Jungbrunnen E-Faktor
Eine zentrale Rolle bei den diversen Alterungsprozessen nimmt der E-Faktor ein. Das »E« steht dabei für »Endothel«, die Gefäßinnenschicht. Der gesamte Energiestoffwechsel läuft über diese Gefäßinnenschicht, die sogenannte Endothelschicht, ab.
Die Verleihung des Nobelpreises an das amerikanische Wissenschaftlertrio Robert F. Furchgott, Louis J. Ignarro und Ferid Murad im Jahr 1998 war eine besondere Auszeichnung für eine bahnbrechende Entdeckung in der Herz- und Gefäßmedizin, die viele Forschungsfelder bis heute befördern konnte. Die in wissenschaftlichen Zeitschriften stetig ansteigenden Zahlen an Publikationen verdeutlichen dies (vgl. Abb).
Dabei geht es um einen ganz einfachen Stoff, eine von seiner chemischen Struktur her ganz simple Verbindung, nämlich NO, die aus Stickstoff (N) und einem Sauerstoffmolekül (O) besteht und die – und das ist die Sensation – sämtliche physiologische Vorgänge im Körper, insbesondere innerhalb des Gefäßsystems, substanziell beeinflusst.
Eine bahnbrechende Entdeckung
Der Amerikaner Robert F. Furchgott, Professor für Pharmakologie, der sich bei seinen Forschungen ursprünglich mit der Wirkung von Medikamenten auf Blutgefäße beschäftigte, war bereits in den Achtzigerjahren der Frage nachgegangen, welche Ursachen dafür verantwortlich sind, dass sich Blutgefäße generell weiten und enger stellen.
In der Wissenschaft war zu diesem Zeitpunkt bereits einiges über die Arteriosklerose bekannt. Man wusste, dass die ersten Anzeichen dieses Prozesses sich durch das Nachlassen der Elastizität und eine eingeschränkte Entspannungsfähigkeit der Arterien ankündigen. Einblicke in diese Mechanismen der Gefäßreaktion sollten dazu beitragen, die molekularen und funktionellen Vorgänge bei der Entstehung der Arteriosklerose zu entschlüsseln. Man tappte allerdings noch in vielerlei Hinsicht im Dunkeln.
Das Nobelpreis-Experiment
Robert F. Furchgott entdeckte mit seiner Forschergruppe in einer Versuchsanordnung mit Tieren, dass Vorgänge in einem gesunden Gefäß über einen Botenstoff im Blut, das Acetylcholin, ausgelöst werden. Das ist ein überall im Körper vorkommendes Nervenhormon, ein Neurotransmitter. Dieser Effekt tritt aber nur dann ein, so seine Erkenntnis, wenn die Innenschicht des Gefäßes, die Endothelschicht, intakt ist. Schabt man diese jedoch ab und stimuliert das Gefäß wiederum mit Acetylcholin, so stellt sich anstatt einer Erweiterung (Dilatation) eine Verengung (Konstriktion) des Gefäßes ein.
Quelle: pubmed
Dem Forscherteam wurde anhand dieser Tatsache klar, dass sich ein Gefäß ohne die Endothelschicht offensichtlich nicht weiten kann. Und sie zogen daraus den Schluss, dass diese hauchdünne, jedes Gefäß auskleidende Schicht eine entscheidende Rolle spielen müsse.
Diese Erkenntnisse waren derart revolutionär und weitreichend, dass die Laboruntersuchungen und wissenschaftlichen Ergebnisse bereits 1980 in einer der renommiertesten amerikanischen Fachzeitschriften, Nature, veröffentlicht wurden.7 Dieser Artikel fand eine enorme Beachtung in der gesamten Wissenschaftswelt.
Ein Gas namens NO
Doch damit waren noch nicht die Mechanismen erklärt, die in dieser dünnen Gefäßschicht ablaufen, die die Gefäßfunktionen bestimmen und am Ende die Arteriosklerose verursachen.
