* 6 *
Während sich Merrin unter dem Dach des Dankbaren Steinbutts in einem unbequemen Bett wälzte, schlüpfte Stanley im Rattenloch unter der Zugbrücke der Burg in einen kleinen Strohhaufen. Das Rattenloch erfreute sich bei Ratten, die nachts in die Burg zurückkehrten, großer Beliebtheit, denn es bot einen sicheren Schlafplatz, bis im Morgengrauen die Zugbrücke herabgelassen wurde. Stanley hatte sich Sorgen gemacht, dass im Rattenloch kein Platz mehr für ihn sein könnte. Das war ihm in der Vergangenheit schon einige Male passiert, und er hatte eine unbequeme Nacht auf einem nahen Baum verbringen müssen, welcher der Spukküche des Dankbaren Steinbutt allemal vorzuziehen war. In der Hoffnung, dass er nicht zu spät kam, um noch ein Plätzchen zu ergattern, rutschte er die Böschung hinunter und spähte in die gut versteckte Höhle. Zu seiner Überraschung stellte er fest, dass außer ihm keine einzige Ratte hier war. Und dann fiel ihm wieder ein, warum – die Rattenwürger.
Sechs Monate zuvor waren Stanley und seine Frau Dawnie den Rattenwürgern nur mit knapper Not entkommen und nach Port geflohen, wo sie verhältnismäßig sicher waren. Dort hatte Dawnie die Geschichte ihrer Flucht überall herumerzählt und von Mal zu Mal dramatischer ausgeschmückt. Nichts liebten Ratten mehr als Schauergeschichten. Die Neuigkeit machte schnell die Runde, und die Folge war, dass keine Ratte, die bei Verstand war, mehr einen Fuß in die Burg setzen wollte. Nicht alle Ratten, so sagte sich Stanley, waren über das aktuelle Geschehen so gut im Bilde wie er und wussten, dass die Rattenwürger zum Glück längst fort waren. Er kroch tief in das warme und muffige Rattenloch hinein, bis er die Höhlenwand erreichte, und schlüpfte dort unter etwas altes Stroh.
Ohne Gesellschaft war es im Rattenloch gar nicht lustig. Stanley war eine gesellige Ratte und liebte nichts mehr als einen netten Plausch unter Kollegen. Umso bedrückender fand er es, hier, wo es stets so fröhlich zugegangen war, ganz allein zu sein. Er knabberte an einer halb verschimmelten Rübe, die ein Vorgänger zurückgelassen hatte, doch bei dem Gedanken an Dawnie und die Rattenwürger war ihm der Appetit vergangen. Und so streckte er unter leisem Stöhnen, denn er war müde von der langen Reise, seine schmerzenden kurzen Beine aus, gähnte und schlief gleich darauf ein. Bald dröhnte das laute Schnarchen einer Ratte über den Burggraben, aber niemand hörte es, nicht einmal die Mitglieder der Familie Gringe, die im Torhaus gegenüber schlummerten.
Als die ersten grauen Streifen am Himmel den neuen Tag ankündigten, donnerte mit einem fürchterlichen Knall die Zugbrücke auf den Damm herunter. Stanley wurde aus seinem Strohhaufen geschleudert und purzelte bis zum Eingang des Rattenlochs. Schlaftrunken spähte er hinaus ins trübe Dämmerlicht. Es war kein freundlicher Tag. Wind fuhr über den Burggraben, dicke Regentropfen klatschten aufs schiefergraue Wasser und hinterließen Ringe, die sich ausbreiteten. Doch in dem leeren Rattenloch war es auch nicht lustig. Stanley hüpfte hinaus und schnupperte die Morgenluft. In den Geruch nach modrigem Laub, Regen und Burggrabenwasser mischte sich ein unangenehmer Hauch von abgestandenem Eintopf, der vom Torhaus gegenüber herüberwehte. Stanley balancierte kurz auf dem flachen Absprungstein, den Ratten seit Generationen benutzten, und machte dann einen wohlberechneten Satz. Er landete leichtfüßig auf einer schmalen Eisenplatte an der Unterseite der Zugbrücke und lief, jeden Blick in das tiefe Wasser unter ihm vermeidend, den Rattenschleichweg entlang, der, gut versteckt unter den dicken Brückenbohlen, ans andere Ufer des Grabens führte.
