* 11 *
»Mr. Pot!«, rief Marcia, als sie ihr Opfer erblickte, und eilte mit großen Schritten über den Palastrasen.
Billy Pot antwortete nicht. Er schob eine große Schubkarre mit Drachenmist und war schlechter Laune. Billy hatte vollkommen vergessen, wie sehr er sich gefreut hatte, als Septimus ihm erlaubte, Feuerspeis Drachenmist abzuholen. Aber dies war zu einer Zeit gewesen, die Billy heute als die guten alten Tage ansah, als er noch einer geregelten Arbeit nachging und mit seiner Maschine tagaus, tagein den Palastrasen mähte. Diese Maschine arbeitete auf rein biologischer Basis, das heißt, sie bestand aus einem Kasten mit Rädern, in den zwanzig hungrige Graseidechsen gesperrt waren. Während Billy die Maschine ganz, ganz langsam über den Rasen schob, fraßen die Graseidechsen das Gras – oder auch nicht.
Billy hielt damals Hunderte solcher Eidechsen in Gehegen unten am Fluss, doch als das Eidechsenvolk wuchs, bekam er Schwierigkeiten, sie im Zaum zu halten. Da wirkte der Drachenmist Wunder– am Anfang. Im Glauben, eine Monsterechse sei in ihr Revier eingedrungen, bekamen die Graseidechsen Angst und wurden ganz brav. Doch Graseidechsen waren nicht dumm, und nachdem eine gewisse Zeit verstrichen und die Monsterechse nie aufgetaucht war, begriffen sie, dass etwas nicht stimmte. Von da an waren sie wieder so widerspenstig wie eh und je, und da sie glaubten, sie hätten einen mächtigen Rivalen vertrieben, wurden sie obendrein eingebildet und fingen an, nach Billys Waden zu schnappen. Billy wollte mit Graseidechsen nichts mehr zu tun haben.
Endgültig die Nase voll hatte Billy, als die Mähmaschine – die ohnehin nicht mehr das war, was sie einmal gewesen war, seit Simon Heaps Pferd darauf herumgetrampelt war – nach einem langen Mähtag und mehreren Eidechsenwechseln auseinandergefallen war. Sarah Heap hatte die Gelegenheit beim Schöpf gepackt. Angewidert von den großen Drachenmisthaufen, die den Palastrasen verschandelten, schickte sie Silas mit dem Auftrag nach Port, einen modernen Rasenmäher zu kaufen. Ausnahmsweise einmal erwies sich Silas als tüchtig und brachte mit dem Flussboot aus Port eine eindrucksvolle Maschine mit.
Billy mochte die Maschine nicht. Sie arbeitete mit scharfen Schneidemessern statt mit Graseidechsen und musste von einem Pferd gezogen werden. Billy war ein Freund von Reptilien, Pferde mochte er nicht.
Doch täglich fiel neuer Drachenmist an.
Sarah Heap, die sich angewöhnt hatte, den Leuten vorzuschreiben, was sie zu tun und zu lassen hatten, stellte Billy einen großen Acker neben dem Palastrasen zur Verfügung und sagte, er solle den Drachenmist jetzt auf den Acker bringen und dort Gemüse anbauen. Doch das missfiel Billy. Auch Gemüse mochte er nicht.
Mittlerweile hatte sich Billy Pot zum Prinzip gemacht, mit niemandem mehr zu sprechen, der so aussah, als könnte er Ärger machen – und als die Außergewöhnliche Zauberin hinter ihm her schrie, schrillten bei ihm alle Alarmglocken. Doch so leicht gab Marcia nicht auf. Sie jagte ihm nach. Er sah sie nahen und beschleunigte seine Schritte, freilich nur mit mäßigem Erfolg, denn die schwere Schubkarre behinderte ihn.
»Mr. Pot!« Marcia sprang vor die Schubkarre, blieb mit dem Absatz eines ihrer spitzen lila Pythonschuhe in einem Kaninchenloch hängen und fiel hin. Billy spähte über den Drachenmisthaufen hinweg, konnte aber nur feststellen, dass die Außergewöhnliche Zauberin verschwunden war, und das war ihm ganz recht.
Erst als Marcia sich hochrappelte, das Haar zerzaust, den abgebrochenen Absatz ihres Pythonschuhs in der Hand und ein äußerst gereiztes Funkeln in den grünen Augen, hielt es Billy für ratsam, die Schubkarre abzusetzen.
