Drei

Neuerungen

Staubwolken wirbelten auf.

Die frische Brise minderte die Hitze nicht, und die Needras schnaubten von dem stechenden Staub. Die Holzräder quietschten, als die drei Wagen – Maras Karawane – über den knirschenden Kies fuhren. Langsam erklommen sie die Ausläufer der Berge und ließen das Flachland hinter sich – und damit auch die Grenzen der Acoma-Güter. Leuchtendgrün polierte Speichen glänzten im Sonnenlicht; sie schienen zu zwinkern, während sie sich drehten, wurden dann aber langsamer, als Felsstücke die Weiterfahrt behinderten. Je weiter sich die Needras von ihren gewohnten Weiden und Ställen entfernten, desto bockiger wurden sie; sie rollten mit den Augen unter ihren zotteligen Brauen, und die Fahrer mußten die Tiere mit lauten, ermutigenden Rufen antreiben. Die Sänftenträger schritten zügig davon, bis das Gelände uneben wurde und ein gemäßigteres Tempo erforderte, sollte ihre Herrin nicht allzu sehr durchgeschüttelt werden. Die sonst so bedächtige Gebieterin hatte aus Gründen, die den Sklaven verborgen blieben, ein geradezu mörderisches Tempo befohlen; sie war entschlossen, die Karawane noch vor Einbruch der Nacht über den hohen Paß zu führen.

Mara saß steif in ihrer Sänfte. Die dicken Stämme und das dichte Laub der Bäume am Wegesrand gaben ein hervorragendes Versteck ab, nur zu leicht konnten sich in den tiefen Schatten Soldaten verbergen. Und die Wagen sorgten für einen deutlichen Nachteil. Bei dem lauten Gebrüll der Needras und dem Knirschen knarrender Räder war auch das geübteste Ohr nicht in der Lage, ein Rascheln im Laub zu vernehmen, und auch das schärfste Auge wurde von dem immer wieder aufwirbelndem Staub behindert. Selbst die kampferfahrenen Soldaten schienen unruhig zu sein.

Die Sonne näherte sich langsam ihrem Zenit. Flirrende Hitze hing über dem Tal, das sie hinter sich zurückgelassen hatten, und von der rumpelnden Karawane aufgeschreckt huschten schuppige, langschwänzige Ketsos umher, die sich auf den Felsen gesonnt hatten. Die Karawane – erst die Wagen, dann die Sänfte – erklomm mühselig den Kamm eines Hügels. Keyoke gab das Zeichen zum Anhalten. Die Träger setzten die Sänfte im Schatten einer Felsnase ab und stießen stille Dankesworte aus; doch unter Papewaios wachsamen Augen behielten die Wagenlenker und Krieger ihre Position bei.

Vor ihnen verlief eine tiefe Schlucht durch die nach Osten zeigenden Abhänge der Kyamaka-Berge. Die Straße schlängelte sich in zahlreichen Windungen steil nach unten, bis sie schließlich wieder gerader wurde und mitten durch eine Senke mit einer Quelle führte.

Keyoke verbeugte sich vor Maras Sänfte und deutete auf den Einschnitt eines kleinen Tals auf einer Seite der Senke, wo keine Bäume wuchsen und der Boden hart und festgetreten war. »Mistress, die Kundschafter, die nach dem Überfall ausgeschickt worden waren, haben dort warme Asche und die Überreste einer geschlachteten Needra gefunden. Sie berichteten von Spuren und Anzeichen von Behausungen, aber die Diebe selbst sind fortgezogen. Zweifellos wechseln sie immer wieder den Standort ihres Lagers.«

Mara betrachtete die Schlucht, während sie mit einer Hand ihre Augen vor den grellen Strahlen der Nachmittagssonne abschirmte. Sie trug ein außerordentlich kostbares Gewand, dessen Manschetten mit Vögeln bestickt waren, während das Taillenband aus schimmernden Federn bestand. Ein Seidenschal verdeckte die Druckstellen am Hals, und an ihren Handgelenken klimperten Armbänder aus Jade, die von den nichtmenschlichen Cho-ja bis zur Durchsichtigkeit geschliffen und poliert worden waren. Doch wenn auch ihre Aufmachung mädchenhaft war und Leichtigkeit ausstrahlte, war ihre Haltung sehr ernst. »Ist ein Angriff zu erwarten?«

»Ich weiß es nicht.« Keyoke ließ seinen Blick wieder über die Schlucht schweifen, als könnte er allein durch verstärkte Konzentration eventuell verborgene Banditen entdecken. »Wir sollten uns jedoch auf jede Möglichkeit vorbereiten. Und wir sollten uns so verhalten, als würden Feinde jeden unserer Schritte beobachten.«

»Dann also weiter«, sagte Mara. »Laßt eine Wasserflasche öffnen. Die Soldaten und Sänftenträger können sich beim Gehen erfrischen. Wenn wir die Quelle erreicht haben, können wir vortäuschen, dort zum Trinken anzuhalten. So scheinen wir verletzlicher, als wir wirklich sind.«

Keyoke salutierte. »Wie Ihr wünscht, Mistress. Ich werde hier auf die anderen warten, die uns folgen. Papewaio übernimmt das Kommando über die Karawane.« Plötzlich flackerte ehrliche Sorge in seinen Augen auf. »Seid vorsichtig, Mylady. Ihr setzt Euch einem großen Risiko aus«, fügte er hinzu.

Mara hielt seinem Blick stand. »Nicht mehr, als mein Vater es täte. Und ich bin seine Tochter.«

Der Kommandeur lächelte so gut wie nie, doch jetzt stahl sich als Antwort ein dünnes Lächeln auf sein Gesicht; dann wandte er sich von der Sänfte ab. So reibungslos wie möglich ließ er Maras Anordnungen ausführen. Der Wasserträger huschte mit den Flaschen durch die Reihen, und die Gurte, die er trug, klimperten, während er in einer Geschwindigkeit die Soldaten mit Wasser versorgte, die auf jahrelange Übung schließen ließ. Dann gab Keyoke das Signal, und Papewaio forderte zum Weitermarsch auf. Die Needra-Treiber gaben laute Rufe von sich, Räder quietschten, und Staub erhob sich in kleinen Wölkchen. Die Wagen rollten auf den Kamm zu, dann verschwanden sie auf der anderen Seite und begannen mit dem langsamen Abstieg in die Schlucht hinunter. Nur ein sehr geübter Späher hätte bemerkt, daß jetzt ein Soldat fehlte, der das Lager zwar betreten, aber nicht mit den anderen verlassen hatte.

Mara wirkte vornehm und ernst, doch der kleine, bemalte Fächer in ihren Fingern zitterte nervös. Sie schreckte beinahe jedesmal kaum wahrnehmbar zusammen, wenn die Sänfte stärker wackelte, weil einer der Träger den Griff gelockert hatte, um aus der Flasche des Wasserträgers zu trinken. Sie schloß die Augen und erflehte innerlich Lashimas Gunst und Gnade.

Die Straße unterhalb des Kammes war von tiefen Spuren durchzogen, und loses Gestein machte sie gefährlich. Die Männer und Tiere mußten sich auf jeden Schritt konzentrieren und unablässig nach unten auf den Weg schauen. Immer wieder geriet der Schotter unter ihren Schritten ins Rutschen; einzelne Kieselsteine tanzten über den Weg, sprangen den Abhang hinunter und prasselten laut klatschend durch die Baumkronen. Mara wurde hin und her geschleudert, als die Sklaven mit dem unsicheren Gelände kämpften, und sie hielt den Atem an. Sie biß sich auf die Lippe und zwang sich, nicht zurückzuschauen, denn sie durfte nicht den Eindruck erwecken, daß sich die Karawane möglicherweise nicht auf einer gewöhnlichen Reise befand. Keyoke hatte nicht erwähnt, daß die Acoma-Krieger, die der Karawane folgten, diesen Grat nicht überqueren konnten, ohne gesehen zu werden; sie würden also einen großen Bogen durch bewaldetes Gebiet schlagen müssen. Solange sie jedoch noch nicht wieder in der Nähe waren, schien Mara die Karawane so verletzbar wie ein Jiga-Huhn auf dem Hof, wenn der Koch mit seinem Hackmesser auftaucht.

Auf dem Grund der Schlucht schien der Wald dichter zu sein: Schwarzer Farn wucherte auf dem feuchten Boden zwischen den mächtigen Stämmen der Pynon-Bäume, um deren zottelige, wohlriechende Rinde sich Weinreben rankten. Die Sänftenträger atmeten schwer und waren dankbar für die kühlere Luft im Wald, doch nach der launenhaften Brise auf den Höhen schien es Mara, als würde die Luft jetzt stillstehen. Möglicherweise war es aber auch einfach nur die Spannung, die die Stille so drückend machte. Als sie ihren Fächer mit einem lauten Klicken öffnete, fuhren einige Krieger blitzschnell herum.

Hier war sogar der bloße Fels mit Blattschimmel überzogen, und die Schritte versiegten jetzt in der Stille. Wände aus Reben und Baumstämmen milderten das durchdringende Quietschen der Wagen – dieser Wald schien alles zu schlucken.

Papewaio blickte geradeaus, seine Augen suchten unablässig die Dunkelheit vor ihm ab. Seine Hand wich niemals von den feinen Lederriemen, mit denen das Heft seines Schwertes umwickelt war. Mara betrachtete ihn und dachte an ihren Vater, der in dem Wissen gestorben war, daß Verbündete ihn betrogen hatten. Sie fragte sich, was aus seinem Schwert geworden war – einem kunstvollen Stück mit einem geschnitzten Heft und einer juwelenbesetzten Scheide. Der Shatra-Vogel der Acoma war in Emaille in den Knauf eingelassen, und die Klinge war nach der Jessami-Methode gefertigt worden: dreihundert Streifen Nee-dra-Leder, jeder papierdünn abgeschabt, dann geschickt und sorgfältig aufeinander geschichtet – selbst eine Luftblase von der Größe eines Nadelstichs machte die Arbeit wertlos –, bis zu der einzigartigen metallenen Schärfe, die nur von den legendären Stahlschwertern der Ahnen übertroffen wurde. Vielleicht trug jetzt irgendein Kriegsherr der barbarischen Welt das Schwert als Trophäe … vielleicht sogar ein ehrenvoller Mann, sofern ein Barbar dazu überhaupt in der Lage war. Mara verscheuchte die trübsinnigen Gedanken. Die drückende Stille und das dunkle Laubwerk über ihr drohten sie zu ersticken, und sie preßte die Hände gegeneinander, bis der kostbare, holzgearbeitete Fächer beinahe zerbrach.

»Lady, ich bitte um Erlaubnis, meinen Männern Zeit zum Ausruhen zu gewähren und die Wasserflaschen nachfüllen zu lassen«, sagte Papewaio.

Mara fuhr zusammen, dann nickte sie und strich die feuchten Haare von den Schläfen zurück. Die Karawane hatte die Quelle ohne Zwischenfälle erreicht. Die schwerfälligen Räder kamen zum Stillstand; die Krieger stellten sich in Verteidigungsposition auf, während der Wasserträger und einige der Viehtreiber ihnen feuchte Tücher und eine kleine Mahlzeit aus Thyza-Keksen und getrockneten Früchten brachten. Andere Männer kümmerten sich um die Needras, während die Sänftenträger Maras Gefährt mit unterdrückten Lauten der Erleichterung auf den Boden ließen. Dann warteten sie geduldig darauf, bis sie an der Reihe waren, ihre Gesichter mit dem frischen Wasser der Quelle zu kühlen.