Sicher drüben angekommen, kletterte Stanley das schlammige Ufer hinauf und huschte mit eingezogenem Kopf, damit ihm der böige Wind keinen Staub in die Augen blies, den Weg entlang, der durch das Nordtor führte – bis er plötzlich mit Entsetzen feststellte, dass er Mrs. Gringe, der Frau des Torwächters, über die Füße lief. Stanley war es gewohnt, Gringe aus dem Weg zu gehen, dessen schwere Schritte und laute Stimme für jede Ratte kilometerweit zu hören waren. Doch Mrs. Gringe, eine kleine, sorgenvoll aussehende Frau, saß still und reglos im schützenden Torhaus und streckte ihre kleinen Füße zur Tür heraus, was eine nichts ahnende Ratte förmlich dazu einlud, über sie zu stolpern. Was Stanley auch tat. Mrs. Gringe spürte, wie Rattenfüße über ihre zarten Zehen trippelten, und das behagte ihr ganz und gar nicht. Innerhalb einer knappen Sekunde brachte sie es fertig, einen Schrei auszustoßen, einen Besen zu ergreifen und ihn mit einem dumpfen Schlag auf Stanleys enteilenden Schwanz niedersausen zu lassen.
Stanley flitzte davon und schlüpfte in den nächstbesten Gully, der nach den starken Regenfällen der letzten Nacht nicht gerade das gemütlichste Plätzchen war. Zumal er, wie sich herausstellte, bis oben hin voll Wasser war.
»Eine Ratte!«, hörte er Mrs. Gringe kreischen. »Eine Ratte!«
»Wo?«, brummte eine Stimme aus dem Torhaus.
»In dem Gully dort. Fang sie, Gringe!«
Stanley vernahm die dumpfen, schweren Schritte von Gringe über sich und begriff, dass er in der Falle saß. Er holte tief Luft und tauchte unter. Gerade noch rechtzeitig, denn Gringe ging in die Hocke und spähte in den Gully. »Ich sehe nichts. Bist du sicher?«
»Natürlich bin ich sicher. Ich habe sie mit meinen eigenen Augen gesehen.«
»Also, ich weiß nicht«, sagte Gringe und starrte in die schmutzige Brühe, dann setzte er langsam hinzu: »Weißt du, wenn du so schreist, denke ich immer ... denk ich immer, dass du mit Lucy schimpfst... Das waren noch glückliche Zeiten.«
»Wir haben nicht immer geschrien«, seufzte Mrs. Gringe. »Nur wenn es um den jungen Heap ging.«
Stanley hatte das Gefühl, dass seine Lunge gleich platzte. Eine kleine Luftblase entwich aus seinem Mund. »Ah«, rief Gringe. »Ich glaube, das Biest versteckt sich unter Wasser.«
»Willst du eine Schaufel?«
»Ja. Gib mir die große da. Ich hole sie heraus und haue ihr eins über den Kopf. Eine gute Übung für den Fall, dass sich der junge Heap noch mal hier blicken lässt.«
Stanley konnte nicht länger die Luft anhalten. Ein dicker Strahl stinkenden Wassers schoss aus dem Gully, zusammen mit einer pitschnassen Ratte, und Gringe prallte hustend und spuckend zurück. Als er sich endlich den Schmutz aus den Augen gewischt hatte, war Stanley fort, verschwunden in dem Gewirr von Gassen und Gässchen, die vom Nordtor ins Innere der Burg führten.
Kurz vor dem Palasttor nahm Stanley ein kurzes und eiskaltes Bad in einem Pferdetrog. Baden gehörte nicht gerade zu den Lieblingsbeschäftigungen einer Ratte – er konnte sich nicht erinnern, wann er sich das letzte Mal dazu durchgerungen hatte –, aber wenn man als Ratte im Palast seine Aufwartung machen wollte, musste man sich schon etwas Mühe geben.
Drüben im Gasthaus Zum Dankbaren Steinbutt gab sich Merrin nicht die geringste Mühe. Olaf Snorrelssen wartete schon seit Stunden darauf, dass Merrin endlich aufstand, und musste sich die ganze Zeit von der Kesselflickerin beschimpfen lassen. Kurz nach zehn kam der Junge endlich die Treppe herunter, nachdem ihn die Wirtin, die ihr Zimmer wiederhaben wollte, aus dem Bett gejagt hatte.
