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Leben auf der Überholspur
Als ich einmal krank war – das muss im ersten Jahr nach unserer Hochzeit gewesen sein –, besorgte mir Teddy in einem Imbiss namens »Der koschere Take-away« einen Liter Hühnersuppe mit Matzeklößchen. Es war das Netteste, was ein Mann für eine Frau mit roter Nase, verquollenen Augen und schrecklichem, ungewaschenem Haar tun konnte. Was machte es ihm an jenem Tag Spaß, den Doktor zu spielen! Es war, als hätte er diese Rolle in einem Stück zugeteilt bekommen, und er spielte sie mit großer Begeisterung.
»Mund auf, Kleines«, hatte er gesagt, die Hand unter mein Kinn gelegt und mir mit dem Löffel das dampfende jüdische Penicillin eingeflößt, als wäre ich ein Kind. Er hatte mich voller Liebe und Mitgefühl angelächelt. Ich hätte nicht sagen können, ob das Schwindelgefühl von ihm oder dem Fieber verursacht wurde. An jenem herrlich verschnupften Tag war Teddy mein Fieber. Wenn ich mir jemals einer Sache im Leben sicher war, dann der, dass er mich in diesem Moment, in diesem Zimmer, auf diesem bazillenverseuchten Bett liebte.
Seit er die Möbel gestohlen hat, hat er nicht mehr angerufen. Er weiß noch nicht mal, dass seine Schwiegermutter in Wahrheit seine Schwieger-Großmutter ist.
Ich seufze laut, greife dann nach dem Telefon und wähle die SaveWay-Nummer, entschlossen, zu tun, was in meiner Macht steht.
»Wie geht es Milton?«
»Rufen Sie deshalb an?«
An diesem schrecklichen Montagmorgen gießt es wie aus Kübeln, und Mickey Hamilton wird es mir schwermachen, mich zu entschuldigen. Seit zwei Tagen habe ich das Haus nicht verlassen, seit unserem kleinen Mittagessen. Ich habe noch nicht mal meinen kleinen Protein-Milchshake zu mir genommen. Ich versuche, eine Sache in Ordnung zu bringen, bevor ich ins Büro gehe, und Mickey Hamilton erschien mir die leichteste.
»Ist das eine nette Art, mich zu begrüßen?«
»Wie kann ich Ihnen helfen, Miss Plow?«, entgegnet er.
Ham hat schlechte Laune.
Ich schlüpfe in einen Schuh. »Ich wollte Ihnen Ihre vierzig Dollar wiedergeben.«
»Ich will meine vierzig Dollar nicht zurück. Das hab ich doch gesagt.«
Ich setze mich auf die Kante meines ungemachten Betts. »Außerdem wollte ich mich entschuldigen«, sage ich. Am anderen Ende herrscht kurz Schweigen.
»Das akzeptiere ich, Miss Plow.«
»Schön. Es ging auch wirklich nicht um Sie. Aber … es läuft gerade nicht so gut zwischen mir und meiner Mutter.«
»Anscheinend läuft es zwischen Ihnen und egal wem gerade nicht so gut.«
Ich starre auf meinen Schoß hinunter. Meine Knie lugen hoffnungsfroh unter dem Saum meines Rockes hervor. »Hören Sie, in meinem Leben geht im Moment alles drunter und drüber. Warum können Sie das nicht einfach hinnehmen, und wir machen weiter.«
»Mit was machen wir weiter?«
Ich halte kurz inne und schlüpfe mit dem zweiten Fuß in die Pumps von Amanda Smith. »Mit unserer normalen, aufrichtigen Geschäftsbeziehung.«
»Das werden wir nicht können, Miss Plow.«
Seufzend stehe ich auf. Hinter meiner Stirn machen sich hämmernde Kopfschmerzen breit. »Und warum nicht, bitte schön?«
»Weil wir beide keine normale, aufrichtige Geschäftsbeziehung haben. Sie empfinden etwas für mich, Miss Plow. Das habe ich im Restaurant bemerkt, über Ihrem Teller mit Hühnchen.«
»Herrgott, Ham«, setze ich an, breche dann aber ab. Ich breche ab, weil ich befürchte, er könne richtig liegen. Oder er täuscht sich. Ich bin so verwirrt, dass ich mich wieder hinsetze.
»Sehen Sie? Jetzt nennen Sie mich sogar schon Ham.«
Als ich darauf nicht antworte, fährt er fort. »Warum kommen Sie heute Morgen nicht mal vorbei? Ich habe Milton zum Einpacken an der Kasse eingeteilt, weil es so schüttet. Es ist großartig, was Sie ihm alles beigebracht haben. Er denkt daran, die schweren Sachen unten in die Tüten zu tun. Aber trotzdem ist es sein erster Tag. Wollen Sie nicht sehen, wie er zurechtkommt?«
Das hört sich unendlich verlockender an, als nach meinem neuesten Trauma, das mir an der Nase ablesbar ist, ins Büro zu marschieren, wo Marcie mir auflauert und Sean mich mit diesem seelenruhigen Blick bedenkt, der alles nur noch schlimmer macht.
