Und so geht's weiter:
Pretty - Erkenne dein Gesicht
Sich anzuziehen war immer der schwierigste Teil des
Nachmittags.
Auf der Einladung aus Valentino Mansion stand
"semiformelle Kleidung" und die Sache mit dem "semi" war das
Problem. wie ein Abend ohne Party, so bot auch "semi" einfach zu
viele Möglichkeiten. Schwierig genug für Jungs, für die das Jackett
und Schlips bedeuten konnte (den Schlips durften sie durch
bestimmte Arten von Kragen ersetzen) oder weiße Kleidung und
Hemdsärmel (wenn auch nur an Sommernachmittagen), dazu jede Menge
Fräcke, Westen, Smokings, Kilts oder einfach hübsche Pullover. Für
Mädchen jedoch explodierten die Möglichkeiten, wie das bei
Möglichkeiten hier in New Pretty Town ja oft der Fall war.
Tally waren formelle Partys mit festlicher Garderobe
fast lieber. Die Kleidung war zwar weniger bequem und die Partys
machten erst Spaß, wenn alle betrunken waren, aber immerhin
brauchte sie sich nicht so viele Gedanken darüber zu machen, was
sie anziehen sollte.
"Semiformell, semiformell", sagte sie, während
ihre Augen durch den offenen Schrank wanderten und das Karussell
hin- und herruckte, um mit Tallys unkoordinierten Augenmausklicks
Schritt zu halten, was die Kleider an ihren Bügeln flattern ließ.
Ja, "semi" war wirklich ein Pfuschwort.
"Ist das überhaupt ein Wort?", fragte Tally laut.
"Semi?" Es fühlte sich seltsam an in ihrem Mund, der von der
letzten Nacht noch wie ausgedörrt war.
"Nur ein halbes", sagte das Zimmer und hielt sich
wahrscheinlich für sehr klug.
"Na dann", murmelte Tally.
Sie ließ sich auf ihre Bett fallen und starrte zur
Decke hoch. Sie hatte ein Gefühl, als würde sich jeden Moment alles
um sie herum zu drehen beginnen. Es war nicht fair, sich wegen
eines halben Wortes so aufregen zu müssen. "Ich will, dass das
weggeht", sagte sie.
Das Zimmer verstand sie falsch und schob die Wand vor
den Schrank. Tally fehlte die Energie zu erklären, dass sie
eigentlich ihren Kater gemeint hatte, der sich wie ein
übergewichtiges Tier selbigen Namens in ihrem Kopf breitmachte,
schmollend und empfindlich und jeglicher Bewegung abgeneigt.
Am Abend zuvor waren sie und Peris mit ein paar anderen
Krims Eislaufen gegangen. Sie hatten die neue Bahn ausprobieren
wollen, die über dem Nophretete-Stadion schwebte. Die Eisschicht,
die von einem Gitter aus Hubstreben getragen wurde, war so dünn,
dass man hindurchsehen konnte, und eine Horde kleiner Eismaschinen,
die wie nervöse Wasserinsekten zwischen den Schlittschuhlaufenden
hin und her schossen, sorgte dafür, dass es so blieb. Das
Feuerwerk, das im darunterliegenden Stadion gezündet wurde, ließ
das Eis erglühen wie schizoides Buntglas, das alle paar Sekunden
seine Farben änderte.
Sie hatten Bungeejacken tragen müssen, für den Fall,
dass jemand durchbrach. Das passierte natürlich nie, aber die
Vorstellung, dass die Welt jeden Moment mit einem plötzlichen
"Knack" zersplittern könnte, hatte Tally jede Menge Champagner
trinken lassen.
Zane, der so etwas wie der Anführer der Krims war,
hatte sich irgendwann gelangweilt und eine ganze Flasche über dem
Eis ausgegossen. Er hatte gesagt, Alkohol habe eine niedrigere
Gefriertemperatur als Wasser, deshalb könne es durchaus sein, dass
auf diese Weise jemand zum Feuerwerk hinunterbefördert werde. Aber
er hatte nicht genug ausgeleert, um Tally ihren heutigen Kater zu
ersparen.