Eingedenk seines Versprechens, das er mittlerweile bitter bereute, erschien Olaf dem Jungen. »Soll ich dich nun zur Burg bringen?«, fragte er in der Hoffnung, dass der Junge ablehnen würde. Doch der tat ihm nicht den Gefallen.
»Ja«, knurrte Merrin. »Nur raus aus dieser Bruchbude.«
Olaf führte Merrin über die Einwegbrücke, und das vertraute Gefühl der Niedergeschlagenheit, das er bei jedem Gang über die Brücke empfand, legte sich auf ihn wie eine Wolke. Und diese Wolke verzog sich auch nicht, als er mit dem Jungen die Zugbrücke überquerte. Er schlichtete den Streit, den der Junge mit dem Torwächter anzettelte, der ebenfall schlecht gelaunt war und überdies ziemlich schlecht roch. Dann schlug er die Richtung zu den Anwanden ein, einem Gebäude wie ein riesiges Labyrinth, für das er eine besondere Vorliebe hatte. Auf dem Weg durch die schmalen Gänge, die teilweise von Menschen wimmelten, wurde er das seltsame Gefühl nicht los, dass sie verfolgt wurden. Doch jedes Mal, wenn er sich umblickte, sah er nur flüchtige Schatten, wie sie in den gewundenen, halbdunklen Korridoren nicht ungewöhnlich waren. Entschlossen, sein Wort zu halten, führte er Merrin tief ins Innere der Anwanden zu einer kleinen Pension, an die er schöne Erinnerungen knüpfte, weil er selbst vor vielen Jahren dort abgestiegen war.
Das, so sagte sich Olaf später, war ein Fehler. Merrin gefiel die Pension nicht. Sie sei eine widerliche Bruchbude, sagte er. Und als er hörte, was ein Zimmer kostete, nannte er die Wirtin, die eine freundliche Frau war, eine habgierige alte Schrulle. Darauf beschloss Olaf, der Frau zu erscheinen und sich zu entschuldigen, doch auch das war ein Fehler. Er war nervös und machte alles verkehrt. Beim Anblick seiner plötzlich und nur unvollständig erscheinenden Geistergestalt stieß die Frau einen gellenden Schrei aus und schlug die Tür zu. Die Tür passierte seinen Fuß, und davon wurde ihm ganz übel. Als er sich wieder erholt hatte, war Merrin verschwunden. Erleichtert ging Olaf davon, ohne zu merken, dass er für jeden nur halb zu sehen war und dadurch ein Chaos verursachte. Als er am Ende des Tages wieder unbeschadet in der Schenke Zum Loch in der Mauer, einem beliebten Treffpunkt für Geister, saß, nahm er sich fest vor, nie wieder einem Lebenden zu erscheinen. Es war ein Wahnsinn.
Stanley trippelte eine der vielen Hintertreppen des Palastes hinauf. Er war noch nie im Obergeschoss gewesen, doch als Ex-Botenratte kannte er den Grundriss in- und auswendig – für seine Eignungsprüfung hatte er ihn sich genau einprägen müssen. Er schlug einen Bogen um den alten Geist des Ritters, der Wache stand – und der mit seinem Schwert nach ihm hieb –, flitzte den Bildteppich neben einer großen Flügeltür hinauf, kroch oberhalb der Wandtäfelung durch ein Rattenloch, das voller Spinnweben hing, und lugte auf der anderen Seite nach unten. Es ging tief hinunter. Er verharrte einen Moment und nahm seinen Mut zusammen. Weit unter ihm, am Kamin, saß Jenna Heap, Prinzessin und Thronerbin der Burg. Neben ihr lag ein zerknitterter Brief. Stanley konnte ihn aus dieser Entfernung nicht lesen, aber Jenna kannte seinen Inhalt bereits auswendig. Er lautete:
Aus dem Zaubererturm zugestellt von B. Catchpole
Abgegeben im Palast: 7.30 Uhr
Absender: | Septimus Heap, Lehrling der Außergewöhnlichen Zauberin Marcia Overstrand |
Liebe Jenna,
können wir uns heute Mittag bei Marcellus treffen? Ich habe eben eine Nachricht von ihm erhalten! Eine richtig gute! Ich glaube, er hat sich endlich an ein paar Dinge erinnert. Er hat etwas von Nicko, das er uns geigen möchte, und er sagt, es bestehe vielleicht doch die Möglichkeit, dass Nicko zurückkommt!!!! Bis später.
