V
»Sie ist jetzt seit einer Stunde da drin.« Chireadan drehte die Sanduhr auf dem Tisch um. »Ich beginne mir Sorgen zu machen. Stand es denn um Rittersporns Kehle derart schlecht? Meinst du nicht, dass wir bei ihnen da oben nachsehen sollten?«
»Sie hat ziemlich deutlich zu verstehen gegeben, dass sie das nicht will.« Geralt trank den Becher mit Kräutersud aus und verzog ungnädig das Gesicht. Er schätzte und liebte die sesshaften Elfen für ihre Intelligenz, die ruhige Zurückhaltung und den eigenartigen Sinn für Humor, doch ihre Vorlieben in Bezug auf Essen und Trinken verstand und teilte er nicht. »Ich habe nicht vor, sie zu stören, Chireadan. Magie erfordert Zeit. Meinetwegen kann es einen ganzen Tag lang dauern, Hauptsache, Rittersporn wird gesund.«
»Da hast du freilich recht.«
Im Nebenraum ertönten Hammerschläge. Wie sich erwies, wohnte Errdil in einem aufgegebenen Gasthof, den er gekauft hatte, um ihn zu renovieren und gemeinsam mit seiner Frau, einer zurückhaltenden und schweigsamen Elfe, zu führen. Ritter Vratimir, der sich nach der gemeinsam in der Wachstube verbrachten Nacht der Gesellschaft angeschlossen hatte, hatte aus eigenem Antrieb seine Hilfe bei den Reparaturarbeiten angeboten. Gemeinsam mit dem Ehepaar hatte er sich an die Erneuerung der Täfelung gemacht, sobald sich die Verwirrung wegen des plötzlichen und spektakulären Auftauchens des Hexers und Yennefers gelegt hatte, die im Lichtschein des Portals aus der Wand hervorgesprungen waren.
»Ehrlich gesagt«, fuhr Chireadan fort, »ich hatte nicht erwartet, dass du es so leicht schaffen würdest. Yennefer gehört nicht zu den besonders spontanen Personen, wenn es um Hilfeleistung geht. Die Sorgen der Mitmenschen verursachen ihr kein Herzdrücken und bringen sie nicht um den Schlaf. Kurzum, ich habe nicht gehört, dass sie jemals jemandem uneigennützig geholfen hätte. Was mag sie wohl für ein Interesse haben, dir und Rittersporn zu helfen?«
»Übertreibst du nicht?« Der Hexer lächelte. »Auf mich hat sie keinen gar so schlechten Eindruck gemacht. Ihre Überlegenheit kehrt sie freilich gern heraus, aber im Vergleich zu anderen Zauberern, zu dieser ganzen hochnäsigen Bande, ist sie ein Muster an Tugend und ein Ausbund an gutem Willen.«
Chireadan lächelte ebenfalls. »Das ist ungefähr so, als ob du der Ansicht wärst, ein Skorpion sei schöner als eine Spinne, weil er so einen hübschen Schwanz hat. Sieh dich vor, Geralt. Du bist nicht der Erste, der sie so einschätzt, ohne zu wissen, dass sie aus Tugend und Schönheit eine Waffe gemacht hat. Eine Waffe, derer sie sich überaus geschickt und skrupellos bedient. Was natürlich nichts an der Tatsache ändert, dass sie eine faszinierend schöne Frau ist. Das wirst du doch nicht leugnen?«
Geralt warf einen scharfen Blick auf den Elf. Zum zweiten Mal kam es ihm so vor, als bemerke er auf seinem Gesicht einen Anflug von Röte. Das erstaunte ihn nicht weniger als Chireadans Worte. Reinblütige Elfen interessierten sich für gewöhnlich nicht für Menschenfrauen. Nicht einmal für die sehr schönen. Yennefer indes war zwar auf ihre Art attraktiv, doch als Schönheit konnte sie nicht gelten.