Das Zimmer ließ das besondere Geräusch ertönen, das den
Anruf einer der Krims ankündigte.
"Hey."
"Hey, Tally."
"Shay-la!"Tally richtete sich mühevoll auf einem
Ellbogen auf.
"Ich brauche Hilfe!"
"Die Party? Ja, ich weiß."
"Was soll das überhaupt mit dem
>semiformell<?"
Shay lachte. "Tally-wa, du hast absolut keine Ahnung.
Hast du das Ping nicht gekriegt?"
"Welches Ping?"
"Das ging schon vor Stunden raus."
Tally warf einen Blick auf ihren Interface-Ring, der
noch immer auf dem Nachttisch lag. Sie trug ihn nachts nie, eine
alte Gewohnheit aus ihren Tagen als Ugly, als sie sich regelmäßig
aus dem Haus geschlichen hatte. Der Ring pulsierte sanft und war
noch auf lautlos gestellt, weil Tally ja geschlafen hatte. "Ach.
Ich bin eben erst aufgewacht."
"Na, dann vergiss die ganze Semikiste. Sie haben die
Fete jetzt auf >Kostüm< umgestellt. Wir müssen uns also
etwas Ausgefallenes ausdenken!"
Tally schaute auf die Uhr: Es war kurz vor fünf. "Was,
in drei Stunden?"
"Ja, ich weiß. Ich bin schon ganz verzweifelt. Das ist
so peinlich. Kann ich runterkommen?"
"Bitte."
"In fünf?"
"Klar doch. Bring Frühstück mit. Bis dann."
Tally ließ ihren Kopf wieder auf das Kissen sinken. Das
Bett wirbelte jetzt herum wie ein Hubbrett. Der Tag fing gerade
erst an und ging doch schon zur Neige.
Sie schob den Interface-Ring auf ihren Finger und hörte
ärgerlich zu, wie das Ping ihr mitteilte, dass an diesem Abend nur
Leute mit richtig prickelnden Kostümen zugelassen würden. Drei
Stunden, um sich etwas Brauchbares zu überlegen, und alle anderen
hatten schon einen Riesenvorsprung.
Manchmal hatte sie das Gefühl, es wäre viel, viel
leichter, eine echte Kriminelle zu sein.
***
Shay brachte Frühstück: Hummeromelettes, Toast,
Kartoffelpuffer, Maispfannkuchen. Trauben, Schokomuffins und
Bloodies - mehr Essen, als eine ganze Packung Kalorienfresser
vertilgen konnte. Das überladene Tablett wackelte in der Luft, die
Hubvorrichtungen zitterten wie Winzlinge an ihrem allerersten
Schultag.
"Ähem, Shay, gehen wir als Fettklöße, oder was?"
Shay kicherte. "Nein, aber so elend, wie du dich
angehört hast ... Und heute Nacht musst du prickelnd sein. Damit
alle Krims für dich stimmen."
"Klasse, prickelnd." Tally seufzte und befreite das
Tablett von einer Bloody Mary. Sie runzelte beim ersten Schluck die
Stirn. "Nicht salzig genug."
"Kein Problem", sagte Shay, kratzte die
Kaviardekoration von einem Omelette und rührte sie ins Glas.
"Uäääh, Fischgeschmack! "
"Kaviar ist in jeder Kombination gut." Shay nahm noch
einen Löffel voll und schob ihn sich in den Mund, dann schloss sie
die Augen, während sie die kleinen Fischeier zerkaute. Sie drehte
ihren Ring, um Musik laufen zu lassen.
Tally schluckte und trank mehr Bloody, was wenigstens
das Zimmer vom Drehen abhielt. Die Schokomuffins rochen langsam
richtig gut. Danach würde sie sich an die Kartoffelpuffer machen.
Und dann der Pfannkuchen. Vielleicht würde sie sogar den Kaviar
probieren. Frühstück war die Mahlzeit, bei der Tally am stärksten
das Gefühl hatte, ihre in der Wildnis verlorene Zeit aufholen zu
müssen. Wenn sie beim Frühstück richtig zulangte, glaubte sie fast,
alles im Griff zu haben, so als könne ein Sturm von in der Stadt
entwickelten Geschmäckern die Monate voller Eintopf und SpagBol
aufheben.
