Jagd à la Russe
Ehe die Revolution die oberen Klassen liquidierte und alle Privilegien abschaffte, war die Jagd eine der populärsten russischen Sportarten. Doch als nach der Revolution die Erlaubnis, Feuerwaffen zu tragen, auf die Polizei, die Armee und eine Handvoll der früher Unterprivilegierten beschränkt wurde, gab es nur mehr sehr wenige aktive Jäger. In der Botschaft aber hatten wir den Bogen bald heraus und fanden reichlich Mittel und Wege, aufs Land zu kommen und dort zu schießen, was uns nur vor die Flinte kam. Freilich heißt das nicht, daß ich persönlich jemals viel Schaden angerichtet hätte! Meine Mitjäger behaupteten im Gegenteil, ich sei der beste Freund, den unser gefiedertes Wild je gehabt hätte.
Einige meiner Begleiter waren erfolgreicher, und hin und wieder brachte sogar meine Flinte einen Fasan oder ein Rebhuhn zur Strecke. Ob ich aber nun traf oder nicht — es gab wenig erfreulichere Weisen, nach einem Tag ermüdenden »Mit-den-Russen-fertig-werden-Müssens« den Abend zu verbringen, als knapp vor Sonnenuntergang am Rande eines Waldes zu sitzen und darauf zu warten, daß eine Schnepfe pfeifend durch die rotgoldenen Wipfel zu mir herüberstrich.
Daneben verfolgten diese Expeditionen auch noch einen anderen Zweck. In Moskau selbst waren wir so völlig von der Bevölkerung abgeschnitten, daß sich uns kaum einmal die Chance bot, herauszufinden, »was die russische Masse dachte«. Die Bauern auf dem Lande dagegen waren weniger reserviert oder bewacht und redeten unaufhörlich über all ihre Nöte und Kümmernisse. Ich will diesen Weg nicht gerade als den allerwissenschaftlichsten zur Erfassung der öffentlichen Meinung bezeichnen; doch war er zumindest der beste, der uns offenstand.
Manchmal lockte uns die Jagd auf Wild und öffentliche Meinung sogar bis in den Kaukasus. Chip Bohlen und ich entdeckten bei einer dieser Gelegenheiten, bei einem Ausflug nach Baku, einmal im gleichen Zug General Budjennyi, den Vater der Roten Kavallerie. Auf dem Bahnsteig grüßte er uns ziemlich knapp; doch sowie wir unterwegs und außer Sichtweite der Moskauer Geheimpolizei waren, wurde er freundlicher.
Züge sind in Rußland nicht besonders schnell, und am Abend des zweiten Tages waren wir immer noch nördlich von Rostow. Chip und ich saßen nach dem Essen lesend in unserem Abteil, als sich die Tür öffnete und Budjennyis gewaltiger Schnauzer im Spalt erschien.
»Haben Sie vielleicht zufällig von dem >Amerikanskoje wino< bei sich, den Sie mir in der Botschaft serviert haben?«
»Amerikanischen Wein? Ich kann mich nicht erinnern, daß wir jemals Wein angeboten haben. Wie sah er denn aus?«
»Es war braunes Zeug«, erklärte Budjennyi eifrig, »und verdammt stark. Wist... Wiskij? Wiskij — jawohl, so hieß er! Wiskij nennen Sie ihn.« — »Whisky! Natürlich! Davon haben wir eimerweise bei uns. Möchten Sie einen trinken?«
»Nicht jetzt. Wir sind bald in Rostow, wo ich auf dem Bahnhof vor einigen Genossen eine Ansprache halten muß. Aber sofort hinterher komme ich wieder.«
Es scheint eine ziemlich lange Rede gewesen zu sein, denn der Zug stand fast eine Stunde in Rostow, und es wurde zehn Uhr, ehe Budjennyis Schnauzbart erneut in der Tür auftauchte.