Über Geschmack ließ sich nicht streiten, doch im Grunde fiel es kaum jemandem ein, Zauberinnen »schön« zu nennen. Alle stammten ja aus Gesellschaftskreisen, wo es die einzige Bestimmung von Töchtern war, zu heiraten. Wer dachte schon daran, seine Tochter zu jahrelangen mühseligen Studien und zur Folter der körperlichen Veränderungen zu verurteilen, wenn man sie verheiraten und sich vorteilhaft verschwägern konnte? Wer wollte eine Zauberin in der Familie haben? Bei allem Respekt, den Magier genossen, hatte die Familie einer Zauberin nicht den geringsten Nutzen von ihr, denn noch ehe das Mädchen seine Ausbildung beendete, verlor es alle Bindungen an die Familie – es zählte nur die Bruderschaft. Darum wurden nur Töchter Zauberinnen, deren Chancen, einen Mann zu finden, gleich null waren.
Im Gegensatz zu Priesterinnen und Druidinnen, die ungern hässliche oder verkrüppelte Mädchen aufnahmen, akzeptierten die Zauberer jede, die die nötige Veranlagung erkennen ließ. Wenn das Kind allerdings nicht während der ersten Lehrjahre ausgesiebt wurde, trat die Magie auf den Plan – sie machte Beine gerade und gleich, reparierte schlecht zusammengewachsene Knochen, flickte Hasenscharten, ließ Narben, Male und die Spuren der Pocken verschwinden. Die junge Zauberin wurde »attraktiv«, denn so erforderte es das Prestige ihres Berufes. Das Ergebnis waren Frauen mit dem Anschein von Schönheit und den bösen und kalten Augen hässlicher Weiber. Von Weibern, die ihre von einer magischen Maske verdeckte Hässlichkeit nicht vergessen konnten, einer Maske, die nicht ihrem Glück diente, sondern allein dem beruflichen Ansehen.
Nein, Geralt verstand Chireadan nicht. Seine Augen, die Augen eines Hexers, registrierten zu viele Einzelheiten.
»Nein, Chireadan«, beantwortete er die Frage. »Ich leugne es nicht. Ich danke dir auch für die Warnung. Aber hier geht es ausschließlich um Rittersporn. Er hat in meiner Gegenwart Schaden genommen. Ich habe ihn nicht davor zu bewahren vermocht, konnte ihm nicht helfen. Wenn ich wüsste, dass es ihn gesund macht, würde ich mich mit bloßem Hintern auf einen Skorpion setzen.«
»Gerade davor musst du dich hüten.« Der Elf lächelte rätselhaft. »Denn Yennefer weiß das, und sie nutzt dieses Wissen gern aus. Trau ihr nicht, Geralt. Sie ist gefährlich.«
Er antwortete nicht.
Oben quietschte eine Tür. Yennefer stand an der Treppe, aufs Geländer der Galerie gestützt. »Hexer, könntest du für einen Augenblick heraufkommen?«
»Natürlich.«
Die Zauberin lehnte sich mit dem Rücken an die Tür eines der wenigen halbwegs eingerichteten Zimmer, wo der kranke Troubadour untergebracht worden war. Der Hexer ging hinauf und betrachtete sie schweigend. Er sah ihre linke Schulter, ein winziges Stück höher als die rechte. Die Nase – ein winziges Stück zu lang. Die Lippen – ein bisschen zu schmal. Das Kinn – ein wenig zu kurz. Die Brauen – nicht gleichmäßig genug. Die Augen ...
Er sah zu viele Einzelheiten. Ganz unnötigerweise.
»Was ist mit Rittersporn?«
»Zweifelst du an meinen Fähigkeiten?«
Er blickte sie weiter an. Sie hatte die Figur einer Zwanzigjährigen, obwohl er ihr wahres Alter lieber nicht raten wollte. Sie bewegte sich mit natürlicher, zwangloser Grazie. Nein, es ließ sich nicht ahnen, wie sie früher gewesen, was an ihr verändert worden war. Er hörte auf, darüber nachzudenken, es hatte keinen Sinn.