Die Musik war neu und ließ ihr Herz schneller schlagen.
"Danke, Shay-la. Du hast mir das Leben gerettet."
"Kein Problem, Tally-wa."
"Übrigens, wo warst du eigentlich gestern Abend?"
Shay lächelte nur, als ob sie etwas Verbotenes
angestellt hätte.
"Was?Neuer Typ?"
Shay schüttelte den Kopf. Plinkerte mit den
Augen.
"Du hattest doch nicht etwa schon wieder eine Opi?",
fragte Tally und Shay kicherte. "Also doch. Du darfst das doch nur
einmal pro Woche. Fehlt dir denn überhaupt noch was?"
"Ist schon gut, Tally-wa. War nur lokal."
"Wo?" Shays Gesicht hatte sich überhaupt nicht
verändert. Hatte sie das Ergebnis der Operation unter ihrem
Schlafanzug versteckt?
"Sieh mal genau hin!" Wieder flatterten Shays lange
Wimpern.
Tally beugte sich vor und starrte in die perfekten
kupferfarbenen Augen, die groß und mit Juwelenstaub besprenkelt
waren, und ihr Herz schlug schneller. Auch nach einem Monat in New
Pretty Town war Tally noch immer wie hypnotisiert von den Augen der
anderen Pretties. Sie waren so groß und freundlich, sie leuchteten
vor Interesse an ihrem Gegenüber. Shays wunderschöne Pupillen
schienen zu murmeln: Ich hör dir zu, du faszinierst mich.
Sie verengten die Welt auf Tally allein, ließen sie im Glanz von
Shays Bewunderung baden.
Bei Shay war das besonders verwirrend, denn Tally hatte
sie noch zu Ugly-Zeiten gekannt, ehe die Operation ihr dieses
Aussehen gegeben hatte.
"Noch genauer."
Tally holte Atem, um sich zu beruhigen, das Zimmer
drehte sich wieder, jetzt aber auf angenehme Weise. Sie winkte den
Fenstern, damit die ein wenig durchlässiger wurden, und im
Sonnenlicht sah sie die Neuerwerbungen. "Oooh, klasse
Pretty-Faktor."
Gewagter als der andere implantierte Glitzerkram
umringten zwölf winzige Rubine jede von Shays Pupillen und
funkelten in sanftem Rot vor der smaragdgrünen Iris.
"Prickelnd, was?"
"Ja. Aber Moment mal ... sind die links unten anders?"
Tally kniff die Augen noch fester zusammen. Ein Juwel in jedem Auge
schien zu flackern, eine winzige weiße Kerze in der kupferroten
Tiefe.
"Es ist fünf Uhr", sagte Shay. "Kapiert!"
Tally brauchte eine Sekunde, um sich daran zu erinnern,
wie der große Glockenturm in der Stadtmitte abgelesen wurde.
"Schon, aber das ist sieben. Wäre fünf Uhr nicht rechts
unten?"
Shay schnaubte. "Die bewegen sich im Gegenzeigersinn,
du Dussel. Ich meine, das andere wäre doch öde."
Ein Lachen perlte in Tally hoch. "Also Moment. Du hast
Juwelen in den Augen? Die die Zeit mitteilen? Und die gehen
rückwärts? Ist das nicht vielleicht ein Tick zu viel,
Shay?"
Tally bereute ihre Worte sofort. Der Ausdruck, der
jetzt Shays Gesicht verdüsterte, war tragisch und ließ das Strahlen
von vorhin verschwinden. Sie schien mit den Tränen zu ringen, nur
hatte sie keine verquollenen Augen und keine rote Nase. Eine
frische Opi war immer ein heikles Thema, fast wie eine neue
Frisur.
"Du findest sie scheußlich", sagte Shay leise und mit
vorwurfsvoller Stimme.
"Natürlich nicht. Wie gesagt: totaler
Pretty-Faktor."
"Echt?"
"Und wie. Und es ist klasse, dass sie rückwärts
gehen."