Papewaio wandte sich von den Reihen der Krieger ab und ließ sich vor seiner Herrin auf ein Knie fallen. »Möchten Mylady die Sänfte verlassen und ein paar Schritte gehen?«

Mara reichte ihm die Hand, wobei der lange Ärmel des Gewands beinahe über den Boden schleifte. Der Dolch, der in dem Kleidungsstück versteckt war, zerrte an ihrem Handgelenk; ein ungewohntes Stück, das sie nur unbeholfen trug. Sie hatte als Kind oft mit Lanokota gerungen, unter dem ständigen Mißfallen Nacoyas, doch Waffen hatten niemals ihr Interesse geweckt. Keyoke hatte darauf bestanden, daß sie das Messer bei sich trug, obwohl die hastig gekürzten Riemen für einen längeren Arm vorgesehen waren und das Heft sich in ihrer Hand plump anfühlte. Erschöpft von der Hitze und plötzlich unsicher geworden, gestattete sie Papewaio, ihr aus der Sänfte zu helfen.

Die Erde vor der Quelle war voller Fußabdrücke von Männern und Tieren, die Sonne hatte die tiefen Abdrücke im ehemals feuchten Boden förmlich festgebrannt. Während Papewaio einen Schöpflöffel mit Wasser füllte, wischte seine Herrin mit dem Fuß über den Boden und fragte sich, wie viele der Spuren wohl von den gestohlenen Tieren aus den Herden der Acoma stammen mochten. Sie hatte einmal zufällig mit angehört, wie ein Händler von den Angewohnheiten bestimmter Clans im Norden berichtet hatte; diese kerbten die Hufe ihres Viehs, damit die Fährtenleser die gestohlenen Tiere leichter wiederbeschaffen konnten. Die Acoma hatten sich bisher immer auf die Loyalität von genügend Kriegern verlassen können, und so waren solche Vorsichtsmaßnahmen unterlassen worden.

Papewaio reichte ihr ein Gefäß mit Wasser. »Mylady?«

Mara wurde aus ihren Gedanken gerissen, trank einen Schluck und benetzte dann Wangen und Nacken mit Wasser. Es war jetzt schon ein gutes Stück nach Mittag, und die schrägen Sonnenstrahlen verwandelten die Soldaten in Statuen, die aus Licht und Schatten geschnitzt schienen. Der Wald hinter ihnen war still, als wäre jedes lebendige Wesen in der Nachmittagshitze in tiefen Schlaf versunken. Mara zitterte, das kühle Wasser auf der Haut ließ sie plötzlich frösteln. Hätten Banditen im Hinterhalt gelegen, wären sie doch wohl sicherlich bereits zum Angriff übergegangen; bei dem Gedanken an eine andere, unangenehme Möglichkeit sah sie ihren Truppenführer an.

»Pape, was ist, wenn die Grauen Krieger einen Bogen geschlagen und den Acoma-Besitz angegriffen haben, während wir hierher unterwegs waren?«

Der Krieger stellte das Trinkgeschirr auf einem Stein neben sich ab. Seine Rüstung quietschte, als er mit den Achseln zuckte und mit gegen den Himmel gekehrten Handflächen andeutete, daß der Erfolg eines Planes immer auch von der jeweiligen Fügung des Schicksals abhing. »Wenn Banditen Euer Gut angreifen, ist jede Ehre verloren, denn die besten Eurer Krieger sind hier bei Euch.« Er warf einen Blick auf den Wald, während seine Hand wie zufällig an das Heft des Schwertes glitt. »Aber ich halte das für unwahrscheinlich. Ich habe den Männern eingeschärft, wachsam zu sein. Die Hitze des Tages läßt nach, doch noch immer ist keine Zikade im Wald zu hören.« Plötzlich pfiff ein Vogel laut über ihnen. »Und wenn der Karkak schreit, droht Gefahr.«

Ein Ruf erscholl von den Bäumen am Rand der Lichtung, und starke Hände stießen Mara zurück in die Sänfte. Ihre Armreifen verhakten sich in den seidenen Vorhängen, als sie die Hand ausstreckte, um den Fall abzubremsen. Sie taumelte unbeholfen gegen die Kissen, riß den Stoff zur Seite und sah zu, wie Papewaio das Schwert aus der Scheide zog und herumwirbelte, um sie zu verteidigen. Sein Fuß stieg gegen das Trinkgefäß, es kippte und zerplatzte an einem Stein. Bruchstücke prallten gegen Maras Knöchel, während die Krieger schnell die Schwerter aus den Scheiden zogen, um sich dem Angriff der Gesetzlosen entgegenzustellen, die nun ihre Deckung verlassen hatten.

Durch die geschlossene Reihe ihrer Verteidiger hindurch konnte Mara einen Blick auf die Männer erhaschen, die mit blanken Waffen auf die Wagen zurannten. Sie mochten dünn und ziemlich schmutzig und zerlumpt sein, doch ihr Vorhaben war diszipliniert genug und wohlüberlegt. Die Schlucht hallte wider von ihren Schreien, als sie sich daran machten, die Reihe der Verteidiger zu durchbrechen. Mara zerknüllte den feinen Stoff zwischen ihren Händen. Ihre Krieger waren zahlenmäßig deutlich unterlegen, doch in dem Bewußtsein, daß ihr Vater und ihr Bruder in der barbarischen Welt weit schlimmere Kämpfe gefochten hatten, zwang sie sich, beim Geräusch aufeinandertreffender Schwerter nicht zurückzuzucken. Papewaios Stimme übertönte die allgemeine Verwirrung; sein Federbusch war in dem Gedränge leicht zu erkennen. Auf sein Zeichen gaben die Krieger der Acoma mit nahezu mechanischer Disziplin den Weg frei.

Der Angriff stockte. Da ein Rückzug niemals Ehre mit sich bringen würde, bestand die Taktik der Tsurani üblicherweise im Angriff und nicht in der Verteidigung. Die Banditen wurden daher argwöhnisch, als sie sahen, daß die Wagen im Stich gelassen wurden. Völlig von ihrer Eskorte umringt, die ihr die Rückseite der grünen Rüstungen zuwandte, hörte Mara einen hohen, spitzen Schrei. Schritte erklangen, als die Angreifer nachsahen. Abgesehen von den unbewaffneten Viehtreibern und dem erschreckten Wasserträger waren die Wagen ohne jede Auseinandersetzung verlassen worden. Anscheinend hatten die Krieger sich zurückgezogen, um die wertvolleren Schätze zu verteidigen.

Die Banditen näherten sich jetzt, langsam und argwöhnisch. Zwischen den Körpern ihrer Krieger hindurch sah Mara die lackierten Wagen aufleuchten, als die Streitmacht der Feinde, die ihrer Eskorte fünffach überlegen war, sich in einem Halbkreis um die Quelle aufstellte.

Das Plätschern des Wassers wurde übertönt vom Knarren und Knirschen der Rüstungen und dem schnellen, nervösen Atmen der angespannten Männer. Papewaio blieb bei Maras Sänfte, er wirkte wie eine gemeißelte Statue mit gezogenem Schwert. Eine lange, zermürbende Minute schien alles in völliger Reglosigkeit zu verharren. Dann bellte ein Mann hinter der feindlichen Linie einen Befehl, und zwei der Banditen traten vor und durchtrennten die Stricke, mit denen die Stoffplanen der Wagen befestigt waren. Mara spürte Schweiß ihren Rücken hinablaufen, als eifrige Hände die Handelsware der Acoma dem Sonnenlicht preisgaben. Jetzt kam der schwierigste Augenblick, denn ihre Krieger waren gezwungen, unabhängig von jeder Beleidigung und Provokation die Reihen geschlossen zu halten. Die Soldaten hatten den Befehl, nur einzugreifen, wenn Mara von den Gesetzlosen bedroht werden sollte.

Die Banditen erkannten rasch, daß es keinen Gegenangriff geben würde. Unter Jubelschreien stießen sie die Säcke mit Thyza-Korn von den Wagen, andere wagten sich näher an die Acoma-Wachen heran, neugierig geworden, welcher Schatz einen solchen Schutz verdiente. Als sie sich näherten, erhaschte Mara einen Blick auf ihre rußig-schmutzigen Knöchel, die zerrissene Kleidung und eine seltsame Ansammlung unterschiedlichster Waffen. Doch die Art, wie sie die Klingen hielten, verriet auch Übung und Erfahrung – und erbarmungslose Not. Diese Männer waren so verzweifelt, daß sie für eine Wagenladung minderwertigen Thyza-Korns zu töten und zu sterben bereit waren.

Plötzlich zerriß ein unmißverständlicher Befehl den Freudentaumel der Männer neben den Wagen. »Wartet! Laßt das liegen!« Die Banditen verstummten und wandten sich von ihrer Beute ab; einige hielten noch immer Säcke voller Korn an die Brust gepreßt.

»Sehen wir nach, welches Glück uns dieser Tag beschert.« Ein schlanker, bärtiger Mann – offensichtlich der Anführer der Bande – trat aus den Reihen seiner Untergebenen und marschierte kühn auf die Krieger zu, die Mara bewachten. In der Mitte zwischen den feindlichen Linien blieb er stehen, das Schwert stoßbereit in der Hand. Sein freches, großspuriges Verhalten veranlaßte Papewaio, sich zu voller Größe aufzurichten.

»Ruhig, Pape«, flüsterte Mara mehr zu ihrer eigenen Beruhigung als zu der ihres Truppenführers. Erstarrt hockte sie in der Enge ihrer Sänfte und beobachtete, wie der Bandit mit seinem Schwert geringschätzig gestikulierte.

»Was ist das? Aus welchem Grund kämpfen Männer mit Schwertern und Rüstungen und der Ehre eines großen Hauses nicht?« Der Anführer verlagerte sein Gewicht auf das andere Bein, was seine verborgene Unsicherheit offenbarte. Es war ihm noch kein Tsurani-Krieger begegnet, der auch nur kurz gezögert hätte, anzugreifen oder sogar zu sterben. Schließlich gab es für einen Krieger keine größere Auszeichnung, als im Kampf zu fallen. Nach einem weiteren Schritt entdeckte er Maras Sänfte. Seine Verwirrung ließ nach. »Eine Frau!« rief er mit gerecktem Hals.

Mara ballte die Fäuste in ihrem Schoß. Sie reckte ihren Kopf mutig empor und sah den Banditenanführer mit ausdruckslosem Gesicht an. Er grinste jetzt breit, als wären die paar Krieger, die zu Maras Verteidigung bereitstanden, längt nicht genug Abschreckung, um ihm seine Eroberung streitig zu machen. Er wandte sich an seine Kameraden. »Heute ist ein schöner Tag, Männer. Eine Karawane und eine Gefangene, und noch nicht einmal das Blut eines einzigen Mannes mußte für den Roten Gott vergossen werden!«

Neugierig ließen die Gesetzlosen die Säcke mit Thyza fallen und traten näher, hielten ihre Waffen jedoch weiter drohend auf die Krieger der Acoma gerichtet. Ihr Anführer wandte sich Mara zu. »Lady, ich hoffe, Euer Vater oder Ehemann liebt Euch und ist reich, oder wenn er Euch schon nicht liebt, dann sollte er wenigstens reich sein. Ab sofort seid Ihr unsere Geisel.«

Mit einem kräftigen Ruck zog Mara den Vorhang der Sänfte zurück. Sie ergriff Papewaios Hand und stand auf. »Euer Schluß mag etwas voreilig sein, Bandit.«

Der Anführer der Gesetzlosen zuckte zusammen, ihre Haltung machte ihn unsicher. Eingeschüchtert durch ihr selbstbewußtes Auftreten trat er einen Schritt zurück. Die Bewaffneten hinter seinem Rücken verloren jedoch nichts von ihrer Ungeduld, und immer mehr Männer tauchten aus den Wäldern auf, um die Ereignisse mitzuverfolgen.

Mara sah den Mann über die Schultern ihrer Wachen hinweg an. »Wie ist Euer Name?« wollte sie wissen.

