher zum Tode führt.
Eines Tages lese ich mit grimmiger Genugtuung in der Zeitung, dass Schlafentzug schon seit Urzeiten zu den gängigen Foltermethoden gehört. Manche zivilisierte freie Welt hat diese Methode übernommen: Um Menschen geständig zu machen, wird ihnen der Schlaf geraubt und gleichzeitig werden sie permanent mit Kinderliedern beschallt, vorzugsweise, wie ich lese, aus der Sesamstraße. Ich habe sofort weitere Interpreten der Kindermusikszene auf der Zunge, die Inhaftierte mürbe werden lassen könnten, aber ich verkneife mir wohlweislich alle lauten Kommentare. Ich will nicht geschmacklos und undankbar erscheinen und mein Mutterleben mit dem harten Dasein von Häftlingen vergleichen oder aber krasse Verhörmethoden verniedlichen. Trotzdem bin ich seit diesem Tag etwas beruhigt. Erklärt das nicht so manchen meiner hysterischen Anfälle? Ich bin nicht verrückt - ich werde quasi gefoltert! Millionen Frauen weltweit rennen Nacht für Nacht mit einem Kind umher, und kaum eine von ihnen fragt sich mal, ob sie nicht einfach mal selbst nach Bedarf schlafen sollte.
Zugegeben: Schlafen geht natürlich am besten, wenn das Kind schläft. Es ist lustig, was Mütter und Väter alles unternehmen, um den Nachwuchs zur Ruhe zu bringen. Schreien lassen darf man das Kind nicht, weil das Trauma droht. DAS TRAUMA! Keiner weiß Genaues über dieses furchtbare Phänomen, aber alle wissen, dass das Trauma unsere Kinder tief verstört und schneller da ist, als man bis drei zählen kann. Lässt man ein Kind schreien - das Trauma kommt! Nimmt man ihm zu früh den Schnuller weg: traumatisch! Setzt man es zu früh aufs Töpfchen: lebenslanger Trauma-Schaden!
Wir können uns nur immer wieder fassungslos fragen, wie die Menschheit sich jemals entwickeln konnte bei all den furchtbaren Traumata, die in der Kinderstube lauern - und ich bin sicher, der eine oder andere ist überzeugt, dass wir uns wegen ihnen nur sehr schlecht entwickelt haben.
Also, schreien lassen geht nicht, da sind wir uns Hobby-Pädagoginnen im neuen Jahrtausend einig. Höchstens vielleicht ein paar Minuten unter Anleitung von ausgeklügelten Ratgebern, die einem immer wieder versichern, dass jedes Kind schlafen lernen kann, dass es normal ist, wenn das Baby in diesen Minuten schreit und uns und der Menschheit auch in Zukunft vertrauen wird. Und jeder, der das mal gemacht hat, weiß, dass uns Eltern in den paar Minuten trotzdem das Herz bricht, weil wir glauben, das Kind zu traumatisieren und unwiderruflichen Verlustängsten auszusetzen, und das Kind erst dann so richtig in Fahrt kommt. Trotz aller Erfolgsmeldungen, die hier und da durch die Presse geistern: Der Preis der wenigen Minuten ist vielen eindeutig zu hoch.
Ich habe mich unter müden Eltern umgehört: Einige fahren ihr Baby im Pkw durch die nächtlichen Straßen, weil der Kleine Brumm-brumm-Geräusche beim Einschlafen liebt. Andere legen ihren Sprössling auf die Waschmaschine im Schleudergang, weil ein sanftes Vibrieren ihn einschlafen lässt (Vorsicht - die Maschine braucht einen guten Stand!). Die dritten singen tapfer ellenlange Schlaflieder, bei denen sie selbst kaum die Augen offen halten können, die ihre Babys aber offenbar gut unterhalten. Eltern halten Händchen, hören mit ihren Kindern spezielle Babymusik oder tragen Babys in Gewaltmärschen durch die Wohnung. Ich für meinen Teil versuche es mit ausgeklügelten Fußmassagen, was aber eigentlich unsinnig ist, denn meine Tochter sieht mich nachts gern alle zwei Stunden an meiner Brust, auch gern mit Massage.

Die lieben Mitmenschen … wissen alles besser

Ich nehme den Begriff »Stillen nach Bedarf« bitterernst. Um es neutral zu sagen: All dies greift die Nerven zusätzlich an.
Wundert es da noch, dass ich überaus sensibel auf launige Bemerkungen meiner Mitmenschen reagiere? Sprüche wie »Solltest du sie nicht einfach schreien lassen?« oder »Findest du nicht, dass du etwas wenig schläfst?« bohren nicht nur in den Existenzängsten einer todmüden Frau, sondern legen den Finger in die offene Wunde: meine Ohnmacht. Ich kann meiner Mutterschuld nicht entkommen.
Wenn ich dann noch Kommentare meiner Mitmenschen zu hören kriege, die versuchen, mir weitere, neue Schuldgefühle einzureden, von denen ich bisher noch gar keine Ahnung hatte, kann es schon mal sein, dass ich am Rande eines Nervenzusammbruches daherschrabbe. Wenn ich mir als Mutter den richtigen emotionalen Kick geben will, brauche nur mit meinem Baby in die Öffentlichkeit zu gehen. Wenn ich Glück habe, treffe ich auf schlaue Leute.
 
»Ach, ist die Kleine niedlich«, sagt die hochgewachsene Rentnerin und schaut erfreut in den Kinderwagen.
»Danke«, sage ich zufrieden.
Sie schaut mich streng an.
»Sie müssen es immer auf die Seite legen. Das wissen Sie ja wohl. Sonst kriegt es einen platten Kopf.«
»Äh ja, mache ich«, stammele ich verwirrt über die unerwartete Wendung des Gesprächs.
»Und Sie müssen dem Kind von Anfang an Grenzen setzen. Von Anfang an!« Sie blitzt mich aufgeregt an. »In unserem Haus, da ist ein Kind, das können Sie sich nicht vorstellen. Frech ist das, frech!«
Ein Tropfen ihrer Spucke landet auf meiner Lippe.
»Das hat Ausfälle, sage ich Ihnen. Ausfälle! Das schreit rum und ist laut. Unfassbar! Erschütternd!« Sie blickt finster auf mich runter. »Man müsste dem Bengel mal eins gründlich hinter die Löffel geben. Und die Mutter macht nichts! Nichts! Unfähig, sage ich Ihnen, vollkommen unfähig!«
»Wie alt ist denn das Kind?«, frage ich mit Kloß im Hals. In Gedanken sehe ich mich schon als neuesten Gesprächsstoff im Viertel kursieren.
Sie starrt mich an.
»Drei oder so.«
»Oh«, sage ich und lächele gequält. »Das soll ja auch kein leichtes Alter sein.«
»Sind Sie auch so eine von diesen Antiautoritären?«, fährt sie mich an. »Das hätte es früher nicht gegeben. Sind Sie etwa auch so eine?«
Ich ziehe meinen Kopf ein, drehe meinen Kinderwagen und mache mich davon.
»Ich geh hier immer spazieren!«, schreit sie mir hinterher und schüttelt fröhlich ihren Stock in der Luft.
 