Bei weiteren Experimenten stellte sich heraus, dass das Endothel eine Substanz produziert, die das Weiten des Gefäßes bewirkt. Robert F. Furchgott bezeichnete sie zunächst mit dem Begriff »Endothelial Derived Relaxing Factor«, abgekürzt EDRF (etwa: »entspannender Faktor aus der Gefäßinnenschicht«). Das war die Größe, die nach seiner Erkenntnis die Gefäßinnenschicht und die Gefäße geschmeidig machte.
Die Substanz bestand aus der chemischen Verbindung Stickstoffmonoxid, abgekürzt NO. Die Entdeckung dieses Gases war die eigentliche Sensation, denn das NO ist kein komplexes, verzweigtes Eiweißmolekül – so wie man es sonst fast überall wie zum Beispiel bei Hormonen, Gerinnungs- oder Entzündungsmolekülen findet –, sondern eine ganz einfache chemische Verbindung, die auch in der Luft vorkommt.
Die Wissenschaftler waren mehr als überrascht über diese Entdeckung und glaubten anfänglich selbst nicht, dass ein so simples Gas wie dieses eine so entscheidende Aufgabe im Gefäßsystem von Mensch und Tier innehat. Doch je mehr auch andere Forscher das Ergebnis bestätigen konnten, wich das Misstrauen euphorischer Begeisterung.
Bei weiteren Experimenten kristallisierte sich immer deutlicher heraus, dass NO nicht nur ein Signalstoff für den Querschnitt der Blutgefäße und seine Reaktion ist. Darüber hinaus ist NO an fast allen Vorgängen beteiligt, die die Gefäßgesundheit und -alterung betreffen, egal ob in den Gefäßen des Herzens, im Gehirn, den Nieren, im verzweigten Gefäßbett der Lunge oder in der Muskulatur.
NO – Grundbaustein für Dynamit
NO als chemische Verbindung war schon lange bekannt, hatte es aber in einem ganz anderen Zusammenhang zu weltweiter Berühmtheit gebracht: NO ist nämlich auch die chemische Grundsubstanz von Nitroglyzerin und damit auch von Dynamit. Der Botenstoff, der in den Blutgefäßen die Energie für die so wichtige Weitstellung liefert, ist also gleichzeitig der chemische Grundbaustein für Dynamit.
Ironie des Schicksals
Erfunden wurde das Dynamit bekanntlich von Alfred Nobel, der mit dem Geld aus seiner Erfindung den Grundstock für den Nobelpreis stiftete. Alfred Nobel litt selbst an einer Arterienverengung der Herzgefäße, und sein Arzt verabreichte ihm Nitroglyzerin, weil auch er schon wusste, dass es die Herzgefäße weit macht und schmerzlindernd wirkt.
Damals notierte Alfred Nobel in sein Tagebuch: »Es ist eine Ironie des Schicksals, dass mir mein Arzt Nitroglyzerin verordnet.«
Noch heute wird Nitroglyzerin als Notfallmedikament bei akuten Herzproblemen wie Angina Pectoris (Brustschmerzen bei Durchblutungsstörung des Herzens) erfolgreich angewendet.
Der Nobelpreis
Am 27. November 1885 hat Alfred Nobel in Paris sein berühmtes Testament verfasst, das die Vergabe des Nobelpreises bis heute sicherstellt. Darin heißt es:
»Mit dem ganzen Rest meines Vermögens ist folgendermaßen zu verfahren: Das Kapital, von den Testamentsvollstreckern in sicheren Wertpapieren realisiert, soll einen Fonds bilden, dessen jährliche Zinsen als Preise denen zugeteilt werden, die im verflossenen Jahr der Menschheit den größten Nutzen gebracht haben.«
Dass es über 100 Jahre nach seinem Tod einem Forscherteam gelang, den Wirkstoff, aus dem er Dynamit hergestellt hatte, einem gesundheitserhaltenden Nutzen zuzuführen, hätte Nobel sicher mit Genugtuung erfüllt.
