IV

»Also weißt du, Geralt« – Rittersporn legte sich ein im Bottich gekühltes Hufeisen auf die Stirn –, »das hätte ich nicht erwartet. So ein gehörnter Tölpel mit Ziegenbart, so ein fellbewachsener Bock, und hat dich wie den ersten besten armen Schlucker gejagt. Und ich hab eins auf den Kopf gekriegt. Sieh doch, was ich für eine Beule habe!«

»Du zeigst sie mir zum sechsten Mal. Sie sieht nicht größer aus als beim ersten.«

»Wie nett von dir. Und ich dachte, dass ich zusammen mit dir in Sicherheit bin!«

»Ich habe dich nicht gebeten, mir in den Hanf nachzulaufen. Ich habe dich vielmehr gebeten, deine vorlaute Zunge im Zaum zu halten. Du hast nicht auf mich gehört, also musst du jetzt leiden. Und zwar still, wenn ich bitten darf, denn es kommt gerade jemand.«

In die Stube traten Brennessl und der untersetzte Dhun. Hinter ihnen trippelte ein Großmütterchen, grau und krumm wie eine Brezel, von einer blonden und frappierend mageren Halbwüchsigen geführt.

»Herr Dhun, Herr Brennessl«, begann der Hexer ohne Vorrede. »Ehe ich aufgebrochen bin, habe ich gefragt, ob Ihr schon selbst versucht habt, etwas mit diesem Eurem Teufel zu unternehmen. Ihr habt gesagt, dass Ihr nichts getan hättet. Ich habe Grund zu der Annahme, dass dem nicht so war. Ich erwarte Erklärungen.«

Die Dörfler murmelten miteinander, worauf Dhun in die Faust hüstelte und einen Schritt vortrat. »Recht habt Ihr, Herr. Verzeiht bitte. Wir haben geschwindelt, denn die Scham hat uns verzehrt. Wir wollten den Teufel selber überlisten, damit er von uns wiche . . .«

»Auf welche Weise?«

»Bei uns im Tal«, sprach Dhun langsam, »sind schon früher Scheusale aufgetaucht. Drachen in der Luft, Winder am Erdboden, Wurdulaken, Fangpire, gewaltig große Spinnen und allerlei Schlangengezücht. Wir aber haben allemal Mittel gegen die Brut in unserem Buche gesucht.«

»In welchem Buche?«

»Zeigt das Buch, Großmutter. Das Buch, sag ich. Das Buch! Gleich fahr ich aus der Haut! Stocktaub! Lille, sag der Großmutter, sie soll das Buch zeigen!«

Das blonde Mädchen entwand den klauenförmigen Fingern der Alten ein großes Buch und reichte es dem Hexer.

»In selbigem Buche«, fuhr Dhun fort, »wo wir seit unvordenklichen Zeiten in unserem Geschlecht bewahren, stehen Mittel gegen alle Ungeheuer, Zauber und Sonderlichkeiten, die es auf der Welt gab, gibt oder geben wird.«

Geralt drehte einen schweren, dicken, mit einer dichten Staubschicht bedeckten Band in den Händen. Das Mädchen stand noch immer vor ihm und knüllte ihre Schürze zwischen den Händen. Sie war älter, als er zunächst angenommen hatte – ihn hatte ihre filigrane Gestalt getäuscht, die sich so von der kräftigen Figur der anderen Dorfmädchen unterschied, die gewiss gleichaltrig mit ihr waren.

Er legte das Buch auf den Tisch und schlug den schweren Holzdeckel auf.

»Wirf ein Auge darauf, Rittersporn.«

»Die Ersten Runen«, urteilte der Barde, während er ihm über die Schulter sah, das Hufeisen noch immer an die Stirn gepresst. »Die älteste Schrift, die bis zur Einführung des modernen Alphabets in Gebrauch war. Noch auf Grundlage der Elfenrunen und der Bilderschrift der Zwerge. Ein merkwürdiger Stil, aber so ist damals gesprochen worden. Interessante Zeichnungen und Illuminationen. So was kriegt man nicht oft zu sehen, Geralt, und wenn schon, dann in Tempelbibliotheken und nicht in Dörfern am Rande der Welt. Bei allen Göttern, wo habt Ihr das her, liebe Landleute? Ihr wollt uns doch nicht etwa sagen, dass Ihr das lesen könnt? Großmutter? Kannst du die Ersten Runen lesen? Kannst du überhaupt Runen lesen?«

»Hää?«

Das blonde Mädchen trat an die Großmutter heran und flüsterte ihr etwas ins Ohr.