»So, jetzt bin ich frei. Bis morgen früh. Erst bei Naltschik soll ich Stalin zu einer Saujagd treffen.«
Er setzte sich zwischen uns, schenkte sich selbst einen Becher scharfen schottischen Whiskys ein, kippte ihn auf einen Schlag in die Kehle und brummte zufrieden. Darauf fegte er jedem von uns einen Arm um die Schulter, schmetterte, seiner Meinung nach seien alle Amerikaner wunderbare Leute, und gab uns jedem einen knallenden, feuchten Kuß auf die Backe. Seine gesträubten Schnurrbarthaare kitzelten uns heftig im Ohr, als er uns liebevoll an sich drückte.
Und dann rückten wir uns bequemer zurecht und begannen das Trinken etwas ernster zu nehmen. Dumm war nur, daß es im ganzen Zug kein Trinkwasser — oder sonstiges Wasser — gab. Auf Budjennyis Vorschlag erstanden wir auf der nächsten Station eine Wassermelone, bohrten sie an, gossen einen Liter Whisky hinein und tranken das, was nun herauskam. Zweifellos war es kein veredelter Whisky, doch zumindest ein leicht verdünnter.
Dreizehn Minuten später waren von unseren ursprünglich fünf Litern noch genau zwei übriggeblieben. Nichtsdestoweniger ging es Budjennyi blendend, als der Schaffner ihn erinnerte, daß wir in zehn Minuten die Station Naltschik-Verbindungsbahn erreichten. Er kippte einen letzten Becher »Amerikanskoje wino« und erhob sich.
»Stalin könnte an der Bahn sein, um mich abzuholen, und ich möchte nicht, daß er mich betrunken und mit ein paar jungen Amerikanern lärmend erwischt«, bemerkte er und zog sich in sein Abteil zurück.
Als der Zug hielt, kam er wieder zum Vorschein: rasiert, gekämmt und aussehend, als sei er soeben nach einer gesund durchschlafenen Nacht aufgewacht. Chip und ich konnten nur mühsam ans Fenster stolpern und ihm auf Wiedersehen sagen. Dann krochen wir in unsere Kojen und schliefen, bis wir am anderen Nachmittag in Baku geweckt wurden. Sobald mir Budjennyi in Moskau wieder begegnete, erkundigte ich mich neugierig, wie er damals den ersten Ferientag überstanden hätte.
»Fünf Wildschweine geschossen«, war die lakonische Antwort, »aber große!«
Die Jagd in Baku entsprach nicht ihrem Ruf, doch erwies sich die lokale Gastfreundschaft dafür als weit überdurchschnittlich. Wir machten einen Abstecher nach Daghestan, wo der Nordkaukasus ins Kaspische Meer vorschießt. Leider wußten die Fasanen, daß wir kamen, und verschwanden. Dann versuchten wir, in den Sümpfen um Baku Enten zu schießen. Nun gab es zwar Enten, aber bei weitem nicht genug, um uns für längere Zeit festzuhalten. So arrangierten wir zum Schluß eine Fahrt in die Wüste am Kura, um dort Gazellen zu jagen. Unser Gastgeber, Genosse Babajew, war örtlicher Vorsteher des Intourist und von Moskau angewiesen, uns in allem behilflich zu sein. Es war 1934, also noch während der Flitterwochen-Periode der sowjetisch-amerikanischen Beziehungen, und nichts war für uns zu gut oder zu teuer. Babajew war ein Mann der großen Pläne und zugleich ein leidenschaftlicher Jäger. Alles, was er tat, hatte Größe. Mit Kleinigkeiten gab er sich nicht ab. Kurz nach unserem Besuch erfuhren wir zum Beispiel, daß er das nagelneue Intourist-Hotel in Baku an die Vereinigten Ölarbeiter als Klubhaus verkauft und den Erlös eingesteckt hatte. Soviel ich hörte, war es sein letzter wirklich großer Handel; denn in den sibirischen Salzbergwerken fehlt das dazu notwendige Geld.