Gefäße gesund, alles gesund
Die Endothelzellen, die die Gefäßwände auskleiden, stehen in direktem Kontakt mit dem Blut, das durch die Blutbahnen fließt. Ähnlich wie die Teflonbeschichtung einer Pfanne ist ihre Oberfläche mit Zellen ausgekleidet. Sie ist von Natur aus sehr glatt und hauchdünn, weil die Fließgeschwindigkeit nicht behindert werden darf.
Milliarden von Endothelzellen – im Durchmesser kleiner als ein Mikrometer, also Millimeter, aber unter einem Elektronenmikroskop gut zu erkennen – reihen sich wie Fliesen in einem Bad oder Kopfsteinpflaster auf einem Weg aneinander und verbinden sich so zu einer erstaunlich großen Fläche: Ihre Ausdehnung entspricht mindestens der eines halben Fußballfelds.
Die Masse des Endothels in ihrem Gesamtgewicht ist fünfmal größer als das Gewicht des Herzens.
Doch trotz der unglaublichen Dimension ist die Beschaffenheit der Gefäßinnenhaut extrem zart. Was den Charakter der Oberfläche angeht, so lässt sich das Endothel mit einer Frischhaltefolie aus Cellophan vergleichen. Cellophan schützt die Waren sicher nach außen, ist aber auch durchlässig und macht einen Austausch möglich. Bestimmte Stoffe, wie der lebenswichtige Sauerstoff, können die Membran ungehindert passieren.
Ganz schön vielseitig
Noch bis in die Neunzigerjahre des letzten Jahrhunderts hinein ging man davon aus, dass das Endothel als selektierende Barriere lediglich für den Stoffaustausch zwischen Blut und Gewebe fungiere. Für den in den roten Blutkörperchen, den Erythrozyten, transportierten Sauerstoff, die im Blut schwimmenden Nährstoffe, aber auch für die Immunzellen, Hormone und andere über das Blut zu befördernde Stoffe stellt die endotheliale Membran einen hochsensiblen Filter dar, den es auf dem Weg in die Zelle zu passieren gilt.
Heute weiß man, dass das Endothel nicht nur als passive Größe anzusehen ist, sondern darüber hinaus eine breit gefächerte Aufgabenpalette übernehmen kann. Alle Funktionen haben zentralen Einfluss auf die Biologie der Gefäßwand.
Zusammengefasst lässt sich sagen: Das Endothel ist in eine ganze Reihe von Prozessen involviert, die allesamt einem übergeordneten Ziel dienen: der Aufrechterhaltung der Gesundheit der Gefäße. Nicht nur, was eine optimale ökonomische Herz-Kreislauf-Funktion angeht, ist sie wichtig, ihr Funktionserhalt muss auch als eine wichtige Schaltstelle zur Vorbeugung angesehen werden. Sämtliche vorzeitige Abnutzungs-und Alterungsprozesse haben hier ihren Ursprung.
Die hoch spezialisierten Endothelzellen sind demnach maßgeblich am Sauerstoff- und Nährstoffaustausch zwischen Blut und Gewebe, an der Aufrechterhaltung des Spannungszustands der Gefäßwände, an der Fließfähigkeit des Bluts und an Blutdruckregulation und Neubildung von Blutgefäßen beteiligt.
Altern mit dem E-Faktor
Die E-Zellen bestimmen Ihren E-Faktor, weil sie in alle Prozesse involviert sind, die Ihre Gefäßgesundheit betreffen. Die Versorgung aller Körperzellen ist ihre Aufgabe. Sie sind darum der Dreh- und Angelpunkt, wenn es darum geht, wann Ihr Körper zu altern beginnt.
Der E-Faktor legt die Geschwindigkeit all dieser Prozesse fest.8 Denn ohne die Versorgung mit Sauerstoff und den lebenswichtigen Nährstoffen, ohne die reibungslos ablaufenden Regenerations-und Reparaturprozesse, ohne die Versorgung mit Hormonen, Enzymen, Immunzellen und mit vielen anderen Stoffen wäre Ihr Organismus rasch am Ende. Deshalb ist es so entscheidend:
Quelle: V. Schächinger et al. Circulation (2000) 101: 1899–1906
Je besser die E-Zellen funktionieren, desto besser werden die umliegenden, nachgeschalteten Zellen versorgt, gepflegt und gewartet – sie bleiben länger leistungsstark und vital.