Langsam kehrte die herausfordernde Art des Banditen wieder zurück, und er lehnte sich auf sein Schwert. »Lujan, Lady.« Er verhielt sich noch immer ehrerbietig gegenüber einer so offensichtlich Edlen. »Da ich ausersehen bin, eine Zeitlang Euer Gastgeber zu sein, dürfte ich vielleicht erfahren, mit wem ich die Ehre habe?«

Einige der Gesetzlosen lachten, als ihr Anführer die Manieren der Vornehmen so offensichtlich der Lächerlichkeit preisgab. Maras Eskorte erstarrte bei dem Affront, aber das Mädchen selbst blieb ruhig. »Ich bin Mara, Lady der Acoma.«

Eine Woge widerstreitender Empfindungen spiegelte sich auf Lujans Gesicht: Überraschung, Erheiterung, Mitleid, schließlich gar Anerkennung. Er hob sein Schwert und führte mit der Klinge kleine Gesten aus. »Dann seid Ihr also ohne Ehemann und Vater, Lady der Acoma. Ihr müßt aber Euer Lösegeld selbst verhandeln.« Noch während er sprach, flogen seine Blicke über das Waldgebiet hinter Papewaio und Mara. Ihre zuversichtliche Haltung und die kleine Gefolgschaft deuteten auf etwas Außergewöhnliches hin, das er noch nicht erkennen konnte, doch ganz sicher setzte sich die Herrscherin eines großen Hauses nicht ohne Grund einem Risiko aus. Etwas in seiner Haltung ließ seine Männer, etwa hundertfünfzig, so weit Mara schätzen konnte, argwöhnisch werden. Die Unruhe verstärkte sich, als sie ihren Blick über sie schweifen ließ, und einige versuchten irgendwelche Anzeichen von Gefahr zu erkennen, während andere kurz davor standen, auch ohne Befehl Papewaios Männer anzugreifen.

Mara lächelte, als würde sie nicht merken, daß die bisher gefährliche Situation jetzt zu einer lebensbedrohenden geworden war, und fingerte an ihren Armbändern herum. »Mein Kommandeur hatte mich davor gewarnt, daß ich von einem vernachlässigten Haufen wie Eurem belästigt werden könnte.« Ihre Stimme nahm jetzt einen gereizten Ton an: »Ich verabscheue es, wenn er recht behält. Jetzt wird er wahrscheinlich überhaupt nicht mehr mit seinem Geschwätz aufhören!« Bei dieser Bemerkung drang Gelächter aus den Reihen der Banditen herüber.

Papewaio zeigte sich unbeeindruckt von dieser merkwürdigen Beschreibung Keyokes. Er lockerte sich etwas, denn er spürte, daß seine Herrin sich bemühte, der Situation die Spannung zu nehmen und den bevorstehenden Konflikt zu vermeiden.

Mara sah den Anführer der Banditen an; nach außen mochte es trotzig wirken, in Wahrheit versuchte sie jedoch, seine Stimmung einzuschätzen. Forsch richtete er seine Waffe auf sie. »Wie angenehm für uns, daß Ihr den Vorschlag Eures Beraters zurückgewiesen habt. Ihr solltet in Zukunft mehr auf seinen Rat hören … falls Ihr die Gelegenheit dazu haben werdet.«

Einige Soldaten der Acoma strafften sich angesichts der im letzten Satz mitschwingenden Drohung. Verstohlen legte Mara ihre Hand auf den Rücken Papewaios, um ihn zu beruhigen. »Warum sollte ich die Gelegenheit dazu nicht mehr haben?« fragte sie in sehr mädchenhaftem Ton.

Mit spöttischem Bedauern ließ Lujan sein Schwert sinken. »Weil Ihr nicht mehr in der Lage sein werdet, Euren Kommandeur anzuhören, sollten sich unsere Verhandlungen als nicht zufriedenstellend erweisen, Lady« Rasch ließ er seinen Blick über die Umgebung schweifen und suchte nach möglichen Störungen; alles an diesem Überfall wirkte merkwürdig.

»Was wollt Ihr damit sagen?« Mara stampfte mit dem Fuß auf, während sie sprach, und achtete absichtlich nicht auf die Männer ihrer Eskorte, die durch die erneute Drohung des Banditen in eine höchst gefährliche, kampfeslustige Stimmung versetzt wurden.

»Ich will damit sagen, daß ich zwar nicht weiß, wieviel Euch Eure Freiheit wert ist, aber sehr gut weiß, welche Summe Ihr auf dem Sklavenmarkt von Migran einbringen werdet.« Lujan sprang einen Schritt zurück und riß das Schwert hoch, als die Wachen der Acoma sich nur unter größter Mühe davon abhalten konnten, eine solche Beleidigung mit einem Angriff zu beantworten. Die Banditen rechneten jedoch fest mit einer Vergeltungsmaßnahme und machten sich mit erhobenen Waffen kampfbereit.

Hektisch suchte Lujan die Lichtung mit den Augen ab, als jetzt beide Seiten am Rande eines Kampfes standen. Aber es geschah nichts. Verständnis glomm plötzlich in den Augen des Gesetzlosen auf. »Ihr habt etwas vor, hübsche Mistress?« Seine Worte waren Frage und Feststellung zugleich.

Mara amüsierte sich wider Erwarten über die Unverschämtheit des Mannes und erkannte, daß er sie mit seinen dreisten und herausfordernden Bemerkungen auf die Probe stellen wollte. Sie begriff, daß sie diesen Lujan unterschätzt hatte. Daß die Fähigkeiten eines so klugen Mannes derart ungenutzt bleiben konnten! dachte sie. In dem Bestreben, Zeit zu gewinnen, zuckte sie wie ein verzogenes Kind mit den Schultern.

Kühn trat Lujan auf sie zu, streckte seinen Arm durch die Reihen ihrer Wachen hindurch und griff mit seiner rauhen und schmutzigen Hand nach dem Schal um ihren Hals.

Jetzt kam eine unmittelbare Reaktion. Lujan verspürte einen plötzlichen Druck an seinem Handgelenk. Als er hinunterschaute, sah er Papewaios Schwert nur um Haaresbreite davon entfernt, ihm die Hand abzutrennen. Der Gesetzlose riß seinen Kopf wieder hoch, so daß er dem Truppenführer direkt in die Augen blicken konnte. »Einmal ist Schluß«, erklärte Papewaio mit ausdrucksloser Stimme.

Lujan öffnete langsam seine Hand und gab Maras Schal frei. Er lächelte nervös und zog geschickt seine Hand zurück, dann entfernte er sich wieder von Maras Wachen. Seine Haltung drückte jetzt Mißtrauen und Feindseligkeit aus, denn unter normalen Umständen hätte es ihn das Leben gekostet, wenn er eine Lady auf solche Weise berührt hätte. »Hier ist irgend etwas faul. Was für ein Spiel spielt Ihr, Lady?« Mit festem Griff umklammerte er sein Schwert, und seine Männer schoben sich nach vorn. Sie warteten nur noch auf den Befehl zum Angriff.

Und dann bemerkte der Bandit plötzlich, daß Mara und ihr Offizier aufmerksam die Felsen oberhalb der Lichtung beobachteten. Er begann zu fluchen. »Keine Herrscherin würde mit so wenig Kriegern reisen. Oh, was war ich für ein Narr!«

Er wollte gerade wieder auf sie zugehen, während seine Männer sich zum Angriff bereitmachten, als Mara einen lauten Ruf ausstieß: »Keyoke!«

Ein Pfeil flog durch die Luft und bohrte sich genau zwischen den Beinen des Anführers in den Boden. Lujan blieb so abrupt stehen, als hätte er das Ende eines Haltestricks erreicht. Für einen kurzen Augenblick kämpfte er um sein Gleichgewicht, dann trat er schwerfällig einen Schritt zurück. Eine Stimme erklang von den Felsen herab. »Kommt meiner Herrin noch einen Schritt näher, und Ihr seid ein toter Mann!« Lujan wirbelte herum; er blickte in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war, und sah hoch oben Keyoke, der ihn entlang der Klinge seines Schwertes ansah. Der Kommandeur nickte grimmig, und ein Bogenschütze sandte einen Signalpfeil über den Kamm der Schlucht. Noch während der Pfeil pfeifend die Luft durchschnitt, rief Keyoke seine Unteranführer: »Ansami! Mesai!«

Stimmen aus dem Wald antworteten ihm. Die Gesetzlosen begriffen, daß sie von hinten umzingelt worden waren und wirbelten herum. Sie erhaschten Blicke auf polierte Rüstungen zwischen den Bäumen; ganz vorn war der schlanke Federbusch eines Offiziersheims zu sehen. Der Banditenführer konnte die Größe der feindlichen Streitmacht nicht einschätzen und handelte blitzschnell. Verzweifelt wandte er sich um und gab den Befehl, die um Maras Sänfte stehenden Wachen anzugreifen.

Doch mit einem weiteren Ruf erstickte Keyoke dieses Vorhaben schon im Ansatz. »Dacoya! Hunzai! Vorwärts! Macht euch schußfertig!«

Die vorher glatte Silhouette des Kamms zeigte plötzlich Risse, als die Helme von etwa hundert Männern mit geschwungenen Bögen auftauchten. Aus dem Wald am Rand der Lichtung erklang Rascheln und das Geräusch brechender Äste, als würden sich mehrere hundert Männer darin schnell vorwärtsbewegen.

Der Anführer der Banditen gab ein Zeichen, und seine Männer blieben stolpernd stehen. Deutlich im Nachteil, versuchte Lujan etwas verspätet, die eigenen Möglichkeiten abzuschätzen. Fieberhaft suchten seine Augen die Seiten der Schlucht ab. Nur ein Kommandeur war deutlich zu erkennen, und der hatte die Namen von vier Truppenführern gerufen. Lujan blinzelte gegen das Sonnenlicht und betrachtete seine eigenen Männer. Ihre Lage war nahezu aussichtslos.

Mara hatte inzwischen ihr mädchenhaftes Verhalten abgelegt. Ohne auch nur einen einzigen Blick auf ihren Leibwächter zu werfen, sagte sie: »Lujan, befehlt Euren Männern, die Waffen niederzulegen.«

»Habe ich den Verstand verloren?« Eindeutig überlistet und gefangen in einer ausweglosen Situation, richtete sich der Anführer der Gesetzlosen mit einem trotzigen Lächeln auf. »Lady, ich verneige mich vor Eurem Versuch, Euch von lästigen Nachbarn zu befreien, doch selbst jetzt muß ich Euch darauf hinweisen, daß Ihr noch immer in Gefahr seid. Wir mögen in der Falle sitzen, aber Ihr könntet mit uns sterben.« Selbst angesichts einer solch überwältigenden Übermacht versuchte dieser Mann, die Situation zu seinen Gunsten herumzureißen. »Vielleicht könnten wir eine Art Übereinkunft treffen«, schlug er rasch vor. In seiner Stimme schwang ein Ton spitzbübischer Neckerei und verzweifelter Täuschung mit, jedoch nicht einmal der leiseste Hauch von Furcht. »Möglicherweise, wenn Ihr uns in Frieden ziehen laßt…«

Mara schüttelte den Kopf. »Ihr versteht nicht.« Ihre Jade-Armbänder klirrten in der Stille, als sie eine Hand auf Papewaios Arm legte und ihn sanft beiseite schob. Dann schritt sie an ihm und den Wachen vorbei auf den Banditenanführer zu und sah ihn direkt an. »Als Herrin der Acoma habe ich mich nur deshalb einer solchen Gefahr ausgesetzt, damit wir uns unterhalten können.«

Lujan blickte auf den Kamm. Auf seiner Stirn schimmerte Schweiß, den er mit dem zerlumpten und schmutzigen Ärmel fortwischte. »Ich höre, Lady.«

Ihre Wachen standen gleich Statuen hinter ihr. Mara hielt dem Blick des Gesetzlosen stand. »Zuerst müßt Ihr Eure Waffen niederlegen.«

Der Mann antwortete mit bitterem Lächeln: »Ich mag zwar kein begnadeter Befehlshaber sein, Mylady, aber ich bin auch kein Idiot. Und wenn ich schon heute den Roten Gott begrüßen muß, so werde ich es dennoch nicht zulassen, daß meine Kameraden und ich wegen ein paar gestohlenen Kühen und etwas Korn hängen müssen.«

»Auch wenn Ihr die Acoma bestohlen und einen Sklavenjungen getötet habt, Lujan – ich habe diese Unannehmlichkeiten sicher nicht deswegen auf mich genommen, nur um Euch hängen zu sehen.«

Obwohl Maras Worte aufrichtig klangen, trauten die Gesetzlosen ihnen noch nicht. In ihren Reihen entstand Bewegung, als sie ihre Waffen fester packten oder von einer Hand in die andere wechselten. Gleichzeitig wandten sich immer mehr Augenpaare von der bedrohlichen Macht oben auf dem Kamm ab und richteten sich auf die kleine Gruppe von Soldaten, die das Mädchen bewachte. Als die Spannung wuchs, meinte Lujan: »Lady, wenn Ihr etwas Wichtiges zu sagen habt, schlage ich vor, daß Ihr es schnell tut. Andernfalls liegen bald einige von uns im Sterben, und wir beide werden die ersten sein.«

Ohne ausdrücklichen Befehl und ohne seinen Rang zu beachten, näherte sich Papewaio seiner Herrin. Er schob Mara sanft, aber deutlich weiter nach hinten und stellte sich zwischen seiner Herrscherin und den Banditenführer.