»Lesen?« Die Alte öffnete lächelnd den zahnlosen Mund. »Ich? Nein, mein Herzchen! Dieser Kunst bin ich nicht mächtig.«

»Erklärt mir«, sagte Geralt kühl, an Dhun und Brennessl gewandt, »wie ihr das Buch benutzt, ohne Runen lesen zu können?«

»Die älteste Frau weiß immer, was im Buche steht«, sagte Dhun finster. »Und was sie weiß, bringt sie einer jungen bei, wenn allmählich ihre Zeit kommt. Ihr seht selbst, dass es für unsere Großmutter schon so weit ist. Die Großmutter hat sich jetzt Lille genommen und lehrt sie. Aber vorläufig weiß die Großmutter es am besten.«

»Die alte Hexe und die junge«, murmelte Rittersporn. »Wenn ich recht verstehe«, sagte Geralt ungläubig, »kennt die Großmutter das ganze Buch auswendig? Ist es so? Großmutter?«

»Nicht das ganze, wie denn«, gab die Alte zur Antwort, wieder mit der Vermittlung Lilles, »nur das, was unter den Bildern steht.«

»Aha.« Geralt blätterte aufs Geratewohl um. Das Bild auf der abgegriffenen Seite stellte ein geflecktes Schwein mit Hörnern in Form einer Lyra dar. »Also zeigt, was Ihr könnt, Großmutter. Was steht hier geschrieben?«

Die Großmutter begann zu schniefen, betrachtete die Zeichnung, dann schloss sie die Augen. »Der gehörnte Auerochs oder Taurus«, rezitierte sie. »Von manchen im Irrtum Wisent genannt. Hat Hörner und stößt damit . . .«

»Das reicht. Sehr gut, wirklich.« Der Hexer blätterte ein paar aneinanderklebende Seiten um. »Und hier?«

»Sind allerlei Wolkler und Flammler. Die einen lassen regnen, die anderen säen Wind, die Dritten schleudern Blitze. Willst du die Ernte vor ihnen bewahren, so nimm ein eisernes Messer, ein neues, vom Mäusedreck drei Lot, vom Graureiherschmalz . . .«

»Gut, bravo. Hmm ... Und hier? Was ist das?«

Die Zeichnung zeigte ein Scheusal mit wirrem Haar zu Pferde, mit riesigen Augen und noch größeren Zähnen. In der rechten Hand hielt das Scheusal ein ansehnliches Schwert, in der linken einen Geldbeutel.

»Der Hexling«, schniefte die Großmutter. »Von manchen Hexer genannt. Ist sehr gefährlich, ihn zu rufen, doch wohl nötig, denn so gegen Ungeheuer und Ungeziefer nichts hilft, so hilft der Hexling. Hab jedoch acht . . .«

»Das genügt«, murmelte Geralt. »Es genügt, Großmutter. Danke.«

»Nein, nein«, widersprach Rittersporn mit boshaftem Lächeln. »Wie geht es weiter? Ein sehr interessantes Buch! Sprecht, Großmutter, sprecht!«

»Äh ... Hab jedoch acht, dass du den Hexling nicht anrührest, denn magst davon die Krätze kriegen. Und die Mägde sollst du vor ihm verbergen, denn der Hexling ist lüstern über jegliches Maß . . .«

»Stimmt aufs Wort.« Der Dichter grinste, Lille aber, wie dem Hexer schien, lächelte kaum merklich.