Ohne Kind war ich wie ein Blatt im Herbstwind, konnte unbeachtet durch die Straßen gleiten. Mit Kind bin ich so etwas wie Freiwild. Ich muss auf einmal so etwas Putziges, Hilfloses oder Armseliges an mir haben, anders kann ich mir nicht erklären, warum mich völlig Fremde abfangen und Ratschläge geben. Und nicht nur die Rentner des Viertels lauern geradezu darauf, mich in ein beratendes Pläuschchen zu verwickeln. Auch »das Mittelalter« hält sich nicht zurück. Schon in der Schwangerschaft haben mir Fremde neckisch auf den Bauch gefasst. Jetzt halten sie mir ab und an kleine Vorträge. Und ich bin da keine Ausnahme. Ich habe mich erkundigt. Jede Mutter hat ihre eigenen Anekdoten. Die Palette reicht von netten Komplimenten über das Baby bis hin zu hässlichen Bemerkungen über Aussehen von Mutter und Kind. Man mag es kaum glauben, aber manche Mitmenschen fühlen sich offenbar aufgerufen, nicht nur ein Baby ungeniert nach Erscheinungsbild und Fähigkeiten zu bewerten - und die Mängelliste reicht von spärlicher Kopfbehaarung über mehr oder weniger opulente Körperformen bis hin zu auffälliger Säuglingsakne oder Neurodermitis -, sondern sind sehr interessiert daran, auch den Müttern mal eben so im Vorbeigehen eine Standpauke zu halten. Jeder meint, sein Scherflein zu einer gelungenen Kinderaufzucht beitragen zu können. Zwar haben längst nicht mehr alle eigene Kinder, aber alle haben eine eigene Mutter. Da kann man doch mitreden. Gibt es heutzutage eine Frau mit Kindern, die wegen solch charmanter Wortbeiträge nicht schon einmal Tränen in den Augen hatte?
Besonders verblüffend ist für mich immer noch die Gruppendynamik im Supermarkt. Ich wusste nicht, dass Deutsche öffentlich so leidenschaftlich agieren können, wenn sie sich durch eine Mutter ihrer Ruhe beraubt fühlen. Ich wusste nicht, dass Risiko und Gefahr im Einzelhandel lauern.
 
Wir stehen an der Kasse in der Schlange. Es ist kurz vor Feierabend. Die Luft ist stickig. Draußen ist es schon dunkel. Es riecht nach muffigen Mänteln und kaltem Zigarettenrauch. Mein Kind liegt vor mir im Kinderwagen und schläft. Und dann schläft es nicht mehr. Es wacht auf und schreit und sieht nicht ein, dass das gerade ungünstig ist. Mit anderen Worten: Ich bin mit einem schreienden Kind in der Warteschlange im Supermarkt fest verkeilt. Sofort steigt Panik in mir auf. Jetzt geht es gleich los. Jetzt entfaltet sich das teutonische Temperament.
Der Mittvierziger hinter mir wirft theatralisch die Augen zum Himmel und seufzt herzzerreißend laut. Die Frau vor mir schüttelt stumm und erschüttert den Kopf. Menschen an anderen Kassen und um uns herum fangen an, nervös mit den Füßen zu scharren und eindeutiges Fluchtverhalten zu zeigen. Und von hinten brüllen sie aufmunternde Kommentare:
»Meine Ohren!!!«
»Ruhe!«
Oder:
»Wo ist die Mutter?«
Die Kassiererin kaut genervt auf ihrem Kaugummi.
Ich würde vielleicht etwas erwidern, würde vielleicht an gesunde Höflichkeitsformen erinnern oder auch mal »Ruhe!« brüllen, wenn ich nicht so müde wäre, so erschöpft, unsicher und verzagt und überhaupt das Gefühl hätte, es sei alles meine Schuld. Ich weiß ja, dass ich das Kind nicht im Griff habe. Ich lächele schwach. Entschuldigt, dass wir auf der Welt sind. Mit einem großen Kloß im Hals eile ich mit dem schreienden Kind davon. Und merkwürdigerweise ist da auch niemand, der ein gutes Wort für uns einlegt.
Denn warum auch?