Mara ließ diese Vertrautheit kommentarlos geschehen. »Ich werde Euch soviel garantieren: Ergebt Euch und hört, was ich zu sagen habe. Wenn Ihr nach meinem Vorschlag mit Euren Männern fortgehen wollt, steht es Euch frei, dies zu tun. Solange Ihr nicht wieder das Land der Acoma überfallt, habt Ihr von mir nichts zu befürchten. Darauf gebe ich Euch mein Wort.«

Lujan war sich der unangenehmen Tatsache bewußt, daß auch jetzt geübte Bogenschützen die Waffen auf ihn richteten. Er sah seine Männer an. Sie waren alle bis auf den letzten Mann unterernährt, einige sogar so dürr, daß sie beinahe krank waren. Die meisten trugen nur eine einzige Waffe bei sich, ein schlecht gefertigtes Schwert oder Messer; wenige hatten geeignete Kleidung, noch weniger Rüstungen. Ein Kampf gegen Maras Wachen, hervorragend ausgebildete Krieger, wäre ein armseliges Unterfangen. Der Anführer der Banditen blickte den Männern, die in schwierigen Zeiten seine Kameraden gewesen waren, in die Augen, sah von einem verwahrlosten Gesicht zum anderen. Die meisten bedeuteten ihm mit einem Nicken, daß sie seiner Entscheidung folgen würden.

Lujan wandte sich mit einem leichten Seufzen wieder Mara zu und faßte sein Schwert an der Klinge. »Lady, ich habe kein Haus, auf das ich mich berufen kann, doch die Reste an persönlicher Ehre, die ich mein eigen nenne, lege ich jetzt in Eure Hände.« Er reichte sein Schwert mit dem Heft voran Papewaio. Waffenlos und vollständig von ihrem guten Willen abhängig, verbeugte er sich mit steifer Ironie und befahl seinen Untergebenen, seinem Beispiel zu folgen.

Sonnenstrahlen brannten heiß auf die grünlackierten Rüstungen der Acoma und die zerlumpten Schultern der Banditen herab. Nur Vogelgezwitscher und das Plätschern der Quelle zerbrachen die Stille, als die Männer das Mädchen in ihren kostbaren Gewändern für einen Augenblick abwägend ansahen; schließlich trat einer der Banditen vor und übergab sein Messer. Ein anderer mit einem vernarbten Bein folgte seinem Beispiel, dann noch einer und schließlich immer mehr. Die Klingen entglitten ihren geöffneten Händen und fielen laut scheppernd vor die Füße der Acoma-Krieger. Schon bald darauf war keiner der Gesetzeslosen mehr bewaffnet.

Als die Männer aus Maras Gefolgschaft die Schwerter eingesammelt hatten, trat sie vor. Die Banditen teilten sich, um sie durchzulassen, immer noch argwöhnisch gegenüber ihr und der blanken Klinge, mit der Papewaio sie begleitete. Im Dienst zeigte der Truppenführer der Acoma eine Haltung, die selbst den kühnsten Mann davor zurückschrecken ließ, ihn leichtfertig herauszufordern. Daher hielten auch die Wildesten unter den Gesetzlosen Abstand zu ihm, sogar als der Krieger ihnen den Rücken zukehrte, um Mara auf die Ladeklappe des am nächsten stehenden Wagens zu helfen.

Mara schaute hinunter auf die zerlumpte Gruppe. »Sind das alle Männer, die zu Euch gehören, Lujan?«

Die Tatsache, daß sie den Bogenschützen noch nicht den Befehl gegeben hatte, ihre Bögen zu entspannen, zwang den Banditen zu einer ehrlichen Antwort. »Die meisten sind hier. Fünfzig weitere bewachen unser Lager im Wald oder suchen nach Nahrung. Ein weiteres Dutzend hält an den verschiedenen Straßen Wache.«

Mara saß oben auf den Thyza-Säcken und rechnete hastig nach. »Ihr befehligt hier etwa zwölf Dutzend Männer. Wie viele von ihnen waren Soldaten? Laßt sie selbst antworten.«

Sechzig Männer aus der Gruppe, die sich um das Wagenende geschart hatte, hoben ihre Hände. Mara lächelte ihnen ermutigend zu. »Aus welchen Häusern?«

Stolz darauf, nach ihrer Vergangenheit befragt zu werden, riefen sie verschiedene Namen: »Saydano! Almach! Raimara!« und viele andere Häuser, die Mara kannte und von denen die meisten während Almechos Aufstieg zum Kriegsherrn zerstört worden waren, kurz bevor Ichindar den Thron des Kaiserreiches bestiegen hatte. Als der Lärm nachließ, fügte Lujan hinzu: »Ich war einst Befehlshaber der Kotai, Lady.«

Mara rückte ihren Ärmel zurecht. Ihr nachdenkliches Gesicht zeigte jetzt einen Anflug von Schwermut. »Was ist mit den übrigen von euch?«

Ein Mann trat nach vorn. Obwohl er ganz offensichtlich häufig gehungert hatte, war er kräftig. Er verbeugte sich. »Mistress, ich war Bauer auf dem Gut der Kotai westlich von Migran. Als mein Herr starb, floh ich und folgte diesem Mann.« Er deutete respektvoll auf Lujan. »Er hat all die Jahre hindurch gut für uns gesorgt, auch wenn unser Leben hart und ruhelos war.«

Mara zeigte auf diejenigen, die am Rand der Gruppe saßen. »Verbrecher?«

Lujan antwortete für sie: »Männer ohne Herren, Lady. Einige waren Bauern und verloren ihr Land wegen der Steuern. Andere wurden eines Vergehens oder schlechten Benehmens für schuldig befunden. Viele sind Graue Krieger. Aber Mörder, Diebe und Männer ohne Prinzipien haben in meinem Lager nichts zu suchen.« Er zeigte auf die Wälder, die sie umgaben. »Oh, es gibt Mörder dort draußen, zweifelt besser nicht daran. Eure Patrouillen haben es in den letzten Monaten an Sorgfalt fehlen lassen, und in der Wildnis finden sie sicheren Schutz. Aber in meiner Gruppe gibt es nur ehrenhafte Gesetzlose.« Er lachte schwach über seinen eigenen Witz und fügte hinzu: »Falls es so etwas gibt.« Er wurde wieder ernst und sah Mara jetzt scharf an. »Würde uns die Lady nun bitte erklären, was sie das Schicksal solch Unglückseliger, wie wir es sind, kümmert?«

Mara schenkte ihm ein Lächeln, in dem ein Hauch Ironie mitschwang, und gab Keyoke ein Zeichen. Der Kommandeur befahl seinen Truppen auf dem Kamm, die Kampfbereitschaft aufzuheben. Als die Bogenschützen sich aus der Deckung erhoben, vermochte nicht einmal das grelle Sonnenlicht die Tatsache zu verbergen, daß es sich keineswegs um Krieger handelte, sondern um Jungen, alte Bauern und Sklaven, die täuschend echt in Rüstungsteile oder grüngetränkte Stoffe gekleidet waren. Was wie eine Armee ausgesehen hatte, entpuppte sich jetzt als das, was es wirklich war: nur eine einzige Kompanie von echten Soldaten, noch nicht einmal halb so viele wie die Gesetzlosen, begleitet von Arbeitern und Kindern von den Gütern der Acoma.

Die Gesetzlosen murmelten verärgert, und Lujan schüttelte voller Überraschung und Ehrfurcht den Kopf. »Mistress, was für einen Plan habt Ihr geschmiedet?«

»Eine Chance, Lujan … für uns alle.«

Die langen Schatten des Nachmittags fielen auf das Gras an der Quelle, wo die Needras grasten und mit hin und her wirbelnden Schwänzen nach Insekten schlugen. Mara sah von dem Wagen auf die zerlumpten Gesetzlosen hinab, die am Waldrand auf den Boden hockten und eifrig das Mahl aus Fleisch, Früchten und Thyza-Brot zu sich nahmen, daß ihre Köche unter ihnen verteilt hatten. Auch wenn das Essen besser war als alles, was die meisten von ihnen seit Monaten gegessen hatten, spürte Mara, daß sich Unbehagen unter den Männern ausbreitete. Wer im Kampf besiegt wurde, hatte fortan ein Leben als Sklave vor sich; das war eine unabwendbare Tatsache. Die Ehre der Acoma garantierte ihnen den Status als freie Männer, und in freigebiger Gastfreundschaft hatte man ihnen zu essen gegeben; das verdiente ein zaghaftes, wenn auch skeptisches Vertrauen. Dennoch hatte die junge Herrin noch nicht erklärt, was sie mit diesem seltsamen Treffen beabsichtigte, und so blieben die Gesetzlosen mißtrauisch.

Mara studierte die Männer sehr genau und erkannte, daß sie den Soldaten, Arbeitern und Sklaven ihrer Güter ziemlich ähnelten. Doch eine Eigenschaft schienen sie nicht zu besitzen, denn wären diese Männer auch in edle Roben gekleidet, man würde sie immer noch für Ausgestoßene halten. Als die letzten Krümel des Mahls verzehrt waren, wußte sie, daß ihre Zeit zu sprechen gekommen war.

Papewaio und Keyoke hatten sich zu beiden Seiten des Wagens neben ihr aufgebaut, als sie jetzt tief Atem holte und mit lauter Stimme sagte: »Ihr Gesetzlosen, ich bin Mara, Lady der Acoma. Ihr habt mich bestohlen, und dafür steht Ihr in meiner Schuld. Um diese Verpflichtung ehrenhaft zu erfüllen, bitte ich Euch, mir zuzuhören.«

Lujan der in der ersten Reihe saß, stellte seinen Weinbecher beiseite. »Die Lady der Acoma ist sehr großzügig, wenn sie sich mit der Ehre der Gesetzlosen befaßt. Jeder in meiner Gruppe wird ihrer Bitte gerne zustimmen.«

Mara suchte in dem Gesicht des Bandenführers nach einem Hinweis auf Spott; aber sie fand nur Interesse, Neugier und versteckten Humor. Sie begann bereits diesen Mann zu mögen. »Ihr seid alle aus vielerlei Gründen zu Ausgestoßenen geworden, wie ich jetzt weiß. Das Schicksal war Euch allen wenig gewogen.« Der Mann mit dem verwundeten Bein äußerte laut seine Zustimmung, und andere reckten die Köpfe oder beugten sich gespannt nach vorn. Zufrieden nahm Mara zur Kenntnis, daß sie ihre volle Aufmerksamkeit besaß. »Für einige von Euch bestand das Unglück darin, daß Ihr die Herren überlebtet, denen Ihr gedient habt.«

»Und so wurden wir entehrt!« rief ein Mann, dessen Armbänder aus Rindenstücken geflochten waren.

»Und daher haben wir keine Ehre!« kam ein Echo aus einer anderen Ecke.