»Ich bin unterwegs.«
»Wunderbar. Ach, und Miss Plow. Ich habe das Treffen mit Ihrer Mutter Samstag sehr genossen.«
»Nein, haben Sie nicht.«
»Doch, habe ich«, beharrt er.
Nein, hat er nicht, denke ich beim Auflegen. Er kennt meine Mutter nicht einmal. Genauso wenig wie ich. Ich schnappe mir meinen Protein-Shake und schlüpfe in meinen Regenmantel.
Ich kann Milton durch die regennasse Glasscheibe am Ende der Schlange vor der Expresskasse sehen. Er gestikuliert mit den Händen, als wolle er der letzen Kundin in der Reihe unsichtbare Armreifen vorführen. Die Frau drückt ihre Geldbörse an sich wie einen Schutzschild. Eine halb volle Tasche mit Lebensmitteln steht zwischen ihnen. Eine junge Kassiererin sitzt mit verschränkten Armen vor ihrer Kasse. Ich haste nach drinnen.
»Sind Sie diejenige, die ihn betreut?«, fragt die Kassiererin, als ich bei ihr bin.
»Ja«, sage ich. Ich lasse meine Aktentasche auf ihr Roll-band plumpsen, um dem Nachdruck zu verleihen.
»Tja, er fängt schon wieder damit an. Zählt die Artikel.«
Nur wenige Zentimeter über ihrem kurz geschnittenen gelben Haar hängt das Schild BITTE NICHT MEHR ALS 8 ARTIKEL!
Milton ist ein bisschen außer Atem, sein Blick geht zwischen der Kundin und dem Schild hin und her. »Elf!«, keucht er. »Nicht acht!«
Die betrügerische Kundin senkt ihren Geldbeutel, als sie mich erblickt. Sie sieht ein bisschen erleichtert aus, doch vor allem verärgert. »Ich habe versucht, ihm zu erklären, dass man von dem Katzenfutter vier für einen Dollar neunundneunzig bekommt.«
Sie spricht zu laut und betont dabei jedes Wort überdeutlich, so wie manche Menschen es tun, wenn sie ihren Anrufbeantworter besprechen, so wie die meisten Menschen es tun, wenn sie mit geistig Behinderten sprechen. Deshalb mag ich sie nicht, sie und ihre Katze.
»Ich habe sie extra aufeinandergestellt, vier auf einen Stapel, weil es sich ganz klar nur um einen Artikel handelt. Den achten Artikel.«
»Ja, das sehe ich.« Ich verabscheue ihre blaue, funkelnde Lesebrille, die auf ihrer Nasenspitze zittert wie eine Achterbahn, die bereit ist, sich jeden Moment in die Tiefe zu stürzen.
»Ich sehe, dass Sie drei Artikel zu viel haben.«
Die gezupften Brauen der Frau fahren hoch. »Man könnte es so sehen. Sind Sie die Geschäftsführerin?«
Ich bin versucht zu lügen, schüttele aber verneinend den Kopf. Stattdessen drehe ich ihr den Rücken zu und wende mich an die Kassiererin. »Packen Sie bitte den Rest ein«, sage ich, bevor ich Milton am Arm nehme und ihn in Richtung Büro dirigiere.
»Miss Plow«, sagt er. »Sie hat die Vorschriften gebrochen, Miss Plow!«
»Ich weiß, Milton.« Ich versuche, entschlossen und gleichzeitig verständnisvoll zu klingen. »Es muss schwer für dich sein, so viele Vorschriften zu befolgen und dann mit anzusehen, wie andere Leute sie brechen.«
»Sie sollte gefeuert werden. Sie wird gefeuert!«
»Sie ist eine Kundin, Milton. Sie kann nicht gefeuert werden.«
Milton vergräbt die Faust in der anderen Hand. »Die Vorschriften! Sie darf keine elf kaufen!«
Gerade läuft »Strawberry Fields«, und sanfte Geigen-klänge erklingen in der Fleischabteilung, die wir nun durchqueren. Frauenrücken beugen sich über das Angebot an Steak und Lamm. Über den Köpfen der Frauen befinden sich Reihen mit Teriyaki-Soße und Angebotsschildern. Ein zusätzlicher Aushang kündet eine landesweite Woche gegen Depressionen an. LASSEN SIE SICH UMSONST UNTERSUCHEN, verkündet das Schild in rosa Buchstaben. Wir öffnen die Tür zu Mickey Hamiltons Büro, und Milton tritt vor mir ein.