Störfaktor Kind

Die Abneigung gegen Kinderlärm findet interessanterweise ihre Entsprechung in der deutschen Gesetzgebung. In der Verfassung sind Rechte von Kindern nicht verankert. Obwohl immer mehr Gerichte kinderfreundlich entscheiden, können Familien prinzipiell immer noch aus der Wohnung geklagt werden oder Kindergärten können geschlossen werden, wenn sich Nachbarn von der Lautstärke belästigt fühlen. In einer Welt, in der immer weniger Menschen Kinder bekommen, sind viele Erwachsene das Leben mit Kindern nicht mehr gewöhnt. In der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts waren nur 10 Prozent aller Frauen kinderlos. Heute sind es mehr als 30 Prozent. In Hamburg zum Beispiel wohnen nur noch in jedem zehnten Haushalt Kinder.
Das macht das Leben für Eltern nicht einfacher. Tagsüber gehe ich mit meiner Tochter nicht nur wegen der frischen Luft viel spazieren, sondern auch, damit andere sich nicht vom Babygeschrei gestört fühlen. Nachts hetze ich zu meinem brabbelnden Baby und versuche es ruhig zu wiegen, bevor es überhaupt anfangen könnte zu schreien. Meinem Mann diese Aufgabe zu erteilen, ist zwecklos. Er kann nicht nur nicht stillen, er wird auch erst dann wach, wenn ich schon hellwach neben ihm liege und energisch mit den Fingern auf der Matratze trommle. Nein, das kann ich mir gleich sparen.
So gebe ich mir keine Ruhe, damit die Ruhe der anderen nicht gestört wird. Und je mehr Horrorgeschichten ich aus dem Bekanntenkreis über aggressive Nachbarn höre - wie die von den Menschen, die einen Eimer Wasser vom Balkon auf ein brüllendes Baby auf dem Balkon unter ihnen schütteten -, desto gehetzter fühle ich mich.
Freies Lachen, Singen, unbekümmertes Schreien, Brüllen und Jauchzen - ach, wäre das schön! Bilde ich mir das nur ein oder stören sich wirklich mehr Menschen an Kinderlärm als am Geräusch mehrspuriger Straßen? Vielleicht denken sie, dass Automobile nicht schlecht erzogen sind.
Wahrscheinlich ist es da nur logisch, dass Automobile in unserer Gesellschaft mehr Raum als Kinder haben. Jeder einzelne Parkplatz für ein Auto ist größer als der Platz, der einem Kind in der Wohnung von Stadtplanern durchschnittlich als Lebensraum zugestanden wird. In der Stadt können Kinder nicht an frischer Luft frei spielen, weil Pkws freie Fahrt haben. Die kleinen eingezäunten Areale, in die Kinder deshalb zurückgedrängt werden, heißen »Spielplätze«, weil es tatsächlich die einzigen Plätze zum Spielen sind. Kaum einem fällt auf, wie verdreht eine Welt ist, in der Vehikel Kinder verdrängen dürfen. Ja, es ist eigenartig, dass sich nur Mütter voll auf die Bedürfnisse von Kindern einstellen müssen, alle anderen offenbar nicht.
Und nun komme ich mit meinem Kind. Ich wittere wunschgemäß jede Gefahr, wie von der Natur vorgesehen, und meine Alarmbereitschaft läuft auf Hochtouren. Aber leider hat die Natur nicht an Reizüberflutung und Diesel-Feinstaub gedacht. Früher vielleicht als anregend empfundene Straßengeräusche, Gerüche und Farben wirken auf einmal brüllend laut, penetrant und grell und die Sorge um das Baby lässt ständig mein Herz rasen. Nicht selten falle ich hektisch in Galopp, um mein Baby aus dem ohrenbetäubenden Krach und den stinkenden Abgasen herauszubringen. Wie um Himmels willen soll ich mein Kind vor Umweltgiften schützen ? Wie soll ich das einhalten, was in den Ratgebern so unermüdlich und dringend gefordert wird?
Meine Empfindsamkeit nimmt mit den Wochen zwar ab, dafür nimmt mein Kind zu. Die körperliche Anstrengung wird größer. Ich kann alle Frauen mit starkem Kreuz nur beglückwünschen. Schön für euch! Ich selbst kann mein Baby nicht im Tragetuch tragen. Mein Rücken schmerzt unter dem Gewicht nach wenigen Minuten. Mit dem Kinderwagen allerdings komme ich vor jeder Bordsteinkante, U-Bahn-Treppe oder Ladenstufe ins Schwitzen, denn ich muss den Wagen möglichst ruckelfrei hieven und dann geschickt durch enge Zugänge manövrieren. Meterhohe Eingänge bei Bus und Bahn sind eindeutig etwas für Fortgeschrittene. Mit hochrotem Kopf lerne ich schnell, meinen Radius einzuschränken. Es ist mir zunehmend unerklärlich, warum das Fahren eines Kinderwagens nicht wie Windeln und Baden im Geburtsvorbereitungskurs erlernt wird oder zumindest psychologisch schonend auf dieses Alter Ego einer Gefängniskugel vorbereitet wird. Denn Mutter, Kind und Wagen verschmelzen quasi zu einer klobigen Einheit.
Adieu, ihr engen Discountläden, Boutiquen und Weihnachtsmärkte! Lebt wohl, ihr netten Cafés, Gaststätten und Kinos! Wir Mütter halten uns jetzt im Freien auf - auf Spielplätzen, in Parks und Biergärten, im Winter in Einkaufszentren und Restaurants schwedischer Möbelgeschäfte. Macht euch nicht vor, dass euch das Tragetuch vor dem gesellschaftlichen Abseits rettet - Kinder, weil laut lebend, sind selten erwünscht.
Hilfe! Wie soll ich mein Kind vor dieser Welt retten? Wo bitte ist die Idylle, die ich dem Kind bieten soll? Es hilft nichts. Ich brauche einen Experten.
Und wieder mal geht es zur Kinderärztin.

Bei der Kinderärztin: Von der U1 bis zur U11

»Ja, das ist doch prima!« Die Kinderärztin schaut lächelnd auf die Untersuchungsergebnisse.
»Sie können zufrieden sein. Ihr Kind entwickelt sich gut.«
Dankbar schaue ich sie an. So eine nette Frau. So sympathisch. Mir fällt ein riesiger Stein vom Herzen. Ich bin bei einer Kinderuntersuchung, einer sogenannten »U«.
Glücklicherweise hat jedes Kind in Deutschland ein Anrecht auf regelmäßige Untersuchungen bei Kinderärzten, die in unregelmäßigen Abständen kontrollieren, ob das Kind sich gut entwickelt und gesund ist. Die erste Untersuchung - kurz U1 genannt - findet direkt nach der Geburt statt, die U2 nach drei bis zehn Tagen, die U3 in der vierten bis sechsten Lebenswoche, die U4 im vierten Lebensmonat, dann U5 bis zur U9 in den folgenden Jahren bis zum 64. Lebensmonat des Kindes, sodass kein kleiner Mensch in den ersten fünf Jahren längere Zeit unbeobachtet bleibt. Neuerdings ist man dazu übergangen, zwei zusätzliche Untersuchungen für Sieben- oder Achtjährige und Neun- bis Zehnjährige einzuführen. U10 und U11 sollen psychische Probleme, Verhaltensstörungen und auch schädlichen Medienkonsum der Kinder aufdecken.
Praktischerweise sind diese Untersuchungen der Kinder mit der Ermittlung von schlechten Eltern gekoppelt. Ärztliche Untersuchungen sind oft die einzigen Möglichkeiten, Gewalt und Vernachlässigung in Familien zu entdecken. Deshalb wird ein Fernbleiben der kleinen Patienten äußerst kritisch gesehen. Die Untersuchungen sind theoretisch freiwillig, aber das System des Kinderuntersuchungshefts funktioniert wie eine Rasterfahndung: Man sucht nach den Merkmalen, von denen man annimmt, dass sie auf den gesuchten Personenkreis zutreffen. Und im Falle von gewalttätigen Eltern oder solchen, die ihre Kinder vernachlässigen, nimmt man an, dass diese zunächst einmal ein gemeinsames Merkmal haben, nämlich das, zu den Untersuchungen überhaupt nicht zu erscheinen.
Nordrhein-Westfalen startet den Modellversuch für das neue Meldesystem des Bundes: Kommen Kinder nicht zu den Untersuchungen, müssen die Kinderärzte das melden und die Daten werden mit den Daten der Einwohnermeldeämter verglichen. Wenn trotz schriftlicher Ermahnungen die Eltern mit dem jeweiligen Kind nicht innerhalb weniger Wochen bei den Regeluntersuchungen erscheinen, wird das Jugendamt eingeschaltet.
 