Die Funktionen des Endothels
Auch als Zellbarriere haben die E-Zellen eine wichtige Bedeutung. Denn einerseits ist eine Trennung zwischen zirkulierendem Blut und Gewebe nötig, andererseits wird der Transport von ganz bestimmten Stoffen aus dem Blut ins Gewebe gefördert.
Blut ist generell eher dickflüssig, weil das Serum als der flüssige, zellfreie Bestandteil des Bluts insgesamt nur etwa 55 Prozent des gesamten Blutvolumens ausmacht.
Es dient als Transportmedium für zahlreiche Stoffe: Nährstoffe in Form von Glukose, verschiedenartigen Fetten oder Eiweißen, Stoffwechselendprodukte wie Kohlendioxid und Harnstoff, Hormone oder Entzündungs- und Gerinnungsfaktoren zählen dazu.
So glatt wie möglich
Die polygonalen, also vieleckigen, E-Zellen bilden eine glatte Zellschicht, die das Gefäßsystem komplett auskleidet. Ähnlich wie ein Stein, der einen Hang hinabrollt, »rollen« die festen Blutbestandteile, die Zellen, die in direktem Kontakt mit der Endothelschicht stehen, an dieser Endothelschicht entlang (vgl. Abb.). Dabei bewegen sie sich deutlich langsamer als die eigentliche Strömungsgeschwindigkeit des Blutes.
Ist die E-Zellen-Schicht glatt und damit gesund, bieten sich den vorbeirollenden Zellen wenige Möglichkeiten, sich anzuheften. Auf diese Weise bleibt auch die Gefahr der Cholesterinablagerung und Einwanderung von Entzündungszellen gering.
Rauchen macht rau
Mit fortschreitendem Alterungsprozess zeigt sich eine langsam fortschreitende Aufrauung dieser ursprünglich glatten Schicht. Das ist ganz normal, ein natürlicher Alterungsvorgang, der aber nur langsam fortschreitet.
Er wird allerdings ganz entscheidend durch Stoffwechselprodukte beschleunigt, die bei starkem Rauchen oder durch erhöhte Cholesterin- und Blutzuckerkonzentrationen im Blut entstehen. Sie sind damit Alterungsfaktoren für die Gefäße.
Barrieren und Filter
Die Zellmembran jeder einzelnen E-Zelle und ebenso die E-Zellen-Schicht als Ganzes arbeiten hochselektiv. Je nach Art und Form der zu transportierenden Moleküle stehen unterschiedliche Transportsysteme zur Verfügung.
Man unterscheidet hier zwischen passiven und aktiven Austauschvorgängen.
Passiver Transport
Beim passiven Transport werden die zu transportierenden Stoffe ohne Hilfe zwischen den einzelnen Zellen durch die Gefäßwand hindurchgeschleust. Diese superschmalen Durchgänge ermöglichen nur solchen Stoffen die Gefäßwand zu passieren, die aufgrund ihrer Form und Größe durch die engen Zwischenräume passen.
Man spricht in diesem Zusammenhang von Diffusion (aus dem Lateinischen: »Ausbreitung«). Diffusionsvorgänge beruhen in der Regel auf dem Ausgleich von Konzentrationsunterschieden. Im Vergleich zu den aktiven Transportvorgängen wird dabei keine Energie benötigt.
Aktiver Transport
Im Vergleich zum passiven erreicht der aktive Transport eine hohe Selektivität und Spezifizität beim Stoffaustausch, das heißt, nur das, was durchgehen soll, geht auch durch – wie bei der Passkontrolle.
Die Logistiksysteme für den aktiven Transport befinden sich direkt in den Wänden der E-Zellen, in einer sogenannten Doppel-Lipid-Membran. Diese fetthaltige, geschmeidige Fettdoppelschicht verleiht der intakten Wand ihre charakteristische Elastizität. Man kann sich die Schicht daher wie eine gut geölte Gummifolie vorstellen, die dafür sorgt, dass sich das Gefäß bei Bedarf entsprechend ausdehnen kann.