Ham dreht uns von seinem Platz am Schreibtisch den Kopf zu. Er erhebt sich und hinkt durch das kleine Zimmer zum Tisch in der Mitte.
»Milton. Miss Plow. Bitte, nehmen Sie Platz.«
Ich setze mich, doch Milton bleibt stehen.
»Was ist mit Ihrem Bein?«, fragt Milton.
»Nichts. Ein Hundebiss, aber es geht schon wieder.«
»Ein Hundebiss?« Nervös reibt er sich die Arme vor seinem grünen Kittel.
»Es ist schon wieder in Ordnung. Lass uns über deine Arbeit sprechen.«
Ich beobachte, wie er Milton ruhig aus grauen Augen ansieht.
»Ein Hundebiss?«
»Milton. Was ist passiert?«
»Eine Dame will schummeln. An der Expresskasse.«
»Ah. Du hast mitgezählt, was?«
»Elf!«
»Und weißt du was, Milton? Das ist in Ordnung, wenn sie das tun. Du musst ihnen nicht sagen, dass sie zu viel haben.«
»Sie dürfen die Vorschriften brechen?«
»Das ist nicht wirklich eine Vorschrift. Mehr ein Vorschlag.«
Milton blickt schockiert drein. »Das ist eine Vorschrift! Miss Plow sagt, dass es Vorschriften gibt!«
»Ja, die Vorschriften für Kunden sind ein bisschen anders als die Vorschriften für Angestellte.«
»Sie dürfen sie brechen?«
»Manche davon. Diese.«
Milton sieht mich wütend an. »Sie können elf kriegen, obwohl da acht steht?« Er dreht sich wieder zu Ham um. »Ich mag Sie nicht.«
»Oh, vermutlich doch«, antwortet Ham freundlich. »Du magst es nur nicht, wenn ich sage, dass die Kunden an der Expresskasse schummeln dürfen. Daraus mache ich dir keinen Vorwurf, Kumpel. Aber weißt du was? Wenn die Kunden an dieser Kasse wirklich zu viele Artikel haben, sagt ihnen die Kassiererin schon, dass sie sich woanders anstellen sollen.«
»Ich sage es ihnen.«
»Nein.«
»Warum nicht?«
Ham atmet ein und denkt beim Ausatmen offensichtlich sorgfältig nach. »Weil wir dich brauchen, um das Verpacken zu überwachen. Wir brauchen dich, um darüber nachzudenken.«
»Ist das eine Vorschrift?«
»Du machst das am besten.«
»Ich mache das am besten«, sagt Milton.
Ham lächelt ihn an. Es ist das liebenswürdigste Lächeln, das ich seit Monaten gesehen habe.
»Genau. Und jetzt gehen wir wieder an die Arbeit. Deine Schicht läuft ja weiter.«
»Meine Schicht läuft weiter«, sagt Milton. »Und keine Küsse.«
Er schiebt einen Stuhl aus dem Weg und geht.
In dem Schweigen, das folgt, gehe ich um den Tisch herum zu Hams Platz. Ich nehme sein Gesicht in beide Hände, sodass die Koteletten verdeckt sind. Und dann küsse ich ihn. Ich küsse ihn lange genug für zwei Küsse, fest genug, um danke zu sagen. Und genau das tue ich dann auch, als ich mich von seinen warmen, überraschten Lippen löse.
»Danke«, sage ich.
Er stößt den Atem aus, den er angehalten hat. »Gern geschehen.«
»Es ist wunderbar, wie du mit Milton umgehst, und es ist wunderbar, wie du mit meiner Mutter umgehst.«
»Und es könnte wunderbar mit dir sein«, sagt er.
»Da bin ich mir sicher. Mein Mann hat gerade ein neues Haus gekauft, um darin mit meiner besten Freundin zusammenzuleben.«
»Autsch.«
»Warum erzähle ich dir das?«
»Keine Ahnung«, sagt Mickey Hamilton, steht auf und schlingt die Arme um mich.
»Mein Vater hat Krebs.«
»Das tut mir sehr leid, Rosie.«
»Und gerade haben wir die ›Keine Küsse‹-Vorschrift gebrochen.«
Ich rieche sein Aftershave, als er sich zu mir beugt, um mich erneut zu küssen. Er hat starke Arme, und er ist warm. Nicht eines meiner vielen Kilos in diesem überdimensionalen Regenmantel scheint ihn zu stören.
»Das tut mir nicht im Geringsten leid«, flüstert er liebevoll in mein Haar.
»Wann bist du denn von einem Hund gebissen worden?«, frage ich.
»Das ist eine andere Geschichte«, sagt er. »Diese hier mag ich lieber.«