Das heißt für uns frischgebackene Eltern:
 
1. Wenn wir nicht an den Pranger gestellt werden möchten, vergessen wir das mal ganz schnell mit der Freiwilligkeit, planen unsere Urlaube sorgfältig außerhalb der Meldezeit und nehmen pflichtschuldigst alle anberaumten Termine wahr. Was den meisten Eltern kein Kopfzerbrechen machen dürfte, weil wir sowieso inzwischen alle überzeugt sind, dass nur regelmäßige Kontrollen durch Experten das Beste für unsere Kinder sind, und weil überdies hinaus kaum jemand von uns weiß, dass die Untersuchungen freiwillig sind. Das verschweigen Ärzte gern.
 
2. Wir können uns darauf verlassen, kontrolliert zu werden. Schädliches Versagen unsererseits bleibt nicht unbeobachtet. Wir können gar nicht großen Blödsinn machen. Man passt auf uns auf. Ja, wären unsere Kinder Salatköpfe, könnte man das »kontrollierten Anbau« nennen.
 
Die Untersuchungen sind zeitlich so angelegt, dass verschiedene Entwicklungsstufen der Kinder berücksichtigt werden und schwere Fehlentwicklungen und Erkrankungen meist rechtzeitig entdeckt werden dürften. Dabei ist das Kinderuntersuchungsheft in der Mutterschaft das, was der Mutterpass in der Schwangerschaft ist. Dieses gelbe Heft vom Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen - oder in letzter Zeit auch schlicht »Gemeinsamer Bundesausschuss« genannt - soll Eltern und Kind in den ersten gemeinsamen Jahren begleiten. In ihm werden die Ergebnisse und Messungen der Untersuchungen eingetragen.
Kinderuntersuchungen sind prima. Es ist für alles gesorgt. Im Prinzip könnten sich Eltern nun relativ entspannt zurücklehnen. Tun sie aber nicht. Im Gegenteil, viele Eltern fangen an zu schwitzen. Denn einerseits sind für einige Eltern die Texte im Heft der erste beunruhigende Kontakt mit der berüchtigten Fünf-Jahres-Theorie. Gleich auf der ersten Seite des Kinderuntersuchungshefts werden Mütter und Väter auf den Ernst der Lage eingeschworen:
»Wichtig für die Eltern (Erziehungsberechtigte)
Zweck dieser Untersuchungen ist die Früherkennung von Krankheiten, die die normale körperliche oder geistige Entwicklung Ihres Kindes in nicht geringfügigem Maße gefährden. Früherkennung ist Voraussetzung für eine erfolgreiche Behandlung.
Bedenken Sie, dass die Entwicklung in den ersten fünf Lebensjahren entscheidend für die spätere körperliche und seelische Gesundheit Ihres Kindes ist.«
 
Es ist das alte Lied von Krankheit, Risiko und Gefahr, die nur Experten sicher erkennen können. Es reicht nicht, den Arzt um Hilfe zu bitten, wenn das Kind nach Meinung der Eltern krank ist. Wenn die mütterliche Intuition oder der väterliche Instinkt sich melden, könnte es schon zu spät sein.
Und als wäre das nicht schon beunruhigend genug: Für alle Eltern ist das Kinderuntersuchungsheft eine Art Ergebnisheft, in das der Entwicklungsstand des Kindes schwarz auf weiß über lange Zeiträume festgehalten wird. Die Angst, vielleicht doch nicht ständig das Beste gegeben zu haben, etwas versäumt oder bei seinem Kind übersehen zu haben und dies dann auch noch peinlichst genau protokolliert zu finden, erfasst ironischerweise gerade oft die, die es besonders gut machen wollen. Es ist ein bisschen wie in der Schule. Die, die fleißig lernen, haben meist den größten Respekt vor Zensuren und Autoritäten, wobei, um bei dem Bild zu bleiben, der Zustand des Kindes das Zeugnis der Eltern begründet. Und bei aller Sorge um das Kind und dem Wunsch, jeder Makel solle entdeckt werden, damit man ihn beheben kann - es ist einfach nicht schön, Angst vor Zensuren zu haben. Da kann man schon mal Schwitzehändchen kriegen.

Was ist eine Hyperbilirubinämie?

Alles beginnt mit dem Apgar-Test gleich nach der Geburt, benannt nach einer Ärztin. Er ist der erste Test für das Kind außerhalb der Gebärmutter. Er sagt zwar nichts aus über den späteren Gesundheitszustand des Kindes, ist aber so schön praktisch. Schnell und einfach können hier Punkte von eins bis zehn für den Zustand des Kindes vergeben werden. Ein selbst ernanntes Babycenter im Internet erklärt die Bedeutung der Punkte für Eltern so schön, dass ich es hier gerne wiedergebe:
 
»Eine perfekte Zehn ist Musik in den Ohren stolzer Eltern, aber auch eine Acht oder Neun sind gute Neuigkeiten. (…) Mit einem Wert zwischen Fünf und Sieben befindet sich das Neugeborene in angemessenem Zustand und bekommt vielleicht eine Atmungshilfe. (…) Neugeborene mit einem Wert unter Fünf sind wahrscheinlich in schlechter Verfassung und benötigen Hilfe. (…).«
 