»Dein talentierter Freund wird gesund«, sagte sie. »Er wird seine stimmlichen Fähigkeiten zurückgewinnen.«
»Du hast meine Dankbarkeit, Yennefer.«
Sie lächelte. »Du wirst imstande sein, sie zu beweisen.«
»Kann ich zu ihm hineinschauen?«
Sie schwieg für einen Augenblick, betrachtete ihn mit seltsamem Lächeln und trommelte mit den Fingern gegen den Türrahmen. »Natürlich. Komm herein.«
Das Medaillon am Halse des Hexers begann heftig und rhythmisch zu zittern.
Auf der Mitte des Fußbodens lag eine milchiges Licht verströmende Glaskugel von der Größe einer kleinen Melone. Die Kugel bezeichnete den Mittelpunkt eines neunzackigen Sterns, der genau gezeichnet war und mit den Spitzen an die Ecken und Wände des kleinen Zimmers reichte. Dem Stern einbeschrieben war ein mit roter Farbe gemaltes Pentagramm. Die Enden des Pentagramms wurden von schwarzen Kerzen markiert, die in sonderbar geformten Leuchtern steckten. Schwarze Kerzen brannten auch am Kopfende des Bettes, auf dem der mit Schaffellen zugedeckte Rittersporn ruhte. Der Dichter atmete ruhig, keuchte und krächzte nicht mehr, von seinem Gesicht war die Grimasse des Schmerzes gewichen, und an ihre Stelle war ein dümmliches, glückliches Lächeln getreten.
»Er schläft«, sagte Yennefer. »Und träumt.«
Geralt sah sich die auf den Boden gezeichneten Muster an. Die darin verborgene Magie war zu spüren, doch er wusste, dass diese Magie schlief, noch nicht geweckt war. Sie ließ an die Laute eines schlafenden Löwen denken, doch sie vermittelte einen Begriff davon, wie das Gebrüll des Löwen sein mochte.
»Was ist das, Yennefer?«
»Eine Falle.«
»Für wen?«
»Für dich. Vorläufig.« Die Zauberin drehte den Schlüssel im Schloss herum, dann in der Hand. Der Schlüssel verschwand.
»Ich bin also gefangen«, sagte er kühl. »Was nun? Wirst du meine Tugend auf die Probe stellen?«
»Bilde dir nur nichts ein.« Yennefer setzte sich auf den Bettrand. Rittersporn, noch immer dümmlich lächelnd, seufzte leise. Es war ohne Zweifel ein Wonneseufzer.
»Worum geht es hier, Yennefer? Wenn das ein Spiel ist, dann kenne ich die Regeln nicht.«
»Ich habe erwähnt«, begann sie, »dass ich immer bekomme, was ich will. Es hat sich aber so ergeben, dass ich etwas haben will, was Rittersporn besitzt. Ich werde es ihm wegnehmen, und wir trennen uns. Keine Angst, er wird keinen Schaden nehmen . . .«
»Das sonderbare Zeug, das du am Boden aufgestellt hast«, unterbrach er sie, »dient zur Dämonenbeschwörung. Und wo Dämonen beschworen werden, nimmt immer jemand Schaden. Ich werde das nicht erlauben.«
». .. ihm wird kein Haar gekrümmt«, fuhr die Zauberin fort, ohne seinen Worten die geringste Beachtung zu schenken. »Sein Stimmchen wird noch schöner sein, und er wird sehr zufrieden, geradezu glücklich sein. Wir alle werden glücklich sein. Und wir werden uns trennen, ohne Bedauern, ohne Kränkung.«
»Ach, Virginia«, seufzte Rittersporn, ohne die Augen zu öffnen. »Wie schön sind deine Brüste, zarter als Schwanenflaum . . .«
»Hat er den Verstand verloren? Phantasiert er?«