Er blickte über den Mist hinweg. »Was gibt’s?«
»Mr. Pot... autsch ... ich habe Arbeit für Sie«, sagte Marcia.
»Hören Sie, Eure Außergewöhnlichkeit, ich habe bereits den letzten Haufen eingesammelt, und für mehr Mist habe ich bis zum Ende der Woche keinen Platz mehr. Verstanden?«
»Ach«, gab Marcia leicht verdutzt von sich. Nach zwölf Jahren als Außergewöhnliche Zauberin war sie mehr Respekt gewöhnt.
»Ich muss jetzt weiter«, knurrte Billy.
Er packte die Schubkarre an den Griffen, hob sie an und stapfte langsam in Richtung Gemüsegarten.
Marcia humpelte hinterher und stellte sich erneut vor die Schubkarre. »Mr. Pot«, sagte sie sehr bestimmt.
Billy Pot seufzte und ließ die Schubkarrengriffe los. »Was ist denn?«, fragte er.
»Wie ich schon sagte, ich habe Arbeit für Sie. Es handelt sich um die neue Stelle eines Drachenwärters. Meines Erachtens wären Sie dafür hervorragend geeignet.«
»Was genau meinen Sie damit – Drachenwärter?«, fragte Billy argwöhnisch.
»Ich habe hier eine Stellenbeschreibung«, antwortete Marcia und reichte ihm ein steifes Blatt Papier. Er nahm es argwöhnisch entgegen und glotzte es an. Billy mochte auch Papier nicht besonders, schon gar nicht teures, dickes Papier, das beschrieben war. Genau genommen war es das Geschriebene, das Billy nicht mochte – mit Geschriebenem konnte er nämlich überhaupt nichts anfangen.
»Anders herum«, sagte Marcia.
»Oh.« Ganz durcheinander, da ihm wieder mal etwas gegen den Strich ging, drehte er das Blatt herum. »Lesen Sie vor, ich habe meine Brille nicht dabei«, grummelte er und gab Marcia das Blatt zurück. Sie griff es vorsichtig mit Zeigefinger und Daumen, bemüht, die dicken, schmutzigen Fingerabdrücke zu meiden, die jetzt die Ränder verunzierten.
»›Stellenbeschreibung für Drachenwärter‹«, begann sie. »›Punkt eins: Der Drache wohnt außerhalb, das heißt, am Wohnort und/oder Arbeitsplatz des Drachenwärters.‹«
»Wie?« Billy runzelte verwirrt die Stirn.
»Feuerspei wird hier untergebracht«, erklärte Marcia.
»Hier?«
»Jawohl, hier. Das Gemüsefeld ist ideal.«
»Und was wird aus dem Gemüse?«, fragte Billy, der plötzlich ein ungeahntes Interesse an Gemüse bei sich entdeckte.
»Er ist nicht wählerisch. Er frisst alles.«
»Das ist es ja, was mir Sorgen bereitet«, brummelte Billy.
»›Punkt zwei: Der Drachenwärter trägt die volle Verantwortung für den Drachen, solange er sich in seiner Obhut befindet. Punkt drei: Der Lehrling darf den Drachen nur jeden zweiten Abend und an den Wochenenden besuchen, und zu diesen Zeiten ist nur ein halbstündiger Flug gestattet. Punkt vier: Das Gehalt ist Verhandlungssache‹ – aber ich biete Ihnen das Doppelte von dem, was der Palast Ihnen bezahlt.«
»Das Doppelte?«, rief Billy entgeistert.
»Na schön, dann eben das Dreifache. Aber das ist mein letztes Angebot. Nehmen Sie die Stelle an? Ja oder nein?«
»Ja! Äh, ja, Eure Außergewöhnlichkeit. Ich fühle mich geehrt.«
»Mein Lehrling wird den Drachen heute noch herüberbringen. Die Bauarbeiter rücken noch am Vormittag an.«
»Bauarbeiter?«
»Um das Drachenhaus zu bauen. Wünsche einen guten Tag, Mr. Pot. Ich schicke Ihnen später den Vertrag zur Unterschrift.«
»Ach ja ... richtig. Äh, guten Tag, Eure Außergewöhnlichkeit.«
Während Marcia davonhumpelte, setzte sich Billy ans Flussufer und kratzte sich erstaunt am Kopf. Er bereute es schon im nächsten Moment. Drachenmist bekam man nur schlecht wieder aus den Haaren.