Jede weitere Untersuchung bis zur U11 hat zwar keinen Punktestand, aber gehörigen Raum im Heftchen und hat auch ein Feld für »Sonstige Bemerkungen«, wo man Bemerkungen wie »sonniges Gemüt«, »etwas faul«, »Windelsoor« oder »zeitgerecht entwickelt« finden kann, kurz das, was dem Arzt bei der Untersuchung zusammenfassend besonders auffällt. Es halten sich nicht alle an medizinische Fakten. Ich bin sehr froh, dass es solche Heftchen nicht für Erwachsene gibt. Ich habe weder Lust noch Neugier, meine Punktezahl oder etwaige hervorstechende Eigenarten in dieser Form ausgestellt zu sehen. Für Kinder gilt das natürlich nicht. Wir wollen ja alle nur das Beste für die lieben Kleinen. Da fragt man nicht lange und die Frage der Würde und Diskretion ist da nur ein unpassender Aspekt. Vor allem beim Arzt.
Damit auch alle Eltern unabhängig vom Punktestand ihres eigenen Kindes wissen, wie ein normales Kind aussieht, sind dem Kinderuntersuchungsheft praktische Tabellen beigefügt, in denen ich auf Anhieb sehen kann, ob ich mir Sorgen machen muss, weil mein Kind zu stark vom Durchschnitt abweicht. Diese sogenannten Somatogramme sagen mir, ob mein Kind im Vergleich mit anderen Kindern groß, klein, leicht oder schwer ist und wann man von Übergewicht oder Untergewicht ausgehen sollte. Wir merken gleich: Reines Augenmaß wäre viel zu grob gehandhabt. Wer weiß, ob wir Eltern überhaupt merken würden, wenn unser Kind bedenklich moppeliger, hagerer, riesiger oder winziger ist als die anderen und ob es nicht dann schon zu spät wäre, für was auch immer? Ja, sogar an einen frontooccipitalen Kopfumfang wird gedacht. Je nach Mädchen oder Junge kann ich hier ganz leicht in Diagrammen erkennen, ob der frontooccipitale Kopfumfang normal ist. Was frontooccipital ist? Keine Ahnung, irgendetwas mit Kopfumfang halt. Wer wird denn hier pingelig sein und über die Sprache mäkeln? Dann könnte ich das ganze Heft ja gleich in den Eimer schmeißen. Und dann wäre es um diesen schönen »Kennziffernkatalog« und die »Risikonummern zu U1« schade. »Asphyxie«, »Phenylketonurie«, »Hypothyreose«, »Isthmozervikale Insuffizienz« - was für wunderbare Wortgebilde. Im Geiste sehe ich schon meine Mediziner-Freunde wissend lächeln. Dagegen können »Kleinwuchs«, »Schielkrankheit« oder »Harnwegsinfektion« auf Seite 3 kaum mithalten und wirken so schnöde profan. Im Internet in den diversen Foren wird dann auch lustig gefahndet nach den Bedeutungen im Kinderuntersuchungsheft.
 
»Hallo an alle. Was bedeutet P97 hinten an der Perzentilkurve?«
Oder:
»Hilfe! Kann mir jemand sagen, was 03 Schwere Hyperbilirubinämie ist? Ich möchte meine Ärztin nicht anrufen.«
 
Und tatsächlich findet sich doch immer wieder jemand, der hier weiterhelfen kann. Ich nehme an, es sind Medizinerinnen in der Babypause. Kleine Frage: Ist das Kinderuntersuchungsheft vielleicht extra für die behandelnden Ärzte geschrieben? Warum sind dann Somatogramme angefügt? Haben die Damen und Herren ihre Hausaufgaben nicht gemacht ? Interessanterweise fehlt in neueren Ausgaben des Kinderuntersuchungsheftes der blumige Kennziffernkatalog, aber ich durfte noch wie viele andere Eltern als junge Mutter in den vollen Genuss kommen.
Dummerweise bin ich seit der Schwangerschaft sehr argwöhnisch, wenn Ärzte mein Kind bewerten wollen. Solche Heftchen mit seitenlangen Listen von Krankheiten, Auffälligkeiten und Normkurven wie das gelbe hier machen mich irgendwie nervös. Man stelle sich vor, man würde seinen Mann mit derartigem Begleitmaterial nach Hause geliefert bekommen. Ich würde ihn jahrelang argwöhnisch beobachten und klammheimlich vermuten, dass jeden Augenblick die Bombe platzt und er gefährliche Krankheiten entwickelt. Und genau das mache ich jetzt bei meinem Kind.
Es ist ja nicht so, dass so ein Dokument mir die ganze Mutterschaft versauen könnte. Das wäre ja albern. Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer. Aber ein Steinchen kommt zum anderen und es scheint sich so langsam ein Mosaik zu bilden. Das Mosaik eines Kindes, das stets von Experten untersucht werden muss, um drohendes Unheil, Unglück, Krankheit und lebenslanges Leid abzuwehren. Ist es denn vermessen, sich als Mutter ein wenig mehr Gelassenheit und Sorglosigkeit zu wünschen?
Einer spontanen, privaten, nicht wissenschaftlichen, aber meiner Meinung nach sehr repräsentativen Umfrage zufolge leben die Mütter und Väter am besten, die das Kinderuntersuchungsheft gar nicht erst lesen, sondern es stoisch von einer »U« zur nächsten schleppen und es ansonsten unbeachtet in die Schublade feuern. Aber ich weiß, was von mir erwartet wird, und nehme pflichtbewusst von Anfang an die regelmäßigen Gesundheitschecks bei der Kinderärztin wahr - die ersten Stationen auf dem langen Weg der Förderung. Es ist anfangs nicht so leicht zu begreifen, dass hier keine diskriminierende Fleischbeschau meiner Tochter mit anschließender Mängelliste stattfindet, sondern die ersten Schritte zur Erschließung des gesamten kindlichen Potenzials. Die Ärztin dreht und wendet mein Baby geschickt wie ein nacktes Hühnchen zwischen ihren Händen. Und während mir der Schweiß ausbricht, stellt sie fachkundig fest, wo wir handeln müssen.

Alles ist machbar

Seit in den 50er- und 60er-Jahren des letzten Jahrhunderts Medizin, Psychologie und Pädagogik große Fortschritte verzeichnet haben, glauben wir fest daran, das Leben unserer Kinder maßgeblich gestalten zu können. Schicksal ist machbar, vom ersten Zeichen der Schwangerschaft an. Gottvertrauen wird durch Wissenschaftsglauben abgelöst. Nahezu alles scheint möglich. Die Soziologin Elisabeth Beck-Gernsheim beschrieb Ende des letzten Jahrhunderts in ihrem Buch Die Kinderfrage ausführlich, dass ein Kind aus diesen Gründen »immer weniger hingenommen werden (darf), so wie es ist, mit seinen körperlichen und geistigen Eigenheiten, vielleicht auch Mängeln«.
Und zu den Mängeln von damals sind inzwischen noch mehr hinzugekommen, die früher noch als kleine Macken hingenommen wurden. Körperliche Behinderungen sind vermeidbar oder zunehmend behandelbar, Wahrnehmungsstörungen und Schönheitsfehler sind ausgleichbar. Schielen, Stottern, Bettnässen, Nuscheln, Schlafstörungen, Zahnfehlstellungen, abstehende Ohren, Konzentrations- und Leistungsschwäche, Spätentwicklung, Schüchternheit und Wutanfälle sind heute keine Sachverhalte mehr, unter denen Kinder leiden müssen und mit denen man sich abfinden will. Zwar sind die Mängel manches Mal so gering, dass sie nur ein Arzt entdeckt. Therapien gibt es dann trotzdem. Nicht-Förderung und Nicht-Verbesserung sind keine Kavaliersdelikte mehr, sondern gelten als unterlassene Hilfeleistung und werden im sozialen Umfeld engagierter Eltern äußerst kritisch gesehen. Schließlich wird hier einem Kind das Leben unnötig erschwert, in einer Gesellschaft, in der alle anderen auf der Überholspur zu sein scheinen. Schön ist der Mensch, hilfreich und gut - wenn er tadellos, gesund und leistungsfähig ist.
Es kostet uns Mütter fast genauso viel Zeit, mit unseren Kindern zu Ärzten, Ergotherapeuten, Logopäden, Krankengymnasten, Osteopathen oder Lerntherapeuten zu gehen wie von Anfang an die eingehende Recherche zu betreiben nach weiteren Verbesserungswegen. Denn es gibt die Qual der Wahl. Es gibt keinen vorgeschriebenen Pfad. Nur vorgegebene Ziele. Jeder ist seines Glückes Schmied, oder eben auch nicht.
Das glückliche Leben eines glücklichen Kindes, ohne Macken und Kanten, ohne Versagensängste und Schwermut, dafür aber erfolgreich, fröhlich und vital, perfekt in die Gesellschaft eingegliedert. Am besten noch ungemein beliebt und überall gern gesehen. Respektiert und akzeptiert und ohne Angst vor den anderen. Der Gedanke ist so verführerisch. Scheitern, Trauer, Angst und Sorgen - wer möchte das noch als natürlich hinnehmen? Wer will sich damit abfinden, dass Macken menschlich sind und Menschen durch Misserfolge und Kummer lernen? Der Erfolg ist so nah.
In meinem Regal häufen sich die Ratgeber, die ein besseres Leben für mein Kind versprechen. »Es ist alles machbar«, flüstern sie. »Du musst dich nur anstrengen.«