»Er träumt.« Yennefer lächelte. »Sein Wunsch erfüllt sich. Ich habe sein Hirn bis zum Grunde sondiert. Viel war da nicht. Ein bisschen Schweinerei, ein paar Wünsche, eine Menge Poesie. Lassen wir das. Das Siegel, mit dem die Flasche des Dschinn verschlossen war, Geralt. Ich weiß, dass nicht der Troubadour es besitzt, sondern du. Ich bitte darum.«
»Wozu brauchst du dieses Siegel?«
»Wie soll ich jetzt auf deine Frage antworten?« Die Zauberin lächelte flüchtig. »Versuchen wir es so: Das geht dich einen Dreck an, Hexer. Bist du mit dieser Antwort zufrieden?«
»Nein.« Er lächelte ebenfalls, und ebenso boshaft. »Ich bin nicht zufrieden. Aber mach dir deswegen keine Vorwürfe, Yennefer. Ich bin schwer zufriedenzustellen. Bisher ist das nur Leuten gelungen, die über den Durchschnitt hinausragten.«
»Schade. Dann bleibst du eben unbefriedigt. Dein Pech. Das Siegel, bitte. Zieh kein Gesicht, das nicht zu deiner Art von Schönheit und deinem Teint passt. Falls du es noch nicht bemerkt hast, sollst du wissen, dass jetzt die Gegenleistungen nötig werden, die du mir schuldest. Das Siegel ist die erste Rate des Preises für die Stimme des Sängers.«
»Wie ich sehe, hast du den Preis auf viele Raten verteilt«, sagte er kalt. »Gut. Ich hatte das erwarten können und habe es erwartet. Aber es soll ein ehrlicher Handel sein, Yennefer. Ich habe deine Hilfe gekauft. Und ich werde bezahlen.«
Sie verzog die Lippen zu einem Lächeln, doch ihre veilchenblauen Augen blieben unbewegt und kalt. »Was das betrifft, Hexer, so darfst du daran nicht zweifeln.«
»Ich«, wiederholte er. »Aber nicht Rittersporn. Ich werde ihn von hier an einen sicheren Ort bringen. Wenn ich das getan habe, komme ich wieder und bezahle die zweite Rate und die folgenden. Denn was die erste betrifft . . .«
Er griff in die Geheimtasche im Gürtel, holte das Messingsiegel mit dem Zeichen des Sterns und des gebrochenen Kreuzes hervor.
»Bitte, nimm. Nicht als Rate. Nimm es vom Hexer als Beweis des Dankes dafür, dass du ihn, wenngleich aus Berechnung, besser behandelt hast, als es die meisten von deinen Berufsgenossen getan hätten. Nimm es als Zeichen des guten Willens, das dich überzeugen soll, dass ich, sobald ich für die Sicherheit des Freundes gesorgt habe, hierher zurückkehren werde, um zu bezahlen. Ich habe den Skorpion zwischen den Blumen übersehen, Yennefer. Ich bin bereit, für meine Unaufmerksamkeit zu bezahlen.«
»Eine schöne Rede.« Die Zauberin verschränkte die Arme vor der Brust. »Rührend und pathetisch. Nur leider vergebens. Ich brauche Rittersporn, und er bleibt hier.«
»Er war schon einmal in der Nähe dessen, was du herbeirufen willst.« Geralt wies auf die Muster am Fußboden. »Wenn du fertig bist und den Dschinn herbeibeschwörst, wird Rittersporn trotz deiner Beteuerungen mit Sicherheit Schaden nehmen, vielleicht schlimmer als zuvor. Denn um das Geschöpf aus der Flasche geht es dir doch, nicht wahr? Du hast vor, dich seiner zu bemächtigen, es dir dienstbar zu machen? Du brauchst nicht zu antworten, ich weiß, das geht mich einen Dreck an. Also tu, was du willst, beschwöre meinetwegen zehn Dämonen. Aber ohne Rittersporn. Wenn du Rittersporn ein Leid zufügst, dann ist das kein ehrlicher Handel mehr, Yennefer, und du hast kein Recht, dafür eine Bezahlung zu verlangen. Ich lasse nicht zu . . .«
Er verstummte.