Shays Lächeln stellte sich wieder ein und Tally atmete
erleichtert auf. Sie konnte nicht fassen, was sie getan hatte. Das
war die Art Fehler, wie sie nur nagelneuen Pretties unterlief, und
ihre Operation lag schon über einen Monat zurück. Warum redete sie
noch immer diesen verpfuschten Kram? Wenn sie heute Abend so einen
Spruch brächte, würde vielleicht jemand von den Krims gegen sie
stimmen. Für eine Ablehnung brauchte es nicht mehr als eine
Gegenstimme.
Und dann wäre sie allein, es wäre fast, wie wieder
wegzulaufen.
Shay sagte: "Vielleicht sollten wir als Uhrentürme
gehen, meinen neuen Augäpfeln zu Ehren."
Tally lachte, denn sie wusste, dieser lahme Witz
bedeutete, dass ihr verziehen war. Sie und Shay hatten
zusammen
schließlich eine Menge durchgemacht. "Hast du mit Peris
und Fausto gesprochen?"
Shay nickte. "Die sagen, wir sollen uns alle kriminell
verkleiden. Sie haben schon eine Idee, aber die ist ein
Geheimnis."
"Was für ein Pfusch. Als ob die so furchtbar böse Buben
gewesen wären. Alles, was sie zu Ugly-Zeiten gemacht haben, war
sich aus dem Haus zu schleichen und vielleicht ein paarmal den
Fluss zu überqueren. Sie haben es ja nicht mal bis nach Smoke
geschafft."
In diesem Moment endete das Lied und Tallys letzte
Worte fielen in die plötzliche Stille. Sie versuchte sich zu
überlegen, was sie nun sagen könnte, aber das Gespräch verblasste
einfach, wie Feuerwerk vor einem dunklen Himmel. Und das nächste
Lied schien eine Ewigkeit zu brauchen, bis es endlich anfing.
Als die ersten Töne erklangen, atmete Tally erleichtert
auf. "Krimkostüme sollten eigentlich kein Problem sein, Shay-la.
Wir sind doch die beiden größten Kriminellen hier in der
Stadt."
***
Shay und Tally versuchten es zwei Stunden lang, sie
ließen das Loch in der Wand ein Kostüm nach dem anderen ausspucken
und probierten alle an. Sie dachten an Gangster, wussten aber nicht
so recht, wie die aussahen - in den alten Gangsterfilmen auf der
Bildwand wirkten die Bösen nicht krim, sondern einfach nur
zurückgeblieben. Piraten waren viel besser angezogen, aber Shay
wollte keine Augenklappe über ihren neuen Augäpfeln tragen. Eine
andere Idee war, als Jägerin zu gehen, aber das Loch in der Wand
hatte seine festen Vorstellungen, was Gewehre anging, sogar bei
Imitaten. Tally dachte an berühmte Diktatoren aus der Geschichte,
aber sie fanden fast nur Männer und alle waren schlecht
angezogen.
"Vielleicht sollten wir als Rusties gehen!", sagte
Shay. "In der Schule sind die immer als die Bösen dargestellt
worden."
"Aber die sahen mehr oder weniger aus wie wir, hab ich
immer gedacht. Nur eben hässlich."
"Ich weiß nicht, wir könnten Bäume fällen oder Öl
abfackeln oder so."
Tally lachte. "Es geht hier um ein Kostüm, Shay-la,
nicht um einen Lebensstil."
Shay breitete die Arme aus und machte weitere
Vorschläge mit möglichst hohem Prickel-Faktor. "Wir könnten Tabak
rauchen? Oder Auto fahren?"
Aber das Loch in der Wand wollte ihnen weder Zigaretten
noch Autos liefern.
Es machte aber trotzdem Spaß, mit Shay herumzualbern
und alles Mögliche anzuprobieren, um dann zu schnauben und zu
kichern und die Kostüme wieder in den Recycler zu werfen. Tally sah
sich so gern in neuer Kleidung, sogar, wenn die Sachen blöd waren.
