GRANDPA

 

 

 

 

 

 

In Hochstimmung stapfte Paul zwischen den Ästen herum, die während der Wintermonate von den Bäumen herabgefallen waren. Er lachte laut und sang ein Lied, das er sich selbst ausgedacht hatte. Dann fiel ihm Jacobs Kätzchen-Lied ein und er verstummte, verschluckte das letzte Wort seines Liedes, das entkommen hieß.

Er würde die Geburtstagsparty versäumen. Grandpa würde vergnügt eintreffen und mit schallender Stimme Geburtstagswünsche verkünden. Was konnte man Jacob schon wünschen? Es würde eine traurige Angelegenheit werden, mit Jacob, der vor lauter Aufregung den Tränen nahe war, und den drei Erwachsenen, die trübselig herumsaßen, außer wenn Jacob ihnen ins Gesicht sah. Dann würden sie lächeln und liebe Worte säuseln.

Es war das erste Mal, dass Paul nicht an Jacobs Feier teilnahm. Im Apartment in New York war er eingeschlossen gewesen und hatte sich nirgends zurückziehen können. Und so hatte er mit den anderen an dem mit Krepppapier geschmückten Geburtstagstisch gesessen, auf dem neben jedem Teller ein Papierhütchen lag. Er war stumm geblieben und hatte grauenhafte Grimassen geschnitten, als seine Mutter die Geburtstagstorte hereinbrachte und sich alle Aufmerksamkeit auf sie richtete oder auf Jacob, der lauthals schrie und sich selbst alles Gute zum Geburtstag wünschte.

Pauls Stimmung schwankte hin und her wie ein Papierschiffchen, das vom Wind über einen Teich geweht wird.

Vor langer Zeit, noch vor dem Winter, hatte er damit angefangen, Gerätschaften zusammenzutragen, um sich daraus einen Unterschlupf zu bauen. Jetzt begann er immergrüne Zweige für ein Dach zu sammeln. Aber das Gefühl von Freiheit, die Freude darüber, eine eigene Entscheidung gefällt zu haben, hatten ihn verlassen.

Es kam ihm so vor, als gäbe es im Wald keine Luft mehr. Er fühlte sich wie in einer Kinderzeichnung, in einem Wald aus Buntstiftbäumen.

Es war Sonntag. Die Zimmerleute und Maurer und Elektriker, die hinter dem Wald auf der Baustelle gearbeitet hatten, waren heute nicht da. Erst jetzt erkannte Paul, dass ihre Stimmen ihn getröstet hatten. Die Zeit verstrich langsam, schwerfällig. Paul seufzte. Heute gab es im Wald nichts zu tun. Außer zu Mittag zu essen. Er stellte sich in einen Sonnenstrahl, der durch die Baumkronen über ihm fiel, und aß sein Brot. Nach dem Stand der Sonne schätzte er, dass es ungefähr Mittag war.

Bald würde Jacobs Party beginnen. Und etwa eine Stunde später wäre sie wieder vorbei. Seine Mutter wollte nicht, dass Jacob den Rest des Tages vor lauter Aufregung völlig erschöpft war.

Am Montag würden Pauls Eltern Jacob in seine besondere Schule begleiten. Das würden sie eine Woche lang so machen, danach würde er mit einem kleinen, orangefarbenen Bus fahren, auf dem mit schwarzen Buchstaben Eifrig-Transport stand. Ob der Besitzer Eifrig hieß? Oder sollte das bedeuten, dass die Firma, der dieser Bus gehörte, eifrig darauf erpicht war, ihre besonderen kleinen Fahrgäste zur Schule zu bringen?

Alles änderte sich. Alles außer Jacob. Auch wenn er in seiner besonderen Schule noch so viel lernte, würde ihn das doch nicht verändern.

Auf einmal hörte Paul an diesem windstillen Tag ein Geräusch. Den Aufprall eines Schuhs, der auf eine Baumwurzel trat. Er schaute den Pfad entlang, den er im Lauf der Monate ausgetreten hatte, und sah Grandpa, der sich mit gefurchter Stirn seinen Weg bahnte und nichts davon merkte, dass sein Enkel ihn beobachtete.

Woher hatte er gewusst, dass Paul hier war?

Gab es irgendeine Zentrale, wo man Informationen über Kinder einholen konnte? So viele Monate waren verstrichen und Paul hatte sich eingebildet, dass Daddy seine ersten samstäglichen Erkundungstouren in den Wald vergessen hatte. Das war im letzten Sommer und Frühherbst gewesen. Danach hatte er sorgfältige Vorkehrungen getroffen, um nicht gesehen zu werden, wenn er hierherkam und ein, zwei Stunden unter den Bäumen verbrachte.

Hatte sein Vater in seiner Praxis einen Blick durchs Fenster geworfen und ihn gesehen, wenn er spätnachmittags über die Wiese lief oder mit dem Rad über den holprigen Boden fuhr?

»Da bist du ja«, begrüßte sein Großvater ihn freundlich. »Ich hab mir schon gedacht, dass ich dich hier finden werde.«

Paul fühlte sich zutiefst gedemütigt. Sie hatten jemanden geschickt, um ihn zurückzuholen. Dass dieser Jemand Grandpa war, machte die Sache nur noch schlimmer.

Grandpa setzte sich auf einen Baum, der dem harten Winter zum Opfer gefallen war und umgestürzt auf dem Boden lag. Er sah Paul an, mit einem Gesicht, in dem sich Mitgefühl spiegelte, aber auch großer Ernst.

»Sie haben dich geschickt«, stellte Paul fest.

»Nun ja – stimmt schon«, gab Grandpa zurück.

»Um mich zurückzuholen«, sagte Paul.

Grandpa nickte.

»Zur Geburtstagsparty«, fügte Paul noch hinzu und merkte selbst, dass er sich ziemlich lahm anhörte.

Grandpa warf einen Blick auf die Überreste der Steinmauer, die jetzt deutlich zu sehen war, weil das Blattwerk fehlte.

»Einen hübschen Schlupfwinkel hast du hier«, sagte Grandpa.

Paul stellte sich vor, wie Grandpa die anderthalb Meilen bis zur Tierklinik zurückgelegt hatte und dann durch die Wiese gelaufen war.

»Ich finde, es wird Zeit, dass du damit aufhörst«, sagte Grandpa mit unveränderter Freundlichkeit. »Das geht jetzt schon seit sieben Jahren so. Allerdings hast du das am Anfang wohl kaum so geplant. Jacob ist ein Kind, das einem schon mal unheimlich werden kann. Er nervt. Du hast dir eine Erklärung für ihn zurechtgebastelt. Und jetzt glaubst du, ihn zu verstehen, aber dabei geht es nur um deine Erklärung – nicht um Jacob. Das gilt auch für andere Dinge. Wir sind sehr vertraut mit unseren eigenen Erklärungen.«

Paul zuckte mit den Schultern.

»Wir sollten jetzt wohl gehen«, sagte Grandpa. »Es sei denn, du möchtest lieber hier im Wald bleiben?«

Überließ ihm Grandpa wirklich eine echte Entscheidung? Paul musterte das Gesicht des alten Mannes, taxierte es genau. Der Ausdruck war neutral.

Jacobs Geburtstag war Paul nicht wichtig genug, um eine große Szene daraus zu machen. Und überhaupt, Grandpa hatte zugegeben, dass Jacob »unheimlich« war. Das war nur ein kleiner Sieg, aber er reichte doch aus, um Paul dazu zu bewegen, den Wald zu verlassen. Er schob sein Rad am Lenker und folgte seinem Großvater den Pfad entlang.