Mara erhob ihre Hand und bedeutete ihnen zu schweigen. »Ehre heißt, seine Pflicht zu tun. Wenn ein Mann ausgeschickt wird, den weiter entfernt liegenden Besitz seines Herrn zu bewachen, und sein Herr stirbt, ohne daß er die Möglichkeit hatte, ihn zu verteidigen, ist er dann ohne Ehre? Wenn ein Krieger im Kampf verwundet wird und bewußtlos neben seinem sterbenden Herrn liegt, ist es dann sein Fehler, wenn er lebt und sein Herr nicht?« Mara ließ den Arm sinken; ihre Armreifen klirrten. Ihre Stimme hatte jetzt einen Befehlston angenommen: »Alle diejenigen, die Diener, Bauern und Arbeiter waren, sollen jetzt die Hand heben.«

Ungefähr ein Dutzend Männer kam ihrer Aufforderung ohne Zögern nach. Die anderen bewegten sich unruhig, und Blicke schossen von der Lady zu ihren Kameraden, während sie begierig darauf warteten, was sie vorschlagen würde.

»Ich brauche Arbeiter.« Mara machte eine umfassende Handbewegung und lächelte. »Ich erteile Euch hiermit die Erlaubnis, in den Dienst meines Hadonras zu treten.«

Jetzt war es vorbei mit der Ruhe. Die Banditen sprachen alle auf einmal, einige murmelten unverständlich vor sich hin, andere äußerten sich lauthals. Das, was die Lady ihnen anbot, war beispiellos im Kaiserreich. Keyoke wedelte mit dem Schwert und bat um Ruhe, als ein kühn gewordener Bauer auf die Füße sprang. »Als der Lord Minwanabi meinen Herrn erschlug, rannte ich fort. Aber das Gesetz sagt, daß ich Sklave des siegreichen Herrn bin.«

Maras Stimme erhob sich klar über die allgemeine Verwirrung: »Das Gesetz sagt nichts dergleichen!« Stille trat ein, und alle Augen richteten sich auf sie. Eine Mischung aus Gelassenheit und Verärgerung lag auf ihrem Gesicht; dennoch erschien sie den Männern, die seit Monaten oder gar Jahren nichts als die Entbehrung der Wildnis gekannt hatten, wunderschön in ihrem kostbaren Gewand. Mit fester Entschlossenheit fuhr sie fort: »Die Tradition erklärt den Arbeiter zur Kriegsbeute. Der Eroberer entscheidet, wen er als freien Mann schätzt und wer Sklave sein soll. Die Minwanabi sind meine Feinde. Wenn Ihr jetzt also meine Kriegsbeute seid, werde ich über Euren Status bestimmen. Ihr seid frei.«

An diesem Punkt wurde die Stille nahezu erdrückend, wie flirrende Hitzewellen über sonnengebleichten Felsen. Die Männer rutschten unruhig hin und her, die Erschütterung der vertrauten Ordnung verwirrte und verunsicherte sie, denn die Feinheiten und Spitzfindigkeiten des gesellschaftlichen Miteinanders bestimmten das gesamte Leben der Tsurani. Eine Änderung der Grundlagen bedeutete, der Unehre zuzustimmen und so die Auflösung einer Kultur zu riskieren, die seit Jahrhunderten immer gleichen Mustern gefolgt war.

Mara spürte die Verwirrung unter den Männern; sie betrachtete erst die Bauern, auf deren Gesichtern sich eindeutig Hoffnung widerspiegelte, dann die besonders zweifelnden und abgehärteten unter den Grauen Kriegern. Schließlich griff sie auf jene Philosophie zurück, die sie im Tempel Lashimas gelernt hatte. »Die Tradition, nach der wir leben, ist wie der Fluß, der in den Bergen entspringt und hinunter zum Meer fließt. Niemand wird seinen Verlauf dort oben in den Bergen ändern können. Dies zu versuchen hieße, die natürlichen Gesetze zu mißachten. Vielen von Euch ist – wie den Acoma – großes Unglück widerfahren. Daher bitte ich Euch, zusammen mit den Acoma dem Lauf der Tradition eine neue Richtung zu geben – so wie auch ein Sturm manchmal einen Fluß veranlaßt, ein neues Bett zu graben.«

Das Mädchen hielt inne; sie hatte die Lider gesenkt und starrte auf ihre Hände. Dieser Moment war der schwierigste, denn wenn ihr auch nur ein einziger Gesetzloser widersprechen würde, könnte sie die Kontrolle für immer verlieren. Das Schweigen lastete beinahe unerträglich auf ihr, dann band Papewaio wortlos seinen Helm ab und enthüllte das schwarze Band der Verdammten um seine Stirn.

Lujan stieß einen verwunderten Schrei aus. Wie die anderen war er verwirrt über diesen Mann, der zum Tode verurteilt war, aber dennoch eine ehrenhafte Position in der Gefolgschaft einer großen Lady einnahm. Mara war stolz auf Papes Loyalität und die Geste, mit der er zu zeigen versuchte, daß Scham auch etwas anderes sein konnte als das, was die Tradition diktierte. Sie lächelte und legte ihre Hand leicht auf die Schultern ihres Truppenführers. »Dieser Mann dient mir mit Stolz. Wollt Ihr nicht dasselbe tun?« Dann sprach sie zu dem Bauern, der von den Minwanabi vertrieben worden war. »Wenn der Lord, der Euren Herrn bezwang, einen neuen Bauern braucht, laßt ihn nach Euch suchen.« Sie nickte Keyoke und ihren Kriegern kurz zu. »Die Minwanabi werden um Euch kämpfen müssen. Und auf meinem Land werdet Ihr ein freier Mann sein.«

Der Bauer sprang mit einem lauten Freudenschrei auf. »Ihr bietet mir Eure Ehre?«

»Ihr habt meine Ehre«, antwortet Mara, und Keyoke verbeugte sich, um seine Loyalität gegenüber ihrem Befehl zu bekräftigen.

Der Bauer kniete dort nieder, wo er stand, und streckte Mara seine gekreuzten Handgelenke in der uralten Geste unverbrüchlicher Treue entgegen. »Lady, ich bin Euer. Eure Ehre ist auch meine Ehre.« Mit diesen Worten verkündete der Bauer, daß er genauso bereitwillig wie jeder ihrer Krieger sterben würde, um den Namen der Acoma zu verteidigen.

Mara nickte, wie es der Brauch vorschrieb, und Papewaio schlängelte sich durch die Gruppe der Banditen, bis er vor dem Bauern stand. Nach einem alten Ritual legte er ein Seil um die Handgelenke des Mannes, band es scheinbar fest und nahm es dann wieder weg, um zu zeigen, daß der Mann, den sie als Sklave hätte halten können, statt dessen als freier Mann aufgenommen war. Erregtes Gemurmel brach aus, als ein gutes Dutzend weiterer Männer sich um die beiden scharte. In einem Kreis knieten sie um Papewaio und warteten begierig auf Maras Angebot und die damit verbundene Hoffnung auf ein neues Leben.

Keyoke forderte einen Krieger auf, die neu eingeschworenen Arbeiter zu sammeln; sie würden mit den Wachen der Acoma zurück zum Gut marschieren und von Jican der jeweiligen Haus-und Feldarbeit zugeteilt werden.

Die übrigen Banditen blickten Mara mit der tiefen Hoffnung der Verzweifelten an, als sie weitersprach: »Ihr anderen Gesetzlosen, sagt, was waren Eure Verbrechen?«

Ein kleiner, von Krankheit gezeichneter Mann meldete sich mit rauher Stimme zu Wort: »Ich habe schlecht über einen Priester gesprochen, Lady.«

»Ich habe für meine hungrigen Kinder vor dem Steuereintreiber Korn zurückbehalten«, rief ein anderer.

Die Liste der unbedeutenden Vergehen ging weiter, bis Mara sich vergewissert hatte, daß Lujans Aussage der Wahrheit entsprochen hatte – Diebe und Mörder hatten in seiner Gruppe keinen Unterschlupf gefunden. Dann sprach sie zu den Verdammten: »Geht, wohin Ihr wollt, oder tretet als freie Männer in meinen Dienst. Als Herrscherin der Acoma biete ich Euch die Begnadigung innerhalb der Grenzen meines Landes.« Wenn auch die kaiserliche Amnestie jenseits ihrer Macht als Herrscherin eines Familienclans lag, wußte Mara doch, daß kein Minister der Kaiserlichen Regierung Einwände wegen des Schicksals niederer, beinahe namenloser Arbeiter erheben würde – besonders dann nicht, wenn er niemals von einer solchen Amnestie gehört hatte.

Die begnadigten Männer grinsten über den Schachzug der Lady und eilten zu Papewaio, um ihren Treueeid abzulegen. Froh knieten sie nieder. Als Arbeiter der Acoma würden sie möglicherweise von den Feinden der neuen Herrin bedroht sein, aber die Gefahr, die mit dem Dienst gegenüber einem großen Haus verbunden war, war immer noch ihrer bitteren Existenz als Gesetzlose vorzuziehen.

Die nachmittägliche Sonne ließ die Schatten der Bäume immer länger werden, und goldfarbene Lichtsprengsel kämpften sich durch die lichten Stellen zwischen den Zweigen und Ästen. Mara betrachtete die mittlerweile ziemlich zusammengeschmolzene Schar der Banditen, bis ihr Blick an Lujan hängenblieb. »Ihr herrenlosen Soldaten, hört mir gut zu.« Sie hielt inne, wartete, bis die frisch angeworbenen Arbeiter auf der Straße verschwunden waren und ihr fröhliches Geplauder verklang. Sie wirkte zart und zierlich neben Papewaios muskulöser Gestalt, doch jetzt wandte sie sich an den härtesten und ungepflegtesten Anhänger Lujans und suchte seinen Blick. »Ich biete Euch etwas an, das noch keinem Krieger in der Geschichte des Kaiserreichs widerfahren ist: einen zweiten Anfang. Wer von Euch möchte mit zu meinem Gut zurückkehren, um sich Ehre neu zu erschaffen … indem er vor dem Heiligen Hain niederkniet und dem Natami der Acoma ewige Treue schwört?«

Stille senkte sich über die Lichtung, und einen Augenblick schien es, als wagte niemand zu atmen. Doch dann brach blankes Chaos aus. Aufgeregte Männer stellten laute Fragen und wurden von anderen niedergeschrien, die meinten, die Antworten zu kennen. Einige stießen ihre schmutzigen Hände in die Luft, um die Grenzen des Gesetzes zu betonen, andere stampften mit den Füßen auf den Boden. Schließlich sprangen die erregten Männer auf und drängten zu Maras Wagen.

Papewaio gebot der stürmischen Menge mit gezogenem Schwert Einhalt, und Keyoke eilte von den Wagen herbei und befahl Ruhe.

Nur langsam beruhigten sich die Banditen. Als es wieder still war, warteten sie darauf, daß ihr Anführer das Wort ergriff.

Voller Respekt gegenüber Papewaios Wachsamkeit verbeugte Lujan sich tief vor dem Mädchen, das es gewagt hatte, sein bisheriges Leben so sehr in Unordnung zu bringen. »Lady, Eure Worte sind … erstaunlich … großzügig, jenseits jeder Vorstellungskraft. Aber wir haben keine Herren, die uns aus unserem früheren Dienst entlassen könnten.« Etwas wie Trotz blitzte in seinen Augen auf.

Mara bemerkte es und versuchte ihn zu verstehen. Obwohl sich hinter seinem verwahrlosten Äußeren etwas Spitzbübisches verbarg, ganz davon abgesehen, daß er zudem gut aussah, verhielt er sich wie ein Mann, der bedroht wurde. Plötzlich verstand Mara auch, warum. Diese Männer besaßen nichts mehr, wofür es sich zu leben gelohnt hätte, sie lebten ohne jede Hoffnung von einem Tag auf den nächsten. Wenn es ihr gelang, sie dazu zu bringen, daß sie das Schicksal wieder in ihre eigenen Hände nehmen und den Acoma ihre Loyalität schworen, würde sie Krieger von unvorstellbarem Wert erhalten. Doch zunächst mußte sie ihnen wieder den Glauben an eine Zukunft zurückgeben.