Abgesehen von dieser dummen Angewohnheit des Unterschlagens war Babajew ein prächtiges Parteimitglied. Nur gestattete er keinesfalls, daß seine marxistischen Ideologien seiner Bequemlichkeit im Wege standen. Das Intourist-Hotel wurde, um den Ansprüchen seines Chefs zu genügen, in großzügiger Weise geführt. Die Menüs waren auf seinen Geschmack abgestimmt. Die Mahlzeiten fanden zu seinem Appetit entsprechenden Stunden statt, und die Zimmer waren so angeordnet, daß er selber das eleganteste Appartement bewohnen konnte. Auch eine persönliche Leibwache besaß er: Karkadajew, einen muskulösen, braungebrannten Georgier mit wenig Verstand und viel Treue. Karkadajew trug Babajews Gewehr, servierte ihm seine Mahlzeiten, mixte seine Drinks und zog ihm nach der Jagd die Stiefel aus.
Deshalb waren wir gar nicht erstaunt, als unserem offenen Ford beim Aufbruch zur Gazellenjagd auf Babajews Veranlassung ein Lastwagen folgte, der Nahrungsmittel, Zeltzubehör und Bier hinter uns dreinschleppte. In unserem Auto befanden sich außer dem Fahrer vier Personen: Babajew, Karkadajew, Chip und ich. Die Straße lief nach Süden, immer am Strand des Kaspischen Meeres entlang. Landeinwärts erstreckte sich die trockene Sandwüste. Schon nach einer Stunde waren wir von der Sonne und dem blendenden Licht heiß und durstig geworden. Am Straßenrand stand ein kleiner Junge und winkte uns mit einer Schnur aufgereihter roter Dinge zu.
»Raki!« schrie Babajew. »Halt! Karkadajew, geh und kauf uns jedem eine Schnur — aber sieh zu, daß es nur Weibchen sind, die sind zarter.«
Die Raki erwiesen sich als eine Art Kreuzung zwischen Langusten und Krebsen. Sie waren im Salzwasser des Kaspischen Meeres gekocht und, obwohl von ausgezeichnetem Geschmack, nicht gerade besonders gut gegen Durst. Doch dafür sorgte Babajew. Er bedeutete dem Lastwagen durch Armwedeln, neben uns zu fahren. »Einen Krug Bier, flott!« gellte er. Ein schäumender Krug wurde uns herübergereicht, und weiter ging die Fahrt.
Aber ein Krug Bier für vier durstige Männer hält nicht ausgesprochen lange vor. Babajew winkte erneut den Lastwagen herbei. Die Fahrer verlangsamten ihre Fahrt etwas, als wir den Krug zum Nachfüllen hinübergaben, und nahmen dann das alte Tempo wieder auf. Ehe wir die Jagdgefilde erreichten, hatten wir noch etliche Male für neue Raki gestoppt und noch ein gut Teil öfter gebremst, um unseren Bierkrug füllen zu lassen.
Während der Fahrt erklärte uns der neben dem Chauffeur sitzende Babajew, daß wir die Gazellen vom Auto aus schießen würden. »Heranpirschen kann man sich nicht«, führte er aus, »und um sie sonstwie zu erwischen, rennen sie viel zu schnell.«
Aus dem Auto zu schießen deckte sich nicht ganz mit unseren Ansichten von Sport; aber dann überlegten wir, daß man eben alles einmal versuchen müsse.