Her mit den Ratgebern!

Ich bin süchtig nach diesen Büchern, nach den Zeitschriften und Internetforen für Eltern, nach den Broschüren aus dem rosa Pappkoffer. Diese Ratgeber geben alle vor, das Gelbe vom Ei zu präsentieren, doch wissen sie nicht zwangsläufig mehr als die eigene Mutter, denn Bücher darüber, wie eine Mutter ihr Kind am besten zu pflegen und zu erziehen hat, gibt es schon seit mehreren Hundert Jahren und bisher hat offensichtlich keines die Weisheit mit Löffeln gefressen. Aber sie versprechen die goldene Zukunft, die Idylle, den Erfolg, die Karriere meines Kindes, das lebenslange Glück. Sie geben mir das Gefühl, dass ich es schaffen kann, ich muss es nur ganz fest wollen.
Und machen wir uns nichts vor: Ratgeber sind ungemein praktisch. All das, was ich bisher in meinem Leben über Babys nie gelernt habe, kann ich hier anschaulich gegliedert nachlesen. Von der perfekt eingerichteten Wickelkommode über Anleitungen zum Füttern und Schlafen bis zum Kurzlehrgang über Kinderkrankheiten und Unfallursachen. Leider bedeutet mehr Wissen nicht unbedingt mehr Seelenruhe. Ich lese entsetzt über Gefahrenpunkte und Risiken, an die ich noch gar nicht gedacht hatte. Gut, dass ich mich informiere! Schlecht, dass mir keiner sagen kann, was ich schon ganz gut mache. Ich starre ständig nur auf das, was ich nicht kann. Mein Fokus ist sehr deutsch, sehr nüchtern, sehr schwer. Das Glas ist immer halb leer, nie halb voll.
Dafür habe ich niemals unter ungebetenen Ratschlägen zu leiden. Ich kann Rat jederzeit einholen oder risikofrei ablehnen, ganz wie es mir beliebt. Ich bleibe völlig anonym und bewege mich auf absolut sicherem Terrain, denn ob ich mich an die Ratschläge halte oder nicht, merkt meist sowieso keiner. Ich kann kostengünstig die verschiedensten Experten zurate ziehen und flatterhaft von einem zum nächsten wechseln, ohne entdeckt zu werden.
Schon in der Schwangerschaft konnte ich ja gar nicht genug bekommen von diesen Texten, in denen ich im wahrsten Sinne des Wortes immer der Nabel der Welt war. Jede Regung von mir wurde wichtig genommen - selbst Blähungen, Sodbrennen und eine schwache Blase. Wo konnte ich schon jemals so viel über mich selbst lesen wie in einem Schwangerschaftsratgeber, das meistens auch noch stimmte? Es war oft ein warmes, wohliges Bad der Aufmerksamkeit und zarten Einfühlung.
Was mir in meiner Hilflosigkeit und Not um das Überleben des Kindes erst entgeht - das Bad ist nach der Geburt des Sprösslings merklich kühler geworden. Als hormonanfällige Wöchnerin erhalte ich zwar noch eine gewisse Schonfrist in puncto Allgemeinzustand, Launen und Schwächeanfälle, doch schon bald ist von meinem Befinden keine Rede mehr. Auf einmal steht nicht mehr mein Wohl im Mittelpunkt der hehren Betrachtungen, sondern das, worum es eigentlich von Anfang an ging - das Wohl meines Kindes. Da dies offensichtlich stark von meinem Verhalten abhängt, werde ich penibel instruiert, das Ganze harmonisch dekoriert und garniert mit wunderschönen Fotos, die selig lächelnde Babys und immer glückliche Mütter in gebügelten Kleidern zeigen, ganz wie in der Werbung. Nicht selten bekomme ich ein schales Gefühl im Mund, wenn ich den Blick vom Hochglanzfoto auf mein brüllendes Baby fallen lasse. Ich sehe im Spiegel mein blasses, müdes Gesicht, mein zerknautschtes Sweatshirt und die Sabberflecken auf der Brust und habe das dumpfe Gefühl, irgendetwas nicht richtig zu machen. Und wenn ich dann Ratgebertexte lese, die sich offenbar an eine völlig begriffsstutzige Person richten, kann ich nur schamerfüllt den Kopf senken. So lese ich Anfang des dritten Jahrtausends liebevoll mahnend unzählige Sätze wie diese an die unbedarfte Mutter, zum Beispiel in einem »Leitfaden für Eltern« der Bundesgesundheitszentrale:
 
»Jetzt ist das Baby ein eigenständiges Wesen, aber es braucht weiterhin Ihre körperliche Nähe, Ihre Wärme und liebevolle Zuwendung. (…) Wenn Sie wieder zu Hause sind, müssen Sie sich zunächst ganz auf die Bedürfnisse Ihres Babys einstellen. Es muss rund um die Uhr betreut werden.
 