Dein
Septimus xxxx
Jenna war so aufgeregt, dass sie kaum stillsitzen, geschweige denn bis Mittag warten konnte. Nach einem weiteren betrüblichen Frühstück mit Sarah Heap war sie auf ihr Zimmer geflüchtet und versuchte nun, die Stunden des Wartens sinnvoll zu füllen. Nicht ahnend, dass sie von einer mit sich ringenden Ratte beobachtet wurde, las sie in einem dicken Buch.
Weit über ihr holte Stanley tief Luft und sprang in die Tiefe. Er landete auf dem Bett, wurde hoch in die Luft katapultiert, kam auf dem Kaminvorleger unsanft wieder herunter und verknackste sich den Fuß. »Autsch!«, stöhnte er, schlug einen Purzelbaum und knallte mit dem Kopf gegen den Kohleeimer.
Jenna fuhr in die Höhe. »Stanley?«, stieß sie hervor.
Stanley sprang auf, zuckte vor Schmerz zusammen und salutierte. »Zu Diensten, Majestät.«
»Noch bin ich keine Majestät«, korrigierte ihn Jenna. »Erst wenn ich damit gekrönt bin.« Sie schnitt ein Gesicht und deutete auf eine sehr schöne, aber schlichte Krone, die auf einem roten Samtkissen auf dem Kaminsims ruhte.
»Oh«, sagte Stanley etwas eingeschüchtert. »Sie sieht ziemlich schwer aus. Die würde ich nicht den ganzen Tag tragen wollen.«
»Ich auch nicht«, erwiderte Jenna. »Und ich habe auch nicht die Absicht, es zu tun. Wissen Sie, Stanley, Sie tauchten immer gerade dann auf, wenn ich am wenigsten damit rechne. Wie geht es Ihnen ... und Dawnie?«
»Mir geht es gut«, antwortete er. »Und ich vermute mal, dass es auch Dawnie gut geht. Jedenfalls behauptet sie das immer.«
»Oh«, sagte Jenna, »dann steht es nicht gut zwischen Ihnen?«
»Nein, Majestät. Aber wir haben uns in Freundschaft getrennt. Na ja, sie sah mich jedenfalls irgendwie freundschaftlich an, als ich ging. Wie ich fand. Allerdings hat sie in dem Moment auch Kuchen gegessen, und davon bekommt sie immer gute Laune.«
»Das tut mir aufrichtig leid, Stanley.«
»Mir nicht«, erwiderte er knapp.
»Und ... äh ... was fangen Sie jetzt mit Ihrem Leben an?«, fragte Jenna.
»Ich halte mich auf Trab. Ich kann nicht klagen. Besuche alte Freunde, hole Versäumtes nach, pflege Kontakte, Sie wissen ja, wie das ist. Zuletzt war ich freiberuflich tätig – eine Mission in die Ödlande.«
Jenna erschauderte. »Grässliche Gegend.«
»Ganz Ihrer Meinung, Majestät. Und erst die Bewohner. Denen möchte ich nicht in dunkler Nacht begegnen. Genau genommen, möchte ich ihnen überhaupt nicht begegnen. Aber ich will mich jetzt hier niederlassen. Trautes Heim, Glück allein, wie es so schön heißt. Und ich hätte Ihnen einen Vorschlag zu unterbreiten, wenn es Ihnen nichts ausmacht, mir Ihr Ohr zu leihen. Natürlich nur, wenn Sie nicht zu beschäftigt sind. Sonst kann ich später wiederkommen. Die Sorgen und Nöte Ihres frischen königlichen Amtes lasten gewiss schwer auf Ihren jungen Schultern.«
»Im Moment lese ich nur, Stanley. Später habe ich eine Verabredung. Sie ist sehr wichtig, und bevor ich gehe, möchte ich so viel wie möglich in Erfahrung bringen.«
»Sehr klug. Immer gut gewappnet sein. Ist aber ein dickes Buch, das Sie da haben. Wäre für mich nicht unbedingt das Richtige.«
»Ja«, seufzte Jenna, »es ist ziemlich dick, und schwierig obendrein. Es handelt von der Zeit.«
»Apropos Zeit. Ich habe mir gedacht, dass es höchste Zeit wird zurückzukehren. Ich bin viel zu lange weg gewesen. Aber wie ich bereits sagte: Ich hätte Ihnen einen Vorschlag zu unterbreiten, der auch für Sie von Vorteil sein könnte. Soll ich weiterreden?«
Jenna schmunzelte. »Nun, das tun Sie doch immer«, sagte sie, klappte das Buch zu und legte es auf den Teppich. »Nehmen Sie Platz. Setzen Sie sich auf mein Buch.«
»Äh ... vielen Dank, Majestät, aber ich glaube, ich bleibe lieber stehen. Hier also mein Vorschlag: Wenn ich mit Ihrer gütigsten Erlaubnis den Wachturm am Osttor wiedereröffnen und den schmerzlich vermissten amtlichen Botenrattendienst wiederbeleben könnte, wäre es mir eine Ehre, Ihnen im ersten Jahr bei den Gebühren einen beträchtlichen Preisnachlass zu gewähren ...«
»Der Palast musste früher überhaupt keine Gebühren bezahlen«, unterbrach ihn Jenna.