»Die ganze Sache hat nur einen kleinen Haken: Wenn man sich nicht sehr sorgfältig an die Regeln hält, kann man sich unter Umständen gegenseitig anschießen«, fuhr Babajew in seinen Erklärungen fort. »Wichtig ist, daß immer nur einer schießt. Sobald wir in Schußnähe sind, stehe ich auf, schieße einmal und setze mich wieder. Dann steht der hinter mir Sitzende auf, schießt und setzt sich, dann der hinten in der Mitte Sitzende und schließlich der Mann hinter dem Fahrer. Also merken Sie sich diese drei Dinge gut: nicht mehr als einen Schuß abgeben, die Reihenfolge einhalten und nicht nach vorn heraus schießen, da Sie dabei leicht den Motor treffen können.«
Wir waren etwa zehn Minuten lang durch die Wüste gekreuzt, als wir weit vor uns ein auf und nieder hüpfendes helles Pünktchen ausmachten. Babajew zeigte es dem Fahrer, und eine Sekunde später flogen wir im Hundertkilometertempo über den Sand. Plötzlich gähnte haarscharf vor uns eine tiefe Rinne. Der Fahrer, ein Experte dieses Sports, riß den Wagen schräg zur Seite und rutschte die Senke hinunter. Unten drückte er den Gashebel durch, und unser braver Wagen kletterte tatsächlich in der Diagonale wieder zur Wüstenfläche hinauf. Wenige Minuten danach hatten wir die unselige Gazelle eingeholt. Sie lief Zickzack und Spiralen und pumpte das Letzte aus sich heraus: Aber wir fuhren schließlich doch längsseits, und Babajew tötete sie mit einem einzigen Schuß. Blitzschnell war Karkadajew draußen und durchschnitt die Kehle mit einem häßlichen langen Messer.
»Moslemitisches Gesetz«, erklärte Babajew entschuldigend. »Dürfen kein Fleisch essen, das nicht durch die Kehle ausgeblutet ist.« Chip und ich lächelten uns an. Hatten wir nicht davon gehört, daß Religion Opium für das Volk sei? Ganz offensichtlich hatte der Leninismus in Baku immer noch ein paar Süchtige zu bekehren.
Kurz darauf waren wir wieder unterwegs. Für die nächste halbe Stunde sahen wir nichts als die glimmernden Hitzewellen der Wüste und die blendende Sonne am wolkenlosen gelben Himmel. Doch dann begann plötzlich eine ganze Menge heller Flecken vor uns auf und nieder zu hüpfen. Wieder drückte der Fahrer das Gaspedal durch, und abermals flogen wir über den aufstäubenden Sand, nur war es diesmal nicht eine einzelne Gazelle, der wir folgten, sondern eine große Herde von vielleicht dreißig oder vierzig Stück.
Und das war der Grund alles folgenden Übels — dieses — und das von Babajew gestiftete Bier.
Sowie wir neben der Herde waren, stand Babajew auf und schoß. Ich war, nach der von ihm beschriebenen Regel, der nächste. Ergo stand ich auf, visierte mein Ziel an und wollte gerade feuern, als mir auffiel, daß das Ding vor der Mündung weniger nach einer Herde Gazellen als nach Babajews Hinterkopf aussah.
»He! Hinsetzen!« brüllte ich ungehalten, doch waren augenscheinlich der Gazellen zu viele für seine Regeln, und so schoß er wieder. Ich richtete den Lauf über seinen Kopf weg und feuerte. Im gleichen Moment spürte ich Karkadajews Flinte auf meiner Schulter. Auch er schoß. Mittlerweile fühlte sich Chip ernstlich benachteiligt. Ich hörte ihn schreien: »Runter — verdammt, ich schieße!«, und konnte knapp meinen Kopf einziehen, ehe eine Ladung über mich wegzischte.
Für die nächsten zehn Minuten war der Ford in ein Taschenformat-Schlachtschiff verwandelt, das nach allen Richtungen hin krachende Breitseiten entlud. Einmal wirbelten wir noch haarscharf vor dem vergebens außer Schußweite fliehenden Lastwagen herum. Ich hörte die Kugeln gegen das Chassis spritzen, doch wurde offenbar niemand verletzt. Schließlich ging uns die Munition aus, und wir hörten auf. Rund um uns auf dem Wüstensand lag ein halbes Dutzend toter Gazellen, und ein bißchen weiter fort warteten vier oder fünf verwundete auf den Gnadenschuß. Unsere eigenen Schäden waren nicht nennenswert. Der Kühlerverschluß war futsch und einer der Lastwagenreifen durchlöchert. Ansonsten waren wir ziemlich heil geblieben.