». .. so auch der Hexling sehr gierig ist und nach dem Golde trachtet«, sprach die Großmutter vor sich hin und blinzelte dabei, »sollst du ihm nicht mehr geben als: für einen Nix einen Silbergroschen oder anderthalb. Für einen Werkater: zwei Silbergroschen. Für einen Vampyr: vier Silbergroschen . . .«

»Das waren Zeiten«, murmelte der Hexer. »Danke, Großmutter. Und jetzt zeigt uns, wo hier vom Teufel die Rede ist und was das Buch über Teufel sagt. Diesmal möchte ich es sehr gern hören, so ich zu wissen trachte, welches Mittel Ihr gegen ihn angewandt habt.«

»Pass auf, Geralt«, kicherte Rittersporn. »Du fängst an, in dem Jargon zu reden. Diese Manier steckt an.«

Die Großmutter wurde mit Mühe ihrer zitternden Hände Herr und blätterte etliche Seiten weiter. Der Hexer und der Dichter beugten sich über den Tisch. In der Tat, auf der Zeichnung prangte der Kugelwerfer, mit Hörnern, Haaren, Schwanz und boshaftem Grinsen.

»Der Teufel«, rezitierte die Großmutter. »Auch Bocksbein oder Silvan genannt. Für Habe und Vieh von gar großem Schaden und Ärgernis. Willst du ihn vom Lande vertreiben, tu also.«

»Na, na«, murmelte Rittersporn.

»Nimm von Nüssen eine Handvoll«, fuhr die Großmutter fort und fuhr dabei mit dem Finger übers Pergament. »Nimm desgleichen von eisernen Kugeln eine andere Handvoll. Von Honig ein Lägel, von Teer ein anderes. Von grauer Seife ein Fässchen, von Quark ein anderes. Wo der Teufel sitzet, dahin geh des Nachts. Und fang an, Nüsse zu essen. Sogleich wird der Teufel, so schmackhafte Speise liebet, herbeikommen und fragen, ob es wohl schmecke. Dann gib ihm die eisernen Kugeln . . .«

»Verdammt sollt ihr sein«, knurrte Rittersporn. »Dass euch doch gleich . . .«

»Still«, sagte Geralt. »Also, Großmutter. Weiter.«

»Hat er sich die Zähne ausgebrochen, wird der Teufel, so er dich Honig essen siehet, auch nach Honig verlangen. Dann gib nämlichem Teufel den Teer, du aber iss den Quark. So du alsbald vernimmst, wie es dem Teufel inwendig knurret und murret, so tu, wie wenn das nichts sei. Will aber der Teufel Quark, so gib ihm die Seife. Nach der Seife indes wird der Teufel nicht an sich halten können . . .«

»Seid ihr bis zur Seife gekommen?«, unterbrach Geralt sie mit steinerner Miene, zu Dhun und Brennessl gewandt.

»Woher denn«, seufzte Brennessl. »Nicht mal richtig bis zu den Kugeln. Och, Herr, hat der’s uns gegeben, wie er auf eine Kugel gebissen hat . . .«

»Und wer hat euch geheißen«, fragte Rittersporn wütend, »ihm so viel Kugeln zu geben? Steht doch im Buche, nur eine Handvoll. Ihr aber habt ihm von nämlichen Kugeln einen ganzen Sack voll gegeben! Habt ihn für gut zwei Jahr mit Munition versorget, ihr Dummköpfe!«

»Pass auf«, bemerkte der Hexer lächelnd. »Du verfällst in den Jargon. Das steckt an.«

»Danke.«

Geralt hob ruckartig den Kopf, schaute dem neben der Großmutter stehenden Mädchen in die Augen. Lille senkte ihre Augen nicht; sie waren klar und von einem irren Blau.

»Warum bringt ihr dem Teufel Opfer in Form von Korn dar?«, fragte er scharf. »Man sieht doch, dass er ein typischer Pflanzenfresser ist.«

Lille antwortete nicht.