Gut, dass mir das gesagt wird. Ich werde auch für den Fall, dass ich ihn vergessen sollte, an den Kindsvater erinnert. Er hat in der Schwangerschaft kaum eine Rolle spielen können. Jetzt wird er konsequent in die Kinderbetreuung einbezogen:
 
»Sie sollten auch überlegen, ob nicht andere Mitglieder der Familie - z. B. die Großeltern -, wenn sie zur Verfügung stehen, einbezogen werden könnten. Vor allen Dingen sollte der junge Vater mithelfen.«
 
Nicht dass ich auf die Idee komme, er solle sein Kind betreuen und ich würde ihm dabei helfen …
Später wird der Ratgeber richtig zutraulich:
 
»Mal ganz ehrlich: Keine Frau kommt als perfekte Mutter auf die Welt, und kein Mann hat zwei linke Hände, nur wenn es um das Baby geht. Beide, Mutter und Vater, müssen erst lernen, mit dem Kind richtig umzugehen, und gemeinsam schaffen sie es am leichtesten. Das hat sich allerdings noch nicht überall herumgesprochen. Auch bei manchen Müttern noch nicht …«
 
Wenn ich nicht so müde wäre, würde es mich vielleicht empören, dass hier von mir nichts weiter erwartet wird, als perfekt zu werden, während es mein Mann allenfalls zum guten Handlanger bringen soll. Vielleicht wäre ich auch wütend, einen leichten Tadel herauszuhören, wie ich mit meinem Mann umgehe, er aber weitgehend ungeschoren davonkommt. Doch ich merke zu diesem Zeitpunkt nicht einmal, wie die Daumenschrauben angezogen werden. Ich stecke bis zum Hals in Ängsten und ich bin müde, sehr müde. Mein Blick ist vernebelt. Und letztendlich stoße ich ja hier auf nichts anderes als auf ein uraltes vertrautes Prinzip der traditionellen Familie, das mir jetzt nicht ungewöhnlich auffällt: Eines ist - und das soll ich mir offenbar gut merken - mindestens ebenso empfindsam wie der unschuldige Nachwuchs - und das ist: der Mann. Siehst du, du bist jetzt Die Mutter!

Die perfekte Mutter

Stoßen mir solche Feinheiten in Ratgebern nicht sauer auf, wenn ich ausgeruht bin, ist mit Fug und Recht zu vermuten, dass ich das Idealbild der perfekten Mutter und Ehefrau im traditionellen Sinne, unbewusst oder bewusst, schon prima übernommen habe. Wogegen ja im Prinzip erst einmal nichts zu sagen wäre. Ein Ideal an sich ist etwas Positives. Ich kann nach ihm streben. Ich kann versuchen, über mich hinauszuwachsen. Ich kann einen besseren Menschen aus mir machen. Aber vorher sollte ich mir gründlich überlegen, ob ein erklärtes Ideal mir erstens in seiner Tragweite überhaupt bewusst ist, und zweitens, ob es tatsächlich auch ideal für mich ist und nicht für meine Großmutter oder sonstige Vertreterinnen untergehender Kulturen. Und dann wäre es vielleicht noch ratsam, sich ganz schnell darüber klar zu werden, dass Ideale Wunschgedanken sind. Träume. Holder Schein. Kurz: etwas, das ich nie erreichen kann.
Es ist geradezu absurd - dieser Gedanke scheint für Mutterideale irgendwie verloren gegangen zu sein. Die »gute Mutter« ist ein Synonym für die »perfekte Mutter« geworden. Gut ist nicht gut genug. Perfekt muss es sein. Und es gibt bis ins kleinste Detail in Deutschland präzise Vorstellungen darüber, was perfekt genannt werden darf. Man versuche erst gar nicht, der verstörenden Logik auf den Grund zu gehen, dass nach den gängigen deutschen festen Vorstellungen, wie Mütter zu sein haben und wie sie handeln müssen, jede andere Kultur außer der unseren unweigerlich dem Untergang geweiht sein müsste, denn Mütter anderer Kulturen machen es eben anders als wir, und zwar ebenso überzeugt wie wir. Ich kann nur eindringlich davor warnen, darüber mit Fanatikern zu diskutieren. Möglicherweise werden sofort grausige Statistiken aus der Tasche gezogen, die eindeutig beweisen sollen, wie kriminell die Franzosen, wie arbeitslos die Engländer und wie unglücklich die Finnen sind. Eine Argumentationslogik, die jede Diskussion an die Wand fährt.
Aber wie sieht es denn nun heute aus, das deutsche Ideal der guten perfekten Mutter? Werte ich Ratgeber und Empfehlungen von Institutionen, Familie, Freunden und Fremden aus, verfolge ich aufmerksam Beiträge über Mütter in Funk, Fernsehen und den Printmedien, sehe ich Werbung und lese ich Anzeigen, komme ich zu folgender grober Zusammenfassung:
Eine gute Mutter in Deutschland liebt ihr Kind bedingungslos, achtet aufmerksam auf all seine Bedürfnisse und verbringt viel Zeit mit ihm. Sie lässt es nie unbeobachtet.
Sie bleibt nach der Geburt für etwa drei Jahre zu Hause.
Sie freut sich stets, wenn sie sich um ihren Nachwuchs kümmern darf, ist verständnisvoll, sanft und geduldig.
Sie lobt ihr Kind, damit es Selbstvertrauen entwickelt und später glücklich wird.
Sie glaubt an ihr Kind. Sie klammert nicht. Sie kennt immer das richtige Maß.
Sie ist konsequent. Sie kann ihrem Kind eindeutige Grenzen setzen, ohne seine Kreativität zu ersticken.
Sie bietet einen verlässlichen Tagesrhythmus mit Ritualen, der optimal an die Bedürfnisse des Kindes angepasst ist.
Eine gute Mutter kann sich jederzeit beherrschen. Selbstverständlich darf sie auch mal wütend werden, aber sie lässt ihre Wut nicht an den Kindern aus, sondern boxt, wenn es denn sein muss, zur Aggressionsabfuhr stumm ein Kissen hinter der Badezimmertür.
Sie ist sich darüber im Klaren, dass das Verhalten des Kindes nur das Verhalten der Eltern widerspiegelt.
Sie weiß intuitiv, was am besten für ihr Kind ist und wie sie es behandeln muss, damit es ein »liebes« Kind ist.
Sie kennt alle kindlichen Entwicklungsstufen.
Sie lässt ihr Kind an frischer Luft gedeihen.
Sie legt höchsten Wert auf Sicherheit und schaltet präventiv sämtliche Gefahrenquellen aus.
Sie besucht möglichst zeitig sorgfältig ausgewählte Mutter-Kind-Gruppen, um sich weiterzubilden und ihr Kind umfassend zu fördern und ihm den sozialen Umgang mit anderen Kindern zu ermöglichen.
Sie kauft pädagogisch wertvolles, schadstofffreies Spielzeug und hölzerne Kindermöbel.
Sie beherrscht Homöopathie und Naturheilmethoden für Kinder, schätzt aber durchaus die Fortschritte der modernen Medizin und lässt das Kind in den geforderten Abständen medizinisch untersuchen.
Sie hört auf Experten.
Sie stillt mindestens ein halbes Jahr voll, kocht vollwertig, ausgewogen und gesund und vermeidet allergieauslösende Substanzen.
Sie raucht nicht.
Im Sommer fährt sie mit dem Kleinkind in das gemäßigte Klima der Nord- oder Ostsee.
Den Vater bezieht sie in ihre Bemühungen so weit ein, dass er sich nicht überflüssig vorkommt und seine wichtige Rolle als Vater zum Tragen kommt.
Sie engagiert sich im Kindergarten und in der Schule.
Sie ist selbstlos und bringt gerne Opfer.
Das Glück ihres Kindes ist ihr wichtiger als ihr eigenes, denn sie will immer nur das Beste für ihr Kind.
Wenn ihr Kind glücklich ist, ist sie es auch.
 