»Da sehen Sie selber, wie so was vor sich geht«, sagte Babajew bombastisch und sehr selbstzufrieden, »wenn man sich nur an die Regeln hält und die Reihenfolge nicht vergißt, kann nichts passieren!«
Während meiner Moskauer Jahre wechselte sich eine ganze Anzahl Botschafter dort ab, aber nur einer von ihnen, Laurence Steinhardt, war Jäger. So gern wir ihn auch auf unsere Jagdausflüge mitnahmen — es komplizierte die Sache leider sehr, daß wir dann immer drei oder vier GPU-Männer mitschleifen mußten.
Jedem Botschafter in Moskau — ausgenommen vielleicht dem von Tannu Tuwa oder der Äußeren Mongolei — folgte auf Schritt und Tritt ein Rattenschwanz in adrette, doppelreihige blaue Sergeanzüge gekleideter GPU-Männer. Obschon sie gelegentlich von einer Botschaft in die andere herüberwechselten, handelte es sich im großen ganzen doch stets um die gleichen Individuen, die ich nach sieben Jahren allesamt ziemlich genau kannte. Komisch war bloß, daß sie offiziell überhaupt nicht existierten. Als einmal in einem amerikanischen Magazin eine Geschichte veröffentlicht wurde, in der unser Botschafter bemerkte, die ihn beschattenden GPUs fielen ihm kaum zur Last, protestierte das Kommissariat für Auswärtige Angelegenheiten heftigst. »Es gibt gar keine GPU-Leute, die Ihrem Botschafter folgen«, teilte man uns mit.
»Ach — und wer sind dann die Burschen, die seit zehn Jahren dauernd um unsere Chefs herumwimmeln?« fragten wir. »Die Sowjetregierung hat nicht die leiseste Idee. Wir wissen nur eines bestimmt: daß es keine GPU-Agenten sind«, erwiderte das Kommissariat halsstarrig. »Vielleicht sind es nur neugierige Sowjetbürger«, fügten sie schulterzuckend hinzu. Von da an nannten wir die GPUs in der Botschaft einfach »diese neugierigen Bürger«.
Doch ob sie nun offiziell existierten oder nicht, machten wir Mit dem Botschafter einen Jagdausflug, so nahmen sie uns auf alle Fälle Platz weg, mußten zu essen haben und brauchten Betten zum Schlafen.
Einmal übertraf das Kommissariat für Auswärtige Angelegenheiten sich selbst und willigte ein, für Botschafter Steinhardt eine Elchjagd zu arrangieren.
Auf die Anfrage, wie viele von uns teilnähmen, erwiderten wir: »Nur zwei — aber vergessen Sie nicht, für Ihre neugierigen Bürger mitzusorgen.«
»Wir werden alle notwendigen Vorbereitungen für sämtliche Leute, die Sie mitnehmen möchten, treffen«, war die gereizte Antwort. »Bitte, sagen Sie nur, wie viele es sein werden!«
»Wir sind zu zweit, und dann die vier GPU-Leute.«
»Sie wollen also sagen: zwei Personen!« korrigierte man mich.
»Nein«, sagte ich, »es werden sechs sein.«
In der Jagdhütte waren sechs Betten. Vier davon existierten wahrscheinlich überhaupt nicht, aber unsere neugierigen Bürger kamen ganz gut damit zurecht.
Einige der Burschen fanden die Begleitung zur Jagd gräßlich und schimpften und murrten so ausdauernd, daß ich ihnen schließlich vor jeder Fahrt einen Tip gab. Dann konnten sie ihre Schichten entsprechend untereinander verteilen und die Nichtjäger aussondern. Es ging ganz leicht. Während der Botschafter in seinem Büro beschäftigt war, spazierte ich einfach auf die Straße und steckte meinen Kopf in den kleinen Ford, der ein paar Meter von der Botschaft entfernt parkte. »Jagdtag morgen«, verkündete ich, »bringt Flinten mit, aber laßt Sascha zu Hause. Der jammert zuviel.«
Sie grinsten und bedankten sich; das war alles.