»Ich habe dich etwas gefragt, Mädchen. Hab keine Angst, vom Reden mit mir kriegt man keine Krätze.«

»Stellt ihr keine Fragen, Herr«, meldete sich Brennessl mit hörbarem Unbehagen in der Stimme. »Lille ... Sie ist ... seltsam. Sie wird Euch nicht antworten, nötigt sie nicht.«

Geralt schaute noch immer in Lilles Augen, und Lille hatte sie noch immer nicht gesenkt. Er spürte, wie ihm ein Schauder über den Rücken lief, den Hals hinauf kroch.

»Warum seid ihr nicht mit Dreschflegeln und Mistgabeln gegen den Teufel gezogen?«, fragte er mit erhobener Stimme. »Warum habt ihr ihm keine Fallen gestellt? Wenn ihr nur gewollt hättet, würde sein Ziegenschädel schon als Vogelscheuche auf einer Stange stecken. Mich habt ihr gewarnt, dass ich ja nicht versuchen soll, ihn zu töten. Warum? Du hast es ihnen verboten, nicht wahr, Lille?«

Dhun stand auf. Sein Kopf reichte fast bis zur Decke. »Geh raus, Mädchen«, knurrte er. »Nimm die Großmutter und geh.«

»Wer ist das, Herr Dhun?«, fuhr der Hexer fort, als sich die Tür hinter der Großmutter und Lille geschlossen hatte. »Wer ist dieses Mädchen? Warum genießt sie bei Euch mehr Achtung als dieses verdammte Buch?«

»Das geht Euch nichts an.« Dhun schaute ihn an, doch es lag keine Freundschaft in seinem Blick. »Bei euch in den Städten verfolgt ihr weise Frauen, bei euch errichtet ihr Scheiterhaufen. Bei uns hat es so was nicht gegeben und wird es auch nicht geben.«

»Ihr habt mich nicht verstanden«, sagte der Hexer kühl.

»Weil ich’s gar nicht versucht hab«, knurrte Dhun.

»Das hab ich gemerkt«, zischte Geralt, auch nicht um einen freundlichen Ton bemüht. »Aber eine grundlegende Sache solltet Ihr zu verstehen geruhen, Herr Dhun. Uns verbindet nach wie vor kein Vertrag, noch immer habe ich mich Euch gegenüber zu nichts verpflichtet. Ihr habt keinen Grund zu der Annahme, Ihr hättet Euch einen Hexer gekauft, der für einen Silbergroschen oder anderthalb tun wird, was Ihr selbst nicht könnt. Oder nicht wollt. Oder nicht dürft. So ist es nicht, Herr Dhun. Ihr habt Euch den Hexer noch nicht gekauft, und ich glaube nicht, dass es Euch gelingen wird. Nicht, solange Ihr keine Lust habt zu verstehen.«

Dhun schwieg und musterte Geralt mit finsterem Blick. Brennessl räusperte sich, rutschte auf der Bank herum, schurrte mit den Bastschuhen über den Estrich, dann richtete er sich plötzlich auf. »Herr Hexer«, sagte er. »Nichts für ungut. Ich werde Euch sagen, was Sache ist. Dhun?«

Der Dorfälteste nickte zustimmend und setzte sich.

»Als wir hierhergefahren sind«, begann Brennessl, »habt Ihr gesehen, wie gut hier alles wächst, wie reich die Ernte ist. Solches kommt hier oft vor, wovon man anderswo selten oder gar nicht hört. Darum sind bei uns auch Setzlinge und Saatgut ein wichtig Ding, wir zahlen die Abgaben damit, verkaufen und tauschen sie . . .«

»Was hat das mit dem Teufel zu tun?«

»Hat es. Früher hat der Teufel hier und da was gestohlen und dumme Streiche gespielt, aber dann begann er mit Macht, Korn zu stehlen. Zuerst haben wir angefangen, ihm etwas zu dem Stein im Hanf zu bringen, dachten, er würde sich satt fressen und Ruhe geben. Nichts da: Er hat weiter gestohlen, was das Zeug hält. Und wie wir angefangen haben, die Vorräte vor ihm zu verstecken, in Kellern und Schuppen verriegelt und verrammelt, da wurde er wütend, Herr, brüllte und meckerte, schrie ›ukuk‹, und wenn er das macht, nimmt man lieber die Beine in die Hand. Er hat gedroht, dass er . . .«

». .. euch in den Hintern tritt«, warf Rittersporn grinsend ein.