Ein Teil von ihr konnte sich noch immer an früher erinnern, als der
Blick in den Spiegel wehgetan hatte. Ihre Augen hatten zu dicht
beieinandergestanden, ihre Nase war zu klein gewesen und ihre Haare
immer strähnig und zerzaust. Jetzt schien es, als stünde Tally eine
wunderschöne Person gegenüber, die jeder ihrer Bewegungen folgte -
eine, deren Gesicht in perfektem Gleichgewicht war, deren Haut
sogar bei einem schrecklichen Kater noch glühte, eine mit wunderbar
proportioniertem Körper und elegant definierten Muskeln. Eine,
deren silbrige Augen zu allem passten, was sie anzog.
Aber eine mit einem verpfuschten Kostümgeschmack.
Nach zwei Stunden lagen sie auf dem Bett, das sich
jetzt wieder drehte.
"Das ist doch alles total öde, Shay-la. Warum ist alles
so total öde? Die stimmen doch nie im Leben für mich, wenn ich mir
noch nicht mal ein Kostüm ausdenken kann, das nicht völlig
verpfuscht ist."
Shay schüttelte den Kopf. "Mach dir keine Sorgen,
Tally-wa. Du bist doch schon berühmt. Du hast keinen Grund, nervös
zu sein."
"Du hast gut reden." Obwohl sie am selben Tag
Geburtstag hatten, war Shay viele Wochen vor Tally zur Pretty
geworden. Sie war jetzt seit fast einem Monat eine vollwertige
Krim.
"Es wird keine Probleme geben", sagte Shay. "Alle, die
je mit den Specials zu tun hatten, sind sozusagen geborene
Krims."
Tally durchfuhr ein merkwürdiges Gefühl, als Shay das
sagte, wie ein Ping, nur tat es weh. "Trotzdem. Ich finde es
schrecklich, nicht prickelnd zu sein."
"Peris und Fausto sind schuld, weil sie uns nicht
verraten wollen, was sie anziehen werden."
"Warten wir, bis sie hier sind. Und dann kopieren wir
sie."
"Das geschieht ihnen recht", sagte Shay zustimmend.
"Was zu trinken?"
"Glaub schon."
Tally fühlte sich zu schwindlig, um auszugehen, deshalb
befahl Shay dem Frühstückstablett, eine Runde Champagner
herbeizuschaffen.
***
Als Peris und Fausto kamen, standen sie in
Flammen.
Es waren Funkenstrahler, die sie sich in die Haare
gesteckt und an ihrer Kleidung befestigt hatten und die überall um
sie herum Sicherheitsflammen aufflackern ließen. Fausto lachte die
ganze Zeit, weil das kitzelte. Beide trugen Bungeejacken – ihr
Kostüm sollte zeigen, dass sie soeben von einem brennenden Haus
gesprungen waren.
"Fantastisch", sagte Shay.
"Hysterisch", stimmte Tally zu, doch dann fragte sie:
"Aber wieso ist das krim?"
"Weißt du das nicht mehr?", fragte Peris. "Wie du
vorigen Sommer die Party gesprengt hast und entkommen bist, weil du
eine Bungeejacke geklaut hast und vom Dach gesprungen bist? Bester
Ugly-Streich aller Zeiten!"
"Sicher ... aber wieso brennt ihr?", fragte Tally. "Ich
meine, das ist doch nicht krim, wenn das Haus wirklich
brennt."
Shay bedachte Tally mit einem Blick, als sei das wieder
eine verpfuschte Bemerkung gewesen.
"Wir können nicht einfach nur Bungeejacken tragen",
sagte Fausto. "Wenn wir brennen, ist das viel prickelnder."
"Genau", stimmte Peris ihm zu, aber Tally wusste, dass
er sie verstanden hatte und jetzt niedergeschlagen war. Sie
wünschte, sie hätte das nicht gesagt. Tally, der Dummkopf. Die
Kostüme waren doch wirklich prickelnd.
Sie schalteten die Strahler aus, um sie für die Party
aufzusparen, und Shay bat das Loch in der Wand um zwei weitere
Jacken.