Doch als wir zur Elchjagd fuhren, ging bei ihren Arrangements irgend etwas schief, und Sascha kam doch mit.
Die Anfahrt bis zum Elchreservat war weit, und es wurde später Abend, ehe wir die Jagdhütte fanden und uns in den zwei winzigen Räumen heimisch niederlassen konnten. Nach ein paar Bissen Abendbrot und einigen Glas Wodka entdeckten wir, daß die GPUs zu schwache Munition mitgebracht hatten. Die Kugeln taugten höchstens für Piepmätze, nicht aber für acht Zentner schwere Elchbullen.
Nach dem Essen holte ich deshalb ein paar Extrakugeln und begann die Büchsen neu zu laden. Mit den sowjetischen Geheimpolizisten um einen Tisch zu sitzen und ihnen die Gewehre zu laden erweckt reichlich ungewöhnliche Gefühle. Ich glaube, sie waren sich sogar selber dessen bewußt. Sascha fing wie üblich an zu schimpfen, und zwar diesmal über die Lausekälte und die schlechtgeheizte Hütte. Da es immer leicht irritiert, wenn einer der Gäste — zumal einer der ungeladenen — sich über mangelnde Gastfreundschaft beklagt, fuhr ich ihn an:
»Sascha, zum Teufel — mußt du denn ewig nörgeln? In Moskau gibt’s massenhaft Leute, die Gott weiß was darum gäben, wenn sie eine Elchjagd mitmachen dürften.«
Sascha brummte höhnisch: »Huch! In Moskau muß ich von morgens bis abends zweibeinige Biester jagen, und kaum machen wir ‘n kleinen Ausflug aufs Land, was muß ich tun? Vierbeinige Biester jagen!«
Sascha bekam nicht viel zu tun. Am ersten Tag sahen wir kein Stück Wild, doch sowohl der Botschafter als auch Sascha kamen mit elend erfrorenen Füßen zurück.
Am zweiten Tag fanden die Treiber eine Elchherde und trieben sie auf die Jagdgesellschaft zu, die sich nur mehr aus mir und drei GPUs zusammensetzte.
Elche stehen augenscheinlich nicht sehr weit oben auf der Intelligenzliste für Tiere. Abgesehen davon sehen sie nicht gut, können nicht riechen und — wenigstens nach meinen Erfahrungen — nicht einmal hören. Jedenfalls tauchte aus den Büschen gegenüber dem Schneeloch, in dem ich stand, plötzlich ein riesiger Elchbulle auf und trottete schnurstracks auf mich zu. Es war bereits spät in der Saison, und einige Elche hatten schon die Schaufeln geschoben — auch der Bulle, der sich mir näherte. Zuerst wollte ich ihn als korrekter Sportsmann und Jäger laufenlassen, doch dann fiel mir ein, daß der Kreml, falls wir überhaupt keinen Elch schossen, zur Strafe vermutlich sämtliche Elche liquidieren würde, die ihre Geweihe abwarfen, ehe sie die Erlaubnis dazu erhalten hatten.
Während ich mir das Problem noch durch den Kopf gehen ließ, zockelte der taubstumme Bulle näher. Er war sehr groß und wuchtig und plump, und ich vergegenwärtigte mir jäh, wie es wirken würde, wenn ich mit leeren Händen, aber zerschrammt und blutig nach Moskau zurückkäme und als einzige Entschuldigung nur anführen könnte, ein Elch habe mich über den Haufen gerannt! Vermutlich sähe es etwas albern aus.
Jetzt war das unselige Biest noch knapp fünfzehn Meter entfernt und trottete munter immer voran. Ich riß die Büchse hoch und feuerte. Als er endgültig stoppte, steckten seine Vorderbeine in meinem Schneeloch.