»Tatsächlich? Dann im ersten Jahr eben gebührenfrei. Und eine persönliche Leibwächterratte und Expresszustellung rund um die Uhr würde ich noch gratis dazugeben.«
»Schön«, befand Jenna. »Fahren Sie fort.«
Stanley setzte sich auf das Buch. »Sind Sie sicher?«, fragte er.
»Ja. Wir könnten den Botenrattendienst gebrauchen. Er fehlt uns wirklich. Nur ist mir ein Rätsel, wo Sie die Ratten herkriegen wollen. Sie sind alle verschwunden. Sie sind die erste Ratte, die ich seit Langem sehe.«
Stanley sprang auf und salutierte erneut – eine Gewohnheit, die er unlängst in Port von einer alten Schiffsratte übernommen hatte. »Kein Problem«, vermeldete er. »Es bedarf einer Ratte, um Ratten zu finden. Ich halte Sie auf dem Laufenden, Majestät. Der Leibwächter wird Ihnen baldmöglichst ... Potzdonner, Sie haben ja eine Katze!« Unter dem Bett war eine rote Katze hervorgekrochen. Sie war mager und nicht viel größer als Stanley, aber sie hatte einen stählernen Glanz in ihren blauen Augen, der ihm nicht gefiel. Ganz und gar nicht gefiel. Stanley, der niemals eine Katze vergaß, hatte das Gefühl, sie irgendwo schon einmal gesehen zu haben.
»Oh ... ja. Die habe ich in Pflege genommen. Ganz ruhig, Ullr«, sagte Jenna, als sie sah, dass die Katze zum Sprung ansetzte.
»Das Angebot, Ihnen einen Leibwächter zu schicken, muss ich leider widerrufen«, sagte Stanley und wich zurück. »Jedenfalls solange die Katze im Haus ist. Ich darf Leib und Leben meiner Mitarbeiter nicht aufs Spiel setzen.«
Jenna nahm Ullr auf den Arm und hielt ihn fest. »Keine Sorge. Ullr ist der beste Leibwächter, den ich mir wünschen kann.«
Stanley beäugte die Katze. »Etwas klein geraten für einen Leibwächter, finden Sie nicht?« Ullr fuhr die Krallen aus und versuchte, sich Jennas Griff zu entwinden. Stanley trat eilends den Rückzug an. »Ich darf mich dann verabschieden, Majestät. Und vielen Dank. Auf Wiedersehen.«
Jenna stand auf und öffnete ihm die Tür. »Ist schon in Ordnung, Sir Hereward«, beruhigte sie den Geist, der gerade ausholte, um ein zweites Mal nach der Ratte zu hauen. »Er ist ein Freund.«
Stanley eilte den Korridor entlang, hüpfte flink die geschwungene Palasttreppe hinunter und stolzierte hoch erhobenen Hauptes durch den Haupteingang aus dem Palast. Jennas Worte klangen ihm noch in den Ohren. Er ist ein Freund. Ein Freund des Königshauses.
Wenn Dawnie ihn jetzt sehen könnte.