Der Zustand dieser Doppel-Lipid-Wand ist nicht nur physikalisch, also von seiner Struktur, für den Funktionszustand der Zelle verantwortlich. Sie hat auch chemisch maßgeblichen Einfluss darauf, wie die Gene der betreffenden Körperzelle abgelesen werden und ist damit verantwortlich für deren allgemeine Funktion.
Aktiver Transport kann prinzipiell über elektrische, chemische oder mechanische Signale gesteuert werden. Dafür nehmen hoch spezialisierte Rezeptoren der E-Zelle Signale sowohl aus dem Blut als auch aus dem Zellmilieu auf und öffnen daraufhin ihre Transportschächte. Über mikroskopisch kleine verwobene Schlauchsysteme mit feinsten Poren, netzförmigen Röhren und Kanalsystemen verläuft der Stoffaustausch über unterschiedlichste Transportmedien, die ihre Logistik je nach Bedarf sowohl beschleunigen als auch verlangsamen können.
Störanfällig
Noch haben die Molekularbiologen nicht alle Transport- und Austauschsysteme bis ins letzte Detail erforschen können, dennoch lässt sich nachvollziehen, dass eine Schädigung des Endothels das Gleichgewicht dieser fragil-sensiblen Austauschmechanismen gravierend zu stören vermag.
Defektes Endothel kann die gesunde Selektivität und hohe Präzision des Stoffaustauschs zwischen Blut und Organen nicht mehr gewährleisten, mit der unerfreulichen Konsequenz, dass krankmachende Stoffe und Gifte in die Gefäßwand eindringen und massiven Schaden anrichten, auch weil sie gleichzeitig nur noch eingeschränkt abtransportiert werden können.
Sensor und Signalgeber
Neben den genannten Funktionen erfüllt das Endothel auch aktiv als Sensor und Signalgeber wichtige Aufgaben. Dafür bildet die E-Zelle selbst Rezeptoren, die wie feine Fangarme krakenartig in den Blutstrom hineinragen und so ganz bestimmte Informationen aufnehmen, verarbeiten und weiterleiten können. Auf diese Art und Weise hat die E-Zelle sozusagen stets einen Fühler im Blutstrom und weiß genau, wer sich im Blut gerade so tummelt und was sich dort abspielt.
Der andere Fühler ist auf die Gefäßwand und die Organe ausgerichtet. Mit ihren Rezeptoren erkennt die E-Zelle etwa das – wie im Furchgott-Experiment verabreichte – Acetylcholin.
Dockt es an, reagiert das Gefäß mit einer entsprechenden Weitung. Aktivieren Stresshormone die Rezeptoren der E-Zellen im Rahmen einer Stressreaktion, führt dies gegensätzlich zu einer Gefäßverengung.
Je besser der Nachrichtenaustausch zwischen E-Zelle, Gefäßwand und Körperzelle funktioniert, desto effektiver kann sie ihren Aufgaben nachkommen.
Alles auf NO-Kommando
Die Funktion der Endothelzelle ist elementar verknüpft mit dem zentralen Botenstoff der Zelle, dem Stickstoffmonoxid (NO), in diesem Buch »E-Faktor« genannt. Ohne die ausreichende, aber auch gezielte lokale Verfügbarkeit des E-Faktors kann die Endothelzelle oder E-Zelle all die beschriebenen Funktionen gar nicht oder nicht optimal ausüben.
Die wissenschaftlichen Erkenntnisse über das Molekül NO sind aus vielerlei Hinsicht bedeutend. Über viele Jahre war es für Furchgott und sein Forscherteam schwierig gewesen, NO überhaupt biochemisch nachzuweisen, weil es ein sehr flüchtiges Gas ist, das seine Wirkung auf die glatte Gefäßmuskulatur nur ca. eine Sekunde lang ausüben kann, bevor es entweder abgebaut oder eingefangen wird. Außerdem folgt das NO einem ganz eigenen Prinzip der Informationsübermittlung.