»Ihr seid in keinem Dienst gebunden«, sagte sie sanft zu Lujan.

»Aber wir haben einen Eid geschworen …« Seine Stimme wurde schwächer, bis sie kaum mehr als ein Flüstern war. »Niemals zuvor ist ein Angebot wie dieses gemacht worden. Wir … Wer von uns kann sagen, was ehrenvoll ist?« Da war etwas Flehentliches in Lujans Stimme, als würde er Mara bitten, ihm vorzuschreiben, was richtig war. Auch die übrigen Banditen waren verwirrt und sahen ihren Anführer ratsuchend an.

Plötzlich fühlte sich Mara wieder wie die unerfahrene siebzehnjährige Novizin Lashimas, und sie wandte sich hilfesuchend an Keyoke. Der alte Krieger ließ sie nicht im Stich. Auch ihn berührte dieser Mißbrauch der Tradition unangenehm, doch er ließ es sich nicht anmerken, als er zu ihnen sprach: »Wie es heißt, muß ein Soldat im Dienst entweder für seinen Herrn sterben, oder er wird entehrt. Wie meine Herrin zeigt, kann das Schicksal aber auch anders entscheiden, und niemand ist berechtigt, mit den Göttern zu streiten. Wünschen die Götter nicht, daß Ihr den Acoma dient, fällt ganz sicher ihr Mißfallen auf dieses Haus. Meine Herrin will dieses Risiko eingehen, für sich selbst und für Euch. Sterben werden wir alle, mit oder ohne Gunst des Himmels. Die Kühnen von Euch können jedoch das Schicksal herausfordern« – er hielt einen langen Augenblick inne, bevor er weitersprach – »und als Soldaten sterben.«

Lujan rieb seine Handgelenke; er war immer noch nicht ganz überzeugt. Die Götter zu verärgern bedeutete, den völligen Ruin heraufzubeschwören. Das unglückselige Leben, das er als Gesetzloser zu ertragen hatte, bot, immerhin die Möglichkeit, den Fehler zu sühnen, den er begangen hatte, als er nicht mit seinem Herrn gestorben war. Vielleicht könnte seine Seele sogar das nächste Mal, wenn sie an das Rad des Lebens gebunden würde, auf eine höhere Stufe gelangen.

Während die Banditen, jeder ganz mit sich beschäftigt, immer stärker die nervöse Unruhe ihres Anführers widerspiegelten, fuhr Papewaio mit dem Finger über seine Narbe. »Ich bin Papewaio, Truppenführer der Acoma«, erklärte er nachdenklich. »Ich wurde in den Dienst für dieses Haus hineingeboren, aber einige Cousins meines Vaters und Großvaters dienten den Shinzawai, den Wedewayo, den Anasati …« Er hielt inne, und als niemand etwas sagte, fügte er die Namen weiterer Häuser hinzu.

Lujan stand wie gebannt da. Er hielt die Augen halb geschlossen, als hinter ihm ein Mann rief: »Mein Vater diente dem Haus der Wedewayo. Ich lebte dort, bevor ich in den Dienst des Lords der Serak trat. Der Name meines Vaters war Almaki.«

Papewaio nickte, während er rasch nachdachte. »Der gleiche Almaki, der ein Cousin von Papendaio, meinem Vater, war?«

Der Mann schüttelte enttäuscht den Kopf. »Nein, aber ich kannte ihn. Er wurde der Kleine Almaki genannt, während mein Vater der Große Almaki war. Doch auch noch andere Cousins meines Vaters dienten dort.«

Papewaio bedeutete dem Mann, die Reihen zu verlassen und zu ihm zu kommen. Leise berieten sie sich einige Minuten außerhalb von Maras Hörweite, während sich unter den anderen Erregung breitmachte. Schließlich brach der Bandit in ein breites Grinsen aus, und der Truppenführer wandte sich mit einer ehrerbietigen Verbeugung an seine Herrin. »Mylady, dies ist Toram. Sein Onkel war der Cousin eines Mannes, der eine Frau heiratete, die die Schwester der Frau war, die den Neffen meines Vaters heiratete. Er ist mein Cousin und wert, dem Haus der Acoma zu dienen.«

Mühsam verbarg Mara hinter dem Ärmel ihres Gewandes ein Lächeln. Pape und der offensichtlich gerissene Toram hatten sich eine einfache Tatsache der tsuranischen Kultur zunutze gemacht. Den zweiten und dritten Söhnen von Soldaten stand es frei, Dienst in Häusern zu leisten, in denen sie nicht geboren waren. Indem Papewaio den Grauen Krieger wie einen Jugendlichen behandelte, umging Papewaio Lujans Problem mit der Ehre vollkommen. Als Mara wieder in der Lage war, sich würdevoll zu äußern, sagte sie einfach nur: »Pape, nehmt Euren Cousin in unseren Dienst auf, wenn er bereit dazu ist.«

Brüderlich umfaßte Papewaio Torams Schultern. »Cousin, du wirst gebeten, den Acoma zu dienen.«

Der Mann erhob sein Kinn mit neuerlangtem Stolz und erklärte mit leicht brüchiger Stimme seine Zustimmung: »Ich werde kommen!«

Seine Worte lösten große Aufregung unter den Gesetzlosen aus, die sich jetzt um die Soldaten der Acoma scharten und begannen, Namen von Verwandten auszutauschen. Wieder kämpfte Mara gegen ein Lächeln an. Jeder Tsuram von edler Geburt und jeder Soldat kannte die Blutslinie seiner Familie mehrere Generationen weit zurück, wie er auch die Namen von Cousins, Tanten und Onkels kannte, auch wenn er die meisten niemals gesehen hatte. Wenn sich zwei Tsuram zum ersten Mal begegneten, begann gewöhnlich ein ausführlicher Austausch über die Gesundheit der Verwandten; dann wurden Geschichten ausgetauscht, bis die zwei Fremden wußten, wer von ihnen ein Stückchen höher auf der sozialen Leiter stand. Es war so gut wie ausgeschlossen, daß sich auch nach ausführlicher Unterredung keine noch so schwache Verbindung offenbaren würde, die es den Grauen Kriegern ermöglichte, in den Dienst der Acoma gerufen zu werden.

Mara gestattete Papewaio, ihr seine Hand zu reichen, damit sie vom Wagen steigen konnte. Die Banditen sammelten sich in kleinen Grüppchen um verschiedene Soldaten, und fröhliche Stimmen stellten Fragen und gaben Antworten, als Verwandtschaftsbeziehungen festgestellt wurden. Lujan schüttelte verwundert den Kopf und sah Mara an; seine Augen leuchteten vor kaum verborgenen Gefühlen. »Mylady, allein die List, mit der Ihr uns gefangennahmt, war ein Meisterstück und … hätte mich mit Stolz erfüllt, Euch dienen zu dürfen. Dieses hier aber …« Er deutete mit seiner Hand auf seine aufgeregt hin und her eilenden Männer. »Dieses hier ist jenseits jeder Vorstellungskraft.« Er wurde beinahe überwältigt von seinen Gefühlen und wandte sich einen Augenblick ab, während er mühsam schluckte, dann sah er Mara wieder an. Jetzt trug sein Gesicht wieder die typische Maske der Tsurani, auch wenn seine Augen noch glänzten. »Ich weiß nicht, ob es … richtig ist, aber gern trete ich in Eure Dienste und mache die Ehre der Acomas zu meiner eigenen. Ich stelle Euch mein Leben zur Verfügung, Mylady. Und auch wenn es nur noch kurz sein sollte, wird es ein gutes gewesen sein, denn ich werde wieder die Farben eines Hauses getragen haben.« Er straffte sich. Jede Spur von Verwegenheit war von ihm abgefallen, als er jetzt für einen langen Moment seinen Blick auf ihr ruhen ließ, bis sie ihn erwiderte. Die Worte, die er dann sprach, beeindruckten sie auch noch viel später wegen ihrer Aufrichtigkeit. »Ich hoffe, das Schicksal erspart mir noch einige Jahre den Tod, Mistress, damit ich an Eurer Seite stehen kann. Denn ich bin sicher, Ihr spielt das Spiel des Rates.« Beinahe hätte er die Kontrolle über sich verloren; seine Augen schimmerten feucht, und ein Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. »Und ich denke, es wird das Kaiserreich für immer verändern.«

Mara stand still da, während Lujan sich verbeugte und fortging, um auch seine Verwandtschaftsbeziehungen mit denen der Acoma-Soldaten zu vergleichen und jemanden aus seiner Familie zu finden – wie entfernt die Verbindung auch sein mochte. Dann ließ er mit Keyokes Erlaubnis Läufer zu seinem Lager schicken, um die übrigen Mitglieder seiner Gefolgschaft holen zu lassen. Die Nachzügler reagierten unterschiedlich ungläubig, doch als sie die Lady der Acoma auf einem Thyza-Wagen thronen sahen, als hielte sie im Schatten einer Säule ihres Hauses Hof, verloren sie ihre Zweifel. Sie ließen sich vom Überschwang ihrer Kameraden, die bereits in den Dienst der Acoma getreten waren, mitreißen und nannten ebenfalls all ihre Cousins und angeheirateten Verwandten, bis auch der letzte seine Ehre durch den Eintritt in den Dienst eines Hauses wiedererlangt hatte.

Der Nachmittag verging, und der Schatten der Schlucht kroch über die Lichtung. Die Hitze ließ nach, und der frische Wind, der durch die Äste und Zweige rauschte, wehte den Geruch des Waldes zu ihnen. Zufrieden mit dem Ausgang dieses Tages beobachtete Mara einige Gaguin-Vögel, die sich im Sturzflug über die in der Brise tanzenden Insekten hermachten. Nachdem sie ihre Mahlzeit beendet hatten und mit heiseren Rufen gen Süden aufbrachen, bemerkte Mara, wie müde und hungrig sie selbst war.

Als hätte er ihre Gedanken gelesen, trat Keyoke neben sie und sagte: »Lady, wir müssen sofort aufbrechen, wenn wir noch vor Einbruch der Nacht Euer Haus erreichen wollen.«

Mara nickte; sie hatte genug von den harten Säcken mit Thyza-Korn und sehnte sich nach weichen Kissen. Nach den Blicken all der hungrigen Männer empfand sie den kleinen, geschützten Raum ihrer Sänfte plötzlich als sehr einladend. »Gehen wir also, Kommandeur. Es sind Acoma-Soldaten hier, die sich über ein Bad und eine warme Mahlzeit freuen und es vorziehen würden, sich in Baracken auszuruhen, wo der Nebel ihre Laken nicht klamm werden läßt«, rief sie laut genug, daß die Männer es hören konnten.

Selbst Maras Augen wurden feucht vor Rührung, als die ehemaligen Banditen daraufhin stürmische Freudenschreie ausstießen. Die Männer, die vor kurzem noch bereit gewesen waren, gegen sie zu kämpfen, waren nun bestrebt, sie zu schützen. Still dankte das Mädchen Lashima. Dies war ihr erster Sieg, und er hatte sich noch recht leicht erringen lassen; angesichts der Stärke der Minwanabi und der raffinierten Schläue der Anasati würden weitere Siege in Zukunft nicht so einfach sein – wenn sie ihr überhaupt gelingen sollten.

Mara wurde leicht gegen die Kissen geworfen, als die Sklaven die Sänfte aufnahmen; sie fühlte sich plötzlich erschöpft und müde und erlaubte sich einen tiefen Seufzer der Erleichterung. Alle Zweifel und Ängste, die sie während der Auseinandersetzung und der Unterredung mit den Banditen unterdrückt hatte, traten jetzt hinter dem Schutz der Vorhänge an die Oberfläche. Erst jetzt konnte sie sich eingestehen, wie verängstigt sie gewesen war. Sie spürte ein unerwartetes Frösteln. Sie war sich im klaren, daß Feuchtigkeit die feine Seide ihres Kleides verderben würde, und unterdrückte schniefend den unerträglichen Drang zu weinen. Lano hatte sich über ihre Gefühlsausbrüche als Kind immer lustig gemacht, er hatte sie damit geneckt, daß sie keine richtige Tsurani wäre – obwohl von Frauen niemals so sehr erwartet wurde, sich zu beherrschen, wie von Männern.