»Ich war neugierig, wann du es merken würdest«, kicherte die Zauberin.
Geralt spannte die Muskeln an, sammelte seinen ganzen Willen, biss die Zähne zusammen, dass es wehtat. Es half nichts. Er war wie gelähmt, wie ein steinernes Standbild, wie eine in den Boden gerammte Säule. Er konnte nicht einmal eine Zehe im Stiefel regen.
»Ich wusste, dass du imstande bist, einen direkten Zauber abzuwehren«, sagte Yennefer. »Ich wusste auch, dass du, ehe du irgendetwas unternimmst, versuchen würdest, mich mit Beredsamkeit zu beeindrucken. Du hast geredet, und der über dir schwebende Zauber hat gewirkt und dich langsam gebrochen. Jetzt kannst du nur noch sprechen. Aber du brauchst mich nicht mehr zu beeindrucken. Ich weiß, dass du beredt bist. Weitere Anstrengungen in dieser Richtung können die Wirkung nur noch schmälern.«
»Chireadan . . .«, sagte er mit Mühe, während er noch immer gegen die magische Lähmung anzukämpfen versuchte. »Chireadan wird merken, dass du etwas im Schilde führst. Er wird es schnell merken, wird jeden Augenblick Verdacht schöpfen, denn er traut dir nicht. Er hat dir von Anfang an nicht getraut . . .«
Die Zauberin machte eine ausholende Handbewegung. Die Zimmerwände verschwammen und nahmen eine gleichmäßige schmutziggraue Beschaffenheit und Farbe an. Es verschwanden die Türen, die Fenster, es verschwanden sogar die staubigen Portieren und die vom Fliegendreck scheckigen Muster an der Wand.
»Und was ist, wenn Chireadan es merkt?« Sie lächelte boshaft. »Glaubst du, er kommt dir zu Hilfe geeilt? Meine Barriere durchdringt niemand. Aber Chireadan wird nirgendwohin eilen, er wird nichts gegen mich unternehmen. Nichts. Er steht in meinem Bann. Nein, das hat nichts mit Zauberei zu tun, ich habe nichts in dieser Richtung getan. Die gewöhnliche Chemie des Organismus. Er hat sich in mich verliebt, der Trottel. Hast du das nicht gewusst? Er hatte sogar vor, Beau zu einem Zweikampf herauszufordern, kannst du dir das vorstellen? Ein Elf, und dann eifersüchtig. Das kommt selten vor. Geralt, ich habe dieses Haus nicht ohne Grund gewählt.«
»Beau Berrant, Chireadan, Errdil, Rittersporn. Du gehst wirklich auf dem einfachsten Weg zum Ziel. Aber mich, Yennefer, wirst du nicht benutzen.«
»Und ob ich dich benutze.« Die Zauberin stand vom Bett auf, ging durchs Zimmer und wich dabei sorgfältig den auf den Boden gemalten Zeichen und Symbolen aus. »Ich habe doch gesagt, dass du mir für die Heilung des Dichters etwas schuldest. Es handelt sich um eine Lappalie, einen kleinen Dienst. Nach dem, was ich jetzt hier erledigen will, werde ich sofort aus Rinde verschwinden, aber ich habe in diesem Nest noch gewisse ... sagen wir: offene Rechnungen. Einigen Leuten hier habe ich etwas versprochen, und ich halte meine Versprechen immer. Weil ich es aber selber nicht mehr schaffe, wirst du diese Versprechen für mich einlösen.«
Er kämpfte, kämpfte mit ganzer Kraft. Vergebens.