»Das auch«, stimmte ihm Brennessl zu. »Und den roten Hahn erwähnte er auch. Was gibt’s da viel zu reden, er konnte nicht stehlen, da hat er Abgaben verlangt. Hat befohlen, ihm säckeweise Korn und anderes Gut zu bringen. Und da sind wir dann böse geworden und haben uns vorgenommen, ihm den geschwänzten Arsch zu gerben. Aber . . .«

Der Bauer räusperte sich, senkte den Blick.

»Red nicht um den heißen Brei herum«, ließ sich Dhun plötzlich vernehmen. »Wir haben den Hexer unterschätzt, Brennessl. Sag alles.«

»Die Großmutter hat verboten, den Teufel zu schlagen«, sagte Brennessl rasch. »Aber wir wissen ja, dass es Lille ist, denn die Großmutter ... Die Großmutter sagt nur, was Lille will. Und wir ... Ihr wisst selber, Herr Hexer. Wir gehorchen.«

»Ich hab’s bemerkt.« Geralt verzog die Lippen zu einem Lächeln. »Die Großmutter braucht bloß mit dem Kinn zu wackeln und ein paar Sätze zu stottern, die sie selber nicht versteht. Und das Mädchen starrt ihr an wie die Statue einer Göttin, weicht ihrem Blick aus, versucht aber, ihre Wünsche zu erraten. Und ihre Wünsche sind für euch Befehle. Wer ist sie, die Lille?«

»Ihr habt es doch erraten, Herr. Eine Seherin. Also eine Weise Frau. Aber sagt das niemandem. Wir bitten Euch. Wenn der Vogt davon erfährt oder, verhüten’s die Götter, der Statthalter . . .«

»Keine Angst«, sagte Geralt ernst. »Ich weiß, worum es geht, und werde euch nicht verraten.«

Die seltsamen Frauen und Mädchen in den Dörfern, die Seherinnen oder Weise Frauen genannt wurden, genossen keine sonderliche Zuneigung seitens der Magnaten, die von der Bauernschaft Abgaben und Steuern einzogen. Die Bauern holten immer den Rat der Seherinnen ein, in beinahe jeder Angelegenheit. Sie glaubten ihnen blind und grenzenlos. Die aufgrund solcher Ratschläge getroffenen Entscheidungen standen jedoch oft in krassem Gegensatz zur Politik der Grundherren und Herrscher. Geralt hatte von geradezu radikalen und unbegreiflichen Fällen gehört – vom Abschlachten ganzer Zuchtherden, vom Aussetzen von Saat oder Ernte und sogar von der Abwanderung ganzer Dörfer. Die Herrscher unterdrückten daher den »Aberglauben« und waren dabei oft nicht wählerisch in den Mitteln. So lernten die Bauern schnell, die Weisen Frauen verborgen zu halten. Doch sie hörten nicht auf, ihrem Rat zu folgen. Denn eins stand, wie die Erfahrung lehrte, außer Zweifel – auf lange Sicht erwies sich immer, dass die Weisen recht hatten.

»Lille hat uns nicht erlaubt, den Teufel zu töten«, fuhr Brennessl fort. »Sie hat gesagt, wir sollen es so machen, wie es im Buche steht. Wie Ihr wisst, hat es nicht geklappt. Wir hatten schon Ungemach mit dem Vogt. Als wir weniger Korn als sonst abgeliefert haben, wollte er das Maul aufreißen, schrie, drohte. Von dem Teufel haben wir ihm kein Sterbenswörtchen gesagt, denn der Vogt ist gestreng und versteht gar keinen Spaß. Und da sind wir einander über den Weg gelaufen. Haben wir Lille gefragt, ob wir Euch ... anstellen dürfen . . .«

»Und?«

»Sie hat durch die Großmutter sagen lassen, dass sie sich Euch erst ansehen muss.«

»Und das hat sie getan.«

»Hat sie. Und sie hat Euch anerkannt, wir wissen das, wir können sehen, was Lille anerkennt und was nicht.«