Sie erinnerte sich an seine scherzhaften Worte und daran, daß sie ihren Vater niemals unsicher gesehen hatte, auch nicht zweifelnd oder ängstlich. Sie schloß die Augen und versuchte sich mit einer meditativen Übung zu beruhigen. Sie hörte die Stimme der Schwester, die sie im Tempel Lashimas unterrichtet hatte, in ihrem Bewußtsein: Lerne die wahre Natur deines Ichs kennen, akzeptiere alle Aspekte deines Ichs, dann kannst du beginnen, sie zu beherrschen. Die Leugnung des Ichs heißt, alles zu leugnen.

Mara schniefte wieder. Jetzt tropfte auch ihre Nase. Sie schob ihre Ärmel hoch, um sie nicht zu beschmutzen, und gestand sich still die Wahrheit ein. Sie war erschreckt gewesen, am meisten in dem Augenblick, als sie überlegt hatte, ob die Banditen möglicherweise ihre Güter überfielen, während sie hier vergeblich die Berge nach ihnen absuchte.

Wieder tadelte Mara sich: So durfte sich eine Herrscherin nicht benehmen! Doch dann verstand sie die Quelle ihrer Gefühle: Sie konnte nicht mit Sicherheit sagen, welches Benehmen von einer Herrscherin erwartet wurde. Sie besaß keinerlei Erfahrung, was das Führen eines Hauses anging – ein Tempelmädchen, wider Willen in den tödlichsten aller Wettbewerbe des Kaiserreichs gestoßen.

Mara rief sich eine frühe Lektion ihres Vaters ins Gedächtnis: Zweifel behinderten die Fähigkeit, entschlossen zu handeln, und im Spiel des Rates war Zögern gleichbedeutend mit Sterben.

Um zu vermeiden, daß sie zu lange über ihre Schwächen grübelte, blinzelte Mara durch einen Spalt in den Vorhängen auf die gerade rekrutierten Acoma-Angehörigen. Ihre Kleidung war vernachlässigt, die Gesichter waren ausgezehrt, die Arme dürr, und ihre Augen erinnerten an erschreckte Tiere, doch diese Männer waren Soldaten, und Mara erkannte nun etwas, was sie bisher übersehen hatte: Diese Gesetzlosen, sogar dieser spitzbübische Lujan, waren genauso erschreckt gewesen wie sie. Diese Erkenntnis verblüffte Mara zunächst, bis sie den Überfall noch einmal vor ihrem geistigen Auge ablaufen ließ – diesmal allerdings aus der Perspektive der Gesetzlosen. Abgesehen davon, daß sie in der Unterzahl waren, hatten sich die Krieger der Acoma als kampferprobte Soldaten präsentiert, gut bewaffnet und stark. Einige dieser Grauen Krieger dagegen hatten seit einem Jahr keine richtige Mahlzeit mehr gesehen, und ihre Waffen waren eine seltsame Mischung aus weggeworfenen, gestohlenen oder mühselig zusammengebastelten Schwertern und Messern. Nur wenige hatten so etwas wie einen Schild, und keiner trug eine Rüstung. Nein, dachte Mara, viele dieser traurigen, verzweifelten Männer mußten damit gerechnet haben, daß einige von ihnen an diesem Tage ihr Leben lassen würden. Und jeder hatte sich gefragt, ob er wohl zu ihnen gehören würde.

Die Männer marschierten weiter, ohne etwas von den Gedanken ihrer Herrin zu ahnen. Ihre Gesichter enthüllten eine ganze Reihe widerstrebender Gefühle, unter ihnen Hoffnung und die Furcht vor falscher Hoffnung. Mara sank wieder in die Kissen zurück; geistesabwesend betrachtete sie das farbenfrohe Muster der Vorhänge in der Sänfte. Wie hatte sie das alles plötzlich in den Gesichtern der Männer erkennen können? Hatte ihre eigene Furcht möglicherweise zu einer Wahrnehmungsfähigkeit geführt, die sie bisher selbst nicht verstanden hatte? Auf einmal erfüllten Erinnerungen an ihren Bruder Lanokota ihr Bewußtsein, und ihr war, als würde er neben ihr sitzen. Sie konnte ihn flüstern hören, als sie die Augen schloß. »Du wirst erwachsen, kleine Schwester.«

Plötzlich konnte Mara ihre Tränen nicht länger zurückhalten. Sie weinte jedoch nicht mehr aus Trauer, sondern aus einem überglücklichen Drang heraus, der ganz der Freude ähnelte, als Lano im vergangenen Sommer die Spiele in Sula-Qu gewonnen hatte. An diesem Tag hatten Mara und ihr Vater ihm wie Bauern vom Podium zugejubelt – eine Zeitlang hatten sie den Verhaltenskodex ihres gesellschaftlichen Rangs und des Anstandes beiseite gelegt. Jetzt jedoch überschwemmten sie die Gefühle mit einer zehnmal größeren Heftigkeit.

Sie hatte gewonnen. Sie hatte ihren ersten Sieg im Spiel des Rates gewonnen, und die Erfahrung hatte ihren Geist geschärft, ließ sie nach mehr, nach Größerem verlangen. Zum ersten Mal in ihrem Leben verstand sie, warum die großen Herrscher danach trachteten, Ehre zu erlangen und dafür sogar zu sterben bereit waren.

Sie lächelte durch die Spuren der Tränen hindurch und überließ sich den beruhigenden Bewegungen der Sänfte. Niemand von denen, die wie sie am imaginären Spieltisch der tsuranischen Politik saßen, würde von diesem Schachzug erfahren; schon gar nicht sofort oder in nächster Zeit. Während der Verrat der Minwanabi die Garnison der Acoma auf weniger als fünfzig Soldaten verringert hatte, gehörte ihr jetzt die Loyalität von mehr als zweihundert. Da Graue Krieger sich im ganzen Kaiserreich versteckt hielten, konnte sie die Männer anhalten, noch andere zu rekrutieren. Dadurch, daß sie das Kästchen mit der Feder dem Lord der Minwanabi zugesandt hatte, mochte sie vielleicht eine weitere Woche gewonnen haben – eine Woche, an deren Ende sie vielleicht schon auf fünfhundert oder noch mehr Soldaten zählen konnte, um sich einem Angriff zu widersetzen. Mara fühlte sich überglücklich. Sie kannte nun den Geschmack des Sieges! Und zwei Stimmen tauchten in ihrer Erinnerung auf. Auf der einen Seite war es die lehrende Schwester: »Kind, sei wachsam gegenüber den Verführungen von Macht und Triumph, denn jene Dinge sind vergänglich.« Doch Lanos ungestüme Stimme zwang sie, ihre Errungenschaften anzuerkennen: »Genieße den Sieg, solange du kannst, Mara-anni. Genieße ihn, solange du kannst.«

Mara lehnte sich zurück, müde genug, um ihrem Geist etwas Ruhe zu gönnen. Während ihre Sklaven sie durch die dunkler werdenden Schatten des Sonnenuntergangs nach Hause trugen, lächelte sie leicht in der Geborgenheit der Sänfte. Wenn sie auch wußte, daß ihre Situation immer noch nahezu hoffnungslos war, so würde sie dennoch Lanos Rat annehmen. Das Leben mußte ausgekostet werden, solange es existierte.

Die Wagenräder quietschten und drehten sich, und die Needras schnaubten, während der Staub der marschierenden Männer die Luft ockerfarben und golden färbte. Der Sonnenuntergang wurde zur Dämmerung, als Maras ungewöhnliche Karawane sich mit ihrer merkwürdig zusammengestellten Kompanie bewaffneter Männer auf den Besitz der Acoma zubewegte.

Die Fackeln am Haupttor des Herrenhauses warfen ihr Licht auf einen Innenhof, in dem völlige Verwirrung herrschte. Die Ankunft der ersten Gruppe der ehemals herrenlosen Arbeiter und Bauern hatte Jican und seine Leute so sehr in Atem gehalten, daß sie alles andere vernachlässigen mußten, da Mahlzeiten, Unterkünfte und Arbeiten zu verteilen waren. Als Maras Karawane gegen Einbruch der Nacht mit Lujans zerlumpten, unterernährten Kriegern zurückkehrte, schlug der Hadonra die Hände über dem Kopf zusammen und betete zu den Göttern, daß dieser Tag mit seiner unmöglich zu bewältigenden Arbeit endlich ein Ende finden würde. Er war selbst hungrig und hatte sich längst mit den Vorwürfen abgefunden, die er von seiner Frau zu erwarten hatte, weil er nicht zu Hause gewesen war, um seine Kinder zu Bett zu bringen. Dennoch verspürte er eine unermüdliche Energie, als wollte er die Tatsache ausgleichen, da er kleiner als die meisten seiner neuen Untergebenen war. Zunächst ließ er nach dem Koch senden, damit noch ein weiterer Kessel Thyza vorbereitet und kaltes Fleisch und Früchte geschnitten würden. Dann schrieb er Namen auf und stellte zusammen, welche Männer Kleidung benötigten, welche Sandalen. Während Keyoke die Neuankömmlinge in Kompanien einteilte, stellten Jican und seine Gehilfen eine Gruppe von Sklaven zusammen, die eine leere Baracke säuberten und Laken für die Schlafstätten besorgten. Ohne offiziell von jemandem dazu beauftragt worden zu sein, übernahm Lujan die Rolle eines Offiziers, gab Anweisungen oder beruhigte, je nach Bedarf, um seiner Kompanie zu helfen sich einzurichten.

Mitten durch dieses Chaos aus umhereilenden Männern und Needra-Wagen schob sich Nacoya, ihre Haarnadeln vor lauter Tatendrang schief wie immer. Sie warf einen schnellen Blick auf Lujans verwegene Truppe und steuerte dann gezielt Maras Sänfte an. Sie bahnte sich einen Weg durch die Menge und erreichte sie gerade, als Papewaio seiner Herrin beim Aussteigen half. Steif vom Sitzen und benommen vom Fackellicht beobachtete Mara den kurzen Augenblick, als ihr Truppenführer sie der Obhut Nacoyas übergab. Es gab eine unsichtbare Linie zwischen der Domäne eines Leibwächters und einer Zofe, und sie lag ziemlich genau dort, wo der steinerne Weg von den Haupttüren des Hauses auf die Straße trat.

Nacoya begleitete ihre Herrin zurück in ihre Gemächer, einen Schritt hinter ihr, ganz wie es dem Brauch entsprach. Kaum waren sie durch die Tür, gab sie den übrigen Dienerinnen ein Zeichen, sich zurückzuziehen. Dann schloß sie die Läden fest zu, während die umherhuschenden Schatten der Öllampe ihren Gesichtsausdruck verbargen.

Als Mara innehielt und die vielen Armbänder und Juwelen abnahm, die sie getragen hatte, um während ihres Plans etwas leichtfertiger auszusehen, richtete die alte Amme sich mit hitziger Stimme an sie: »Was ist das für eine plötzliche Rückkehr? Und wer sind all diese zerlumpten Männer?«

Mara warf eine Brosche und eine Jade-Kette mit einem klirrenden Geräusch in eine kleine Schatulle. Nach all der Anspannung, der Gefahr und der berauschenden Euphorie ihres Erfolgs war ihr die gebieterische Art der Amme unangenehm, doch sie beherrschte sich, nahm einen Ring nach dem anderen ab und erzählte ihr in allen Einzelheiten von dem Plan, den sie ausgeführt hatte, um die Garnison der Acoma mit neuen Männern aufzufüllen.