»Quäl dich nicht, kleiner Hexer.« Nun war das Lächeln voll beißendem Spott. »Das hilft nichts. Du hast einen starken Willen und große Widerstandskraft gegen Magie, aber mit mir und meinen Sprüchen kannst du dich nicht messen. Und spiel mir keine Komödie vor. Versuch nicht, mich mit deiner harten und trotzigen Männlichkeit zu umgarnen. Du bist nur in deiner eigenen Vorstellung hart und trotzig. Um den Freund zu retten, hättest du für mich alles getan, auch ohne Zauberei, hättest jeden Preis gezahlt, mir die Stiefel geleckt. Und vielleicht noch was anderes, wenn ich unverhofft etwas Kurzweil gebraucht hätte.«
Er schwieg. Yennefer stand lächelnd vor ihm und spielte mit dem an die Samtbluse gehefteten Stern aus Obsidian, dessen Brillanten funkelten.
»Schon in Beaus Schlafzimmer«, fuhr sie fort, »kaum dass wir ein paar Worte gewechselt hatten, wusste ich, was ich von dir zu halten hatte. Und ich wusste, in welcher Münze ich von dir den Preis fordern würde. Meine Rechnungen in Rinde hätte jeder begleichen können, zum Beispiel Chireadan. Doch tun wirst du es, denn du musst bezahlen. Für die vorgetäuschte Härte, für den kalten Blick, für die Augen, die jede Einzelheit erfassen, für das steinerne Gesicht, für den spöttischen Ton. Für die Meinung, du könntest Yennefer von Vengerberg die Stirn bieten und sie für ein hochnäsiges Weib halten, das sich selbst anbetet, für eine berechnende Hexe, und zugleich ihre eingeseiften Titten mit den Augen verschlingen. Bezahle, Geralt von Riva!«
Sie packte ihn mit beiden Händen bei den Haaren und küsste ihn heftig auf den Mund, saugte sich wie ein Vampir daran fest. Das Medaillon am Halse ruckte, Geralt hatte den Eindruck, dass sich die Kette verdrehte und ihn wie eine Garotte würgte. In seinem Kopf flammte ein helles Licht auf, in den Ohren begann es schrecklich zu tosen. Er sah die veilchenblauen Augen der Zauberin nicht mehr, versank in Dunkelheit.
Er kniete. Yennefer sprach zu ihm mit sanfter, weicher Stimme.
»Hast du es dir gemerkt?«
»Ja, Herrin.«
Es war seine eigene Stimme.
»Dann geh und erfülle meine Aufträge.«
»Zu Befehl, Herrin.«
»Du darfst mir die Hand küssen.«
»Danke, Herrin.«
Er fühlte, wie er sich ihr auf Knien näherte. In seinem Kopf surrten zehntausend Bienen. Ihre Hand roch nach Flieder und Stachelbeeren. Flieder und Stachelbeeren ... Flieder und Stachelbeeren ... Ein Blitz. Dunkelheit.
Das Geländer, die Treppe. Das Gesicht Chireadans.
»Geralt! Was ist mit dir? Geralt, wohin?«
»Ich muss . . .« Seine eigene Stimme. »Muss gehen . . .«
»Götter! Seht euch seine Augen an!«
Das Gesicht Vratimirs, von Entsetzen verzerrt. Das Gesicht Errdils. Und die Stimme Chireadans.
»Nein! Errdil, nein! Rührt ihn nicht an und versucht ihn nicht aufzuhalten! Aus dem Weg, Errdil! Geh ihm aus dem Weg!«
Der Geruch von Flieder und Stachelbeeren ... Flieder und Stachelbeeren ...
Die Tür. Die explodierende Sonne. Heiß. Schwül. Der Geruch von Flieder und Stachelbeeren. Es wird ein Gewitter geben, dachte er.
Und das war sein letzter klarer Gedanke.