»Sie hat mit mir kein Wort gesprochen.«

»Sie hat nie zu jemandem gesprochen, außer der Großmutter. Aber wenn sie Euch nicht anerkannt hätte, wäre sie um keinen Preis in die Stube gekommen.«

»Hm . . .« Geralt wurde nachdenklich. »Das ist interessant. Eine Seherin, die, statt weiszusagen, schweigt. Wie kommt sie zu euch?«

»Wir wissen es nicht, Herr Hexer«, murmelte Dhun. »Aber die Älteren erinnern sich, dass es mit der Großmutter genauso war. Die vorhergehende Großmutter hat sich auch ein schweigsames Mädchen genommen, so eins, wo wer weiß woher aufgetaucht ist. Und dieses Mädchen, das ist jetzt unsere Großmutter. Mein Großvater hat gesagt, dass eine Großmutter sich auf solche Weise verjüngt. Dass sie sich wohl einen Monat im Himmel verjüngt und ebendas die neue ist. Lacht nicht . . .«

»Ich lache nicht.« Geralt schüttelte den Kopf. »Ich habe zu viel gesehen, als dass ich derlei Dinge zum Lachen fände. Ich habe auch nicht vor, meine Nase in Eure Angelegenheiten zu stecken, Herr Dhun. Meine Fragen haben den Zweck, die Verbindung zwischen Lille und dem Teufel herauszufinden. Gewiss habt ihr selber schon bemerkt, dass eine solche Verbindung besteht. Wenn Euch also Eure Seherin am Herzen liegt, kann ich Euch in Bezug auf den Teufel nur eins raten: Ihr müsst ihn liebgewinnen.«

»Wisst Ihr, Herr«, sagte Brennessl, »das betrifft nicht nur den Teufel. Lille lässt nicht zu, dass irgendwer gekränkt wird. Kein Geschöpf.«

»Natürlich«, warf Rittersporn ein. »Die Dorfseherinnen stammen aus derselben Wurzel wie die Druiden. Und was ein Druide ist, wenn bei dem eine Bremse Blut saugt, dann wünscht er ihr noch guten Appetit.«

»Ihr habt es getroffen.« Brennessl lächelte ein wenig. »Habt ins Schwarze getroffen. Dasselbe hatten wir mit den Wildschweinen, wo in den Gemüsebeeten gewühlt haben. Und? Schaut aus dem Fenster: Gemüsebeete wie gemalt. Es hat sich ein Mittel gefunden, Lille weiß nicht einmal, welches. Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Ihr versteht?«

»Ich verstehe«, murmelte Geralt. »Gewiss. Aber genug davon. Lille oder nicht, Euer Teufel ist ein Silvan. Ein ungewöhnlich seltenes, aber vernünftiges Geschöpf. Ich werde ihn nicht töten, meine Regel verbietet mir das.«

»Wenn er vernünftig ist«, ließ Dhun sich vernehmen, »dann bringt ihn zur Vernunft.«

»In der Tat«, stimmte Brennessl ein. »Wenn der Teufel Vernunft hat, dann stiehlt er also mit Vernunft. Also findet Ihr, Herr Hexer, heraus, worum es ihm eigentlich geht. Er frisst dieses Korn ja nicht auf, jedenfalls nicht so viel. Wozu braucht er also das Korn? Tut er’s uns zum Tort, oder was? Was will er? Ihr findet es heraus und verjagt ihn mit irgendeinem Hexermittel aus der Gegend. Werdet Ihr das tun?«

»Ich versuch es«, entschied sich Geralt. »Aber . . .«

»Aber was?«

»Euer Buch, meine Lieben, ist veraltet. Ihr versteht, was ich meine?«

»Also eigentlich«, murmelte Dhun, »nicht ganz.«

»Ich will’s Euch erklären. Also, Herr Dhun, Herr Brennessl, wenn Ihr gedacht habt, meine Hilfe würde Euch einen Groschen oder anderthalb kosten, dann habt Ihr Euch gewaltig geirrt.«

Der letzte Wunsch
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