Als das letzte Schmuckstück mit einem Klicken auf den Stapel fiel, erhob Nacoya ihre Stimme: »Ihr habt es gewagt, die Zukunft der Acoma mit einer derart schlecht geplanten List aufs Spiel zu setzen? Mädchen, wißt Ihr eigentlich, was Ihr da riskiert habt?« Mara drehte sich um. Nacoya stand hinter ihr, die Hände vor der Brust zusammengepreßt, das Gesicht vor Erregung gerötet. »Wenn nur einer der Banditen zu einem Schlag ausgeholt hätte, wären Eure Männer bei Eurer Verteidigung gestorben! Und wofür? Damit ein mageres Dutzend Krieger übrigbleibt, um die leere Hülle dieses Hauses gegen die Minwanabi zu schützen? Wer hätte den Natami verteidigt? Nicht Keyoke oder Papewaio. Sie wären längst tot gewesen!« Die alte Frau schüttelte sich, ihre Wut wurde fast zur Hysterie. »Ihr hättet von jedem einzelnen dieser Männer benutzt werden können! Ihr hättet getötet werden können!«

Nacoyas Stimme wurde lauter, als wäre sie unfähig, ihre Wut unter Kontrolle zu halten: »Statt dieses … rücksichtslosen Abenteuers … hättet Ihr … hättet Ihr Euch lieber um eine geeignete Heirat kümmern sollen!« Nacoya streckte die Hände nach Maras Armen aus und schüttelte sie, als wäre sie noch ein Kind. »Wenn Ihr mit Eurer starrköpfigen Dummheit fortfahrt, werden Halsabschneider und Needra-Diebe Eure Güter bewachen, und Eure Möglichkeiten reduzieren sich auf die Söhne wohlhabender Düngemittelhändler, die nach einem Namen für ihre Familie suchen!«

»Genug!« Verwirrt über die Härte ihrer eigenen Stimme schob Mara die alte Frau von sich. Mit der Schärfe einer Sense, die durch das Gras fährt, hatte sie Nacoyas Worte abgeschnitten, und die alte Frau hielt in ihrer Tirade inne. Als Nacoya Anstalten machte, wieder den Mund zu öffnen, ließ Mara sie nicht zu Wort kommen: »Genug, Nacoya.« Ihr Tonfall war von energischer Heftigkeit und konnte die Wut kaum verhehlen.

Mara sah ihre alte Amme an und trat auf sie zu, bis nur noch wenige Zentimeter sie trennten. »Ich bin die Herrin der Acoma.« Die Aussage spiegelte nur wenig von dem Zorn des vergangenen Augenblicks, und Mara beruhigte sich langsam wieder. Sie betrachtete das Gesicht der Frau, die sie aufgezogen hatte, seit sie ein Baby gewesen war. »Mutter meines Herzens«, sagte sie dann ernst, »von allen, die mir dienen, liebe ich dich am meisten.« Dann wurden ihre Augen schmal, und das Feuer kehrte in ihre Stimme zurück. »Aber vergiß niemals auch nur für einen Augenblick, daß du mir dienst. Berühre mich noch einmal so, rede noch einmal in dieser Weise mit mir, Nacoya – und ich werde dich wie eine Küchensklavin prügeln lassen. Hast du mich verstanden?«

Nacoya schwankte einen Augenblick und beugte dann langsam ihren alten Kopf. Einzelne Haarsträhnen flatterten um ihren Nacken, als sie sich steif vor Mara niederließ, bis beide Knie den Boden berührten. »Ich bitte meine Herrin um Vergebung.«

Nach einem kurzen Augenblick beugte sich Mara vor und legte die Arme um Nacoyas Schultern. »Meine älteste und liebste Kameradin, das Schicksal hat unsere Rollen getauscht. Noch vor wenigen Tagen war ich eine Novizin im Tempel, und du warst meine Lehrerin und Mutter. Jetzt muß ich über dich herrschen, wie es auch mein Vater getan hat. Du dienst mir sehr, wenn du mir deine große Weisheit zur Verfügung stellst. Aber am Ende muß ich allein entscheiden, welchem Weg ich folge.«

Mara hielt die zitternde alte Frau fest. »Und solltest du jemals Zweifel haben, erinnere dich daran, daß die Banditen mich nicht gefangengenommen haben. Papewaio und Keyoke sind nicht gestorben. Ich habe die richtige Entscheidung getroffen. Meine List war erfolgreich, und jetzt erhalten wir ein bißchen von dem zurück, was wir verloren haben.«

Nacoya war still. »Ihr hattet recht«, flüsterte sie schließlich.

Mara ließ die alte Frau los und klatschte zweimal kurz in die Hände. Dienerinnen eilten herbei, um sich um ihre Herrin zu kümmern, während die alte Amme vom Boden aufstand. Immer noch bebend von der Maßregelung sagte sie: »Lady, ich bitte um die Erlaubnis, mich zurückziehen zu dürfen.«

Mara hob ihr Kinn, als eine der Dienerinnen begann, den Kragen ihres Gewandes zu öffnen. »Ja, meine gute Alte, aber kehre zurück, wenn ich gebadet habe. Wir haben viel zu besprechen. Ich habe über das nachgedacht, was du mir geraten hast. Die Zeit ist gekommen, Vorbereitungen für eine Heirat zu treffen.«

Nacoyas dunkle Augen öffneten sich weit. Nach Maras eigenwilligem Verhalten kam dieses Zugeständnis vollkommen überraschend. »Wie Ihr wünscht, Mylady«, sagte sie und verbeugte sich. Dann verschwand sie und überließ die Dienerinnen ihrer Arbeit. Im düsteren Licht des Korridors streckte die alte Frau erleichtert ihren Rücken. Zu guter Letzt hatte Mara ihre Rolle als Herrscherin akzeptiert. Und wenn auch die Intensität von Maras Tadel sie nicht unberührt gelassen hatte, so lag auch eine tiefe Befriedigung darin, die Verantwortung für ein Kind abgeben zu können, das die Ehre ihrer Vorfahren selbst in die Hand nehmen mußte. Die alte Amme nickte in sich hinein. Zwar gehörte Umsicht nicht gerade zu Maras Tugenden, doch sie hatte ohne jeden Zweifel die erstaunliche Kühnheit und den Mut ihres Vaters geerbt.

Eine Stunde später erhob sich die Lady der Acoma aus ihrer Badewanne. Zwei Dienerinnen wickelten Tücher um ihren naßglänzenden Körper, während eine andere die Trennwand wieder aufstellte, mit der die hölzerne Wanne vom Rest des Schlafzimmers abgeteilt war. Wie in allen großen Häusern der Tsuranis hingen Anzahl und Größe der Räume davon ab, wo und wie Trennwände und Türen eingesetzt wurden. Wenn Mara einen anderen Laden zur Seite schob, konnte sie das Schlafzimmer direkt vom Arbeitszimmer aus erreichen, ohne die Haupträume verlassen zu müssen.

Die Luft war immer noch heiß. Mara wählte ihre leichteste Seidenrobe, die kaum mehr als die Hälfte der Oberschenkel bedeckte und beinahe durchsichtig war, da ihr die reichhaltige Stickerei fehlte. Der Tag hatte sie zutiefst ermüdet, und sie sehnte sich nach einfacher Kleidung und Entspannung. Später, in den kühleren Stunden des späten Abends, würde sie ein längeres und schwereres Gewand tragen. Aber jetzt, in der Gegenwart ihrer Dienerinnen und Nacoyas, konnte Mara sich in der leicht anzüglichen, doch bequemen Hausrobe entspannen.

Auf den Befehl ihrer Herrin zog eine Dienerin einen Laden zurück, der den Blick auf einen kleinen Teil des Gartens im inneren Hof freigab. Mara nutzte ihn immer, wenn sie Ruhe zum Nachdenken und Sinnieren brauchte. Die raffinierte Anordnung von Büschen und Zwergbäumen zu einem dichten Streifen Grün ermöglichte es, daß die Bediensteten bei der Verrichtung ihrer Aufgaben den zentralen Innenhof des Hauses durchquerten, ohne Mara sehen zu können.

Als Nacoya erschien, hatte Mara sich vor den Eingang zum Garten gesetzt. Das Mädchen war sichtlich erschöpft und bedeutete der Amme schweigend, sich ihr gegenüber niederzulassen. Dann wartete sie.

»Mistress, ich habe hier eine Liste aller geeigneten Verbindungen«, begann Nacoya.

Mara starrte weiterhin durch die Tür hinaus in den Garten; sie blieb vollkommen reglos bis auf eine leichte Drehung des Kopfes, als die Dienerin ihre langen, feuchten Haare kämmte. Nacoya setzte stillschweigend das Einverständnis ihrer Herrin voraus und rollte das Pergament mit ihren faltigen Händen auseinander. »Mistress, wenn wir die Intrigen der Minwanabi und Anasati überleben wollen, müssen wir sehr sorgfältig nach einer Verbindung suchen. Wir haben drei Möglichkeiten, denke ich. Wir können uns mit einem alten und ehrenvollen Namen verbinden, dessen Einfluß mittlerweile gesunken ist. Oder wir können einen Ehemann aus einer Familie wählen, die erst kürzlich zu Macht und Wohlstand gelangt ist, aber Ehre, Tradition und politische Verbindungen sucht. Schließlich können wir uns für eine Familie entscheiden, die sich mit uns verbindet, weil der Name Eures Vaters ihren eigenen Zielen im Großen Spiel zugute kommt.«

Nacoya hielt inne, um Maras Antwort abzuwarten. Doch die junge Frau starrte weiter in das Zwielicht des Gartens, und nur ein schwaches Runzeln kräuselte ihre Stirn. Die Dienerin war jetzt fertig mit Kämmen; sie band Maras Haare zu einem festen Knoten zusammen, verbeugte sich und verschwand.

Nacoya wartete. Als Mara immer noch keine Anstalten machte, sich zu rühren, räusperte sie sich und deutete, während sie ihre Erbitterung so gut es ging verbarg, auf die Schriftrolle. »Ich habe jene Familien ausgelassen, die zwar mächtig sind, denen es aber an Tradition mangelt. Ihr habt mehr von einer Heirat mit dem Sohn eines Hauses, der im Gegenzug mächtige Verbündete besitzt. Da dies möglicherweise zu Verwicklungen mit Verbündeten der Minwanabi führen kann, besonders den Anasati, bleiben nur wenige wirklich geeignete Familien.« Sie warf wieder einen Blick auf Mara, aber die Lady der Acoma schien einzig den Geräuschen der Insekten zu lauschen, die nach dem Sonnenuntergang ihren Gesang angestimmt hatten.

Als die Bediensteten ihre Runden machten und die Lampen für den Abend vorbereiteten, sah Nacoya die tiefen Runzeln auf Maras Stirn. Die alte Amme glättete das Pergament mit einer zielstrebigen Bewegung. »Von all jenen, die möglicherweise an einer Verbindung mit uns interessiert wären, scheint die beste Wahl…«

Plötzlich sprach Mara: »Nacoya. Wenn die Minwanabi das mächtigste einzelne Haus im Kaiserreich sind, welches andere Haus ist dann ihr stärkster politischer Verbündeter?«

Nacoya legte die Liste auf ihren Schoß. »Die Anasati, zweifellos. Wenn der Lord der Anasati nicht existieren würde, wäre diese Liste mindestens fünfmal so lang. Dieser Mann hat inzwischen Verbindungen zu mehr als der Hälfte aller einflußreichen Lords des Kaiserreiches.«

Mara nickte langsam. Ihre Augen waren auf einen unbestimmbaren Punkt irgendwo in der Luft gerichtet. »Ich habe mich entschieden.«

Nacoya beugte sich erwartungsvoll nach vorn. Furcht durchströmte sie plötzlich. Mara hatte die Liste nicht einmal in die Hand genommen, geschweige denn einen Blick auf die Namen geworfen, die Nacoya dem Schreiber diktiert hatte. Mara wandte sich zu ihr um und blickte Nacoya fest an. »Ich werde einen Sohn des Lords der Anasati heiraten.«