"He, kopieren gilt nicht!", beschwerte Fausto sich,
aber das hätte er sich sparen können. Das Loch wollte keine
Kostümbungeejacken herstellen, für den Fall, dass jemand vergaß,
dass sie nicht echt waren, und irgendwo hinuntersprang und sich den
Hals brach. Es konnte auch keine echte Jacke machen; für alles
Komplizierte oder Dauerhafte war die Requisition zuständig. Und die
Requisition wollte keine Jacken schicken, weil es ja nicht
brannte.
Shay schnaubte. "Dieses Haus ist heute wirklich in
Pfuschlaune."
"Wo habt ihr eure denn her?", fragte Tally.
"Die sind echt." Peris lächelte und spielte an seiner
Jacke herum. "Wir haben sie vom Dach geklaut."
"Dann sind sie also doch krim", sagte Tally und sprang
von ihrem Bett, um ihn zu umarmen.
Als sie Peris in den Armen hielt, hatte sie nicht das
Gefühl, dass die Party öde ausfallen oder dass irgendwer gegen sie
stimmen würde. Seine großen braunen Augen strahlten sie an und er
hob sie hoch und drückte sie fest an sich. Sie hatte sich Peris zu
Ugly-Zeiten immer so nah gefühlt, sie waren zusammen aufgewachsen
und hatten gemeinsam Streiche ausgeheckt. Und es war prickelnd,
jetzt wieder dieses Gefühl zu haben.
In aIl den Wochen, in denen Tally in der Wildnis
verloren gewesen war, hatte sie sich nur danach gesehnt, hier bei
Peris zu sein, eine Pretty in New Pretty Town. Es war völlig
blödsinnig, heute oder an irgend einem anderen Tag unglücklich zu
sein. Vermutlich lag es einfach an ihrem Kater. "Freunde fürs
Leben", flüsterte sie ihm zu, als er sie wieder auf dem Boden
absetzte.
"He, was ist das denn?", fragte Shay. Sie steckte tief
in Tallys Schrank und suchte dort nach Ideen. Sie hielt eine
formlose Wollmasse hoch.
"Ach, das." Tally ließ Peris los. "Das ist mein
Pullover aus Smoke, weißt du noch?" Der Pullover sah seltsam aus,
nicht wie in ihrer Erinnerung. Er war verdreckt und man konnte
sehen, wo Menschenhände die verschiedenen Teile zusammengestrickt
hatten. Die Menschen in Smoke hatten kein Loch in der Wand - sie
mussten alles selber herstellen, und wie sich herausgestellt hatte,
waren Menschen in dieser Hinsicht nicht sonderlich geschickt.
"Du hast ihn nicht recycelt?"
"Nein. Ich glaube, der ist aus einem komischen
Material. Und das Loch kann damit offenbar nichts anfangen."
Shay hielt sich den Pullover an die Nase und roch
daran. "Himmel. Riecht noch immer nach Smoke. Nach Lagerfeuer und
diesem Eintopf, den wir immer gegessen haben. Weißt du noch?"
Peris und Fausto wollten auch riechen. Sie hatten die
Stadt nie verlassen, außer auf Schulausflügen zur Ruinenstadt. Und
sie waren vor allem nie nach Smoke gekommen, wo alle den ganzen Tag
arbeiten mussten, um Gegenstände herzustellen, wo sie das, was sie
essen wollten, vorher selbst anpflanzen (oder schlachten) mussten
und wo alle auch nach ihrem sechzehnten Geburtstag hässlich
blieben. Bis zu ihrem Tod.
Natürlich gab es Smoke nicht mehr, was Tally und den
Specials zu verdanken war.
"He, jetzt weiß ich's, Tally!", rief Shay. "Wir gehen
heute als Smokies!"
"Das wäre total kriminell!", sagte Fausto und seine
Augen strahlten vor Bewunderung.
Die drei sahen Tally an, ganz begeistert von dieser
Idee, und obwohl ein weiteres scheußliches Ping sie durchfuhr,
wusste Tally, dass es Pfusch wäre, nicht zuzustimmen. Und dass mit
Sicherheit niemand gegen sie stimmen würde, wenn sie ein so
prickelndes Kostüm wie den echten Smokey-Pullover trug. Denn Tally
Youngblood war eben eine geborene Krim.