Ungefilterte Wirkung
Normalerweise werden Informationen im Körper über Eiweiße, sogenannte Proteine, vermittelt. Diese Proteine haben ein bestimmtes Aussehen oder eine spezielle Konformation (eine spezifische räumliche Anordnung) und können nur an extra für sie zur Verfügung stehende Rezeptoren oder Andockstellen Informationen weitergeben. Dieses Schlüssel-Schloss-Prinzip zwischen Eiweiß und Eiweiß-Rezeptor regelt zum Beispiel die Informationsvermittlung zwischen Insulin und Insulinrezeptor oder Adrenalin und Adrenalinrezeptor.
Aufgrund der simplen Struktur von NO gibt es keinen spezifischen Rezeptor, und die Wirkung wird ungefiltert an die direkte Umgebung weitergegeben. Sie ist also ausschließlich lokal und allein über die Konzentration von NO geregelt. 9 Somit ist das Gleichgewicht aus Produktion und Abbau von NO entscheidend für die Wirkung in den Gefäßwänden.
NO ist außerdem wegen seiner überaus geringen Größe nicht an Kanäle in Zellwänden gebunden, sondern kann sie ungehindert passieren. Dabei beträgt die Geschwindigkeit, mit der sich das Molekül bewegt, ca. 400 Meter pro Sekunde, der Informationsfluss verläuft also extrem schnell. Aufgrund dieser hohen Geschwindigkeit kann NO trotz seiner scheinbar geringen Lebensdauer von nur einer Sekunde permanent zwischen Zellkompartimenten hin und her diffundieren und seine Wirkung ausüben.
Eine Sekunde erscheint auf den ersten Blick sehr kurz, im Vergleich zu anderen Strukturen ist es aber eine recht lange Zeit – die Informationsvermittlung in Nervenzellen beispielsweise verläuft deutlich schneller. Und immerhin legt ein Sprinter in einer Sekunde 10 Meter zurück.
Von der Grundlagenforschung zur klinischen Anwendung
Basierend auf den Erkenntnissen der Grundlagenforschung zum Wechselspiel von NO und Gefäßreaktion konnte sich im Laufe der Zeit ein neues therapeutisches Anwendungsfeld in der Medizin entwickeln. So werden heute – wie damals zur Zeit Alfred Nobels – Herzpatienten mit Angina Pectoris (im Volksmund Brustenge oder Herzschmerz) im akuten Fall und auch bei chronischer Erkrankung mit Nitratspray, Nitratinfusion und -tabletten behandelt.
Bei fortbestehendem Lungenhochdruck bei Neugeborenen oder bei Patienten mit Lungenkomplikationen während der künstlichen Beatmung kann das NO-Gas direkt zur Erweiterung der Lungenstrombahn verwendet werden. Außerdem wird das Wissen auch in anderer Form genutzt, nämlich beim Potenzmittel Viagra als Hemmer beim NO-Abbau, was eine Weitstellung der Gefäße fördert.
Der E-Faktor im Zentrum
Der E-Faktor hat die Kommandofunktion über all die beschriebenen Prozesse im Gefäßsystem und ist übergeordnete Instanz, wenn es darum geht, unseren Organismus möglichst lang biologisch jung zu halten. Der E-Faktor ist der Stoff in unserem Organismus, der uns langfristig jung hält, vital und leistungsstark macht und unser Risiko für Krankheiten mindert. Seine Produktion ist maßgeblich davon abhängig, wie wir seine Produktionsstätte, die E-Zelle, pflegen und warten.
Bevor im Folgenden eine optimale »Pflege- und Wartungsanleitung« beschrieben wird, sollen zunächst die Faktoren im Blickpunkt stehen, die die E-Zelle in ihrer Funktion stören und im Extremfall sogar zerstören können. Umgekehrt ist eine Verjüngung aus Sicht der Zellbiologie nur dann möglich, wenn Alterungsfaktoren deaktiviert werden.