Nun bin ich natürlich etwas geschmeichelt, dass mir ein solch edles Verhalten zugetraut wird, ich muss mich nur ein wenig anstrengen. Zwar ist es merkwürdig, dass mir gleichzeitig eingebläut wird, ich bedürfe lückenloser Kontrolle und stetiger Anleitung, aber ich will nicht kleinlich sein und nach Logik suchen. Frauen - so lerne ich - haben das Potenzial, geradezu himmlische Charaktere zu werden, vor Weisheit, Wissen, Kraft, Opferbereitschaft und Güte nur so strotzend. Sie müssen nur ein Kind kriegen und von einer Minute auf die andere sind sie durch die Mutterliebe geläutert.
Erst viel später fällt mir auf, dass ich keine Mutter kenne, die den oben genannten Merkmalen entspricht, auch wenn einige vielleicht so tun. Aber vielleicht halte ich mich in den falschen Kreisen auf? Ich will gar nicht bestreiten, dass es dieses göttliche Wesen irgendwo gibt. Rudimente von Güte, Kraft und Weisheit kann ich durchaus auch in mir entdecken, nur nicht rund um die Uhr, 24 Stunden am Tag. Fachwissen in Pädagogik, Psychologie, Ernährungswissenschaften, Schadstoffkunde und Medizin versuche ich mir anzueignen - es gibt ja genügend Lektüre -, und auch die Urlaubsplanung versuche ich zu bewerkstelligen. Aber bei der stets richtigen Lösung, der immerwährenden Freude und Geduld und dem allzeit richtigen Maß muss ich passen. Auch habe ich das dumpfe Gefühl, mir eigentlich mehr für mein Leben zu erhoffen als aufopfernde Selbstaufgabe. Und was der ganzen Sache eine zusätzliche Brisanz gibt: Ich bin ein extrovertierter Typ, nicht der gewünschte introvertierte, besonnene Muttertyp mit der stummen Aggressionsabfuhr. Ich bin mehr der Sophia-Loren-Muttertyp, die Filmmutter der 60er-Jahre, nur ohne ihr Gesicht und ihre Figur. Leider sind Mütter völlig out, die keineswegs stumm ihr Kissen boxen, sondern spontan laut lachen und schreien, wenn ihnen danach zumute ist.
Was mache ich nun? Ich bin keine Halbgöttin, sondern eine Frau mit Ecken und Kanten. Schmeiße ich die Ratgeber an die Wand, haue auf den Putz und wettere gegen weltfremde Forderungen, die jegliche Authentizität über den Haufen werfen? Erkenne ich, wie rigide hier das Bild einer Mutter entworfen wird, an dem ich mich messen lassen soll? Frage ich mich, wie eine echte Liebesbeziehung zu meinem Kind entstehen soll, wenn ich mich nicht so geben darf, wie ich bin? Erkenne ich, dass hier ein Leben mit Kind zur Farce mutiert, zur weltfremden Idee, zur Karikatur, zum sinnentleerten Rollenverhalten? Nein, mitnichten. Ich kriege Schuldgefühle - wie Millionen andere Frauen, weil sie den Erwartungen an eine gute Mutter nicht zu entsprechen scheinen. Wie Statistiken zeigen, fühlen sich die meisten Mütter mit ihren Kindern hoffnungslos überfordert und suchen die Gründe für ihr Unbehagen mit der Situation bei sich selbst. Sie sind voller Selbstzweifel und massiv verunsichert im Umgang mit ihren Kindern, gerade die, die es besonders gut machen wollen. Und das wollen wir entgegen aller anders lautenden Gerüchte doch fast alle.
Das Dumme an schönen Mutteridealen sind nicht die Wunschvorstellungen an sich. Das Dumme ist, dass Mütter am Anfang der Mutterschaft zu wenig Erfahrung haben, um diese Ansprüche, die Tag für Tag unaufhörlich aus Ratgebern, Gruppen, Organisationen, Foren, Zeitungen, Zeitschriften, Büchern und Gesprächen auf sie einprasseln, realistisch einschätzen zu können. Es ist wie die ersten Wochen in einem großen Unternehmen: Man versteht die wahren Hierarchien und Machtspielchen noch nicht. Man ist noch nach allen Seiten bemüht, einen guten Eindruck zu machen und alle Aufgaben gewissenhaft zu erfüllen. Nur mit dem Unterschied, dass es für Mütter keine Vorgesetzten gibt - auch wenn uns das gerne vorgegaukelt wird. Weil uns unsere natürliche Führungsrolle gegenüber unserem Kind von Anfang an kaum zugestanden wird, ja, im Gegenteil wir auf Expertenmeinungen, Gehorsam und Ideale eingeschworen werden, kommen viele von uns gar nicht auf den Gedanken, tatsächlich Herrin im Haus zu sein. Wir erkennen nicht, welche Ratgeber uns haarsträubend einseitige, ja absurde Mutterbilder präsentieren. Die meisten von uns bekommen stattdessen Schuldgefühle, Minderwertigkeitskomplexe und das latente Bedürfnis, beim besten Experten des Landes das Lager aufzuschlagen, damit er uns sagt, wie wir denn als Mutter zu sein haben, damit unser Kind wird, wie es denn zu sein hat.
Aber wenn wir nicht unterstützt, gelobt und bestätigt werden - wie bitte sollen wir Anfängerinnen ein gesundes Selbstbewusstsein aufbauen und dem Wahnsinn trotzen?